Irische Hochzeit - 5. Kapitel

5. KAPITEL

Ihr Gatte war nicht allein. Hinter ihm in dem kleinen Fahrzeug saß ein bewaffneter Krieger. Isabel erkannte in ihm einen der Männer ihres Vaters. Warum war er hier? War Edwin de Godred gekommen? Nein, wenn ihr Vater in Erin wäre, wäre er jetzt selbst hier.

     „Ich dachte, Ihr wäret damit beschäftigt, einen Krieg zu verhindern“, sagte Isabel und rührte sich nicht von ihrem Platz. Sie benahm sich, als wäre nichts Ungewöhnliches daran, in einem Boot zu sitzen, das auf dem Strand festliegt. „Solltet Ihr nicht Euer Volk vor den schrecklichen Normannen beschützen?“

     Mit einer einzigen Bewegung hob Patrick sie aus dem Boot und trug sie den Strand hinauf. Isabel knirschte mit den Zähnen, weil er sie wie einen Sack Korn behandelte.

     Der Normanne blinzelte verblüfft, sagte aber nichts. Ewan sprang rasch in sein eigenes Boot und ruderte zum anderen Ufer. Er schien erleichtert zu sein, sich davonmachen zu können, und Isabel verfluchte sich dafür, dass sie nicht früher die Gelegenheit genutzt hatte. Doch es gab immer noch das zweite Boot.

     Patrick ging weiter den Hügel hinauf und trug sie dabei auf den Armen. Es war kälter geworden, und der Mond trat hinter den Wolken hervor. Einen Augenblick lang überlegte Isabel, sich mit Zähnen und Krallen gegen Patrick zu wehren. Sie sollte es wirklich tun. Doch ihre eisig kalte Haut spürte seine Wärme, und gleich fühlte sie sich wohler. Die harten Muskeln und der feste Griff hätten ihr Angst einjagen müssen. Stattdessen rührte sich tief innen in ihr etwas. Irgendwie gab er ihr das Gefühl, beschützt zu werden.

     „Wieso seid Ihr gekommen?“

     „Um dafür zu sorgen, dass Ihr sicher seid.“ Mühelos trug er sie zur Spitze des Hügels und bückte sich dann, um durch den Eingang des rath zu treten. Der Recke folgte ihnen. Er schien sich nicht gerade wohlzufühlen.

     „Lasst mich bitte hinunter.“

     Patrick entsprach ihrer Bitte, sodass sie jetzt neben ihm stand, aber er lockerte seinen Griff um ihre Hand nicht. Stirnrunzelnd näherte sich der Normanne.

     „Wer ist das?“

     „Sir Anselm. Er bleibt nicht lang.“

     Isabels Misstrauen wuchs. Warum brachte Patrick den Mann noch so spät hierher? „Warum ist er gekommen?“

     „Euer Vater sandte ihn, um sich zu versichern, dass ich Euch kein Leid angetan habe.“

     Sie glaubte ihm nicht. Es gab noch einen anderen Grund für die Anwesenheit des Ritters. Ihr kam eine andere Idee, und die erfüllte sie mit Entsetzen. „Er … hat doch nicht vor, etwas … etwas zu bezeugen, oder?“ Sie wurde flammend rot bei dem Gedanken, dass ein anderer Mann zuschauen könnte. „Ihr sagtet, Ihr würdet nicht …“ Ihre Stimme erstarb.

     „Nein.“

     Dank allen Heiligen! Isabel verbarg ihre Erleichterung.

     Sir Anselm verbeugte sich vor ihr, und Isabel war sich plötzlich bewusst, dass sie zerlumpter aussah als das ärmste Bettelweib. Unter ihrem zerknitterten Schleier hingen ihr die Haare ungeordnet herunter. Sie trug das irische Gewand, das Patrick ihr gegeben hatte und das die Farbe von Schlamm besaß. Doch sie hielt sich gerade und neigte den Kopf. „Ihr seid Sir Anselm?“

     „Aye, Mylady.“

     Sie glaubte, ihn vielleicht schon früher unter den Männern ihres Vaters gesehen zu haben. Doch da Edwin ihr nie erlaubt hatte, mit den Rittern zu sprechen, war sie sich nicht sicher. Auch wenn er noch kein alter Mann war, verrieten seine Augen, dass er des Kämpfens müde war. Und sie las in ihnen, dass er sich um sie sorgte.

     „Ich bin Isabel de Godred, Tochter von Edwin, Baron of Thornwyck.“

     Patrick Hand schloss sich fester um die ihre. „Euer Name ist Isabel MacEgan. Mir angetraute Gattin.“

     Seine besitzergreifende Stimme schien sie zu umschlingen und sie bis ins Innere zu berühren. Ihr Herz schlug schneller. Sie war an den neuen Namen nicht gewöhnt, und er gab ihr das Gefühl, als hätte sie einen Teil ihres Selbst verloren.

     Patrick wandte sich an Sir Anselm und sagte: „Ihr habt gesehen, was Ihr sehen wolltet. Jetzt geht.“

     Der Ritter rührte sich nicht. „Hat man Euch gut behandelt, Mylady?“ Auf Patricks Blick hin, fügte er hinzu: „Euer Vater wünscht, dass ich mich von Eurer Zufriedenheit überzeuge.“

     Isabel wollte laut auflachen. Man hatte ihr kaum etwas zu essen gegeben, kein Dach über dem Kopf und das scheußlichste Kleid, das sie je in ihrem Leben getragen hatte. Was sollte sie also sagen?

     „Sie ist ganz zufrieden“, mischte sich Patrick ein, die Hand fest um ihr Handgelenk geschlossen. Isabel hätte sich am liebsten losgerissen. Es war nicht nötig, sie wie ein Kind zu behandeln. Doch als sie ihn wütend anstarrte, entdeckte sie in seinen Augen die unerwartete Warnung, still zu sein. Sein finsterer Gesichtsausdruck ließ sie zögern.

     Vermutlich war es besser, sich nicht den Zorn des Gatten zuzuziehen. „Ich bin erst heute angekommen“, sagte sie. „Wenn mein Gatte mich zu der Burg auf dem Festland bringen wird, werde ich dort sicherlich größere Bequemlichkeiten genießen.“

     So. Jetzt würde MacEgan sie in sein Heim bringen müssen. Stattdessen trafen seine stahlharten Blicke die ihren mit unnachgiebiger Härte. „Alles zur rechten Zeit.“

     „Morgen“, drängte sie.

     „Wenn ich es für sicher halte“, knurrte er. Isabel schluckte ihren Ärger hinunter. Er würde nicht nachgeben, besonders nicht vor einem Untergebenen ihres Vaters. Nun gut, sie würde nicht aufgeben. Sie dachte nicht daran zuzulassen, dass er sie mutterseelenallein nach Ennisleigh verbannte.

     An Sir Anselm gewandt befahl Patrick: „Bringt das Boot zurück aufs Festland. Beim Morgengrauen werden wir darüber sprechen, wie wir den rath vergrößern können, damit Eure Männer es bequem haben.“

     Isabel sank das Herz. Sie hatte geglaubt, er würde mit Sir Anselm zurückkehren. Der Gedanke, die Nacht mit ihm zu verbringen, ließ sie noch unruhiger werden. Sie hatte sich auf eine unbequeme Nacht in einer zerfallenen Burg gefasst gemacht. Aber das hätte ihr wenigstens Gelegenheit gegeben, den nächsten Schritt zu planen.

     Sir Anselm musterte Isabel, und sie hielt seinem Blick stand. Stumm fragte er nach ihrem Wohlergehen. Sie zögerte, bevor sie mutig seinem Blick begegnete. „Werde ich Euch bald wiedersehen, Sir Anselm?“

     Er neigte den Kopf. „Wenn Mylady es wünschen …“

     „Ihr werdet Euch um andere Pflichten kümmern müssen“, unterbrach ihn Patrick und warf ihr einen warnenden Blick zu.

     Der normannische Ritter ging zum Boot zurück. Isabel stieß einen bedauernden Seufzer aus, als er sich vom Ufer entfernte. „Gehe ich recht in der Annahme, dass es keine Hoffnung gibt, auch Ihr könntet verschwinden?“

     „Noch nicht.“

     „Ein Krieg könnte ausbrechen“, schlug sie vor. Panik stieg in ihr auf. „Ihr könntet gebraucht werden.“

     Sie wünschte ihn weit weg. Auch wenn er behauptete, er wolle ihr keinesfalls die Unschuld nehmen, so war etwas an diesem Mann, das ihr den gesunden Verstand zu rauben drohte. Er strahlte etwas Wildes aus: Niemals würde er einer Frau erlauben, ihn zu zähmen.

     Patrick nahm ihre Hand und hielt sie fest, als wollte er Isabel an der Flucht hindern. Zwar tat er das nur, um sie zur Burg zu führen, trotzdem bekam sie eine Gänsehaut.

     Was wollte er von ihr? Wollte er den Schein wahren und sich wie ein Ehemann benehmen? Sie verstand ihn nicht. Ein wenig fragte sie sich allerdings auch, ob er sie nicht anziehend fand. Einige ihrer Verehrer hatten sie beschuldigt, hochmütig zu sein. Und sie wusste nicht, was sie falsch gemacht hatte.

     Isabel warf einen letzten Blick auf Sir Anselms Boot und die flackernden Fackeln am Ufer. Ein Schauer überlief sie angesichts der Endgültigkeit ihres Schicksals. „Mir ist kalt.“

     Patrick blieb stehen, ergriff ihr Umschlagtuch und legte es sorgsam um ihre Schultern. Selbst wenn seine Hände dabei ihre Haut nur streiften, hatte die leichte Berührung etwas sehr Vertrautes. „Ich bringe Euch an einen Ort, wo Ihr es wärmer habt.“

     Isabel errötete und senkte die Augen. Sie wünschte, sie hätte nichts gesagt. „Es ist nicht nötig, dass Ihr bei mir bleibt. Ihr könnt immer noch zum Festland zurückkehren.“

     „Das werde ich. Aber später.“

     Später? Und was hatte er in der Zwischenzeit vor? Sie unterdrückte ihre Besorgnis. „Nehmt mich mit Euch“, brach es aus ihr heraus. „Ich verspreche Euch, auch nicht im Weg zu sein.“ Wenigstens wäre er dann mehr mit seinem Stamm als mit ihr beschäftigt.

     Er sah sie mit unnachgiebiger Entschlossenheit an. „Ich würde keine Frau mitten in einen Krieg bringen. Und dabei bleibt es.“

     Isabel verkroch sich in ihren brat und überlegte, was sie noch tun konnte. Sie hatte fest vor, nicht zurückzubleiben. Doch ihren Ehemann zu überzeugen würde Zeit brauchen.

     Sie blieben vor einer der Hütten stehen, und Patrick klopfte energisch an den hölzernen Türrahmen. Er sprach einige Worte auf Irisch. Sein befehlender Ton zeigte sofort Wirkung.

     Eine junge Familie, ein Mann und eine Frau, antworteten auf sein Klopfen. Hinter ihnen sah Isabel kleine Kinder, die auf Strohmatratzen schliefen. Noch ein Befehl von Patrick, und die beiden nahmen ihre Kinder und brachten sie hinaus. Ohne zu protestieren gingen sie zu einer anderen Hütte und drängten die Kleinen hinein. Isabel konnte einen Blick auf die Bewohner im Innern dieser Hütte werfen und machte sich Sorgen über die Enge, die jetzt dort herrschte.

     „Ihr zwingt sie, zu dieser Stunde ihr Heim zu verlassen?“, sagte sie empört. „Was ist mit ihren Kindern?“

     „Sie gehorchen einem Befehl des Königs.“

     Isabel konnte nicht glauben, was Patrick da gerade getan hatte. „Es ist ihr Heim.“

     „Und sie werden gut dafür entschädigt werden, dass sie es zur Verfügung stellen. Es ist ja nur für einige Zeit, und das wissen sie auch.“

     „Dort drüben gibt es einen sehr gut erhaltenen Turm.“ Sie sagte natürlich nicht die Wahrheit, denn die Überreste des Wohnturms besaßen kein richtiges Dach mehr.

     Er hielt die Tür für sie auf. „Sie wussten von meinem Wunsch noch bevor Ihr kamt, Isabel. Zur Entschädigung gab ich ihnen einige Schafe.“

     Ihr gefiel das alles nicht. Doch dass die Leute dafür bezahlt wurden, erleichterte sie etwas.

     Beim Eintritt in die Behausung umfing sie angenehme Wärme. Zu Isabels Erstaunen sah sie keine Feuerstelle. Große Steine in der Mitte der Hütte strahlten die Hitze aus. Wahrscheinlich waren sie zuvor im Torffeuer draußen erhitzt worden. Öllampen verbreiteten ein schwaches Licht in dem kleinen Raum.

     Patrick legte seinen Umhang ab und setzte sich auf eine der Matratzen. Isabel wandte sich ab und hielt die Hände über die Steine, um sie zu wärmen.

     „Hat Ewan Euch etwas zu essen gebracht, wie ich es ihm befahl?“

     „Hat er. Danke, dass Ihr ihn schicktet.“ Ihr Blick schweifte zu der flachen Strohmatratze. Der Gedanke, sich niederzulegen, war verführerisch, doch Patricks Gegenwart beunruhigte sie. Sie fühlte sich wie eine Gefangene, die einem ungewissen Schicksal entgegensah.

     Er ging zu dem niedrigen Tisch, auf dem ein Trinkschlauch voll Met wartete. Dort goss er zwei Holzbecher voll und gab Isabel einen. Den Becher hebend sagte er: Slaínte.

     Isabel trank, und das Gebräu wärmte ihren Magen. Lange sagte Patrick nichts. Als die Stille unerträglich wurde, fragte Isabel: „Wolltet Ihr schon immer König werden?“

     „Nein.“ Er setzte sich an den Tisch und ließ die Hand auf den Knien ruhen. „Es war das Letzte, das ich werden wollte.“ Die Niedergeschlagenheit in seiner Stimme erstaunte sie.

     „Die meisten Männer träumen von solch einer Ehre“, wagte sie zu bemerken.

     „Ich wurde nur König, weil mein Bruder starb. Er hätte es verdient, unseren Stamm zu regieren.“ Für einen Augenblick ließ er den Schild aus Zorn und Wut fallen, und Isabel erhaschte einen Blick auf den Mann, der sich hinter dem Krieger verbarg. Er trauerte um seinen Bruder, wie es jeder getan hätte.

     „Wie starb er?“ Sie füllte Patricks Becher aus dem Schlauch, und er nahm einen Schluck.

     „Letzten Sommer wurde er in der Schlacht gegen die Männer Eures Vaters erschlagen.“

     „Das tut mir leid.“ Sie fühlte sich ihren Schwestern sehr verbunden, und der Gedanke, ihnen könnte ein Leid geschehen, schmerzte.

     „Mir auch.“ Er stellte den Becher auf den Tisch, und sie gab ihm ein Stück Brot aus dem Sack, den Ewan gebracht hatte. Patrick nahm es und verzog das Gesicht, als er merkte, wie hart es war. Wahrscheinlich lag es am Sauerteig, vermutete sie. Vielleicht schlechtes Wasser oder verdorbenes Mehl. In Gedanken nahm sie sich vor, sich darum zu kümmern.

     Ihr kam ein Gedanke. Patrick hatte gesagt, sein Bruder wäre gestorben. Aber gab es noch eine Königin?

     „Was geschah mit der Frau Eures Bruders?“, fragte sie.

     „Uilliam wollte Neasa O’Connor, die Tochter eines Verbündeten, heiraten. Doch dazu hatte er nicht mehr die Gelegenheit.“

     „Liebte er sie?“

     Patrick zuckte die Achseln. „Das bezweifle ich. Doch die Heirat war eine Möglichkeit, unsere beiden Stämme dauerhaft aneinander zu binden.“

     „Ähnlich wie bei uns“, meinte sie nachdenklich, doch Patrick erwiderte nichts. Isabel setzte sich ihm gegenüber und betrachtete ihn. Sie versuchte hinter die Mauer zu sehen, die er um sich errichtet hatte. Erschöpfung hatte tiefe Linien um seine Augen gezeichnet. „Ihr seht müde aus“, sagte sie. „Warum ruht Ihr Euch nicht aus?“

     Er nahm einen Schluck aus seinem Becher und schob ihn dann beiseite. „Ich kann nicht. Die Männer Eures Vaters zogen heute Abend in Laochre ein. Die Stimmung ist aufgeheizt, und ich fürchte, es droht ein Kampf.“

     An dem zurückhaltenden Ausdruck auf seinem Gesicht konnte sie erkennen, dass ihm die Vorstellung von noch mehr Normannen unter ihnen nicht gefiel. Isabel ließ sich nicht anmerken, dass seine Anwesenheit sie beunruhigte. Seine nackten Arme schimmerten im schwachen Licht der Lampen. Er sieht aus wie ein heidnischer Gott, dachte sie. Wie ein Krieger, der nichts wieder hergab, was ihm einmal gehörte.

     „Dieses Mal solltet Ihr mir Euren Bogen dalassen“, sagte sie. „Sollten die Inselbewohner versuchen, mich im Schlaf zu ermorden, muss ich mich verteidigen können, denn Ihr seid nicht hier, um sie daran zu hindern.“ Sie wollte nicht hilflos zurückgelassen werden.

     „Sie werden Euch nichts tun.“

     Auch wenn er vielleicht recht hatte, sie wollte trotzdem eine Waffe. Die Leute hatten sich nicht die Mühe gemacht, ihr die Tür zu öffnen, als sie Feuer brauchte. Es schmerzte Isabel, dass die Menschen ihrer neuen Heimat nichts von ihr wissen wollten.

     „Es ist spät.“ Er stand auf und löschte zwei der Lampen. Dann griff er nach seinem Umhang. „Ich muss zurück.“

     Am liebsten hätte sie einen Seufzer der Erleichterung ausgestoßen. Doch sie hatte ein schlechtes Gewissen, weil ihretwegen die andere Familie fortgeschickt worden war. Es war nicht richtig, dass sie diese Hütte für sich allein hatte, während andere sie brauchten. Bei Anbruch der Morgendämmerung würde sie einen Weg finden, um zum Festland zu kommen.

     Freundschaftlich streckte sie die Hand aus. „Ich wünsche Euch eine gute Nacht.“

     Patrick trat nicht zu ihr, noch nahm er die angebotene Hand. Obwohl er an der gegenüberliegenden Seite des Raums stand, meinte sie seine Wärme zu spüren. Er sah sie lange an, sein Blick brannte sich in den ihren. Isabel betrachtete seinen Mund, das scharfgeschnittene Kinn und die stolze Haltung. Unerwartet wurde sie von einer Welle von Gefühlen überrollt.

     „Gute Nacht.“ Die Tür schloss sich hinter ihm, und Isabel atmete zitternd aus.

     Patrick MacEgan war weit gefährlicher, als sie erwartet hatte.

     Zum ersten Mal in ihrem Leben konnte sie ihre Zukunft nicht planen. Der Gedanke, Gefangene auf Ennisleigh zu bleiben, machte sie wütend. Sie musste wissen, was hier vorging, und sie hasste es, untätig zu sein.

     Das Herz wurde ihr schwer. Sie schloss die Augen und versuchte, nicht zu verzweifeln. Das war der erste Schritt, den sie tun musste, um von dieser Insel herunterzukommen.

Ruarc MacEgan brannte auf einen Kampf. Er wollte seinen Dolch aus der Scheide ziehen und ihn im Blut der Normannen baden. Bei Belenus, was dachte sich sein Cousin Patrick nur dabei, ihnen die Tore zu öffnen? Erkannte der König denn nicht, dass der Feind vorhatte, sie zu schwächen und ihnen den rath zu nehmen? Der einfältigste Tölpel konnte das erkennen.

     Er beobachtete die Normannen und wartete darauf, dass einer von ihnen eine Bewegung machte. Sie hatten ihr Mahl beendet, und ihre Gesichter waren vom vielen Met gerötet. Gut. Sollte das starke Gebräu ihnen die Sinne benebeln.

     Auf der Suche nach einem geeigneten Gegner ging er an den Bänken entlang. Als er den letzten Normannen erreichte, versetzte er ihm einen so heftigen Stoß, dass der Mann zu Boden fiel.

     Wie Ruarc gehofft hatte, sprang der Krieger auf die Füße und zog sein Messer. Ruarc duckte sich unter der Klinge weg, während er hörte, wie um ihn herum seine Clansleute in begeistertes Geschrei ausbrachen. Er ließ den Normannen näher kommen und wartete auf den richtigen Zeitpunkt. Der Dolchgriff aus Elfenbein erwärmte sich langsam in seiner Hand, während eine wilde Vorfreude sein Blut schneller fließen ließ.

     Eine Faust kam auf ihn zu, und er beugte sich zurück, um ihr auszuweichen. Ruarc trat nach dem Bein des anderen in der Hoffnung, ihn zu Fall zu bringen.

     Stattdessen wehrte der Normanne den Tritt ab. Als Ruarc dadurch ins Stolpern kam, verspürte er einen heftigen Schmerz im Arm. Er wartete darauf, dass sein Feind den Kampf eröffnete, um ihm dann die Klinge in die Brust zu stoßen. Er umkreiste den Gegner … und wartete …

     „Was, im Namen Lugs, treibst du da?“, brüllte Trahern. Ruarc versuchte, sich ihm zu widersetzen, doch sein riesenhafter Cousin schubste ihn einfach fort und landete seine Faust auf Ruarcs Kinn.

     „Kämpfen“, erwiderte Ruarc trocken.

     „Jetzt nicht mehr.“

     Der Normanne beobachtete ihre Auseinandersetzung und wischte sich dabei mit einem großspurigen Grinsen Blut von der Lippe.

     Bastard. Wenn Trahern sich nicht eingemischt hätte, hätte er, Ruarc, den Kampf gewonnen. Doch er zügelte seine Wut und starrte seinen Feind nur böse an. Er würde schon noch Gelegenheit zur Rache bekommen, und wenn es nach ihm ging, recht bald.

     Er strich sich über die brennende Wunde am Arm und ging rasch aus dem Saal. Aus den Hütten war gedämpfte Unterhaltung und der schwache Schrei eines Kindes zu hören.

     Als er die Tür zu seiner eigenen Behausung öffnete, war von drinnen kein Willkommensgruß zu hören, nur ein angstvolles Keuchen. Er hob die Öllampe und sah das Gesicht seiner Schwester Sosanna. Blass und verängstigt atmete sie hörbar erleichtert auf, sobald sie erkannte, dass nur er es war. Ungekämmt und verfilzt fiel ihr das blonde Haar auf die Schultern. Und Ruarc bemerkte, dass sie auch ihr Kleid nicht gewechselt hatte.

     Der Magen krampfte sich ihm zusammen. Früher war sie nicht so gewesen.

     Sosanna drehte sich mit einem zaghaften kleinen Lächeln auf den Lippen um und fiel wieder in den Schlaf. Sie sagte nichts, so wie sie all die vergangenen Monate nichts gesagt hatte. Keiner wusste, was während des Angriffs mit ihr geschehen war, doch Ruarc gab den Normannen dafür die Schuld. Ihr Vater und ihre jüngere Schwester Ethna waren in der Schlacht umgekommen. Ethna hatte versucht, vom Kampfplatz zu fliehen, nur um von den Pferden zu Tode getrampelt zu werden.

     Ruarc hatte ihren zerschlagenen Körper gefunden und laut um sie geweint. Seine stille Verbitterung über Sosannas Schicksal hielt jedoch an, fraß an ihm wie ein Geschwür. Eines Tages würde er erfahren, was man ihr angetan hatte. Und wenn die Götter Erbarmen mit ihr hatten, würden sie ihre unsichtbaren Wunden heilen.

     Sein ganzer Stamm hatte schwere Verluste erlitten. Doch statt Angriff mit Angriff zu beantworten, statt sich zu rächen, hatte Patrick sich eine normannische Braut genommen. Ein Verräter, das war er. Einer, der verdiente, dass er die Macht verlor.

     Ruarc brachte es nicht über sich, den MacEgan seinen König zu heißen. Obwohl Patrick die Unterstützung seines Volkes gewonnen hatte, sah Ruarc voraus, dass der Thron seines Cousins ins Wanken kommen würde.

     Er hatte vor, dabei zu sein, wenn er stürzte.

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