Irische Hochzeit - 3. Kapitel

3. KAPITEL

Die Segel blähten sich im Wind, und im hinteren Teil des Schiffes gaben die Pferde wiehernd ihr Missfallen darüber kund, dass sie dort gefangen gehalten wurden. Patrick verspürte Mitgefühl mit ihnen. Nach einem ganzen Tag mit nichts als grauem Himmel und endloser See sehnte er sich nach einem Spaziergang auf festem Boden.

     In der Ferne tauchten die grünen Hügel seiner Heimat auf, Teile der sandigen Küste mit den Kreidefelsen. Bei ihrem Anblick wurde Patrick die Brust eng. Als Junge war er hier am Strand entlanggelaufen und hatte mit den Freunden seiner Kindheit gespielt. Jetzt hatte er die Küste in anderer Erinnerung. Hier waren die normannischen Eindringlinge gelandet und hatten das Blut seines Volkes vergossen. Und das seines ältesten Bruders Uilliam.

     Seine Hand fuhr zum Heft seines Schwertes, und er spürte die ungewohnte Wärme von Elfenbein und Holz. Das Schwert war sein rechtmäßiges Erbe, allerdings hatte er sich immer noch nicht daran gewöhnt. Ein Rubin, glatt und abgenutzt von Generationen von MacEgan-Königen war in den Griff eingelassen. Einst besaßen sie die alleinige Herrschaft über dieses Land. Doch die Männer seines Vaters kannten sich mit Stammesüberfällen aus, nicht mit dem straff organisierten Kriegshandwerk. Die meisten konnten zwar ein Schwert führen, trotzdem waren sie nicht geübt darin, einer Überzahl an Feinden standzuhalten.

     Das wollte er jetzt ändern. Sie konnten sich nur vor den Normannen schützen, wenn sie deren Schwächen kennenlernten. In der Schlacht konnte er dann die Strategie der Normannen gegen sie selbst einsetzen.

     Nebel hüllte die Insel Ennisleigh ein, und am Himmel ballten sich Sturmwolken zusammen. Die schroffen Felsen schützten einen kleinen Ringwall auf der Spitze des Hügels. Er umschloss sieben Steinhütten. Nur etwas zwanzig bejahrte Bewohner waren übrig geblieben. Stolz hielten sie am Herkömmlichen fest und weigerten sich deswegen, sich dem Rest seiner Stammesleute anzuschließen.

     Patricks Blick wanderte zu seiner Frau. Isabels goldblondes Haar hing wirr um ihre Schultern. Schatten lagen unter ihren Augen. Ohne eine Regung zu zeigen, betrachtete sie die Insel.

     „Dort werdet Ihr leben“, sagte er zu ihr und deutete hinüber.

     Sie erstarrte und sah aus, als würde sie in Betracht ziehen, sich in das dunkle Wasser zu stürzen. Er würde es ihr zutrauen.

     „Hier werdet Ihr Eure Freiheit haben“, sagte er leise. „Und so kann ich Euch auch meinen Schutz versprechen.“

     Sie schüttelte ungläubig den Kopf. „Schutz? Wir wissen doch beide, dass das hier mein Gefängnis ist.“ Sie wandte das Gesicht von der Insel ab. Ihr Schleier flatterte im Wind.

     „Ihr könnt nirgendwo sonst hingehen.“ Wieso konnte sie die Wahrheit nicht akzeptieren? Die Männer ihres Vaters hatten seine Krieger ermordet. Nie würde sein Stamm sie auf dem Festland willkommen heißen. Doch Ennisleigh hatte die Schlacht ohne sichtbare Schäden überstanden. Es war ein Hort der Zuflucht inmitten all des Kampfes.

     Scharfer Salzgeruch lag in der Luft. Um sie herum kreischten die Möwen. Tief hängende Nebelschwaden umgaben die geisterhafte Insel. Mit Hilfe seiner Brüder holte Patrick das Segel ein. Er konnte es nicht erwarten, das Schiff zu verlassen.

     Als sie sich dem Kai näherten, ruderten seine Brüder langsamer. Bevan sorgte dafür, dass das Schiff ruhig lag, während Patrick auf den hölzernen Anlegesteg trat. Danach half er Isabel aus dem Schiff. Sie machte ein paar unsichere Schritte und ging dann über die Planken ans Ufer.

     „Lasst die Pferde vom Schiff, damit sie fressen können und frisches Wasser bekommen“, wies Patrick seinen Bruder Bevan an. „Dann bringen wir sie zurück nach Laochre.“

     „Ich will uns etwas zu essen besorgen“, bot Trahern an. „Ich habe Lust auf etwas Frisches.“

     Bevor sein Bruder sich auf den Weg machen konnte, warnte Patrick: „Haltet die Inselbewohner fern. Sag ihnen, sie sollen heute in ihren Hütten bleiben und Lady Isabel nicht belästigen.“ Nichts liebten die Alten mehr als Tratsch. Er wusste, dass seine normannische Braut Gesprächsstoff für viele nächtliche Unterhaltungen liefern würde.

     „Sollen wir ihnen sagen, dass sie deine Frau ist?“, fragte Trahern.

     Patrick nickte kurz. Trahern folgte dem Pfad zum Eingang des Ringwalls, während Bevan die Pferde den Strand entlang führte. Die Sonne beschien das zerstörte rath, das Erdwerk von Ennisleigh. Patrick wartete einen Augenblick, bevor er die Hand ausstreckte, um Isabel den steilen Weg hinaufzuhelfen.

     Mit entschlossener Miene weigerte sie sich, seine Hilfe anzunehmen.

     „Wieso lasst Ihr mich hier?“ Bevor er antworten konnte, fügte sie hinzu: „Und wenn Ihr mir noch einmal erzählt, es sei zu meinem Schutz, nehme ich vielleicht Euren Dolch und schneide Euch die Zunge heraus.“

     Er glaubte nicht, dass sie das tun würde. „Das würdet Ihr nicht tun. Immerhin habt Ihr Angst vor Mäusen.“

     „Aber keine Angst vor Euch.“

     Er blieb stehen und sah sie an. „Vielleicht solltet Ihr das aber, a stór.“ Bevor sie sich noch nach dem Dolch an seiner Hüfte bücken konnte, hatte er bereits ihre Handgelenke gepackt.

     „Ich hätte doch ein Pferd stehlen sollen, als ich Gelegenheit dazu hatte“, murmelte sie und versuchte, sich loszureißen.

     Patrick wusste nicht, was sie mit dieser Erwiderung meinte. „Wie ich schon sagte, hier habt Ihr Eure Freiheit. Lebt, wie es Euch gefällt.“

     „Und ich soll Euch und Eurem Stamm fernbleiben.“

     Er ließ sie los. „Ja.“ Zu keiner Zeit würde sie eine von ihnen sein. Je eher sie das verstand, desto besser für beide. Einen Moment lang riss er den Blick von ihr los und starrte hinaus auf die azurblaue See.

     Etwas Starrköpfiges blitzte in ihren Augen auf. Patrick wusste nicht, was sie plante, aber es gefiel ihm nicht.

     „Weiß mein Vater von meinem Exil?“, fragte sie.

     Die Frage war eine leise Drohung. „Das hier geht ihn nichts mehr an.“

     „Wenn er an Lughnasa, dem Erntefest, kommt schon“, warnte Isabel. „Wenn diese Heirat Euch erlaubte, das Leben Eures Volkes zu retten, wie Ihr behauptet, dann sollte mir zumindest erlaubt sein, inmitten des Stammes zu leben.“

     „Ich sagte nie, dass Ihr mit uns zusammenleben würdet.“ Ihre Erklärung kümmerte ihn nicht im Geringsten. An Lughnasa würden seine Streitkräfte stark genug sein, um alle Normannen hinauszuwerfen.

     „Habt Ihr keine Angst vor dem, was mein Vater tun könnte?“

     „Nein.“ Obwohl er sich in der Schlacht ergeben und Isabel geheiratet hatte, weigerte er sich, weitere Befehle von einem Normannen entgegenzunehmen. „Hier besitzt Edwin de Godred keine Macht.“

     Und was ihr Eheleben betraf, so hatte der Baron auch darüber keine Macht. Sollte Isabel je ein Kind gebären, so würde es nicht von seinem Blut sein. Er hatte vor, die Allianz aufzugeben, sobald sie Edwins Männer besiegt hatten. Zwar müsste er bis nach der Ernte warten, aber das würde ihm wiederum genug Zeit verschaffen, das nötige Geld aufzutreiben, um den Erzbischof zu bezwingen.

     Wütend ging Isabel an ihm vorbei. Als sie den Kamm des Hügels erreichten, blieb sie mit einem Mal abrupt stehen und öffnete erstaunt den Mund.

     Offenbar empfand sie die Schönheit der Insel als genauso überwältigend wie er. Auf der Seite zum Kanal hin zeigte sich die Insel schroff und zerklüftet, während glitzernder Sand die dem Meer nahe Seite umschloss.

     Isabel stand regungslos da und betrachtete in stummer Ehrfurcht die Landschaft.

     Einen Moment später war es mit ihrer Sanftmut schon wieder vorbei. Ihr Blick drückte Rebellion aus und auch noch etwas anderes – so etwas wie Sorge. „Ich gehöre nicht hierher.“

     „Nein“, sagte Patrick ruhig. „Das tut Ihr nicht. Aber es ist der einzige Ort für Euch.“ Er verschloss sein Innerstes gegen jedes Mitleid. Und trotzdem war er gegen seinen Willen von diesen weichen Lippen fasziniert, die mit der Härte eines Kriegers zu streiten verstanden.

     „Ich werde Mittel und Wege zur Flucht finden.“

     Er packte sie im Nacken. Ihre Haare verfingen sich in seinen Fingern. Mit spöttischem Ernst meinte er: „Dann werde ich Euch in Ketten legen müssen.“

     „Das würdet Ihr nicht wagen.“

     „Ich werde alles wagen.“ Helle Wut loderte in ihren Augen, und Patrick ertappte sich dabei, wie er auf ihre Lippen starrte. Es waren volle, faszinierende Lippen.

     Zornig über sich selbst, weil er auch nur daran gedacht hatte, Isabel zu berühren, ließ er sie sofort los. „Nachdem ich in meiner Burg nach dem Rechten gesehen habe, werde ich heute Abend wiederkommen. Ihr braucht Vorräte.“

     „Warum sich darum kümmern? Ich bin überzeugt, Euer Stamm würde es vorziehen, wenn Ihr mich verhungern ließet und meinen Kopf über dem Tor zur Schau stellen würdet.“

     Er sagte nichts dazu. Ganz so unrecht hatte sie nämlich nicht.

     Hohes Gras wiegte sich im Wind und strich über ihre Knie, als sie weitergingen. Innerhalb eines Palisadenzauns standen Steinhütten, die an steinerne Bienenkörbe erinnerten. Patrick musterte sie und suchte nach Anzeichen von Zerstörung. Zufrieden stellte er fest, dass es keine gab. Nur sein Familiensitz hatte gelitten. Und der konnte wieder aufgebaut werden.

     Von Kochstellen im Freien schickte der brennende Torf feine Rauchfahnen in den Himmel. Patrick knurrte der Magen beim Geruch nach heißer Suppe, der in der Luft lag. Direkt vor der Burg grünte auf einem großen Stück Land frische Saat.

     Er hörte Leute sprechen, doch keiner der Inselbewohner ließ sich sehen. Gut. Sie beachteten die Warnung seines Bruders. Doch er war sich sicher, dass alle Augen sie durch die Türritzen beobachteten.

     Patrick führte Isabel zu der zerstörten Burg, die sein Großvater erbaut hatte. Sie stand am höchsten Punkt der Insel. Das Feuer hatte ihren stolzen Mauern schwer zugesetzt.

     Das hier war der Ort, wohin er sich oft geflüchtet hatte. Patrick legte die Hand auf einen verkohlten Balken. Er erinnerte sich an das breite Lachen seines Großvaters Kieran MacEgan. „Das hier gehört mir.“

     „Wie ist es verbrannt?“, fragte Isabel. „Waren das die Eroberer?“

     Patrick schüttelte den Kopf. „Die Inselbewohner legten den Brand. Die Normannen sollten glauben, sie wären bereits angegriffen worden.“

     Er machte den Alten deswegen keinen Vorwurf. Sein Großvater hätte es nicht anders gewollt. Besser man verbrannte die Burg, als dass sie den Normannen in die Hände fiel. „Und so retteten sie sich“, fügte er hinzu.

     Das Hauptgebäude war zum großen Teil noch intakt, außer den verbrannten Mauern. Es würde nicht gerade komfortabel sein, darin zu leben, doch es versprach ein trockenes Dach. Zumindest in den meisten Räumen, korrigierte Patrick sich und dachte an etliche Löcher in der Decke.

     In diesem Moment kehrten Bevan und Trahern mit einigen Säcken voller Vorräte zurück. In der einen Hand hielt Trahern eine dampfende Fleischpastete, während er kräftig in eine zweite biss. Patrick fing einen Sack auf, den Bevan ihm zuwarf. Es war ihm nicht entgangen, dass Isabel voll unverhohlenem Verlangen die Hammelpastete betrachtete.

     Er bot ihr eine an, und wohlig stöhnend biss Isabel hinein. Mit geschlossenen Augen genoss sie das Essen, als hätte sie noch nie eine größere Befriedigung gekannt.

     Patrick zwang sich, sie nicht länger zu beachten. Sie mochte sich ihres Gesichtsausdrucks nicht bewusst sein, aber sein verräterischer Körper reagierte mit aller Macht darauf. Diese Ehe wäre für ihn viel leichter zu ertragen gewesen, wenn seiner Braut die Nase gefehlt oder sie abscheuliche Narben gehabt hätte. Stattdessen besaß sie das Gesicht der Göttin Danu. Patrick bedeutete Trahern und Bevan mit einem Kopfnicken, ihm zu folgen. Sie verließen die Ansiedlung. „Was habt ihr Neues über die Inselbewohner gehört?“

     „Der O’Phelan Clan sammelt seine Streitkräfte“, erzählte ihm Bevan. In der Stimme seines Bruders schwang eine grimmige Entschlossenheit mit. „Sie planen einen Überfall, solange wir verwundbar sind.“

     Und er hatte geglaubt, es könnte nicht noch schlimmer kommen. Erst die Normannen, jetzt noch ein anderer Clan. Die O’Phelans hatten die Invasion mühelos überlebt. Patrick hegte den Verdacht, dass sie zu Verrätern geworden waren, die Normannen bestachen oder sich auf andere Weise mit ihnen arrangierten.

     „Bereitet die Männer vor“, befahl er. „Sie müssen auf einen Angriff gefasst sein.“

     Bevan zuckte die Achseln. „Das könnte ich, aber es würde nichts nützen.“

     „Hältst du mich für unfähig, unseren Stamm zu verteidigen?“, fragte Patrick mit harter, kalter Stimme.

     „Das tue ich“, erwiderte Bevan. „Besonders, nachdem du unsere Tore den Fremden öffnen musstest. Normannischen Bastarden.“ Er spuckte auf den Boden. In seinen Augen loderte der Hass. „Du hättest sie nie heiraten dürfen“, fügte er hinzu und schüttelte verächtlich den Kopf.

     „Ich hatte keine Wahl, und das weißt du sehr gut. Hör auf, über Dinge nachzugrübeln, die nicht mehr zu ändern sind. Die Männer müssen bereit sein. Thornwyck hat befohlen, Laochre zu zerstören, sollten wir seine Bedingungen nicht erfüllen“, erinnerte er Bevan.

     „Wenigstens würden wir sterben, ohne Verräter in unsere Reihen gebracht zu haben.“

     „Nicht jeder möchte sterben.“ Ihre Blicke maßen einander, fochten einen stummen Kampf der Willen aus. Patrick wusste, dass sein Bruder bereit war, sofort sein Leben zu opfern, besonders, nachdem die Normannen in der letzten Schlacht seine Frau getötet hatten. „Öffne den normannischen Kriegern die Tore. Beim Anbruch der Nacht will ich mit ihnen reden.“

     „Wie kannst du uns so verraten?“ Bevan ballte die Fäuste, in seinen Augen brannte die Wut. „Wenn du sie einlässt, bleibe ich nicht.“

     „Dann kehr zurück nach Rionallís“, drängte ihn Trahern. „Seit Fiona starb, bist du nicht mehr in deiner Burg gewesen.“

     Über Bevans Gesicht zuckte urplötzlich der Ausdruck tiefster Trauer. „Ich habe keine weitere Verwendung für Rionallís.“

     „Deine Leute brauchen dich dort“, ermahnte Patrick ihn sanft. Das vergangene Jahr war kein gutes für Bevan gewesen. Er hatte Frau und Kind verloren.

     „Ich habe mein Schwert denen geweiht, die gegen die Normannen kämpfen. Wenn mein eigener Bruder sich mir nicht anschließt, werde ich woandershin gehen.“

     Patrick beobachtete, wie Bevan zum Strand schritt, aber er tat nichts, um seinen Bruder aufzuhalten.

     „Ruarc sammelt Leute zum Kampf gegen dich“, warnte Trahern. „Wir brauchen Bevan an unserer Seite, sonst könntest du dein Königtum verlieren.“

     Als Trahern den Namen seines Cousins erwähnte, wuchs Patricks Anspannung. „Ruarc interessiert sich mehr für die Macht als für die Bedürfnisse seines Stammes.“

     „Dann verspiele nicht den Glauben der Leute an dich.“ Trahern legte Patrick die Hand auf die Schulter. „Als König ziehen sie dich vor. Doch ich weiß nicht, was geschehen wird, wenn du die Normannen zu uns holst. Ruarc hat nicht vergessen, dass du ihm eine Niederlage bereitet hast.“

     Obwohl sein rachsüchtiger Cousin eine Bedrohung darstellte, konnte Patrick nicht zulassen, dass der ihn von den Pflichten seinem Stamm gegenüber abhielt. Sein Gesicht verhärtete sich, und er blickte in die Ferne. Die Sonne berührte gerade das Wasser und färbte die Wellen rotgolden.

     „Heute Abend öffnen wir den Normannen die Tore“, befahl Patrick. „Wer unseren Leuten Böses will, wird die Morgendämmerung nicht erleben.“

Die Insel besaß eine mystische, irgendwie urtümliche Schönheit, die in dem Kontrast zwischen Fels und Gras bestand. Isabel schnürte es die Kehle zu, und in ihren Augen brannten ungeweinte Tränen.

     Sie ging in der Burganlage umher und betrachtete die geschwärzten Mauern. Früher mussten die hölzernen Bauten himmelwärts geragt haben, mit Treppen, die zu den Gemächern hinaufführten. Sie trat gegen einen der Stützpfeiler und stellte fest, dass er tatsächlich noch fest stand.

     Ein kühler Luftzug verursachte ihr eine Gänsehaut. Nach der Überfahrt auf dem Schiff schien der Boden unter ihren Füßen immer noch zu schwanken. Ihr Körper sehnte sich nach Schlaf, doch sie durfte ihm nicht nachgeben. Wie konnte sie die Augen schließen, wenn sie sich von Fremden umgeben auf einer unbekannten Insel befand? So klein das Eiland auch war, sie musste es erkunden und die Menschen darauf kennenlernen.

     Bei dem Gedanken verspürte sie ein flaues Gefühl im Magen. Würden sie versuchen, sie zu töten, weil sie von normannischem Blut war? Patrick hatte gesagt, dass sie hier niemals als Königin regieren würde. Ein Teil von ihr war dankbar dafür. Was wusste sie schon vom Regieren? Sie zog es vor, ungesehen zu bleiben, den Haushalt zu führen, ohne dass alle Augen auf sie gerichtet waren.

     Nachdem ihre Schwestern geheiratet hatten, hatte sie sich um Thornwyck Castle gekümmert. Fast zwei Dutzend Bedienstete hatten unter ihrer Aufsicht gearbeitet. Ihr ganzer Stolz war es gewesen, den Haushalt des Wohnsitzes untadelig zu meistern.

     Nicht, dass Edwin de Godred je davon Notiz genommen oder ein Wort des Lobes verloren hätte.

     Isabel fröstelte und ging zum Eingang des Donjons, des Turms, zurück. In der Ferne sah sie Patrick im Gespräch mit seinen Brüdern. Trahern und Bevan verschwanden den Hügel hinunter in Richtung Schiff. Ihr Gatte kam mit dem Ungestüm eines Eroberers auf sie zu.

     Die schwarzen Haare fielen ihm auf die Schultern, sein stählerner Blick bohrte sich in ihren. Der weite Umhang umhüllte seine breiten Schultern. Lederne Spangen umschlossen seine Unterarme. „Ich habe uns eine Hütte für die Nacht besorgt.“

     „Ich schlafe hier im Donjon.“ Wo Ihr mich nicht anrühren könnt, dachte sie. Sie traute ihm auf gar keinen Fall. Er mochte behaupten, dass er sie nicht in seinem Bett haben wollte, aber vielleicht wünschte er sich Söhne.

     Patrick schien ihre Gedanken zu lesen. „Schlaft, wo Ihr wollt. Es ist mir gleich. Ich wollte Euch nur warnen, die Nächte sind kalt.“

     Sie wich seinem Blick nicht aus, und ihre Haut begann zu prickeln. „Ihr bleibt nicht auf der Insel, nicht wahr?“

     Er trat noch einen Schritt näher, sodass sie einander fast berührten, und betrachtete sie abschätzend. Sie konnte die Wut in seinen Augen erkennen. „Wie ich schon sagte, ich will nicht das Lager mit Euch teilen.“

     „Gut.“ Sieh nicht fort, ermahnte sie sich. Auch wenn alles in ihr danach drängte zu fliehen, hielt sie seinem Blick stand. „Aber ich möchte in Eurer Burg auf dem Festland wohnen.“ Wenn sie erst einmal sein Heim und seinen Clan sah, würde sie wissen, ob er ihr die Wahrheit gesagt hatte. Und dann würde sie entscheiden, ob sie blieb oder ging.

     „Nein.“

     „Bei unserer Eheschließung hatte ich keine Wahl“, fuhr Isabel fort. „Ich verlor mein Heim und meine Familie. Jetzt bin ich gezwungen, hier zu leben. Versetzt Euch einmal an meine Stelle.“

     „Dann versetzt Ihr Euch an die meine“, gab er hart zurück. „Ich sah meine Leute durch die Klinge Eures Vaters sterben. Glaubt Ihr, ich wollte eine Normannin zur Frau?“

     Isabel ließ sich nicht anmerken, wie sehr seine Worte sie berührten. „Ich habe nichts Böses getan.“

     „Nein.“ Er trat zurück und sah nicht mehr ganz so finster drein. Sein Blick schweifte über die Strohdächer der Hütten, die in der Mitte des Ringwalls standen. „Aber für sie seid Ihr eine Feindin.“

     „Und was bin ich für Euch?“, flüsterte sie.

     „Ein Mittel zum Frieden“, erwiderte er. „Und Ihr steht unter meinem Schutz. Unsere Ehe nennt wie Ihr wollt.“

     Isabel verdrängte die Bilder, die er in ihr wachrief. Seine Tunika spannte sich über kampfgestählten Muskeln. Schwarzes Haar umrahmte sein entschlossenes Gesicht mit den harten Augen. Er schien nie zu lächeln.

     „Keiner von uns hatte eine Wahl, Isabel.“ Unwillkürlich fasste Isabel nach dem vertrauten Griff ihres Messers, das sie immer beim Essen benutzte.

     Er schien amüsiert, und seine Augen blickten etwas milder. „Habt Ihr vor, mich damit zu erstechen?“

     „Die Witwenschaft erscheint mir sehr verlockend.“

     Er packte ihre Hand und hielt sie fest. „Ich werde später mit den Vorräten zurückkehren, die Ihr benötigt.“

     „Hoffentlich nicht.“

     Er beachtete ihre Worte nicht. „Ihr könnt in der Zwischenzeit die Insel erkunden.“ Damit wandte er sich zum Gehen. Der Wind riss an seinem abgetragenen Umhang und enthüllte die Löcher darin.

     Isabels Verstand warnte sie, sich nicht durch Äußerlichkeiten täuschen zu lassen. Mochte Patrick MacEgan auch ein König sein, unter dem Mantel der Autorität verbarg sich ein Krieger, gnadenlos, unnachgiebig und seinem Volk bedingungslos treu.

     Nachdem er gegangen war, begann sie die Insel zu erforschen, wie er es vorgeschlagen hatte. Sie musste jeden Zoll ihres Gefängnisses kennenlernen, denn nur so konnte sie einen Weg finden, um aufs Festland zu kommen.

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