Julia Extra Band 578

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NUR EIN SINNLICHER SILVESTERKUSS? von PIPPA ROSCOE

Wien, Venedig, Paris: Jedes Jahr feiern die Reichsten der Reichen in einer anderen Metropole eine illustre Silvesterparty. Und jedes Jahr wird das Begehren zwischen der jungen Erbin Eleanor und Tycoon Santo Sabatini stärker. Er darf dem nicht nachgeben – bis zu jener einen Nacht …

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  • Erscheinungstag 09.12.2025
  • Bandnummer 578
  • ISBN / Artikelnummer 9783751534437
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Pippa Roscoe, Lynne Graham, Cathy Williams, Melanie Milburne

JULIA EXTRA BAND 578

Pippa Roscoe

1. KAPITEL

Silvester vor neun Jahren in München

Santo Sabatini sah sich mit einem Blick so voller Verachtung um, dass die anderen Gäste auf der Party der Reimanns lieber Abstand hielten. Er trug einen schwarzen Smoking. Ein Outfit, das er abgrundtief verabscheute und das ihm den Magen umdrehte. Für ihn zeugte ein Smoking nicht von Reichtum, sondern von überheblicher Arroganz.

Am liebsten hätte alles hingeworfen. Aber vor sechs Jahren hatte er ein Versprechen gegeben. Und nichts und niemand würde ihn daran hindern, es zu halten.

Pietro war ihm mehr ein Vater gewesen als der Kerl, von dem er seine Augen hatte. Das Einzige, was er sonst noch von seinem biologischen Vater geerbt hatte, war die Sabatini-Gruppe.

„Ich will sie nicht.“

„Du hast keine Wahl, mein Sohn“, hatte seine Mutter gesagt. Tränen liefen über ihre Wange, die immer noch von der Faust seines Vaters gezeichnet war.

„Vorsicht“, warnte eine Stimme hinter ihm. „Das Glas könnte zerbrechen.“

Santo lockerte die krampfhafte Umklammerung des Kelchs in seiner Hand. Der Champagner, den er bei seiner Ankunft gereicht bekommen hatte, war inzwischen warm. Er hielt einen vorbeigehenden Kellner an und tauschte ihn gegen Whisky. Erst danach drehte er sich um.

Hinter ihm betrachtete Marie-Laure die beeindruckend opulente Renaissance-Architektur im Antiquarium der Münchner Residenz. „Die Reimanns haben sich dieses Jahr selbst übertroffen.“ In ihrem Ton schwang Neid mit.

Santo dachte an ihre erste Begegnung vor fünf Jahren. Damals war er zum ersten Mal zum exklusivsten Event des Finanzjahrs eingeladen worden, von dem weder die Wall Street noch der Financial Times Stock Index je gehört hatten. Marie-Laure hatte ihn – damals achtzehn – in einem prunkvollen Bad in Dubrovnik verführt. Ein Ereignis, das er fast lieber vergessen würde.

Fast.

Marie-Laure Gerber war eine atemberaubend schöne Frau, die ihre Sinnlichkeit als Waffe und Schild nutzte. Doch es wäre falsch, sie nur als Witwe eines der reichsten Schweizer Finanziers abzutun. Es gab einen Grund, warum der tollpatschige Mann vor seinem Tod derartige Höhen erreicht hatte: Der Verstand seiner Frau war schärfer als geschliffener Stahl und genauso gefährlich.

Tesorina, was bringt dich heute Abend so in Fahrt?“

Ihr Lachen war so geheuchelt wie sein Kosename. „Angeblich zeigt sich Edward Carsons Tochter heute zum ersten Mal.“

Santos Magen zog sich zusammen. Sein Gesicht drückte nur Gleichgültigkeit aus. „Ach ja?“

Marie-Laure warf ihm einen Seitenblick zu. „Sie soll umwerfend sein. Die Kinder sprechen den ganzen Abend über nichts anderes.“

Santo blickte zur Gruppe der Nachkommen der zwölf anwesenden Familien. Genauer gesagt, elf. Er war der letzte Sabatini. Und das würde auch so bleiben.

Die Gruppe junger Leute in ihren Zwanzigern waren die Erben der Elite. Der Reichtum Europas. Sie würden zu Entscheidungsträgern heranwachsen. Die verzogenen Gören, die keine Ahnung von harter Arbeit hatten.

„Glaubst du, ich kümmere mich auch nur im Geringsten darum, was sie sagen?“

„Nein“, sagte sie und wandte sich ihm wieder zu. „Tust du nicht. Darum mag ich dich.“ Sie tätschelte seine Brust und ließ ihn stehen.

Desinteressiert wandte er sich wieder der Renaissance-Kunst in der großen Halle zu. München war genauso protzig wie Helsinki im Vorjahr und Stockholm im Jahr davor. Jede Silvesterfeier fand in einer anderen europäischen Stadt statt, ausgerichtet von einer anderen Familie.

Niemand außerhalb der zwölf Familien wusste davon. Aber es war kein Kult mit geheimem Handschlag. Nein, was jedes Jahr am einunddreißigsten Dezember in einer anderen Stadt geschah, waren schlicht Transaktionen, um mehr Geld zu machen. Es war ein finanzieller Geheimclub, und er verabscheute jeden einzelnen Gast. Jeder hier würde alles tun, um die eigenen Finanzen zu schützen – auch bei Gewalt und Missbrauch wegsehen. Santo wusste, dass Pietro – obwohl er einer der besten Männer war, die er je getroffen hatte – als Sohn eines ehemaligen Mafia-Jägers niemals Zutritt zu diesen Kreisen haben würde. Dabei waren die Anwesenden die wirklichen Kriminellen. Fast genauso wichtig wie das Bankkonto waren die Gene. Das machte jeden hier pathologisch selbstsüchtig.

Santo nahm gerade einen Schluck Whisky, als das Raunen lauter wurde. „Sie ist hier“, hörte er aus dem Gemurmel heraus.

Er weigerte sich, sich umzudrehen und dem Wunsch nachzugeben, die Erbin von Edward Carson zu sehen. Stattdessen dachte er an die Worte seines Mentors: „Was ich von dir verlange, ist nicht leicht. Es wird das längste Spiel, das du je spielen wirst“, hatte Pietro ihn gewarnt. „Ein lebenslanges Engagement. Überlege es dir gut, bevor du zustimmst.“

Santo brauchte keine Bedenkzeit. Er verstand, dass er das Geheimnis bewahren musste. Nach allem, was Pietro für seine Mutter und ihn getan hatte, würde Santo sein Möglichstes geben. Egal, wie hoch der Preis war. Selbst wenn das bedeutete, die Verbindung zu dieser widerlichen Gruppe aufrechtzuerhalten.

Als Eleanor Carson also am Silvesterabend, einen Tag nach ihrem achtzehnten Geburtstag, die Münchner Residenz betrat, machte sich Santo Sabatini bereit, sein Versprechen einzulösen.

„Pass auf sie auf, Santo. Beschütze sie.“

„Das werde ich.“

Eleanor Carson war sprachlos, als sie die große Halle betrat. So etwas Schönes hatte sie noch nie gesehen. Ihr Herz schlug so stark, dass ihre Brust gegen den engen Ausschnitt ihres goldenen Kleides drückte.

Jahrelang hatte sie auf diesen Moment gewartet.

Sie hätte vor Freude platzen können. Eleanor sah zu ihrem Vater, sah das Funkeln in seinen Augen und wusste, dass er sich genauso für sie freute. Sie griff nach seiner Hand und drückte sie. Er gab ihr nickend zu verstehen, dass sie zu ihren Freunden gehen sollte. Sie warf einen Blick zurück zu ihrer Mutter. Etwas in ihrem Blick kam Eleanor seltsam vor. Doch ihre Mutter überdeckte es mit einem Lächeln.

„Geh schon“, sagte sie liebevoll.

Eleanor machte sich auf, ihre Freundin Dilly unter den bekannten Gesichtern zu suchen. Bekannte der Familie, Schulfreunde aus höheren Jahrgängen … Jetzt, mit achtzehn, durfte sie endlich auch dabei sein. Bisher kannte Eleanor die Silvesterpartys nur von Gerüchten. Niemand sprach darüber, was hier passierte. Das hatte sie nur neugieriger gemacht. In ihrer Vorstellung war es ein Märchenball. Und bisher übertraf es alles, was sie sich ausgemalt hatte. Sie war erfüllt von Freude und fühlte sich, als hätte sie ewig den Atem angehalten.

„Elly!“, rief Dilly quer durch den Raum, und Eleanor musste lachen. Sie hatte ihre Freundin seit ihrem Abschluss nicht mehr gesehen.

„Ich freu mich so, dich zu sehen.“ Eleanor umarmte Dilly.

„Ich mich auch! Ohne dich war es hier öde“, sagte Dilly. „Du siehst fantastisch aus.“

Eleanor gab ihrer Freundin einen sanften Schubs. „Ach, hör auf.“

„Ich meine es ernst!“ Dilly zog sie mit sich. „Komm, ich zeig dir alles. Wie geht’s deiner Familie?“

„Alles gut.“ Eleanor dachte an den schmollenden Blick ihres kleinen Bruders, als sie ihn im Hotelzimmer gelassen hatten.

„Stimmt, dein Vater hat grad einen Spitzen-Deal abgeschlossen“, sagte Dilly.

Eleanor hatte die Verhandlungen wochenlang mitgehört. Es war ihre Idee gewesen. Ihr Vater würde zwar nichts tun, was er nicht selbst wollte, aber die Idee kam von ihr. Sie wollte BWL studieren und in seine Fußstapfen treten. Natürlich würde das Geschäft an Freddie gehen. Aber vielleicht könnte sie eine Rolle darin spielen.

Sie erreichten das andere Ende der beeindruckenden Halle und drehten sich um, sodass sie den ganzen Raum überblicken konnten.

„Also …“, fing Dilly an, „wie du weißt, dürfen Außenstehende hier nicht rein.“

Eleanor nickte. Die Exklusivität und Geheimhaltung der Silvesterpartys hatten sie immer gereizt.

„Da drüben an den Tischen solltest du einige bekannte Gesichter sehen“, sagte Dilly.

Eleanors Blick fand ein Paar tiefbrauner Augen unter einem blonden Haarschopf. Lippen, die sich zu einem Lächeln kräuselten. Ihr Herz schlug schneller, als sie Antony Fairchild erkannte.

„Tony kennst du ja schon.“

„Ich würde nicht sagen, dass ich ihn kenne“, sagte Eleanor.

„Sieht aber so aus, als würde er dich kennen.“ Dilly stupste sie mit der Schulter an.

Eleanors Wangen röteten sich unter Tonys Blick. Er war ein paar Jahre vor ihr in Sandrilling gewesen – dem Internat am Stadtrand Londons, das viele Kinder der Familien besucht hatten. Ohne es verhindern zu können, breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus.

Dilly rollte mit den Augen. „Schon verknallt?“

„Keine Ahnung, was du meinst“, antwortete Eleanor mit einem schiefen Lächeln. Sie sah sich im Saal um und entdeckte unter den fast zweihundert Leuten ihre Eltern im Gespräch mit den Fairchilds. Ihre Mutter wirkte abgelenkt. Ein ungutes Gefühl breitete sich in Eleanors Magen aus. Ihre Mutter hatte nicht gewollt, dass sie kommt. Und Eleanor wusste nicht, warum. Sie wollte Teil dieser Welt sein. Der Glamour, die Exklusivität, die Geheimnisse … Hier sein zu dürfen bedeutete, dass ihre Eltern ihr vertrauten. Es war ein Zeichen des Erwachsenseins. Jetzt konnte ihr Leben beginnen.

Dilly wurde von etwas hinter Eleanors Schulter abgelenkt. „Gib mir zwei Sekunden, bin gleich zurück.“

Das störte Eleanor in keiner Weise. Tatsächlich hatte sie sich einen Moment allein gewünscht, um alles auf sich wirken zu lassen. Es war so viel mehr, als sie erwartet hatte. Ein Paar drängte sich vorbei und zwang sie, einen Schritt zurückzutreten. Dabei stieß sie gegen etwas Hartes. Gegen jemanden.

„Oh, Entschuldigung.“ Erschrocken drehte sie sich um, um zu sehen, wen sie angerempelt hatte. Eleanor stockte der Atem. Vor ihr stand ein dunkelhaariger Mann und starrte grimmig auf den bernsteinfarbenen Fleck, der sich auf seinem weißen Hemd ausbreitete.

„Das tut mir so leid!“ Schnell griff sie nach Servietten von einem Tisch in der Nähe und presste sie auf das Hemd, um den Schaden zu begrenzen.

Kaum hatte sie ihn berührt, wich er zurück und hob die Arme, als wollte er sie nicht anfassen. Sein Ärger war nicht zu übersehen.

Sie biss sich auf die Lippen, ihr Blick wanderte von seiner Brust zu seinem Gesicht. Und die Welt stand einen Moment still. Er sah sie kurz an, dann fiel sein Blick wieder auf sein Hemd.

Das reichte, um sie wie angewurzelt stehen zu lassen. Sie konnte nicht anders, als ihn anzustarren. Dichte, dunkle Locken fielen ihm in die Stirn. Er war einen Kopf größer als sie, trotz ihrer High Heels. Markante Wangenknochen und eine stolze Nase, seine Lippen waren verboten sinnlich und jagten einen wohligen Schauer über ihre Haut. Doch es waren seine aquamarinblauen Augen, die sie am meisten faszinierten. Sie passten nicht zu seinem südländischen Aussehen. Vielleicht war er Grieche, wahrscheinlich Italiener.

Er blickte wieder auf, ertappte sie beim Starren – und hielt ihren Blick fest, wo jeder andere wahrscheinlich weggesehen hätte.

Auch sie hätte normalerweise weggesehen. Doch sie konnte nicht. Einen Augenblick lang dachte sie, etwas anderes als Verachtung in seinem Blick zu sehen. Dann nahm er ihr die Servietten aus der Hand und rieb über den Fleck.

„Es tut mir wirklich …“

„… leid, ja. Ich habe dich beim ersten Mal gehört.“

Scham und Verlegenheit ließen sie erröten. Neben diesem Mann kam sie sich unbeholfen, albern und kindisch vor. Aber das war keine Entschuldigung für schlechte Manieren. Sie riss sich zusammen, lächelte so charmant wie möglich und hielt ihm die Hand hin.

„Eleanor Carson.“

Santo hatte nicht vorgehabt, tatsächlich mit ihr zu sprechen. Naiverweise hatte er geglaubt, er könnte sie aus der Ferne beobachten. Dieser peinliche Austausch war nicht Teil seines Plans. Als sie zu ihm hochsah, ihr Gesicht seltsam entschlossen, nahm er sich einen Moment, um die „umwerfende“ Eleanor Carson zu betrachten. Ja, er verstand den Wirbel. Eleanor würde zu einer sehr schönen Frau heranwachsen. Dunkle Haare, stylisch nach hinten gekämmt, eine Haut so hell wie Milch. Ihre tiefbraunen Augen waren irritierend unschuldig.

Eine Unschuld, die er sich nie hatte leisten können.

Ihr Kleid betonte ihre Vorzüge. Kleine Puffärmel bedeckten ihre Schultern. Sein Blick glitt über einen einfachen Ausschnitt und ein geschnürtes Oberteil.

Er hatte zu lange gestarrt und als er seine Hand ausstreckte, ließ sie ihre bereits wieder sinken. Santo biss die Zähne zusammen, genervt von der Peinlichkeit der Begegnung, und wartete. Mit einiger Verzögerung fasste sie sich wieder und berührte seine Hand mit ihren Fingern. Er war sicher, dass Miss Carson langweilig war.

„Ist das nicht unglaublich?“, fragte sie mit unbegründeter Begeisterung.

Er schaute sie nur verwirrt an.

„Ist mein erstes Mal hier“, plauderte sie weiter. Auch wenn klar war, dass er keine Lust auf Smalltalk hatte.

Er musste wegschauen, als sich ihren Wangen zum zweiten Mal unter seinem Blick rot färbten. „Das hätte ich mir denken können“, brummte er leise, nahm sich von einem vorbeikommenden Kellner ein neues Glas Whisky und ärgerte sich, dass er jetzt den ganzen Abend nach Alkohol riechen würde.

Bevor der Kellner weitergehen konnte, winkte sie ihn zu sich und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Er nickte eifrig und beeilte sich. Sie hatte sicher einen dieser süßen Cocktails bestellt, bei denen man den Alkohol nicht schmeckt. Santo suchte nach einer Ausrede, um zu gehen.

Doch Eleanor ließ nicht locker. „Ich war noch nie in München. Ich hoffe, wir haben noch Zeit, uns die Stadt anzusehen, bevor wir abreisen. Und du? Gibt es irgendetwas, das du hier empfehlen kannst?“

Santo drehte sich wieder ganz zu ihr und hob eine Augenbraue. Er konnte nicht fassen, dass sie ihn ernsthaft nach Touri-Tipps fragte.

„Danke“, sagte sie zu dem Kellner, der zurückkam und ihr eine Tüte gab. Eleanor reichte sie Santo. „Für dich. Sollte passen. Ist natürlich nicht so schön wie deins, aber zumindest hat es keinen Fleck. Oder riecht“, fügte sie mit einem fast bezaubernden Lächeln hinzu. Sie nickte ihm zu, wünschte ihm noch einen schönen Abend und ging.

Santo blieb mit der Tüte zurück. Darin war ein in Zellophan verpacktes weißes Hemd. Er verstand nicht ganz, was gerade passiert war.

„Warte“, rief er, bevor er sich zurückhalten konnte.

Sie drehte sich um, nur ein paar Schritte entfernt. Auf ihrem Gesicht lag ein echtes Mona-Lisa-Lächeln. Nicht gekünstelt. Als wüsste sie, dass sie ihn überrascht hatte. So viel Feingefühl hätte er ihr nicht zugetraut. Nicht nur, dass sie für das ruinierte Hemd aufkam. Sie tat es auf eine unaufdringliche Art. Jeder andere hier hätte es wohl einfach abgetan und ihn so stehen lassen.

„Santo Sabatini“, stellte er sich vor.

„Freut mich.“ Ihr Lächeln wurde strahlend, dann verschwand sie in der Menge. Ein unerwartetes Gefühl schnürte ihm den Brustkorb zu und hielt länger an, als es Santo lieb war.

Als Eleanor zurück zu Dilly und den anderen ging, spürte sie ein Kribbeln vor Aufregung. Sie warf noch einen Blick zurück und sah, wie Santo Sabatini – ganz klar Italiener – ihr hinterherschaute. Ihr Herz machte einen kleinen Sprung. Eigentlich war nichts Großes passiert, aber dass sie ihn überrascht hatte, gefiel ihr.

Als sie wieder hinsah, war er verschwunden, und ihre gute Laune ließ ein wenig nach. Dilly zog sie zurück in die Gruppe und direkt neben Tony Fairchild. Sie lächelte ihn schüchtern an, als er ihr Platz machte. Tony brachte sie auf den neuesten Stand der Gruppe. Sie diskutierten ein Investment. Eleanor hörte zu, bis sich eine Pause im Gespräch ergab.

„Dilly, was weißt du über Santo Sabatini?“

Ihre Freundin verzog das Gesicht. „Halt dich besser von ihm fern. Sein Vater ist vor sechs Jahren gestorben, und die Gerüchte sind nicht schön. Santo war dabei.“

Ihr „dabei“ klang fast so, als wäre er nicht nur zufällig vor Ort gewesen. Eleanor runzelte die Stirn. Hatte sie sich in ihm geirrt? War er etwa gefährlich? Das widersprach ihrem ersten Eindruck.

„Mit achtzehn hat er die Sabatini-Gruppe geerbt. Das größte private Unternehmen Italiens. Ein paar Familien wollten es ihm abkaufen, aber er hat nicht verkauft.“

„Er hält sich für was Besseres“, mischte Tony sich ein.

Eleanor zuckte kurz zusammen. Sie hatte nicht bemerkt, dass er mitgehört hatte. Aber dann sah er sie an und zwinkerte, ganz der charmante Schulschwarm. Er zog sie zu sich. „Mach dir keinen Kopf. Der lässt uns in Ruhe.“

Eleanor nickte und ließ sich von Tony im Arm halten. Als er sie anlächelte, spürte sie wieder dieses Kribbeln. Sie fühlte sich wie das glücklichste Mädchen der Welt.

Als die Uhr Mitternacht schlug, hatte sie alle Gedanken an den großen, geheimnisvollen Italiener vergessen. Dafür hatte sie, genau wie im Märchen, in Antony Fairchild ihren Prinzen gefunden.

2. KAPITEL

Silvester vor acht Jahren in Wien

Was für ein Unterschied ein Jahr macht, dachte Eleanor, als sie mit einem Diamantring am Finger und ihrem Verlobten den klimatisierten Weinkeller der Pichlers betrat. Antony schenkte ihr ein Lächeln, und die Wärme in seinem Blick brachte ihr Herz zum Hüpfen. Jedes Zögern, das sie wegen der rasanten Entwicklung ihrer Beziehung gehabt haben mochte, war unter der überschwänglichen Ermutigung ihres Vaters vor drei Monaten verschwunden.

Tonys Antrag war außergewöhnlich gewesen. Er hatte sie für ein paar Nächte in eine luxuriöse Hütte in den Lyngenalpen nördlich des Polarkreises in Norwegen entführt. Unter den tanzenden Nordlichtern hatte er ihr gesagt, dass sie das Schönste und Kostbarste für ihn wäre und er sich niemand anderen an seiner Seite vorstellen könnte.

Eleanor war nicht so naiv, wie manche glaubten. Ihr war klar, dass ihre Beziehung beiden Unternehmen und Familien zugutekam. Doch das Jahr seit der Silvesterfeier in München war wie im Flug vergangen. Schon am ersten Januar hatte Tony ihr einen Strauß aus roten Rosen und weißen Lilien geschickt. Binnen Wochen hatte er sie zu einem romantischen Trip nach Paris mitgenommen. Date für Date hatte Tony ihr entlockt, was sie sich für die Zukunft wünschte. Eine Familie wie ihre eigene, die Bedeutung des Familienunternehmens, die Grundsätze, mit denen sie aufgewachsen war und die sie fortführen wollte. Es begeisterte sie, dass er ihre Ziele teilte.

Seine Liebeserklärungen sorgten dafür, dass sie sich besonders fühlte – begehrt und geliebt. Ihre Mutter hatte zur Vorsicht geraten, doch die enthusiastische Zustimmung ihres Vaters hatte alle Bedenken beiseitegefegt. Eleanor hatte sich Hals über Kopf in Tonys Charme und seine unkomplizierte Art verliebt. Sie konnte sich ein gemeinsames Leben mit ihm vorstellen – stabil und erfolgreich. Und es würde ihren Vater sehr glücklich machen.

„Ich hole uns etwas zu trinken“, flüsterte Tony ihr ins Ohr und drückte einen sanften Kuss auf die empfindliche Stelle darunter. Es prickelte durch ihren ganzen Körper.

Eleanor war unsicher, ob sie mit dem Sex bis zur Hochzeit warten sollte. Ihr erstes Mal sollte etwas Besonderes sein. Aber in jüngster Zeit zweifelte sie an ihrer Entscheidung.

Sie sah ihm nach, wie er unter den niedrigen Gewölbedecken des Weinkellers in der Menge verschwand.

Eleanor hatte befürchtet, dass es hier dunkel, kalt und muffig wäre. Tatsächlich aber war der Keller wunderschön beleuchtet und die Temperatur sorgfältig kontrolliert. Reihen von Weinflaschen standen hinter Glas. Sie fühlte sich wie in einer Galerie. Zwischen den großen Weinschränken gab es kleine Nischen, die sich mit festlich gekleideten Menschen füllten. Alles funkelte.

„Neunzehn Jahre und verlobt mit einem der begehrtesten Junggesellen Englands. Wer hätte es gedacht?“, fragte Dilly, als sie Eleanor in eine Umarmung zog und aus ihren Gedanken holte.

„Herzlichen Glückwunsch“, ergänzte Ekaterina Kivi. Sie war auf Sandrilling einen Jahrgang über ihr gewesen. Eleanor lächelte die Rothaarige an.

„Danke“, antwortete sie ehrlich. „Ich hätte nie gedacht, dass ich so glücklich sein könnte.“

„Daddy ist sicher stolz“, meinte Dilly und schmiegte sich an Eleanors Schulter. „Gerade mal ein Jahr aus der Schule und dein Leben ist schon perfekt.“

Bei diesen Worten verblasste Eleanors Lächeln ein wenig. Es klang, als hätte sie jetzt, da sie verlobt war, nichts mehr zu erreichen.

Ja, Tony hatte sie überzeugt, noch ein Jahr mit der Uni zu warten. Sie sollte bei wichtigen Abendessen und Events helfen, damit er sich in der Firma seines Vaters einen Namen machen und einen Platz sichern konnte. Ihre Aufgaben machten ihr Spaß, und sie war gut darin. Es war ihr nicht schwergefallen, dem Beispiel ihrer Mutter zu folgen.

Und nein, es gefiel ihr nicht, bei Geschäftsgesprächen ihre Meinung für sich zu behalten. Einmal hatte Tony gelacht und sich für ihre Einmischung entschuldigt, als sie einem Gast widersprochen hatte. Aber sie kannte den Druck, unter dem er stand. Das hatte sie oft genug bei ihrem Vater erlebt. Eleanor hatte immer das gewollt, was ihre Eltern hatten: die perfekte Ehe, Liebe und Sicherheit. Das war ihr Lebenstraum. Also würde sie kleine Anpassungen akzeptieren. Bis sie verheiratet war und sich auf ihr Studium konzentrieren konnte. Sie hatte eigene Träume, auch wenn sie noch warten mussten.

„Ich bin sicher, ihr werdet zusammen glücklich.“ Dilly legte ihre Arme um Eleanor und zog sie auf die Tanzfläche.

Kaum eine Stunde später fühlte sich Eleanor in der Menschenmenge ein wenig klaustrophobisch. Antony war leicht angetrunken und unterhielt sich lautstark mit seinem besten Freund. Dilly war verschwunden. Eleanor zupfte an Antonys Jacke, aber er winkte ab. Sie brauchte jetzt dringend einen Ort, an dem sie leichter atmen konnte. Also steuerte sie auf den Rand der niedrigen gewölbten Halle zu und schlüpfte in eine der Nischen zwischen den Weinregalen – dankbar für die kühlere Luft abseits der Menge. Sie schloss die Augen und atmete tief durch. Sie hatte nicht viel getrunken, aber mehr als sonst.

Als sie die Augen öffnete, erschrak sie.

Santo Sabatini stand ihr direkt gegenüber. Lässig an die Wand gelehnt, einen Drink in der Hand, die Fliege locker um den Hals. Er sah sie ärgerlich an. Und er war attraktiver, als sie zugeben wollte.

Damit war ihr Moment der Ruhe vorbei. Instinktiv lehnte sie sich zurück, aber zu weit und zu schnell. Sie stolperte und wäre fast gefallen, doch er streckte reflexartig den Arm aus und umfasste ihr Handgelenk. Kleine Flammen züngelten von der Stelle in ihren Körper. Er hielt sie fest und zog sie zu sich, damit sie ihr Gleichgewicht wiederfand. Zum zweiten Mal fühlte sie sich in seiner Gegenwart wie ein Trottel.

Ein spöttisches Grinsen umspielte einen Mund, von dem sie ihren Blick nicht lösen konnte. Fasziniert über alle Vernunft hinaus betrachtete sie den Rest seiner Züge, genau wie im Jahr zuvor. Sie hatte alle Gedanken an den Italiener sorgfältig verdrängt. Aber jetzt, als ihr Blick über seinen markanten Kiefer und die Linien seines Munds strich, erwachte ihre Neugier. Über den aquamarinblauen Augen lagen dunkle Brauen, eine war durch eine Narbe geteilt. Er hatte so viel mehr Substanz als Tony und seine Freunde. Wirkte älter, erfahrener … wissend.

Das war es, was sie in seinen Augen las. Wissen.

„Hast du genug gesehen, Prinzessin?“ Er verbarg sein Amüsement über ihre Faszination nicht.

Sein Spott löschte das Feuer in ihr. Stattdessen empfand sie tiefe Scham darüber, jemand anders als ihren Verlobten auch nur interessant zu finden. Sie beschloss, die Stichelei zu ignorieren.

„Du hast mich erschreckt, mehr nicht.“

„Ich war zuerst hier. Also bist du diejenige, die mich erschreckt hat.“

„Du siehst aber nicht erschrocken aus, sondern wirkst … ärgerlich“, antwortete sie ehrlich.

Etwas blitzte in seinen Augen auf. Der Muskel an seinem Kiefer spannte sich reflexartig an. „Das höre ich öfter“, sagte er in einem Ton, den sie nicht deuten konnte.

Er nahm einen Schluck aus seinem Glas, ohne sie aus den Augen zu lassen. Warum fühlte sie sich plötzlich so befangen?

„Falls du Glückwünsche von mir erwartest – das kannst du vergessen“, fuhr er lakonisch fort.

Ihre Unterhaltung nahm eine unerwartete Wendung. War er wütend, weil sie verlobt war? Unsinn! Alles, was letztes Jahr zwischen ihnen aufgeflackert war, jede Nähe, die sie gefühlt hatte, schien verschwunden. An ihre Stelle war eine Abwehrhaltung getreten, die Eleanor fremd war.

„Ist ein bisschen Anstand zu viel verlangt?“, gab sie scharf zurück.

„Und ich dachte, ich benehme mich anständig.“

„Nett zu sein ist nicht das Gleiche, wie zivilisiert zu sein.“

Überraschung blitzte in seinen Augen auf, doch er verbarg sie schnell wieder. Tief in sich spürte sie eine Genugtuung, ihn wieder überrascht zu haben. Doch seine nächsten Worte trafen sie wie ein Schlag.

„Zivilisiert?“, höhnte er. „Du heiratest Antony Fairchild. Der Junge ist bestenfalls übermütig und grün hinter den Ohren. Schlimmstenfalls verwöhnt und fies. Du hast mein Beileid.“ Er schwenkte sein Glas.

„Bist du betrunken?“ Eleanor war schockiert über seine Unverschämtheit.

„Leider nicht genug.“

„So ist Antony nicht“, beharrte sie.

Als ob ihre Worte ihn gereizt hätten, kam Santo plötzlich näher. „Dann klär mich auf, Prinzessin. Wie ist dein Verlobter denn so?“

Ihr Herz hämmerte rasend schnell in ihrer Brust. Der Duft von Whisky, die holzige Note seines Aftershaves, die Wärme seines Körpers so nah an ihrem … alles in ihr fühlte sich an wie elektrisiert. Etwas Verbotenes und Aufregendes ließ ihre Haut prickeln. Santo sah sie wieder so an, als spürte er, was in ihr vorging. Als wüsste er, was in ihr geschah, obwohl sie es selbst nicht verstand. Sein Blick wanderte zwischen ihren Augen und ihren Lippen hin und her. Für einen Moment setzte ihr Herz aus, und sie dachte – hoffte –, er würde sie küssen.

Mit einer Selbstkontrolle, wie er sie noch nie gebraucht hatte, trat Santo einen Schritt von Eleanor zurück. Es wäre so einfach gewesen. So leicht, sich einfach zu nehmen, was sie ihm unbewusst anbot. Doch er konnte nicht. Nicht mit ihr. Ob verlobt oder nicht, sie war so jung und unschuldig. Er spielte weder mit Mädchen, die nicht wussten, was sie wollten, noch mit Frauen, die mehr von ihm erwarteten, als er zu geben bereit war.

Dass sie verlobt war, hatte ihn nicht überrascht. Doch ausgerechnet mit Antony Fairchild – das war eine Enttäuschung. Er hatte Eleanor nicht kränken wollen, als er ihr seine Meinung über den Fairchild-Bengel mitgeteilt hatte. Antony war all das und schlimmer. Pietro hatte ihn nur gebeten, auf Eleanor aufzupassen. Nicht, sie vor ihren eigenen Fehlentscheidungen zu schützen. Aber war es wirklich ihre Entscheidung, wenn Edward Carson sie benutzte, um eine finanziell vorteilhafte Verbindung für sein Geschäft einzugehen? Wenn es nicht Fairchild wäre, dann jemand anderes.

In Eleanors Augen schimmerte noch immer die Kränkung seiner harten Worte. Er spürte einen Anflug von Scham in sich aufsteigen. Stark genug, um das Gesagte zu bereuen.

„Ich entschuldige mich.“

Sie nickte auf eine Art, die ihm zeigte, dass sie ihm nicht im Geringsten verziehen hatte.

„Ernsthaft“, fügte er ehrlich hinzu.

Santo hatte schlechte Laune. Aufgerieben zwischen seiner Mutter und den Anforderungen der Sabatini-Gruppe lag ein hartes Jahr hinter ihm. Waldbrände hatten seine Olivenhaine schwer getroffen, genau wie den Rest Süditaliens und andere Teile Europas. Doch niemand schien in die Art von Infrastruktur investieren zu wollen, die eine sofortige, direkte Reaktion auf die globale Klimakrise ermöglichen würde.

Mit seinem fast leeren Whiskyglas in der Hand massierte er sich die Schläfe.

„Geht’s dir gut?“, fragte Eleanor.

„Nur Kopfschmerzen.“

„Ich habe gehört, Whisky ist das beste Mittel dagegen“, erwiderte sie spitz.

Er konnte nicht anders, als laut zu lachen. Sie mochte naiv sein und jung. Umso mehr erstaunte ihn ihr trockener Humor. Die verräterische Krümmung ihrer zusammengepressten Lippen traf ihn unerwartet heftig.

Sie rollte mit den Augen und drehte den Kopf weg. In dem Moment verschlang er sie mit seinen Blicken. Ihr türkisfarbenes Seidenkleid lag eng an ihrem Körper, wie eine Ahnung der Frau, die sie noch werden würde. Für jeden Mann eine unwiderstehliche Kombination. Und sie hatte keinen Schimmer von ihrer Wirkung. Er hielt sich im letzten Moment von einer unfassbaren Dummheit ab und schalt sich innerlich selbst.

„Geht es um die Olivenhaine? Haben die Brände sie beschädigt?“, fragte Eleanor.

Das holte ihn sofort aus seinen Gedanken. Sie kannte sich mit seinem Geschäft aus? Die ganze Zeit über hatte er sie beobachtet, ohne zu ahnen, dass sie das Gleiche tat.

„Ziemlich“, räumte er ein. „Aber wir kommen klar.“

„Wir?“ Sie sah verwirrt aus.

„Ja, meine Angestellten und ich. Wir eben.“

Diesmal wirkte sie überrascht. Wahrscheinlich nahm man in ihrer Familie keine Rücksicht auf Mitarbeiter. Er beobachtete, wie sich ihre Gedankengänge in ihrem Gesicht abzeichneten. Ihre Mimik faszinierte ihn.

„Willst du einen Drink?“, fragte Santo, als er sich wieder gefasst hatte. „Ich gebe dir etwas von meinem Whisky ab – wenn du versprichst, ihn nicht wieder über mein Hemd zu kippen“, neckte er sie.

Sie blickte über die Schulter zurück in die Menge. „Hörst du auf, so ein Idiot zu sein, wenn ich Ja sage?“

„Kann ich nicht garantieren.“ Er unterdrückte ein Grinsen, während er nach der Flasche neben ihm auf dem Boden griff. Als er sich wieder aufrichtete, hörte er ein überraschendes „Ja“ von Eleanor. „Wir müssen uns das Glas teilen“, erklärte er. „Bleibst du trotzdem?“

Sie nickte, senkte den Blick und verringerte den Abstand zwischen ihnen. Einen Moment war er unsicher, was sie vorhatte. Sein Puls reagierte auf ihre plötzliche Nähe. Dann stand sie neben ihm an der Ziegelwand.

„Warte mal“, hielt er sie auf, bevor sie sich anlehnen konnte. Er zog seine Jacke aus und legte sie ihr um die Schultern. Der Staub an der Wand hätte ihr Kleid ruiniert. Sie schlüpfte in sein Sakko, das ihr viel zu groß war. Santo musste wegsehen. Wer hätte gedacht, dass der bloße Anblick ihrer zierlichen Figur in einem seiner Kleidungsstücke so eine Wirkung auf ihn haben könnte?

Um die unerwünschte Erregung zu zügeln, griff er nach der Whiskyflasche, goss den sechzehn Jahre alten Lagavulin Special Release ins Glas und reichte es Eleanor.

„Wovor versteckst du dich?“, fragte er mit aufrichtigem Interesse.

„Es war einfach zu stickig unter den Leuten.“ Sie nahm einen Schluck, und er färbte ihre Wangen pink.

Santo fragte sich, ob das wirklich alles war, wollte aber nicht nachhaken. Er war hier, um auf sie aufzupassen, nicht um sie auszufragen.

„Und was ist mit dir? Warum stehst du hier?“ Sie gab ihm das Glas zurück.

Er genoss das Torfaroma auf seiner Zunge und das Brennen in seinem Hals. „Ich wollte nur ein bisschen Ruhe.“

„Dann bist du hier aber auf der falschen Party.“

„Stimmt.“ Er schwenkte das bernsteinfarbene Getränk im Glas.

Es entstand eine Pause, und er setzte gerade zum Weitersprechen an, als ihn ein Geräusch bei den Weinregalen stoppte.

„Hier … hier rein.“

Beide hörten gleichzeitig die Stimme ihres Verlobten. Santo sah zu Eleanor. Ihre Augen waren vor Panik weit aufgerissen – vermutlich weil sie nicht in einer dunklen Ecke mit Santo gesehen werden wollte. Ein gehässiger Teil von ihm wünschte sich fast, dass es passierte, um zu sehen, wie der Typ reagieren würde. Aber es kam niemand.

Er machte einen Schritt nach vorn, als ein Kichern hinter den Weinregalen zu hören war.

„Pssst, du musst leise sein“, sagte Tony.

„Du hast gesagt, du schaffst es weg von hier“, antwortete eine quengelnde Stimme.

„Was hätte ich denn tun sollen? Sie hat mich den ganzen Abend nicht aus den Augen gelassen.“

Santo drehte sich gerade rechtzeitig zu Eleanor um, als sie verstand, was los war. Ihre Augen weiteten sich, alle Farbe wich aus ihrem Gesicht, und sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen. Doch er hielt ihr schnell die Hand davor, bevor sie sprechen konnte. Sie sträubte sich gegen seinen Arm, der sie davon abhielt, ihrem untreuen Verlobten entgegenzustürmen. Sie schien die Tragweite ihrer Situation nicht zu erfassen.

Seit der Verlobung hatten die Familien über nichts anderes gesprochen. Die Vereinigung zweier mächtiger Dynastien war eine große Sache, und Edward Carson würde diesen Traum nicht so leicht aufgeben.

„Warte“, flüsterte Santo ihr ins Ohr. „Warte einfach.“ Er sah ihr tief in die Augen, bis sie seine Worte verstand.

Wut und Verwirrung standen Eleanor ins Gesicht geschrieben. Dann blinzelte sie kurz, und ihr Blick wurde wieder klarer. Sie nickte langsam.

„Oh Gott … du hast ja keine Ahnung, was du in mir auslöst“, stöhnte die weibliche Stimme. „Ich brauche dich, Tony. Jetzt.“

Santo erkannte die Stimme der Frau nicht, aber das plötzliche Funkeln in Eleanors Augen verriet ihm, dass sie es tat. Tränen sammelten sich in ihren Augenwinkeln. Das war das Einzige, was Santo nicht ertragen konnte.

„Stopp“, zischte er. „Denk nicht einmal daran, wegen dieses Idioten oder mit wem auch immer er gerade zusammen ist, auch nur eine Träne zu vergießen. Du bist besser als das. Stärker.“ Eine Träne rann über ihre Wange. Er wischte sie mit seinem Daumen weg, aber weitere Tränen liefen über seine Hand. Es zerriss ihn, sie so zu sehen. Wut überkam ihn, rasend und brennend heiß. Hilflos schaute Eleanor ihn an, als würde sie ihn bitten, das Ganze ungeschehen zu machen.

Plötzlich fühlte er sich wie damals bei seiner Mutter und seinem Vater. Und genau wie damals konnte er absolut nichts tun.

Er musste kurz die Augen schließen und durchatmen, um die Wut zurückzudrängen, die eine verheerende Vergangenheit und eine gefährliche Gegenwart in ihm auslösten. Als er die Kontrolle wieder hatte, sah Eleanor ihn besorgt an. Langsam nahm er die Hand von ihrem Mund.

„Wo ist dein Handy?“, flüsterte er.

„In meiner Tasche.“ Sie reichte ihm die schmale Clutch, und er nahm ihr Telefon.

„Die PIN“, verlangte er und hielt ihr den Bildschirm hin.

Mit zitternden Fingern tippte sie die vier Zahlen ein, die ihr Handy entsperrten. Er fand die App, die er wollte, drehte sich um und ging.

Eleanor zitterte und konnte sich nicht bewegen. Sie konnte Santo nicht um das Weinregal herum folgen, weil sie wusste, was sie dort sehen würde.

Ihren Verlobten und ihre angebliche beste Freundin beim Sex.

Sie wollte am liebsten schreien, bis sie die Geräusche nicht mehr hörte. Der Verrat jagte einen stechenden Schmerz durch ihren Körper. Wie hatte sie das übersehen können? Wie hatte sie so naiv sein können? Ihr schwirrte der Kopf vor Fragen. Wäre das auch passiert, wenn sie mit Tony geschlafen hätte? War es ihre Schuld? Oder lief das schon vor ihrer Verlobung? Wie konnten Dilly und er ihr das antun?

Vor lauter Fragen wurde ihr schwindelig, und sie taumelte. Als sie im Begriff war, wegzurutschen, kam Santo um die Ecke. Er fing sie auf, zog sie an sich und hielt sie fest. Für einen Moment ließ sie sich fallen. In seine Stärke. In den Schutz, den er ihr bot. Er gewährte ihr diesen Augenblick, bevor er sie von dem wegzog, was Tony und Dilly taten. Und Eleanor ließ sich von Santo und seiner grimmigen Entschlossenheit mitziehen, obwohl sie am liebsten einfach weinend in sich zusammengesunken wäre.

„Was hast du mit meinem Handy gemacht?“, fragte sie mit tauben Lippen.

„Fotos.“

„Du hast Fotos gemacht?“, fragte sie erschrocken. „Davon? Warum um alles in der Welt …“

„Leiser“, zischte er und warf einen besorgten Blick hinter sich, um zu sehen, ob sie Aufmerksamkeit erregt hatten. Als er sie weit genug von ihrem Verlobten weggebracht hatte, lenkte er sie sanft in eine andere Nische auf der gegenüberliegenden Seite des Weinkellers.

Auf dem Weg dorthin hatte Eleanor hastig die Tränen weggewischt. Nun rieb sie sich die Wangen, als wollte sie ihre Augen, ihre Ohren und gleichzeitig auch ihr Herz auswaschen.

Oh Gott.

„Hör mir zu, Eleanor …“

Sie wollte schon den Kopf schütteln. Sie wollte nichts hören. Tony hatte sie betrogen.

„Eleanor.“ Santo packte ihre Schultern und schüttelte sie leicht. „Du musst mir jetzt gut zuhören.“

„Okay.“ Sie biss die Zähne zusammen, obwohl sie nur Dillys Stöhnen im Kopf hatte. Es drehte ihr den Magen um.

„Sie werden versuchen, dir einzureden, dass es nicht so schlimm war. Dass es nur ein Fehltritt war. Dass er dich liebt und es dumm wäre, eure Zukunft wegzuwerfen“, sagte Santo ernst.

Wieder kamen ihr die Tränen, und ein brennendes Gefühl kroch ihren Hals hoch.

„Hörst du mir zu, Eleanor?“

Sie nickte.

„Lass dir nicht einreden, dass es nichts war. Wenn du ins Zweifeln kommst, schau dir die Fotos an. Lass dich nicht zu einer Ehe drängen, die du nicht willst“, beschwor er sie.

Ein gequältes Stöhnen kam über ihre Lippen.

„Eleanor, das ist zu wichtig!“

„Mein Vater würde das nie zulassen“, sagte sie und versuchte, sich aus seinem Griff zu lösen. „Wenn er davon erfährt, flippt er aus. Keine Chance, dass er Tony damit durchkommen lässt.“

Santo sah sie mit einem mitleidigen Blick an. Als hielte er sie für naiv. Als hätte sie keine Ahnung, wer ihr Vater wirklich war.

„Das wird er nicht!“, rief sie und stemmte sich gegen Santo. „Wie kommst du darauf, dass es anders sein könnte?“

Santos Blick wurde düster. Er wollte gerade antworten, als die besorgte Stimme ihrer Mutter hinter ihm erklang.

„Eleanor, ist alles in Ordnung?“

Sie schob ihn beiseite, streifte seine Jacke ab und rannte in die Arme ihrer Mutter. Ihr Herz war in tausend Stücke gebrochen.

3. KAPITEL

Silvester vor sieben Jahren in Oxford

Santo konnte sich nicht entscheiden, ob Edward Carsons Arroganz ihn beeindruckte oder aufregte. Trotz des Skandals richtete Carson das diesjährige Fest bei sich aus. So, als ob sein Zuhause den prachtvollen Locations in nichts nachstünde – ja, sie sogar übertraf.

Es ärgerte Santo umso mehr, weil es stimmte. Das Anwesen mochte Roughbridge House heißen, aber es war ein Schloss. Ein riesiges Anwesen aus der Jakobinischen Zeit. Angestellte in Uniformen führten die Gäste in verschiedene prunkvolle Räume mit Namen wie „Salon“ oder „Gesellschaftszimmer“.

Santo überflog die Gesichter der Gäste, nickte hier und ignorierte dort. Eigentlich hielt er nur Ausschau nach einer Person.

Obwohl Pietro nicht erwartet hatte, dass Santo außerhalb der jährlichen Treffen ein Auge auf Eleanor warf – zu groß war das Risiko, unnötige Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen –, hatte er den Schlagzeilen über das Ende ihrer Verlobung nicht aus dem Weg gehen können. Und wieder hatte sie ihn überrascht. Nachdem sie vergangenes Silvester in die Arme ihrer Mutter gestürzt war, hatte er geglaubt, sie würde nachgeben. Das tat sie aber nicht. Und obwohl viel über den Trennungsgrund spekuliert wurde, behaupteten beide Seiten, dass sie einvernehmlich war.

Hinter den Kulissen sah die Sache jedoch anders aus. Die Veränderungen am Aktienmarkt lasen sich wie eine Chronik der Vergeltung. Die ersten Monate war es ruhig geblieben. Wahrscheinlich weil Eleanor von der Hochzeit überzeugt werden sollte. Als sie sich unerschütterlich zeigte, ging Carson vor den Fairchilds in die Offensive. Die zackigen Einbrüche der Kurse beider Firmen sahen nach einem Blutbad aus. Gerüchtehalber mussten die anderen Familien Carson und Fairchild zu Friedensgesprächen an einen Tisch zwingen.

Santo nahm sich einen Whisky und schlenderte von Raum zu Raum. Antonys Verrat an Eleanor hatte die Fairchilds Milliarden gekostet. Aber welchen Preis hatte Eleanor zahlen müssen?

Im Lauf des Jahrs hatte sie sich öfter in seine Gedanken geschlichen, als ihm lieb war. Die Art, wie sie ihn angesehen hatte, so schockiert und verletzt. Santo schüttelte den Kopf.

Im Ballsaal lag eine gespannte Erwartung in der Luft. Als wäre der Saal das Kolosseum und als witterten die Gäste Blut.

Santo konnte Antony Fairchild ausmachen. Von Dilly Allencourt, Eleanors angeblicher bester Freundin, war nichts zu sehen. Nur ihr Vater und ihre Großmutter waren da und beiden hielten sich im Ballsaal abseits von den Carsons und Fairchilds. Wahrscheinlich würden sie keine Stunde bleiben.

Das musste er widerwillig anerkennen: Eleanor hatte etwas geschafft, was in fast fünfhundert Jahren bei diesen Treffen niemandem gelungen war. Sie hatte für Spaltung gesorgt.

In einem anderen Jahr hätte sie vielleicht fernbleiben können, aber da Edward dieses Mal der Gastgeber war, wäre ihre Abwesenheit zu sehr aufgefallen. Er dachte an das Mädchen, das er vor zwei Jahren kennengelernt hatte, und fragte sich, ob sie stark genug sein würde, um dem Druck standzuhalten. Kurz wünschte er sich, die Dinge wären anders für sie.

„Ist schon was, findest du nicht?“ Er drehte sich um und sah Eleanor neben sich. „All die Macht. Das Geld.“

Santo nickte. Etwas regte sich in ihm bei der Erkenntnis, dass sie die Leute hier endlich zu durchschauen begann. Als er sie ansah, entdeckte er Spuren von Reife in ihrem Gesicht. Die Wangen waren schmaler, in ihren Augen lag ein wissender Schimmer. Härter als das frühere Funkeln.

„Du hast es überstanden“, sagte er.

Etwas blitzte in ihren Augen auf. „Ja, gerade so.“ Ein zögerliches Lächeln zeigte sich auf ihren Lippen. „Kann ich dich kurz für mich beanspruchen?“

Er sollte sich nicht darauf einlassen. Zu viele Augen waren auf sie gerichtet. Aber zwischen ihnen hatte sich eine Verbindung entwickelt. Wenn er sich jetzt zurückzog, könnte ihm das später Probleme einbringen. Und Santo würde nichts tun, was sein Versprechen gefährdete.

Santo nickte langsam und signalisierte ihr, voranzugehen. Eleanor spürte eine seltsame und ungewohnte Welle der Erleichterung. Sie schlängelte sich durch die Menge in Richtung eines Bereichs des Hauses, der für Gäste tabu war.

Es hatte sie mehr gekostet, als sie je zugeben würde, sich an das zu halten, was Santo ihr im Vorjahr gesagt hatte.

Aber jetzt war er hier. Darauf hatte sie gewartet. Während der Monate nach den schrecklichen Streiten mit Tony und ihrem Vater, nachdem alle Vorhersagen von Santo sich bewahrheitet hatten, hatte sie sich an einem Gedanken festgehalten: dass sie ihn wiedersehen würde.

Sie wusste nicht genau, wie – aber er war zu einem Fixpunkt auf ihrer Landkarte geworden, der ihr Orientierung gab. Wenn ich es nur hierherschaffe, ihn nur noch einmal sehe, hatte sie sich gesagt, dann wird vielleicht alles wieder gut.

Sie hatte sich mit einer Entschlossenheit an Santos Worten festgehalten, die Tony und ihren Vater überrascht hatte. Genau wie sie selbst.

Beide Männer hatten monatelang versucht, sie zu überreden. Bis Eleanor schließlich die Fotos an Tonys Vater geschickt hatte. Wenn er seinen Sohn nicht zur Vernunft brächte, hatte sie ihn gewarnt, würden die Bilder auf den Titelseiten internationaler Zeitungen landen.

Die Konsequenzen waren verheerend gewesen. Doch der größte Schmerz kam von ihrem Vater. Sie hatte ihn nie zuvor enttäuscht, und dieses Gefühl tat brutal weh. Es fühlte sich an, als wäre die Sonne aus ihrem Leben verschwunden. Die seitdem herrschende Kälte war scharf und schneidend.

Sie drehte sich noch einmal um, um sicherzugehen, dass sie nicht entdeckt worden waren. Dann führte sie Santo die hintere Treppe hoch in die Bibliothek im zweiten Stock, die in den vergangenen Monaten ihr Zufluchtsort geworden war. Ihr Vater war kaum noch zu Hause, und ihre Mutter gewährte ihr den dringend nötigen Abstand.

Fast hätte Eleanor gelacht, weil sie in ihrem eigenen Zuhause herumschleichen musste. Aber inzwischen fühlte sie sich hier wie eine Fremde. Sie achtete ständig auf alles und versuchte, ja keine falsche Bewegung zu machen.

Sie spürte Santos Gegenwart hinter sich, zuverlässig und sicher. Er schlich nicht herum, sondern bewegte sich durch das Haus, als wäre es ihm vertrauter als ihr. Sie bewunderte seine Selbstsicherheit.

Er war quasi ein Fremder. Aber er hatte ihr Leben enorm beeinflusst.

Sie öffnete die Tür und trat zur Seite, um ihn durchzulassen. Das einzige Licht kam vom offenen Kamin. Bücherregale umgaben einen alten Schreibtisch vor einem großen Erkerfenster. Santo ging zum Schreibtisch und betrachtete die Fotos, eins von ihr und ihrem Bruder, eins von ihr und ihren Eltern.

„Das ist Freddie. Mein Bruder.“ Sie trat neben ihn und lächelte. „Ein richtiger Wirbelwind. Zehn Jahre alt und meint, er wüsste alles.“

„Ich bin sicher, du hast nicht die geringste Ahnung, wie sich das anfühlt“, kommentierte Santo trocken.

„Er ist das Beste in meinem Leben“, sagte sie voller Liebe. „Hast du Geschwister?“ Ihr Lächeln verblasste, als sie sich an die wenigen Informationen über sein Leben erinnerte, die sie online gefunden hatte. Sie wusste so gut wie nichts über Santo.

„Nein.“ Er warf noch einen kurzen Blick auf die Fotos, verharrte einen Moment beim Bild ihrer Eltern. Dann drehte er sich um und lehnte sich lässig mit verschränkten Armen an den Tisch. Als ob er ungeduldig darauf wartete, wieder zur Party zurückzukehren. Als ob sie zur Sache kommen und ihn dann gehen lassen sollte.

„Ich wollte mich bei dir bedanken.“ Sie zwang sich, seinem Blick standzuhalten.

„Wofür?“

„Für das, was du vor einem Jahr für mich getan hast. Mein ganzes Leben wäre anders verlaufen, wenn du nicht all das gesagt hättest.“

„Bereust du es nicht?“

Sie spürte, wie intensiv er sie beobachtete. Als suchte er nach Anzeichen von Unaufrichtigkeit.

„Nein.“ Sie sah ihm offen ins Gesicht. „Aber … ich habe mich geschämt, dass du recht hattest.“ Sie blickte zu Boden. „Mit allem.“ Sie hatte so fest geglaubt, dass er falschlag. „Am Anfang habe ich dich deswegen gehasst“, gestand sie und dachte an die ersten Monate, als die Wunden am schlimmsten geschmerzt hatten. „Ein Teil von mir wollte so tun, als wäre es nie passiert. Aber ich konnte nicht. Wegen der Fotos.“

Santos Blick wich kein einziges Mal von ihr, sein Gesichtsausdruck war nicht zu deuten.

„Ich hätte nie gedacht, dass mein Vater so sein könnte.“

Eleanor seufzte tief, und Santo spürte es bis in seine Seele. Er war mit dem Wissen, was diese Leute anging, aufgewachsen. Daher konnte er kaum glauben, dass sie Edward Carson nicht durchschaute. Doch er sah in Eleanor das Kind, das sich verzweifelt nach der Liebe seines Vaters sehnte. Ob sie spürte, dass diese Liebe an Bedingungen geknüpft war, konnte er nur schwer einschätzen. Das musste sie selbst herausfinden.

Doch es erleichterte ihn, dass sie ihre Entscheidung, die Verlobung zu lösen, nicht bereute. Er war zufrieden, dass er sein Versprechen an Pietro teilweise erfüllt hatte. Trotzdem glaubte Santo nicht, dass er damit von seinem Schwur entbunden war. Eleanor stand immer noch unter Carsons Einfluss. Sie war nicht so sicher, wie sie glaubte.

Sie beobachtete ihn genau, und er ließ es zu. Was er vor ihr verstecken musste, war sehr gut verborgen, alles andere durfte sie sehen. Er hätte fast gelächelt, so leicht konnte er sie lesen. Ihre Gesichtszüge zeigten Neugier, Zögern … und etwas, das er lieber nicht benennen wollte. Sie musste lernen, ihre Gefühle besser zu verbergen.

„Sprich es aus“, sagte er nicht unfreundlich.

„Woher wusstes du es? Dass sie genau das tun würden, was du gesagt hast?“

Sie hatte dazugelernt und war nicht mehr das naive Mädchen, das er vor zwei Jahren kennengelernt hatte.

„Weil sie genau das zu meiner Mutter gesagt haben.“ Er wandte sich von Eleanor ab und ging zum Feuer. Die Erinnerungen zogen ihn in dunkle Zeiten zurück. „Als sie kurz vor der Hochzeit Zweifel bekam, haben sie sie angelogen. Sie sagten, er würde sich ändern, sobald er verheiratet wäre. Sie haben gelogen, Eleanor, weil die Hochzeit ihnen finanziell nutzte. Und sie tun es immer wieder. Alles nur für Geld.“

Er drehte sich um und nahm den Raum in Augenschein. Der Teppich war aus handgemachter Seide, hergestellt in einer fernen Ecke der Welt, gekauft von einem unbekannten Vorfahren vor langer Zeit. Der Schreibtisch war handgeschnitzt. Santo sah darin nur etwas, das sein Vater begehrt hätte. Gallo Sabatini hatte nichts mehr gewollt als die Legitimität von Eleanors Welt. Er hatte seine eigene Familie verachtet, weil sie „aus nichts kam und als nichts starb“. Eine Warnung an Santo und seine Mutter. Sein Vater hatte damit gedroht, dass ihnen eines Tages das gleiche Schicksal blühen würde.

Gallo hatte sich durch Einschüchterung, Erpressung, Diebstahl und Gewalt in sein Imperium eingeheiratet. Die rauen Kanten seiner Herkunft konnte er nie glätten. Das größte Vergnügen für Santo war es, diesen Mann neben einer Familie zu begraben, die er wegen ihrer Rückständigkeit verachtet hatte.

„Du hasst sie?“

„Ja“, bekannte er ehrlich.

„Warum bist du dann hier? Warum kommst du zu diesen Partys?“

Die Antwort blieb ihm im Hals stecken. Er war hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, ihr zu antworten – und dem Versprechen an den Mann, der seine Mutter beschützt hatte, als er es selbst nicht konnte. Aber es war nicht nur sein Gelübde, das ihn an diese Gruppe und Eleanor band. „Weil ich durch den Tod meines Vaters zwar ein Imperium bekommen habe, aber auch daran gefesselt bin.“

Sie sah ihn unverwandt an. „Wie war er, dein Vater?“

„Gewalttätig und gemein“, antwortete er, ohne es für sie zu beschönigen. In ihrem Leben war schon genug beschönigt worden.

„Ist er der Grund für deine Narbe?“, fragte sie und hob ihre Hand, um seine Augenbraue zu berühren.

Er wich ihr aus, erschrocken von der plötzlichen Erinnerung. Es war passiert, als er seine Verteidigung kurz fallen gelassen hatte. Santo presste die Zähne so fest zusammen, dass sein Kiefer schmerzte.

„Ja.“ Er drehte sich weg, weil er ihre Reaktion nicht sehen wollte.

Ihr leises Ausatmen war über das Kaminknistern hinweg kaum wahrnehmbar, aber er hörte es. „Das tut mir leid.“

Er lachte bitter auf. „Warum? Der Mann war ein Stück Dreck. Das ist nicht deine Schuld.“

Ihr Schweigen erfüllte den Raum. Schließlich hob er den Blick, nur um von dem Mitgefühl in ihren Augen fast überwältigt zu werden.

„Dein Vater hätte das nicht tun dürfen.“

Ihre Worte wühlten etwas in seiner Brust auf, das er nicht fühlen wollte. Er hatte nie mit jemandem über seinen Vater gesprochen. Nicht mit seiner Mutter, nicht mit Pietro. Doch hier war Eleanor, die all seine Barrieren einfach niederriss.

„Väter sind auch nur Männer, Eleanor, nichts weiter“, sagte er mit einer Schwere, die sie noch nicht verstehen konnte. „Manchmal begehen sie Fehler.“

„War das, was dein Vater getan hat, ein Fehler?“ Sie machte einen Schritt auf ihn zu.

„Nein. Er wusste genau, was er tat“, sagte Santo mit einer Ehrlichkeit, die er noch niemandem gezeigt hatte. Wut und Anspannung brandeten in ihm und zogen schmerzhaft bis in seinen Nacken. Doch Eleanor hielt seinem Blick stand. Ihr Nicken und ihre sanfte Akzeptanz beruhigten ihn unerwartet. Eine solche Gelassenheit hätte er von der verwöhnten Tochter einer der reichsten Familien Englands nicht erwartet.

Sie war von Anfang an ein Widerspruch gewesen. Von der Art, wie sie sein Hemd so geschickt ersetzt hatte, bis hin zu ihrer Fähigkeit, aufrichtige Empathie zu zeigen. Santo hatte sie als verhätschelte Erbin gesehen, doch sie stellte sich zunehmend als Rätsel heraus. Ein Rätsel, das er verstehen wollte. Und zwar mehr, als er sollte.

„Was hast du jetzt vor?“, fragte er und lenkte das Gespräch auf die Art von Smalltalk, die er normalerweise verabscheute.

Eleanor lächelte, weil sie seine Ablenkungstaktik erkannte. Aber es war wahrscheinlich besser so. Sie hatten sich gefährlich nah an intime Themen gewagt. Er weckte Gefühle in ihr, die ihr zugleich vertraut und völlig fremd waren. Sie verstand genug, um ihre Anziehung zu ihm zu erkennen. Aber auch, um vorsichtig damit zu sein. Vermutlich war es nur eine Schwärmerei, weil er immer da war, wenn sie ihn brauchte.

„Ich habe im September mein Studium begonnen“, sagte sie, während sie an die Diskussionen mit ihrem Vater dachte. Er wollte, dass sie hier im Haus blieb, anstatt ins Studentenwohnheim zu ziehen.

„Was studierst du?“

„Betriebswirtschaft.“ Sie stellte sich auf Spott ein, aber er blieb aus.

„Guter Studiengang. Viele Grundlagen, auf denen man aufbauen kann. Ich fand es nützlich.“

„Du hast studiert?“

Er hob eine Augenbraue. „Überrascht dich das?“

„Ja, aber nur, weil ich nicht weiß, wie du die Zeit dafür gef...

Autor

Lynne Graham
<p>Lynne Graham ist eine populäre Autorin aus Nord-Irland. Seit 1987 hat sie über 60 Romances geschrieben, die auf vielen Bestseller-Listen stehen. Bereits im Alter von 15 Jahren schrieb sie ihren ersten Liebesroman, leider wurde er abgelehnt. Nachdem sie wegen ihres Babys zu Hause blieb, begann sie erneut mit dem Schreiben....
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<p>Cathy Willams glaubt fest daran, dass man praktisch alles erreichen kann, wenn man nur lang und hart genug dafür arbeitet. Sie selbst ist das beste Beispiel: Bevor sie vor elf Jahren ihre erste Romance schrieb, wusste sie nur wenig über deren Inhalte und fast nichts über die verschiedenen Schreibtechniken. Aber...
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<p>Eigentlich hätte Melanie Milburne ja für ein High-School-Examen lernen müssen, doch dann fiel ihr ihr erster Liebesroman in die Hände. Damals – sie war siebzehn – stand für sie fest: Sie würde weiterhin romantische Romane lesen – und einen Mann heiraten, der ebenso attraktiv war wie die Helden der Romances....
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