Baccara Exklusiv Band 267

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

ZU STÜRMISCH FÜR DIE LIEBE von JANICE MAYNARD

Zu unbedacht, zu stürmisch, zu aufdringlich. Nie hat Anna die Worte vergessen, mit denen Sam sie abgewiesen hat. Jetzt führt ein Job sie zusammen – und zwar unausweichlich: Eingeschneit in einer Berghütte muss sich Anna fragen, wie sie ihm widerstehen soll …

VERBOTENES VERLANGEN – ODER NOCH VIEL MEHR? von CATHERINE MANN

Zwischen Naomi und Royce knistert es wie früher. Damals hat sie mit ihm Schluss gemacht, weil sie sicher war, dass er ohne sie glücklicher wird. Aber nun arbeitet er im Ölimperium ihrer Familie. Keine Gelegenheit lässt er aus, mit ihr zu flirten. Haben sie eine zweite Chance?

EIN TEXANER ZUM VERLIEBEN von RACHEL BAILEY

Eine Ehe auf Zeit! Dieses Angebot macht Millionär Nick Tate der zauberhaften Harper, denn ihre leidenschaftliche Liebesnacht ist nicht ohne Folgen geblieben. Auf Dauer binden will er sich nicht. Doch kann er Harpers verführerischer Anziehungskraft wirklich widerstehen?


  • Erscheinungstag 10.01.2026
  • Bandnummer 267
  • ISBN / Artikelnummer 9783751537896
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Janice Maynard, Catherine Mann, Rachel Bailey

BACCARA EXKLUSIV BAND 267

Janice Maynard

1. KAPITEL

Für Annalise Wolff, von allen nur Anna genannt, war Sam Ely ein bisschen wie das Finanzamt: Man hatte gelegentlich gezwungenermaßen mit ihm zu tun, aber das reine Vergnügen war es nicht gerade. Umso erstaunlicher, dass sie sich heute freiwillig in seinem Büro befand. Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück, schlug ein Bein übers andere und betrachtete ihre schwarzen Lederstiefel. Sie waren von Prada, genau wie ihre Handtasche.

Wenn sie sich schon mit dem gut aussehenden Architekten traf, musste sie auch etwas hermachen. Deshalb trug sie einen roten Kaschmir-Sweater und einen knapp sitzenden schwarzen Wollrock. Schließlich sollte er sehen, dass sie kein kleines Mädchen mehr war, sondern eine erwachsene Frau!

Doch leider wirkte Sam nicht sehr beeindruckt.

Er stand am Fenster und blickte gedankenverloren in die Winterlandschaft hinaus. „Ja oder nein, Anna“, sagte er freundlich, aber bestimmt. „Ich mache dir das Angebot zuerst, und natürlich kannst du ablehnen, doch du kannst dir vorstellen, dass Dutzende von Innenarchitekten nach so einer Chance lechzen.“

Damit hatte er natürlich recht. Das Haus und der traditionsreiche Milchviehbetrieb im Shenandoah Valley, beides im Besitz seiner Großeltern, ließen sich bis in die Zeiten von Präsident Thomas Jefferson zurückverfolgen. Sycamore Farm war sogar ins nationale Verzeichnis historischer Stätten aufgenommen worden. Jetzt sollte alles behutsam renoviert werden, die von Sam entwickelten Pläne lagen auf dem Tisch. Das Projekt war der Traum eines jeden Innenarchitekten.

Trotzdem muss ich den Auftrag ja nicht annehmen, dachte Anna zögernd. „Und es steht wirklich fest, dass anschließend eine große Bildreportage über die Arbeiten erscheinen wird?“

„Die Mutter meines alten College-Freundes ist Redaktionsleiterin der Zeitschrift ‚Architectural Design‘. Sie ist ganz wild darauf, die Reportage über Sycamore Farm ins Blatt zu bekommen. Im Moment hängt alles nur an deiner Entscheidung.“

Er kam zu ihr, setzte sich auf die Kante seines Schreibtischs. So war er ihr gefährlich nahe. Außerdem blickte er aus dieser Position von oben auf sie herab, und sie wusste, das machte er extra. Sie kannte diesen Mann schon fast ihr ganzes Leben lang. Sein Vater war seinerzeit mit der architektonischen Gestaltung von Wolff Castle beauftragt gewesen, und Sam und sein Dad waren im Lauf der Jahre oft im Hause der Wolffs zu Gast gewesen.

Für die heranwachsende Anna, die sich dort eingesperrt gefühlt hatte wie Rapunzel in ihrem Turm, war der wesentlich ältere Sam der erste und einzige Jugendschwarm gewesen.

„Wann würde ich denn anfangen?“, fragte sie vorsichtig. „Ich meine, falls ich annehme.“

Sam blickte auf seinen Schreibtischkalender. „Ich nehme mal an, du musst vorher noch ein paar andere Projekte abschließen. Wie wäre es übernächste Woche? Gram und Pops möchten, dass du für diese Zeit auf der Farm wohnst, weil sie so weit ab vom Schuss liegt. Sonst würde jeden Tag zu viel wertvolle Zeit für die Fahrerei draufgehen.“

Ihr wurde ganz heiß. „Und … und wo wirst du sein?“

„Da mach dir mal keine Sorgen“, murmelte er gereizt. „Gram legt Wert darauf, dass ich dich in den ersten Tagen in das Projekt einweise. Anschließend heißt es für mich hierher zurück ins Büro – also weit, weit weg. Ich hoffe, das beruhigt dich ein bisschen.“

Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Um Himmels willen, ich habe nicht vor, dich dort einzusperren. Du kannst nach Hause fahren, wann immer du willst, aber ich erwarte von dir, dass du in diesem Job hundertzehn Prozent gibst. Oder du lässt es gleich ganz bleiben.“

Mit vor der Brust verschränkten Armen blickte er sie herausfordernd an. „Mache ich dich nervös, Anna?“

„Natürlich nicht.“ Ihre Antwort kam wie aus der Pistole geschossen, entsprach allerdings nicht ganz der Wahrheit. „Ich weiß nur nicht, ob ich diesen Job in meinen Terminplan quetschen kann.“ Auf das Honorar war Anna nicht angewiesen, doch dieser Auftrag würde dem Renommee ihres Geschäfts einen gewaltigen Kick geben. Und sie war nun mal verflixt ehrgeizig. Eigentlich wäre es mehr als dumm, den Job abzulehnen!

Mit beinahe hypnotischem Blick sah er sie an. „Für den Job musst du dir einfach Zeit nehmen, Anna. Gib’s zu, du willst ihn.“

Sam hatte Annalisa gefragt, ob er sie nervös machte – dabei wurde umgekehrt ein Schuh draus. Vor sieben Jahren, als sie sich in ihn verliebt hatte, hatte er ihr sehr wehgetan. Natürlich hoffte er, das alles wäre längst vergessen. Dagegen sprach die Skepsis in ihrem Blick. Die Bewunderung, die sie vor so langer Zeit für ihn empfunden hatte, war sofort in Wut umgeschlagen, als er sie zurückgewiesen hatte. Offenbar hatte sie ihm diese Demütigung nie verziehen.

Dabei hatte er sie damals durchaus anziehend gefunden und tat es heute noch. Er hatte nie vergessen können, was geschehen war, und hatte während der vergangenen Jahre mehrere Anläufe unternommen, sich bei ihr zu entschuldigen. Annalisa hatte nie darauf reagiert, sodass er schließlich aufgab und ihr möglichst aus dem Weg ging. Sie hielt es genauso.

Trotzdem – so ganz hatte er sie nie aus seinen Gedanken streichen können. Und als nun seine Großeltern darauf bestanden hatten, dass er Anna diesen Job anbot, nahm er das als willkommene Gelegenheit, sie in sein Büro einzuladen und mit ihr von Angesicht zu Angesicht zu sprechen.

Sie war eine beeindruckende Erscheinung, dunkelhaarig, schlank, hochgewachsen – und offenbar auch unendlich selbstbewusst. Mit ihrem Aussehen hätte sie problemlos auch als Topmodel oder Schauspielerin arbeiten können. Und so energisch sie auch wirkte, sie strahlte eine überaus verlockende Weiblichkeit aus.

Eine reizvolle Mischung, und unwillkürlich stellte Sam sich Annalisa in seinem Bett vor. Schlagartig war er erregt. Auch ein Grund, weshalb er den Kontakt zu ihr gescheut hatte. Er wollte nicht in dieser Art an sie denken.

Sicherheitshalber setzte er sich hinter seinen Schreibtisch. „Allzu viel Bedenkzeit kann ich dir leider nicht geben. Gram wollte dich, weil sie und Großvater gesehen haben, was du aus den Büro- und Wohnräumen des Universitätspräsidenten gemacht hast. Sie waren beide sehr beeindruckt von deiner Arbeit. Aber wenn du meinst, du kannst die Zeit nicht erübrigen – dann sag’s einfach.“

Anna sah ihn aus blitzenden Augen an. „Dass ich ablehne, das hättest du wohl gerne, was? Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen, Sam Ely. Ich schätze, jetzt hast du mich am Hals. Denn wenn deine Großmutter will, dass ich das Projekt übernehme – dann mache ich es auch.“

Zu seiner eigenen Überraschung durchströmte ihn ein warmes Glücksgefühl. Suchte er denn wirklich nach einem Vorwand, Zeit mit der eigensinnigen und kratzbürstigen Anna Wolff zu verbringen? Nach seiner Erektion zu urteilen … ja.

Sam räusperte sich, blätterte demonstrativ in seinem Terminkalender und kritzelte etwas hinein. „Ich sage meinem Anwalt, er soll den Vertrag aufzusetzen. Noch irgendwelche Fragen?“

Zehn Tage später fuhr Anna die schmale Straße entlang, die zur Sycamore Farm führte. Im tiefsten Winter wirkte das Anwesen gar nicht so eindrucksvoll. Links und rechts der Straße lag freies schneebedecktes Farmland. Das Wechselspiel von Tauwetter und starkem Frost hatte große Schlaglöcher im Asphalt hinterlassen.

Sams Großeltern waren in wärmere Gefilde verreist. Man hatte Anna versichert, dass Speisekammer, Kühltruhe und Kühlschrank gut gefüllt waren und auch ein Gästezimmer für sie vorbereitet war.

Sie musste an ihr letztes Zusammentreffen mit Sam zurückdenken und stieß einen Fluch aus. Weil sie in einem Männerhaushalt aufgewachsen war, kamen ihr Schimpfwörter beunruhigend leicht über die Lippen. Wie jedes Jahr Silvester hatte sie den guten Vorsatz gefasst, das Fluchen aufzugeben, bisher mit wenig Erfolg.

Noch immer klangen ihr Sams Worte in den Ohren. Noch irgendwelche Fragen?

Oh ja, eine Frage brannte ihr schon lange auf der Seele: nämlich ob er sie vor sieben Jahren so widerwärtig und abstoßend gefunden hatte, dass er es nicht über sich bringen konnte, mit ihr zu schlafen, obwohl sie dummes Ding sich ihm förmlich an den Hals geworfen hatte?

Die Zurückweisung, die Demütigung, so lange sie auch zurücklag, verursachte ihr immer noch Magenschmerzen. Während sie mit einer Hand den Wagen steuerte, kramte sie mit der anderen in ihrer Handtasche nach einer Magentablette. Die Ereignisse von damals hatten sich unauslöschlich in ihr Gedächtnis eingebrannt; wie ein Film liefen sie noch einmal vor ihrem inneren Auge ab …

„Hallo, Sam.“ Sie klang atemlos, weil sie so schnell die Treppe heruntergelaufen war, um ihn noch abzufangen, bevor er in sein Auto stieg. Über eine halbe Stunde hatte sie von oben, von ihrem Schlafzimmer aus, durchs Fenster geschaut und gewartet. Sam und sein Vater waren jeder mit seinem eigenen Auto gekommen, weil der ältere Herr noch Poker mit ihrem Vater und Onkel Victor spielen wollte.

Sam stand da, die Autoschlüssel in der Hand. „Hallo, was gibt’s? Ich dachte, du fühlst dich nicht gut.“ Sein Anblick und seine Stimme genügten schon, um ihre Knie zum Zittern zu bringen.

Sie biss sich auf die Lippen. Ach, richtig, sie hatte ja Kopfschmerzen vorgetäuscht, um sich nach dem Essen zurückziehen zu können – und um dem forschenden Blick ihres Vaters zu entkommen. Er durfte auf keinen Fall merken, wie sehr sie in Sam verliebt war. Vincent Wolff hatte immer ein Auge auf seine Tochter und wollte sie vor allen Gefahren – echten wie eingebildeten – beschützen.

„Das mit den Kopfschmerzen war nicht so schlimm, aber ich hatte noch zu arbeiten“, erklärte sie und versuchte, ihre zitternde Stimme zu kontrollieren. „In ein paar Wochen beende ich nämlich das College. Dann will ich Innenarchitektur studieren.“ In ihrer Stimme schwang Stolz mit, und sie hoffte, Sam zu beeindrucken. Zum ersten Mal in ihrem Leben kam sie sich erwachsen vor. Der daraus resultierende Adrenalinschub gab ihr Selbstvertrauen.

Sam spielte mit seinen Schlüsseln. „Aha.“ Die Neuigkeit schien ihn nicht besonders zu interessieren. Nicht gerade ermutigend. Es sah aus, als wollte er so schnell wie möglich weg. Er war jetzt fast dreißig und der attraktivste und anziehendste Mann, dem Anna je begegnet war.

Mutig trat sie auf ihn zu. „Ich … ich hatte gedacht, du willst mich vielleicht mal zum Essen einladen“, brachte sie hervor.

Entsetzt schaute er sie an.

Nicht aufgeben, Anna. Sie reckte sich auf die Zehenspitzen, schlang ihm die Arme um den Nacken und küsste ihn direkt auf den Mund. Aus einem Reflex heraus erwiderte er die Umarmung, aber sein ganzer Körper versteifte sich dabei. „Äh, Anna …“

Seufzend bedeckte sie sein Gesicht mit tausend kleinen Küssen. „Ich weiß, dass du darauf gewartet hast, dass ich endlich erwachsen bin“, flüsterte sie. „Bitte sag mir, dass du mich willst. Ich weiß, dass du mich willst.“

Sie spürte an seiner Erektion, dass sie so falsch nicht liegen konnte. Zwar war sie schon einundzwanzig, aber doch wesentlich naiver und unerfahrener als die meisten ihrer Altersgenossinnen. Daher war ihr nicht recht bewusst, dass der körperliche Reflex eines Mannes nicht unbedingt etwas mit tieferen Gefühlen zu tun haben musste.

Einen Augenblick lang hätte sie schwören können, Sam wollte ihre Küsse erwidern. Doch dann schob er sie weg und hielt sie auf Abstand. „Nein, Anna. Du bist für mich wie eine kleine Schwester.“

Verwirrt sah sie ihn an. Sie hatte doch gespürt, wie er auf sie reagiert hatte, wie hart er geworden war! „Ich … ich glaube, ich liebe dich, Sam“, stieß sie schluchzend hervor.

Beim Anblick seiner gequälten Miene krampfte sich ihr Herz zusammen.

„Hey, ich bin viel zu alt für dich, Kleines“, sagte er und klang dabei so mitfühlend, dass sie sich erst recht gedemütigt fühlte. „Trotzdem schmeichelt mir das natürlich. Du bist eine ganz besondere junge Frau. Aber dein Vater und mein Dad würden mich an der höchsten Eiche aufknüpfen, wenn ich mit dir etwas anfange. Davon abgesehen …“

Eigentlich hatte er schon genug gesagt, mehr wollte Anna gar nicht mehr hören. Hör auf! hätte sie ihn am liebsten angeschrien, brachte aber keinen Ton heraus.

„Davon abgesehen, wollen die meisten Jungs und Männer lieber selbst die Initiative ergreifen“, erläuterte er zögernd. „Darüber solltest du vielleicht einmal nachdenken. Ich weiß, dass du ohne Mutter aufgewachsen bist, die dir diese Dinge hätte erklären können. Männer stehen in der Regel eher auf sanfte, feminine, zurückhaltende Frauen. Das war schon immer so. Wahrscheinlich das Resultat unserer Steinzeitmenschen-Gene.“ Sanft strich er ihr über die Wange. „Du siehst doch toll aus, Anna, hast es gar nicht nötig, dich jemandem an den Hals zu werfen …“

Ein besonders großes Schlagloch katapultierte Anna zurück in die Gegenwart. Sie umklammerte das Lenkrad und bremste ab. Hoffentlich würde Sam nicht allzu lange bleiben. Er sollte sie kurz einweisen, sie würde höflich zuhören, sich ein paar Notizen machen und ihm dann Lebewohl sagen. Danach würde sie anfangen können zu arbeiten.

Wenn sie diesen peinlichen Zwischenfall von damals nicht erwähnte, würde er sicher den Anstand besitzen, es ebenso zu halten.

Noch eine Kurve, dann kam die Farm mit ihren Nebengebäuden in Sicht. Sofort fiel ihr der Mann auf, der trotz der Kälte entspannt gegen den Zaun vor der Veranda gelehnt dastand. Um Fassung bemüht, parkte sie den Wagen und stieg aus.

Sie war eine erwachsene Frau, weltgewandt und intelligent, und auch auf sexuellem Gebiet hatte sie, na ja, zumindest einige Erfahrungen. Und sie hatte alles getan, was in ihrer Macht stand, um ihre erste Liebe zu vergessen. Zu verdrängen, wie sehr Sams Zurückweisung sie damals verletzt hatte. Sam Ely war für sie jetzt einfach ein Mann wie jeder andere.

Diese ein, zwei Tage würde sie das Ganze schon durchstehen. Sie würde ihn mit ihren Fachkenntnissen und Fähigkeiten beeindrucken und sich von seinem männlichen Charme und sexy Lächeln kein bisschen ablenken lassen. Wenn er dann wieder abreiste, würde er den Eindruck mitnehmen, dass Anna Wolff in ihrem Job verflixt gut war.

Zum Gruß hob er die Hand, lächelte aber nicht.

Anna wollte gerade den Mund öffnen, um Hallo zu sagen, als sie auf der eisglatten Auffahrt ausrutschte und auf den Rücken stürzte. Richtig hart und schmerzhaft.

Aufstöhnend öffnete sie die Augen wieder und Sam Ely über sich. Vorsichtig tastete er sie ab, um sicherzustellen, dass sie sich nichts gebrochen hatte.

Anna erschauerte, was nichts mit den Außentemperaturen zu tun hatte, schließlich war sie warm genug angezogen. Nein, es war seine Berührung. Sie brauchte ihn nur zu spüren, schon war sie wieder von ihm besessen.

Sanft strich er ihr über die Wange. „Bist du verletzt?“

Behutsam hob er ihren Kopf ein wenig an. „Jetzt sag doch endlich was. Alles in Ordnung mit dir?“

Ihre Augen blitzten vor Zorn. „Natürlich ist mit mir alles in Ordnung“, stieß sie hervor. „Und jetzt hör auf, mich anzutatschen.“

So kratzbürstig sie sich auch gab – auf Sam wirkte sie trotzdem unglaublich feminin und aufreizend. Vorsichtig hob er sie hoch, fest entschlossen, ruhig zu bleiben. Auf keinen Fall wollte er sich durch ihr feindseliges Verhalten reizen lassen. Leichter gesagt als getan – er kannte das schon. Da er ein Freund der Familie Wolff war, blieb es nicht aus, dass er ihr von Zeit zu Zeit begegnete. Was meist nicht besonders freundschaftlich ablief.

Ihm war natürlich bewusst, dass er den Grundstein für diese Feindseligkeiten gelegt hatte. Doch das Ganze war jetzt über sechs Jahre her, da konnte sie wohl langsam mal Vergangenes vergangen sein lassen! Zum Glück zappelte sie in seinen Armen nicht allzu sehr. Sie war ja ziemlich hochgewachsen, und wenn er jetzt auf dem Eis ausrutschte, lägen sie beide flach.

Während er sie mit der einen Hand festhielt, öffnete er mit der anderen die Tür. Im Farmhaus war es unangenehm kalt, und er seufzte. „In ein paar Tagen kommen die Handwerker und kümmern sich um Heizung und Klimaanlage. Bis dahin … Na ja, ich hoffe, du hast genug warme Sachen mitgebracht. Die alte Heizungsanlage ist reichlich störrisch und eigenwillig.“

„Genau wie du“, murmelte Anna leise vor sich hin.

Er wusste genau, dass er es hören sollte.

In der Küche setzte er sie auf einen Stuhl. Das Kaminfeuer sorgte für ausreichende Wärme, und das bunte Geschirr seiner Großmutter im offenen Schrank strahlte Gemütlichkeit aus. „Sag mir die Wahrheit, bist du wirklich nicht verletzt?“

„Wirklich nicht“, antwortete sie brüsk. „Hab mich nie besser gefühlt.“ Annalisa streifte sich den Mantel ab. Eine blaue Seidenbluse und eine schwarze Leinenhose kamen zum Vorschein. „Aber einen schönen starken Kaffee – den könnte ich jetzt gebrauchen.“

Unauffällig und durchaus bewundernd musterte Sam sie. Sie sah aus wie ein Supermodel frisch vom Laufsteg. Vincent Wolff hatte seiner Tochter in ihren jüngeren Jahren nicht gerade viele Freiheiten gewährt. Gewissermaßen als Ausgleich hatte er ihr allerdings genug Geld und Gelegenheit gegeben, um einen exquisiten Modegeschmack zu entwickeln.

„Kaffee … gute Idee“, murmelte Sam. „Ich setze welchen auf.“

Bald erfüllte verlockender Kaffeeduft den Raum. Anna ignorierte Sam und checkte die Nachrichten auf ihrem Smartphone.

Schließlich servierte er ihr den Kaffee, stellte sogar ein Milchkännchen und ein Zuckerdöschen auf den Tisch. Doch sie verschmähte die Zutaten und trank den Kaffee so, wie er war. Schwarz, pur und ohne Schnickschnack, genau, wie Sam ihn auch liebte.

Er schnappte sich einen Stuhl und setzte sich ihr gegenüber. „Was macht dein Vater? Wie geht’s ihm?“

„Gut.“ Anna musterte ihn misstrauisch, als ob sie hinter der Frage eine Falle vermutete.

„Und dein Onkel Vic?“

„Dem geht’s auch gut.“ Sie stellte die Tasse ab.

„In eurer Familie hat’s letztes Jahr ja jede Menge Hochzeiten gegeben.“

Ihre Gesichtszüge entspannten sich, sie lächelte sogar ein wenig. „Das kann man wohl sagen, und ich freue mich sehr darüber. Gracie, Olivia, Ariel, Gillian – endlich habe ich so etwas Ähnliches wie Schwestern. Schwägerinnen eben.“

„Ich gönne deiner Familie das Glück von ganzem Herzen. Ihr habt es euch wirklich verdient. Nach allem, was ihr durchmachen musstet …“ Als Anna noch ein Kleinkind gewesen war, waren ihre Mutter und ihre Tante entführt und schließlich ermordet worden, ein schwerer Schlag für die ganze Familie. Es hatte Jahre gedauert, bis die Angehörigen das Schreckliche auch nur halbwegs verarbeitet hatten.

„Ja, zur Abwechslung tun positive Nachrichten auch mal ganz gut.“ Sie lachte auf, aber es lag wenig Humor darin. Die Art, wie sie ihn ansah, verriet ihm, dass sie ihre Unterhaltung von damals noch lange nicht vergessen hatte.

Er nahm ihre Hand und streichelte sie zärtlich. „Anna, wegen damals … Wir können nicht vernünftig zusammenarbeiten, wenn wir nicht endlich reinen Tisch machen. Ich gebe ja zu, ich hätte damals etwas feinfühliger reagieren können. Etwas diplomatischer. Aber ich kannte dich ja schon seit deiner Kindergartenzeit. Und in meinen Augen warst du eben immer noch ein Kind.“

Abrupt zog sie ihre Hand weg. „Keine Ahnung, wovon du überhaupt redest.“

Ihr Ton klang aggressiv, und es wäre vielleicht klüger gewesen, das Thema ruhen zu lassen. Aber Sam wollte den Konflikt endlich geklärt wissen. „Wenn ich mit dir was angefangen hätte – dein Vater hätte mich fertiggemacht.“

„Du hast damals behauptet, ich wäre wie eine Schwester für dich.“

„Verdammt.“ Das war natürlich nur eine Ausrede gewesen, eine Notlüge – jetzt, so viele Jahre später, rächte sie sich bitter. „Das … das habe ich doch nur so gesagt. Ich wollte so elegant wie möglich aus der Sache rauskommen.“

„Also warst du einfach zu feige. Ist es das, was du mir sagen willst?“

Es fiel ihm schwer, nicht die Beherrschung zu verlieren. Schließlich lenkte er ein. „Ja, genau.“ Wenn sie weiter sauer auf ihn sein wollte, konnte er es auch nicht ändern. „Ganz genau. Ich war feige.“

Sein Eingeständnis nahm ihr den Wind aus den Segeln. „Na ja, was soll’s“, sagte sie leise und wischte sich ein paar imaginäre Staubkörnchen von der Hose. „Ist auch egal.“

Eigentlich hatte er ein wenig mehr Kampfgeist von ihr erwartet, aber wenn die Sache damit erledigt war – umso besser. „Ich zeige dir jetzt am besten erst mal dein Zimmer. Dann kannst du dich ein bisschen ausruhen – und noch mal checken, ob du dich nicht doch verletzt hast.“

Entwaffnend lächelte sie ihn an. „Kann schon sein, dass ich am Hintern ein paar blaue Flecken habe. Ich werd’s überleben.“

„Schön.“ Etwas Originelleres fiel ihm nicht ein. Er war zu überwältigt davon, dass sie in seiner Gegenwart tatsächlich lächelte. Das hatte es jahrelang nicht gegeben. Und es konnte ihm gefährlich werden, das merkte er jetzt.

Verunsichert wandte er sich ab und machte sich auf den Weg in den Flur. „Ich hole dein Gepäck rein.“ Alles, Hauptsache, er war nicht mehr ihrem verlockenden Lächeln ausgesetzt.

Als er die Haustür öffnete, blieb er fluchend stehen.

„Was ist denn los?“ Neugierig folgte Anna ihm zur Tür.

Beide blickten nach draußen, wo dicke weiße Schneeflocken wirbelten. Der Weg und das Auto waren bereits schneebedeckt.

Verärgert stieß sie Sam in die Seite. „Hast du das gewusst? Hast du gewusst, dass Schnee vorhergesagt war? Warum hast du mich nicht gewarnt, lieber zu Hause zu bleiben?“

Er zog eine Augenbraue hoch. „Ich hatte viel zu tun, da konnte ich mich nicht um alles kümmern, verflixt noch mal. Du hättest ja auch mal gucken können, was die Wetteronkel prophezeien.“

Böse musterten sie sich, dann riefen beide wie aus einem Mund: „Das ist deine Schuld!“

Sam schloss die Tür, lehnte sich mit dem Rücken dagegen und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich kann ja mal zur Sicherheit die Wettervorhersage checken. Aber ich lebe eigentlich schon lange genug in Virginia, um zu wissen: Da kommt noch jede Menge runter.“

„Ach, vielleicht auch nicht. Vielleicht werden es nur ein paar Zentimeter.“ Anna war sichtlich angespannt, auch wenn sie versuchte, sich das nicht anmerken zu lassen.

„Na ja, es gibt Schlimmeres als so ein kleines Unwetter.“

„Und das aus deinem Mund?“, fuhr sie ihn gereizt an. „Du hältst es doch ohne dein Büro nicht aus. Und jetzt sitzen wir beide hier eingeschneit fest. Für Stunden – möglicherweise sogar Tage!“ Ihre Stimme überschlug sich fast.

Je mehr sie sich aufregte, desto mehr amüsierte er sich. „Ach, mach dir keine Gedanken, Anna. Immerhin haben wir ja noch uns.“

2. KAPITEL

Zornig funkelte Anna ihn an und ballte die Fäuste. „Mit dir hier in diesem Haus eingesperrt sein – das mache ich nicht mit! Auf gar keinen Fall!“

Er zuckte mit den Schultern. „Ich habe Gram versprochen, übers Wochenende zu bleiben und dich einzuweisen. Aber wenn es für dich so schlimm ist, hier mit mir festzusitzen, fahren wir besser jetzt sofort zurück, bevor es noch schlimmer wird. Mit ein bisschen Glück schaffen wir es noch. Gram wird zwar enttäuscht sein …“

Einerseits brachte er sie zur Weißglut, andererseits produzierte ihr Kopfkino Bilder von ihnen beiden, wie sie sich heiß und innig umarmten und …

„Um mich mache ich mir keine Sorgen. Aber du – du musst doch bestimmt zurück zur Arbeit und …“

„Also, was schlägst du vor? Wenn wir noch länger abwarten, sind die Nebenstraßen unpassierbar. Dann schafft es keiner von uns beiden mehr zum Highway.“

Seiner Miene war nicht zu entnehmen, was er wirklich dachte. Spielte er mit ihr? Legte er es nur darauf an, dass sie klein beigab, dass sie die Flucht ergriff? Nein, den Triumph würde sie ihm nicht gönnen.

„Ich bleibe“, sagte sie mit fester Stimme. „Ist sicher das Vernünftigste. Holst du mir mein Gepäck aus dem Auto?“

Sie sah es ihm an – damit hatte er nicht gerechnet. Er war hundertprozentig davon ausgegangen, dass sie zurück in die Stadt flüchten würde. Aber eine Anna Wolff kniff nicht. Eine Anna Wolff stellte sich jeder Herausforderung!

Sam verzog den Mund. „Bist du wirklich sicher? Wenn der Strom ausfällt, sind wir ganz auf uns gestellt. Dann leben wir hier ohne jeden Komfort – wie die Steinzeitmenschen.“

Das wirkte wie eine kalte Dusche. Sie war Luxus gewöhnt, schon ein Aufenthalt in einem Hotel mit weniger als vier Sternen war für sie wie eine Abenteuer-Expedition in unbekannte Gefilde. „Das Anwesen hat doch bestimmt ein Notstromaggregat …?“

„Ja, klar, aber auch das läuft nicht ewig. Hast du wenigstens ein paar warme Klamotten dabei, von deinem Mantel einmal abgesehen?“

„Ich habe alles, was ich brauche. Was ist jetzt mit dem Gepäck? Soll ich dir lieber beim Tragen helfen?“

Ganz schön zickig, die junge Dame! „Nein, vielen Dank, ich glaube, das schaffe ich gerade noch alleine.“

Durchs Fenster beobachtete sie, wie Sam durch den Schnee stapfte, den Kofferraum ihres Wagens öffnete – und vor Verblüffung fast nach hinten umkippte. Ja, sie reiste eben nicht mit leichtem Gepäck! Dreimal musste er laufen, bis er alle Koffer ins Haus gebracht hatte. Sie verkniff sich ein Lächeln.

„Vielen Dank“, sagte sie, nachdem er die Haustür wieder geschlossen und sich aus der dicken Jacke gepellt hatte.

„Gern geschehen. Hätten es ein paar Koffer weniger nicht auch getan?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Ich werde ja voraussichtlich ein paar Wochen bleiben. Bin ich dir jetzt was schuldig – wegen Übergepäck?“

„Du bist ganz schön frech.“

„Und du ziemlich arrogant.“

„Was schleppst du bloß in all diesen Koffern und Taschen mit dir rum?“, fragte er kämpferisch. „Deinen kompletten Hausstand?“

„Bücher, meinen Laptop, ein paar Süßigkeiten, Unterwäsche …“, begann sie aufzuzählen.

„Süßigkeiten?“ Mit fragend hochgezogenen Brauen lehnte er sich gegen die Wand.

„Ja, Süßigkeiten. Na und? Ich habe eben eine Schwäche für Schokolade. Diese spezielle Sorte, die ich mir nach Weihnachten aus Luzern mitgebracht habe …“ Genießerisch verdrehte sie die Augen. „Hmm … besser als Sex.“

„Dann hattest du bisher wohl keinen richtig guten Sex.“

Diesmal war er es, der sie mit seiner frechen Art verblüffte. Und auch ein wenig erregte, das musste sie zugeben. Ihr wurde ganz heiß, aber sie ließ sich nichts anmerken. „Sag mal, bist du dauerhaft im Flirt-Modus? Oder willst du jetzt wirklich mit mir darüber diskutieren, ob und wie ich …“

„Schon gut, du hast recht. Tut mir leid, ist mir so rausgerutscht. So etwas hätte ich gegenüber einer Mitarbeiterin nicht sagen dürfen.“

„Mitarbeiterin?“, zischte sie gereizt. „Ich bin nicht deine Mitarbeiterin. Deine Großeltern haben mich engagiert, nicht du.“

Sam trat auf sie zu. „Trag mir diese alte Geschichte doch bitte nicht länger nach, Anna. Vergiss sie endlich … bitte. Sonst gehen wir ständig aufeinander los. Und das ist kontraproduktiv.“

Nachdenklich musterte sie ihn. Warum musste er nur so verflixt gut aussehen? „Eigentlich wundere ich mich ein bisschen, dass du immer noch nicht die ideale Frau gefunden hast, wie du sie mir damals beschrieben hast“, kommentierte sie kühl. „Du weißt schon – ruhig und anschmiegsam und ohne eigenen Willen.“ Sie kochte immer noch vor Wut, wenn sie an diesen Abend zurückdachte!

Sam unterdrückte einen Fluch, dann legte er ihr die Hand auf die Schulter. „Tut mir leid, Prinzessin. Wirklich. An dem Abend habe ich einfach nur Müll geredet. Ich wollte mich aus dieser blöden Situation irgendwie rauswinden. Ja, ich habe mich durchaus zu dir hingezogen gefühlt. Aber was du mir gegenüber empfunden hast … das war doch nur so eine Teenager-Schwärmerei.“

Er räusperte sich. „Na ja, und dass du darauf warten solltest, dass der Mann den ersten Schritt tut – damit wollte ich dir nur einen guten Rat geben. Du solltest in Zukunft nicht mehr den ersten Schritt machen, um nicht an einen Typen zu geraten, der dich vielleicht nur benutzt und dann wegwirft.“

Er war ihr jetzt so nahe, dass sie seinen warmen Atem auf der Haut spürte. Anna wagte es nicht, ihm ins Gesicht zu sehen. Plötzlich fühlte sie sich schutzbedürftig und zerbrechlich – und das gefiel ihr überhaupt nicht. Denn sie war weder das eine noch das andere. Schließlich war sie in einem Riesenhaus mit zwei Brüdern, drei Cousins, einem Onkel und einem Vater aufgewachsen. In einer reinen Männerwelt. Völlig ohne weibliche Einflüsse.

Sie konnte auf Bäume klettern und Football spielen, sie kannte sich mit Autos und Baseball aus. Und wenn es darauf ankam, konnte sie auch einen Kerl mit einem einzigen Schlag zu Boden strecken.

Ja, in diesen Dingen war sie gut. Doch sie wusste nicht, wie sie einem Mann widerstehen sollte, den sie seit so vielen Jahren begehrte. Und der ihr plötzlich so nahe war. So nahe, dass seine Lippen ihre Lippen fast berührten.

Wie gerne hätte sie sich jetzt in seine Arme geflüchtet. Nein, das durfte sie auf keinen Fall. Aus einem einfachen und sehr wichtigen Grund.

Er hatte sich zwar für seine Worte von damals entschuldigt, aber seine Traumfrau, auch wenn er sie noch nicht gefunden hatte, war so ganz anders als Anna. In vielerlei Hinsicht sogar das genaue Gegenteil.

Also wandte sie sich ab und ging in Richtung Küche. „Ich trinke noch einen Kaffee. Und dann zeig mir bitte mein Zimmer.“

Zähneknirschend folgte Sam ihr. Was hatte sie denn nur? Er hatte sich doch entschuldigt, verflixt noch mal! Was sollte er denn noch tun? Sich vor ihr in den Staub werfen? Kam gar nicht infrage, schließlich hatte er doch nichts falsch gemacht. Im Gegenteil, eigentlich hätte er für sein Verhalten, für sein absolut korrektes und ehrenhaftes Verhalten, einen Orden verdient!

Anna war eine der schönsten und sinnlichsten Frauen, die er kannte. Wäre er nicht so charakterfest gewesen – und hätte er nicht so viel Angst vor den Reaktionen seines und ihres Vaters gehabt – hätte er ja ihr Angebot annehmen und seinen Spaß mit ihr haben können!

Während der vergangenen Jahre hatte er oft über seine Entscheidung von damals nachgedacht. Aber er war nun einmal ein Ehrenmann, ein Gentleman, und da waren einige Dinge eben tabu. Als damals Dreißigjähriger konnte er nicht Sex mit einer so viel jüngeren Frau haben, die sehr behütet aufgewachsen und daher entsprechend unerfahren war.

Sam hatte sich also weiß Gott nichts vorzuwerfen, im Gegenteil! Trotzdem wurde er das Gefühl nicht los, dass er in Annas Augen der Bösewicht dieser Geschichte war.

Nachdem sie ihren Kaffee ausgetrunken hatte, zeigte er Anna ihr Zimmer. Es war eiskalt. Eigentlich hätte die Frau, die für seine Großmutter hier von Zeit zu Zeit nach dem Rechten sah, die Heizung anstellen sollen. Offenbar hatte sie es vergessen.

„Hier ist es ja eisig wie in einer Kühlkammer“, kommentierte Anna und schüttelte sich. „Bist du sicher, dass die Heizung überhaupt funktioniert?“

„Ich drehe sie auf die höchste Stufe, dann wird’s schon wärmer werden. Aber das braucht seine Zeit. Zieh dir inzwischen lieber einen Pullover über.“

„Dir scheint die Kälte ja nichts auszumachen.“

„Ich habe einen guten Stoffwechsel. Und obendrein ein paar Pfund mehr auf den Rippen als du. Das isoliert.“ Verunsichert zögerte er einen Moment. „Letzte Chance“, sagte er dann. „Wenn wir jetzt losfahren, schaffen wir es bestimmt noch in die Stadt.“

Anna sah ihn an. „Ich habe extra meinen Terminkalender freigeschaufelt, damit ich mich voll auf dieses Projekt konzentrieren kann. Selbst bei schlechtem Wetter kann ich schon einiges tun: die Räume vermessen, Entwürfe skizzieren. Aber wenn du nach Charlottesville zurück musst, verstehe ich das natürlich.“

Er wurde aus ihr einfach nicht schlau. „Ich kann dich hier doch nicht allein lassen“, beteuerte er. Und das wollte er auch nicht wirklich. „Nicht auszudenken, was alles passieren könnte …“

Sie zuckte mit den Schultern. „Ich bin härter im Nehmen, als du denkst. Außerdem bist du nicht für mich verantwortlich.“

Sanft strich er ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht und war überrascht, dass sie es sich widerspruchslos gefallen ließ. „Ich habe Gram versprochen, dich in alles einzuweisen. Das dauert seine Zeit. Also bleiben wir beide.“

„Also bleiben wir beide“, wiederholte sie leise lächelnd.

In diesem Moment begann das elektrische Licht zu flackern. Verunsichert blickte Anna ihn an. „Ups. Fällt jetzt schon der Strom aus?“

„Nein, das war wahrscheinlich nur der Wind. Was nicht heißt, dass es nicht noch passieren könnte – die ganze Anlage ist ziemlich altersschwach. Deshalb soll ja alles saniert werden. Auch sämtliche Zuleitungen und so weiter.“

Wieder flackerte das Licht. „Ich hole lieber noch so viel Feuerholz wie möglich rein“, sagte Sam alarmiert. „Wenn der Strom tatsächlich ausfällt, richten wir uns im Wohnzimmer eine Art Notlager ein.“

„Das ist das Zimmer neben der Küche …?“

„Ja, die beiden Räume haben einen gemeinsamen Kamin – und sind zum Glück bereits renoviert. Wie wär’s, machst du uns ein paar Omeletts, während ich mich ums Holz kümmere? Dann hätten wir wenigstens schon eine warme Mahlzeit intus, falls der Strom tatsächlich ausfällt.“

Anna wurde blass.

„Was hast du denn?“

„Ich … ich bin keine gute Köchin“, murmelte sie verlegen.

„Ich erwarte ja auch kein Fünf-Gänge-Menü von dir. Es reicht, wenn du uns irgendwas Genießbares zusammenbrutzelst.“

Als sie jetzt unbehaglich das Gesicht verzog, kam sie ihm sehr verletzlich vor. „Um ehrlich zu sein, Sam … Ich kann überhaupt nicht kochen. Kein bisschen.“

Offenbar hatte sie Angst, er würde sich über sie lustig machen. Obwohl er tatsächlich ein wenig verwundert war, ließ er es sich nicht anmerken. „Versteh ich gut. Es muss ziemlich hart gewesen sein, ohne Mutter aufzuwachsen.“

„Als ich dreizehn war, habe ich unseren Koch mal gebeten, mir ein bisschen was beizubringen. Aber Daddy hielt es für Zeitverschwendung, mich in der Küche rumzutreiben, wenn ich stattdessen auch Latein und Griechisch lernen könnte. In dieser Hinsicht ist er etwas speziell.“

„Und im College? Wie hast du dich da durchgeschlagen?“

„Ich habe im Studentenwohnheim gelebt und in der Cafeteria gegessen. Jetzt wohne ich alleine, da ist es auch kein Problem. Ich bestelle mir einfach was oder esse auswärts. Und wenn ich mal Gäste habe, lasse ich mich vom Catering-Service beliefern.“

Das alles verblüffte ihn nun doch etwas.

„Ich weiß, dass deine Großmutter eine fantastische Köchin ist“, sagte Anna, „und deine Mutter bestimmt auch. Von mir darfst du da leider nichts erwarten. In der Zeit, in der ich mich hier selbst versorgt hätte, hätte ich mich von Cornflakes und Sandwiches ernährt.“

„Schon in Ordnung, Anna“, sagte Sam vorsichtig. „Ich war irgendwie nur nicht darauf gefasst. Ich sehe dich immer als so eine Art Superweib und hatte automatisch angenommen, du könntest einfach alles.“

Ihre Gesichtszüge entspannten sich. „Das hast du aber nett gesagt.“

„Siehst du, ich kann gelegentlich auch mal nett sein. Wenn man mich nicht ständig provoziert.“

„Spielst du damit auf mein Verhalten an?“

„Warum sollte ich das tun?“, gab er mit Unschuldsmiene zurück.

Beide lachten, und er spürte, wie die Anspannung zwischen ihnen nachließ.

„Gut, dann holst du jetzt am besten das Holz“, sagte Anna. „Ich mache uns in der Zwischenzeit ein paar Sandwiches. Und falls sich in der Vorratskammer eine Dosensuppe findet – die kriege ich wohl gerade noch warm.“

„Na, siehst du. Das ist doch alles, was das Herz begehrt.“

Eine gute halbe Stunde später setzten sie sich zum Essen in die Küche. Inzwischen war es durch das Kaminfeuer wohlig warm geworden. Sam nahm einen Schluck von seinem Bier. Gelassen lehnte er sich zurück und sah Anna an. „Erzähl mir doch ein bisschen über dich. Wie läuft das bei dir so? Wird jemand in Charlottesville dich vermissen, während du hier arbeitest?“

„Ich bin im Moment mit niemandem zusammen, falls du das meinst“, erwiderte sie vorsichtig. „Meine Arbeit hält mich ziemlich auf Trab. Der letzte Typ, mit dem ich ein paarmal aus war, hat für meinen Geschmack ein bisschen zu sehr geklammert. Für diesen ganzen Romantik-Kram hab ich einfach keine Zeit.“

„Romantik-Kram?“

„Ja, du weißt schon. Zwanzig SMS am Tag. Abendessen bei Kerzenschein und Wein und Händchenhalten im Park. Ernsthaft, der Typ war der leibhaftige Kitschroman.“

Sam schmunzelte. „Ich dachte, alle Frauen stehen auf so was.“

Anna funkelte ihn böse an. „Ich kann nicht kochen und stehe nicht auf Romantik-Schmus. Sonst noch irgendwas, was dir an mir nicht passt?“

„He, sachte, Prinzessin. Ich will dich doch überhaupt nicht kritisieren. Im Gegenteil, ich halte dich für unglaublich talentiert. Ich war wirklich beeindruckt, wie du die Veranstaltung für die neue Schule in Burton geplant und durchgezogen hast.“

Die Familie Wolff organisierte gerade die Gründung einer neuen Schule am Fuß von Wolff Mountain, damit die jüngeren Schüler nicht länger die sehr viel weiteren Anfahrtswege zu einer anderen Schule in Kauf nehmen mussten.

Misstrauisch musterte Anna ihn. War das Lob ernst gemeint, oder lag eine Spur Sarkasmus in seiner Stimme? „Ich glaube, ich habe dich auch auf der Einweihungsparty gesehen.“

„Gut möglich. Ich habe dich nur nicht angesprochen, weil du so beschäftigt warst. Wie ein General, der eine ganze Armee befehligt. Ist doch alles absolut reibungslos abgelaufen, soweit ich es mitbekommen hab.“

Sie nickte glücklich. „Und wir haben jede Menge Spendengelder für das Schulprojekt eingenommen. Ein voller Erfolg, wenn ich das selbst so sagen darf.“

„Mir ist aufgefallen, dass du auf ganz schön vielen Hochzeiten tanzt.“ Sams und Annas Büros befanden sich im gleichen Gebäude in der Innenstadt von Charlottesville. Tagsüber liefen sie sich nur selten über den Weg, aber sie verkehrten in denselben Kreisen und nahmen oft an denselben Wohltätigkeitsveranstaltungen teil.

„Ja, ich habe gern viel um die Ohren“, kommentierte Anna und stand auf, um das Geschirr abzuräumen. „Führst du mich jetzt bitte ein wenig herum? Ich bin ganz heiß darauf, endlich loszulegen.“

Ganz heiß darauf …? Sam wünschte sich, er hätte das Bier nicht so schnell heruntergestürzt. Sein leicht benebeltes Gehirn konnte nicht anders, als einen sexuellen Unterton herauszuhören, der in Wahrheit bestimmt nicht vorhanden war. „Äh, gut.“ Er räusperte sich. „Legen wir los.“

Anna schnappte sich ihr Klemmbrett und einen Kugelschreiber. „Wo fangen wir an?“

Sam seufzte innerlich. Worauf hatte er sich da nur eingelassen? Er allein mit dieser verführerischen Frau …

Der Rundgang dauerte über eine Stunde, und Anna machte sich eifrig Notizen. Anschließend gingen sie ins Wohnzimmer, wo das Kaminfeuer prasselte. Er wies einladend auf einen der beiden Lehnsessel. „Wir können es ja wenigstens warm und gemütlich haben, während ich dir erzähle, was Gram mir sonst noch so aufgetragen hat.“

Anna kuschelte sich behaglich in den weichen Sessel. „Bei so einem Projekt freie Hand zu haben – du kannst dir gar nicht vorstellen, wie toll das für mich ist.“

Sam genoss die wohlige Wärme des Kaminfeuers, die ihn schläfrig machte. Er war erst um ein Uhr nachts ins Bett gegangen und schon um sechs Uhr früh wieder aufgestanden. Auch wenn er jetzt länger auf Sycamore Farm bleiben musste als vorgesehen und das seinen Terminplan durcheinanderbrachte – im Moment störte ihn das nicht besonders.

Nein, er fühlte sich richtig zufrieden. Und dann fielen ihm die Augen zu.

Sprachlos registrierte Anna, wie ihr Gastgeber plötzlich leise zu schnarchen anfing. Sie ließ Sam schlafen, nutzte die Gelegenheit, ihn in aller Seelenruhe zu betrachten. Seine Füße ruhten auf einem Polsterhocker, die Hände hielt er hinter dem Kopf verschränkt. Sams Brustkorb hob und senkte sich im ruhigen Rhythmus seines Atems, sein Bauch war flach, ein echter Sixpack. Er hatte wirklich eine tolle Figur … schlank und durchtrainiert.

Und er war groß. Anna war ja selbst nicht gerade klein, aber im Vergleich mit ihm wirkte sie so – und obendrein zierlich und feminin. Merkwürdig eigentlich, denn obwohl sie Mode und Schmuck liebte, empfand sie sich nicht als feminin im traditionellen Sinne.

Dafür war sie viel zu offen und direkt. Oft rutschte ihr eine kesse Bemerkung heraus, wenn es taktisch klüger gewesen wäre, den Mund zu halten. Die Streitgespräche mit ihren Brüdern und Cousins waren legendär. Erst in letzter Zeit, nachdem die Familie durch diverse Hochzeiten ordentlich Zuwachs erfahren hatte, hielten sie sich in dieser Hinsicht etwas zurück, denn nicht jeder war derart offene Worte gewöhnt.

Unter lauter Männern in einer testosterongeschwängerten Umgebung aufgewachsen, hatte Anna zwangsweise ein dickes Fell entwickelt. Nur einem war es bisher gelungen, dieses dicke Fell zu durchdringen, und der schnarchte gerade selig vor sich hin.

Von den leisen Schnarchgeräuschen abgesehen, die sie nicht einmal als unangenehm empfand, war es still im Haus. Zu still für ihren Geschmack, sie begann sich zu langweilen. Nur so herumzusitzen – das war nichts für sie. Nichtstun verleitete sie dazu, über sich selbst nachzugrübeln, und das mochte sie nicht besonders. Sie war nicht der Typ, der ständig alles hinterfragte, lieber stürmte sie drauflos und handelte spontan.

Das Kaminfeuer flackerte. Anna legte Holz nach. Sie musste an ihre Kinderzeit zurückdenken. Zusammen mit ihren Brüdern und ein paar Freunden hatte sie oft ums Lagerfeuer gesessen. Sie hatten sogar einen Klub gegründet, die Wolff Mountain Gang. Gemeinsam hatten sie die Gegend um Wolff Mountain herum erkundet.

Plötzlich spürte sie, wie ihre Augen sich mit Tränen füllten. Woher kam denn plötzlich diese Rührseligkeit? Sicher lag es daran, dass so gut wie alle ihre Gefährten aus unbeschwerten Kindertagen inzwischen ihr Liebes- und Lebensglück gefunden hatten.

Natürlich, sie freute sich für ihre Cousins und ihren großen Bruder Devlyn. Aber was war mit ihr und Larkin? Würden sie Außenseiter bleiben, würde ihnen das Glück verwehrt sein?

„Schön, dass du dich um das Feuer kümmerst“, hörte sie plötzlich von hinten Sams Stimme. Er gähnte vernehmlich. „Tut mir leid, dass ich einfach eingeschlafen bin. Es war eine harte Woche.“

„Weil du mich vorhin ja auch gefragt hast – wie sieht es bei dir aus? Hast du eine Freundin, die morgen sehnsuchtsvoll auf dich wartet?“

Er beugte sich vor und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Eine Beziehung ist beendet, die nächste noch nicht in Sicht“, meinte er vage.

Anna wusste nur zu gut, dass Sam Ely als guter Fang galt. Im Lauf der Jahre hatte sie viele tolle Frauen an seiner Seite kommen und gehen sehen. Und bei jeder neuen Eroberung hatte es ihr einen Stich versetzt. „Was ist denn mit der letzten passiert?“

Er lehnte sich zurück. Obwohl seine Körpersprache Gelassenheit signalisierte, war seine Miene verschlossen. „Sagen wir, wir waren in einigen wichtigen Dingen nicht einer Meinung. Politik zum Beispiel. Oder Religion.“

„Und diese Meinungsverschiedenheiten waren wichtig genug, um dafür auf Sex mit Diana Salyers zu verzichten …?“

Er kniff die Augen zusammen und lächelte. „Dafür, dass du mich nicht ausstehen kannst, bist du aber verflixt gut über mich informiert.“

„Kunststück“, gab Anna schmunzelnd zurück. „Du warst doch ständig mit ihr in Charlottesville unterwegs. Das reinste Schaulaufen. Allerdings wusste ich noch nicht, dass es aus zwischen euch ist. Eigentlich hätte ich auch gedacht, dass dir unterschiedliche Ansichten über Politik und Religion nicht so wichtig sind.“

Er musste grinsen. „Na schön, du hast mich erwischt. Es gab tatsächlich einen anderen Grund: Sie will keine Kinder.“

3. KAPITEL

Sam nahm Annas Interesse an seinem Liebesleben als gutes Zeichen. Nicht, dass er es darauf anlegte, seinen streitbaren Gast ins Bett zu locken. Aber es war schön zu wissen, dass ihre Abneigung nicht so weit ging, dass er ihr völlig gleichgültig war.

„Du willst also Kinder …?“, fragte sie und sah ihn forschend an.

Ihre Skepsis verwunderte ihn. „Ich bin schon über fünfunddreißig. Da ist das doch wohl nicht so unnormal, oder?“

„Normalerweise nicht, aber … Ich hatte eigentlich gedacht, du wärst nicht so der Familienmensch. Haben sich deine Eltern nicht scheiden lassen?“

Er nickte. „Ja, als ich neun war. Dad musste viel und lange arbeiten, deshalb hat meine Mutter das Sorgerecht bekommen und mich mit nach Alabama genommen. Da stammte sie ursprünglich her.“

„Daher der Dialekt. Man hört es immer noch ein bisschen.“

„Ja. Alabama hat mir gut gefallen, und mehrmals im Jahr hab ich Dad besucht. Außerdem hab ich jeden Sommer hier auf Sycamore Farm verbracht. Gram und Pops waren wie ein Sicherheitsanker für mich. Meine Wurzeln.“

„Und eines Tages wird diese Farm dir gehören.“

„Wenn’s nach mir geht, hat das keine Eile. Die Farm liegt so weit von der Stadt entfernt, dass ich wohl kaum je die ganze Zeit hier leben werde. Aber zu den Wochenenden und im Urlaub komme ich natürlich. Schon allein, weil meine Söhne und Töchter auch so schöne Kindheitserinnerungen an die Farm haben sollen wie ich.“

„Söhne und Töchter …? Gleich mehrere? Ich dachte immer, Scheidungskinder enden als zynische Einzelgänger.“

„Wirke ich so auf dich? Wie ein zynischer Einzelgänger?“

Nachdenklich sah sie ihn an. „Nein“, sagte sie schließlich. „Aber für einen eingefleischten Junggesellen hielt ich dich schon.“

„Irrtum. Sobald mir die richtige Frau über den Weg läuft, greife ich zu – und sorge so schnell wie möglich für Kindersegen, damit Gram und Pops noch was von ihren Enkeln haben.“

„So, so“, murmelte Anna und trat ans Fenster. Inzwischen war es dunkel geworden.

„Wie sieht es bei dir aus?“, fragte Sam. „In eurer Familie gab’s in letzter Zeit so viele Hochzeiten – da bist du doch sicher als Nächste an der Reihe …?“

„Ich?“ Sie lachte auf. „Nein, ich ganz bestimmt nicht. Und Kinder will ich schon mal gar nicht. Das wäre nicht fair.“

Irgendwie enttäuschte ihn diese Aussage. „Wieso?“

„Ich habe einfach keinen Draht zu Kindern.“ In ihrer Stimme schwang Wehmut mit. „Du weißt doch, dass aus unserer Familie keiner auf eine öffentliche Schule gegangen ist. Erst aufs College, als wir alt genug waren.“

„Ach ja, richtig, ihr hattet Privatlehrer.“

„Ja, wir wurden zu Hause unterrichtet. Vielleicht kannst du dir vorstellen, wie schwer es mir gefallen ist, später auf dem College Freundinnen zu finden. Ich war ja nur den Umgang mit Jungs und Männern gewohnt. Die Mädchen waren für mich wie ein Buch mit sieben Siegeln. Studentinnenverbindungen, abhängen und über Jungs lästern, sich gegenseitig den ersten Liebeskummer erzählen – all das war mir völlig fremd.“

„Warum sollte das ein Grund sein, keine Kinder bekommen zu wollen?“

„Sagen wir einfach, dass ich nicht so der Muttertyp bin. Und lassen wir es dabei.“

Ihn beschlich das ungute Gefühl, dass das noch nicht die ganze Wahrheit war. Aber sie beide standen sich nicht so nahe, dass er das Recht gehabt hätte, weiterzubohren. Er war ja schon froh, wenn ihr unfreiwilliges Beisammensein einigermaßen friedlich ablief.

„Komm, setz dich“, schlug er vor. „Ich hole eben ein paar Unterlagen und erzähle dir ausführlich, was Gram für das Anwesen so vorschwebt.“

Als er mit den Papieren zurückkam, saß sie bereits am Kamin. Im sanften Schein des Feuers sah sie umwerfend schön aus. Sam spürte, wie ihm ganz heiß wurde. „Was weißt du über das Haus?“, fragte er, um sie und sich abzulenken.

„Nicht allzu viel. Erzähl.“

Ihr langes Haar war schwarz wie die Sünde – und ebenso verführerisch. Er zwang sich, den Blick abzuwenden und sich auf die Papiere zu konzentrieren.

„Jetzt erzähl“, forderte sie ihn ungeduldig auf. „Je mehr ich weiß, desto besser kann ich die Vergangenheit wiederauferstehen lassen. Jedes alte Haus ist eine Schatzkiste der Erinnerungen, und ich muss sie wieder zum Leben erwecken.“

„Ja, genau.“ Er bemühte sich, mit ihr wie mit einer Fremden zu sprechen, nüchtern und distanziert. „Sycamore Farm ist uralt, mindestens ebenso alt wie Monticello, das Landgut unseres legendären Präsidenten Thomas Jefferson. Es existieren sogar Aufzeichnungen, die die Vermutung nahelegen, dass einer meiner Vorfahren mit Familie Jefferson befreundet war. Bewiesen ist das allerdings nicht.“

„Schon alleine die Vorstellung finde ich faszinierend. Und so weit auseinander liegen die beiden Anwesen ja auch nicht.“

„Stimmt. Wie auch immer – nach dem unseligen Bürgerkrieg verlor unsere Familie das Land. Ein paar Jahrzehnte lang ging es uns finanziell nicht so gut, das Anwesen wechselte den Besitzer. Zum Glück konnte so um 1900 herum ein Farmer aus unserer Familie das Land zurückkaufen. Seitdem gehört es uns wieder.“

„Was für eine glorreiche Tradition. Du kannst dich wirklich glücklich schätzen, Sam.“

„Dein Dad und dein Onkel haben ja mit Wolff Mountains eine ähnliche Tradition begründet. Ich weiß, dass die Ursprünge der Familie im Dunkeln liegen, aber denk nur an die kommenden Jahre. All die Hochzeiten, all die Babys …“

„Na ja, erst mal ja nur ein Baby, und auch das ist noch unterwegs. Die kleine Cammie war ja schon fünf, als wir sie kennengelernt haben – deshalb wird es für uns wirklich ungewohnt sein, ein Neugeborenes auf dem Berg zu haben.“

„Wirst du da oben nicht auch mal ein Haus haben wollen?“

Seine Frage schien sie zu überraschen. „Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht.“

„Das ist doch gelogen.“

„Wie bitte?“ Aufgebracht funkelte sie ihn an. Das war die Anna, die er kannte.

„Ich kenne dich doch, Prinzessin. Du bist mit Leib und Seele Innenarchitektin. Da kannst du mir nicht erzählen, dass du noch nicht davon geträumt hast, auf dem Berg dein eigenes kleines Reich zu bauen, das du ganz nach deinen Wünschen gestalten kannst.“

„Was Wolff Mountain angeht, habe ich sehr gemischte Gefühle“, gestand sie leise. „Immer, wenn ich dorthin fahre, kommt alles zurück. Die Tragödien der Familie, die Trauer. Ob ich mir das auf Dauer antun will, weiß ich nicht.“

„Ich könnte dir helfen, das Haus zu entwerfen.“ Er war selbst überrascht über seinen Vorschlag, der ihm einfach so herausgerutscht war.

„Das würdest du tun …?“

„Ja, natürlich. Es wäre mir eine Ehre. Weil mein Dad bei der Gestaltung von Wolff Castle mitgewirkt hat, fühle ich mich sowieso schon wie ein halber Wolff. Oder wie ein Wolff ehrenhalber. Und selbst wenn du dir dort ein Haus baust – du könntest ja trotzdem noch in Charlottesville leben.“

Ein feines Lächeln umspielte ihre Lippen. „Gut möglich, dass ich auf deinen Vorschlag zurückkomme.“

„Das kannst du jederzeit. Ich stehe zu meinem Wort.“

Ihre Blicke trafen sich, und sie sahen sich lange an. So lange und intensiv, dass Sam ganz heiß wurde. Die perfekte Gelegenheit, einen Verführungsversuch zu starten. Andererseits war ihm das Risiko zu groß. Irgendwie schien sie ja immer noch sauer auf ihn zu sein, und man wusste nie, wozu eine wütende Frau fähig war …

Anna fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Jetzt sind wir schon wieder vom Thema abgeschweift. Lass uns über Sycamore Farm reden. Welche Farben mag deine Großmutter, welche Stoffe?“

Er überreichte ihr einige Blätter. „Hier, sie hat schon mal für dich aufgeschrieben, was sie beibehalten möchte. Davon abgesehen, kannst du den Rest ziemlich frei nach deinen Vorstellungen gestalten. Sie vertraut dir.“

Während Anna sich in die Unterlagen vertiefte, legte Sam im Kamin Holz nach. „Ich gehe mal eben nach draußen, die Lage peilen.“

Vor der Tür sah es nicht gut aus. Der Schnee war jetzt schon um die dreißig Zentimeter hoch, und es schneite immer noch.

Die kalte Luft schlug ihm entgegen, was er fast als Erleichterung empfand. Es verwunderte ihn doch ziemlich, dass er so stark auf Anna Wolff reagierte. Andererseits war ihm diese Anziehung nicht fremd. Über die Jahre hatte er miterlebt, wie sich das kleine Mädchen zu einer wunderschönen, lebhaften Frau entwickelt hatte. Damals, als sie sich ihm an den Hals geworfen hatte, war er durchaus in Versuchung gewesen. Sehr sogar.

Danach hatte er allerdings nie mehr ernsthaft erwogen, etwas mit ihr anzufangen. Zum einen war sie seitdem ohnehin dauerwütend auf ihn, weil er sie zurückgewiesen hatte. Außerdem konnte es höchst unangenehme Folgen haben, wenn sie es miteinander versuchten und es dann doch nicht klappte.

Sam und sein Vater waren in der Regel mindestens einmal im Monat auf Wolff Castle zu Gast. Was wäre denn, wenn Sam etwas mit Anna anfing, mit ihr schlief – und die Beziehung später in die Brüche ging? Das konnte die über Jahre gewachsene Freundschaft zwischen den Familien zerstören.

Natürlich ist es auch nicht ausgeschlossen, dass Anna und ich perfekt zusammenpassen, fuhr es ihm durch den Kopf. Dass wir heiraten und alles gut wird. In seinem Alter fühlte er sich mehr als bereit, eine feste Bindung einzugehen. Seine eigene Kindheit war gar nicht so übel gewesen, trotzdem hatte er die Kinder der Familie Wolff doch immer um das unsichtbare Band beneidet, das sie verband.

Sam wollte unbedingt mehrere Kinder, wollte, dass sie in der Gewissheit aufwuchsen, Geschwister zu haben, die ihnen in der Not beistehen würden. Mit den Wolff-Geschwistern hatte er sich immer gut verstanden, sich aber nie so richtig zugehörig zu ihnen gefühlt, zumal er älter war als sie.

Inzwischen verband ihn mit allen eine wirkliche Freundschaft. Besonders Jacob und Devlyn standen ihm sehr nahe. Anna bildete da die einzige Ausn...

Autor

Catherine Mann
<p>Bestsellerautorin Catherine Mann schreibt zeitgenössische Liebesromane, die im militärischen Milieu spielen. Ihr Mann, der bei der US Air Force arbeitet, versorgt sie mit allen nötigen Informationen, sodass sie keine Recherche betreiben muss. In der Zeit vor ihren Romanveröffentlichungen machte sie ihren Bachelor in Bildender Kunst auf dem College von Charleston...
Mehr erfahren
Rachel Bailey
<p>Rachel Bailey war während ihrer Schulzeit nicht sehr interessiert am Schreiben und lesen. Physik, Chemie und Biologie waren ihre Lieblingsfächer. Ihre Mutter machte sich darüber lustig, dass sie wissenschaftliche Lehrbücher in den Urlaub mitnahm. Nach der Schule machte sie einen wissenschaftlichen Abschluss (wer hätte das auch anders gedacht?) aber ganz...
Mehr erfahren
Janice Maynard
<p>Janice Maynard wuchs in Chattanooga, Tennessee auf. Sie heiratete ihre High-School-Liebe während beide das College gemeinsam in Virginia abschlossen. Später machte sie ihren Master in Literaturwissenschaften an der East Tennessee State University. 15 Jahre lang lehrte sie in einem Kindergarten und einer zweiten Klasse in Knoxville an den Ausläufern der...
Mehr erfahren
Catherine Mann
<p>Bestsellerautorin Catherine Mann schreibt zeitgenössische Liebesromane, die im militärischen Milieu spielen. Ihr Mann, der bei der US Air Force arbeitet, versorgt sie mit allen nötigen Informationen, sodass sie keine Recherche betreiben muss. In der Zeit vor ihren Romanveröffentlichungen machte sie ihren Bachelor in Bildender Kunst auf dem College von Charleston...
Mehr erfahren
Rachel Bailey
<p>Rachel Bailey war während ihrer Schulzeit nicht sehr interessiert am Schreiben und lesen. Physik, Chemie und Biologie waren ihre Lieblingsfächer. Ihre Mutter machte sich darüber lustig, dass sie wissenschaftliche Lehrbücher in den Urlaub mitnahm. Nach der Schule machte sie einen wissenschaftlichen Abschluss (wer hätte das auch anders gedacht?) aber ganz...
Mehr erfahren

Gefahren

  • Dieses Produkt enthält keine bekannten Gefahren.

Kontakt zum Herausgeber für weitere Informationen zur Barrierefreiheit

  • Weitere Informationen zur Barrierefreiheit unserer Produkte erhalten Sie unter info@cora.de.

Navigation

  • Dieses E-Book enthält ein Inhaltsverzeichnis mit Hyperlinks, um die Navigation zu allen Abschnitten und Kapiteln innerhalb dieses E-Books zu erleichtern.