Die Nanny und ihr Playboy-Boss

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Die schönsten Frauen in Hollywood liegen Dex Hunter zu Füßen. Aber sie interessieren den attraktiven Filmboss nicht! Denn er denkt nur noch an Shelby Scott, die neue Nanny seines kleinen Halbbruders. Auf unschuldige Weise ist sie einfach umwerfend sexy. Gegen sie verblassen alle Glamour-Girls. Dumm bloß, dass Shelby einmal an den Falschen geraten ist, der ihr jeden Glauben an die Männer genommen hat. Egal, wie zärtlich Dex sie umwirbt, sie sagt ihm glasklar, was sie bestimmt nie wieder will: einen Playboy wie ihn! Was für eine Herausforderung für den erfolgsverwöhnten Dex …


  • Erscheinungstag 06.10.2015
  • Bandnummer 1893
  • ISBN / Artikelnummer 9783733721459
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Shelby Scott beobachtete das Schauspiel vor der Tür des weltberühmten Hotels mit gerunzelter Stirn. Passanten registrierten die Szene amüsiert im Vorbeigehen. Dex Hunter legte sich gerade mächtig ins Zeug, während er eine äußerst eifrige Lady küsste – oder besser gesagt, sich von ihr abschlecken ließ. Das Strasskleid der Frau glitzerte in der Sonne und hätte zweifellos jedes im Sturm verirrte Schiff wieder in den heimischen Hafen leiten können. Ein Möchtegern-Starlet, vermutete Shelby. Schließlich besaß Mr Hunter hier in Los Angeles sein eigenes Filmstudio.

Sie hatte Dex Hunter erst heute kennengelernt – als sie ihn im Café angerempelt und er sich daraufhin mit heißem Kaffee bekleckert hatte. Nicht zum ersten Mal hatte sie sich daraufhin geschworen, dass sie den Job als Kellnerin wirklich nur zur Überbrückung machen würde. Denn eigentlich war sie mit dem festen Vorsatz nach Kalifornien gezogen, sich eine gute Stelle als Kindermädchen zu suchen. Darin besaß sie Erfahrung, und jeder zu Hause in Mountain Ridge konnte bestätigen, wie sehr Shelby Scott Kinder liebte. Wie das Glück es wollte, war Mr Hunter gerade auf der Suche nach jemandem.

Als Junggeselle und viel beschäftigter Chef der Hunter Productions brauchte Dex ein Kindermädchen für seinen kleinen Halbbruder, der ihn für eine Weile besuchen würde. So viel hatte sie bei ihrem ersten kurzen Zusammentreffen mit ihm bereits erfahren. Sie hatte Dex sofort von ihrem Wunsch erzählt, als Nanny zu arbeiten, und damit sein Interesse geweckt. Als er dann erfuhr, dass sie alle Bücher aus der Lieblingsserie des kleinen Jungen gelesen hatte und einen Stegosaurus von einem T-Rex unterscheiden konnte, hatte er schon nahezu überzeugt gewirkt. Sein kleiner Bruder sei ganz verrückt nach Dinosauriern, hatte Dex ihr erzählt.

Weil er es eilig gehabt hatte, waren sie übereingekommen, sich heute Abend zu treffen, um beim Dinner über den Job zu reden. Shelby hatte gehofft, vielleicht sogar schon eine Zusage zu erhalten.

Aber dieses billige Schmierentheater, das ihr jetzt geboten wurde, ließ bei ihr alle Hoffnung auf eine seriöse Zusammenarbeit platzen. Dex Hunter konnte sich eine andere Nanny suchen, wenn sein fünfjähriger Bruder aus Australien eintraf. Ich habe jedenfalls von diesen Aufreißer-Typen die Nase voll, dachte Shelby. Ob sie nun in Hollywood lebten oder in Mountain Ridge, Oklahoma …

Verdammt, sie waren doch alle gleich.

Schließlich löste sich Dex Hunter aus der Umklammerung der Frau. Er drehte sich um, als hätte er Shelbys Anwesenheit gespürt, und kam zu ihr herüber. Mit seinen breiten Schultern wirkte er sehr maskulin, und ihn umgab eine Aura von starkem männlichem Selbstbewusstsein. Sie selbst war eins siebenundsiebzig groß, aber er überragte sie deutlich, stellte Shelby fest.

Was sie kurzzeitig aus dem Konzept brachte, war allerdings der intensive Blick seiner faszinierenden gelbbraunen Augen. Im Licht der Straßenlaterne wirkten sie fast wie die Augen einer intelligenten, gefährlichen Raubkatze.

„Sie sind früh dran“, sagte er und rückte seinen Hemdkragen zurecht.

„Ich bin wohl gerade rechtzeitig gekommen“, erwiderte sie schneidend. „Produzieren Sie sich immer so in der Öffentlichkeit, Mr Hunter?“ Sie konnte sich die Frage einfach nicht verkneifen.

Dex Hunter sah sie verwundert an, bis er verstand, was sie meinte. Er warf einen Blick über die Schulter zurück und verzog das Gesicht. „Das war vielleicht nicht die beste Einleitung für unser Vorstellungsgespräch.“

„Es gibt kein Vorstellungsgespräch“, zischte Shelby, drehte sich auf dem Absatz um und steuerte auf die nächste Bushaltestelle zu.

Sie war jetzt seit zwei Wochen in Los Angeles. Kalifornien hatte sie sich nur ausgesucht, weil die Heldin in einem ihrer Lieblingsfilme hier gelandet war, um ein neues Leben anzufangen. Doch plötzlich fühlte sich Shelby allein und total naiv. Bis auf ein paar Tage in Oklahoma City hatte sie ihre Heimatstadt bisher noch nie verlassen. Ihr ganzes Leben hatte sie in Mountain Ridge verbracht – und sie hatte wunderbare Erinnerungen daran.

Bis auf diese eine …

Dex Hunter war ihr gefolgt und versperrte ihr jetzt den Weg. „Sie wollten mit mir beim Dinner über mein Jobangebot sprechen.“

„Wenn Sie sich immer so auf ein Geschäftsgespräch vorbereiten wie eben, möchte ich mir gar nicht vorstellen, was sie so bei sich zu Hause in Gegenwart eines kleinen Jungen treiben. Damit möchte ich nichts zu tun haben.“

„Diese Frau ist eine gute Freundin von mir, wir haben uns nur verabschiedet.“

„Ich komme vielleicht vom Land“, sagte Shelby, „aber von gestern bin ich nicht. Das sah eben nicht nach einer freundschaftlichen Verabschiedung aus.“

„Bernice hat zu viel getrunken. Außerdem hätte sie ja auch meine Verlobte sein können.“

Bei dem Wort Verlobte drehte sich Shelby der Magen um. „Die Vorführung hat mir trotzdem nicht gefallen.“ Wie sie selbst darauf reagiert hatte, auch nicht. Sie fühlte sich unwohl. Verletzlich. „Rufen Sie eine Agentur an, die wird Ihnen jemanden vermitteln.“

„Ich habe heute Nachmittag Ihre Referenzen überprüft und ein paar Leute angerufen“, sagte Dex unbeeindruckt.

Shelby sah ihn erschrocken an und spürte einen Kloß im Hals.

„Im Café erwähnten Sie ein paar Arbeitsstellen in Oklahoma. Ihre Fähigkeiten wurden in den höchsten Tönen gelobt. Vor allem Mrs Fallon von Hatchlings Kindergarten war von Ihnen begeistert.“

Es machte ihr nichts aus, dass er sie überprüft hatte, aber unwillkürlich fragte sich Shelby, mit wem Dex Hunter wohl noch gesprochen hatte. Was wusste er über sie? Nicht dass ihn dieser hässliche Vorfall vom vergangenen Monat interessieren würde. Das Ereignis, über das ganz Mountain Ridge wohl noch jahrelang tratschen würde …

„Ich habe meinen kleinen Bruder schon ein halbes Jahr nicht mehr gesehen …“, fuhr Dex fort und riss sie damit aus ihren Gedanken, „… aber er ist bestimmt noch der gleiche kleine Teufel. Energiegeladen und unwiderstehlich. Sie werden ihn sicher mögen.“ Er lächelte. „Alle lieben ihn.“

Shelby holte tief Luft und verschränkte die Arme vor der Brust. „Sie werden jemand anders finden.“

„Ich will aber Sie.“

„Lassen Sie es einfach sein, und gehen Sie wieder zu …“ Shelby drehte sich zu der Frau um, mit der Dex eben noch so hingebungsvoll geknutscht hatte, und sah, wie diese gerade schluchzend zusammenbrach, von zwei Freundinnen in die Arme genommen wurde und sich mit ihnen entfernte.

„Letzte Woche hat Bernices Freund ihre Verlobung platzen lassen“, sagte Dex, der die Szene ebenfalls verfolgte. „Ich kenne den Mann schon seit Jahren. Nicht gerade der Typ zum Heiraten.“

Shelby zuckte zusammen. Jetzt tat ihr die Frau leid.

„Die Stadt ist für jemanden wie Bernice ein zu hartes Pflaster“, sagte Dex. „Wie auch immer Sie sich wegen des Jobs entscheiden, ich würde trotzdem gern mit Ihnen essen gehen. Sie haben den ganzen Tag gearbeitet und Leute bedient. Ich könnte wetten, Sie sind genauso hungrig wie ich.“

Shelby verzog das Gesicht. „Das klingt fast, als hätte Mrs Fallon aus dem Kindergarten Ihnen etwas über meinen gesunden Appetit verraten.“

Er lachte, und der weiche, tiefe Ton umschmeichelte sie sanft wie warmes Wasser. Aber sie wollte sich doch nicht einlullen lassen!

„Tate hat auch einen guten Appetit“, sprach Dex weiter. „Vor allem Cheeseburger haben es ihm angetan. Allerdings werde ich da wohl ein bisschen einschreiten müssen.“

Shelby lächelte und entspannte sich etwas. Dex Hunter war zweifellos charmant. Und sehr überzeugend …

„Ein Dinner wird sicher nicht wehtun“, sagte sie schließlich. „Aber ich bezahle meinen Anteil selbst.“

Normalerweise hätte sich Dex Hunter für die Vermittlung einer Nanny an eine seriöse Agentur gewandt. Aber sein Gefühl sagte ihm, dass Shelby Scott genau die Richtige für seinen kleinen Bruder Tate war, der gerade seinen besonderen Schutz benötigte.

Jemand hatte auf seinen und Tates Vater, den Medienmogul Guthrie Hunter, mehrere Anschläge verübt. Bevor diese Attentate nicht aufgeklärt und die Schuldigen vor Gericht gebracht waren, brauchte Tate einen sicheren Ort, wo er unterkommen konnte. Niemand aus der Hunter-Familie wollte den Fünfjährigen in Gefahr wissen. Erst vor Kurzem waren Guthrie Hunter und Tate nur knapp einer Entführung entkommen.

Während Dex kurz nachdachte, welches Restaurant am besten geeignet war – ruhig und gemütlich, aber nicht zu intim –, klingelte sein Handy. Er achtete nicht darauf.

„Es könnte doch wichtig sein“, sagte Shelby erstaunt.

„Wir wollen jetzt essen gehen.“

„Da, wo ich herkomme, würde man es als unhöflich betrachten, wenn jemand einen Anruf nicht beantwortet. Genauso, wie die Tür nicht zu öffnen, wenn jemand klingelt.“

Der Blick aus ihren großen grünen Augen wirkte so offen und aufrichtig. Jetzt war wohl der falsche Moment, um ihr zu erklären, dass es in Los Angeles völlig normal war, das Klingeln seines Handys zu ignorieren.

Dex nahm den Anruf an.

Am anderen Ende der Leitung meldete sich sein Drehbuchautor Rance Loggins. „Es funktioniert nicht, Dex“, sprudelte Rance los. „Du meinst, Jada sollte Pete auf der Hochzeitsfeier zur Rede stellen, aber ich halte das für keine gute Idee. Es ist zu vorhersehbar.“

„Du wirst dir schon etwas einfallen lassen. Schlaf eine Nacht drüber.“

„Ich dachte, du wolltest das Drehbuch so schnell wie möglich auf dem Tisch haben.“

Dex warf Shelby einen Blick zu. Sie sah in ihrem korallenfarbenen Kleid und mit dem glänzenden dunkelroten Haar, das in der warmen Brise flatterte, wie eine Mischung aus Engel und Verführerin aus.

„Dex? Bist du noch dran?“, rief Rance. „Ich bin ab morgen für eine Woche weg. Diese Szene ist die Einzige, die uns noch aufhält.“

Vergangenes Wochenende hatte Hunter Productions einen großen Erfolg mit der Uraufführung des neuesten Films verbuchen können. „Easy Prey“ war ein Action-Thriller, in dem einer der aktuell angesagtesten Kinostars mitspielte. Dex hatte noch weitere Filme in den Startlöchern, aber von dem, über den Rance gerade sprach, versprach er sich besonders viel. Er roch einen weiteren Kassenknüller.

Wieder warf er Shelby einen Blick zu, dann sah er auf seine Uhr und überlegte. „Ich komme nach zehn Uhr vorbei“, sagte er schließlich zu Rance.

Stille am anderen Ende.

„Du wimmelst mich ab wegen einer Frau“, bemerkte Rance dann.

„Nein, tu ich nicht.“

Jedenfalls nicht im üblichen Sinn.

„Ich dachte, du hättest vor, Hunter Productions wieder auf die Beine zu bringen.“

Dex kannte Rance schon lange. Er war für ihn nicht nur ein Mitarbeiter, sondern auch ein Freund. Aber das ging zu weit. „Du vergisst wohl, wer hier die Rechnungen bezahlt“, knurrte er.

„Aber dazu musst du das Geld erst mal verdienen“, konterte sein Freund.

Dex beendete das Telefonat.

„Sie müssen das Essen absagen, oder?“, bemerkte Shelby, die gerade mit ihrem Handy ein paar Fotos von den berühmten Modeläden auf dem Rodeo Drive gegenüber knipste. „Das ist schon okay. Eigentlich ist es auch besser so.“

Dex schob die Hände in die Hosentaschen und sah sie an. Er wollte sie nicht so einfach davonkommen lassen. Wenn sie morgen aus irgendeinem Grund ihren Job im Café kündigen würde, wie sollte er sie dann jemals wiederfinden? Aber Rance hatte recht.

Bis zu seinem jüngsten Erfolg hatte Hunter Productions lange keinen großen Kinohit mehr gelandet. Doch wenn er sich heute Abend schon um sein Geschäft kümmern musste, wollte er auch ein bisschen Spaß dabei haben. „Kommen Sie einfach mit“, schlug er Shelby darum vor. „Wir essen anschließend etwas zusammen.“

„Das gefällt mir nicht.“

„Warum nicht?“

„Ich kenne Sie doch gar nicht.“

„Shelby, ich werde nicht über Sie herfallen und Sie in meine Höhle schleifen.“

Sie sah ihn aus schmalen Augen an, und ihr Blick verriet, dass sie sich da nicht so sicher war. Sie war also vorsichtig, und in einer Stadt wie Los Angeles war das auch gut so. Noch ein Pluspunkt für sie.

„Mein Drehbuchautor kommt mit dem Script nicht weiter“, erklärte Dex. „Er schreibt an einer Liebeskomödie mit ernstem Hintergrund. Wir arbeiten gerade an einer Schlüsselszene. Der Mann, in den die weibliche Hauptfigur einmal verliebt war, hat sie betrogen und heiratet nun ihre Freundin. Sie wird zur Hochzeitsfeier eingeladen. Ihr Begleiter für diesen Abend musste absagen, sodass sie allein dort erscheint.“

Shelby hörte mit gerunzelter Stirn zu und schien offensichtlich interessiert zu sein. Also redete Dex weiter. „Unsere Heldin sitzt mit Verwandten der Braut zusammen am Tisch, die ihr ständig vorschwärmen, wie wunderschön die Braut in ihrem Hochzeitskleid aussieht. Dann verschüttet ein tollpatschiger Kellner Suppe über das Kleid der Heldin.“

Als Shelby blinzelte, fiel Dex wieder ein, wie sie im Café gegen ihn gestolpert war. „Die Heldin geht in ihrem beschmutzten Kleid Richtung Damentoilette, um den Fleck auszuwaschen. Während sie sich auf dem Weg dorthin fragt, warum sie sich das alles antut, läuft ihr der Bräutigam über den Weg.“

Shelby sah ihn an. „Und dann?“

„Wir sind uns nicht sicher, was dann passiert.“

Shelby atmete tief durch und sah sich abwesend um. Als sie ihr Handy in den Schulterbeutel schob, fiel ein Stück Papier aus dem Beutel und wurde von einer Böe weggefegt. Shelby versuchte, es in der Luft zu fangen, doch es flatterte davon. Als das Papier vom Wind auf die Straße geweht wurde, rannte Shelby ohne nachzudenken hinterher.

Im gleichen Moment rauschte eine Limousine heran.

2. KAPITEL

Dex stürzte ihr sofort nach. Er riss sie zurück, Shelby verlor das Gleichgewicht und fiel gegen ihn. Während Dex sie mit beiden Händen festhielt, betrachtete er ihr Gesicht. Ihre vor Schreck aufgerissenen Augen hatten eine ganz außergewöhnliche mintgrüne Farbe, gesprenkelt mit blauen Flecken. Aus der Nähe sahen ihre Lippen noch voller aus.

Diese Lippen bewegten sich jetzt leicht zittrig.

„Sieht so aus, als hätte ich mich immer noch nicht an den Autoverkehr gewöhnt“, brachte Shelby heiser heraus. Fast wäre sie im Krankenhaus gelandet. Es hätte sogar noch schlimmer kommen können! Sie erschauerte. Stattdessen lag sie nun in filmreifer Pose in den Armen eines fremden Mannes mit Raubkatzenaugen, der eine solche Hitze verströmte, dass sie das Gefühl hatte, gleich zu zerschmelzen.

Dex stellte sie vorsichtig auf die Füße. Nach und nach drangen die Geräusche der Straße und die vorbeieilenden Menschen auf dem belebten Bürgersteig wieder in ihr Bewusstsein. Shelby zupfte ihr Kleid zurecht. Dabei versuchte sie, eine möglichst ausdruckslose Miene aufzusetzen und ihren rasenden Puls zu beruhigen.

„Alles okay?“, erkundigte sich Dex.

„Alles okay, bis auf meinen verletzten Stolz“, gestand sie. „Ich komme mir so albern vor.“ Nach den neugierigen Blicken der Passanten zu urteilen, war ihr Auftritt um einiges interessanter gewesen als Bernices Show vorhin.

„Dieses Stück Papier muss wohl sehr wichtig sein.“

Sie seufzte. „Nur eine sentimentale Erinnerung.“

Dex sah sich suchend um. Er ging ein paar Schritte auf eine der Palmen zu, die die Straße säumten, bückte sich und kam mit dem besagten Stück Papier – einem Foto – wieder zurück.

Erleichtert nahm Shelby es entgegen und presste es kurz an ihre Brust. Dann schob sie es wieder in ihren Beutel, diesmal in eine verschließbare Seitentasche.

„Jemand, den ich sehr respektiere, sagte mal, dass man Gefühle nie unterschätzen sollte“, bemerkte Dex.

Jetzt war wohl nicht der richtige Moment, um ihn zu fragen, wer diese Person gewesen war, obwohl es Shelby schon sehr interessierte. „Gilt die Einladung noch, zu Ihrem Drehbuchautor mitzukommen?“, erkundigte sie sich.

Dex lächelte erfreut. „Rance und mir wäre es eine Ehre.“

Wenige Minuten später öffnete er ihr die Beifahrertür eines schnittigen italienischen Sportwagens. Während sie in den weichen Ledersitz glitt und sich anschnallte, rutschte Dex hinter das Steuer, ließ den Motor an und fädelte sich in den Verkehr ein.

„Passiert so ein Drehbuch-Notfall öfter?“, fragte Shelby und versuchte, nicht über ihre spontane Entscheidung nachzudenken. Der Tag war zu verrückt gewesen. Sie würde sich nicht wundern, wenn sie plötzlich aufwachte und feststellte, dass alles nur ein Traum gewesen war.

Dex schaltete in den nächsten Gang. „Einen Film zu drehen ist immer eine Herausforderung.“

„Ich stelle mir einen verrauchten Raum vor, in dem der Drehbuchschreiber an einem Tisch vor der Schreibmaschine sitzt und wild in die Tasten haut, während der Produzent nervös im Zimmer auf und ab läuft, den Kopf gesenkt, die Hände auf dem Rücken verschränkt …“

Dex warf ihr kurz einen Blick zu. „Vor der Schreibmaschine?“

„Na gut, ich nehme an, das gehört eher ins vorige Jahrhundert.“

„Da, wo Sie herkommen, hat man doch sicher schon von Computern und Internet gehört, oder?“, scherzte er.

„Oh, sicher. Aber um den Strom zu erzeugen, stellen wir einen Ochsen in die Tretmühle.“

Dex lachte, und dieser dunkle Klang ließ sie sofort wieder an warmes Wasser denken, das sie umfing, sie umschmeichelte …

„Als geborenen Technikfreak würde ich mich allerdings auch nicht bezeichnen“, gestand er. „Ich bin in Australien aufgewachsen.“

„Daher also der Akzent. Ich dachte, Sie wären vielleicht Engländer.“

„Wir Aussies sind aber nicht so käsig weiß.“

Sie musterte ihn von der Seite, seine Hände, den Hals. Soweit sie erkennen konnte, besaß seine Haut einen schönen Bronzeton. „Australien ist ziemlich weit entfernt“, bemerkte sie und musste sich regelrecht von seinem Anblick losreißen. „Wieso sind Sie hierhergezogen? Glück und Ruhm?“

„Meiner Familie gehört Hunter Enterprises.“

„Und dazu gehört Hunter Productions, nehme ich an.“

Er schaltete vor der nächsten Kurve einen Gang zurück. „Meine Mutter kam aus Ihrer Gegend.“

„Aus Oklahoma?“

„Georgia.“

„Also, tut mir leid, das zu sagen, aber Georgia ist ziemlich weit von Oklahoma entfernt.“

„Oje, ich bin wohl etwas schwach in Geografie, was?“

Shelby grinste und lehnte sich zurück. „Um auf Ihre Geschichte zurückzukommen …“

„Meine Mutter und mein Vater haben sich im Kino kennengelernt, im Fox Theatre, diesem riesigen alten Kinopalast in Atlanta, Georgia. Dad war von ihrem Südstaatenakzent und Charme hingerissen. Nach vier Wochen hat er ihr einen Antrag gemacht.“

Shelby lächelte. „Ihr Vater ist also ein Romantiker.“

„Er hat meine Mutter wirklich geliebt.“ Dex wurde plötzlich ernst. „Nachdem sie vor ein paar Jahren gestorben ist, hat er noch einmal geheiratet.“

„Eine nette Frau?“

„Der Meinung ist jedenfalls mein Vater.“

Als sie eine weniger belebte Straße erreichten, trat er aufs Gaspedal. Der Motor heulte auf, und sie rasten förmlich an Häusern und Villen vorbei. Shelby wartete, dass Dex noch mehr von seiner Stiefmutter erzählte, aber er schwieg. Was ja auch einiges aussagte.

Bald fuhren sie durch eine exklusive Wohngegend und schließlich eine breite private Auffahrt hinauf. Ein dunkelhaariger Mann öffnete ihnen die Tür. Sie wurden einander vorgestellt, und Rance Loggins bat sie beide herein.

Rance führte sie durch einen verglasten Korridor, von dem aus man einen herrlichen Blick auf den tropischen Garten hatte, in ein Wohnzimmer mit Parkettboden und Möbeln aus glänzendem Stahl und grauem Leder. Shelby setzte sich auf die Couch, während Dex als Erstes sein Jackett auszog und es über eine Stuhllehne legte.

Er begann mit Rance über die problematische Filmszene zu debattieren und setzte sich dann neben sie. Viel zu dicht, wie Shelby fand. Andererseits fühlte sie sich in seiner Nähe irgendwie sicherer. Das ist merkwürdig, dachte sie. Nur zu deutlich nahm sie seinen Duft wahr und spürte die Hitze, die er ausstrahlte.

Er war ihr so nah … Verstohlen musterte sie seinen Körper, seine langen, offensichtlich muskulösen Beine. Dann fiel ihr Blick auf seine blank polierten schwarzen Schuhe. Sie stellte ihn sich in Cowboystiefeln vor …

„Was meinen Sie denn dazu?“

Aufgeschreckt sah Shelby hoch. Die beiden Männer blickten sie erwartungsvoll an. „Was soll ich wozu meinen?“

Rance wiederholte die Beschreibung der Szene. „Die Heldin hatte mit dem Bräutigam eine Beziehung, bis er sie betrog. Sie war am Boden zerstört. Später verlobte er sich dann mit ihrer Freundin. Sie ist auf der Hochzeitsparty, und sie treffen plötzlich aufeinander und stehen sich gegenüber.“

Dex verschränkte die Hände hinter dem Kopf und streckte seine langen Beine aus. „Sie muss ihm eine Ohrfeige verpassen. Ihm auf die Füße treten. Ihm einen Drink ins Gesicht schleudern. Irgendwas.“

„Wie ich schon sagte, wäre das keine große Überraschung“, meinte Rance. „Das Publikum würde so etwas erwarten.“

Shelby fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen und holte Luft. Sie sah alles genau vor sich. „Sie muss vor der ganzen Gesellschaft etwas sagen.“

Dex richtete sich auf und beugte sich zu ihr vor. „Sie meinen, sie soll ihn vor der ganzen Partymeute zur Rede stellen, weil er sie betrogen hat?“

„Nein, so plump ist sie nicht“, entgegnete Shelby. „Sie wird sich zusammenreißen, obwohl sie sich in ihrem befleckten Kleid fürchterlich fühlt, allein und in der Gewissheit, dass alle von ihrer gescheiterten Beziehung gehört haben und sie bemitleiden. Sie bittet um das Mikrofon und erklärt den Gästen, was für ein wunderbares Paar die beiden sind. Dass sie Braut und Bräutigam alles erdenkliche Glück wünscht. Wenn sie dann mit Tränen in den Augen das Mikro zurückgibt, applaudiert niemand im Saal. Alles ist still, während sie den Empfang verlässt, sich an den Tischen vorbeischlängelt, bis zur breiten Flügeltür, die sie weit öffnet und dann in den Sonnenschein hinausgeht. Die Gäste haben die Gerüchte gehört. Im Grunde denken alle das Gleiche: Die Ehe von Reese und Kurt wird nicht halten.“

„Sie meinen Jada und Pete.“

Shelby blinzelte und blickte Rance mit einem gequälten Lächeln an. „Ja, klar, Jada und Pete natürlich.“

Dex musterte Shelby perplex. Was war da gerade passiert? Shelby hatte keine Erfahrung mit Drehbüchern oder als Autorin, soweit er wusste. Trotzdem hatte sie gerade eine perfekte Lösung für den Ausgang dieser Schlüsselszene aus dem Ärmel geschüttelt.

Aber wer waren Reese und Kurt? Und eine noch wichtigere Frage: Wer war diese Shelby Scott wirklich, die sich hinter der Fassade einer jungen Frau aus der Provinz verbarg?

Rance fuhr sich mit den Fingern durch sein dunkles Haar und sprang auf. „Lasst uns das aufschreiben.“ Er setzte sich an seinen Schreibtisch, schaltete den Laptop ein und schob die über den Tisch verteilten Ausdrucke des Drehbuchentwurfs beiseite.

Nach drei Stunden, unzähligen Tassen Kaffee und einem Imbiss vom Chinesen war die Szene perfekt. Rance lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und sah Shelby an.

„Shelby, schreiben Sie auch?“, fragte er.

„Das ist nicht meine Stärke“, gestand sie und schüttelte den Kopf, sodass ihr das mahagonifarbene Haar über die Schultern fiel. „Aber ich sehe mir viele Filme an.“

Dex schob seine fast leere Pappschachtel mit Chow Mein beiseite. „Haben Sie einen Lieblingsfilm?“

„Sie werden mich auslachen.“

„Nein, bestimmt nicht.“

„Ich liebe Stummfilme“, gestand sie. „Rudolph Valentino mag ich besonders.“

„Viele Frauen in Los Angeles mögen Valentino.“ Rance stand auf und streckte sich. „Vor allem die von der Haute-Couture-Fraktion.“

Shelby lachte, und Dex bemerkte, dass sich Rances Miene auf eine Art aufhellte, wie er es noch nie gesehen hatte. Nach einer unangenehmen Trennung hatte sich sein Freund schon seit über einem Jahr mit keiner Frau mehr verabredet. Dex nahm an, dass Rance gerade beschlossen hatte, etwas gegen diesen Zustand zu unternehmen.

„Die große Mode interessiert mich nicht“, entgegnete Shelby.

„Das sollte sie aber.“ Rance ging zu ihr hinüber. „Ich bin sicher, dass die große Mode Sie mag. Und die Leinwand. Ich staune, dass Dex Ihnen noch keine Probeaufnahmen angeboten hat.“

„Für eine Filmrolle?“ Shelby legte ihre Essstäbchen beiseite. „Das ist nicht mein Ding.“

Sie erzählte von ihrem Beruf als Nanny und wie ihr Treffen mit Dex heute zustande gekommen war. Dann warf sie einen Blick auf ihre Armbanduhr und erklärte: „Jetzt muss ich aber nach Hause gehen. Meine Schicht fängt morgen früh um sieben an.“

„Wo Shelby arbeitet, werden die besten Cheeseburger der Stadt serviert“, sagte Dex. „Und der beste Kaffee – wenn er nicht gerade vorher verschüttet wird.“ Er tauschte einen amüsierten Blick mit Shelby. Dann begann sie, die leeren Fast-Food-Schachteln einzusammeln.

„Ich räume das hier noch schnell weg.“

„Sie sind mein Gast“, widersprach Rance.

„Sie haben beide nicht zugelassen, dass ich meinen Anteil bezahle, deshalb werde ich zumindest das beitragen.“

„Sie haben genug getan, indem Sie uns mit dem Script geholfen haben“, betonte Dex.

„Mehr als genug“, pflichtete ihm Rance bei.

Aber Shelby war nicht zu bremsen und hatte einen Moment später alles eingesammelt.

Als sie in der Küche und außer Hörweite war, rückte Rance seine Brille zurecht. „Sie ist nicht dein üblicher Typ. Zuerst dachte ich, sie wäre wieder so eine Möchtegernschauspielerin, die sich bei dir zum Star hocharbeiten will.“

„Und jetzt?“

Rance legte die Hand aufs Herz. „Jetzt bin ich total verliebt.“

Das wäre sein Stichwort für ein Lachen, zumindest ein Lächeln, aber Dex verzog keine Miene. Stattdessen warf er seinem Freund einen warnenden Blick zu. „Sie ist tabu.“

„Ich dachte, du wolltest sie als Nanny engagieren?“

„Und ich möchte nicht, dass jemand sie von ihrem Job ablenkt.“

„Sie wird mit deinem kleinen Bruder Bilder malen und Sandburgen bauen, mehr nicht.“ Rance tippte auf seine Kopien. „Vielleicht hat sie ja zwischendurch Lust, etwas anderes zu machen.“

„Vielleicht, dir bei den Drehbüchern zu helfen?“

„Warum nicht?“

Er würde Rance erklären, warum nicht. „Sie ist noch jung. Ein nettes Mädchen aus der Kleinstadt. Sie braucht keinen Mann, der ihr Leben durcheinanderbringt.“

Autor

Robyn Grady
Es ist schon lange her, doch Robyn Grady erinnert sich noch ganz genau an jenes Weihnachten, an dem sie ein Buch von ihrer großen Schwester geschenkt bekam. Sofort verliebte sie sich in die Geschichte von Aschenputtel, die von märchenhaftem Zauber und Erfüllung tiefster Wünsche erzählte. Je älter sie wurde, desto...
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Robyn Grady
Es ist schon lange her, doch Robyn Grady erinnert sich noch ganz genau an jenes Weihnachten, an dem sie ein Buch von ihrer großen Schwester geschenkt bekam. Sofort verliebte sie sich in die Geschichte von Aschenputtel, die von märchenhaftem Zauber und Erfüllung tiefster Wünsche erzählte. Je älter sie wurde, desto...
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