Julia Best of Band 298

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WARTET AUF KRETA DAS GLÜCK?

Azurblau umspült das Meer die Insel: Kreta ist ein Paradies! Für Thea ist das Glück perfekt, als der charmante Rhys Kingsford sie in die Arme nimmt und sie bittet, sich als seine Verlobte auszugeben. Doch schon bald wünscht sie sich, dass mehr daraus wird als nur ein Spiel …

DAS FERIENHAUS DER LIEBE

Wo nimmt der attraktive Investor bloß eine neue Braut her? Nach der Trennung von seiner Verlobten fehlt Simon für das Treffen mit Geschäftspartnern in Südfrankreich eine Frau an der Seite. Da läuft ihm seine charmante und sehr hübsche Jugendfreundin Polly über den Weg …

KOMM AUF MEIN SCHLOSS IN CORNWALL

Ein Schloss in Cornwall in eine romantische Kulisse für Hochzeiten verwandeln? Das ist eine Aufgabe, die Cassie nur allzu gerne übernimmt. Schade nur, dass sie und der attraktive Schlossbesitzer Jake das glückliche Brautpaar nur für die Werbefotos spielen …


  • Erscheinungstag 22.11.2025
  • Bandnummer 298
  • ISBN / Artikelnummer 9783751533713
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Jessica Hart

JULIA BEST OF BAND 298

Jessica Hart

1. KAPITEL

Nichts. Absolut nichts.

Mit einem Stoßseufzer ließ Thea die Kühlschranktür zuschnappen und begann, die Küchenschränke zu inspizieren. Hier ebenfalls gähnende Leere, nichts, was sich auch nur im Entferntesten für ein Frühstück eignen würde.

Der Urlaub fing ja wirklich gut an. Ein Albtraum von Anreise, ein unfreundlicher Nachbar, keine vier Stunden Schlaf und nun nichts zu essen im Haus.

„Du brauchst eine Pause“, wiederholte Thea murmelnd die Worte ihrer Schwester. „Zwei Wochen auf Kreta, faulenzen, lesen, ausspannen und verhungern …“

„Was machst du da?“

Als sie Claras Stimme hörte, richtete Thea sich auf und strich sich das Haar aus dem Gesicht. Ihre Nichte war die Treppe heruntergekommen, sah verschlafen und sehr niedlich aus mit dem wirren Haar und dem pinkfarbenen T-Shirt. Wenn man Haut wie ein Pfirsich und einen schlanken jungen Körper hatte, machte man mit vier Stunden Schlaf einen wesentlich reizenderen Eindruck als eine 34-Jährige, die nicht mit Pfirsichhaut oder einer schlanken Figur gesegnet war.

„Ich suche nach etwas, aus dem sich Frühstück machen lässt.“ Theas Worte gingen in ein Gähnen über.

„Oh, gut. Ich hab nämlich Hunger.“

„Ich auch“, bekräftigte Thea düster.

Unverkennbar, die Verwandtschaft zwischen Clara und Thea. Man sollte annehmen, beide seien zu müde, um hungrig zu sein. Sie waren erst um halb sechs ins Bett gekommen, und jetzt war es kurz nach neun. Jeder normale Magen hätte aus purer Erschöpfung gestreikt, nicht so ein anständiger Martindale-Magen. Die Mägen der Familie Martindale waren weitaus widerstandsfähiger. Und sollte der Weltuntergang bevorstehen … davon würden sie sich nicht beeindrucken lassen.

Neun Uhr, dachte Thea. Mmh, kein Wunder, dass ich hungrig bin. Eier und Speck wären jetzt richtig. Oder frische Croissants. Mit einem doppelten Cappuccino.

Nicht einmal wegen Harry hatte sie abgenommen. Es war einfach nicht fair. Sämtliche ihrer Freundinnen verloren in einer emotionellen Krise Gewicht, aber bei Thea schlug so etwas immer ins Gegenteil um, dann stopfte sie sich zum Trost erst so richtig voll.

Jetzt allerdings bestand dafür nicht die geringste Gefahr.

„Es lässt sich absolut nichts finden“, sagte sie zu Clara. „Wahrscheinlich werden wir vor dem Frühstück einkaufen müssen.“

Claras Gesicht wurde lang. „Aber hier gibt es doch keine Geschäfte. Wir müssen in die Stadt zurückfahren, durch die wir gestern Nacht gekommen sind. Und die ist meilenweit weg.“

„Ja, ich weiß.“ Bei der Vorstellung, die Haarnadelkurven hinunter in die Stadt auf nüchternen Magen fahren zu müssen, verzog Thea seufzend das Gesicht.

„Und was machen wir jetzt?“

„Wir rufen deine Mutter an und fragen sie, warum sie dieses Ferienhaus mitten im Nirgendwo gemietet hat statt einer hübschen kleinen Wohnung am Strand und in der Nähe von Läden und Restaurants.“

Clara grinste. „Sie hat gesagt, dass es sehr ruhig ist.“

„Ja, so kann man es auch nennen.“ Mit trüben Augen sah Thea zum Küchenfenster hinaus – zerklüftete Felsen, schattige Olivenhaine und der atemberaubende Blick auf die Berggipfel in der Ferne waren wirklich beeindruckend, aber im Moment hätte Thea all das liebend gern gegen einen Supermarkt oder ein Fast-Food-Restaurant eingetauscht.

An ihrem Daumennagel knabbernd, suchte sie nach einer Lösung, aber ohne Koffein fiel ihr das Nachdenken schwer. „Wir werden eben unsere Nachbarn fragen, ob sie uns mit etwas Brot und Kaffee aushelfen, bis wir eingekauft haben.“

Clara erinnerte sich an die Katastrophe bei der Ankunft und schaute mehr als skeptisch drein. „Du willst doch nicht zu diesem verdrießlichen Menschen von gestern zurück?“

Thea bemühte sich, positiv zu klingen. „Hier gibt es doch drei Villen, nicht wahr? Wir versuchen es bei den anderen. Unfreundlicher können die Leute eigentlich nicht sein.“

Eilig zogen sie sich an – Thea schlüpfte in Shorts und T-Shirt, während Clara nur ein langes T-Shirt über ihren Badeanzug zog –, um sich auf die Suche nach Frühstück zu machen.

Trotz ihrer knurrenden Mägen verharrten sie auf der Veranda und sahen sich erst einmal um. Drei Häuser aus Stein waren um einen gemeinsamen großen Swimmingpool gebaut, dessen azurblaues Wasser jetzt im Licht der griechischen Sonne glitzerte.

„Toll!“, entfuhr es Clara begeistert. „Kann ich nach dem Frühstück schwimmen?“

Es war unglaublich still. Die Luft war schon warm und angefüllt mit den Aromen wilder Kräuter. Thea schnupperte genießerisch. „Thymian, Oregano … Für heute Abend werden wir Lammfleisch besorgen.“

Clara war die Pragmatischere von den beiden. „Lass uns erst einmal etwas zum Frühstück auftreiben.“

Doch die andere Villa schien leer zu sein, auf das Klopfen und Rufen folgte keinerlei Antwort. Zeitgleich drehten Thea und Clara sich zu dem dritten Haus um, in das sie gestern irrtümlicherweise bei ihrer Ankunft gestolpert waren, und sahen den unfreundlichen Mann unter der mit Weinranken bedeckten Pergola sitzen. Auf dem Stuhl neben ihm scharte ein junges Mädchen schmollend mit den Füßen.

„Da ist er.“ Thea flüsterte, die Stille ringsum zeigte Wirkung.

„Er sieht immer noch wütend aus“, bemerkte Clara ebenso leise.

Sie standen eigentlich viel zu weit entfernt, um einen Gesichtsausdruck ausmachen zu können, aber Thea wusste, was ihre Nichte sagen wollte. Die ganze Haltung des Mannes schien irgendwie abweisend.

Nachdenklich kaute Thea an ihrer Unterlippe. Sie hatte bereits Bekanntschaft mit seinem Temperament gemacht, und ihr stand nicht der Sinn danach, es noch einmal darauf ankommen zu lassen. Sicher, sie war diejenige gewesen, die sich geirrt hatte, aber das war doch noch lange kein Grund, sie so anzubrüllen, oder?

Wenn sie auch nur einen Funken Stolz hätte, würde sie die Autoschlüssel holen und die Haarnadelkurven in Angriff nehmen, bevor sie diesen ungehobelten Kerl auch nur um ein Glas Wasser bat!

Ihr Stolz und ihr Magen kämpften eine wahrhaft harte Schlacht … Ihr Magen gewann.

„Wahrscheinlich hat er eine sehr nette Frau“, wandte sie sich aufmunternd an Clara. „Und bestimmt ist es der Armen unendlich peinlich, dass er uns gestern so angeschnauzt hat. Denn … so laut waren wir nun auch wieder nicht.“

„Es war fünf Uhr morgens“, erwiderte Clara düster. „Und du hast seinen Wagen gerammt.“

„Das ist doch nur eine kleine Beule.“

Clara zog die Mundwinkel herunter. „Vielleicht sollten wir doch besser in die Stadt fahren.“

„Sieh nur.“ Thea reckte den Hals. „Er hat Kaffee!“ Im Moment würde sie fast alles für eine Tasse Kaffee tun. „Komm, vor dem Mädchen kann er unmöglich unhöflich werden.“

Clara schien keineswegs überzeugt, aber sie erkannte auch, wie entschlossen ihre Tante war. „Also gut. Aber du übernimmst das Reden.“

Die Aussicht auf frischen Kaffee verlieh Thea neuen Mut – der sie allerdings verließ, als sie mit Clara in Richtung des Hauses steuerte. Kurz vor den Stufen zur Veranda wollte sie aufgeben. Der Mann blickte wirklich düster drein, während er gedankenverloren auf die Berge schaute. Bis jetzt hatte er sie noch nicht bemerkt, und Thea zögerte.

„Vielleicht ist das doch keine so gute Idee“, murmelte sie.

Clara versetzte ihr einen kleinen Schubs. „Jetzt sind wir hier“, flüsterte sie, „und außerdem komme ich um vor Hunger.“

Thea öffnete den Mund, um zu widersprechen, aber da hob das Mädchen den Kopf und schaute neugierig zu ihnen hin. Es zupfte seinen Vater am Ärmel, und er drehte sich um und erblickte sie. Thea schluckte. Jetzt war es zu spät für eine Umkehr.

Sie streckte den Rücken durch und stieg die Stufen hinauf, mit einer Sicherheit, die sie wahrlich nicht fühlte. Clara folgte zögernd.

„Guten Morgen!“ Thea setzte ein strahlendes Lächeln auf, die Art Lächeln, die man jemandem zeigte, den man noch nie getroffen hatte. Der einen noch nie mitten in der Nacht angeschrien hatte.

Ihr Lächeln schien den Mann zu verdutzen, aber er erhob sich und erwiderte den Gruß. „Guten Morgen.“

Es klang kühl, aber höflich. Immerhin ein Anfang, dachte Thea optimistisch. Weder war er wütend aufgesprungen noch hatte er zu brüllen begonnen, so wie er das vor wenigen Stunden getan hatte. Es war zwar nicht gerade ein herzliches Willkommen, aber das hatten sie auch nicht unbedingt verdient, wie Thea sich eingestand.

„Hallo.“ Sie lächelte der Kleinen freundlich zu und erhielt als Antwort nur ein ausdrucksloses Starren. Scheinbar lag die üble Laune in der Familie.

Der Duft von frischem Kaffee zog ihre Aufmerksamkeit auf den Servierwagen. Thea riss den Blick los und lenkte ihn zurück auf den Mann. „Es tut mir sehr leid, dass wir Sie aufgeweckt haben und … äh … dass ich Ihren Wagen gerammt habe.“

Zu ihrer Überraschung hellte sich seine Miene etwas auf. „Ich denke, ich bin derjenige, der sich entschuldigen sollte. Ich fürchte, ich war mehr als unhöflich zu Ihnen, aber ich hatte einen harten Tag hinter mir.“ Sein Blick wanderte unwillkürlich zu seiner kleinen Tochter. „Meine Stimmung war schon auf dem Nullpunkt, lange bevor Sie auftauchten. Ich hätte es nicht an Ihnen auslassen dürfen.“

Eine Entschuldigung von ihm war nun wirklich das Letzte, was Thea erwartet hatte. Es brachte sie aus dem Konzept. „Man kann es Ihnen nicht verübeln“, stammelte sie. „Schließlich war es sehr spät, und wir haben ja auch ziemlichen Lärm gemacht. Aber wir hatten eine schreckliche Reise hinter uns“, setzte sie zu einer Erklärung an. „Das Flugzeug hatte Verspätung, und dann gab’s auch noch Probleme mit dem Gepäck. Wir haben ewig auf unsere Koffer warten müssen. Bis wir dann endlich den Mietwagen abgeholt hatten, war ich so müde, dass ich mir wie ein Zombie vorkam. Und danach mussten wir auch noch im Dunkeln den Weg hierher finden.“

„Selbst bei Tageslicht ist der Weg nicht ganz einfach“, sagte er.

Das ist nett von ihm, dachte Thea. Vor allem, da er nicht aussah, als würde er mit dem Weg Schwierigkeiten haben, ganz gleich zu welcher Tageszeit. Er strahlte eine ruhige Kompetenz und Sicherheit aus. Was einschüchternd oder auch ermutigend wirken konnte, je nachdem.

„Ich hatte ja keine Ahnung, dass es so weit sein würde“, fuhr Thea fort, „oder dass die Straße so schwierig ist. Ich bin sowieso keine sonderlich gute Autofahrerin – ich nehme lieber Taxis. Ich dachte schon, wir würden nie ankommen. Im Dunkeln diese Bergstraße entlangzufahren … wir fürchteten, jeden Moment den Abhang hinunterzustürzen. Ist denn bisher niemand darauf gekommen, hier eine Leitplanke zu montieren? Und dann war ich so erleichtert, als ich die Häuser sah, dass ich wahrscheinlich die Konzentration habe schleifen lassen. Wir bogen um die Kurve …“, sie zeigte in die Richtung, „und dann hörte ich auch schon den Rums. Ich habe Ihr Auto erst gesehen, als es schon zu spät war. Dabei bin ich gar nicht schnell gefahren“, endete sie kleinlaut und riskierte einen Blick auf ihn. Irgendwie sah er mehr amüsiert denn verärgert aus. Puh! Was für ein Unterschied zu gestern Nacht!

„Eigentlich war es ja nur ein kleiner Aufprall, aber das war dann der Tropfen auf dem heißen Stein. Wir beide waren so müde, dass wir einfach losgeprustet haben. Sonst wären wir wahrscheinlich in Tränen ausgebrochen.“

„Deshalb also das Gekicher. Ich hatte mich schon gewundert, was so lustig war.“

„Es war wohl eher ein hysterischer Anfall, wir konnten einfach nicht mehr aufhören. Sie wissen doch, wie das ist, einer fängt an, der andere fällt ein, und dann …“ Theas Stimme erstarb, als sie bemerkte, dass er sie nur stumm ansah.

Nein, natürlich wusste er nicht, wie so etwas war, ganz offensichtlich nicht.

„Nun, wie auch immer. Uns war nicht klar, wie viel Lärm wir machten. Und dass wir auch noch im falschen Haus gelandet sind, fanden wir dann noch lustiger.“

Nur, bis er aufgetaucht war. Er war die Treppe heruntergestürmt gekommen und hatte lautstark zu wissen verlangt, was sie sich einbildeten. Er hatte vor Wut regelrecht geschäumt. Was nur verständlich war. An seiner Stelle wäre Thea auch nicht begeistert gewesen.

„Es tut mir wirklich leid.“ Sie fragte sich, warum es ihr plötzlich so wichtig war zu beweisen, dass sie normalerweise keineswegs so albern und unvernünftig war. Zumindest nur sehr selten.

„Vergessen wir das Ganze einfach“, schlug er vor. „Schließlich ist es nicht Ihre Schuld, dass ich gestern meinen Humor verlegt hatte. Tun wir so, als hätten wir einander noch nie gesehen, und fangen wir noch einmal von vorn an.“

„Das ist wirklich nett von Ihnen.“ Thea lächelte ihn dankbar an. „Ich heiße Thea Martindale, und das ist meine Nichte Clara.“

„Angenehm. Rhys Kingsford.“

Schöne Hände. Der Gedanke schoss Thea ohne Vorwarnung in den Kopf, als sie einander die Hand schüttelten. Warm, fest, fähig. Nicht klamm oder schwielig, auch kein anzügliches Drücken. Was Hände anbelangte, so hatte er gerade Bestnoten erzielt.

Der Rest von ihm war auch nicht zu verachten. Das Gesicht vielleicht ein bisschen zu ernst, mit den dunklen Brauen und den markanten Zügen … Auf jeden Fall war dieser Mann sehr viel attraktiver, als ihr gestern aufgefallen war. Nicht so gut aussehend wie Harry – niemand sah so gut aus wie Harry –, aber mit Sicherheit sehr attraktiv.

Und zwar so attraktiv, dass sie wünschte, sie hätte sich mehr Zeit genommen und etwas Schmeichelhafteres angezogen.

Rhys zeigte jetzt auf das Mädchen, das immer noch völlig desinteressiert tat. „Meine Tochter Sophie.“

„Hi, Sophie.“ Beide, Thea und Clara, lächelten ihr zu. Die einzige Reaktion war ein Schulterzucken.

Rhys’ Mund wurde schmal. „Sag Guten Tag, Sophie.“ In seiner Stimme lag eine deutliche Warnung.

„Guten Tag“, murmelte das Mädchen unverständlich.

Ein Muskel zuckte in seiner Wange, aber er drehte sich mit einem Lächeln zurück zu Thea, bemüht, seine Frustration nicht zu zeigen. „Nun … wie wär’s mit einer Tasse Kaffee? Ich habe gerade frischen aufgebrüht, die Kanne ist voll.“

Thea hatte schon befürchtet, er würde nie fragen. Die Beziehung zwischen Vater und Tochter war offensichtlich angespannt, aber der Kaffeeduft war einfach zu verführerisch. Thea brachte nicht die Kraft auf, höflich abzulehnen und sich zu verabschieden, damit Rhys und die Kleine ihre Differenzen in Ruhe bereinigen konnten.

„Das wäre nett, danke“, erwiderte sie fest, bevor die Einladung wieder zurückgenommen werden konnte. „Um ehrlich zu sein, wir sind rübergekommen, um Sie um etwas Brot fürs Frühstück zu bitten. Wir haben keinerlei Proviant im Haus, und bis in die Stadt ist es ein langer Weg.“

„Aber ja, natürlich.“ Rhys wandte sich an seine Tochter. „Sophie, geh doch bitte hinein und sieh nach, was noch vom Frühstück übrig ist. Und bring eine Tasse für Thea mit.“

Sophie runzelte schmollend die Stirn, und für einen Augenblick glich sie auf geradezu verblüffende Weise ihrem Vater, wie er in den frühen Morgenstunden ausgesehen hatte. „Ich weiß nicht, wo die Tassen sind.“

„Versuch’s mal im Schrank.“ Rhys hielt sich eisern unter Kontrolle. „Brot und Marmelade stehen noch auf der Anrichte. Bring das nach draußen. Und was immer Clara zu trinken haben möchte.“

„Ich helfe dir“, bot Clara eifrig an, weil Sophie schon den Mund öffnete, um zu protestieren.

Nach einem abschätzenden Blick auf ihren Vater – er würde nicht nachgeben – schlurfte Sophie mürrisch ins Haus, gefolgt von einer unbeeindruckten Clara.

Eine verlegene Stille entstand. Rhys fuhr sich mit der Hand durchs Haar.

„Sie müssen entschuldigen“, sagte er und bedeutete Thea, sich zu setzen. „Sophie macht eine schwierige Phase durch.“

„Wie alt ist sie denn?“ Thea hoffte, die beiden würden schnell mit der Tasse zurückkommen. Ihr lief schon das Wasser im Mund zusammen.

„Fast acht.“

„Clara ist neun. Eigentlich sollten sie gut miteinander auskommen.“

Rhys seufzte. „Ich weiß nicht, ob Sophie im Moment überhaupt mit irgendjemandem auskommen kann.“

„Nun, Clara kommt mit jedem zurecht. Warten Sie’s ab, die beiden sind in null Komma nichts die dicksten Freundinnen.“

Zu gern hätte Rhys das wohl geglaubt, aber man sah ihm die Zweifel an. „Clara scheint ein nettes Mädchen zu sein.“

„Das ist sie“, bestätigte Thea mit einem liebevollen Lächeln. „Manchmal ist es ziemlich niederschmetternd, wenn man feststellt, dass die neunjährige Nichte vernünftiger ist als man selbst, aber ansonsten ist sie einfach wunderbar. Man vergisst nur allzu leicht, dass sie erst neun ist“

„Machen Sie beide hier allein Urlaub?“

„Ja. Eigentlich wollte meine Schwester die Ferien mit Clara verbringen, aber vor drei Wochen ist Neil ausgerutscht und hat sich den Fußknöchel und das Handgelenk gebrochen. Sie kann weder laufen noch Auto fahren, sie säße hier oben fest, selbst wenn sie es bis hierher geschafft hätte. Natürlich hätte sie den Urlaub auch stornieren können, aber Clara hatte sich so darauf gefreut. Ihr Vater fährt nie mit ihr weg.“ Eine tiefe Falte erschien auf Theas Stirn, als sie an ihren Exschwager dachte. „Er hat jetzt eine neue Familie.“

Rhys sah überrascht drein. „Claras Eltern sind geschieden? Dabei macht das Mädchen einen so … glücklichen Eindruck.“

„Oh, ihr geht es gut. Sie war noch sehr jung, als Simon wegging. Für sie ist es praktisch normal, dass ihre Eltern getrennt leben. Außerdem sieht sie Simon regelmäßig, und Neil achtet sehr darauf, Clara gegenüber keine Bitterkeit zu zeigen.“

„Also haben Sophie und Clara etwas gemeinsam.“

Aha. Thea hatte sich schon nach Sophies Mutter gefragt. „Sie sind auch geschieden?“

Er nickte mit verschlossener Miene. „Aber Sophie kommt damit nicht so gut zurecht wie Clara. Sie war noch keine zwei, als Lynda ging. Eigentlich ist sie also auch daran gewöhnt, dass wir nicht zusammenleben. Ich arbeitete damals in Nordafrika“, fuhr er fort, „direkt in der Wüste. Lynda meinte, das sei nicht der richtige Ort, um ein kleines Mädchen großzuziehen. Ich kann mir vorstellen, wie schwierig es war, aber …“ Er verzog den Mund, man merkte ihm an, wie schwer es ihm fiel, die Erinnerung abzuschütteln. „Wie auch immer, Lynda fuhr zurück, und wir ließen uns scheiden. Es gab keine anderen Partner, wir trennten uns ohne Bitterkeit. Noch heute haben wir Kontakt und verstehen uns gut.“

„Das müsste es für Sophie doch leichter machen?“

„Schon, das Problem ist nur … ich habe meine Tochter kaum gesehen.“ Rhys nippte an seinem Kaffee. „Mein Job hielt mich noch fünf Jahre in Marokko fest. Wenn ich freibekam, flog ich natürlich nach England und sah Sophie, aber es war nicht oft genug. Ich bin ein Fremder für sie.“

„Das muss schwer sein“, bemerkte Thea leise.

Er nickte. „Als ich das letzte Mal zurückkam, wurde mir klar, dass ich meine Tochter überhaupt nicht kenne. Dabei wollte ich immer ein richtiger Vater sein, nicht nur jemand, der ab und zu mit Bergen voller Geschenke auftaucht. Also habe ich mir einen Job in London gesucht. Ich versuche sie jetzt oft zu sehen, aber …“

„Aber?“, hakte Thea nach. „Mir scheint, Sie haben das einzig Richtige getan.“

„Ich fürchte, ich war zu lange fort“, fügte Rhys zögernd an. „Sicher, ich bin erst seit wenigen Wochen zurück, aber Sophie scheint fest entschlossen, sich nicht umstimmen zu lassen.“

„Es wird bestimmt nur einige Zeit dauern.“ Thea hörte die Pein in seiner Stimme. „Für sie muss es auch verwirrend sein, den Vater plötzlich öfter um sich herum zu wissen.“

„Ja, wahrscheinlich.“ Mit einem Seufzer fuhr er sich durchs Haar. „Ich hatte gehofft, der Urlaub würde eine gute Chance bieten, uns aneinander zu gewöhnen, aber bis jetzt kann von einem Erfolg keine Rede sein. Ich hatte mir gemeinsame Spaziergänge und Gespräche vorgestellt, aber Sophie geht nicht gern spazieren, und reden will sie auch nicht mit mir. Sie sagt, sie langweilt sich.“

„Gibt es hier denn keine anderen Kinder?“

„Doch, in der Villa nebenan sind zwei Jungen. Aber die sind sehr gut erzogen, und Sophie meint, sie seien auch langweilig.“

„Oh, darum wird Clara sich schon kümmern“, meinte Thea zuversichtlich.

In diesem Moment kam Sophie auf die Terrasse zurück und hielt Thea eine Tasse hin. „Hier.“

„Danke.“ Lächelnd nahm Thea die Tasse an und goss sich Kaffee ein, bevor Rhys, der bereits eine tadelnde Bemerkung zu Sophie über die fehlende Untertasse gemacht hatte, eine noch längere Verzögerung verursachen konnte.

„Ah, das riecht wunderbar.“ Thea nahm genießerisch einen kleinen Schluck und lehnte sich mit geschlossenen Augen zurück, „Himmel, das ist gut.“ Sie ließ die Tasse sinken und sah Rhys mit einem warmen Lächeln an, das ihr ganzes Gesicht aufhellte und ihn für einen kurzen Moment seltsam verdutzt aussehen ließ. „Davon träume ich schon den ganzen Morgen.“

Er hob eine Augenbraue. „Schön, eine Frau zu treffen, deren Träume so leicht zu erfüllen sind.“

Seine Augen waren von einem ungewöhnlichen Graugrün und stachen aus dem gebräunten Gesicht heraus. Thea wunderte sich, dass es ihr bisher noch nicht aufgefallen war, und so dauerte es einen Moment, bis seine Worte zu ihr drangen.

Ein Hauch von Röte zog über ihre Wangen, und sie wandte hastig den Blick. „Nun, manche zumindest.“

Eine Pause entstand. Thea konzentrierte sich auf die vor ihr liegende Landschaft, trank ihren Kaffee und wünschte, ihr würde etwas Geistreiches als Gesprächsstoff einfallen.

Zu ihrer Erleichterung kamen Sophie und Clara mit den Frühstückszutaten auf die Terrasse hinaus – Brot und Marmelade, reife Pfirsiche, Naturjoghurt und Honig.

„Das sieht wunderbar aus, Sophie“, wandte sich Thea an die Kleine, auch wenn sie sicher war, dass die praktisch veranlagte Clara hier die entscheidende Rolle übernommen hatte. „Vielen Dank.“

Sophie zuckte nur mit einer Schulter und ließ sich wieder auf ihren Stuhl fallen, aber Thea fiel auf, wie die Augen des kleinen Mädchens unter den Ponyfransen neugierig funkelten, während sie und Clara mit Appetit frühstückten.

Auch Rhys beobachtete sie, still amüsiert. „Es ist eine Freude, Frauen mit so viel Genuss essen zu sehen“, meinte er, als Thea Honig über den Joghurt im Schüsselchen goss, die kleine Schüssel an Clara weiterreichte und sich dann selbst eine Portion zubereitete.

„Wir haben wirklich Hunger“, rechtfertigte sie sich. „Unsere letzte Mahlzeit hatten wir im Flugzeug, nicht wahr, Clara?“

Clara nickte mit vollem Mund. „Und das hier schmeckt wirklich gut. Können wir jeden Morgen Joghurt mit Honig frühstücken?“, fragte sie, sobald sie den Bissen geschluckt hatte.

„Aber sicher“, antwortete Thea. „Wir werden alles einkaufen und auch das ersetzen, was wir hier gegessen haben.“

„Machen Sie sich deswegen keine Gedanken“, winkte Rhys ab. „Ich habe das alles für Sophie eingekauft. Ich dachte mir, ein richtiges griechisches Frühstück würde ihr gefallen. Aber sie rührt es nicht an.“ Bei seinen letzten Worten sah er zu seiner Tochter.

Sophie schob die Unterlippe vor. „Mum isst auch keine Milchprodukte. Warum also sollte ich so etwas essen müssen?“

„Keine Milchprodukte?“ Thea starrte die Kleine ehrlich entsetzt an. „Kein Käse? Keine Milch? Keine Butter?“

„Kein dunkles Fleisch, keine Kartoffeln, kein Brot, kein Salz“, vervollständigte Rhys die Liste tonlos.

Thea konnte sich kaum vorstellen, was da noch übrig blieb. „Schokolade? Kuchen? Kekse?“

Rhys’ Mund zuckte. „Machen Sie Witze? Lynda ist immer gerade auf irgendeiner Diät. Sie rechnet jeden Bissen in Kalorien um.“

Kein Wunder, dass Sophie ihnen so neugierig zugesehen hatte, als sie ihr Frühstück verschlangen. „Sie muss eine makellose Figur haben“, gestand Thea zu und wünschte, sie hätte ihre Schüssel nicht so vollgemacht.

Sophie nickte. „Oh ja, die hat Mum.“

„Ich finde, sie ist zu dünn“, kam der Kommentar von Rhys.

Thea stellte sich vor, jemand würde das über sie sagen. Nein, wirklich, Thea ist viel zu dünn. Das hörte sich ja geradezu lächerlich an!

Es schien fast so, als bevorzuge Rhys Frauen mit Rundungen an den richtigen Stellen. Das war doch schon mal ganz angenehm …

Hoppla! Woher war denn dieser Gedanke gekommen? Was ging es Thea an, wie Rhys seine Frauen bevorzugte?

„Ich wünschte, ich hätte so viel Selbstdisziplin“, seufzte Thea. „Ich kann mich glücklich schätzen, wenn ich es vom Frühstück bis zum Lunch schaffe, ohne eine Schachtel Kekse zu vertilgen.“

„Du brauchst keine Diät“, ergriff Clara loyal Partei für ihre Tante. „Mum sagt immer, es sei albern, dass du dir Gewichtsprobleme einredest. Sie sagt, du hast eine sexy Figur, und dass Männer weibliche Kurven immer vorziehen.“

„Clara!“ Entsetzt versuchte Thea ihre Nichte unter dem Tisch anzustoßen.

„Das sagt sie aber immer!“, beharrte Clara und machte alles nur noch schlimmer, indem sie sich Zustimmung heischend an Rhys wandte. „Das stimmt doch, oder?“

„Clara …!“

Ungerührt von der direkten Frage, musterte Rhys Thea genauestens. „Ich denke, deine Mutter hat völlig recht“, meinte er mit ernsthafter Miene, und Clara lehnte sich triumphierend in ihren Stuhl zurück.

„Da siehst du!“, meinte sie zufrieden, und Thea lief zu ihrem Unmut rot an.

„Wenn du zu Ende gefrühstückt hast … warum gehst du nicht eine Runde schwimmen?“, presste sie zwischen den Zähnen hervor.

„Toll!“ Clara sprang auf. „Komm, Sophie.“

Sophie sah fragend zu ihrem Vater. „Darf ich?“

„Aber natürlich.“ Er hatte die Worte kaum ausgesprochen, als Sophie auch schon vom Stuhl glitt und hinter Clara herrannte.

„Ist sie immer so direkt?“, fragte er die schamrote Thea, als die beiden Mädchen außer Hörweite waren.

„Wenn ich sie nicht so lieben würde, könnte ich ihr manchmal den Hals umdrehen.“ Thea gab auf, sie musste lachen. „Sie kann erschreckend ehrlich sein, und wenn sie jemanden mag, wird nichts und niemand sie aufhalten, um demjenigen das zu beschaffen, was er haben möchte. Oder von dem sie glaubt, dass er es haben möchte. In dieser Beziehung ist sie genau wie ihre Mutter.“

„Und wenn sie jemanden nicht mag?“

„Oh, leider funktioniert es auch andersherum.“ Thea erinnerte sich, wie unsympathisch Clara und Neil Harry gefunden hatten. Es war ihr immer ein Rätsel geblieben. „An Ihrer Stelle würde ich mich gut mit ihr stellen“, sagte sie gespielt warnend zu Rhys.

Der schenkte gerade mit einem amüsierten Lächeln ihre Kaffeetasse nach und hielt plötzlich in der Bewegung inne. „Hören Sie nur!“

Thea setzte sich alarmiert auf. „Was ist?“

„Sophie. Sie lacht.“

2. KAPITEL

Rhys klang so erstaunt, dass Thea in die Richtung schaute, aus der das Gelächter kam. Die beiden Mädchen rannten um den Pool und sprangen immer wieder hinein, dass das Wasser hoch aufspritzte.

„Ab jetzt sind sie unzertrennlich“, bemerkte Thea. „Sie werden Ihre Tochter nicht mehr oft zu Gesicht bekommen.“

„Solange sie nur glücklich ist.“

Theas Herz fühlte mit ihm. Unter dem harten Äußeren verbarg sich ein liebender und sehr verletzlicher Vater – auch wenn er solche Empfindungen wahrscheinlich als sentimental abtun würde. Sophie machte es ihm offenbar nicht leicht. Thea dachte an die trotzige Miene und den Schmollmund des Mädchens vorhin. Da hatte Rhys wohl noch einiges vor sich, und Thea verspürte aufrichtiges Mitleid mit ihm.

Besser Mitleid als die anderen seltsamen Gefühle, die sie so irritiert hatten. Sie trank den letzten Schluck Kaffee und schob ihren Stuhl zurück.

„Vielen Dank für das Frühstück. Jetzt fühle ich mich ausreichend gewappnet, diese schreckliche Fahrt in die Stadt anzutreten.“

Rhys erhob sich ebenfalls. „Ich muss auch ein paar Vorräte aufstocken. Wenn Sie möchten, kann ich Sie mitnehmen, wenn Sie nicht fahren wollen.“

Wollen wollte sie wirklich nicht, trotzdem zögerte sie. „Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, Sie auszunutzen. Sie haben schon das Frühstück gestellt, und schließlich haben wir Sie mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen. Das scheint mir doch eine sehr einseitige Beziehung zu sein“, versuchte sie zu scherzen.

Rhys blickte zum Pool hinüber, von dem das Gelächter der Mädchen zu ihnen herüberdrang. „Es ist das erste Mal, dass ich Sophie lachen höre. Kaffee, etwas Joghurt und Honig – das scheint mir wenig im Vergleich dazu.“

„Na ja, wenn es Ihnen nichts ausmacht …“ Falscher Stolz hatte noch nie zu Theas Charaktereigenschaften gehört, und es wäre wirklich unsinnig, mit zwei Autos zu fahren, oder?

„Also abgemacht“, entschied Rhys. „Ich hole die Mädchen aus dem Pool, und dann … können Sie in einer halben Stunde fertig sein?“

„Ja, natürlich.“ Das würde ihr genügend Zeit geben, sich umzuziehen. Auf gar keinen Fall würde sie in diesen Shorts neben Rhys im Wagen sitzen. Die Fahrt selbst war schon schlimm genug, da brauchte sie sich nicht auch noch Gedanken darüber zu machen, in welche Stellung sie ihre Beine bringen musste, damit sich die Cellulitis an ihren Oberschenkeln verbergen ließ.

Nicht, dass es einen Grund zu der Annahme gegeben hätte, Rhys würde sich ihre Schenkel genauer ansehen. Oder dass sie sich wünschte, er würde.

Macht der Gewohnheit, versuchte Thea sich zu beruhigen, während sie ihren Koffer durchwühlte. Heute früh war ihr wirklich nicht mehr nach Auspacken gewesen, und jetzt war alles schrecklich verknittert. Während ihrer Beziehung mit Harry hatte sie sich ständig Sorgen um ihr Aussehen gemacht und sich mit der wunderschönen Isabelle verglichen.

Bei dem Gedanken an Isabelle und Harry krümmte sie sich innerlich, aber der Schmerz war lange nicht so stark wie sonst. Als ihr das bewusst wurde, hielt Thea inne. Vielleicht hatte Neil ja doch recht gehabt, als sie der Schwester einen dringenden Tapetenwechsel ans Herz gelegt hatte. Schließlich war es ewig her, seit sie an etwas anderes als Harry gedacht hatte.

Das erklärte auch ihre sonderbare Reaktion auf Rhys. Sie fühlte sich nicht angezogen von ihm, sondern war einfach durch die neue Umgebung und den Schlafmangel so aufgewühlt – mal ganz zu schweigen von dem Koffeinentzug –, dass sie nicht mehr ganz Herrin ihrer Sinne war.

Aber das war ja kein Grund, sich nicht etwas zurechtzumachen. Nur … was sollte sie anziehen?

„Kleid oder Rock und Top?“ Thea hielt Clara, die tropfend vom Pool zurückgekommen war, die Kleidungsstücke zur Begutachtung hin.

„Das Kleid ist hübsch, aber völlig verknittert.“

„Leinen muss verknittert wirken.“ Thea war froh, dass ihr die Entscheidung abgenommen wurde. Sie warf Rock und Bluse beiseite und holte ihre Riemchensandaletten aus dem Koffer. „Das macht den Charme von Leinen aus.“

„Gehen wir aus?“

„Hat Rhys euch das nicht gesagt? Er nimmt uns mit in die Stadt zum Einkaufen.“

Clara beäugte ihre Tante argwöhnisch. „Seit wann ziehst du dich zum Einkaufen so schick an?“

„Es ist doch nur ein einfaches Kleid“, protestierte Thea entrüstet.

„Und du hast Lippenstift aufgetragen.“

Clara entging auch nichts! „Ich trage öfter Lippenstift.“

„Rhys ist nett, nicht wahr?“

Jetzt war es an Thea, argwöhnisch dreinzuschauen. „Er macht einen netten Eindruck, ja.“

„Denkst du, er sieht gut aus?“

„Ganz passabel.“ Nicht so gut wie Harry, aber mit Sicherheit passabel.

Unter allen Umständen musste sie verhindern, dass Clara auf den Gedanken kam, sich hier als Kupplerin zu betätigen. Sollte die Kleine zu der Meinung gelangen, dass Rhys zu ihrer Tante passte, würde sie schamlos alles daransetzen, die beiden zusammenzubringen. Was zu höchst peinlichen Situationen führen könnte.

„Sophie sagt, er ist brummig“, erzählte Clara munter drauflos. „Aber auf mich wirkt er gar nicht so. Ich finde, seine Augen lachen.“

Thea würde nicht zugeben, dass ihr das auch aufgefallen war. „Ach, wirklich?“

„Vielleicht könnte er ja dein Freund werden?“ Clara ging immer den direkten Weg. „Sophie sagt, er hat keine Freundin.“

Thea speicherte diese Information, ohne sich vor Clara eine Blöße zu geben. „Ich bin aber nicht auf der Suche nach einem Freund. Ich liebe Harry noch immer. So leicht kommt man über so etwas nicht hinweg.“

Clara schob trotzig ihr Kinn vor. „Rhys würde viel besser zu dir passen als Harry. Du solltest es zumindest versuchen.“

Clara klang so sehr nach ihrer Mutter, dass Thea einen Moment lang die Worte fehlten. „Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen, aber Rhys ist nicht mein Typ. Und wir sind auf dem Weg in die Stadt, nicht in eine neue Beziehung. Solltest du dich wagen, irgendetwas in der Richtung gegenüber Rhys oder Sophie anzudeuten, dann … dann werde ich brummig!“

Theas Drohung zeigte keinerlei Wirkung. Clara grinste wissend und hüpfte fröhlich davon, um den nassen Badeanzug gegen trockene Kleidung einzutauschen.

Und ohne eine Zusage zu machen, wie Thea auffiel.

Im Gegensatz zu ihren Erwartungen genoss Thea die Fahrt in die Stadt. Die Haarnadelkurven wirkten gar nicht so erschreckend, wenn ein souveräner Fahrer wie Rhys am Steuer saß. Der solide Geländewagen hatte bei dem nächtlichen Aufprall keinen Kratzer davongetragen, und so war sie auch in dieser Hinsicht beruhigt. Sie hätte sich also zurücklehnen und entspannen können, wenn nicht …

Ja, wenn ihr Blick nicht ständig wie von selbst zu Rhys geglitten wäre und wenn sein Lächeln nicht solch seltsame Dinge mit ihr anstellen würde.

Diese ganze Angelegenheit mit dem Tapetenwechsel hatte eine höchst unerwartete Wirkung auf ihre weiblichen Hormone. Hatten sie sich beim Frühstück noch mit vorsichtigem ersten Interesse geregt, so waren sie jetzt regelrecht in Aufruhr. Beruhigt euch, Mädels, mahnte Thea sie streng und versuchte sich auf die vor ihr liegende Aussicht zu konzentrieren.

Im Supermarkt trennten sie sich. Sophie schlurfte mit hängendem Kopf und Schmollmund hinter ihrem Vater her und reagierte auf jede seiner Fragen, ob sie dieses oder jenes denn gern essen würde, mit einem gleichgültigen Schulterzucken.

Clara und Thea rätselten derweil über das griechische Alphabet.

„Wir werden uns eben auf die Bilder verlassen müssen“, sagte Thea und legte eine Dose in den Einkaufswagen, von der sie hoffte, dass diese Thunfisch enthielt. Entweder das oder Kutteln.

„Ich glaube, Rhys mag dich“, flüsterte Clara so laut, dass es eigentlich jeder hören musste.

„Pst!“ Mit hektischer Zeichensprache versuchte Thea ihrer Nichte zu verstehen zu geben, dass Rhys und Sophie direkt neben ihnen im nächsten Gang sein könnten.

Clara ignorierte das geflissentlich und flüsterte lautstark weiter: „Wir sollten sie zum Abendessen einladen.“

Thea schloss ergeben die Augen. „Clara, ich glaube wirklich nicht …“

„Als Dankeschön. Für das Frühstück und das Mitnehmen in die Stadt. Mum würde das sicher auch so sehen.“

Natürlich würde Neil das so sehen! „Clara, wir sind im Urlaub. Wir wollten doch nicht allzu viel Zeit in der Küche verbringen.“ Noch während sie das sagte, war Thea bewusst, dass sie hier einen bereits verlorenen Kampf focht.

„Ich helfe dir. Es kann doch etwas ganz Einfaches sein. Sophie sagt, ihr Dad schwärmt immer von echter Hausmannskost, aber er bringt nur drei Gerichte zustande. Ihm würde es sicher gut gefallen, wenn du für ihn kochst.“

Thea gab nach, nur damit Clara endlich den Mund hielt. Dabei wusste sie genau, dass Clara bereits plante, sich mit Sophie bei der erstbesten Gelegenheit vom Tisch davonzustehlen, damit Rhys und Thea allein sein könnten, unter dem romantischen Sternenhimmel, auf der Terrasse in der lauen Abendluft.

So gesehen hörte sich das gar nicht so schlecht an …

Da meldeten sie sich schon wieder, die Hormone. Die waren heute wirklich völlig aus dem Takt. Und dieses Gefühl, war das etwa freudige Erwartung …?

Aber mal ganz davon abgesehen … Clara hat recht, dachte Thea. Ein Abendessen als Dank für die erwiesene Hilfe war das Mindeste. Sie würde die Einladung ganz lässig aussprechen, und wenn Rhys dann dankend ablehnte, hätte sie zumindest ihre Pflicht und Schuldigkeit getan, und Clara würde einsehen müssen, dass Rhys nicht interessiert war.

Doch Rhys zögerte nicht mal eine Sekunde. „Hört sich gut an“, sagte er sofort. „Das würde uns gefallen, nicht wahr, Sophie?“

„Auf jeden Fall mehr als diese dummen Essen mit den Langweilern Damian und Hugo“, kam die gemurmelte Antwort.

Thea schaute mit einer fragend hochgezogenen Braue zu Rhys, dem die Unhöflichkeit seiner Tochter offensichtlich peinlich war. „Die beiden Jungen aus der anderen Villa. Die Paines sind sehr freundlich und versuchen uns schon die ganze Woche zum Essen einzuladen. Sophie sind sie wohl zu freundlich.“

„Du magst sie doch auch nicht“, schmollte Sophie.

„Das ist nicht wahr“, protestierte Rhys, aber nicht sehr überzeugend, wie Thea fand.

Sie saßen beim Lunch zusammen in einer Taverne, im Schatten einer ausladenden Platane, und Thea, nach dem Einkaufen wieder hungrig, hatte sich eine große Portion souvlaki mit Pommes frites und Salat bestellt. So zu tun, als wäre sie mit einem Magermilchjoghurt und einem Salatblatt zum Lunch zufrieden, dazu war es wohl zu spät.

„Clara und ich fühlen uns sehr geehrt, dass du lieber mit uns als mit Damian und Hugo essen willst, Sophie“, sagte sie schmunzelnd.

„Das wird ein Spaß“, meinte Clara zuversichtlich. „Können Sophie und ich shoppen gehen?“

„Shoppen?“ Thea starrte ihre Nichte an. „Wohin denn?“

„Da gab es Postkarten in dem Supermarkt.“

Der ungute Verdacht drängte sich Thea auf, dass ihre Nichte es lediglich darauf angelegt hatte, sie und Rhys allein zu lassen, aber das konnte sie natürlich nicht aussprechen. Also begnügte sie sich mit einem vielsagenden Blick. „Also schön, aber bleibt nicht zu lange.“

Sobald die beiden Mädchen davongehüpft waren, breitete sich verlegenes Schweigen am Tisch aus. Theas Nerven waren plötzlich zum Zerreißen gespannt. So angestrengt sie auch versuchte, sich auf das bunte Treiben auf dem Marktplatz zu konzentrieren … all ihre Sinne waren auf Rhys gerichtet.

Er saß direkt neben ihr, sein Arm lag quälend nah neben ihrem auf dem kleinen Bistrotisch. Thea sah die feinen dunklen Härchen auf seinem Handgelenk, die schlichte Armbanduhr, die kräftigen Hände mit den langen Fingern, und sie fragte sich, wie es wohl sein mochte, wenn sie ihre Hand auf seine legte.

Allein bei der Vorstellung wurde ihr die Kehle trocken. Verwirrt schüttelte sie sich unmerklich. Irgendetwas stimmte hier nicht. Es war doch Harry, den sie berühren wollte, nach dem sie sich sehnte!

Erst gestern noch war es Harry gewesen, der all ihre Gedanken in Anspruch genommen hatte. Thea versuchte sein Bild vor ihrem geistigen Auge heraufzubeschwören, doch alles, was sie sah, war Rhys, der ihr mit lächelnden Augen das Gesicht zuwandte.

Thea hatte plötzlich das Gefühl, als würde ihr der Boden unter den Füßen weggezogen. Die Müdigkeit, redete sie sich ein. Nach einer Siesta würde es ihr besser gehen. Sie bemühte sich redlich, nicht auf Rhys’ Hand zu starren, als der Ober eine Karaffe Retsina brachte und Rhys ihre Gläser voll schenkte.

Ihre Hand zitterte, als sie miteinander anstießen. Nimm dich zusammen, ermahnte sie sich still und griff nach einer grünen Olive aus dem Schälchen. „Stimmt es, was Sophie gesagt hat?“

„Was denn?“

„Dass Sie unsere Nachbarn nicht mögen. Wie hießen sie noch … Paine?“, erwiderte Thea.

„Oh, das.“ Rhys fühlte sich ertappt und ließ seinen Wein im Glas kreisen. „Nun, sie sind sehr … nett.“

„Aber?“

Er verzog das Gesicht. „Vielleicht ein wenig zu nett. Vor allem Kate. Sie ist der unumstößlichen Meinung, dass jeder Mensch einen Partner braucht. Dass ich nicht wieder geheiratet habe, scheint sie als persönliche Beleidigung anzusehen. Die Frage, wie ich in der Wüste eine passende Frau hätte finden sollen, stellt sie sich gar nicht erst.“

„Du lieber Himmel!“ Thea stöhnte auf. „Sagen Sie nicht, ich bin den ganzen weiten Weg nach Kreta gekommen, um hier die gleiche Art von Leuten zu treffen, die überzeugt sind, jeder Single hätte es nur darauf abgesehen, ihnen Probleme bei der Dinnersitzordnung zu machen?“

Die Fältchen um Rhys’ Augen wurden tiefer. „Ah, Sie kennen diese Spezies also?“

Thea nahm sich noch eine Olive. „Oh ja. Paarus Glückselicus, besser bekannt als das glücklich vereinte Paar.“ Sie seufzte schwer. „Nun, dann bin ich ja vorgewarnt. Ich wappne mich also schon mal gegen die mitleidigen Blicke, erwarte die mehr oder weniger diskreten Fragen, warum ich noch nicht geheiratet und Kinder in die Welt gesetzt habe, und höre mir die wohl gemeinten Ratschläge an, es nicht mehr zu lange schleifen zu lassen, denn schließlich tickt die biologische Uhr unüberhörbar laut.“

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie solche Kommentare oft hören.“

Thea starrte Rhys an. „Und warum nicht?“

Ihre Heftigkeit ließ ihn ein wenig zurückzucken. „Nun … ich weiß nicht. Ich dachte, jemand wie Sie hätte keine Probleme damit, einen Partner zu finden.“

Jemand wie Sie. Was hieß das nun schon wieder? „Nein, ich scheine wohl eher für das Singledasein geschaffen zu sein.“ Sie nippte grübelnd an ihrem Wein.

Wenn sie ehrlich war, hatte sie sich in der Beziehung mit Harry nicht als Teil eines Paars gefühlt. Irgendwie hatte sie jederzeit damit gerechnet, jemand würde mit dem Finger auf sie zeigen und sie lautstark anklagen: „Wem willst du was vormachen? Du tust doch nur so, als hättest du einen Mann!“

Rhys musterte das ausdrucksstarke Gesicht, bemerkte die seidige Fülle hellbraunen Haars, die rauchgrauen Augen, die volle geschwungene Linie der Lippen und nahm die Konturen der weiblichen Rundungen in sich auf. „Sie überraschen mich“, sagte er leise.

Damit hatte sie nun nicht gerechnet. Aber egal, er wollte sicher nur höflich sein. Was hätte er auch sonst sagen sollen? Etwa: „Nehmen Sie ein paar Kilo ab und lassen Sie sich eine andere Frisur machen, dann haben Sie vielleicht eine Chance“?

Mit roten Wangen nahm sie einen weiteren Schluck Wein. „Wenigstens können Sie sagen, dass Sie geschieden sind. Und Sie haben ein Kind. Sie brauchen nicht zu beweisen, dass Sie normal sind.“

„Oh, da urteilen Sie vorschnell.“ Rhys grinste schief. „Kate ist auf einer Mission – sie sucht die nächste Frau für mich. Jedes Mal, wenn wir bei ihnen sind, erzählt sie mir überschwänglich von einer ‚wirklich netten Freundin‘, die mir ‚ganz bestimmt gefallen‘ würde.“

„Und wenn Sie nicht hingingen?“

„So einfach ist das nicht. Die Paines sind Freunde von Lynda – deshalb sind wir ja auch hier gelandet. Ich bin noch nicht lange wieder in London, deshalb schienen die Sommerferien die ideale Gelegenheit, mit Sophie in Urlaub zu fahren und drei Wochen am Stück mit ihr zu verbringen. Lynda passte es auch gut; sie musste zu irgendeiner wichtigen Konferenz.“

„Dieser Ort hier ist sehr abgelegen für volle drei Wochen“, warf Thea ein. „Ich wäre wahrscheinlich irgendwohin gefahren, wo man mehr unternehmen kann.“

Rhys nickte. „Das hätte ich wohl tun sollen. Aber in einem Club wäre es auf Dauer auch langweilig geworden. Schließlich kann man nicht drei Wochen am Strand liegen.“

Konnte man nicht? Thea sah erstaunt zu ihm hin. Bestimmt war er eher der Typ, der schon vor dem Frühstück eine Bergwanderung unternahm und ständig etwas zu tun haben musste. Die Kunst, am Strand zu faulenzen und über nichts anderes nachzudenken, als was man am Abend essen wollte, war ihm sicherlich völlig fremd.

„Hätte ich engeren Kontakt zu Sophie gehabt, hätte ich auch gewusst, was sie gern macht. So aber schlug Lynda vor, hierher zu kommen. Ein anderes Paar, das eigentlich mit den Paines zusammen hatte fahren wollen, musste den Urlaub absagen. Und mit den Jungen der Paines hätte Sophie auch Kinder in der Nähe, mit denen sie spielen könnte. Allerdings hat sich herausgestellt, dass die drei überhaupt nicht miteinander zurechtkommen. Und dann kümmern sich Kate und Nick auch noch ständig um uns. Lynda muss Kate alles Mögliche erzählt haben, Kate weiß bestens Bescheid über unsere Ehe und die Scheidung.“

„Das hört sich wirklich schrecklich an“, meinte Thea mitfühlend.

„Ist es auch.“ Er füllte ihre Gläser nach. „Kate stellt sich völlig taub gegenüber jeglicher Bemerkung, dass ich sehr gut allein auf mich aufpassen kann. Sie hört nicht auf, mir von ihren wunderbaren Freundinnen zu erzählen, die ich unbedingt kennenlernen muss. Das wäre ewig so weitergegangen, wenn ich dem nicht ein Ende gesetzt hätte. Ich habe ihr einfach gesagt, dass ich jemanden getroffen habe und nicht mehr frei bin.“

„Oh.“ Theas Magen sackte ihr in die Knie. „Und? Haben Sie?“

Er lachte freudlos auf. „Wann denn? Und wo? Fünf Jahre lang habe ich in der Wüste gearbeitet, und seit ich zurück bin, war ich beschäftigt, wieder Fuß zu fassen – neuer Job, neues Haus … und die fruchtlosen Versuche, meiner Tochter mehr als zwei Worte zu entlocken.“

„Aha. Sie haben also geflunkert.“ Thea ignorierte es geflissentlich, dass ihre plötzlich gesunkene Laune genauso abrupt wieder nach oben schnellte.

„Mir blieb doch gar nichts anderes übrig“, rechtfertigte er sich mit Märtyrermiene, und Thea musste lachen.

„Danke für den Tipp. Vielleicht erfinde ich auch besser einen hingebungsvollen Verlobten für mich, der zu Hause vor Sehnsucht nach mir vergeht.“

„Es sei denn, Sie wollen dieser Jemand für mich sein.“

Thea hatte gerade einen Schluck trinken wollen, doch auf halbem Wege zum Mund hielt sie inne mit dem Glas in der Hand. „Wie bitte?“

„Nun, wenn wir beide eine Geschichte erfinden müssen, warum geben wir uns dann nicht gegenseitig Rückendeckung? Wir als Paar … das würde Kate zum Schweigen bringen.“

Der Mann erlaubte sich einen Scherz, das musste es sein. „Aber sie würde doch sofort herausfinden, dass ich nicht Ihre Freundin bin.“

„Wie denn? Bei Ihrer Ankunft war sie nicht da, die Familie ist auf einer Rundreise. Und ich habe nie einen Namen genannt.“

Ja, sie sah seine Mundwinkel zucken. Natürlich, das Ganze war nur ein Witz. Puh! Dann konnte sie genauso gut mithalten. „Hätten Sie ihr denn nicht gesagt, dass ich komme?“

„Vielleicht wollten Sie mich ja überraschen.“ Er grinste jetzt eindeutig.

„Und warum sollte ich in einem separaten Ferienhaus wohnen, wenn Sie sich so freuen, mich zu sehen?“ Thea begann die Sache Spaß zu machen. „Ich meine, wir schlafen doch sicher zusammen, oder?“

Rhys ließ seinen Blick vielsagend von ihren vollen Lippen zu ihrem reizvollen Dekolleté wandern. „Aber ganz sicher“, meinte er, und Thea stellte entsetzt fest, dass sie schon wieder rot wurde.

„Gut.“ Es klang lange nicht so lässig, wie sie sich gewünscht hätte. „Ich möchte nämlich nicht, dass Kate mich für prüde hält.“

„Das Risiko besteht bestimmt nicht.“ Rhys sah ihr in die grauen Augen und auf den Mund, um den ein Lächeln spielte.

Das wurde ja wirklich immer alberner. Reiß den Blick los und dich selbst zusammen, ermahnte Thea sich. Immer dran denken, das Ganze ist nur ein Witz! Tief ein- und ausatmen. Beherrschung!

Sie warf ihr Haar zurück, dass es ihr weich um die Schultern fiel. „So, Sie wollen mich also nur wegen meines Körpers. Und ich dachte, Sie lieben mich ernsthaft.“

„Das tue ich doch“, erwiderte Rhys. „Ich bin völlig verrückt nach Ihnen. Sie sind die Frau, auf die ich mein ganzes Leben gewartet habe.“

Schon schlimm, dass er solche Dinge aussprechen konnte und dabei so völlig normal wirkte. Er schien überhaupt nichts dabei zu spüren, weder dieses Kribbeln im Bauch noch hatte er Atembeschwerden.

„Und warum wohnen wir dann nicht zusammen in einer Villa, wenn Sie mich so sehr lieben?“, fragte sie fast pikiert.

Rhys dachte einen Moment nach. „Sie haben doch Clara bei sich, weil Ihre Schwester diesen Unfall hatte, und so brauchen Sie einfach mehr Platz.“

„Die Mädchen könnten gut zusammen in einem Zimmer untergebracht werden“, wand Thea ein, „diese Häuser sind ja nicht gerade klein … Oh, ich hab’s!“, rief sie aus. „Bisher haben Sie Sophie noch nichts von mir gesagt. Sie sind nicht sicher, wie sie reagieren wird, wenn Sie ihr Ihre neue Freundin vorstellen.“

Rhys nickte aufmunternd. „Klingt plausibel.“

Thea spann den Faden weiter. „Und ich bin es leid. Wenn Sie mich so lieben, wie Sie sagen, warum darf Ihre Tochter dann nichts von mir wissen? Sie behaupten immer, sie sei der wichtigste Teil Ihres Lebens, aber ich will auch zu Ihrem Leben gehören. Mich haben Sie bisher damit abgewiegelt, dass Sie nichts überstürzen wollen.“

„Das macht Sinn“, bemerkte Rhys. „Schließlich bin ich ja auch noch ein ziemlich neuer Faktor in ihrem Leben. Ich würde es wahrscheinlich tatsächlich für zu früh erachten, ihr noch eine neue Person zuzumuten.“

„Da haben Sie’s! Aber“, Thea ging völlig in ihrer Geschichte auf, „was Sie nicht bedacht haben, ist, dass ich mittlerweile ungeduldig bin und die Sache jetzt selbst in die Hand nehme. Da ich allerdings nicht weiß, wie Sie reagieren werden, habe ich eine separate Villa angemietet und Clara mitgebracht.“

Rhys dachte darüber nach. „Fürchten Sie denn nicht, dass ich wütend werden könnte?“

„Das Risiko nehme ich auf mich“, erwiderte sie feierlich. „Wütend können Sie sein, aber ignorieren können Sie mich nicht. Und da ich in einem eigenen Ferienhaus untergebracht bin, werden Sie mir Sophie ganz offiziell vorstellen müssen, wie jedem neuen Nachbarn. Sie können also nicht so tun, als würde ich nicht existieren. Und außerdem … da ich meine eigene Villa habe, können Sie auch nicht allzu wütend sein, denn ich dränge mich ja nicht in Ihr Haus. Um genau zu sein, ich hatte eigentlich vor, einen recht unabhängigen Urlaub mit Clara zu verbringen, sobald ich mein Ziel erreicht habe.“ Zufrieden lehnte Thea sich in ihren Stuhl zurück. „Na, was halten Sie davon?“

Rhys betrachtete sie voller Bewunderung. „Kate würde diese Geschichte überzeugen. Eigentlich würde das jeden überzeugen!“

Beide lachten gleichzeitig los, aber dann wurde Rhys schlagartig nüchtern und schaute sehr, sehr nachdenklich drein.

Thea blieb das Lachen in der Kehle stecken. „Nein! Das können Sie unmöglich ernst meinen!“

3. KAPITEL

Rhys sah Thea lange an. Dann schüttelte er sich und kam in die Realität zurück. „Nein, natürlich nicht. So etwas kann ich unmöglich von Ihnen verlangen.“ Er beugte sich vor und füllte nochmals ihre Gläser mit Wein.

Thea war sicher, dass sie längst mehr als genug hatte. Sonst säße sie nicht hier in aller Seelenruhe und würde auf einen so haarsträubenden Scherz eingehen. Sie wusste doch nichts über Rhys Kingsford, nicht das Geringste. Nur das, was er bisher freiwillig von sich erzählt hatte.

Allerdings hatte sie das Gefühl, als würde sie ihn schon ewig kennen, als sei er schon immer Teil ihres Lebens gewesen.

Schweigend tranken sie ihren Wein und dachten über diese lächerliche, völlig absurde Geschichte nach.

Lächerlich und absurd, ja. Aber trotzdem dachten sie darüber nach.

„Es würde sicher schrecklich peinlich werden, sollten Kate und Nick feststellen, dass wir nur so tun, nicht wahr?“

„Höchstwahrscheinlich“, stimmte Rhys zu. „Andererseits … was ist schlimmer? Das, oder für die nächsten zwei Wochen Ausreden erfinden, um nicht zum Dinner zu ihnen gehen zu müssen?“

Wieder Schweigen.

„Wir müssten so tun, als wären wir ineinander verliebt.“

„Stimmt.“

Sie sahen einander an, sahen wieder weg.

„So schwierig sollte das doch nicht sein, oder?“, setzte Thea erneut an. „Ich meine, wir müssen ja nicht ständig auf Tuchfühlung gehen. Das würde auch ein echtes Paar in Gesellschaft nicht machen.“

„Richtig.“ Rhys zögerte. „Wahrscheinlich müsste ich Ihnen aber ab und zu den Arm um die Taille legen und Sie an mich drücken. Würde Ihnen das etwas ausmachen?“

Thea brachte ein gleichgültiges Schulterzucken zustande. „Damit müsste ich umgehen können.“ Allerdings verspürte sie bei der bloßen Vorstellung wieder dieses aufgeregte Kribbeln im Bauch. Die Wahrheit war, es würde ihr ganz und gar nichts ausmachen.

„Also, was meinen Sie?“, fragte Rhys schließlich.

Thea holte tief Luft. „Wenn Sie das können, dann mache ich mit.“

„Sind Sie sicher?“

„Warum nicht?“ Sie setzte sich gerader auf. „Schließlich ist es ja nur ein Spaß, nicht wahr? Und es gibt doch keine wirkliche Freundin bei Ihnen, die verletzt werden könnte, oder?“ Sie konnte nur hoffen, dass sie nicht zu eifrig nach einer Bestätigung hinsichtlich dieses kleinen Punkts klang.

„Nein“, bestätigte er mit einem schiefen Lächeln. „Meine ganze Aufmerksamkeit gilt im Moment nur Sophie. Wie sieht es bei Ihnen aus? Gibt es da einen Galan, der unerwartet auftauchen könnte?“

„Nein.“ Thea schüttelte traurig den Kopf. „Das heißt … ich bin nicht sicher.“

„Sie...

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