In den Armen des Kronprinzen

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„Ich will den Playboy-Prinzen nicht heiraten!“ Doch Jemima weiß, dass ihr Schicksal längst entschieden ist. Fünf Jahre lang wurde sie am Hof darauf vorbereitet, den Thronfolger von Thalassos zu ehelichen. Nun ist er verunglückt, und sein Bruder, der rebellische Prinz Adonis, muss seinen Platz einnehmen. Als Thronerbe und als Jemimas Verlobter! Der Mann, der ihr einst das Herz brach, der Mann, dessen Nähe sie noch stets erregt! Aber kann sie für ihn jemals mehr als Pflicht bedeuten? Oder wird sie für immer seine ungeliebte Königin sein?


  • Erscheinungstag 22.07.2025
  • Bandnummer 2711
  • ISBN / Artikelnummer 0800252711
  • Seitenanzahl 144

Leseprobe

Tara Pammi

In den Armen des Kronprinzen

1. KAPITEL

„Du sollst dich doch nicht hier oben verstecken!“, erklang die erzürnte Stimme ihres Vaters.

Jemima Nasar schoss aus ihrer Nische auf dem Palastbalkon hervor und gab dem Kindermädchen schnell ein Zeichen. Das Kindermädchen, das die Vorliebe von Jemimas Vater für scharfe Worte schon mehrfach miterlebt hatte, eilte mit ihrem Schützling davon.

Jemima, die sich ohne ihren kleinen Bruder in ihren Armen plötzlich verlassen fühlte, atmete tief ein. Zwar war ihr Vater Aziz Nasar, der mächtige Leiter des Kronrats, nie besonders liebevoll gewesen, aber der Anblick von Zayn – das Kind aus der Affäre ihrer Mutter, die jedoch bei der Geburt gestorben war – machte ihn immer furchtbar wütend. Kaum ertrug Aziz Nasar den kleinen Jungen, dem er seinen Namen gegeben hatte. Als ein meisterhafter Stratege hatte er jedoch schnell herausgefunden, dass der kleine Zayn ein wirkungsvolles Werkzeug war, um Jemima zu kontrollieren.

„Ich verstecke mich nicht, Papa. Ich trauere“, erwiderte sie.

Unter ihnen lag der Schlosshof. Ein Meer aus schwarzgekleideten Trauernden hatte sich versammelt, um dem verstorbenen Kronprinzen Adamos Vasilikos – Jemimas Verlobten – die letzte Ehre zu erweisen. Von ihrem Aussichtspunkt konnte Jemima die Reihen staatlicher Würdenträger sehen und den mit Kerzen und Blumen geschmückten Traueraltar. Vor dem Palasttor standen Hunderte von Menschen, die aus allen Gegenden des Königreichs gekommen waren, um ihrem Kronprinzen die letzte Ehre zu erweisen.

Die Spätnachmittagssonne sandte goldenes Licht aus, das von Adamos’ glänzendem Mahagonisarg reflektiert wurde. Nach fünf Jahren anstrengender Ausbildung war Jemima an einem einzigen Abend von einer künftigen Königin einfach zu … nichts geworden.

„Die Öffentlichkeit sollte dich neben Königin Isadora stehen sehen“, sagte ihr Vater neben ihr. „Die Leute müssen sich daran erinnern, dass deine Verbindung mit der königlichen Familie nicht mit dem Kronprinzen endet.“

Jemima biss sich auf die Lippen, um eine scharfe Erwiderung zurückzuhalten. Aber ihren Vater zu reizen, würde nur dazu führen, dass das Leben für sie schwierig wurde.

Nicht, dass er in diesem Fall recht hatte. Zwischen der Königin und ihr hatte sich eine gegenseitige Zuneigung und, wie sie hoffte, Respekt füreinander entwickelt. Königin Isadoras Trauer war in diesem Moment jedoch zu heftig, und sie war real. Jemima wollte sie nicht herabwürdigen, indem sie vortäuschte, ebenso zu empfinden.

„Du hast recht, Papa“, sagte sie ruhig. „Aber ich möchte unsere Familie nicht in Verlegenheit bringen, indem ich in der Öffentlichkeit die Fassung verliere. Ich fühle mich zu … verletzlich.“

Na bitte, Schwäche geltend zu machen, sollte ihn besänftigen.

In der Ferne erstreckten sich die glitzernden Gewässer der Ägäis bis zum Horizont, ihre azurblauen Tiefen schimmerten unter der Maisonne. Möwen kreisten und schrien in der Luft. Ihre klagenden Rufe trugen zur Feierlichkeit des Anlasses bei.

Jenseits der Palastmauern lagen die Straßen von Thalassos still da. Die Hauptstadt hielt in Trauer den Atem an. Jemima war durch Adamos’ plötzlichen Tod bei einem Flugzeugunglück ebenso am Boden zerstört wie ganz Thalassos, denn er hätte wirklich einen guten König abgegeben. Aber ihre Trauer und ihr Verlustgefühl waren nicht halb so persönlich, wie die Welt annahm.

Wenn überhaupt, wurde ihre Trauer durch eine sehr reale selbstsüchtige Angst hinsichtlich ihrer eigenen Zukunft angeheizt. Denn Adamos hatte nicht mehr Interesse an ihr gehabt als an einem Sessel. Aber distanzierte Höflichkeit und Komfort in ihrer bevorstehenden Ehe waren ihr zugesichert worden. Jetzt musste Jemima wieder einmal der Tatsache ins Auge sehen, dass ihr Nutzen für ihren Vater nur in den Verbindungen lag, die sie ihm durch Heirat einbrachte.

Wenn sie nicht herausfand, wie sie für ihn wichtig bleiben konnte, würde er Zayn in einen gottverlassenen Winkel des Landes verbannen und sie zwingen, irgendeinen alten Freund von ihm zu heiraten. Ihr schauderte bei dem Gedanken.

„Du kannst mich nicht für dumm verkaufen, Jemima. Ich weiß, dass Adamos im letzten Jahr immer unruhiger geworden ist. Wenn du deine Pflicht getan und ihn mit deiner Gesellschaft bei Laune gehalten hättest, hätte er nicht woanders nach Unterhaltung gesucht.“

Auch wenn sich Jemima für dieses Gespräch gewappnet hatte, traf die Kritik sie schwer. Umso mehr, weil etwas Wahres dran war. Obwohl sie ihr Schicksal kannte, seit sie zwanzig geworden war, hatte sich Jemima nicht besonders zu Adamos hingezogen gefühlt.

Sie hatten sich verlobt, als sie einundzwanzig geworden war. In den fünf Jahren ihrer Verlobung war Adamos reserviert gewesen, pflichtbewusst und unerschütterlich höflich. Er hatte sie noch nicht einmal geküsst.

Das höfliche, keusche Arrangement war ihr sehr recht gewesen. Aber jetzt war der Zweifel gesät. Hatte ihr Vater recht? Wäre Adamos weniger … unruhig gewesen, wenn sie ihn näher an sich herangelassen hätte? Wenn sie geflirtet, romantische Spiele gespielt und ihn verführt hätte? War sie zu lesewütig und streng gewesen, fehlte ihr jede Wärme, wie gelegentlich im Palast gemunkelt wurde?

Wie immer, wenn sie in die Enge getrieben wurde, kam ihr die Logik zu Hilfe.

„Du hast mir doch eingebläut, um Königin zu werden, müsse ich meine Impulsivität zügeln und mich tadellos benehmen. Ich konnte Adamos wohl kaum durch die Palastflure verfolgen und ihn verführen, wenn er doch so gut wie nie Blickkontakt mit mir aufgenommen hat.“

Die dreisten Worte hallten auf dem Balkon nach. Ihre Kühnheit erfüllte Jemima mit Angst. „Es tut mir leid, Papa“, sagte sie schnell. „Ich bin traurig, dass ich Adamos verloren habe, und meine Selbstbeherrschung reicht nicht für die Menschenmenge und die Kameras. Der eine öffentliche Auftritt heute Morgen war schon zu viel.“

Jemima fand nie heraus, ob ihr Vater ihre Entschuldigung glaubte oder nicht, denn ein Raunen ging plötzlich durch den Schlosshof, und sie blickten beide nach unten. Vor dem Palasttor geriet das Meer schwarz gekleideter Leute in Bewegung. Die Menge teilte sich, und ein großes schwarzes Motorrad war zu sehen. Auf der Maschine saß, in schwarzer Ledermontur, der Playboy-Prinz von Thalassos.

Ein wohliger Schauer lief Jemima über den Rücken, als sie von Erinnerungen gepackt wurde. Erinnerungen an den einen Abend in ihrem Leben, als sie eine noch nie dagewesene Freiheit gekostet und ihre Weiblichkeit genossen hatte.

Ein verbotener Abend auf einem Maskenball.

Als Mutprobe hatte Jemima dem Playboy-Prinzen unter einem sternenübersäten Himmel einen Kuss geraubt. Ihr erster Kuss, voller glühender Leidenschaft, die sich Jemima nicht einmal erträumen konnte. Es war der schönste Abend ihres Lebens gewesen.

Und jetzt war er hier, eine überlebensgroße Persönlichkeit, verstieß mit seiner respektlosen Ankunft gegen jedes Hofprotokoll und nahm keinerlei Rücksicht auf die Sicherheitsvorkehrungen. Auch trug er nicht die dunkelblaue Uniform, wie es sich bei diesem Anlass für seinen Rang als Luftwaffenkommandant gehörte, sondern eine schwarze Lederjacke, ein weißes Hemd und eine schwarze Lederhose, die sich an seine langen Beine schmiegte.

Sein zerzaustes dunkelblondes Haar umrahmte ein atemberaubend schönes Gesicht. Selbst aus einiger Entfernung konnte Jemima die hohe Stirn sehen, die Adlernase und die breiten, sinnlichen Lippen, über die Frauen auf der ganzen Welt ins Schwärmen gerieten. Unter dichten dunklen Brauen wirkten seine blauen Augen überraschend hell.

Alles an ihm war ein umwerfender Kontrast, bis zu seiner fast engelhaften Schönheit und seiner draufgängerischen Art. Adonis Vasilikos, der Playboy-Prinz von Thalassos und Abenteuersport-Milliardär, gab eine imposante Figur ab, als er vom Motorrad stieg, selbstbewusst durch den Schlosshof ging und bei der allein dastehenden Königin ankam.

Für eine Sekunde verlor Königin Isadora bei seinem Anblick die Fassung. Der Prinz schirmte ihren winzigen Körper mit seinem kräftigen ab, bevor die Fotografen oder die Staatsgäste ihren Zusammenbruch mitbekommen konnten.

Früher einmal – als ein Teenagermädchen, dessen Leben von morgens bis abends von einem autokratischen Vater durchgeplant wurde, und das in der Hoffnung, mit Zuneigung und Freundlichkeit belohnt zu werden, ständig gespurt hatte – war Adonis Vasilikos für Jemima der Gegenstand höchster Faszination geworden.

Es lag nicht nur an seiner Furchtlosigkeit oder seinen riskanten Heldentaten. Sondern vor allem daran, dass er sich von niemandem, nicht einmal vom König selbst, hatte verbiegen lassen. Sogar als rebellischer Teenager war Adonis völlig er selbst gewesen. Dazu sein göttlich gutes Aussehen. Jemima war so hin und weg von ihm gewesen wie der Rest von Thalassos.

Abgesehen von dem Kuss hatte sie aber nur sehr wenig mit ihm interagiert. Allerdings hatte sie jede kleine Information über ihn gesammelt.

In den letzten Jahren hatte sie bemerkt, was für eine hohe Meinung die Königin von ihrem Sohn hatte. Sogar Adamos hatte seinen Bruder immer gerühmt. Trotzdem: Was für ein Mann blieb sieben Jahre lang ohne einen einzigen Besuch weg von seiner Familie und seinem Land, das ihn verehrte? Was hatte ihn ferngehalten? Und noch wichtiger: Was würde Adonis Vasilikos jetzt wählen, sein Abenteuersport-Imperium und seinen Playboy-Lebensstil oder Thalassos in der Stunde der Not?

„Endlich, er kehrt zurück“, sagte ihr Vater.

„Was?“ Aus ihren Gedanken gerissen, war Jemima sofort begierig auf Informationen über den mysteriösen Prinzen.

„Die Königin hat ihn schon vor Monaten zu sich bestellt. Aber natürlich tut Adonis Vasilikos nur, was er will. Es wird höchst amüsant anzusehen sein, wie sie daran scheitert, ihn an der Leine zu halten.“

„Ihn an der Leine zu halten?“ Jemima betrachtete die breiten Schultern des Prinzen, während er neben der winzigen Königin stand. „Du lässt es klingen, als wäre er ein wildes Tier, Papa.“

„Im Grunde ist er das.“ Ihr Vater verzog angewidert den Mund.

„Er ist kein Mann, den man an der Leine halten kann.“ Unter ihnen auf dem Hof veränderte sich die Energie des ernsten Anlasses: Adonis’ Name wurde geraunt, immer wieder, und weckte Freude und Hoffnung inmitten einer trauernden Bevölkerung. „Aber wenn es jemand schafft, dann ist es Königin Isadora“, fügte Jemima hinzu.

Sie wusste, dass sich die Königin große Sorgen um die Zukunft von Thalassos machte, und in den Jahren, in denen sie zur Königin ausgebildet worden war, hatte Jemima angefangen, sich auch Sorgen zu machen. „Jetzt, wo Adamos tot ist und es mit der Gesundheit des Königs bergab geht, braucht sie Adonis am Ruder.“

Ihr Vater lachte spöttisch. „Er wird seine Freiheit nicht aufgeben. Auch nicht seine halsbrecherischen Abenteuersportarten, seine schnellen Autos und seinen skandalösen Lebensstil. Prinz Adonis lebt nur für das nächste High.“

„Es ist zum Bruch zwischen ihm und König Aristos gekommen, nicht zwischen ihm und Thalassos oder seiner Mutter“, stellte Jemima klar.

Ihr Vater warf ihr einen abschätzenden Blick zu. „Wenn du so großes Vertrauen zur Königin hast, solltest du dich besser vorbereiten.“

„Worauf?“

„Darauf, zusammen mit der Königin Adonis zu überreden, dich zu heiraten und die Krone zu übernehmen.“

„Nein!“, rief Jemima. „Das ist absurd. Ich kann nicht den … Playboy-Prinzen heiraten. Wir kennen uns nicht einmal. Und ich bin sicher, ich bin die Letzte, auf die er einen Blick werfen würde.“

Ausgenommen von dem einen heißen gestohlenen Kuss, den sie einmal geteilt hatten – und in jenen Märchen, die sie als junges Mädchen mit ihm in der Rolle des charmanten Helden erfunden hatte, der sie aus ihrem langweiligen, unglücklichen Leben rettete. Aber dass sich der Playboy-Prinz in sie verliebte, war so wahrscheinlich wie die Verwandlung ihres Vaters über Nacht in einen warmherzigen Menschen.

„Wofür bist du dann von Nutzen, Jemima?“, fragte ihr Vater. „Und komm mir jetzt nicht mit albernen romantischen Sehnsüchten. Prinz Adamos hat sich auch nichts aus dir gemacht. Von deinem Gesicht und deinem Körper ist kein Mann beeindruckt, und einer von den beiden Prinzen genügt doch wohl, um Königin zu werden.“

Ihr wurde übel bei der beiläufigen Grausamkeit seiner Bemerkungen. „Hörst du nicht, wie … grässlich das klingt? Ich kann nicht einfach einen Bruder durch den anderen ersetzen. Adamos ist kaum eine Woche tot.“

„Du kannst und du wirst. Wenn überhaupt, wird unsere Familie bei dieser Verbindung sogar noch mehr Verhandlungsmacht haben. Königin Isadora muss den Playboy-Prinzen gefügig machen, und sie weiß, was sie an dir hat.“

„Was meinst du damit?“

„Prinz Adonis war sieben Jahre lang weg. Um zu regieren, braucht er jemanden, der den Palast und die Palastpolitik versteht. Du wärst ein Gewinn für ihn. Und ob du ihm nun gefällst oder nicht … Der Mann ist dafür bekannt, hinter jeder Frau her zu sein, zudem hat er das Gesicht eines Engels. Also sollte es nicht schwer für dich sein, mit ihm Kinder zu bekommen.“

Jemima sah ihren Vater schockiert an. „Das ist … widerlich.“

Ihr Vater zuckte die Schultern. „Der Punkt ist, dass ihn nichts allzu lange interessiert. Du kannst sicher sein, dass er seinen draufgängerischen Lebensstil wieder aufnehmen wird und dich zurücklässt. Als Königin wirst du viele Kompetenzen haben. Während ich und die anderen Mitglieder des Kronrats die Last der wichtigen Entscheidungen tragen, kannst du dich ganz deinem Bruder und den Kindern widmen, die der Prinz dir schenken wird. Und du hast die völlige Kontrolle über dein Leben. So ein schlechter Deal ist das nicht, oder?“

Also das war sein brillanter Plan. Ihr Vater baute darauf, dass seine Tochter, die Verpflichtungen und das Königreich den Prinzen bald langweilen würden. Mit ihr als Platzhalter aber hätten er und seine alten Freunde dann eine beispiellose Macht.

Und sie hätte zum ersten Mal die volle Kontrolle über ihr Leben und Zayn!

Auch wenn sie den Plan ihres Vaters verabscheute und sie der Gedanke, den Playboy-Prinz zu heiraten, erschreckte, kam Jemima in Versuchung.

„Ich kann nicht, Papa. Bitte …“

„Es steht nicht zur Diskussion. Finde dich heute zum Abendessen mit ihm ein. Denk daran, dass du deinen unehelichen Bruder nur bei dir behalten kannst, wenn du Prinz Adonis überzeugst, auf dich zu setzen, um Thalassos zu regieren.“

Nachdem ihr Vater gegangen war, stand Jemima allein auf dem Balkon. Die Sonne ging unter und färbte den Schlosshof, den Balkon und Jemima orange und pink.

Ein kalter Wind wehte von der Ägäis herein und ließ sie frösteln.

Als hätte sie seinen Namen gerufen, sah Prinz Adonis hoch. Er suchte die unzähligen Balkons und Terrassen ab, bevor sich seine Augen auf Jemima richteten. Und einfach so verschwand die Welt, und es gab nur noch sie beide, während sie sich unverwandt anstarrten.

Schließlich riss sich Jemima von seinem Blick los, aber erst, nachdem Prinz Adonis eingehend ihr Gesicht gemustert und dann spöttisch den Mund verzogen hatte, als könnte er sie und die schmutzigen Pläne ihres Vaters lesen. Als wüsste er, wie viel Anziehungskraft er noch immer auf sie ausübte.

Es war gerade einmal ein halber Tag her, dass Adonis Vasilikos nach Thalassos zurückgekommen war. Und schon war er wütend über die Machenschaften derjenigen, die den Palast leiteten.

Ja, er war sieben Jahre lang weg gewesen. Aber das Personal war so alt wie der Palast und wusste von seinem Hass auf das Hofprotokoll. Natürlich bestanden diese Leute trotzdem darauf, und Adonis wollte keinesfalls einen Wutanfall kriegen und ihnen in die Hände arbeiten. Den Fehler hatte er früher einmal gemacht.

Er hatte kaum mit seiner Mutter sprechen können, und seinen Vater musste er erst noch zu sehen bekommen. Dem König gehe es zu schlecht, um an der Beerdigung seines Lieblingssohns teilzunehmen, war Adonis informiert worden.

Sobald der Trauerzug zu Ende gebracht war, waren Verwaltungsangestellte wie Aasgeier über ihn hergefallen. Schon hatte man ihm einen Terminplan mit Events für die nächsten drei Tage übergeben, den Entwurf für eine Rede, die er in zwei Tagen halten sollte, und eine Liste mit öffentlichen Auftritten. Und die ganze Zeit über konnte sich Adonis kaum an die Wahrheit gewöhnen, die ihm die Kehle zuschnürte, es ihm schwer machte zu atmen.

Adamos war tot. Sein älterer Bruder, sein erster und manchmal einziger Freund auf der Welt – einfach weg in einer Rauchwolke. Sein ernster, schweigsamer Bruder, der ihn unaufhörlich unterstützt hatte, der Mann, der dazu bestimmt gewesen war, König zu werden, der Mann, den Adonis bewundert hatte … jetzt für immer außer Reichweite.

Getrieben von Frustration und etwas, was noch düsterer war, ging Adonis durch die prunkvollen Flure des Palasts. Sein Herz klopfte heftig. Er wurde wieder zu dem liebebedürftigen Kind, als er sich dem Zimmer des Königs näherte. Es zu betreten war ihm früher immer bei Strafe verboten worden. Das Muster der schweren Eichentür war ihm so vertraut wie sein eigenes Gesicht im Spiegel. Er hatte es stundenlang angestarrt, während sein Vater drinnen seinen Erstgeborenen und Lieblingssohn mit Kriegsgeschichten verwöhnte, ihm Schach beibrachte und ihn von ganzem Herzen liebte. Für Adonis war die Grausamkeit unerträglich gewesen, denn damals hatte er nicht gewusst, warum sein Vater Adamos so sehr liebte, ihn aber vernachlässigte.

Adonis biss die Zähne zusammen und stieß die Doppeltüren auf. Das Zimmer war von der Spätnachmittagssonne, die durch die schweren Vorhänge schien, schwach beleuchtet. Sein Blick fiel auf das große Himmelbett, in dem König Aristos lag. Der früher einmal imposante Monarch war schmal geworden und sah gebrechlich aus. Das Haar war silbergrau, die Augen trüb vor Verwirrung.

„Vater“, sagte Adonis leise, als er sich dem Bett näherte.

Der Blick des Königs richtete sich auf ihn, Wiedererkennen ließ seine Augen glänzen. „Adamos“, flüsterte er zittrig. „Mein wundervoller Junge, du bist zurückgekommen. Ich habe ihnen gesagt, nichts könne dich verletzen. Nichts.“

Die Worte trafen Adonis bis ins Mark. „Ich bin Adonis“, verbesserte er freundlich. Er beugte sich vor und ergriff die zitternde Hand des Königs.

„Adamos, mein Sohn. Ich wusste, dass du zurückkehren würdest“, murmelte der König. „Nichts kann mir meinen starken Sohn nehmen.“

Adonis war tiefverletzt, traurig und bitter enttäuscht, als sein Vater weiter den Namen seines Bruders wiederholte. Offensichtlich hatte sich nichts geändert. Er holte mühsam Luft, hielt die drohenden Tränen zurück, Tränen, die seine Schwäche verrieten, nach all den Jahren. Wie konnte er sich noch immer nach der Anerkennung dieses Mannes sehnen, nach einem freundlichen Wort?

Aber dass der König nicht einmal Adonis’ Anwesenheit gelten lassen wollte – selbst wenn es mit schwelendem Groll gewesen wäre, weil der falsche Sohn gestorben war –, fühlte sich auf einer tieferen Ebene falsch an. Als wäre sein Vater körperlich da, aber geistig nicht ganz auf der Höhe. Adonis tätschelte die Hand seines Vaters und stürzte aus dem Zimmer, verwirrt und wütend. Wie krank war der König? Warum hatte man ihn nicht informiert?

Der fast achthundert Meter lange Gang half nicht, um seine aufgewühlten Gefühle unter Kontrolle zu bringen. Adonis bog um die Ecke, als eine Frau aus der Suite seiner Mutter kam, die Doppeltüren hinter sich schloss und sich umdrehte.

Jemima Nasar. Die Verlobte seines toten Bruders. Die Beinahe-Königin von Thalassos. Die einzige Frau, die er jemals absolut aufrichtig und mit brennender Begierde begehrt hatte. Nicht, um seine Dämonen zu vergessen oder sich in unersättliche Lust zu flüchten, sondern weil ihn Jemima Nasar faszinierte.

Die einzige Frau, die er nicht anrühren durfte und nicht haben konnte, wie Adonis bald erkannt hatte. Der leidenschaftliche Kuss, den sie von ihm gefordert hatte, bevor sie sich mit seinem Bruder verlobte, hatte ihre Anziehungskraft nur noch geschürt. Die Erinnerung daran, wie sich ihr üppiger Körper an seinen geschmiegt hatte, ließ sogar jetzt Sehnsucht in ihm nachhallen.

„Deine Freiheit und Abenteuerlust, Adonis“, hatte sie kühn behauptet, als er sie gefragt hatte, warum sie ihn für ihren ersten Kuss gewählt hatte. Sie hatte seinen Namen benutzt, bevor er ihr die Erlaubnis gegeben hatte, die bernsteinfarbenen Augen funkelnd vor Verlangen hinter der Maske, die sie trug. „In einem Interview hast du mal behauptet, in dem Moment, bevor du tauchst, hast du die meiste Angst. Und trotzdem tust du es. Ich kann mir nicht vorstellen, mich freiwillig in Lebensgefahr zu begeben.“

Erst am Ende des Maskenballs, als ihr Vater sich neben sie stellte, erkannte Adonis, dass sie Aziz Nasars Tochter war. Die gehorsame Maus, die niemals aus der Reihe tanzte, eine kluge Leseratte, deren Haltung und Intelligenz sogar von seinem Vater, dem König, gelobt wurde. In nur zwei Minuten hatte sie ihn von allen Dingen befreit, die ihn niedergedrückt hatten, die ihm in dieser verdammten Welt ein falsches Zugehörigkeitsgefühl gegeben hatten.

Jemima hatte ihn so gesehen, wie er war. Das erste und einzige Mal hatte ihn eine Frau einfach als den Mann begehrt, der er im Innersten war. Und nur dieses eine Mal hatte Adonis wirklich eine an sich herangelassen, obwohl er die ganze Zeit viel zu viele Frauen gehabt hatte. Dadurch, dass sie nur Tage später vom König als Braut seines Bruders ausgewählt worden war, hatte sich ihm die Erinnerung noch tiefer eingeprägt. Für Adonis war Jemima eine weitere Angelegenheit geworden, die ihm vorenthalten wurde, eine weitere Chance, derer man ihn beraubte, weil man ihn nicht für würdig befand.

Bei seinem Anblick erstarrte Jemima. Ein schwarzes Seidenkleid mit hohem Kragen schmiegte sich an ihre Brüste und Hüften. Ihre Wangen waren fülliger geworden und gaben ihr ein rundes Gesicht, ihre glatte Haut schimmerte honiggolden. Ihr Mund, so breit und so sinnlich, dass er Adonis früher einmal auf die unanständigsten Gedanken gebracht hatte, war der einzige Hinweis auf Leidenschaft, der nicht unter eiserner Reserviertheit verborgen war.

Jemimas Gegenwart traf ihn wie ein Schlag. Mit ihrem dunklen Haar, das sich aus dem eleganten Knoten löste und ihr ins Gesicht fiel, und ihrer leicht verschwitzt glänzenden Haut sah sie … schmerzlich real und deswegen umwerfend schön aus. Adonis hatte sich so lange mit künstlichen und billigen Dingen umgeben, dass er natürliche Schönheit erkannte, wenn er sie vor sich hatte.

Mit sechsundzwanzig war ihre Schönheit noch deutlicher geworden, unterstützt von ihren strahlenden, intelligenten Augen. Und dann waren da ihre rosenknospig vollen Lippen, deren Geschmack er kannte … Jemima war eine dekadente Einladung zur Sünde.

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