Karibisches Liebesabenteuer

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Eigentlich muss Lilah Cantrell dem kühnen Dominic Steele dankbar sein. Mutig hat er sie aus einem schrecklichen Gefängnis befreit. Doch die reiche Erbin ahnt, dass ihr Herz erneut in Gefahr geraten wird. Und tatsächlich erwachen auf ihrer gemeinsamen Flucht durch den heissen Dschungel der Insel leidenschaftliche Gefühle, die Lilah in einen heftigen Konflikt stürzen. Soll sie noch einmal an diese Liebe glauben? Dominic hat sie vor Jahren verlassen, weil er meinte, dass sie in zu unterschiedlichen Welten lebten


  • Erscheinungstag 24.12.2006
  • Bandnummer 1438
  • ISBN / Artikelnummer 9783862959730
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

BACCARA erscheint 14-täglich im CORA Verlag GmbH & Co. KG, 20354 Hamburg, Valentinskamp 24

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Lektorat/Textredaktion:

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Produktion:

Christel Borges, Bettina Schult

Grafik:

Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Poppe (Foto)

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Anzeigen:

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1. KAPITEL

Das Kreischen des Riegels, der von der Eingangstür des Zellenblocks zurückgeschoben wurde, zerriss die nachmittägliche Stille.

Lilah hob abrupt den Kopf. Eine Sekunde blieb sie regungslos, dann rappelte sie sich auf, rutschte an das entfernteste Ende der Matratze, die ihr als Bett diente, und presste sich an die raue Zementwand. Sie wappnete sich für alles, was kommen mochte, als die Tür am anderen Ende des Gangs aufgerissen wurde.

Im schwachen Lichtstreifen der Lampe erschienen gleich darauf zwei schwankende Gestalten, die Gefängniswärter. Ein Mann hing wie leblos zwischen ihnen. Sein Kopf rollte schlaff von einer Seite zur anderen, und seine Füße schleiften im Staub. Als die Wärter ihn vorwärtszerrten, bemerkte Lilah die sonnengebräunten muskulösen Arme des Mannes, sein altes olivfarbenes T-Shirt, das tiefschwarze Haar, das selbst bei dieser Beleuchtung glänzte, und das getrocknete Blut im Mundwinkel seines entschlossen wirkenden Mundes.

Mit einem gereizten Grunzen hievten die Wärter ihre Last etwas höher. Der Kopf des Gefangenen fiel auf die Seite, und Lilah sah ein Gesicht, das ihr seltsam vertraut vorkam.

Ihr Herz machte einen Sprung. Nein, das konnte unmöglich sein! Was würde die große Liebe ihrer wilden Jugend, der Mann, an dem sie alle anderen Männer gemessen hatte und der sie immer noch ab und zu bis in ihre Träume verfolgte, ausgerechnet hier in der abgelegensten Ecke der Kabribik tun, im entfernten San Timoteo und in einem der privaten Gefängnisse von El Presidente?

Ihre Sinne mussten ihr einen Streich spielen. Das war die einzig mögliche Erklärung. Lilah hatte versucht, mutig und stark zu sein, aber jetzt hatte sie keine Kraft mehr. Und jetzt fing sie auch noch an zu halluzinieren.

Die Wärter warfen den Neuankömmling auf den Zementboden der Nachbarzelle, die von Lilahs Zelle durch Gitter getrennt war, und einer von ihnen blieb noch, um dem Gefangenen einen harten Tritt in die Rippen zu verpassen. Erst dann schlug er die Zellentür und kurz darauf die Tür am Ende des Gangs hinter sich zu.

Es drängt Lilah, sich zu bewegen, aber die bitteren Lektionen des vergangenen Monats hatten ihren Selbsterhaltungstrieb verstärkt, und so achtete sie nicht auf das Pochen ihres Herzens und zwang sich zu bleiben, wo sie war, bis die Schritte ihrer Wärter verklungen waren. Doch dann, nicht mehr fähig, noch eine Sekunde länger stillzuhalten, sprang sie auf und trat ans Gitter.

Den Blick unverwandt auf das Gesicht des Mannes gerichtet, ging sie in die Knie. Der Puls hämmerte ihr wild in den Ohren, während sie die dunklen Augenbrauen, das energische Kinn und die hohen Wangenknochen betrachtete.

Jetzt konnte es keinen Zweifel mehr geben. In den Jahren, die vergangen waren, waren seine Schultern zwar breiter geworden und sein Körper insgesamt muskulöser, aber er war es – Dominic Devlin Steele.

Fassungslos starrte sie ihn an. Was in aller Welt mochte er hier tun? War es reiner Zufall, eine unglaubliche Wendung des Schicksals?

Das kam ihr unmöglich vor, doch die einzige andere Erklärung wäre, dass er freiwillig hier war, und die einzige Person, die das hätte bewerkstelligen können, war ihre Großmutter. Sosehr Lilah es auch versuchte, sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie sich Abigail Anson Clarke Cantrell Trayburne Sommers’ Pfade mit denen von Dominic Steele kreuzen könnten. Und noch viel weniger konnte sie sich vorstellen, warum er sich ihretwegen in Gefahr bringen wollte.

Dann wurde ihr bewusst, dass nichts davon irgendeine Bedeutung hatte. Nach einem ganzen Monat voller Angst, Einsamkeit und zunehmender Verzweiflung war es einfach nur wundervoll für sie, ein vertrautes Gesicht zu sehen. Selbst dieses. Oder vielmehr, vor allem dieses.

Sie griff durch die Gitterstäbe und berührte mit zitternder Hand sacht seine Wange. „Dominic? Ich bin’s, Lilah Cantrell.“

Seine Haut fühlte sich beruhigend warm an. Lilah stellte fest, dass er immer noch dieselbe elektrisierende Wirkung auf sie hatte wie früher, obwohl ein ganzes Jahrzehnt vergangen war, seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten. Aber vor allem wurde ihr bewusst, dass er bewegungslos dalag. „Ich kann es nicht glauben, dass du es wirklich bist. Dass du ausgerechnet hier aufgetaucht bist. Aber du musst jetzt aufwachen. Wach auf und rede mit mir, Dominic. Oder rühr dich wenigstens ein kleines bisschen. Bitte!“

Er bewegte sich nicht. Lilah biss sich auf die Unterlippe und überlegte, was sie tun sollte, und als ihr nichs einfiel, schnürte ihr Panik die Kehle zu, und sie unterdrückte nur mühsam ein Schluchzen.

Sie schämte sich für ihre Schwäche. Der Monat ihrer Gefangenschaft hatte ihre Kräfte unterminiert. Sie hatte allmählich jede Hoffnung verloren, je wieder nach Hause zurückzukommen. Und sie zweifelte fast schon daran, ob man sie überhaupt vermisste.

Aber sie war eine Cantrell. Seit sie sich erinnern konnte, war sie davor gewarnt worden, sich gehen zu lassen oder auf irgendeine Weise die Kontrolle über sich zu verlieren.

Im Moment war Selbstmitleid allerdings sowieso nicht angesagt, denn nicht sie lag verletzt und bewusstlos auf dem schmutzigen Boden. Lilah ermahnte sich, sich lieber darauf zu konzentrieren, Dominic zu helfen, und nicht wie eine hirnlose Romanheldin sinnlos die Hände zu ringen. Sie konnte sich vorstellen, was ihre Großmutter sagen würde. „Um Himmels willen, Kind!“ Fast glaubte Lilah die vertraute strenge Stimme zu hören. „Hör auf zu heulen und versuch, dich deiner Familie würdig zu erweisen!“

Dieser Gedanke wirkte auf Lilah, als hätte sie jemand mit kaltem Wasser überschüttet. Sie schluckte mühsam, holte tief Luft und unterdrückte die wehleidigen Gefühle, die sie zu überwältigen drohten. Zu ihrer Erleichterung verschwand der Kloß in ihrem Hals, und ihre Hände zitterten nicht mehr. Ermutigt, verschwendete sie keine Zeit mehr, sondern wandte all ihre Aufmerksamkeit Dominic zu.

Sie würde ihr Bestes tun, um zunächst herauszufinden, wo er verletzt war. Danach würde sie sich überlegen, was sie dagegen tun konnte.

Behutsam begann Lilah, ihn zu untersuchen. Sie betastete seinen Kopf und das Gesicht behutsam mit den Fingern, auf der Suche nach Beulen oder Blut oder einem anderen Zeichen, das ihr sagen würde, was nicht in Ordnung war. Danach befühlte sie seinen Hals und den Nacken und ganz langsam seine Rippen, den Rücken, die Schulter und den Arm auf der ihr zugekehrten Seite.

Sie konnte nichts entdecken. Bis auf die Tatsache, dass er immer noch Muskeln aus Stahl zu haben schien, genau wie Lilah sie in Erinnerung hatte.

Sie kämpfte gegen die aufsteigende Verzweiflung an. „Komm schon, Dominic“, flüsterte sie. „Hör auf, dich so anzustellen. Ich brauche dich. Wach bitte, bitte, bitte auf.“

„Himmel noch mal, Lilah. Reg dich ab.“

„Oh!“ Sie sah in Dominics Gesicht und merkte, dass er sie mit seinen ihr so vertrauten grünen Augen musterte. „Du bist wach!“

„Ja.“ Er rührte sich immer noch nicht, sondern sah sie nur sekundenlang an. Dann hob er den Kopf kaum merklich vom Boden, schüttelte ihn leicht und zuckte zusammen. „Zu meinem Pech.“ Er kniff die Augen zusammen, als wäre selbst das trübe Licht in der Zelle mehr, als er ertragen konnte.

Lilah hielt besorgt den Atem an. Wenn er nun eine Gehirnerschütterung hatte oder gar einen Schädelbruch? Oder – sie dachte mit Schaudern an den Tritt, den er in die Rippen bekommen hatte – gebrochene Rippen oder einen Milzriss? Der Himmel möge ihnen helfen, womöglich hatte er innere Blutungen und wusste es nicht einmal. Sie schluckte mühsam. „Wo tut es weh?“

„Wo tut es nicht weh?“, erwiderte er. „Aber …“, er hob einen Zeigefinger, „… ich habe schon Schlimmeres überlebt, also krieg dich wieder ein, okay?“ Mit einem resignierten Seufzer öffnete er wieder die Augen, stützte sich auf einen Ellbogen und legte die Hand auf Lilahs Finger, die sie um die Gitterstäbe geschlungen hatte. „Vertrau mir. Es geht mir gut. Ich brauche nur einen Moment, um mich zu orientieren.“

Vertrau mir. Die Worte waren wie ein Echo aus der Vergangenheit. Wie oft hatte er genau das zu ihr gesagt, nachdem er sie herausgefordert hatte, Dinge zu tun, die entweder gefährlich oder verboten, aber in jeder Hinsicht unwiderstehlich reizvoll waren? Wie oft hatte sie in seine faszinierenden Augen gesehen und den Kampf gegen die Versuchung verloren? Wie oft hatte seine Berührung sie alle Vernunft vergessen lassen, während ihr Körper vor Verlangen nach ihm brannte?

So oft, dass sie ihn nie vergessen hatte.

Unvermittelt gab er ihre Hand frei und rollte sich auf die Seite. Mit einer Grimasse betastete er die blutende Lippe. Dann wischte er das Blut mit dem Handrücken fort und kam mit einer einzigen geschmeidigen Bewegung auf die Beine.

Lilah beobachtete ihn stumm, während er zu erkunden versuchte, was mit ihm los war. Er drehte den Kopf von einer Seite auf die andere, rollte die Schultern und hüpfte, um seine Beine und Füße zu testen. Nachdem er kurz eine Stelle auf der linken Seite seiner Brust gerieben hatte, warf er Lilah einen zufriedenen Blick zu. „Gute Neuigkeiten, Prinzessin. Ich denke, ich werde es überleben.“

Prinzessin. Der Kosename, den er auf so gelassene, amüsierte Weise ausgesprochen hatte, war für sie wie ein Schlag ins Gesicht. Plötzlich wurde sie sich bewusst, dass sie immer noch vor ihm kniete wie eine gehorsame Haremsdame, und stand hastig auf.

Inzwischen sah sich Dominic in dem kleinen Raum um, ohne auf sie zu achten. Er registrierte das einzige Fenster, das hoch oben in die Wand eingelassen war, die dünnen Matratzen auf der Zementbank, auf denen sie schlafen sollten, und die mit einem Gitter zugedeckten Löcher, die zur Verrichtung der Notdurft gedacht waren.

Er stieß einen leisen Pfiff aus. „Mann, du musst wirklich die falsche Person auf die Palme gebracht haben. Ich war schon an angenehmeren Orten.“ Er sah sie mit einem schiefen Lächeln an, sodass seine Zähne weiß aufblitzten. „Oh, entschuldige. Kein Wunder, wir sind ja in einem Gefängnis.“

Er machte Witze! Lilah war nahe daran gewesen, den Verstand zu verlieren vor Angst, weil sie geglaubt hatte, dass er tödlich verletzt war, und sein Anblick hatte sie auch völlig aus dem Gleichgewicht gebracht – und er riss Witze.

Sie schwankte zwischen Demütigung und Empörung, und die Empörung gewann die Oberhand. Aber sie würde es sich nicht anmerken lassen. Das bisschen Würde, das ihr noch geblieben war, wollte sie nicht verlieren.

„Du bist nicht zufällig hier, nicht wahr?“, fragte sie streng und erinnerte sich an seine ersten Worte und die Tatsache, dass er über ihre Anwesenheit in einer Gefängniszelle auf einer unbekannten Insel etwa eine Million Meilen von Zuhause entfernt überhaupt nicht überrascht gewesen war. „Vielmehr glaube ich“, fuhr sie fort und achtete nicht auf seinen durchdringenden Blick, sondern betrachtete lieber einen blauen Fleck, der sich auf einem seiner hohen Wangenknochen zu bilden begann, „dass du absichtlich irgendetwas getan hast, damit sie dich hier hineinwerfen. Denn du wusstest, dass sie mich hier gefangen halten.“

Stille. Dann verzog er einen Mundwinkel zu einem Lächeln. „Eins zu null für das reiche Mädchen.“

Einen Moment lang hatte sie den unbändigen Wunsch, ihn zu schlagen. Sie hatte zwar gar nicht die Möglichkeit, ihn zu erreichen, aber wie gern …

Entsetzt umklammerte sie die Gitter, die sie trennten, und erinnerte sich daran, dass sie schließlich eine Cantrell war und so natürlich in jedem Fall und unter allen Umständen Haltung bewahren musste und würde. Ganz besonders jetzt, da es so viel gab, was sie erfahren musste. „Wie hast du mich gefunden? Woher wusstest du überhaupt, dass ich hier bin? Hat meine Großmutter dich geschickt? Warum bist du gekommen? Wieso solltest du dich für mich in Gefahr begeben?“

Es schien unmöglich zu sein, dass er und ihre Großmutter sich in letzter Zeit begegnet waren. Es war immerhin zehn Jahre her, seit Lilah und er sich das letzte Mal gesehen hatten – zehn Jahre, seit sie ihm gesagt hatte, er solle besser fortgehen und er sie nur mit demselben lässigen Ausdruck angesehen hatte wie jetzt. Damals hatte er ihr das Herz gebrochen mit seinem ungerührten Schulterzucken und der Bemerkung, dass sie es sei, die das noch bereuen würde. Dann war er aus ihrem Leben verschwunden, und sie hatte ihn nie wiedergesehen.

Selbst jetzt tat die Erinnerung daran weh. „Erklär mir, was du hier tust.“

„Was soll ich dir denn erklären, Lilah?“ Er ging lässig auf sie zu, legte die Hände auf ihre und beugte sich vor. „Tu uns beiden einen Gefallen, Süße, ja? Hol tief Luft und halt deinen hübschen Mund, und dann werde ich dir alles sagen, was ich weiß.“

2. KAPITEL

Denver, Colorado

Fünf Tage vor Dominics Einlieferung ins Gefängnis

„He.“ Dominic steckte den Kopf in das geräumige Büro seines Bruders im Hauptsitz von Steele Security. „Hast du eine Minute Zeit?“

Gabriel, der älteste der Steele-Brüder, saß an seinem Schreibtisch, dessen Platte aus Granit bestand. Er sah auf und senkte den Blick dann wieder auf den Papierberg, den er gerade bearbeitete. „Klar. Komm rein.“

Dominic ging auf ihn zu. Wie alle Büros im ultramodernen flachen Gebäude im Speicherhausbereich der City verfügte auch dieses über eine Glaswand, durch die man auf einen Innenhof sah. Heute war die Außenwelt, wie es sich für Januar in den Rocky Mountains gehörte, ein schimmerndes Meer von Weiß, da über Nacht dreißig Zentimeter Schnee gefallen waren.

„Taggart sagt, wir lehnen einen Auftrag ab“, sagte Dominic. Taggart war der zweitälteste der Brüder.

„Das stimmt“, antwortete Gabriel schlicht. „Die Klientin kommt um zwei, und ich werde ihr vorschlagen, sich an Allied zu wenden.“

„Warum?“

„Weil wir nicht genügend Männer haben.“

„Du machst Witze.“

„Nein.“ Gabriel machte sich eine knappe Notiz auf einer Seite. „Taggart meint, er ist unserer Mordzeugin Miss Bowen auf der Spur. Josh wird mit dem Romero-Prozess in Seattle noch mindestens zwei Wochen zu tun haben, und alle anderen stecken bis zum Hals in der Industriespionagesache in Dallas oder sind auf dem Wirtschaftsgipfel in London. Also bleibe nur noch ich, und sosehr ich auch einen Außeneinsatz begrüßen würde, ich bin hier im Augenblick unabkömmlich.“

Dominic betrachtete seinen Bruder. Auf jeden Außenstehenden würde Gabriel kühl und unbeteiligt wirken, ein Eindruck, den sein weißes Hemd und der strenge graue Anzug noch betonten. Nur jemand, der ihn sehr gut kannte – wie zum Beispiel ein Bruder –, würde die plötzliche Anspannung bemerken, die seinem Mund einen harten Zug verlieh und seinem Blick etwas Abweisendes gab.

Andererseits waren Gabriel und auch Taggart beide viel zu steif. Dominic hatte schon oft gedacht, dass seine beiden älteren Brüder zu viel Zeit auf ihre Pflichten verwendeten, wie es ihr alter Herr ohne Zweifel verlangt hatte, und sich viel zu wenig darauf konzentrierten, einfach locker zu sein und das Leben zu genießen.

Das könnte ihm nicht passieren. Dominic war schon früh zu dem Schluss gekommen, dass das Leben zu kurz war, um es sich mit Sorgen und Ängsten zu vermiesen. Außerdem musste jemand Steele eins und Steele zwei davon abhalten, sich ausschließlich ihrer Arbeit zu verschreiben. Für Taggart kam zwar wahrscheinlich schon jede Hilfe zu spät, aber Dominic hoffte, dass für Gabriel noch nicht alles verloren war.

Sein geschätzter Bruder musste nur ab und zu daran erinnert werden, dass die Welt nicht untergehen würde, wenn er sich gelegentlich ein wenig Spaß erlaubte. Oder, was noch wichtiger ist – dachte Dominic, als er sich in einen der bequemen Ledersessel vor Gabriels Schreibtisch setzte –, wenn er nicht ständig versucht, auch andere Leute davon abzuhalten, Spaß zu haben.

„Okay, alle sind also beschäftigt“, sagte Dominic und streckte die langen Beine aus. „Und was bedeutet das für mich? Bin ich seit neuestem der Unsichtbare?“

Gabriel sah stirnrunzelnd auf das Papier vor ihm. „Du erholst dich noch von deiner Schussverletzung. Es sind schließlich erst zwei Monate vergangen. Du brauchst mehr Zeit.“

„Nein. Ich fühle mich großartig. Ach was, viel besser als großartig. Nach all der Physiotherapie und der Erholung bei mir zu Haus fühle ich mich fitter denn je. Auf jeden Fall fitter als manche Schreibtischhengste, die ich kenne.“

Gabriel ignorierte den kleinen Seitenhieb. „Vergiss es.“

Dominic überlegte einen Moment, ob er auf den herablassenden Ton seines Bruders auf seine freche, draufgängerische Art reagieren sollte, so wie er es früher getan hatte. Gabriel war zwar der Gründer von Steele Security und die treibende Kraft, um ihren Ruf als erstklassige Sicherheitsfirmal zu festigen, die alles übernehmen konnte – von überragenden Überwachungsleistungen und Undercover-Missionen bis zum Aufspüren vermisster Personen. Aber Dominic hatte inzwischen, genauso wie Gabriel, Taggart und zwei weitere der neun Steele-Brüder, sehr viel zum wachsenden Prestige der Firma beigetragen und war ein gleichberechtigter Partner. Und so besaß auch er ein Mitspracherecht, ob es Gabriel nun recht war oder nicht. „Ich glaube aber, ich will es nicht vergessen“, sagte er ruhig.

Gabriel legte langsam seinen Kugelschreiber hin, hob den Kopf und begegnete Dominics Blick. „Lass mich raten. Du hast nicht vor, Ruhe zu geben, nicht wahr?“

Dominic lachte. „Auf keinen Fall. Also kannst du mir genauso gut sagen, was los ist. Dann hast du es hinter dir.“

Gabriel stieß einen übertriebenen Seufzer aus. „Du warst schon immer ein Dickschädel.“ Er nahm einen Aktenordner von einem Stapel zu seiner Linken und sprach weiter, während er ihn öffnete. „Die Klientin heißt Abigail Sommers. Ich habe ganz am Anfang meiner Karriere einmal als Bodyguard für sie gearbeitet. Sie ist eine geborene Anson, du weißt ja, die berühmte Familie, der die Anson Mining Group gehört. Im Lauf ihrer etwa achtzig Jahre hat Abigail Sommers es ganz allein geschafft, das ohnehin schon große Familienvermögen zu verdoppeln. Dabei hat sie vier Ehemänner und ihre beiden Kinder überlebt. In ihrer Nachricht auf meinem Anrufbeantworter sagt sie, dass ihr einziges Enkelkind auf San Timoteo festgehalten wird, einem Inselstaat …“

„… in der südlichen Karibik, der seit einem Dutzend Jahren von der Diktatur des korrupten ehemaligen Generals Manolo Condesta, auch El Presidente genannt, beherrscht wird.“ Mit einem vorwurfsvollen Blick verschränkte Dominic die Hände hinter dem Kopf. „Ich habe in den vergangenen Jahren nur in London gelebt, Gabe, nicht auf dem Mond. Ich bin auf dem Laufenden, was alle Bananenrepubliken angeht, und brauche weder in Geografie noch in Sachen Weltpolitik Unterricht von dir.“

Gabriel verzog den Mund zu einem schwachen Lächeln. „Alles klar. Entschuldige bitte.“

Dominic zuckte die Achseln. „Warum wird das Enkelkind also dort festgehalten?“

Sein Bruder sah in die Akte, obwohl Dominic wusste, dass Gabriel alle Einzelheiten in seinem phänomenalen Gedächtnis gespeichert hatte. „Wegen öffentlichen Aufruhrs, tätlichen Angriffs auf einen Polizisten und Widerstands gegen die Staatsgewalt.“ Er nickte wissend. Es war die alte Geschichte. Ein verzogenes Kind reicher Eltern machte eine Auslandsreise, betrank sich oder stopfte sich mit Drogen voll und beging dann eine Straftat, welche die lokalen Behörden auf den Plan rief.

„Ich bin überrascht, dass ich nichts davon in der Zeitung gelesen habe. Normalerweise stürzen sie sich doch auf solche Geschichten.“

Gabriel nickte. „Stimmt. Aber Condesta kontrolliert jede Information, die San Timoteo verlassen könnte. Und Abigail achtet sehr darauf, dass nichts an die Öffentlichkeit gerät, weil sie sich vor Jahrzehnten mal über die schlechte Presse geärgert hat. Alle, die für sie arbeiten, verpflichten sich vertraglich, nichts weiterzugeben von dem, was sie erfahren könnten.“

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