Irische Hochzeit - 2. Kapitel

2. KAPITEL

Vom Regen durchnässt, preschte Patrick auf seinem Hengst über die walisische Ebene. Das schlechte Wetter half ihm dabei, einen klaren Kopf zu bekommen.

     Als er das Königtum annahm, hatte das geheißen, dass er Opfer würde bringen müssen. Wenn es um die Belange seines Stammes ging, zählten seine persönlichen Gefühle nicht. Er hatte diese normannische Frau geheiratet. Jetzt wollte er seine Leute befreien.

     Am Horizont zeichnete sich schattenhaft das Lager seiner Brüder ab. Das Feuer flackerte heftig in der Dämmerung. Patrick erreichte das Lager und stieg vom Pferd.

     „Hübsches Wetter“, bemerkte sein Bruder Trahern. Er stand neben dem Feuer, das sie mit einem Fell vor dem Regen schützten. Traherns braune Haare und sein lockiger Bart troffen vom Regen. Er überragte seine beiden Brüder. Seine Größe machte einem Riesen aus den alten Geschichten Konkurrenz.

     „Es scheint meinem Hochzeitstag angemessen.“ Patrick band Bel an und tätschelte den Hengst.

     Bevan, der dritte Bruder, stand auf und ging auf und ab. „Ich fragte mich schon, wie lange du brauchen würdest. Ich würde es deiner normannischen Braut zutrauen, dich im Schlaf zu erdolchen.“

     Patrick zuckte die Achseln. „Sie ist harmlos.“

     „Wir waren dort, hinter der Kirchenmauer“, gestand Trahern. „Sie hat sich dir nicht gerade in die Arme geworfen.“

     „Das hättet ihr nicht riskieren sollen. Ich wollte nicht, dass ihr kommt.“

     „Und sollten die Hochzeit unseres ältesten Bruders verpassen?“ Trahern grinste. Er hob den Kopf und ließ sich den Regen über das Gesicht laufen. „Die normannischen Wachen sahen uns nie. Es war gar nicht schwer, im Verborgenen zu bleiben, solange wir uns nur von den Gästen fernhielten.“

     „Ich traue Thornwyck nicht.“ Bevan setzte sich ans Feuer. Die Flammen beleuchteten eine Narbe auf seiner Wange. Anders als sein Bruder, zog er sich als Schutz vor dem Regen seine Kapuze über den Kopf. „Und wir hätten dich nie allein gehen lassen sollen. Die Normannen hätten dich gefangen nehmen können.“

     Patrick trat an das Funken sprühende Feuer und streckte die Hände aus, um sich zu wärmen. „Sind Thornwycks Männer uns gefolgt?“

     „Nein“, antwortete Bevan. „Doch ich bezweifle, dass er bis Lughnasa damit warten wird. Er wird noch mehr Streitkräfte heranschaffen und versuchen, Laochre zu nehmen.“

     Patrick nahm einen Trinkschlauch mit Met, den ihm die Brüder anboten und trank. Wie ein dunkler Schatten senkte sich eine bittere Niedergeschlagenheit über ihn. „Ich wollte nicht, dass unsere Männer Sklaven der Normannen werden.“

     „Und wie willst du ihn aufhalten?“

     „Ich habe meine Pläne“, log er. In Wirklichkeit hatte er keine Ahnung, was er jetzt tun sollte. Die Befehle, die er bei sich trug, würden sein Volk befreien. Doch die weiteren Bedingungen des Abkommens lauteten, dass die Normannen bei ihnen untergebracht wurden. Der Gedanke an ein Zusammenleben der beiden Gruppen bereitete Patrick Kopfschmerzen.

     „Und was ist mit deiner Braut?“, fragte Bevan. „Du kannst ihr nicht erlauben, als deine Königin zu regieren.“

     „Ich weiß.“

     Dass er sie geheiratet hatte, erschien ihm bereits wie ein verblassender Traum. Er fühlte sich nicht verheiratet, am wenigsten mit einer Normannin. Sein Stamm würde sie nie akzeptieren. Zu ihrem eigenen Schutz musste er sie von seinen Leuten fernhalten. „Ich werde sie nach Ennisleigh bringen. Sie soll keiner Gefahr ausgesetzt sein.“

     Bevan entspannte sich und ließ die Hände auf den Knien ruhen. „Gut. Wir haben schon genug Probleme.“ Er deutete in die Ferne. „Ich nehme an, du hast sie an einen Baum gebunden? Sonst musst du sehen, wie du sie wieder aufspürst.“

     „Einen Moment lang dachte ich daran.“ Patrick erinnerte sich an den Fluchtversuch seiner Braut vor der Hochzeit. „Aber nein, ich ließ sie im Zelt zurück.“

     „Wieso hast du sie nicht hierher gebracht?“

     „Weil er mit ihr allein sein will, Dummkopf.“ Trahern stieß Bevan mit dem Ellbogen in die Rippen. „Ein Mann sollte seine Hochzeitsnacht genießen.“

     Patrick sagte nichts, ließ die Brüder denken, was sie wollten und bezwang den aufsteigenden Zorn. Er hatte nicht die Absicht, seine Braut anzurühren und sie wirklich zu seiner Frau zu machen. Er konnte sich nicht vorstellen, mit ihr ein Kind zu zeugen.

     Die Ehe würde nicht von Dauer sein. Nach Lughnasa, sobald sein Stamm die Nordmänner verjagt hatte, konnten Isabel und er getrennte Wege gehen. Er beabsichtigte, dem Erzbischof eine Bittschrift um Annullierung der Ehe zu schicken. Schade, dass er sie nicht in Eíreann hatte heiraten können. Die Gesetze seines Landes machten es einem viel leichter, eine ungewollte Ehe wieder zu lösen.

     „Ich sollte zurückreiten“, sagte er ruhig. „Ich muss uns noch ein Abendessen erjagen.“

     Trahern brachte zwei Hasen zum Vorschein. „Nimm die und bereite deiner Braut ein anständiges Hochzeitsessen.“

     „Die wollte ich essen“, brummte Bevan. Doch dann zuckte er die Achseln und fügte hinzu: „Guten Ritt.“

     „Wir werden euch demnächst an der Küste treffen.“ Patrick umarmte seine Brüder und sagte ihnen Lebwohl. Slán.

     Er warf die Hasen vor sich übers Pferd und machte sich auf den Rückweg zu Isabel. Er erlaubte Bel die Führung zu übernehmen, denn das letzte Sonnenlicht war dabei, hinter den Bergen zu verschwinden.

     Während er querfeldein galoppierte, schwor er sich, dass Isabel de Godreds Gegenwart sein Leben nicht verändern würde. Noch würde sie auf irgendeine Weise zu einer Gefahr für den Stamm der MacEgans werden.

Als er zum durchweichten Zelt zurückkam, saß Isabel mit gebeugten Schultern da. Ihr nasses Haar klebte an ihrem Gewand. In den dunkelbraunen Augen loderte die Empörung über die schändliche Behandlung.

     „Ich habe Essen mitgebracht“, sagte Patrick und hielt die zwei Hasen hoch. „Und wenn Ihr den Weg noch schaffen könnt, so gibt es nicht weit von hier eine verlassene Hütte.“

     Sie nickte zitternd. „Ich bin mit allem einverstanden, wo ein Feuer brennt.“

     Er half ihr, das provisorische Zelt zusammenzupacken und hob sie aufs Pferd. Sie zuckte zusammen, erwähnte aber die Schmerzen mit keinem Wort. Als er sich hinter ihr in den Sattel schwang, zitterte sie heftig am ganzen Körper.

     Kälte ließ sein Herz zu Eis erstarren. Sie verdiente kein Mitleid. Sie war ein Mittel zum Zweck, sonst nichts. Trotz seiner Entschlossenheit fühlte er Gewissensbisse, weil er eine Frau so behandelte.

     Sie ist eine Normannin, ermahnte ihn sein Verstand. Das durfte er nicht vergessen.

     Vornübergebeugt trieb er sein Pferd an. Isabels Haltung blieb steif und starr, sie wies jede Wärme ab, die sein Körper ihr hätte geben können. Er sollte dankbar dafür sein, dass sie nicht weinte oder sich an ihn klammerte. Und doch war es das erste Mal für ihn, dass eine Frau vor ihm zurückwich.

     Das Schweigen hielt an, während sie Meile um Meile zurücklegten. Endlich erreichten sie einen Waldrand. Nahe dabei stand eine verlassene Hütte, die er zuvor auf seiner Reise entdeckt hatte. Patrick ritt langsamer, gab die Zügel nach und ließ den Hengst auf den Unterstand zugehen.

     Sobald sie ihn erreicht hatten, stieg er vom Pferd und half Isabel hinunter. Stirnrunzelnd starrte sie die mit Stroh gedeckte Hütte an.

     „Jetzt verstehe ich, warum man sie verlassen hat.“

     Das Dach musste neu gedeckt werden, und ein Teil der Mauer war abgesackt, sodass die Hütte zusammenzubrechen drohte. Patrick führte Bel zu einem kleinen, mit Wasser gefüllten Graben. Dann öffnete er Isabel die Tür.

     „Geht hinein, während ich noch mein Pferd versorge“, befahl er. Er nahm den Sattel ab und rieb den Hengst trocken. Als er fertig war, kam er in die Hütte und war dankbar, dort einen kleinen Stapel trockenes Feuerholz vorzufinden. Mit Flintstein und Stahl schlug er Feuer. Isabel beobachtete ihn dabei.

     „Ich glaubte, Ihr hättet mich verlassen“, murmelte sie.

     „Ist es nicht das, was Ihr wolltet?“

     „Mitten im Nirgendwo verlassen zu werden?“, fragte sie. „Nein.“ Sie zitterte wieder und trat näher an das kleine Feuer heran, das Patrick in der Feuerstelle entfacht hatte. „Ich hatte Angst“, gestand sie.

     „Vor Wölfen?“

     Sie schürzte die Lippen und schüttelte den Kopf. „Vor Dieben. Wenn jemand gekommen wäre, hätte ich mich nicht verteidigen können.“

     In ihren Worten steckte ein Funken Wahrheit. Sie hatte recht. Er hatte ihren Schutz vernachlässigt. Aber er entschuldigte sich nicht dafür.

     „Seid Ihr hungrig?“

     Als sie nickte, fuhr er fort: „Ich werde das Essen zubereiten. In der Zwischenzeit holt den Trinkschlauch mit dem Met, der am Sattel festgebunden ist.“

     Isabel ging hinaus, und Patrick kümmerte sich ums Feuer, bis es mit starker Flamme hell aufloderte. Er sorgte sich nicht darum, dass Isabel eine Flucht wagen könnte. Sie waren meilenweit von jeder Behausung entfernt, und die Dunkelheit würde sie schon davon abhalten zu fliehen.

     Er zog den Hasen das Fell ab und steckte sie auf einen Spieß, bevor er sie übers Feuer hängte. Isabel kehrte mit dem Met zurück. Plötzlich schrie sie auf und ließ den Trinkschlauch fallen. Patrick zog sein Schwert, doch niemand stand an der Tür. Eine große Ratte lief an Isabel vorbei und schoss in der Hütte umher.

     Isabel riss einen dicken Ast vom Holzstoß. Sie ließ ihn herumwirbeln und schlug kreischend damit auf den Boden, wenn sich das Tier ihren Röcken näherte.

     Die Ratte sprang vom Feuer fort, und Patrick musste sich ducken, weil der Prügel beinahe seinen Kopf getroffen hätte.

     „Was, bei Lugh, ist denn los?“, fragte er.

     „Jagt sie hinaus“, schrie Isabel. Ihr entsetztes Gesicht und der wild wirbelnde Ast zwangen Patrick zu handeln. Er öffnete die Tür und beförderte die Ratte mit einem Fußtritt nach draußen.

     Immer noch den Ast umklammert, sprang Isabel auf eine Holzbank. Sie hatte die Hand aufs Herz gelegt und presste angstvoll die Lippen zusammen. Es war mehr als der bloße Ekel, wie ihn Patrick oft in den Gesichtern von Frauen hatte sehen können. Sie war völlig außer sich vor Furcht.

     „Ihr habt sicher schon früher Ratten gesehen“, bemerkte er.

     Obwohl Isabel nickte, schien ihre Furcht nicht nachzulassen. „Ich hasse sie. Mäuse auch. Und alles, das nagt.“

     Er konnte dem Bedürfnis, sie zu necken, nicht widerstehen. „Wahrscheinlich leben sie im Strohdach.“

     Ein Wimmern kam über ihre Lippen. „O Gott, bitte nein.“

     Er trat näher, nahm ihr die Waffe ab und warf den Ast ins Feuer. Während er vor ihr stand, bemerkte er, wie sehr sie zitterte. Ihr Schleier hatte sich von dem dünnen Goldreif gelöst, und sie umklammerte ihr rotes Gewand. Als sie die Augen zu ihm hob, lag so große Furcht darin, dass Patrick ein schlechtes Gewissen bekam, weil er sie geneckt hatte.

     Er betrachtete sie, ihre warmen, braunen Augen und die blassen Wangen. Sie duftete wie eine Mischung aus Geißblatt und Rose und war jeder Zoll eine Dame. Auch wenn sie all ihren Mut zusammenraffte und nicht vor ihm zurückwich, war ihre Furcht vor ihm doch größer. Es war die Furcht einer Frau, die noch nie bei einem Mann gelegen hatte. Nass wie sie war, zeichnete sich jede Linie ihres Körpers durch die Seide ab, ein Anblick, der sündige Bilder in ihm heraufbeschwor. Er dachte daran, wie es wäre, ihr den seidigen Stoff von den Schultern zu streifen und die Lippen auf ihren warmen Körper zu pressen.

     Er durfte nicht schwach werden und sie anfassen – auch wenn es schon viele Monde her war, seit er die Freuden eines Frauenkörpers genossen hatte.

     Also wechselte er das Thema. „Die Bank bricht gleich zusammen.“ Isabel verzog das Gesicht und betrachtete den Boden, als ob sie eine Invasion von Ratten in der Hütte erwartete.

     Weil sie zögerte, nahm er sie in die Arme und trug sie zur gegenüberliegenden Seite. Sie fühlte sich kalt an. Er setzte sie auf einen Tisch. Zitternd zog Isabel die Knie an. Patrick kehrte zur Feuerstelle zurück und drehte die Hasen um. „Wieso jagen sie Euch solche Angst ein?“

     Sie verbarg das Gesicht auf den Knien. „Meine Schwestern Patrice und Melisande spielten mir einen Streich als ich klein war. Sie setzten mir Mäuse ins Haar, während ich schlief.“

     „Sind es Eure jüngeren Schwestern?“

     „Ältere.“ Sie hob den Blick. „Ich bin keine reiche Erbin, falls Ihr daran denken solltet, Land zu fordern.“

     „Ich brauche kein Land. Euer Vater und ich haben eine andere Abmachung getroffen.“

     In dieser Abmachung hatte Thornwyck seine Enkel zu den künftigen Königen von Eíreann bestimmt. Patrick warf noch ein Stück Holz ins Feuer. Es würde keine Kinder geben. Das war seine Art von Rache. Selbst wenn Thornwyck Patricks Stamm gefangen nehmen, Laochre erobern und eine Allianz erzwingen konnte, dies hier war wenigstens etwas, das der Baron nicht unter seiner Kontrolle hatte.

     Endlich hatte seine Gemahlin aufgehört zu zittern. Sie nahm den Schleier ab und kämmte mit den Fingern ihre langen, blonden Haare, damit sie trockneten. Sie schimmerten im Schein des Feuers und hoben sich lebhaft von ihrem roten Kleid ab. Isabel drehte sich, um sich an anderer Stelle zu wärmen. Als sie merkte, dass er sie beobachtete, runzelte sie die Stirn. Patrick wandte sich ab und sah wieder nach den Hasen. Nach einiger Zeit erfüllte der verlockende Duft von gebratenem Fleisch die Luft. Der Saft troff vom Fleisch, und Patrick schnitt ein Stück herunter und bot es Isabel zusammen mit einem harten Stück Brot an. Sie brach sich ein Stück ab und reichte ihm den Rest des Brotes. „Danke.“

     „Ich hatte nicht vor, Euch verhungern zu lassen“, meinte er. „Es braucht keinen Dank.“

     „Er ist nicht nur für das Essen …“ Sie errötete. „Auch dafür, dass Ihr mich nach der Zeremonie nicht in Euer Bett genommen habt.“ Sie senkte den Blick und starrte auf das bratende Fleisch.

     Patrick durchquerte den Raum und stellte sich vor sie. Sie musste wissen, welche Rolle sie in dieser Verbindung spielte. Er legte die Hände auf den Tisch, sodass sie ihm nicht ausweichen konnte. Er krallte die Finger in das Holz und verbarg weder die Wut noch die Empörung, die ihn erfüllte.

     „Ihr müsst nicht fürchten, dass ich Euch jetzt noch sonst irgendwann in mein Bett nehme.“

     Isabel erbleichte, doch er ließ sich nicht beirren. Diese Heirat war Teil der Kapitulationsbedingungen, keine wahre Ehe. Sie würde nie Königin sein oder seine Söhne tragen.

     Am Besten, sie gewöhnte sich schon jetzt daran.

Isabel stöhnte auf, als Sonnenstrahlen sie blendeten. Sie versuchte, sich auf dem Tisch aufzurichten, auf dem sie geschlafen hatte. Ihr Gemahl hatte nicht gegen die Wahl ihres Schlafplatzes protestiert, und sie hatte ihre Haare mit dem Schleier bedeckt. Trotzdem war sie aus Angst vor Ratten nur mit Mühe eingeschlafen.

     Was für eine seltsame Hochzeitsnacht. Sie wusste nicht, was sie über Patrick MacEgan, noch über ihre gemeinsame Zukunft denken sollte. Ihr Gatte stand mit dem Rücken ihr zugewandt im Türbogen. Isabel bemühte sich, sich ihre Überraschung nicht anmerken zu lassen. Seine Tunika hing neben dem fast erloschenen Feuer, und er war bis zur Hüfte nackt. Seine bronzefarbene Haut schimmerte im Sonnenlicht und ausgeprägte Muskeln bewiesen, wie stark er war.

     Als er sich reckte, hielt Isabel den Atem an. Nein, zahnlos und alt war er wirklich nicht. Letzte Nacht hatte er ihr die Angst genommen, als er ihr sagte, dass er sie nicht in sein Bett nehmen würde. Eigentlich hätte sie jetzt eine übergroße Erleichterung verspüren müssen.

     Stattdessen machte sein Verhalten sie eher misstrauisch. Und sie fühlte sich nicht wohl bei dieser Abmachung. Wieso wollte er, dass sie Jungfrau blieb? Und wie lange wollte er sie allein lassen? Ihr Vater hatte ihnen beiden gedroht, sollte sie bei seiner Ankunft in Erin nicht schwanger sein. Edwin de Godred würde nicht zögern, sie zu demütigen.

     Isabel schwang sich vom Tisch und suchte ängstlich den Boden nach irgendwelchen Nagern ab. Sie fühlte sich steif, und ihre Glieder schmerzten. Und, du lieber Himmel, heute stand ihr ja ein weiterer Ritt bevor. Ihr Po war bereits von der gestrigen Reise ganz wund.

     Patrick drehte sich um. „Schön. Ihr seid wach. Frühstückt, dann brechen wir auf.“

     Isabel sah das heruntergefallene Stück Stoff auf dem Boden und legte es sich um die Schultern. Einen brat hatte er es genannt. Wenigstens wärmte es sie in der morgendlichen Kühle. Sie aß das Stück Brot, das er ihr übrig gelassen hatte und wagte sich dann hinaus.

     Die aufgehende Sonne schimmerte durch den Wald, und das nasse Gras glänzte. „Erwartet man von Königinnen nicht, dass sie in einer Sänfte reisen?“, murrte sie.

     „Ihr seid keine Königin.“

     „Aber ich glaubte …“

     „Ihr seid eine Braut, keine Königin. Ihr werdet nicht über meinen Stamm herrschen.“

     Zorn lag in seiner Stimme, eine dunkle Drohung, die Isabel erzittern ließ. Was erwartete er von ihr? Als seine Frau hatte sie Verantwortung zu tragen. Sie runzelte die Stirn, während er sie auf den Hengst hob. „Warum macht Ihr Euch dann die Mühe, mich nach Erin zu bringen?“

     „Weil die Normannen einen Beweis dafür brauchen, dass ich Wort halte. Nur dann werden sie dem Befehl Eures Vaters gehorchen und mein Volk freilassen.“

     Während der restlichen Reise plagte sie sich nicht mehr damit ab, ein Gespräch mit ihm zu beginnen. Insgeheim ärgerte sie sich. Er wollte nicht, dass sie eine Rolle in seinem Leben spielte. Was erwartete er dann von ihr? Dass sie in der Ecke saß und spann, bis sie verfaulte?

     In ihr kochte eine stille Wut. O ja, sie war Normannin, aber sie hatte nichts Böses getan. Bei dieser Heirat hatte sie keine Wahl gehabt, doch sie weigerte sich, sich wie eine Feindin behandeln zu lassen.

     Letzte Nacht hatte sie stundenlang wach gelegen und versucht zu entscheiden, was sie jetzt tun sollte. Sie konnte sich wie ein Kind benehmen und zu fliehen versuchen, aber das war keine Lösung. Patrick oder ihr Vater würde sie zurückholen.

     Sie konnte nicht länger nach Hause oder zu ihren Leuten zurückkehren. Ob sie wollte oder nicht, als verheiratete Frau hatte sie keine andere Wahl, als bei Patrick MacEgan zu bleiben.

     Ihr Gatte behauptete, Edwin würde seine Stammesmitglieder hinrichten lassen, wenn Isabel ihm nicht nach Irland folgte. Er sagte, Kinder wären in Gefahr.

     Allein dieser Gedanke nagte an ihrem Herzen. In Schlachten geschahen grausame Dinge. Sie selbst hatte es einmal gesehen, und noch jetzt schauderte sie bei der Erinnerung an ein brennendes Dorf.

     Auch wenn ihre Eskorte dafür gesorgt hatte, dass sie weit weg von dem Gemetzel blieb, hatte sie die Schreie der Opfer nie vergessen können. Ein kleiner Junge, kaum älter als drei Jahre, hatte neben einer toten Frau gestanden und um seine Mutter geschluchzt. Keiner war ihm zu Hilfe gekommen.

     Sie wünschte, sie hätte damals ihrer Eskorte befohlen anzuhalten. Sie hätte den Jungen mitnehmen müssen, auch wenn sie selbst erst sechzehn Jahre alt gewesen war. Ohne jemanden, der sich um ihn kümmerte, war er wahrscheinlich gestorben.

     Möglich, dass Patricks Volk das gleiche Schicksal erlitten hatte wie die Dorfbewohner. Sie wollte es nicht glauben. Aber was, wenn es stimmte? Wie konnte sie mit sich selbst in Einklang leben, wenn sie aus selbstsüchtiger Angst andere sterben ließ?

     Nein, bevor sie nicht genau wusste, was seinem Volk zugestoßen war, konnte sie ihn nicht verlassen. Sie würde ihren Gemahl nach Erin begleiten und die Wahrheit erfahren.

     Isabel atmete tief durch und bemühte sich, einen klaren Kopf zu behalten. Wenn Patrick erst einmal sah, wie gut sie einen Haushalt zu führen verstand, würde er ihr schon erlauben, sich nützlich zu machen. Irgendwie würde sie schließlich doch noch einen Weg finden, die Kluft zwischen ihnen zu überbrücken und sich selbst einen Platz in seinem Königreich zu verschaffen.

     Ihre Zukunft hing davon ab.

Im Licht des Sonnenuntergangs tauchte die Küste vor ihnen auf. Die letzten Spuren des Tageslichts verschwanden am bewölkten Horizont, und Patrick sah in einiger Entfernung die Pferde seiner Brüder grasen. Erleichterung erfüllte ihn, da er jetzt wusste, dass sie in Sicherheit waren.

     Er zügelte seinen Hengst und ließ ihn langsamer gehen. Die Wellen schlugen auf den Sand und sprühten Schaum in die salzige Luft. Am Strand wartete ihr Schiff auf die morgendliche Flut. Es war groß genug, sie selbst und ihre Pferde aufzunehmen. Ohne die Hilfe seiner Brüder konnte Patrick es nicht segeln.

     Nahe den Höhlen hielt Patrick an und stieg vom Pferd. Isabel fielen bald die Augen zu. Nur noch mit Mühe hielt sie sich aufrecht. Patrick hob sie herunter, und sie taumelte ein paar Schritte, bevor sie wieder sicher auf ihren Füßen stand.

     „Ich glaube nicht, dass ich je wieder reiten möchte“, murmelte sie. Er ließ es zu, dass sie sich an ihn lehnte, während sie auf die Höhlen zugingen. Schließlich entdeckte Patrick nahe den Höhlen den goldenen Widerschein eines Feuers. Wie er sich auf eine geruhsame Nacht freute! Nur zwischen seinen Brüdern konnte er in Ruhe schlafen. Jeder von ihnen würde sein Leben für den anderen geben.

     „Kommt.“ Er führte sie zum Eingang der Höhle. Isabel stolperte über einige Felsbrocken, und er konnte sie im letzten Moment halten. Sie richtete sich auf und ging weiter. Auch wenn sie von zierlicher Gestalt war, ihre Willenskraft konnte es mit der seinen aufnehmen.

     Nahe dem Eingang stand in gebückter Haltung sein Bruder Trahern. Sein Kopf streifte beinahe die steinerne Decke. „Dann ist diese hübsche cailín also deine neue Frau?“

     Isabel riss sich zusammen. „Das bin ich.“

     „Ich bin Trahern MacEgan“, stellte er sich vor. „Und ich bin neugierig – warum seid Ihr meinem Bruder nicht davongelaufen? Ich hätte alles getan, um zu flüchten.“

     Sie steckte eine Locke, die sich hervorgestohlen hatte, wieder unter ihren Schleier zurück und lächelte ihn verlegen an. „Woher wisst Ihr, dass ich es nicht versucht habe?“

     „Umso schlimmer, dass es dir nicht gelungen ist.“ Trahern brach in Gelächter aus. „Komm und iss mit uns, Schwester. Bevan hier ist schlecht gelaunt, weil er die Wette verlor. Er glaubte, du würdest davonlaufen.“

     Die Narbe auf Bevans Wange färbte sich weiß. Er bot ihr keinen Willkommenskuss an, und Patrick bestand nicht auf diese Geste der Höflichkeit. Ihm war lieber, wenn sein Bruder Schweigen bewahrte.

     Er führte Isabel zum Feuer. Zitternd kauerte sie sich dicht an die Flammen, um sich zu wärmen. Sie strich sich über den Po und schloss die Augen, als müsste sie einen Schmerz unterdrücken.

     „Es wird nicht mehr geritten“, versicherte ihr Patrick. In Wahrheit war er selbst erleichtert darüber, auch wenn er sich nicht gerade auf die bevorstehende Reise in der Morgendämmerung freute. Er hasste es, machtlos den Winden ausgeliefert zu sein.

     „Darüber bin ich froh.“ Isabel ließ den brat von den Schultern gleiten. Ein Wust feuchter Locken fiel ihr über die Schultern bis zur schlanken Taille hinab. Sie erwiderte unbefangen seinen Blick. Patrick sah zur Seite. Sie mochte eine schöne Frau sein, doch er hatte kein Recht, sie so anzuschauen. Sein Schwur, sie nicht anzurühren, ließ ihn alle Wünsche seines verräterischen Körpers unterdrücken.

     Trahern hustete. Patrick verstand die versteckte Botschaft und trat ein paar Schritte zurück. Sein Bruder öffnete einen Beutel und bot ein Stück Brot an. Dann reichte er einen Schlauch mit Bier herum. Isabel nahm von dem Brot und stillte ihren Durst. Patrick sah, dass ihr Gesicht von Erschöpfung gezeichnet war. Ihre braunen Augen blickten angespannt, und ihre Haut schien viel zu blass.

     Während er seinen eigenen Hunger stillte, beobachtete er sie verstohlen. Sie hatte den Schleier abgelegt und sich etwas von ihnen abgewendet. Dann begann sie die wirren goldenen Locken wieder zu Zöpfen zu flechten. Weil Patrick keine Schwestern besaß, hatte er das noch nie bei einer Frau gesehen. Ihr dabei zuzuschauen, wie sie mit schlanken Fingern die Strähnen ineinanderflocht, erschien ihm beinah schon wie ein vertrautes Beisammensein. Mit hochgezogenen Knien saß sie an der Höhlenwand, fast wie ein Kind.

     Doch ihre Silhouette konnte ihre Weiblichkeit nicht verleugnen. Der Regen hatte ihr das Gewand an den Körper geklebt, und die harten Knospen ihrer Brüste drückten sich durch den Stoff. Patrick fragte sich, wie es wohl wäre, sie zu berühren.

     Er ging zum Eingang der Höhle und holte tief Luft. Die Nachtluft schmeckte nach Salz.

     „Was wird aus mir, wenn wir Erin erreichen?“, fragte Isabel schließlich.

     „Ich werde Euch die Freiheit schenken, wie ich es versprochen habe.“ Wenn er sie nach Ennisleigh ins Exil schickte, konnte sie sich nach Belieben auf der Insel bewegen und schadete niemandem. Er würde sie nicht jeden Tag sehen müssen, und sie konnte ihn auch nicht in Versuchung führen.

     „Ich möchte meine Aufgaben kennen.“

     „Darüber müsst Ihr Euch nicht den Kopf zerbrechen.“

     „Weil ich nie Königin sein werde, nicht wahr?“ Blanke Erschöpfung trat in ihre Augen, und Isabel wandte sich ab.

     Noch nie hatte sie sich so allein gefühlt. Man hatte ihr weder erlaubt, eine Zofe mitzunehmen, noch irgendetwas von ihrem Besitz. Verzweiflung stieg in ihr auf und umhüllte sie mit dem eisigen Mantel der Einsamkeit.

     Im Feuer knackte ein Stück Holz und schickte Funken in die Luft. Zuckende Flammen zauberten Schatten auf Patricks Gesicht. Seine Brüder saßen an der gegenüberliegenden Wand und steckten in halblautem Gespräch die Köpfe zusammen.

     „Was ist mit dem Besitz? Ich kenne mich mit den Gepflogenheiten auf einer Burg aus, ich kann mich um den Haushalt kümmern. Oder soll ich die Rechnungsbücher führen? Ich bin mit Euren Ländereien nicht vertraut, aber vielleicht …“

     Als Patrick auf sie zutrat, unterbrach sie ihren Redefluss.

     Mit rauer Hand hob er ihr Kinn, bis sie gezwungen war, ihn anzuschauen. Der Schein des flackernden Feuers schenkte der Höhle eine gewisse Intimität.

     „Ihr seid für nichts verantwortlich.“ Seine weiche, tiefe Stimme und seine Nähe ließen Isabel erzittern. Sie vermochte kaum zu atmen, und in ihrem Kopf überstürzten sich wirre Fluchtgedanken.

     Graue Augen von der Farbe frisch gehauenen Steins starrten sie unverwandt an. Isabel wollte wegschauen, trotzdem zwang sie sich, seinem prüfenden Blick standzuhalten. Ihr Gemahl konnte alles mit ihr machen, und es gab nichts, womit sie ihn davon hätte abhalten können. Es war ihre Pflicht, sich ihm zu unterwerfen.

     Patrick regte sich nicht. Isabel bekam eine Gänsehaut bei seinem finsteren, heißen Blick.

     „Geht schlafen.“

     Auf diese Aufforderung hin, kroch Isabel rasch von ihm fort und kauerte sich gegen die Wand. Doch ihre Haut glühte, als würde sie brennen. Plötzlich fürchtete sie sich vor diesem unerwarteten Verlangen, das er in ihr erweckte.

     Heilige Mutter Maria, sie wünschte sich, er käme näher. Auch wenn sein Benehmen rau und wild war, ein kleiner Teil ihres Selbst sehnte sich danach, ihn kennenzulernen.

     Was war nur los mit ihr? Was war mit ihrer Loyalität geschehen? Alles an diesem Mann kündete von seinem barbarischen Wesen. Von Kindheit an hatte sie Geschichten über die alten Kelten aus dem Norden gehört, die nackt und mit blau bemalten Gesichtern in die Schlacht ritten.

     Sie konnte sich schon vorstellen, wie Patrick, das Gesicht wüst mit blauer Farbe bemalt, gegen die normannischen Eroberer kämpfte. Er hatte sie praktisch von ihrer eigenen Hochzeit weg gestohlen. Er hatte sich weder um die Feier noch um das zeremonielle Zu-Bett-Bringen gekümmert. Patrick war unberechenbar, und sie traute seinem Versprechen nicht. In einem Augenblick schien er sie zu begehren, im nächsten beachtete er sie gar nicht.

     Sie wollte, dass er ihr fernblieb. Ihr gefiel dieses unerwartete Verlangen nicht, das sie in Versuchung führte. Mit seiner gefährlichen Art jagte Patrick ihr Angst ein.

     Patricks Brüder verschwanden nach draußen und ließen sie allein. Isabel verbarg das Gesicht auf den Knien. Hin und wieder zitterte sie vor Kälte, und ihr Herz war von Kummer erfüllt.

     Kurz darauf fiel ein warmes Stück Stoff auf ihre Schultern. Isabel stand auf und legte sich das Tuch um. Patrick hielt ihr ein zerlumptes Gewand hin. „Zieht das an. Ihr müsst jetzt die Kleidung einer Frau meines Stammes tragen.“

     So etwas wie dieses Kleid aus rauer Wolle hatte sie noch nie gesehen. Es war ein langes Gewand mit weiten Ärmeln, das ihr bis auf die Füße fiel. Isabel drehte sich von ihm weg, während sie es anzog. „Dann bin ich jetzt also eine Sklavin? Es hat die Farbe von Pferdeäpfeln.“

     Patricks Mundwinkel zuckten. „Ich hatte keine Zeit, es gegen eines in Euren Lieblingsfarben einzutauschen. Ihr könnt das léine ja besticken, wenn wir in Eíreann ankommen.“

     Als sie sich wieder zu ihm umdrehte, legte er ihr den Schal um die Schultern. Nur einige Zoll näher, und es wäre eine Umarmung daraus geworden. Noch rechtzeitig drückte er leicht ihre Schulter und zwang sie, sich auf den Umhang niederzulegen, den er auf der Erde ausgebreitet hatte. Er stopfte die Ränder um ihre Schultern herum fest und breitete den Mantel über sie. „Schlaft. Wir haben morgen eine lange Reise vor uns.“

     Isabel legte sich auf die Seite und tat, als würde sie schlafen. Seit ihrer Hochzeit hatte sie die ganze Zeit das Gefühl, zu Eis erstarrt zu sein.

     Ihr Mann stand Wache. Isabel konnte seine Wildheit spüren. Er war ein rauer Jäger, der kein Mitleid zeigen würde. Was stimmte nur nicht mit ihr? Warum konnte sie ihn nicht einfach ignorieren?

     Patrick drehte sich um und fing ihren Blick auf.

     „Werden wir die Burg in einer Tagesreise erreichen?“

     Er schüttelte den Kopf. „Aber ich bringe Euch zu Eurem neuen Heim.“

     Isabel zauderte. Plötzlich verstand sie mehr, als ihr lieb war. „Wo ist das?“ Er wollte sie in Erin doch wohl nicht allein lassen?

     „Ihr wolltet Eure Freiheit“, sagte er. „Ich werde sie Euch schenken. Ihr bleibt auf der Insel Ennisleigh.“

     Isabel sank das Herz. Eiseskälte umfing sie. „Allein?“

     Er neigte den Kopf. „Es ist zu Eurer eigenen Sicherheit. Ich kann nicht sagen, was mein Stamm mit Euch anstellen würde, lebtet Ihr bei uns.“

     „Ich habe doch niemandem etwas getan.“

     „In Euren Adern fließt Normannenblut. Das genügt.“

     Kochend vor Wut zog Isabel den Umhang fester um sich. Glaubte er vielleicht, sie würde sich auf diesen Handel einlassen? „Ich will hier keine Gefangene sein. Ihr habt kein Recht, mich so zu behandeln.“

     „Es ist meine Pflicht, für Eure Sicherheit zu sorgen. Ennisleigh ist die einzige Möglichkeit.“

     „Also missachtet Euer Volk Eure Befehle?“

     Er zuckte zusammen, als besäßen ihre Worte Stacheln. „Ihr kennt mich nicht, Isabel. Versucht nicht, über mich zu urteilen. Ich will nur das Beste aus diesem Abkommen machen.“

     „Das Beste für Euch.“

     „Das Beste für uns alle.“

     Sie biss die Zähne zusammen. Dann glaubte dieser irische König also, er könnte sie kampflos ins Exil schicken?

     Patrick MacEgan hatte keine Vorstellung davon, wie schwierig sie sein konnte.

Vorheriger Artikel Irische Hochzeit - 5. Kapitel