Julia Extra Band 580

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  • Erscheinungstag 06.01.2026
  • Bandnummer 580
  • ISBN / Artikelnummer 9783751541404
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Andrea Bolter, Cathy Williams, Juliette Hyland, Sharon Kendrick

JULIA EXTRA BAND 580

Andrea Bolter

1. KAPITEL

„Sie müssen wirklich lernen, sich zu entspannen“, sagte Dr. Singh eindringlich. „Wann haben Sie denn das letzte Mal Urlaub, einen Spaziergang am Strand gemacht oder eine Runde Golf gespielt?“

Jackson sah auf dem Handy nach, wie spät es war. „Der Tag hat leider nur vierundzwanzig Stunden“, entgegnete er.

Nach der Untersuchung bat Dr. Singh ihn in sein Büro. Ungeduldig nahm Jackson Platz. Der Termin dauerte länger als erwartet. „Ich bin eben sehr beschäftigt.“ Die Firma, die er nach dem Tod seiner Eltern geerbt hatte und die Unternehmensakquisitionen durchführte, nahm praktisch jede Sekunde seines Lebens in Anspruch. Da blieb nun mal einfach keine Zeit für Urlaub.

„Sie müssen sich trotzdem gut um sich kümmern.“

Jackson ließ sich regelmäßig untersuchen, weil seine Eltern beide recht jung gestorben waren. Doch nun hatte er sich wegen seiner extrem verspannten Schultern einen zusätzlichen Termin geholt.

„Ich konnte die Verspannungen deutlich spüren“, sagte der Arzt. „Ihre Muskeln sind steinhart. Außerdem leiden Sie nach eigener Aussage unter Kopfschmerzen und gelegentlicher Atemnot, dabei sind Sie erst fünfunddreißig. Wir werden noch ein paar Untersuchungen durchführen, aber meiner Ansicht nach leiden Sie unter chronischem Stress.“

Jackson war überzeugt davon, dass viele Menschen auch dann ein hohes Alter erreichten, wenn sie sich keine Zeit zum Golfspielen nahmen. „Wie Sie meinen“, versuchte er das Gespräch zum Ende zu bringen.

„Es ist mir ernst“, sagte Dr. Singh. „Lebensweise und seelisches Wohlergehen haben erheblichen Einfluss auf die Gesundheit. Erholung, gute Ernährung und Bewegung sind sehr wichtig. Außerdem müssen Sie sich ab und zu mal eine Auszeit gönnen. Was haben Ihre Eltern denn außerhalb der Arbeit so gemacht?“

„Soll das ein Witz sein?“, fragte Jackson leicht abfällig. Seine Eltern hatten achtzehn Stunden gearbeitet, manchmal sieben Tage die Woche – so wie er jetzt. Sein Arzt hatte schon recht mit seiner Vermutung, dass Jackson in dieser Hinsicht in ihre Fußstapfen trat.

Die Finns arbeiteten viel und schliefen wenig, Hobbys hatten sie nicht. So baute man sich ein Imperium auf. Jacksons schlanke Figur war vermutlich das Ergebnis schlecht verdauter Mahlzeiten, die er schnell nebenher am Schreibtisch aß, und hatte nichts mit einem gut durchdachten Ernährungsplan zu tun.

„Sie müssen dringend etwas ändern, sich Zeit für sich nehmen und ein Gleichgewicht finden, sonst werden Sie krank. Wie wäre es zum Beispiel mit Massagen?“

Dr. Singh hatte keine Ahnung, wie absurd sein Vorschlag war.

Als der Fahrer Jackson nach dem Arzttermin absetzte, ließ er den Blick am Sherwood Building nach oben gleiten. Das fünf Stockwerke hohe historische Gebäude gehörte Finn Enterprises – und damit ihm, denn er war ein Einzelkind. Als kurz nach seiner Mutter auch sein Vater gestorben war, hatte er ihre sämtlichen Vermögenswerte geerbt.

Das imposante Sherwood Building hatte er seit einem Jahr nicht mehr gesehen und betrachtete es nun eingehend von der Straße aus. Trotz der schmerzlichen Erinnerungen, die er mit dem Gebäude verband, würde er jetzt viel Zeit hier verbringen.

Es lag in Tribeca, einem sehr belebten Stadtteil des New Yorker Bezirks Manhattan. Im frühen 19. Jahrhundert war der dortige Washington Market von großer Bedeutung für den Fisch-, Fleisch-, Milch- und Gemüsehandel gewesen. Im Sherwood Building ließen sich nach dessen Fertigstellung im Jahr 1830 Trockenwarenhändler nieder. Ende des Jahrhunderts waren zahlreiche der Ziegelbauten des Viertels durch Fabriken und Lagerhäuser ersetzt worden, doch das „Sher“ überlebte zum Glück. In den letzten fünfzig Jahren hatten Filmemacher, Künstler und Prominente zunehmend Immobilien in Tribeca gekauft, das nun eine bunte Mischung aus restaurierten Gebäuden, Neubauten, und Grünflächen mit ein paar wenigen verbliebenen Straßen mit Kopfsteinpflaster war – eins der markantesten Viertel New Yorks.

Umgeben vom typischen Trubel – hastig umhereilenden Fußgängern, hupenden Autos und dem spürbaren Rattern der U-Bahnen – stand Jackson da und betrachtete sein Gebäude. Er hatte vergessen, wie imposant es war, mit seiner Architektur im italienischen Stil, den großen Bogenfenstern und der Gusseisen-Fassade. Dass er der Besitzer dieser Grande Dame war, erfüllte ihn mit Stolz.

Auf der einen Seite des Shers befand sich ein Boba-Tee-Café, auf der anderen ein Hundefriseur. Das Erdgeschoss war an einen Kunsthandel vermietet, in dessen Fenstern bunte abstrakte Gemälde hingen. Im zweiten und dritten Stockwerk befanden sich langjährige Mieter. Jackson war heute hier, weil er im vierten Stock etwas zu erledigen hatte.

Ungute Erinnerungen wurden in ihm wach. Seine katastrophale Ehe hatte vor vier Jahren um ein Haar dazu geführt, dass das Unternehmen im obersten Geschoss des Gebäudes seine Tore schließen musste. Dort befand sich ein Wellness-Center, das mehrfach als eins der weltweit besten Spas ausgezeichnet worden war – bis zu der von Jackson mitverursachten Katastrophe. Danach sanken die Besucherzahlen, und es ging mit dem Wellness-Center bergab, da es nicht mehr ständig hochgelobt wurde.

Jackson schluckte und schwor sich, dafür zu sorgen, dass das Center im Sher seinen hervorragenden Ruf wieder zurückerlangen würde. Das war er seinen Eltern schuldig, auch wenn die beiden es nicht mehr erleben konnten.

Es war schon absurd, dass ausgerechnet die Finns, deren Leben praktisch nur aus Arbeit bestand, ein Wellness-Center besaßen. Es war nur eins von zahlreichen Unternehmen im Portfolio der Familie, doch ein so markantes Gebäude zu erwerben und zu besitzen war an sich schon ein Triumph für Jacksons Eltern gewesen. Die beiden hatten schon jung jeder drei Jobs gehabt, um genug Geld zusammenzubekommen, damit sie aus Ohio wegziehen und in New York ein neues Leben anfangen konnten. Dass ihnen schließlich eine der ersten Adressen in der Stadt gehörte, war ihr ganz persönlicher amerikanischer Traum – aus dem Jackson mit falschen Entscheidungen einen Albtraum gemacht hatte.

Damals waren sie von anderen Luxus-Spas mit modernsten Angeboten und perfektem Innendesign überholt worden. Jackson hatte sich zurückgezogen und in Hotels in anderen Städten gewohnt, als könnte er so die Ereignisse in New York vergessen. Nun war er wieder da, denn die Investorengruppe des Spa at the Sher sollte in ein paar Wochen über dessen Schicksal entscheiden.

Das Spa verdiente es, renoviert zu werden und in neuem Glanz zu erstrahlen. Hoffentlich würde Jackson die Investorengruppe davon überzeugen können. Er würde die niedliche Elfe entlassen, die das Spa leitete und nie echte Handlungsbefugnis bekommen hatte. Wie hieß sie noch mal – Emma, Eden, Elsa? Stattdessen würde er eine richtige Spa-Geschäftsführung mit einer Vision einstellen und ihm oder ihr das Budget dafür zur Verfügung stellen, diese Vision zu realisieren.

Vielleicht würden dann auch endlich die Nackenschmerzen verschwinden, die seine Vergangenheit zu symbolisieren schienen. Und vielleicht würde er dann auch nicht mehr allein mitten in der Nacht in dunklen Hotelzimmern aufwachen und Atemnot haben.

Sollte er doch Dr. Singhs Rat befolgen, sich massieren zu lassen? Früher einmal hatten die besten Masseure der Welt im Spa at the Sher gearbeitet, und auf Termine hatte man eine kleine Ewigkeit warten müssen.

Jackson suchte auf seinem Handy den Namen der „kleinen Elfe“ heraus. Als er ein letztes Mal den Blick an dem imposanten Gebäude hinaufgleiten ließ, sah er, dass vom Spa aus eine Frau hinunterblickte. Ob sie das war?

Aus irgendeinem Grund verspürte er ein Kribbeln.

„Mein Termin um sechs für ein Glykolsäure-Peeling wurde gerade abgesagt, deswegen gehe ich jetzt nach Hause“, sagte Demi, eine der Kosmetikerinnen des Spa at the Sher, zu Esme. Die stand am Fenster und blickte vom vierten Stock hinunter auf die Straße.

„Alles klar, dann bis morgen“, sagte sie, ohne sich umzudrehen. Irgendwie konnte sie sich nicht losreißen, dabei gab es jede Menge zu tun. Zum Beispiel musste sie die bunten Blumen auf mehrere Vasen verteilen und im Empfangsbereich aufstellen. Schließlich würde er jeden Moment hier auftauchen, und da wollte sie das Spa von seiner besten Seite präsentieren.

In Ermangelung einer Geschäftsführung musste sie als Leiterin des Spas mit dem zurechtkommen, was sie hatte. Und Esme tat einfach alles dafür, ihren Gästen den Besuch im Spa zu einem unvergesslichen Erlebnis zu machen. Doch das war gar nicht so einfach. Schließlich gab es jede Menge luxuriöser Spas, die deutlich mehr zu bieten hatten als das etwas in die Jahre gekommene Spa at the Sher.

„Die Vichy-Dusche ist schon wieder kaputt“, sagte Trevor, ihr Stellvertreter. „Soll ich die Handwerker herbestellen?“

„Ja, bitte, so schnell wie möglich. Ich möchte auf keinen Fall Termine umbuchen müssen.“

Trevor nickte und wandte sich um. Esme räumte am Empfang auf und entfernte die vielen Haftnotizen, mit denen die Mitarbeiter einander an alles erinnerten, was erledigt werden musste. Warum war sie nur so nervös? Vielleicht, weil Jackson Finn nicht erklärt hatte, warum er diesmal persönlich vorbeikam, anstatt sich wie sonst per Telefon oder E-Mail zu melden. Und jetzt würde er nach fast einem Jahr das erste Mal hier auftauchen. Hatte er etwa vor, sie zu entlassen?

Wieder blickte sie auf die Straße hinunter, als könnte sie ihn unter den vielen Menschen aus dieser Entfernung erkennen. Bei den wenigen persönlichen Begegnungen und Videoanrufen mit ihm war ihr aufgefallen, wie attraktiv er war, mit seinem dichten dunklen Haar, den perfekt sitzenden Maßanzügen und dem atemberaubenden Lächeln, das man aber leider nur selten zu sehen bekam.

Esme rief sich in Erinnerung, dass es keinen Grund gab, sie zu entlassen. Das Spa machte keine Miesen und war schuldenfrei, wenn es auch seinen Charme eingebüßt hatte. Die Geschäftsleute, die an der Wall Street arbeiteten, kamen noch immer zur Tiefengewebsmassage. Sporadisch erschienen Mitglieder der Kunstszene von Tribeca und SoHo, um gegen die Folgen des Großstadtlebens anzukämpfen. Das Spa at the Sher war fester Bestandteil des Viertels, genauso wie die Textilreinigung und die Pizzeria.

Esme wusste noch, wie sie vor Jahren in Wellness-Fachzeitschriften Artikel über das Spa gelesen hatte: über diese unfassbar luxuriöse Oase in einem historischen Gebäude in Lower Manhattan, in der man sich so richtig verwöhnen lassen konnte. Sie hatte Interviews mit den Mitarbeitern gelesen, und alles war hochmodern gewesen – vom Online-Buchhaltungsprogramm bis hin zu den neuesten Innovationen im Bereich Hautverjüngung. Keiner der Mitarbeiter war jetzt noch hier. Warum es mit dem Spa bergab gegangen war, wusste Esme nicht genau. Bei ihrer Einstellung vor vier Jahren hatte sie Gerüchte gehört: Jacksons Frau hatte das Spa geleitet – und zugrunde gerichtet. Doch ob das wirklich stimmte?

Esme machte sich daran, ein letztes Mal alles zu überprüfen. Auf einem Beistelltisch standen neue Teesorten, ein großer Krug Wasser, aromatisiert mit Gurken- und Zitronenscheiben, frisches Obst, Nüsse und dunkle Schokolade. Das Spa war mit hellbraunen Möbeln eingerichtet, mit lavendelfarbenen und graugrünen Akzenten. Das erweckte eine freundliche Atmosphäre, wirkte aber etwas altmodisch. An den Wänden hingen Fotos, Gemälde und Zeichnungen von Blumen. Ebenfalls nett, aber nichts Besonderes. Unter den angebotenen Behandlungen fanden sich keine der innovativen Wellness-Erlebnisse, die Gäste anlockten. Kurz gesagt: Es gab nichts, womit sie Jackson hätte beeindrucken können. Ein Spa ohne Geschäftsführung, ohne Vision und ohne das Budget, um daran etwas zu ändern.

In diesem Moment gingen die Aufzugtüren auf, und ein großer, eindrucksvoller Mann kam durch die Glastüren des Spas herein. Jackson Finn ließ den Blick im Foyer umhergleiten, bis seine dunkelbraunen Augen sie erblickten.

„Esme Russo, stimmt’s?“

„Ja. Ist alles in Ordnung?“ Sie bereute die persönliche Frage sofort. Doch ihr war nicht entgangen, dass er die Schultern unter dem Mantel aus edlem braunem Wollstoff bis fast zu den Ohren hochgezogen hatte.

„Was?“

„Na ja, Ihre Schultern wirken sehr angespannt.“

„Ja, das sagen alle.“ Jackson näherte sich und reichte ihr die Hand.

Das war Esme nicht gewohnt – in der Wellnessbranche umarmte man sich meistens. Sie hatte ganz vergessen, wie förmlich Jackson war. Als sie ihm ebenfalls die Hand reichte, verschwand diese fast in seinen starken, langen Fingern, was sich seltsam angenehm anfühlte.

„Kann ich Ihnen den Mantel abnehmen?“

Als Jackson ihr den Mantel reichte, den er über seinem eleganten grauen Anzug trug, hätte sie am liebsten daran geschnuppert. Was war nur los mit ihr? Sie hängte den Mantel auf.

Als Esme sich wieder umdrehte, hatte sie das Gefühl, er hätte jede ihrer Bewegungen beobachtet. Inständig hoffte sie, dass er nicht hier war, um sie zu entlassen. Sie würde wegen ihrer umfangreichen Erfahrung zwar leicht eine neue Stelle finden, aber entlassen zu werden machte sich auf dem Lebenslauf nie gut.

Prüfend ließ Jackson den Blick durch den Empfangsbereich gleiten. Empfangstresen, zwei Sofas, rechts im Blickfeld der Entspannungsraum. „War dieser Bereich schon so eingerichtet, als ich letztes Mal hier war?“

Oh nein. Er klang missbilligend. „Ich glaube schon. Vielleicht haben wir das Sofa nach Feng-Shui-Prinzipien umgestellt.“

Fragend zog Jackson die Augenbrauen hoch. Wusste er etwa nicht, was Feng-Shui war? Als CEO eines millionenschweren Unternehmens hatte er vermutlich Untergebene, die ihm alles abnahmen – auch die Verantwortung für ein harmonisches Umfeld.

„Und, hatten Sie Erfolg?“

Ihre Blicke begegneten sich. Jacksons seelenvolle Augen waren so dunkel wie schwarzer Kaffee, und Esme sah einen Schmerz in seinem Blick, der nichts mit den verspannten Schultern zu tun hatte.

„Erfolg womit?“

„Damit, das Feng-Shui zu verbessern.“

„Messen lässt sich das wohl eher nicht.“ So langsam kam Esme sich vor wie bei einem Verhör. Und sie fand: Wenn Jackson sich nicht in die Leitung des Spas einbrachte und sich nur einmal im Jahr damit befasste, hatte er nicht das Recht, so kritisch zu sein. Außerdem: Ein Sofa zu verschieben – das war doch keine tief greifende Veränderung, die man mit Vorgesetzten absprechen musste. „Gefällt es Ihnen nicht?“

Er zuckte mit den breiten Schultern. „Ich habe dazu keine Meinung.“ Sein Blick glitt zum Tisch mit den Getränken, der im Entspannungsraum stand. „Schwimmen da Gurkenscheiben im Wasser?“

„Ja.“

„Und Ihre Gäste mögen so was?“ Wieder klang es so, als wäre er auf einem fremden Planeten gelandet.

Schnell ging Esme hinüber und schenkte ihm ein Glas ein. „Probieren Sie doch einfach mal, es ist sehr erfrischend!“

Als Jackson skeptisch einen Schluck trank, hatte sie das Gefühl, dass ihre gesamte berufliche Zukunft von seinem Urteil abhing.

„Igitt.“

Esme war entmutigt. Doch dann trank er zu ihrer Überraschung noch einen Schluck. Als er das Glas an seinen sinnlichen Mund führte, glitt sie nervös mit ihrer Zunge über die Lippen.

Der zweite Schluck schien ihm leider auch nicht besser zu schmecken.

„Möchten Sie sich setzen?“

„Nein.“

„Was kann ich dann für Sie tun?“ Sie hatte noch immer keine Ahnung, warum Jackson eigentlich hier war.

Er wies auf den Computer auf dem Empfangstresen. „Wer kann auf Ihr System zugreifen?“

Als sie ihm das erklärt hatte, fragte er: „Und wie oft ändern Sie die Passwörter?“

„Alle sechs Monate, glaube ich.“

„Das ist wirklich wichtig.“

Irgendwie klang Jackson misstrauisch, und das ärgerte Esme. Vielleicht hatte er noch die zwielichtigen Dinge in Erinnerung, die im Spa passiert sein sollten, bevor sie ihre Stelle hier angetreten hatte.

„Ich würde mich gern wieder mit den Räumlichkeiten vertraut machen. Ich weiß aber leider nicht mehr, wo hier was ist.“

Mit anderen Worten, Jackson Finn wollte, dass sie ihn in seinem eigenen Spa herumführte. Esme atmete tief durch, um sich zu beruhigen.

2. KAPITEL

Bestimmt gab es irgendwo auf der Welt – und vielleicht sogar in New York – Leute, die mit Begeisterung Wasser tranken, in dem matschiges Gemüse herumschwamm. Jackson allerdings gehörte nicht dazu. Zum Glück stand neben dem Wasser eine Schüssel mit Pfefferminzbonbons, von denen er sich gleich mehrere in den Mund schob.

„Bitte folgen Sie mir“, sagte Esme.

Er hatte ganz vergessen, wie hübsch sie war. Zu einer braunen Hose trug sie einen Pullover in verschiedenen Rosatönen – eine ungewöhnliche Kombination, die aber erstaunlich gut aussah. Esme trug nicht mehr ihren kurzen Pixie-Schnitt, sondern hatte sich das braune Haar zu einem stufigen Bob mit goldblonden Highlights wachsen lassen, der ihr bis auf die Schultern reichte.

Als sie sich umwandte und ihn mit einer Geste aufforderte, ihr zu folgen, glitt Jacksons Blick unwillkürlich zu ihrem Hintern. Eigentlich war es nicht seine Art, Frauenkörper so eingehend zu betrachten. Seit seiner Scheidung vor vier Jahren hatte er, wenn sein Bedürfnis nach menschlichem Kontakt zu stark wurde, mehrmals mit Geschäftsfrauen geschlafen, denen er in einer Bar begegnet war. Er machte ihnen immer zweifelsfrei klar, dass es über das Körperliche nicht hinausgehen würde. Nach der Horrorshow mit Livia hatte er mit Beziehungen abgeschlossen.

Wie interessant, dass sogar Esme aufgefallen war, wie verspannt seine Schultern waren. Anspannung war bei ihm wohl zum Normalzustand geworden. Ob sich das ändern würde, wenn Neuausrichtung und Umgestaltung des Spas abgeschlossen waren? Dr. Singh hatte schon recht: Wenn Jackson den Stress nicht in den Griff bekam und seine Lebensweise änderte, könnte auch er so jung sterben wie seine Eltern.

„So sehen unsere Massageräume aus.“ Esme öffnete eine Tür und ließ Jackson eintreten.

Der Raum war wie auch der Empfang in freundlichen, allerdings etwas tristen Farben gestaltet und mit Blumen dekoriert: Trockensträuße in Vasen und vier gerahmte Schwarz-Weiß-Fotos von Blüten an der Wand. Leise meditative Musik war zu hören.

„Sämtliche Räume sind bei uns mit Northstar-Massageliegen ausgestattet, meiner Ansicht nach die besten auf dem Markt. Die Liegefläche besteht aus besonders festem, hochwertigem Material, das langlebiger ist als bei anderen Marken“, erläuterte Esme.

„Wie Sie meinen. Ich gehe kaum in Spas.“

Erstaunt zog sie die Augenbrauen hoch. „Und trotzdem besitzen Sie eins?“

Ihre Direktheit irritierte Jackson – oder war er eher fasziniert? Schließlich hatte auch er schon darüber nachgedacht, denn in seiner Familie wurde vor allem hart gearbeitet, sich zu verwöhnen kam nicht infrage. Vom Spa at the Sher kannte er lediglich die Gewinn- und Verlustrechnung.

„Meine Eltern haben das Sher gekauft, weil es so ein berühmtes historisches Gebäude ist. Das Spa war damals schon gut eingeführt, also haben wir es einfach weiterbetrieben, bis meine Frau … meine Ex-Frau … damalige Frau …“ Jackson verhaspelte sich. Noch immer beschämte es ihn, dass er auch nur einen winzigen Aspekt dieses bedeutenden Gebäudes der berechnenden Livia überlassen hatte. Die hatte nicht nur die Geschäftsbücher zu ihrem Vorteil gefälscht, sondern Jackson auch mit dem Mann betrogen, mit dem sie den Plan ausgeheckt hatte. Seine Eltern waren damals sehr wütend auf ihn gewesen, weil seine Menschenkenntnis so versagt hatte.

Livia war nicht der Typ Frau, den sie sich als Partnerin für ihn gewünscht hätten. Die beiden waren sehr ernst gewesen, Romantik und Zuneigungsbekundungen waren ihnen fremd. Livia redete viel und laut und hatte einen Hang zur Dramatik. Davon hatte sich Jackson angezogen gefühlt, vielleicht auch, weil es so ein starker Kontrast zu der tristen Leere war, mit der er aufgewachsen war. Warum er so anders war als seine Eltern, das hatten weder er noch sie verstanden. Doch er hatte sich nach mehr gesehnt und war von Livia einfach hingerissen gewesen. Er hatte ihr vertraut, und damit hatten die Probleme angefangen.

Nach dem Veruntreuungsvorfall waren seine Eltern wütend gewesen. Ihre Enttäuschung war so stark und so deutlich zu spüren gewesen, dass Jackson sich seitdem fragte, ob er vielleicht an ihrem frühen Tod eine Mitschuld trug.

Deshalb war er heute hier. Seine Eltern konnte er nicht wieder zum Leben erwecken, das Spa at the Sher dagegen schon.

Esme hatte bei ihrer Einstellung sicher nichts von den Problemen der Familie Finn geahnt. Jackson hatte sein Personalteam beauftragt, einen Ersatz für seine hinterhältige Ex-Frau zu finden. Die hatte er sofort gefeuert, als ihre Machenschaften einem gewissenhaften Buchhalter aufgefallen waren. Statt einer Geschäftsführung war jemand eingestellt worden, der das Spa leitete, bis Weiteres entschieden wurde. Und die Wahl war auf Esme gefallen.

Leider hatte Jackson neben dem Leid und dem Tod seiner Eltern nicht viel Interesse für das Spa aufbringen können und viel Zeit verstreichen lassen. Schließlich hatten ihn die Investoren gewarnt, dass sie sich eventuell zurückziehen würden.

Das hatte Jackson wachgerüttelt und ihm erstaunlich viel Energie gegeben. Er musste das Spa entweder zum Leben erwecken und in neuem Glanz erstrahlen lassen – oder es verkaufen.

„Es ist ja auch ein imposantes Gebäude“, riss Esme ihn aus seinen unschönen Erinnerungen an Livia und jene schwere Zeit.

„Arbeiten Sie gern hier?“

„Ähm, ja“, erwiderte sie leicht überrumpelt.

Sie zeigte ihm einen weiteren Raum. „Hier werden Gesichtsbehandlungen durchgeführt. Übrigens hat jeder Raum ein eigenes Soundsystem, für den Fall, dass unsere Gäste gern bestimmte Musik hören möchten. Außerdem setzen wir auf Kerzen und Aromatherapie.“

Jackson schnupperte. „Ist das der Geruch, der hier in der Luft liegt?“

„Nein, das ist das Produkt, das wir für unsere Ananas-Gesichtsbehandlung verwenden.“

„Sie benutzen Ananas für Gesichtsbehandlungen?“

„Ja, Ananas ist der wichtigste Bestandteil. Die Früchte enthalten ein äußerst wirksames Enzym, Bromelain, das der Gesichtshaut sehr guttut.“

„Für mich gehört Ananas in Obstsalat und nicht aufs Gesicht.“ Warum machte er Witze über das Thema? Vielleicht, weil er sich hier so fehl am Platze fühlte. Über Gesichtspflege wusste er lediglich, dass man nach dem Rasieren Sonnenschutz auftragen musste. „Wollen die Leute wirklich nach Obst riechen?“

Esme lächelte. „Ja, das klingt schon ein bisschen merkwürdig, hat aber seinen Sinn. Düfte können anregen, aber auch beruhigen. Wenn unsere Gäste während der fünfzigminütigen Behandlung von ihrem Lieblingsduft eingehüllt sind, hat das eine positive Wirkung.“

Wieder musste Jackson an den Rat seines Arztes denken, sich zu entspannen. Nachdenklich rieb er sich den Nacken.

„Belastet Sie etwas?“, fragte Esme. „Mir ist bei Ihrer Ankunft gleich aufgefallen, wie verspannt Ihre Schultern sind. Und jetzt haben Sie sich gerade den Nacken massiert.“

Das hatte er gar nicht gemerkt. „Nein. Ich bin auch nicht hier, um mich massieren zu lassen“, sagte er schroff, und Esme zuckte leicht zusammen. „Führen Sie mich einfach weiter herum.“

Er folgte ihr den Gang entlang. „Hier ist unser Nassbereich.“

Jackson meinte sich im Zusammenhang mit diesem Raum an eine ziemlich hohe Klempnerrechnung zu erinnern. „Was ist das?“ Er wies auf eine Vorrichtung mit sieben Wasserdüsen, die sich oberhalb der großen Behandlungsliege in der Mitte des gekachelten Raums befand.

„Das ist eine Vichy-Dusche. Strahlstärke und Temperatur lassen sich individuell anpassen, sodass man praktisch vom Wasser massiert wird. Leider hat sie gerade wieder den Geist aufgegeben.“

Anders als er kannte Esme sich ganz offensichtlich bestens aus. Nach der Trennung von Livia hatte Jackson sich weniger emotionsgeladenen Projekten zugewandt. Doch es machte ihm zu schaffen, dass er seine Eltern enttäuscht hatte, und das zeigte sich auch anhand seiner körperlichen Anspannung. Seinen Wunsch nach Romantik hatten sie für Zeitverschwendung gehalten.

Esme zeigte ihm die Duschen und die Umkleide für die männlichen Gäste. „Wir haben einen Whirlpool, ein Dampfbad, sechs Duschen, zwei Make-up-Bereiche mit Dreifachspiegeln, geräumige Schließschränke aus Zedernholz sowie einen weiteren Aufenthaltsraum mit Snacks, kostenlosen Kosmetikartikeln, Föhnen und jeder Menge Ladestationen. Ich finde es schön, wenn unsere Gäste sich lange bei uns aufhalten, sich eine großzügige Auszeit nehmen und dann völlig erholt wieder in die Welt zurückkehren.“

Dass ein Spa eine Art Oase der Erholung sein konnte, war ein neuer Gedanke für Jackson. Er hatte Wellness immer für übertriebenen Luxus gehalten, den sich Leute mit zu viel Geld leisteten – vergleichbar mit Schmuck oder teuren Restaurantbesuchen.

Früher war das Spa von einem erfahrenen Führungsteam geleitet worden, das es in über zwanzig Jahren zu einem erstklassigen Etablissement gemacht hatte.

Als die Finns es gekauft hatten, waren die Teammitglieder zu neuen Ufern aufgebrochen. Dann hatte Livia Veränderungen angestoßen, die nicht funktioniert hatten. Sie hatte planlos Angebote gestrichen, die bei den Gästen aber beliebt gewesen waren. Und sicher hatten auch ihre durchdringende Stimme und ihre hektische Art und Weise nicht zur Atmosphäre des Spas gepasst.

Esmes Stimme hingegen war wie ein kühler Wald, in dem man sich so friedlich und geerdet fühlte wie nie zuvor.

Spontan fragte er sie: „Wo haben Sie eigentlich gearbeitet, bevor Sie hier bei uns angefangen haben?“ Da sie schon seit vier Jahren im Spa at the Sher arbeitete, war das eine etwas merkwürdige Frage, doch Esme ließ sich nichts anmerken.

Mit ihrer sinnlichen Stimme erwiderte sie: „Ich war im Spa eines Luxushotels in Miami in einer Aufsichtstätigkeit angestellt. Davor war ich zwei Jahre in einem Spa in Mexiko, und davor habe ich eine Ausbildung in Dänemark gemacht.“

„Sie sind aber ganz schön herumgekommen.“

„Ja, doch ich bin in New York geboren und aufgewachsen, in der Bronx. Hier fühle ich mich am allerwohlsten.“

Jackson musste lächeln. Auch er war in New York aufgewachsen, allerdings in einem ganz anderen Teil der Stadt: auf Long Island, in einem der Nobelvororte. Nach dem Desaster mit Livia verbanden ihn allerdings ungute Erinnerungen mit New York. Doch wie lange konnte er weiter in anonymen, unpersönlichen Hotels wohnen, statt sich ein Zuhause zu suchen und Wurzeln zu schlagen?

Die Räumlichkeiten des Spa at the Sher waren fantastisch, es fehlte bloß an einer Vision, und es musste modernisiert werden. Doch einige Wochen würden dafür genügen.

In Jacksons Kopf fügten sich wie von selbst die Puzzlestücke zusammen. Er wollte für das Spa eine Geschäftsführung, die Spas auf der ganzen Welt kannte und in puncto Marketing, Social Media, Personal und Kundenbetreuung auf dem neuesten Stand war. Die Leitung des Spas hingegen würde sich darum kümmern, dass alles reibungslos lief, würde die Mitarbeiter beaufsichtigen und dafür sorgen, dass die Ausstattung funktionsfähig war. Ob er Esme als Leiterin behalten würde, sollte die künftige Geschäftsführung entscheiden.

Doch aus irgendeinem Grund gefiel ihm die Vorstellung gar nicht, dass er Esme vielleicht nie wiedersehen würde.

Was Jackson wohl vorhatte? Er blickte sich im Spa um, als wäre er nicht dessen Besitzer, sondern ein potenzieller Gast. Sah er sich die Räumlichkeiten deshalb so genau an, weil er das Spa schließen und daraus Büros, Läden oder Wohnungen machen wollte?

„Warum haben Sie sich für die Wellnessbranche entschieden?“ Jacksons Frage war persönlicher, als er ahnte.

„Weil ich mich gerne um Menschen und ihr Wohlergehen kümmere.“

„Dann hätten Sie doch auch Ärztin oder Krankenschwester werden können.“

Esme zögerte. Einerseits kannte sie Jackson kaum, andererseits hatte sie nichts zu verheimlichen. „Ich komme nicht aus einer wohlhabenden Familie. Ein Medizinstudium war für uns völlig unerschwinglich.“

„Es gibt doch Stipendien und Darlehen.“

Warum fragte er sie so aus? „Haben Sie mit einem Stipendium studiert?“

„Ich hatte das große Glück, dass meine Eltern mir ein BWL-Studium finanziert haben, damit ich eines Tages unser Unternehmen führen kann. Sie konnten natürlich nicht ahnen, wie bald ich ihre Nachfolge antreten würde.“

Esme wusste, dass Jacksons Eltern kurz nacheinander gestorben waren und es in der Familie Finn viele Konflikte gegeben hatte.

„BWL – hatten Sie sich das ausgesucht?“

„Es war sinnvoll für meine Familie, weil ich Einzelkind bin und die Leitung des Unternehmens übernehmen musste.“

„Und hätten Sie sich BWL auch dann ausgesucht, wenn Sie die Wahl gehabt hätten?“

Jacksons Gesicht nahm einen finsteren Ausdruck an. Mit seinen faszinierenden dunklen Augen sah er aus wie ein Krieger.

Angespanntes Schweigen trat ein. Esme wurde nervös. Ihr Schicksal lag in den Händen dieses abweisenden, gequälten Mannes, und sie hatte ihn mit ihren bohrenden Fragen offenbar verärgert.

„Wir sprachen doch über Sie“, sagte er schließlich.

„In meiner Familie gab es größere Probleme. Über meine berufliche Laufbahn haben meine Eltern sich keine Gedanken gemacht.“ Gia und Matt waren zu sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen, als sich mit der Zukunft ihrer einzigen Tochter zu befassen. „Ihnen wäre es am liebsten gewesen, wenn ich nie ausgezogen wäre und mich um sie gekümmert hätte.“

„Oh.“ Ihre unverblümte Antwort schien Jackson zu überraschen. So etwas vertraute man Fremden ja auch eigentlich nicht an. Doch Esme wusste: Je mehr sie sich ihrer schmerzlichen Vergangenheit stellte, umso weniger Macht hatte diese über sie.

Eine erschöpft wirkende ältere Frau kam aus der Damenumkleide und wühlte etwas fahrig in ihrer Handtasche herum. Dabei fielen ein paar Sachen heraus. Esme hob sie auf und fragte: „Sie wirken aber nicht entspannt, Mrs. Lee. Was ist denn los? War mit Ihrer Behandlung heute etwas nicht in Ordnung?“ Sie führte Mrs. Lee zu einem Sofa.

„Ich finde mein Handy nicht. Immer verlege ich das verflixte Ding!“

„Darum werden wir uns gleich kümmern. Jetzt atmen Sie bitte erst einmal mit mir zusammen tief durch die Nase ein.“ Sie machte es vor, und Mrs. Lee folgte ihrem Beispiel. „Und nun langsam durch den Mund ausatmen. Sehr gut, und jetzt noch zwei Mal.“ Esme merkte, dass Jackson sie beobachtete.

„Danke, das tat wirklich gut!“, sagte Mrs. Lee.

„Gern geschehen. Wo haben Sie denn Ihr Handy zuletzt gesehen?“

„In der Umkleide. Ich habe meiner Tochter Bescheid gesagt, dass ich gleich fertig bin.“

„Wollen wir noch mal in Ihrer Handtasche nachsehen?“, schlug Esme vor und hatte das Handy innerhalb weniger Sekunden gefunden.

„Vielen Dank!“ Die ältere Frau war sehr erleichtert.

Esme half ihr auf die Beine. „Gern geschehen. Dann bis zum nächsten Mal!“ Als sie Mrs. Lee zum Ausgang begleitete, hielt Jackson ihr die Tür auf. Offenbar war der rätselhafte Mann auch ein Gentleman. Als sein Arm Esmes streifte, verspürte sie ein Prickeln.

Sobald Mrs. Lee gegangen war, nahm er das Gespräch wieder auf. „Sie waren dabei, mir zu erzählen, warum Sie sich für diese Branche entschieden haben.“ Ein wenig perplex betrachtete er seinen Arm – auch er hatte die Berührung intensiv wahrgenommen.

„In meiner Jugend gab es ganz in der Nähe ein kleines Spa, in dem ich während meiner Schulzeit gejobbt habe. Oft wirkten die Gäste bei ihrer Ankunft ausgelaugt und erschöpft – und nach der Behandlung hielten sie sich plötzlich ganz aufrecht und lächelten strahlend, als wäre eine Last von ihnen abgefallen. Das hat tiefen Eindruck auf mich gemacht.“

Esme war es schon damals gewohnt gewesen, für andere Menschen da zu sein. Zu Hause hatte sie sich permanent um die Bedürfnisse ihrer Eltern kümmern müssen: ihrem Vater eine Pizza bestellen, ihrer Mutter ein Bad einlassen. Die beiden waren in dieser Hinsicht völlig hilflos.

Sie lebten von dem Geld, das sie von Esmes Großeltern mütterlicherseits geerbt hatten, die sie nie kennengelernt hatte. Mit den monatlichen Auszahlungen konnten ihre Eltern ihren Lebensunterhalt bestreiten, deshalb hatten sie sich nie eine Arbeit gesucht. Meistens verbrachten sie den Tag mit Fernsehen. Jetzt wohnten sie in Alabama, in einem baufälligen Haus, das sie geerbt hatten. Ihr Umzug dorthin hatte für Esme bedeutet, dass sie in New York bleiben konnte und nicht mehr für die beiden verantwortlich war.

Sich um andere Menschen kümmern, das konnte sie also gut. Und solange es freiwillig geschah, machte es ihr auch großen Spaß. Deshalb war sie praktisch prädestiniert dafür, in der Wellness-Branche zu arbeiten. Anfangs hatte sie vor allem Handtücher gewaschen, Fußböden gewischt und sich um den Vorrat an Pflegeprodukten gekümmert. Jetzt war sie zweiunddreißig und hoffte schon zu lange darauf, dass sich endlich ihr Wunsch erfüllte, Geschäftsführerin im Spa at the Sher zu werden, um das Spa ihrer Träume zu erschaffen.

„Sie scheinen wirklich ein Talent für diese Arbeit zu haben“, stellte Jackson fest.

Aus irgendeinem Grund hätte Esme ihm am liebsten Dinge anvertraut, die sie noch nie jemandem erzählt hatte. Er hatte sofort verstanden, dass sie ein Mensch war, der sich zuallererst um andere kümmerte. Für sie selbst schienen sich ihre Mitmenschen dagegen selten zu interessieren.

Doch Jackson stellte ihr Fragen – und er hörte zu.

„Ich habe mich zur Masseurin ausbilden lassen. Zuerst habe ich westliche Ansätze und Techniken gelernt, später dann auch traditionelle Methoden der östlichen Welt.“

„Dann macht es Ihnen also nichts aus, fremde Menschen anzufassen?“

Unwillkürlich stellte Esme sich vor, wie sie ihn mit mehr als nur einem Händeschütteln berührte. Sie lachte nervös. Jackson musste ganz sicher berührt werden, sein schlanker, aber muskulöser Körper wirkte extrem angespannt.

„Bei kosmetischen Behandlungen und Massagen gehören Berührungen einfach dazu“, erwiderte sie. „Und Vertrauen.“

„Sie führen auch Hautpflegebehandlungen durch?“

„Ja, ich habe mich zertifizieren lassen, damit ich ein Spa mit komplettem Angebot leiten kann. Ich nehme auch an Konferenzen und Fachmessen teil. Mein Lieblingsaspekt dieser Arbeit sind allerdings immer Massagen gewesen.“

„Ich finde es beeindruckend, dass Sie permanent dazulernen und sich weiterbilden.“

„Haben Sie sich schon mal massieren lassen?“ Esme fand es absurd, ausgerechnet dem Besitzer eines Spas diese Frage zu stellen. Aber für ihn war es eben nur eins von vielen geschäftlichen Projekten.

Jackson zuckte mit den Schultern. „Ab und zu mal. Aber ehrlich gesagt, für mich war das immer Zeitverschwendung. Ich habe es nicht so mit Entspannung. Allerdings …“ Er verstummte.

Esme hätte zu gern gewusst, was er noch hatte sagen wollen. „Hoffentlich nehmen Sie mir die Bemerkung nicht übel, aber Ihr Nacken und Ihre Schultern wirken ziemlich verspannt. Wenn Sie möchten, kann ich das schnell mit ein paar Akupunkturnadeln behandeln.“

Jackson war anzusehen, dass er ganz und gar nicht angetan war. „Nadeln? Auf gar keinen Fall!“

Aha, ein Nadelphobiker. „Entschuldigen Sie bitte“, sagte sie schnell. „Es war nur so eine Idee.“

„Sie sind also auch dafür ausgebildet, Leute mit Nadeln zu piksen?“

„Ja. Akupunktur ist eine über dreitausend Jahre alte bewährte Heilmethode.“

„Aha.“ Er lachte leise. „Ich glaube, ich habe erst einmal genug gesehen.“

Esme betrachtete ihn. Jackson war groß und sah wirklich atemberaubend gut aus. Sein dunkles Haar hob sich deutlich von dem leicht goldfarbenen Teint ab, auf dem ein feiner Hauch Bartstoppeln zu sehen war. Rau würde der sich bestimmt nicht anfühlen, das wusste Esme aus Erfahrung. Aber Jackson war einfach ein attraktiver Mann, der ihr zufällig begegnet war.

Und mit Männern hatte sie nun einmal nichts am Hut. Sie brauchte niemanden, um den sie sich kümmern musste und der sie von sich selbst ablenken würde.

Esme rief sich ihre Bedenken in Erinnerung und beschloss, den Stier bei den Hörnern zu packen. „Jackson, darf ich nach dem Grund Ihres Besuchs fragen? Wollen Sie das Spa schließen oder mich entlassen?“

3. KAPITEL

Jackson wusste nicht, was er erwidern sollte. Er hatte ja noch nicht entschieden, ob er sie weiterbeschäftigen würde. Aber hier ging es um ihre Zukunft, und sie hatte eine Antwort verdient.

„Ehrlich gesagt, das weiß ich noch nicht.“

„Was wissen Sie noch nicht – ob Sie das Spa schließen oder ob Sie mich entlassen?“ Esme stützte eine Hand in die Hüfte und sah ihn auffordernd an. Ihre Direktheit war ziemlich sexy.

„Ich werde das Spa auf keinen Fall schließen, sondern es vollkommen umkrempeln und es wieder zu dem machen, was es früher einmal war – als Gäste aus aller Welt herkamen, um sich einen Besuch zu gönnen.“

„Dann werden Sie also neue Mitarbeiter einstellen?“

„Wir wollen Fachkräfte mit eigenem Kundenstamm anwerben. Und jeder Behandlungsraum soll mehr einbringen, als das aktuell der Fall ist. Für die obere Führungsebene liefen bereits Bewerbungsgespräche.“

„Aha.“ Esme klang traurig. „Und wann wissen Sie mehr?“

Jackson hatte vor, die Veränderungen möglichst schnell umzusetzen und den Investoren in wenigen Wochen seine Pläne vorzulegen. Als er in einem Fünf-Sterne-Hotel in Kroatien schlaflos im Bett gelegen hatte, war ihm einiges durch den Kopf gegangen und klar geworden: dass er es seinen Eltern schuldete, das Spa wieder in altem Glanz erstrahlen zu lassen. Und auch für sich selbst musste er das tun. Sonst würde sich aus seinen Verspannungen und den Schmerzen in der Brust noch etwas Schlimmeres entwickeln.

Die genaueren Pläne würde er gemeinsam mit den neuen Mitarbeitern erstellen, die seine Personalabteilung einstellen würde. Esme machte sich also zu Recht Sorgen um ihre Stelle. „Ich gebe Ihnen so bald wie möglich Bescheid.“

Esme atmete tief ein und aus, so ähnlich wie mit der älteren Frau eben. Wollte sie sich damit beruhigen? Das Einstellen und Entlassen von Mitarbeitern überließ Jackson seinem Team. Doch natürlich war er letzten Endes dafür verantwortlich, ob jemand seine Lebensgrundlage verlor.

„Super“, sagte Esme sarkastisch.

Er war es nicht gewohnt, dass ihn jemand so durcheinanderbrachte. Geh einfach, hörte er eine Stimme in seinem Innern. Widerstrebend gab er ihr nach. „Ich melde mich bei Ihnen.“

„Super“, sagte sie noch einmal kühl.

Jackson ging hinaus. Als sich die Aufzugtüren hinter ihm schlossen, spürte er, wie sich seine Nackenmuskeln zusammenzogen. Er hatte Esme alles gesagt, was er wusste – und trotzdem hatte er ein schlechtes Gewissen.

Wie es sich wohl anfühlte, nach einer Behandlung mit tief greifender Wirkung das Spa zu verlassen? Glitten die Gäste wie auf Wolken aus dem vierten Stockwerk hinunter, bevor sie wieder auf die hektisch-lauten Straßen New Yorks traten? Und wie lang hielt diese wohltuende Wirkung an? Jackson hatte keine Ahnung. Wieder musste er an Dr. Singhs Worte denken.

Sie müssen wirklich lernen, sich zu entspannen.

Vielleicht würde er sich doch mal massieren lassen.

Als er auf die Straße trat, wurde es schon leicht dämmrig, und der Himmel über Tribeca war grau. Jacksons Blick fiel auf das italienische Café ganz in der Nähe des Shers. Er beschloss, sich mit einem Kaffee und einem Snack zu stärken. Später würde er dann in seiner Hotelsuite essen. Er setzte sich an einen der Tische im Außenbereich des Cafés, zwischen denen Heizgeräte standen.

Jackson bestellte sich einen Cappuccino und rief dann seine Assistentin Kay an. „Wie sieht es denn mit den Bewerbungen für die Geschäftsführung des Spas aus?“

„Wir arbeiten mit einer Agentur zusammen, die auf den Wellnessbereich spezialisiert ist und uns bei der Auswertung hilft. Es gab einen Kandidaten aus einem Hotel-Spa in Philadelphia, ziemlich durchschnittlich. Und eine Kinesiologin, die für die Sportmassage einer Baseball-Mannschaft zuständig war, aber keine Erfahrung mit Spas hat.“

Jackson musste an Esmes umfangreiche Erfahrungen und Ausbildungen denken.

„Und bringen diese Leute eigene Mitarbeiter mit, die sie unterstützen?“ Was Esme wohl davon halten würde, unter einer anderen Geschäftsführung zu arbeiten?

„Einige ja, andere nicht. Aus Brasilien hat sich die gesamte Belegschaft eines Spas bei uns gemeldet, was aber nicht ganz unkompliziert wäre. Wir prüfen sämtliche Bewerber gründlich.“

„Alles klar, dann halten Sie mich bitte auf dem Laufenden.“ Jackson beendete das Gespräch und trank einen Schluck Cappuccino. Plötzlich sah er aus dem Augenwinkel Esme aus dem Sher kommen. Unwillkürlich stellte er fest, was für tolles Haar sie hatte: kräftig und glänzend, mit karamellfarbenen, fast goldenen Strähnen. Sie war auf ganz natürliche Weise schön. Er konnte sich bildlich vorstellen, mit ihr auf einer Wiese im hohen Gras Händchen zu halten, sie unter einem Wasserfall zu küssen oder gemeinsam nackt mit ihr in einer Meeresbucht zu baden …

Sie war eine Frau, die Männer zum Fühlen brachte, und das wollte Jackson um jeden Preis vermeiden. Nie wieder!

Und eigentlich spielte es ja auch keine Rolle, dass Esme so attraktiv war. Obwohl der kleine Stromschlag bei der unbeabsichtigten Berührung schon merkwürdig gewesen war. In Jacksons Leben gab es wenig Berührungen, doch in jenem Moment hatte er sich nach mehr gesehnt.

Esme knöpfte sich den violettfarbenen Mantel zu und schlang sich einen bunten Schal um den Hals. Aus irgendeinem Grund war Jackson froh, dass ihre zarte Haut nun vor der Kälte geschützt war. Als sich ihre Blicke begegneten, nickte sie und wollte weitergehen, doch er rief ihr zu: „Trinken Sie einen Kaffee mit mir?“

„Oh, hallo … ja, ist gut.“ Sie setzte sich – vielleicht aus Pflichtgefühl? – zu ihm und bestellte sich einen Chai Latte.

„Wohnen Sie hier in der Nähe?“, erkundigte sich Jackson.

„Nein“, erwiderte sie nur. „Wie lange sind Sie denn in New York?“

„So lange wie nötig. Das Spa darf auf keinen Fall den Bach runtergehen …“

„Entschuldigung, Jackson“, unterbrach Esme ihn. „Das Spa geht nicht den Bach runter. Ich bin seit vier Jahren dabei und habe noch kein einziges Mal ein Budget für Ausbau, Modernisierung oder Marketingmaßnahmen bekommen. Ich mache das Beste aus den sehr begrenzten Mitteln, die mir zur Verfügung stehen.“

Ihr Temperament schenkte ihm Energie. „Das bestreite ich auch gar nicht. Mit dem Spa ging es schon bergab, bevor wir Sie eingestellt haben. Und das ist meine Schuld. Sie haben gute Arbeit geleistet.“

Esme trank einen Schluck von ihrem Chai Latte. „Ich möchte einfach nicht, dass mir die Verantwortung dafür zugeschoben wird, wenn es mit dem Spa nicht gut läuft. Und wenn Sie mich entlassen, erwarte ich von Finn Enterprises ein positives Empfehlungsschreiben.“

Er konnte sich das Spa at the Sher schon nicht mehr ohne Esme vorstellen, doch natürlich musste sie sich Gedanken über ihre Zukunft machen.

„Selbstverständlich, die Personalabteilung hat große Achtung vor Ihnen.“

„Was haben Sie denn noch vor, außer neue Mitarbeiter einzustellen?“

Er würde ihr nicht sämtliche Details anvertrauen, aber vom allgemeinen Plan durfte sie schon erfahren. Außerdem hatte sein PR-Team schon eine Pressemitteilung erstellt, die den Neustart des altehrwürdigen Spas ankündigen würde. „Ich will herausfinden, was die besten Spas der Welt ausmacht und was wir hier anbieten können, das andere Spas nicht haben.“

Jackson hatte eine Menge zu lernen. Auch seine Eltern hatten keine Ahnung von Spas gehabt. Und dann war die manipulative Livia auf der Bildfläche erschienen. Sie hatte gespürt, dass Jackson zwar erfolgreich und wohlhabend war, sich aber auch nach Zuneigung sehnte. Die hatte sie ihm gegeben – aber sie hatte ihn nur ausgenutzt. Und er würde dafür sorgen, dass ihm das nie wieder passierte.

„Also, wenn Sie mich fragen …“ Esme verstummte.

„Ja?“ Er wollte wissen, was sie zu sagen hatte.

„Ein Spa ganz neu zu gestalten und neu auszurichten, wenn man sich mit Spas nicht auskennt – das halte ich für schwierig.“

„Da stimme ich Ihnen zu.“

Sie sah ihn mit großen Augen aufmerksam an. Der Wind zerzauste ihr Haar, als würde er Blätter durch die Luft pusten. Jackson war noch nie einem Menschen mit so einer Ausstrahlung begegnet – und das, obwohl sie wusste, dass sie vielleicht ihre Stelle verlieren würde.

„Ich würde Ihnen raten, sich ein paar der besten Spas der Welt persönlich anzusehen. Fotos und Websites vermitteln einem nur einen begrenzten Eindruck.“

Jackson nickte. Nachdem er sie um Vorschläge gebeten hatte, erzählte sie ihm von ihren Ideen, Theorien und Plänen. Davon hatte sie reichlich – nur leider hatte man ihr nie die Chance gegeben, diese auch umzusetzen. Ihre Stelle im Spa at the Sher war von Anfang an eher eine Art Babysitter-Job gewesen. Trotzdem war sie vier Jahre lang geblieben. Und nun kamen große Veränderungen auf sie zu.

„Ich kann Ihnen gerne eine Liste erstellen“, bot sie an.

„Leider habe ich nur drei Wochen Zeit, bis ich den Investoren meine Pläne präsentieren muss.“

„Dann sollten Sie aber möglichst schnell aufbrechen.“ Sie lächelte.

Esme staunte über sich selbst. Sie ließ sich vom mächtigen CEO nicht einschüchtern. Andererseits hatte sie ja auch nichts zu verlieren. Und es konnte nicht schaden, wenn er sah, über wie viel Erfahrung und Wissen sie verfügte. Außerdem würde sie dank ihrer Kontakte und ihrer bisherigen Laufbahn leicht eine neue Stelle finden. Aber Esme wollte nicht einfach nur eine neue Stelle – sie wollte einen Schritt vorankommen.

Sie unterhielten sich weiter, während der Abend dämmerte und es schließlich dunkel wurde. Statt der Heißgetränke standen nun zwei Gläser Rotwein vor ihnen – und dann eine Käseplatte mit Walnüssen, getrockneten Aprikosen, Oliven und Brot. Als sie alles aufgegessen hatten, bestellte Jackson eine Portion Tiramisu mit zwei Löffeln.

Esme erzählte ihm alles, was sie über die besten Spas der Welt wusste – von der Ausstattung über den Schwerpunkt bis hin zu Marketing-Maßnahmen.

„Woher kennen Sie eigentlich all diese Spas?“, wollte er wissen.

Das Gespräch beflügelte Esme. Und die im Spa anstehenden Veränderungen waren Anstoß für sie, ebenfalls aktiv zu werden. Auf keinen Fall würde sie unter einer neuen Führung hierbleiben, selbst wenn er das wollte. Auch für sie war es Zeit für einen Neuanfang.

Aber wenn … sollte sie sich das wirklich trauen?

„Bei meinen früheren Jobs und Ausbildungen bin ich viel herumgekommen“, beantwortete sie seine Frage. „Es ist eine tolle Branche mit großartigen Menschen, die voneinander lernen und sich unterstützen.“

„Wenn doch meine Ex-Frau bloß auch so gedacht hätte.“

„Ich habe gehört, dass es damals Probleme gab. Deshalb wurde ich eingestellt, oder?“

„‚Probleme‘ ist ziemlich untertrieben.“ Er lachte ironisch. „Sie hat geklaut und die Geschäftsbücher gefälscht. Wissen etwa alle Mitarbeiter Bescheid?“

„Ich glaube, es ist nur bekannt, dass die Geschäftsführerin wegen Fehlverhaltens entlassen wurde. Wissen die Leute, dass Sie verheiratet waren und sich dann scheiden ließen?“

„Nicht viele. Meine Ex-Frau hat so getan, als kenne sie sich mit Spas aus. In Wirklichkeit hatte sie keine Ahnung, und ich bereue es sehr, dass ich ihr vertraut habe.“

Er hatte also ein schlechtes Gewissen, weil seine Ex zugelassen hatte, dass die Immobilie seiner Eltern an Wert verloren hatte. Deshalb auch der geplante Neuanfang.

Esme war nicht auf der Suche nach einem Partner – aus Angst davor, erneut mit jemandem dazustehen, um den sie sich kümmern musste, so wie früher. Trotzdem: Jackson hatte ziemlich tolle Schultern, und es war schön, dass die sich gerade etwas entspannten.

„Und wie Sie ja jetzt wissen, kenne ich mich mit Spas auch nicht aus. Wir Finns arbeiten ununterbrochen und haben für so etwas keine Zeit.“

„Selbstfürsorge ist wirklich wichtig“, wandte Esme ein.

„Sie klingen ja wie mein Arzt!“

„Haben Sie sich die emotionalen Schmerzen, die Ihre Scheidung verursacht hat, wirklich eingestanden?“

„Habe ich mir meine emotionalen Schmerzen eingestanden …“, wiederholte Jackson leicht spöttisch.

„Ja oder nein?“, fragte Esme. Vielleicht konnte sie ihm begreiflich machen, wie sehr Spas das Leben von Menschen verändern konnten. „Wir alle tragen doch Schmerzen in uns, in unseren Gedanken, im Körper und in unserer Seele. Und das Trauma einer Scheidung hinterlässt sicher Spuren.“

„Trauma – wie nach einem Krieg oder bei einem vernachlässigten Kind?“

„Ganz genau.“ Auch Esme war als Kind vernachlässigt worden.

„Sie vergleichen allen Ernstes die Scheidung von einer verlogenen Frau damit, in einem Kriegsgebiet festzusitzen?“

Esme lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Wollte er unbedingt die Arbeit abwerten, die ihr so viel bedeutete? „Sie wollen sich also darüber lustig machen. Aber um Ihre Frage zu beantworten: Ja, ein Trauma kann ganz unterschiedliche Ursachen haben.“

„Ich bin geschieden, nicht traumatisiert!“ Jackson sah sie an und Esme wusste: Ihre Worte waren ihm trotz allem nahegegangen. Als er sich mit dem Handrücken über die Wange strich, hätte sie das am liebsten für ihn getan.

Abrupt wechselte er das Thema. „Ich wollte mich eigentlich bei der Umgestaltung und Neuausrichtung des Spas von einem auf Wellness spezialisierten Consultant beraten lassen.“

„Denken Sie auch an die Produkte, die Sie anbieten“, warf Esme ein. „Die können eine Menge Geld hereinbringen und bewirken, dass Gäste wiederkommen. Aktuell ist die angebotene Produktpalette nichts Besonderes und ziemlich dürftig.“ Wieder fragte sie: „Wollen Sie sich wirklich nicht ansehen, womit Sie konkurrieren, bevor Sie all diese großen Veränderungen umsetzen?“

„Welche Spas soll ich mir Ihrer Meinung nach denn ansehen?“

„Dazu würde ich mir noch Gedanken machen. Auf jeden Fall müssen Sie nach Bangkok: warmer Regen, duftende Blumen, exotische Früchte …“

„Ich kenne den Blick vom dreißigsten Stock eines Hotels aus.“

Esme nickte. „Ich wette, dass Ihnen ein Aufenthalt im Spa Malee gefallen würde.“ Warum wehrte er sich so vehement dagegen, sich etwas Schönes zu gönnen? Kein Wunder, dass er völlig verspannt war. „Was sagen Sie dazu?“

„Ich denke mal darüber nach.“ Als Jackson seine Serviette auf den Tisch legte, um sich zu verabschieden, breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus – ein Lächeln, mit dem man die ganze Stadt hätte erhellen können.

Nachdem sie sich verabschiedet hatten, musste Esme immer wieder an dieses Lächeln denken. In der U-Bahn nach Washington Heights, wo sie wohnte, rief sie ihren Stellvertreter Trevor an.

„Jackson Finn hat dich zum Essen eingeladen?“, fragte Trevor. „Dann scheint er dich ja zu mögen!“

„Im Gegenteil. Ich habe ihn ziemlich verärgert – indem ich ihn gefragt habe, ob er uns rausschmeißen wird.“

„Du machst mir Angst – ich habe doch zwei Kinder!“ Trevor und sein Mann Omari hatten gerade Zwillinge adoptiert.

„Warten wir erst einmal ab“, sagte Esme. „Noch wissen wir ja nichts Genaues.“

4. KAPITEL

„Mir fällt nichts ein, was dagegenspricht, und dir?“, lautete Kays Reaktion auf die Idee, die Jackson ihr bei der täglichen Telefonkonferenz gerade präsentiert hatte.

Die war schon etwas verrückt und hatte bei ihm ein nervöses Kribbeln im Magen ausgelöst. Doch auch ihm fiel nichts ein, was dagegensprach. Allerdings herrschte in seinen Gedanken seit dem gestrigen Abend in Tribeca auch ein ziemliches Durcheinander. Er hatte ganz unerwartet mehrere sehr interessante Stunden mit Esme verbracht, einer Mitarbeiterin, die er kaum kannte. Das Leben hatte ihr so viele Hindernisse in den Weg gelegt, doch sie hatte das Beste daraus gemacht – wirklich beeindruckend. Und auch ihre mandelförmigen grünen Augen und ihre langen, zarten Finger, mit denen sie sich Oliven und Käse genommen hatte, gingen ihm nicht mehr aus dem Kopf.

„Wer kann denn in ihrer Abwesenheit die Leitung übernehmen?“

„Trevor Ames, ihr Stellvertreter.“

„Ich würde also einfach ein paar Wochen lang mit ihr um die Welt fliegen.“

„Und dir dabei einige Spas ansehen“, ergänzte Kay.

Esme hat am Vorabend Spas in Thailand, Schweden und Mexiko erwähnt. Beim Gedanken daran fühlte Jackson sich wie ein abenteuerlicher junger Globetrotter, dabei hatte er eigentlich keine Lust mehr auf Flughäfen und Hotels.

„Soll ich schon mal die Reise planen?“

„Erst muss ich sie noch fragen, ob sie mich begleiten würde.“ Er klang wie ein Teenager, der mit einem Mädchen ausgehen wollte.

Wieder traf er kurz vor Feierabend beim Spa ein. Er hatte nicht angerufen, weil er persönlich mit Esme sprechen wollte. Vielleicht wollte er sie aber auch einfach sehen.

„Oh, hallo, Jackson. Sind Sie gekommen, um mich zu entlassen?“, fra...

Autor

Cathy Williams
<p>Cathy Willams glaubt fest daran, dass man praktisch alles erreichen kann, wenn man nur lang und hart genug dafür arbeitet. Sie selbst ist das beste Beispiel: Bevor sie vor elf Jahren ihre erste Romance schrieb, wusste sie nur wenig über deren Inhalte und fast nichts über die verschiedenen Schreibtechniken. Aber...
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<p>Fast ihr ganzes Leben lang hat sich Sharon Kendrick Geschichten ausgedacht. Ihr erstes Buch, das von eineiigen Zwillingen handelte, die böse Mächte in ihrem Internat bekämpften, schrieb sie mit elf Jahren! Allerdings wurde der Roman nie veröffentlicht, und das Manuskript existiert leider nicht mehr. Sharon träumte davon, Journalistin zu werden,...
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