Sturm der Liebe über der Ägäis

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Die mächtigen griechischen Reederfamilien Antoniadis und Tsaliki sind seit Generationen verfeindet – sehr zum Kummer von Lydia Antoniadis. Um Frieden zu stiften, nimmt sie heimlich Kontakt zu Alexis Tsaliki auf. Gegen jede Vernunft lässt sie sich dabei von dem berüchtigten Playboy zu einem verboten sinnlichen Wochenende verführen. Als sie Wochen später feststellt, dass sie sein Kind erwartet, gibt es nur eine Lösung, um ihre geliebte Familie vor dem drohenden Ruin zu bewahren: eine Scheinehe mit Alexis. Doch er stellt eine unmögliche Bedingung …


  • Erscheinungstag 09.12.2025
  • Bandnummer 2730
  • ISBN / Artikelnummer 9783751535250
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Michelle Smart

Sturm der Liebe über der Ägäis

1. KAPITEL

Lydia Antoniadis schaute durch das Fernglas, das sie sich von einem Besatzungsmitglied hatte reichen lassen, und beobachtete, wie das Versorgungsboot von Sephone in Richtung Kos ablegte. Dabei erhaschte sie einen flüchtigen Blick auf eine Gestalt, die unter Deck ging – nicht sonderlich ungewöhnlich, aber seltsam, weil sie eine starke Ähnlichkeit mit Lucie Burton aufwies. Aber Lucie konnte es nicht sein, weil Lucie morgen auf Sephone Lydias Bruder Thanasis heiraten würde.

Bestimmt hatte sie es sich nur eingebildet. Der Abstand zwischen der Jacht, auf deren Deck sie stand, und dem kleinen Versorgungsschiff war groß.

Nur eine Illusion, sagte sie sich, bevor sie das Fernglas auf Sephone richtete. Die mehrstöckige Luxusvilla leuchtete weiß unter der aufgehenden Sonne. Leute wuselten umher, aber dabei handelte es sich um Personal. Nicht überraschend, wenn man bedachte, dass hunderte Gäste zur Hochzeit eingeladen waren und zugesagt hatten. Die meisten von ihnen würden heute eintreffen.

Lydia leerte ihr Wasserglas und sah wieder hinaus auf die Ägäis.

„Du bist früh wach, Kind.“

Lydia zuckte zusammen. Aber sie senkte das Fernglas nicht. „Ich habe gar nicht gehört, wie du dich angeschlichen hast.“

„‚Angeschlichen‘? Wohl kaum.“ Ihre Mutter lehnte sich neben sie an das Geländer. „Was fesselt dich so?“

„Nichts. Ich versuche nur, die Jachten zu identifizieren, die hierher unterwegs sind.“

„Und?“

„Sie sind noch zu weit entfernt. Anscheinend sind wir die dritte Partei, die ankommt.“ Zwei Luxusjachten lagen schon vor Anker. Sie fuhren daran vorüber, während die Crew sich darauf vorbereitete, in dem kleinen Hafen am Dock anzulegen. Lydias Bruder weigerte sich, die Küstenlinie seiner kostbaren Insel ausbaggern zu lassen, um dort mehr Raum zu schaffen.

„Sind schon welche von denen da?“

Von denen. Sie meinte die Tsalikis.

„Nein“, sagte Lydia. Sie umklammerte mit den Fingern die Reling.

„Gut. Ich kann ihre Gesichter nicht vor dem Frühstück ertragen. Hast du schon gegessen?“

„Ich esse später.“ Sie war so angespannt, dass es ihr schon schwerfiel, etwas zu trinken.

„Du musst etwas essen!“

„Keine Sorge, mir geht es gut.“

„Keinem von uns geht es gut, mein Schatz. Trotzdem sollten wir alle eine Kleinigkeit frühstücken. Es werden ein paar harte Tage. Wir brauchen all unsere Kraft.“

Lydia nickte automatisch.

Seit das Leben ihrer Familie so durcheinandergeraten war, war ihre Mutter im Überlebensmodus. Das stählerne Lächeln in ihrem Gesicht zeugte von der eisernen Entschlossenheit, zu überstehen, was auch immer mit ihrem Familienunternehmen, der Reederei Antoniadis, und ihrem Vermögen passieren würde. Dieser Überlebensmodus beinhaltete gutes Essen. Ihre Mutter hatte sich schon immer gern um andere gekümmert, aber die letzten paar Monate hatte Lydia kaum je den Raum betreten können, ohne dass ihre Mutter ihr sofort etwas zu essen angeboten hatte.

Der Anlass, zu dem sie nach Sephone gereist waren, würde die Entschlossenheit ihrer Mutter auf eine harte Probe stellen: die Hochzeit zwischen Lydias Bruder Thanasis und Lucie Burton, der Stieftochter ihres Erzfeinds Georgios Tsaliki. Die nächsten drei Tage würden sie unter den Augen der Presse mit den Tsalikis an einem Tisch sitzen, tanzen und lachen. Es war die letzte Chance, ihr Unternehmen – und damit ihre Familie – vor dem Konkurs zu retten.

Ihre Jacht legte wenige Minuten später neben der von Thanasis an. Es war Zeit, an Land zu gehen und mehr oder weniger überzeugend die ihnen zugewiesenen Rollen zu spielen. Lydias Vater schritt entschlossen vorweg, als hätte er sein ganzes Leben ungeduldig auf diese Hochzeit gewartet. Ihre Mutter folgte ihm, das Lächeln unverrückbar. Während Lydia hinter ihnen von Bord stieg, versuchte sie, genauso kühl zu lächeln und dabei nicht über das verhängnisvolle Geheimnis nachzudenken, das sie in sich trug.

Alexis Tsaliki las die Nachricht, die Thanasis Antoniadis ihm geschickt hatte, zum dritten Mal, fluchte und rief über das Bordtelefon auf der Brücke an. „Machen Sie den Jetski für mich fertig. Sofort!“ Er sprang aus dem Bett, zog sich hastig Shorts und T-Shirt über, lief zur Kabine seines Vaters und klopfte. Seine Stiefmutter machte ihm auf und öffnete empört den Mund, als sie ihn sah, aber es war keine Zeit für das übliche Geplänkel. „Wo ist mein Vater?“

„Unter der Dusche. Was ist denn los?“

Ohne eine Antwort drängte er sich an Rebecca vorbei und hämmerte gegen die Badezimmertür. „Dad, komm da raus. Wir müssen reden!“

„Was ist denn?“, fragte seine Stiefmutter erneut.

Alexis gab sich keine Mühe, die Verachtung, die er normalerweise der Familie zuliebe verbarg, nicht zu zeigen. „Deine Tochter ist los.“ Er schlug noch heftiger gegen die Tür.

„Lucie? Was ist passiert?“

„Dad!“, brüllte er. „Es ist wichtig, verdammt noch mal!“

Die Badezimmertür öffnete sich. In einer Wolke aus Dampf stand sein Vater vor ihm und band sich hastig den Bademantel zu. „Was ist los?“

„Lucie weiß Bescheid! Sie ist weg. Die Hochzeit ist abgesagt.“

Vor Alexis’ Augen fiel sein Vater in sich zusammen.

„Was soll das heißen, sie ist weg?“ Rebeccas Stimme hob sich panisch.

Aus jeder Ecke der Jacht kamen jetzt seine Geschwister hervor, die den Aufruhr gehört hatten. Es dauerte nicht lange, bis das Stimmengewirr anschwoll, und es schien, als ob alle auf einmal redeten.

„Mehr weiß ich auch nicht!“ Es kostete ihn Mühe, sich verständlich zu machen. „Zieht euch an. Wir sind gleich da. Ihr könnt mit dem Boot übersetzen. Ich nehme den Jetski, damit ich herausfinden kann, was los ist. Vielleicht kann ich Lucie finden und sie dazu bringen, Vernunft anzunehmen.“

Er gab ihnen keine Chance, zu diskutieren, sondern drängte sich an ihnen vorbei aus der Kabine.

Der Jetski wartete auf ihn. Er sprang darauf und fuhr los, ohne sich darum zu kümmern, dass er keine Rettungsweste trug – geradewegs in Richtung Sephone.

Lydia sah die Gestalt, die auf dem Jetski auf die Insel zuhielt, als Erste. So groß die Entfernung auch war, diesmal erkannte sie sofort, um wen es sich handelte, und spürte, wie eine Welle der Übelkeit in ihr aufstieg.

„Es wird schon, Kind“, sagte ihr Vater, dem ihre Reaktion auffiel, und schlang einen leicht zitternden Arm um sie. Er küsste sie aufs Haar. „Ich verspreche dir: Alles wird gut.“

Sie lehnte sich an ihn, kämpfte gegen die Tränen und den Drang, zu schreien. Zu schreien, bis sie heiser und außer Atem war.

„Thanasis bringt es wieder in Ordnung“, sagte er, als wäre ihr Bruder ein Gott, der die Welt nach seinem Willen gestalten konnte.

„Aber wie?“, flüsterte sie. „Jetzt wird Lucie ihn niemals heiraten. Es ist vorbei. Alles ist vorbei!“

Sie schaute zu ihrer Mutter, die auf dem weißen Sand zusammengesunken war, das vorherige Lächeln wie weggewischt. Und weiter zu ihrem Bruder. Thanasis hockte reglos auf demselben Felsen, an dem er gelehnt hatte, als er ihnen erklärt hatte, was geschehen war. Ihr großer Bruder, der sonst immer alle Antworten kannte, saß da wie ein Teddybär ohne Füllung.

Und der Jetski kam immer näher.

Eine neue Welle der Übelkeit durchlief sie, gefolgt von hilfloser Wut. Und ohne darüber nachzudenken, was sie tat, entwand sie sich ihrem Vater und fauchte ihren Bruder an: „Was hast du dir nur dabei gedacht, Lucie anzulügen?“

Er zuckte nicht einmal mehr zusammen. Als ob ihn mit seinem Geständnis alle Kraft verlassen hatte.

Vor knapp zwei Wochen hatte Lucie einen Autounfall gehabt und zwei Tage mit einer Kopfverletzung im Koma gelegen. Thanasis hatte sie nach Sephone gebracht, damit sie sich dort in Ruhe erholen konnte. Das ergab Sinn. Die Insel war ein stilles Paradies. Dort sollte auch ihre Hochzeit stattfinden. Aber was Lydia, ihre Eltern und der Rest der Welt nicht gewusst hatten, war, dass Lucies Unfall geschehen war, nachdem sie die Hochzeit abgesagt hatte und aus Thanasis’ Wohnung in Athen geflohen war. Sie hatte bei dem Autounfall einen Gedächtnisverlust erlitten und sich weder an die bevorstehende Hochzeit noch an die vorhergehende Auseinandersetzung erinnert. Und Thanasis hatte mit Lucies Mutter, ihrem Stiefvater und ihrem ältesten Stiefbruder Alexis verabredet, Lucie glauben zu machen, sie und Thanasis wären unsterblich ineinander verliebt. Dabei war die Ehe nur als temporäre Notlösung gedacht gewesen – um beide Familien vor dem Ruin zu retten.

„Nicht, Lydia“, sagte ihre Mutter müde. „Dein Bruder leidet schon genug.“

Normalerweise hätte diese Warnung gereicht, dass Lydia es hätte gut sein lassen. Aber sie konnte nicht klar denken. Ihr Herz schlug zu wild. „Er leidet? Das geschieht ihm recht! Lucie hat es nicht verdient, so behandelt zu werden.“ Sie stemmte die Hände in die Hüften, um sich davon abzuhalten, ihren Bruder zu schütteln. „Sie hat ihr Heim und ihre Karriere aufgegeben, um unser Unternehmen zu retten, und du hast ihr das angetan?“

Die Verlobung und die Hochzeit hatten nie etwas mit Liebe zu tun gehabt. Der langjährige, nervenzehrende Krieg zwischen Petros Antoniadis und dessen Erzfeind Georgios Tsaliki – einst sein Freund und Geschäftspartner –, war kürzlich eskaliert. Georgios hatte die Motoren der Frachtschiffe der Reederei Antoniadis sabotieren lassen. Lydias Vater hatte sich gerächt, indem er Schädlinge in Georgios’ Schiffen hatte aussetzen lassen. Als die Medien davon Wind bekommen und angefangen hatten, nachzuforschen, hatte sich die Angelegenheit zu einem handfesten Skandal ausgewachsen. Die jahrzehntelange Rivalität mit all ihren unschönen Auswüchsen war nun ans Licht gekommen. Beiden Unternehmen hatte das schweren Schaden zugefügt. Die Lage der Reederei Tsaliki war nicht ganz so katastrophal. Trotzdem waren sich beide Familien einig gewesen, dass der einzige Weg, den Skandal zu begraben – und für bessere Presse zu sorgen –, darin bestand, eine Versöhnung vorzutäuschen. Diesen Zweck hätte die Hochzeit zwischen Thanasis und Georgios’ Stieftochter Lucie erfüllen sollen.

Nur leider hatte sich die alte Feindschaft in der nächsten Generation fortgesetzt. Thanasis war entschlossen gewesen, Lucie nicht zu mögen. Sie hatte gelernt, ihn zu verachten.

Und jetzt hatten alle die Ärmste zu dem Glauben verleitet, Thanasis würde sie aufrichtig lieben – und sie hatte ihm ihr Herz geöffnet.

Lydia brauchte nicht viel Vorstellungsvermögen, um sich lebhaft ausmalen zu können, wie sehr es Lucie verletzt haben musste, die Wahrheit zu erfahren. Herauszufinden, dass man sie benutzt und manipuliert hatte.

„Er hat getan, was er tun musste!“, widersprach ihre Mutter. „Er hat nur versucht, uns alle zu retten.“

„Aber er hat uns nicht gerettet, oder? Mein ehrenhafter Bruder …“ Voller Abscheu schüttelte sie den Kopf. „Ihr Männer seid alle gleich. Ihr lügt und lügt und lügt. Und jetzt hast du auch noch die Dreistigkeit, dazusitzen und dir selbst leidzutun? Du bist schuld, Thanasis. Du allein. Wenn du mich gefragt hättest, statt auf diesen Mistkerl Alexis zu hören, hätte ich dir geraten, ihr gegenüber ehrlich zu sein. Und jetzt sieh dir an, was passiert ist!“

„Ich werde sie finden und sie hierher zurückbringen. Auf mich wird sie hören.“

Beim unerwarteten Klang der fatal vertrauten Stimme zuckte Lydia zusammen.

Wie ein Rudel von Erdmännchen schauten ihre Mutter, ihr Vater und ihr Bruder alle zeitgleich über die Schulter in Alexis’ Richtung.

Lydia war sich nicht sicher, ob die Zeit wirklich stehen blieb oder es sich nur so anfühlte. Aber in den Augenblicken, die verstrichen, bevor sie sich zu ihm umwandte, sagte niemand ein Wort.

Sie stand dem Mann gegenüber, den sie zuletzt nackt gesehen hatte. Und musste gegen den jähen Drang kämpfen, sich zu übergeben. Mühsam raffte sie jedes Fitzelchen ihrer Selbstbeherrschung zusammen, richtete sich so gerade auf, wie es mit ihrer geringen Größe ging, und verschränkte die Arme vor der Brust. Dann erst begegnete sie dem Blick, bei dem ihr damals die Knie weich geworden waren. Mit aller Wut und Verachtung, die sie aufbrachte – und das war im Moment nicht wenig. „Du wirst Lucie gefälligst in Ruhe lassen!“

Seine blaugrauen Augen hielten ihrem Blick einen Augenblick lang stand, bevor er wegschaute. „Wo ist sie?“

„Fort“, antwortete Thanasis mit derselben tonlosen Stimme.

„Wohin? Wie hat sie es herausgefunden? Ist ihre Erinnerung zurückgekehrt?“

„Ich habe es ihr gesagt.“

„Du …“ Die vollen, sinnlichen Lippen, die Lydia bis zur Benommenheit geküsst hatten, öffneten und schlossen sich. „Du hast …? Was zum …?“

„Sie musste es erfahren.“

„Nein. Sie musste nur eine einzige Sache: dich heiraten! Hast du den Verstand verloren?“

„Ja.“

„Wo ist sie?“

Niemand antwortete. Lydia dachte an das Versorgungsschiff, das in Richtung Kos gefahren war, und die Gestalt, die sie unter Deck hatte schlüpfen sehen, und sagte: „Es spielt keine Rolle. Sie möchte Thanasis nicht heiraten. Damit ist die Sache vom Tisch.“

Alexis sah sie nicht einmal an. „Siehst du diese Jachten, die sich gerade der Insel nähern, Thanasis? Das sind deine Gäste. Deine Hochzeitsgäste. Die Presse ist auch hierher unterwegs. Wenn wir Lucie nicht zurückholen, ist es zu spät.“

„Es ist schon zu spät!“, zischte Lydia. „Lucie will ihn nicht heiraten. Und ich mache ihr daraus keinen Vorwurf!“

Es war, als ob ihre Stimme gar nicht an seine Ohren drang. Nach wie vor schaute er nur Thanasis an. „Mir fallen ein paar Orte ein, wohin sie gehen könnte. Ich setze meine Leute darauf an. Wenn du …“

„Nein.“ Auf einmal wirkte Thanasis nicht mehr kraftlos. „Nein, wir lassen sie in Ruhe. Das ist alles, was sie will.“

„Was ist bloß los mit dir? Wen kümmert, was sie …“

Ein wütendes Brüllen unterbrach Alexis. Eine Sekunde später fand er sich auf dem Rücken wieder. Und noch eine Sekunde später kniete Thanasis über ihm und schlug ihm mit der Faust ins Gesicht. Aber bevor Lydia auch nur blinzeln konnte, hatte Alexis ihre Positionen vertauscht und holte seinerseits zum Schlag aus.

„Halt!“, schrie sie.

Es war Lydias Schrei, der Alexis davon abhielt, Thanasis die Faust ins Gesicht zu rammen, wie der Mistkerl es verdient hatte.

Schwer atmend kam er auf die Füße, wischte sich das Blut von der Lippe und klopfte sich den Sand ab. Sein verächtlicher Blick streifte die gesamte Familie Antoniadis … außer der einen Person, deren Schrei ihn daran gehindert hatte, seinerseits zuzuschlagen. „Ihr seid alle erledigt. Das begreift ihr, oder? Alles, was ihr besitzt …“ Er schnippte mit den Fingern. „In ein paar Wochen ist alles weg! Das Unternehmen meiner Familie wird lange brauchen, um sich davon zu erholen, aber das wird es. Euch bleibt gar nichts. Aber ihr habt es euch selbst zuzuschreiben.“

„Und euch!“, sagte die Stimme, die er einfach nicht überhören konnte, so gern er es wollte. „Dir und jedem Mitglied deiner Familie, das Lucie ausgerechnet zu einem Zeitpunkt getäuscht hat, als sie besonders verletzlich war. Ich habe keine Ahnung, wie ihr nachts ruhig schlafen könnt!“

Er ignorierte den Unterton, der suggerierte, dass die Sprecherin sich noch auf andere Dinge bezog als auf seine Stiefschwester. „Mein Gewissen ist rein.“

„Weil du nicht wirklich ein Gewissen hast!“, fauchte sie. „Oh, schau, da kommt deine Familie. Na toll. Sind das wirklich alle Tsaliki-Gören auf diesem Boot? Sag ihnen, sie sollen vorsichtig sein. Bei all diesen riesigen Egos könnte es jederzeit kentern.“

Alexis holte tief Atem und warf Lydia einen warnenden Blick zu. „Wenn du nicht jede Hoffnung begraben möchtest, aus dieser Lage irgendwie herauszukommen, passt du besser auf, was du über meine Familie sagst.“

Sie lachte. „Und wenn nicht? Ruinierst du uns dann? Wir sind sowieso schon erledigt, hast du gerade gesagt, richtig?“

„Schadensbegrenzung könnte euch ein bisschen Zeit verschaffen …“ Jemand tippte ihm auf die Schulter. Als er sich umwandte, blickte er in Elektra Antoniadis’ steinernes Gesicht.

Die Matriarchin der Familie Antoniadis tat ihm beinahe leid. Aber nur beinahe. In ihrem Blick funkelte die Verachtung.

„Wenn du meiner Tochter noch einmal drohst, sorge ich persönlich dafür, dass du niemals Kinder zeugen wirst!“

Er stieß ein Lachen aus. „Ich habe ihr nicht gedroht. Ich habe sie gewarnt – ganz im Sinne der Freundschaft –, ihre spitze Zunge gegenüber meiner Familie im Zaum zu halten. Noch ist Zeit für Schadensbegrenzung, und ich hätte angenommen, euch wäre daran gelegen, dass ich auf eurer Seite stehe – immerhin wisst ihr bereits, was für ein übler Gegner meine Familie sein kann.“

Elektra Antoniadis blinzelte nicht einmal. „Mehr Drohungen. Wir brauchen deine Hilfe nicht, und deine Freundschaft schon gar nicht! Und wenn meine Tochter ihre scharfe Zunge an deiner verdorbenen Familie wetzt, kann ich sie dabei nur unterstützen. Komm, mein Schatz. Es gibt eine Menge zu tun!“

Erst jetzt fiel Alexis auf, dass Thanasis und sein Vater bereits gegangen waren.

Als Lydia den Kopf schüttelte und sich den Pony aus den Augen pustete, sank ihm das Herz.

„Ich komme gleich nach“, sagte sie zu ihrer Mutter. „Erst muss ich meine Zunge noch ein bisschen schärfen.“

„In Ordnung. Aber schneide dich nicht selbst.“ Elektra warf Alexis einen letzten finsteren Blick zu, bevor sie ihre Tochter auf die Wange küsste und den beiden Männern hinterhereilte.

Mit der Person allein, der er aktiv hatte aus dem Weg gehen wollen, solange er auf dieser verfluchten Insel zu Gast sein musste, biss Alexis die Zähne zusammen und hielt den Blick auf das Boot gerichtet, das seine Familie zum Anlegesteg brachte. „Offensichtlich willst du etwas loswerden. Was auch immer es ist – raus damit“, sagte er heiser.

„Ich bin schwanger.“

Ihre Worte hingen weniger in der Luft, als dass sie ihn wie eine unsichtbare Abrissbirne am Kopf trafen.

„Wie bitte?“, stieß er hervor.

„Ich bin schwanger.“

In seinem Brustkorb verkrampfte sich alles. Ganz langsam drehte er den Kopf und schaute die Frau an, die neben ihm stand.

Sie hielt den Blick aufs Meer gerichtet und das Kinn erhoben. Aber sie zitterte ganz leicht.

„Du …“ Er schluckte. „Bist du sicher?“

„Ich hatte letzte Woche den ersten Ultraschall.“

„Wie …? Warum …?“ Es war, als hätte er vergessen, wie man Sätze bildete. „Warum hast du so lange gewartet, um es mir zu erzählen?“

„Ich hatte nicht vor, es dir zu sagen, bevor das Baby auf der Welt ist. Aber jetzt, wo Lucie davongelaufen ist, ist alles anders. Mit meinem Job verdiene ich nicht viel, und meine Familie steht vor dem Bankrott. Ich kann nicht allein für das Baby sorgen.“

In der Ferne erklang ein Ruf. Er hörte ihn kaum, hätte ihn ignoriert, wenn Lydia nicht den Kopf in Richtung Boot gewandt hatte. „Deine Familie ist da. Geh zu ihnen. Wir können später reden. Erzähle es noch niemandem. Kein Grund, heute für noch mehr Aufregung zu sorgen. Wir können es ihnen sagen, wenn wir verheiratet sind.“

Ihm fiel der Unterkiefer herab.

Bevor er reagieren konnte, fixierte sie ihn aus den haselnussbraunen Augen, die er nie wieder hatte sehen wollen. „Es tut mir leid, Alexis, aber ich kann nicht zulassen, dass mein Kind in Armut aufwächst. Du musst mich heiraten.“

Und damit drehte sie sich um und verschwand zwischen den nahestehenden Bäumen.

2. KAPITEL

Erst, als sie zwischen den Bäumen in Sicherheit war, legte Lydia eine Hand auf einen Baumstamm, stützte sich daran ab und erbrach alles Wasser, das sie den Morgen über getrunken hatte. Sie schwitzte am ganzen Körper, aber sie hatte nichts dabei, um sich das Gesicht abzuwischen.

Schon eine Woche nach ihrer Nacht mit Alexis hatte sie gewusst, dass sie schwanger geworden war – noch bevor ihre Periode ausgesetzt hatte. Sie hatte es niemandem erzählt. Ein erschreckendes und gleichzeitig wunderbares Geheimnis. Erschreckend, weil sie die Reaktion ihrer Eltern auf die Identität des Vaters fürchtete.

Die letzten sechs Monate hatte Lydia erleben müssen, wie ihre Eltern vor ihren Augen rapide gealtert waren. Ihr Vater war als Unternehmensvorstand durch ihren Bruder ersetzt worden. Und die Presse hatte auf sie eingedroschen, wie Lydia es nicht einmal den Tsalikis wünschte. Alle waren enormem Druck ausgesetzt, und sie stand machtlos daneben und konnte nur verzweifelt zusehen, wie ihre glückliche Familie unter der Belastung zerbrach.

Sie hatte gewusst, dass der einzige Weg, ihre Familie vor dem Ruin zu retten, ein Waffenstillstand mit den Tsalikis war. Etwas, auf das ihre Eltern mit blankem Zorn reagiert hatten, als sie gewagt hatte, es vorzuschlagen. Aber ihr Bruder … Thanasis hatte die Idee mit der üblichen Besonnenheit erwogen. Ein Same war gepflanzt. Und Lydia hatte geglaubt, es bräuchte vielleicht nur einen weiteren kleinen Denkanstoß. Aber wie sollte sie das angehen, ohne dass ihre Familie es herausfand? In der Welt der griechischen Schifffahrtsunternehmen blieb nichts lange geheim. Auf keinen Fall konnte sie den Hauptsitz der Tsaliki-Reederei betreten und um eine Unterredung mit Alexis Tsaliki bitten, ohne dass ihre Eltern es herausfanden, noch bevor sie das Gebäude wieder verlassen hatte. Selbst eine unschuldige E-Mail würde vielleicht geleakt werden.

Also hatte sie sich schließlich in ein silbernes Minikleid im Stil der 60er und kniehohe Stiefel gezwängt und Alexis Tsalikis’ bevorzugten Nachtklub aufgesucht, in dem man ihn regelmäßig am Freitagabend antreffen konnte – jedenfalls, wenn man gemeinsamen Bekannten der Athener High Society traute.

Das eigene Gedächtnis ist schon seltsam, dachte Lydia, während sie versuchte, ihren Würgereiz unter Kontrolle zu bringen. Manche Ereignisse verschwammen in der Erinnerung, andere dagegen blieben glasklar …

Drei Monate zuvor …

Lydia war erst einmal in diesem exklusiven Athener Klub gewesen, vor Jahren, zu der Geburtstagsfeier einer Freundin. Und wie beim ersten Mal nahm sie die breite, runde Treppe zur VIP-Lounge. Diesmal stieg Lydia sie allein hinauf. Dort einen Tisch für eine Person zu reservieren, hatte sie ein halbes Monatsgehalt gekostet.

Sie ließ sich genau eine Viertelstunde Zeit, bevor sie ihren Champagner auf die Tanzfläche mitnahm. Lydia tanzte liebend gern, aber an diesem Abend war das Tanzen nur ein Mittel zum Zweck. Es ging ihr darum, Alexis Tsalikis’ Aufmerksamkeit zu erregen. Also bewegte sie sich zur Musik und hielt ihren Blick auf den Tisch hinten in der Ecke gerichtet, an dem ein großer, attraktiver Mann mit perfekt frisiertem, tief dunkelbraunem Haar Hof hielt. Er war von Bewunderern umlagert, die ihm an den Lippen hingen. Lydia wollte wetten, dass die Röcke der Frauen, die ihn anhimmelten, noch kürzer waren als ihrer. Was das anging, hatte sie sich schon so weit vorgewagt, wie es ging, ohne ihren Eltern einen Herzanfall zu bescheren. Aber wenn sie seine Aufmerksamkeit auf sich ziehen wollte, musste sie auch entsprechend aussehen. 

Und irgendwann, ganz, wie sie es beabsichtigt hatte, streifte sie sein Blick und kehrte nach einem Moment zu ihr zurück. Verharrte auf ihrem Gesicht. Sie sahen sich in die Augen. Ein Moment des Wiedererkennens.

Sie hob ihr Glas, lächelte und kehrte mit schwingenden Hüften an ihren Tisch zurück.

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