Wer ist die schönste Braut?

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"Leben Sie wohl!" Marnie serviert Jack Knight eiskalt ab – dabei hat sie anfangs sein Interesse durchaus erwidert! Der reiche Geschäftsmann will herausfinden, warum sich die süße Heiratsvermittlerin plötzlich abwendet – denn er hat sein Herz längst an sie verloren …


  • Erscheinungstag 18.04.2024
  • ISBN / Artikelnummer 9783751529310
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Mit schmerzenden Füßen, Blütenblättern in den Haaren und einem zufriedenen Lächeln verließ Marnie Franklin ihre 30. Hochzeitsfeier des Jahres. Sie hatte es geschafft. Wieder mal.

Hinter den Glastüren des Park Plaza Hotels in Boston winkte ihr das frischgebackene Ehepaar Corliss zu. „Tausend Dank, Marnie!“, rief der sympathische, ein wenig linkische Andrew Corliss, der sich die neonfarbenen Krawatten gern zu eng um den dünnen Hals band. Dank Marnie war Internetmillionär Andrew seit heute mit einer netten, lebhaften Frau verheiratet, die nicht sein Geld liebte, sondern ihn selbst – und die gemeinsame Leidenschaft für komplizierte Sudokus.

„Gern geschehen! Ich wünsche Ihnen ein langes, glückliches Leben zu zweit.“ Marnie lächelte den Eheleuten zu, verließ das Park Plaza und wartete, bis der Hotelangestellte eins der wartenden Taxis für sie herangewunken hatte. Trotz der zwei starken Kaffee, die sie eben getrunken hatte, war sie erschöpft. Es nieselte an diesem kühlen Spätfrühlingstag. Unzählige Autos brausten über die feuchte Straße, und ständig hupte jemand. Marnie mochte Boston wirklich, aber an Tagen wie heute wünschte sie sich an einen ruhigeren Ort. Zum Beispiel auf den Mond.

Als sie die Taxitür öffnete und dem Fahrer ihre Adresse nannte, klingelte ihr Handy. Sie drückte eine Taste, um den Anruf an ihre Mailbox weiterzuleiten. Das war die Schattenseite des Erfolgs – es blieb kein Raum für Feiertage oder gar Urlaub. Wer sein persönliches Happy End suchte, und das taten viele Menschen, der rief Marnie an, eine der besten Heiratsvermittlerinnen weit und breit.

Dabei glaubte sie gar nicht an die große Liebe.

Natürlich durfte sie ihren Kunden das nicht sagen. Sie musste verschweigen, dass sie sich noch nie richtig verliebt hatte und nach diversen Reinfällen auch nicht mehr damit rechnete. Dass sie nicht erwartete, jemals selbst den Mann fürs Leben zu finden. Also steckte sie ihre ganze Kraft in die Arbeit und strahlte, wenn sie ihren Kunden erzählte, dass die große Liebe zum Greifen nahe lag.

Auf den Hochzeiten anderer Leute fragte sich Marnie, ob sie ihre eigene Chance verpasst hatte. Mit fast dreißig Jahren war ihr der Richtige noch immer nicht über den Weg gelaufen. Beziehungen hatten ihr nur Kummer beschert. In ihrem Job konnte sie das Ergebnis wenigstens teilweise bestimmen, und das schätzte Marnie auch sonst im Leben. Kontrolle. Berechenbarkeit. Das Telefon klingelte erneut und riss sie aus ihren Gedanken.

Während der Taxifahrer in den Verkehr einfädelte, fummelte er am Navigationsgerät herum. Der Mann muss neu im Geschäft sein, dachte sie und meldete sich: „Hier spricht Marnie. Darf ich Ihnen bei der Suche nach Ihrem Traumpartner helfen?“

„Hör auf zu arbeiten und finde deinen eigenen Traumpartner, Schatz.“

Ihre Mutter. Helen Franklin meinte es gut, fand allerdings, Marnies Privatleben habe Vorrang vor allem anderen im Universum. „Hallo, Mom. Warum bist du so spät noch auf?“

„Weil ich mir Sorgen um meine ledige Tochter mache, die auch an diesem Freitagabend arbeitet.“

Die Stimme im Navigationsgerät kündigte eine Linkskurve an. Abrupt wurde Marnie zur Seite geschleudert. Ärgerlich funkelte sie im Rückspiegel den Fahrer an, der das Lenkrad herumgerissen hatte, doch er reagierte nicht. Die Abgase des stockenden Verkehrs krochen in das Wageninnere. Vielleicht lag es an der Lüftung, denn das Taxi hatte offenbar schon bessere Jahre erlebt. Jahrzehnte womöglich, wenn man das Klebeband auf den zerschrammten Kunstledersitzen berücksichtigte.

„Du solltest selbst ein Date haben“, drehte Marnie den Spieß um.

„Ach, für den Unsinn bin ich zu alt. Außerdem ist dein Vater erst kürzlich von uns gegangen.“

„Vor drei Jahren, Mom.“ Mitfühlend senkte Marnie die Stimme. Der Herzinfarkt hatte sie alle überrascht. An einem Tag war Dad lächelnd aus dem Haus gegangen, am nächsten Tag nur noch ein Schatten seiner selbst gewesen, und dann … tot. „Es ist völlig okay, dein Leben weiterzuleben.“

„Was hast du am Sonntag vor?“ Ihre Mutter ging nicht auf den Rat ein. Das tat sie nie. Wenn es schwierig wurde, wechselte sie das Thema. Marnies Eltern hatten Konflikte stets unter den Teppich gekehrt und eine heile Welt propagiert. Auch dann, wenn ein Schatten auf ihren sonnigen Weg fiel.

Manchmal wünschte sich Marnie, ihre Mutter könnte weiterhin nur das Positive sehen. Sie wollte Helen, die so viel durchgemacht hatte, gern beschützen.

„Ich lade dich und deine Schwestern nach dem Gottesdienst zum Brunch ein“, sagte Ma. „Es gibt deinen Lieblingskuchen und …“

Während ihre Mutter die Speisen aufzählte, murmelte Marnie zustimmend, doch im Geiste ging sie durch, was sie noch alles erledigen musste. Morgen früh standen drei Termine mit neuen Kunden an. Nachmittags war sie Gastgeberin einer Kennenlernparty für Singles, und am Abend fand das Speeddating statt.

„Hörst du mir überhaupt zu?“, holte Helen ihre Tochter in die Gegenwart zurück.

„Entschuldige, Mom. Die Verbindung schwächelt“, schwindelte Marnie.

Wieder fummelte der Taxifahrer am Navigationsgerät herum. Er machte einen nervösen, überforderten Eindruck. Marnie beugte sich vor. „Biegen Sie da vorne einfach links in die Boylston Street ab und danach rechts in die Harvard Street.“

Er nickte.

Und fuhr geradeaus.

„Hey, Sie haben die Abzweigung verpasst.“ Mist. Konnte er wirklich derart ahnungslos sein? Resigniert lehnte sich Marnie zurück. Nach dem langen Tag kam ihr die Verzögerung eigentlich ganz gelegen. Vor allem ihren Füßen, die sie gleich noch drei Etagen zu ihrer Eigentumswohnung tragen mussten. Marnie liebte das Backsteinhaus in der von Bäumen gesäumten Straße gleich um die Ecke des lebhaften Viertels Coolidge Corner. Doch trotz der schönen Aussicht auf den Park fand sie es manchmal unpraktisch, im dritten Stock zu leben. Gerade heute hätte sie viel für einen Aufzug und einen Massagesessel gegeben.

„Ich sagte, zieh zum Brunch am besten ein Kleid an“, wiederholte ihre Mutter. „Weil ich nämlich den Enkel von Stella Hargrove einlade. Er ist Single und …“

„Wollen wir nicht lieber unter uns bleiben, Mom? Du, meine Schwestern und ich? Wir könnten endlich mal wieder ausgiebig plaudern, dazu kommen wir ja nicht oft. Ein Mann würde sich in der Runde nur als fünftes Rad am Wagen fühlen.“ Marnie presste den Zeigefinger an ihre Schläfe, doch das half nicht gegen die Kopfschmerzen. Schmerzen, an denen sie ihrer Schwester Erica zufolge selbst schuld war, weil sie stets einen Rückzieher machte, statt Klartext mit ihrer Mutter zu reden.

Nie sagte sie: „Hör auf, mich zu verkuppeln.“ Immer blieb sie nett. Marnie war die mittlere Schwester, die Friedensstifterin. Auch wenn sie diesen Frieden dann und wann mit Aspirin bezahlen musste. „Und überhaupt. Wenn ich ein Date will, kann ich in eine ganze Akte voller Telefonnummern von attraktiven Männern gucken.“

„Aber du tust es nicht. Du kennst nur Arbeit, Arbeit und … Ach, ich mache mir einfach Sorgen um dich, Schatz.“

Seit dem Tod ihres Mannes waren die drei Kinder Helens oberste – und einzige – Priorität. Egal, wie oft Marnie und ihre Schwestern sie ermunterten, einen Kurs zu buchen, sich ein Hobby zuzulegen oder zu verreisen. Helen winkte stets ab und lenkte das Gespräch wieder auf ihre Mädchen. Sie brauchte etwas anderes, auf das sie sich konzentrieren konnte. So etwas wie einen …

Mann.

Marnie schlug sich an die Stirn. Du meine Güte, sie war eine professionelle Heiratsvermittlerin! Warum hatte sie noch nie versucht, ihre Mutter zu verkuppeln? Für ihre beiden Schwestern hatte sie doch auch tolle Partner gefunden. Die Älteste, Kat, war seit zwei Jahren verheiratet, und Erica ging ständig mit dem Mann aus, den Marnie ihr letzten Monat vorgestellt hatte. Gleich morgen früh sehe ich meine Akten durch und wähle ein paar distinguierte ältere Herren aus, beschloss Marnie. Herren, die eine Frau mit Hang zum Einmischen schätzen.

„Ich komme zu deinem Sonntagsbrunch, Mom. Versprochen.“ Marnie sah, dass sich der Fahrer schon wieder am Navigationsgerät zu schaffen machte. „Du kannst Stellas Enkel ja ein andermal einladen, okay?“

Helen seufzte. „Na gut. Aber wenn du seine Telefonnummer möchtest oder …“

„Dann komme ich auf dich zu.“ Marnie wollte noch etwas sagen, als der Taxifahrer fluchte, auf die Bremse trat – und in den Wagen vor sich krachte. Marnie spürte einen heftigen Ruck. Der Sicherheitsgurt schnitt in die Haut über ihrem Brustbein ein, bewahrte sie aber davor, gegen die Plexiglasscheibe zwischen Fahrersitz und Rückbank zu prallen. Während sie vor Schmerz ächzend das Gesicht verzog, schimpfte der Taxifahrer laut.

„Was war das für ein Geräusch?“, fragte Helen besorgt. „Ist etwas heruntergefallen? Hattest du einen Unfall?“

„Es ist, äh, nichts weiter. Ich muss auflegen, Mom.“ Langsam verebbte der Schmerz in Marnies Brust. „Wir reden morgen weiter.“ Sie steckte das Handy in ihre Tasche und stieg aus. Unter der eingedrückten Motorhaube zischte Dampf hervor. Jetzt kletterte der Fahrer ebenfalls aus dem gelben Taxi. Er lief auf und ab, hielt sich den Kopf und murrte vor sich hin, teils auf Englisch, teils in einer Sprache, die Marnie nicht kannte.

Die Motorhaube hatte sich unter einen silbernen Sportwagen geschoben, dessen Kofferraum einer Ziehharmonika ähnelte. Ein großer, dunkelhaariger, ebenso gut aussehender wie wütender Mann stand neben dem teuren Auto. Er brüllte den Taxifahrer an, der beide Hände hob und tat, als verstünde er kein Wort Englisch.

Marnie nahm ihre Handtasche von der Rückbank und ging auf den Mann zu. Einer dieser attraktiven Anwälte, dachte sie angesichts seines dunklen Nadelstreifenanzugs, der gelockerten Krawatte und des weißen Hemdes, dessen oberster Knopf offen war. Sexy wirkte er mit den blauen Augen und den Bartstoppeln auf dem markanten Kinn. Die Heiratsvermittlerin Marnie erkannte in ihm auf Anhieb jenen Typen, der bei ihren Kundinnen hoch im Kurs stand. Die Frau Marnie hingegen …

Nun, die Frau nahm ihn ganz anders wahr. Als einen Mann, der das Blut heißer durch ihre Adern strömen ließ und ihren Puls beschleunigte. Das war ihr sehr lange nicht mehr passiert. Derart lange, dass sie sich schon gewundert hatte, ob sie diesen inneren Aufruhr jemals wieder spüren würde.

Wie auch immer. Das Letzte, was Marnie jetzt brauchte, war ein reicher Rechthaber. Sie hatte so viele von denen kennengelernt, dass sie sie zielsicher aus Tausenden von Menschen auf der Tribüne von Fenway Park, dem Baseballstadion der Boston Red Sox, herauspicken konnte.

„Alles in Ordnung?“, erkundigte sie sich.

Der Taxifahrer nickte, woraufhin der Mann im Anzug ihn finster ansah und sich Marnie zuwandte. Jetzt blickte er ein wenig milder drein. „Ja. Mir ist nichts passiert. Und Ihnen?“

„Auch nicht. Es hat mich nur ein bisschen durchgeschüttelt.“

„Gut.“ Er sah ihr noch einen Moment in die Augen, bevor er sich zum Taxifahrer umdrehte. „Haben Sie die rote Ampel nicht bemerkt? Wo haben Sie denn Ihren Führerschein her? Aus einem Bonbonautomaten?“

Der Fahrer schüttelte den Kopf, als könnte er nichts verstehen.

Sein Gegenüber stieß einen Fluch aus und fragte Marnie: „Was haben Sie sich dabei gedacht, mit einem Wahnsinnigen durch Boston zu kutschieren?“

„Mir hält nun mal niemand einen Lebenslauf und Versicherungspapiere unter die Nase, bevor ich in ein Taxi steige. Ich kann ja nachvollziehen, dass Sie frustriert sind, aber …“

„Frustriert ist stark untertrieben. Dieser Tag war die Hölle, und jetzt endet er auch noch höllisch.“ Er funkelte den Taxifahrer an, der zum Wagen zurückgeschlichen war und jetzt hinter dem Lenkrad saß. „Warten Sie! Was machen Sie da?“

„Ich mache überhaupt nichts“, entgegnete Marnie. Metall schepperte, Reifen quietschen, und ihr wurde klar, dass der Mann gar nicht mit ihr redete – sondern mit dem Unfallverursacher, der gerade Fahrerflucht beging. Dampfend und geräuschvoll verschwand das gelbe Auto hinter einer Ecke.

Sirenen ertönten in einiger Entfernung, also hatte jemand schon einen Notruf abgesetzt. Leider nicht früh genug.

Der Nadelstreifentyp schimpfte leise. „Toll. Genau das hat mir heute noch gefehlt.“

„Tut mir leid.“ Marnie ging ein paar Schritte zur Seite und hob den Arm, um ein Taxi heranzuwinken. „Viel Glück. Ich hoffe, Ihr Abend wird besser, als er angefangen hat.“

„Hey! Sie können nicht einfach gehen. Sie sind meine Zeugin.“

„Hören Sie, ich bin erschöpft und will nur noch nach Hause.“ Sie hob den Arm höher und hielt nach einem Taxi Ausschau. Fehlanzeige. Ihre Füße brannten. Sobald sie zu Hause ankam, würde sie ihre Schuhe wegschmeißen. „Hier ist meine Telefonnummer. Rufen Sie mich wegen meiner Aussage an.“ Marnie zog eine Visitenkarte aus der Handtasche und hielt sie dem Fremden hin.

Er ignorierte das Kärtchen. „Ich will, dass Sie hierbleiben.“

„Und ich will nach Hause.“ Sie winkte heftig, weil sich ein gelbes Auto näherte, doch es fuhr vorüber. „Menschenskind, wir sind in Boston. Warum gibt es hier kein Taxi?“

„Das Spiel der Celtics läuft noch. Wahrscheinlich sind alle verfügbaren Wagen am Basketballstadion.“

„Klasse.“ Marnie ließ den Arm sinken und dachte an den Fußmarsch, der ihr bevorstand. Zehn Häuserblocks waren kein Spaß mit diesen hohen Absätzen. Erst recht nicht nach einem achtzehnstündigen Arbeitstag, von dem sie die letzten vier Stunden mit Tanzen und Smalltalk verbracht hatte. Sie hätte nicht zwei Tassen Kaffee, sondern eine ganze Kanne trinken sollen.

„Ich mache Ihnen einen Vorschlag“, meinte der Mann. „Wenn Sie warten, bis ich der Polizei den Unfall gemeldet habe, fahre ich Sie nach Hause. Auf diese Weise können Sie Ihre Aussage machen und zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.“

Sie zögerte. „Ich weiß nicht. Ich bin wirklich müde.“

„Es geht doch nur um ein paar Minuten. Dann brauchen Sie mich nie wiederzusehen.“ Er lächelte.

Nett sah er aus. Marnie lächelte zurück. Sie blickte die Straße entlang in die Richtung, in der ihre Wohnung lag. Was wog schwerer: das weiche Bett, das auf sie wartete, oder der lange Fußmarsch? Beim Gedanken an Letzteren schmerzten ihre Füße noch mehr. Dämliche Schuhe.

Marnie musterte das verunstaltete silberne Auto. „Sind Sie sicher, dass Sie mich damit nach Hause bringen können?“

„Es fährt noch. Nur das Hinterteil ist nicht mehr so knackig wie vorher.“ Er grinste entwaffnend. „Verzeihung. Schlechter Witz.“

Sie musste lachen. Auf einmal fühlten sich ihre Schultern etwas weniger verspannt an, und ihre Füße quälten sie nicht mehr ganz so sehr. „Im Moment klingt sogar ein schlechter Witz gut.“ Kein Taxi kam in Sicht, deshalb entschied Marnie: „Okay, ich warte.“

Nicht, dass es ein Opfer gewesen wäre. Dieser Typ konnte gut und gern die Titelseite einer Zeitschrift zieren. Er sah wirklich heiß aus. Ob er ihr wohl seine Kontaktdaten gab? Mindestens ein Dutzend ihrer Kundinnen wären …

Du arbeitest ja dauernd.

Marnie glaubte, die Stimme ihrer Mutter zu hören. Nimm dir mal frei und entspann dich. Geh selbst mit einem Mann aus, statt Dates für andere Frauen zu arrangieren. Sei nicht immer so ernst und zugeknöpft.

Niemand schien zu begreifen, dass diese zugeknöpfte Art der Schlüssel zum Erfolg war. Marnie hatte miterlebt, wie eine allzu lockere Einstellung eine Firma ruinieren konnte. Den Fehler wollte sie auf keinen Fall selbst machen. Jemand wie der attraktive Fremde würde sie nur vom Wesentlichen ablenken, und das konnte sie sich nicht leisten.

Er öffnete die Beifahrertür. „Setzen Sie sich doch. Sie sehen aus, als hätten Sie einen anstrengenden Tag hinter sich. Ich weiß, wie man sich dann fühlt.“

Marnie sank auf den Ledersitz, streifte die hohen Sandaletten ab und ließ sie auf den Bürgersteig purzeln. Der Fremde lehnte sich an die hintere Tür der Beifahrerseite. Er wirkte wie ein Mann, der sich in seiner Haut wohlfühlte und mit der Welt im Reinen war. Selbstbewusst und sexy, aber nicht zu sehr. Eine scharfe Mischung, vor allem mit Anzug und Krawatte. Marnie sah ihn nachsichtig an. Vielleicht war er ja doch kein Rechthaber.

„Stimmt. Ich hatte tatsächlich einen langen, anstrengenden Tag.“ Sie streckte ihm die rechte Hand hin. „Lassen Sie uns noch einmal von vorne anfangen. Ich heiße Marnie Franklin.“

„Jack Knight.“

Der Name kam ihr bekannt vor, aber bevor sie ihn einordnen konnte, nahm Jack Knight ihre Hand, und schlagartig fühlte sie ein wundervolles Prickeln im ganzen Arm. Hätte sie nicht gesessen, wäre sie glatt zurückgewichen, so unerwartet traf es sie. In ihrer Branche schüttelte sie pro Woche Dutzenden von Männern die Hände. Keiner hatte je so etwas in ihr ausgelöst.

Vielleicht war es eine Überreaktion, wegen der Erschöpfung. Oder der Unfall hatte sie doch stärker aus der Bahn geworfen als gedacht. Marnie ließ Jack Knights Hand los und strich sich die Haare aus der Stirn, um sich davon abzuhalten, ihn noch einmal zu berühren.

Gleich darauf traf die Polizei ein. Die beiden Beamten sahen aus, als würden sie lieber eine Wurzelbehandlung beim Zahnarzt ertragen, als einen weiteren Verkehrsunfall aufnehmen. In Boston krachte es ständig. Zehn Minuten lang beantworteten Marnie und Jack Fragen. Als die Polizisten weg waren, meinte er: „Danke, dass Sie geblieben sind.“

„Kein Problem.“

Er bückte sich nach ihren schwarzen Schuhen und hakte die Zeigefinger unter die dünnen Fesselriemchen. In seinen starken Händen sahen die Sandaletten noch zierlicher aus, als sie waren. „Ihre Schuhe, Aschenputtel.“ Er zwinkerte, und schon wieder keimte das undefinierbare Gefühl von eben in Marnie auf.

„Ich bin ganz und gar kein Aschenputtel.“ Sie beugte sich vor und schlüpfte in die hübschen, aber unbequemen Schuhe. „Schon eher eine nicht ganz so böse Stiefmutter, die ihre Töchter mit Prinzen verkuppeln will.“

Jack lächelte. „Jeder Frau steht es zu, mindestens einmal im Leben Aschenputtel zu sein.“

„Vielleicht. Falls sie an Märchen glaubt.“

Marnie verdiente ihre Brötchen zwar damit, Menschen beim Verlieben zu helfen, doch sie spürte immer weniger Neigung, sich selbst in eine Romanze zu stürzen. In ihrer Anfangszeit als Heiratsvermittlerin war sie naiv und idealistisch gewesen. Heute hingegen …

Heute kannte sie die Realität und griff nicht mehr nach den Sternen. Marnie wusste, dass ihre Arbeit darunter litt. Irgendwie musste sie den Glauben an das zurückgewinnen, was sie ihren Kunden predigte – dass wahre Liebe existierte.

Jack schloss die Beifahrertür, ging um den Wagen herum und stieg ein. Leise schnurrend sprang der Motor an. „Wo wohnen Sie?“

Sie nannte ihm die Adresse, und er fuhr los. Marnie lehnte sich zurück. Das weiche, dunkle Leder schmiegte sich an ihren Körper, als wäre es dafür geschaffen. Verdammt. Sie durfte sich nicht an dieses gute Gefühl gewöhnen, sonst glaubte sie tatsächlich noch an das Märchen von Aschenputtel. Die Fahrt in der Luxuslimousine kam der in einer königlichen Kutsche ziemlich nah, und Jack Knight ging locker als schöner Prinz durch.

„Tut mir leid, dass ich so mürrisch war“, sagte er. „Der Unfall hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Ich weiß es wirklich zu schätzen, dass Sie mit den Polizisten geredet haben. Kaum zu glauben, wie gut Sie den Taxifahrer beschreiben konnten.“

Marnie zuckte die Schultern. „Das verdanke ich meinem Vater. Er wollte immer, dass ich mir bei Ausflügen den Namen des Kellners oder Taxifahrers merke. Später hat er mich nach solchen Details gefragt. Er meinte, das sei nützlich. Stimmt.“

Ihr Vater hatte sie selten Marnie genannt, fast immer Daisy, weil sie Gänseblümchen liebte. Seine klugen Ratschläge fehlten ihr ebenso wie sein liebevolles Necken. „Außerdem hatte der Taxifahrer die Hände öfter am Navigationsgerät als am Steuer. Das hat mich hellhörig gemacht. Am liebsten wäre ich auf den Fahrersitz gerutscht, um das Steuer zu übernehmen.“

Jack lachte leise. „Freut mich, dass ich nicht der einzige Kontrollfreak in diesem Wagen bin.“

„Ich? Ein Kontrollfreak? Nein.“ Sie zog die Nase kraus. „Okay, vielleicht doch. Ein bisschen. Aber in meinem Elternhaus ging es oft … verrückt zu. Irgendjemand musste die Zügel in die Hand nehmen.“

„Lassen Sie mich raten. Sind Sie das älteste Kind? Ein Einzelkind?“

„Das mittlere Kind, allerdings nur neun Monate jünger als meine große Schwester.“

„Aha. In dem Fall haben Sie wohl nicht nur die Zügel in die Hand genommen, sondern auch die Vermittlerin gespielt.“ Jack warf ihr einen kurzen Blick zu.

Er hatte nur wenige Worte gebraucht, um Marnie treffsicher zu beschreiben. „Lesen Sie in Ihrer Freizeit Bücher über Psychologie?“, fragte sie.

„Nein. Ich arbeite bloß in einer Branche, in der es wichtig ist, Leute schnell und richtig einzuschätzen.“

„Ich auch. Obwohl ich nicht immer mag, was ich dabei erkenne.“

„Geht mir genauso.“ Wieder sah Jack sie an. Diesmal ruhten seine blauen Augen länger auf Marnie, bevor er sie wieder auf die Straße richtete. „Also, Aschenputtel. Warum sind Sie so abgeklärt?“

Der Themenwechsel überraschte sie. „Nicht abgeklärt. Nur realistisch.“

„Dann sind wir schon zu zweit. Bei meinem Job ist Realitätssinn unverzichtbar.“

Im bernsteinfarbenen Licht der Straßenlampen wirkte Jacks Profil etwas weniger kantig. Er klang gleichmütig, aber Marnie spürte, dass eine harte Zeit hinter ihm lag. Vielleicht eine hässliche Trennung oder Scheidung? Wie auch immer. Er mochte ein undefinierbares Kribbeln in ihr auslösen, doch sie war nicht scharf auf einen Mann mit Altlasten. Bleib bei unpersönlichen Themen, Marnie.

Sein Handy klingelte, und auf dem Bildschirm in der Mitte des Armaturenbretts leuchtete das Wort Dad auf. „Ist es Ihnen recht, wenn ich rangehe?“, fragte Jack. „Sonst ruft er immer wieder an.“

Marnie machte eine einladende Handbewegung. „Nur zu. Ich kenne das.“

Jack tippte auf den Bildschirm. „Hey, Dad, wie geht’s dir? Bevor du antwortest: Ich sitze im Wagen, und jemand hört mit, also plaudere bitte keine Familiengeheimnisse oder peinlichen Anekdoten aus.“

„Du hast Gesellschaft?“, erklang eine tiefe, amüsierte Stimme. „Hoffentlich ist deine Beifahrerin hübsch.“

Jack sah Marnie an. Als er lächelte, rieselte ihr ein Schauer über den Rücken. „Ja, sehr hübsch sogar. Benimm dich.“

Sein Vater lachte. „Spielverderber. Der einzige Grund, warum ich morgens aufstehe, ist doch die Aussicht, mich schlecht zu benehmen.“

„Eltern“, murmelte Jack und verdrehte die Augen.

Offenbar war Marnie nicht die Einzige mit einem schwierigen Elternteil. Jack behandelte seinen Vater mit einer Mischung aus Zuneigung und Humor, die ihr gefiel. Sie hätte gern gewusst, was für ein Mensch in dem Nadelstreifenanzug steckte. Interessanter Mann. Fast schon … gefährlich.

In ihrem Leben gab es allerdings weder Zeit noch Platz für einen Mann. Nicht mal für einen derart attraktiven wie Jack Knight. Vor allem deshalb, weil ihre Firma so gut wie jede Minute beanspruchte.

Helen hätte jetzt protestiert, doch Marnie kannte ihren Job und sich selbst. Eine Beziehung lenkte sie nur ab. Vielleicht später, wenn Ruhe in ihr Unternehmen und ihr Leben eingekehrt war.

Und wann soll das sein, bitte schön?

Seit Jahren verschob sie ihr Privatleben auf später. Sie musste den richtigen Zeitpunkt – oder den richtigen Mann – finden, um Liebe in ihr Herz zu lassen.

„Ich wollte fragen, wann du nach Hause kommst“, sagte Jacks Vater. „Du arbeitest ja mehr Stunden als der Präsident.“

Marnie dachte an das Telefonat mit ihrer Mutter. Sie erwartete halb, dass Mr Knight seinen Sohn jetzt auch zu einem Brunch inklusive Date überreden wollte.

„Ich bin auf dem Weg. Gib mir zwanzig Minuten. Hast du schon gegessen?“

„Ja. Sandwiches. Wieder mal. In deinem Kühlschrank stehen ja hauptsächlich Bierflaschen und verschimmelte Reste vom Lieferservice.“

„Weil ich so gut wie nie zu Hause esse.“

„Genau.“ Der ältere Herr räusperte sich. „Ich habe eine Idee. Komm doch mit deiner hübschen Begleiterin her, und wir …“

„Hey, keine peinlichen Vorschläge, weißt du noch?“

„Okay, okay. Fahr vorsichtig.“

Jack verabschiedete sich und legte auf. „Tut mir leid. Manchmal ist mein Vater recht … anhänglich. Seine Scheidung liegt zwar schon ein paar Jahre zurück, aber er wirkt immer noch irgendwie verloren.“

„Meine Mutter auch. Sie ruft mich alle fünf Minuten an, um sich zu vergewissern, dass ich Gemüse esse, Sonnencreme benutze und nicht zu viel arbeite.“

Er lachte. „Klingt, als würden wir vom selben Menschen sprechen. Seit mein Dad sein Haus verkauft hat, wohnt er bei mir und überlegt, ob er in Boston bleiben oder nach Florida ziehen soll. Er fühlt sich berufen, jede meiner Handlungen und jedes meiner Möbelstücke zu kommentieren.“

„Und das, was in Ihrem Kühlschrank steht oder eben auch nicht steht.“ Marnies Mom kam fast jeden Sonntag vorbei. Nicht in erster Linie, um ihre Tochter zu besuchen, sondern, um nach dem Rechten zu sehen. Iss mehr Gemüse. Du solltest öfter kochen. Gäbe es einen Mann in deinem Leben, bräuchtest du dies oder jenes nicht selbst zu tun.

Marnie liebte Helen, aber ihr war vor langer Zeit klar geworden, dass Mutterliebe aufdringlich sein konnte. „Ich höre jede Woche, dass ich häufiger kochen soll und mein Privatleben den Namen nicht verdient. Meine Mutter vergisst, wie viel ich arbeite. Wenn ich nach Hause komme, steht mir nicht der Sinn danach, eine Lasagne zu zaubern.“

„Ich glaube, dafür gibt es Kurse an der Volkshochschule“, meinte Jack. „Wie nerve ich meine erwachsenen Kinder.“

Sie lächelte. „Vielleicht sollten Sie die Aufmerksamkeit Ihres Vaters auf etwas anderes lenken. Etwas, für das er sich richtig begeistern kann. Dann konzentriert er sich nicht mehr auf Sie. Es gibt viele Aktivitäten für ältere Singles. Manche sind verkappte Dates, Zusammenkünfte in Sachen Hobbys wie Kochen oder Haustiere.“

Marnie schaffte es einfach nicht, die Arbeit Arbeit sein zu lassen. Sie war Heiratsvermittlerin mit Leib und Seele. Morgen würde sie Kandidaten für ihre Mutter suchen, und bald konnte sie Helen dann freundlich sagen, sie möge sich aus dem Leben ihrer Tochter raushalten.

Na klar. Das hatte Marnie noch bei keinem Menschen gemacht, erst recht nicht bei ihrer Mom. Gleichzeitig konnte sie sehr wohl anderen Leuten Ratschläge geben. Darin war sie ihren Schwestern zufolge unübertroffen.

Er nickte. „Vor ein paar Jahren habe ich das mal probiert. Es ist nicht besonders gut gelaufen, aber Sie haben recht, ich sollte einen neuen Anlauf machen. Inzwischen ist mein Dad vielleicht offener für Unternehmungen. Vor allem für solche, bei denen er Damen kennenlernt.“

Autor

Shirley Jump
Shirley Jump wuchs in einer idyllischen Kleinstadt in Massachusetts auf, wo ihr besonders das starke Gemeinschaftsgefühl imponierte, das sie in fast jeden ihrer Romane einfließen lässt. Lange Zeit arbeitete sie als Journalistin und TV-Moderatorin, doch um mehr Zeit bei ihren Kindern verbringen zu können, beschloss sie, Liebesgeschichten zu schreiben. Schon...
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