Bianca Exklusiv Band 278

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UNVERGESSENE KÜSSE von CAREY, SUZANNE
Als Kyra und David sich wiedersehen, ist Kyra geschieden - und die Möglichkeit für einen Neuanfang ganz nah. Doch die Pflanze ihrer neu erwachten Gefühle ist zu zart, als dass sie eine Aussprache wagen würden. Und so scheint die Chance vertan, sobald der Morgen erwacht …

SUCH DAS GLÜCK IM HIER UND JETZT von FLYNN, CHRISTINE
Rebecca macht sich auf die Suche nach ihrem unbekannten Vater - und trifft dabei Joe Hudson, dessen einfühlsame Art zärtliche Gefühle in ihr weckt. Leider glaubt sie nicht mehr an die Liebe. Wird es Joe trotzdem gelingen, sie vom Glück im Hier und Jetzt zu überzeugen?

SO FREMD UND DOCH SO VERTRAUT von ANTHONY, LAURA
Als Sozialarbeiterin July den Obdachlosen Tucker Haynes bei sich aufnimmt, ahnt sie nicht, wer er wirklich ist. Schon bald knistert es leidenschaftlich zwischen ihnen. Doch dann ist Tucker eines Tages verschwunden, und July fragt sich traurig, ob sie ihn jemals wiedersehen wird …


  • Erscheinungstag 02.12.2016
  • Bandnummer 0278
  • ISBN / Artikelnummer 9783733733476
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Suzanne Carey, Christine Flynn, Laura Anthony

BIANCA EXKLUSIV BAND 278

1. KAPITEL

Es war 6.22 Uhr morgens in Kansas City, Missouri, und der Septembertag versprach wunderschön zu werden. Kyra Martin drehte und wendete sich in ihrem Bett, schlief aber noch.

Ihr Traum führte sie in eine Zeit vor fünf Jahren zurück, als sie eine erotische Begegnung unter den Havasu-Wasserfällen hatte, mit David Yazzie, einem Halbblut-Indianer. Seitdem hatte sich viel verändert. Sie war nun siebenundzwanzig, geschieden und Assistentin des Bundesstaatsanwalts in Kansas.

Obgleich das Wasser, das ihr im Traum über die Schultern strömte, eiskalt war, achtete sie nicht darauf. Sie stöhnte vor Lust und spürte, wie durch Davids Kuss ihr Widerstand dahinschmolz. Durch den Stoff ihres roten Bikinis spielte David auf eine derart aufregende Weise mit ihren Brustspitzen, dass sie drauf und dran war, ihren Vorsatz, bis zur Hochzeit Jungfrau zu bleiben, zu brechen.

„David … wir müssen aufhören“, brachte sie heraus, als er sich kurz löste und sie mit verlangendem Blick ansah.

Aber mit entwaffnender Selbstverständlichkeit klickte er den Verschluss ihres Oberteils auf und sagte nur: „Warum? Wir wollen es doch beide!“

Einerseits war sie empört darüber, dass er sie so bedrängte, andererseits viel zu erregt, um ihm Einhalt zu gebieten.

Schon hatte er ihr Oberteil geöffnet und es ins rauschende Wasser fallen lassen. Zum Glück waren wegen des kühlen Wetters nur wenige Leute unterwegs, aber dennoch mussten sie damit rechnen, dass hier, im berühmten Grand Canyon von Arizona, bald Ausflügler auftauchen würden.

„Bitte“, bat sie ihn, „wir sind hier nicht lange allein, es kommt bestimmt gleich jemand vorbei!“

Sein Entschluss, sie zu nehmen, schien so festzustehen wie der Nordstern, über den er ihr am Vorabend am Lagerfeuer eine wunderschöne indianische Legende erzählt hatte. „Keine Angst, niemand wird deine schönen Brüste sehen können, ich werde sie nämlich mit meinen Händen und meinem Mund bedeckt halten …“

In dem Moment riss das Klingeln des Telefons Kyra aus ihrem Traum und ließ die unbewussten Bilder in Tausende von Stücken zersplittern. Noch ganz durcheinander, griff sie nach dem Hörer.

„Hallo?“ Sie rieb sich den Schlaf aus den Augen.

„Kyra, hier ist Dad“, sagte ihr Vater mit seiner tiefen Stimme. „Hab’ ich dich geweckt, Schatz?“

Big Jim Frakes, seit mehr als zwanzig Jahren Staatsanwalt in Coconino County, Arizona, war schon fast genauso lange Witwer. Er hatte Kyra seit ihrem elften Lebensjahr allein großgezogen. Sie hatten noch immer engen Kontakt zueinander, aber meistens rief er erst abends an. Irgend etwas musste los sein. Gleich würde ihr Wecker klingeln … aber ach nein, es war ja Samstag.

„Kann man so sagen“, sagte Kyra und setzte sich im Bett auf. „Aber ich will ohnehin aufstehen. Was ist denn, Dad?“

Dass er nicht gleich antwortete, war untypisch für ihn. „Ehrlich gesagt könnte ich deine Hilfe brauchen“, sagte er.

Big Jim war vierundsechzig und wollte bald in Pension gehen, da er Herzprobleme hatte. In letzter Zeit hatte er immer öfter angedeutet, dass er es gern sähe, wenn Kyra nach Flagstaff zurückkäme, um bei ihm zu arbeiten. Andererseits wartete Tom Hanrahan, sein tüchtiger Assistent, seit acht Jahren auf die Chance, befördert zu werden.

Frakes wusste, dass Kyra nicht vorhatte, in direkte Konkurrenz zu Tom zu treten. Ein anderer Grund dafür, dass sie – trotz der herrlichen Canyon-Landschaft und der Bergwälder – nicht in ihre Heimatstadt zurückwollte, war der, dass sie nicht an David erinnert werden mochte, dessen Ranch mit dem wunderschönen, tannenumstandenen Haus sich ganz in der Nähe befand.

„Beruflich oder privat?“, fragte Kyra.

Frakes zögerte. „Beides“, sagte er schließlich. „Es ist so, Paul Naminga ist des Mordes angeklagt worden, und ich …“

Kyra schnappte nach Luft. „Doch nicht noch eine Tragödie bei den Namingas! Ich kann einfach nicht glauben, dass Paul so etwas tun würde!“

Paul, ein Hopi-Indianer, war Rettungssanitäter. Er lebte nicht in Mishongnovi, dem Indianerreservat, aus dem er stammte, sondern in Flagstaff. Sowohl bei den weißen als auch bei den indianischen Amerikanern war er sehr beliebt, aber seine Familie hatte immer wieder Probleme. Vor fünf Jahren war Pauls geistig behinderter älterer Bruder Leonard in einen Prozess wegen Autodiebstahls, Fahrens unter Alkoholeinfluss und Totschlags verwickelt gewesen. Während dieses Prozesses – Kyra war damals im vierten Semester ihres Jurastudiums – hatte sie David Yazzie kennengelernt, den ersten Indianer, den Big Jim in seinen Stab aufgenommen hatte.

Da seine angeblichen Straftaten außerhalb des Reservats stattgefunden hatten, war der Fall vors Landgericht statt vors Bundesgericht gekommen. Obgleich Leonard alles heftig abgestritten hatte, sprachen die Beweise gegen ihn. Man hatte ihn betrunken und verwirrt am Steuer von Dale Cargills Pick-up gefunden, der kurz zuvor als gestohlen gemeldet worden war. Der Wagen war in einen Unfall mit einer alten Limousine verwickelt gewesen, deren Insassen, ein älteres Ehepaar, dabei ums Leben kamen.

Da sie Semesterferien hatte, hatte Kyra sich damals bereiterklärt, an diesem tragischen Fall, der eindeutig zu sein schien, mitzuarbeiten. Allmählich war aber sowohl ihr als auch David der Verdacht gekommen, dass Leonard Naminga womöglich unschuldig war.

Der Versuch, den Fall aufzuklären, war jedoch misslungen, Leonard verurteilt worden und ins Gefängnis gekommen. Wenige Tage darauf hatte David Big Jims Kanzlei verlassen, war wortlos aus Kyras Leben verschwunden und hatte sie todunglücklich zurückgelassen. Sie war so verzweifelt, dass sogar ihr Studium davon beeinträchtigt wurde.

Schließlich gestand ihr Vater, dass er bei Davids Verschwinden eine Rolle gespielt hatte. Er habe David zehntausend Dollar dafür gegeben, dass er ging, und das sei nur zu Kyras Bestem gewesen, wie er meinte. Sie sollte ihr Studium beenden und eine Rechtsanwaltskarriere machen, anstatt David Yazzie zu heiraten und nur Hausfrau zu werden.

Anfangs weigerte Kyra sich, das zu glauben. David würde nie so tief sinken, auf so ein Angebot einzugehen, dachte sie. Aber als Big Jim ihr die Scheckkopie zeigte, begann sie, es doch für möglich zu halten. Unter Tränen schwor sie, dass sie, selbst wenn David sie geheiratet hätte, niemals vorhatte, ihr Studium aufzugeben, und sprach mehrere Monate lang nicht mehr mit ihrem Vater.

Erst später war ihr der Verdacht gekommen, dass Big Jim, obgleich er immer betonte, wie sehr er seinen gutaussehenden und tüchtigen Assistenten bewunderte, den jungen Mann ausgebootet hatte, weil er ein Halbblut war. Kyra war böse auf beide, auf David, der sie für Geld verlassen hatte, und auf ihren Vater wegen seines rassistischen Verhaltens.

Nachdem Big Jim sie aber mehrmals um Verzeihung gebeten hatte, vergab Kyra ihm. Von David dagegen kam nichts, keine Erklärung, keine Entschuldigung. Schließlich heiratete sie ihren Kommilitonen Brad Martin, ließ sich aber dreieinhalb Jahre später wieder von ihm scheiden. Sie hatten kaum Gemeinsamkeiten, und der Schmerz darüber, dass David sich hatte bestechen lassen und damit ihre Liebe verraten hatte, saß noch immer tief.

Vermutlich hatte er das Geld für den Aufbau seiner Karriere verwendet, denn in den fünf Jahren, die sie sich nicht gesehen hatten, war er ein erfolgreicher Anwalt geworden, verteidigte vor allem Indianer sowohl gegen den Staat als auch gegen Großunternehmen und hatte schon einige spektakuläre Prozesse gewonnen. Seit Kurzem trat er auch im Fernsehen als juristischer Experte auf.

Auf seinem Weg zu Ruhm und Erfolg ist er einfach über mich hinweggetreten, dachte Kyra bitter. Sein Beruf war ihm eben wichtiger gewesen. Dabei hätte sie sich so gewünscht, dass ihre Romanze ihm so viel bedeutet hätte wie ihr …

Nun ging es um Paul Namingas Leben. „Wen soll er denn umgebracht haben?“, fragte Kyra, die die bitteren Gedanken an David beiseiteschob.

„Ben Monongye“, erklärte Big Jim. „Erinnerst du dich? Dieser gedrungene Typ mit der Narbe auf der rechten Wange, der mithilfe einer Minderheiten-Organisation ein erfolgreiches Bauunternehmen gegründet hat.“

Obgleich Kyra Ben für seine harte Arbeit und seinen Durchsetzungswillen bewunderte, hielt sie ihn gleichzeitig für ziemlich rücksichtslos. Dazu hatte er sich immer für den Schwarm aller Frauen gehalten.

„Er und Paul haben vergangenes Wochenende für das Museum von Nord-Arizona im Hopi-Gebiet ein Tanzfest für mehrere Stämme ausgerichtet“, fuhr ihr Vater fort. „Anscheinend hat Ben sich dabei an Pauls Frau Julie herangemacht. Kurz bevor sie ihre traditionellen Kostüme anzogen, soll es zu einer Schlägerei gekommen sein. Dafür gibt es zig Zeugen.“

Kyra versuchte sich die Szene vorzustellen.

„Umstehende rissen sie auseinander“, sagte Big Jim, „Paul forderte Ben auf, sich von Julie fernzuhalten. Ben ging zu seinem Wohnwagen, um sich umzuziehen, erschien dann aber nicht auf der Bühne. Paul schon, aber er kam erst ziemlich spät. Während des Festes fanden ein paar Jugendliche Bens Leiche.“

„Die Tatsache, dass Paul zu spät zu seinem Auftritt erschien, heißt ja noch nicht, dass er der Mörder ist“, wendete Kyra ein. „Dafür kann es viele Gründe geben.“

Sie sah förmlich, wie ihr Vater den Kopf schüttelte.

„Ich weiß, dass du Paul magst“, seufzte er, „und ich mag ihn auch. Aber Red Miner hatte recht damit, ihn zu verhaften. Es spricht zuviel gegen ihn.“

Red Miner war der County-Sheriff von Coconino.

„Zum Beispiel?“

„Na ja, auf Pauls Koyemsi-Kostüm fand man Blut, das nach ersten Untersuchungen von Ben stammte, und die Genanalyse wird das sicher bestätigen. Ein junges Mädchen sagte aus, dass jemand, der kostümiert war wie Paul, Bens Wohnwagen betrat, nachdem alle anderen schon zur Zuschauertribüne gegangen waren.“ Er hielt inne. „Das ist natürlich noch kein Beweis, zumal man zum Koyemsi-Kostüm eine Maske trägt.“

Kyra konnte sich einfach nicht vorstellen, dass Paul es getan hatte. Es war wie eine unglückselige Wiederholung dessen, was seinem Bruder passiert war.

„Paul schwört, unschuldig zu sein“, sagte Big Jim. „Er sei zu spät zum Auftritt gekommen, weil ein Navajo-Junge ihn, während er sich umzog, um Hilfe gebeten hatte. Einer seiner Freunde hatte Klebstoff geschnüffelt und war bewusstlos. Unglücklicherweise wurde keiner der Jungen gefunden, der das bestätigen könnte.“

Ihr Vater hatte recht, alles sprach gegen Paul. Das Gericht würde ihn vermutlich schuldig sprechen.

Als Big Jim auch noch sagte, dass David Yazzie Pauls Verteidigung übernommen hatte, wurde ihr das Herz schwer.

Sie musste sofort an seine breiten Schultern und seine olivfarbene Haut denken, daran, wie sehr sie sein strahlendes Lächeln geliebt hatte, das sein dunkles Gesicht wie Sonnenlicht nach einem Gewitter erhellte. Und an seine Hände … oh, seine Hände …

„Das wird vermutlich mein letzter Fall sein“, erklärte Big Jim. „Und den möchte ich nicht verlieren, schon gar nicht gegen David. Mit deiner Hilfe …“

Um David nicht zu begegnen, hatte Kyra ihre Besuche in Flagstaff auf ein Minimum beschränkt. Und nun sollte sie ihm Auge in Auge im Gerichtssaal gegenübertreten?

„Was ist denn mit Tom Hanrahan?“, fragte sie.

„Der liegt mit einem Beinbruch, den er sich bei einem Jagdausflug zugezogen hat, im Krankenhaus in Montana.“

Ihr Vater hatte es zwar nicht ausgesprochen, aber er rechnete wohl damit, dass David scharf gegen ihn vorgehen würde. Trotz des Geldes hatte der keinen Grund, ihm dankbar zu sein. Das Bewusstsein, dass Big Jim ihn wegen seiner Herkunft nicht gut genug für seine Tochter hielt, musste ihn zutiefst verletzt haben … ob er nun ernste Absichten gehabt hatte oder nicht.

„Du hast doch vor Kurzem gesagt, dass du gerade Zeit hättest“, sagte Big Jim. „Ich wäre sehr froh, wenn du einen Teil davon für mich opfern würdest. Kannst du nicht herkommen und mir helfen?“

Kyra vermutete, dass ihre Anwesenheit David aus dem Konzept bringen sollte. Andererseits wusste sie, dass ihr Vater ihre Fähigkeiten wirklich schätzte. Dank ihrer Arbeit im Büro des Bundesstaatsanwalts war sie Tom Hanrahan zumindest ebenbürtig.

Dad wird alt, dachte sie, er ist müde und möchte erhobenen Hauptes in Rente gehen können. Vielleicht hatte ihn auch die Tatsache, dass David selten einen Fall übernahm, den er nicht gewinnen konnte, etwas verunsichert.

So gern Kyra ihrem Vater geholfen hätte, so wenig war sie bereit, David gegenüberzutreten. Der Schmerz über seinen Verrat saß noch zu tief. Andererseits wollte sie auch nicht, dass ihr Vater merkte, wie sehr ihr David noch zu schaffen machte. Vielleicht könnte sie kurz zu ihm fahren, die Unterlagen durcharbeiten und ihm ein paar Vorschläge machen.

„Erst mal müsste ich mit meinem Chef sprechen. Wir haben viel zu tun, und ich könnte nur mit seinem Einverständnis weg.“

Big Jim war deutlich erleichtert, dass Kyra nicht rundheraus ablehnte. Er versprach, Montagabend wieder anzurufen. „Ich nehme deine Hilfe dankbar an“, sagte er, „da spricht nicht nur der stolze Vater. Du bist nämlich zur Staatsanwältin geboren, und da Tom krank ist, könnte ich keine Bessere finden als dich.“

Nachdem sie das Telefonat beendet hatten, ging Kyra duschen. Während sie ihr von der Sonne aufgehelltes blondes Haar wusch und sich mit duftendem Gel einschäumte, tauchten unausweichlich die Gedanken an die Havasu-Wasserfälle wieder auf. Wenn sie ihrem Vater half, würde sie in wenigen Wochen David wiedersehen, in seine unglaublichen Augen blicken, mit denen er sie womöglich sofort durchschaute.

Wenn sie ihm mit den Fingern durch das dichte Haar gefahren war, fühlte es sich wie schwarze Seide an. Er hatte sie in seine kraftvollen Arme gezogen, ihr Gesicht mit gierigen Küssen bedeckt …

Ob er nun den Geschworenen im feinen Anzug mit Krawatte gegenüberstand oder in Jeans herumlief, mit der Geschmeidigkeit seiner indianischen Vorfahren und seinem verführerischen Lächeln auf den Lippen, David wirkte immer überwältigend attraktiv. Er war ebenso sexy wie als Verteidiger berühmt und besaß ein enormes Gespür für die wahren Hintergründe eines Falles.

Kyra versuchte vergeblich, die Erinnerungen an ihn zu verdrängen, während sie sich anzog, um wie immer am Samstag im nahegelegenen Park zu joggen.

Obgleich David unmoralisch genug war, das Bestechungsgeld ihres Vaters anzunehmen, schien er, wie sie in vielen Zeitungen gelesen hatte, Wert darauf zu legen, dass seine Mandanten unschuldig oder zumindest nur teilschuldig waren. Wenn er Paul Namingas Verteidigung übernommen hatte, musste er also von dessen Unschuld überzeugt sein. Dann würde trotz der Beweise, die Sheriff Red Miner zusammengetragen hatte, die Aufgabe ihres Vaters als Ankläger äußerst schwierig werden.

Als Kyra am Montag mit ihrem Chef, Staatsanwalt Jonathan Hargrave, über eine zeitweilige Beurlaubung sprach, sagte dieser, sie könne sich ihrem Vater zuliebe soviel Auszeit nehmen, wie sie wolle. „Sie haben in letzter Zeit sehr hart gearbeitet“, erklärte er. „Ich möchte nicht, dass Sie womöglich unter dem Stress zusammenbrechen. Nehmen Sie sich ruhig sechs Wochen oder mehr Zeit, und tun Sie für Ihren Vater, was sie können.“

Big Jim war über diese Nachricht sehr erfreut. Sie verabredeten, dass Kyra in zwei Wochen nach Flagstaff kommen würde, gerade rechtzeitig zur Gegenüberstellung der Beweismittel von Verteidigung und Anklage.

„Du hast einen guten Riecher für die Schwächen der Gegenseite und könntest etwas bemerken, was mir entgeht“, lobte Big Jim.

Er will, dass ich David das Wasser abgrabe, dachte Kyra wieder. Ihrem Vater schien nicht klar zu sein, dass sie noch immer an ihm hing, obwohl er sich damals so schäbig verhalten hatte. Vielleicht hatte Big Jim auch nur große Angst davor, als Verlierer dazustehen. Was immer seine Gründe waren, für sie konnte es ganz heilsam sein, ihrer großen Liebe gegenübertreten zu müssen. Vielleicht würde es ihr helfen, über die Sache hinwegzukommen.

Drei Tage später striegelte David Yazzie auf der Yebetchai-Ranch sein Lieblingspferd Born for Water.

Er hatte gerade einen Fall zugunsten seines Mandanten abgeschlossen und war froh, wieder zu Hause zu sein. Das Wohnmobil, in dem er lebte, wenn er Fälle in Wyoming, North Dakota oder New Mexico betreute, war zugleich sein Büro, aber nirgendwo fühlte er sich entspannter und verwurzelter als auf der großen, baumbestandenen Ranch mit ihrem steinernen Haus, das er im Schatten heiliger Berge gebaut hatte. Wieso war er heute nur so nervös?

Die meisten seiner Wünsche hatte er sich bisher erfüllen können. Er hatte mit seinen sechsunddreißig Jahren bereits einen langen Weg hinter sich gelegt, denn ursprünglich stammte der erfolgreiche Anwalt aus ärmlichen Verhältnissen. Seine Mutter war Navajo-Indianerin, sein Vater hatte außer indianischen auch englische und spanische Vorfahren und war schon vor Davids Geburt bei einem Eisenbahnunglück umgekommen. Dank der Armee, der David beigetreten war, um Offizier zu werden, hatte er seinen Bachelor-Abschluss machen und schließlich, mithilfe eines Stipendiums, Jura studieren können.

Nachdem er sich dann bei Jim Frakes in Flagstaff erste Lorbeeren verdient hatte, ging es immer weiter bergauf mit seiner Karriere, und dank einiger erfolgreicher Abschlüsse hatte er es zu einem guten Ruf und einigem Wohlstand gebracht. Das Bewusstsein, in seiner Position auch minderprivilegierten Mandanten helfen zu können, befriedigte ihn sehr.

In vielerlei Hinsicht hatte er das erreicht, was die Welt der Weißen zu bieten hatte. Durch seine indianischen Vorfahren verfügte er über ein reiches spirituelles Erbe. Von seinem Urgroßvater, der vor einigen Jahren in hohem Alter gestorben war, hatte er einiges über die alte Medizin gelernt, deren Geheimnisse nur wenigen zugänglich waren.

Und dennoch fehlte ihm etwas im Leben. Das empfand er immer dann, wenn er einen Fall beendet hatte, nach Flagstaff zurückkehrte und plötzlich Zeit hatte nachzudenken.

Und nun stand ihm auch noch die Verteidigung von Paul Naminga bevor. Der Prozess gegen den Hopi-Sanitäter würde vermutlich Jim Frakes’ letzter großer Fall sein und David Tag und Nacht in Anspruch nehmen. Dazu weckten die Gegebenheiten alte Erinnerungen in ihm, und er empfand eine unterschwellige Sehnsucht nach der Zeit, an die er dabei unwillkürlich zurückdachte.

Eine Zufallsentdeckung machte das nur schlimmer. Als David alte Notizen durchging, die aus dem Prozess um Leonard Naminga, Pauls Bruder, stammten, waren ihm ein paar Schnappschüsse in die Hände gefallen, die an Tom Hanrahans vierzigstem Geburtstag in der Kanzlei des Staatsanwalts gemacht worden waren. Auf dem Bild war zu sehen, wie David lächelnd den Arm um die schlanke, blonde Kyra Frakes legte … oder Kyra Martin, wie sie jetzt hieß. Im Gegensatz zu ihrer hellen Haut wirkten seine um ihren nackten Oberarm gelegten Finger dunkel.

Er roch noch das Parfüm, das sie trug, spürte die Wärme, die von ihrem Körper ausging … Ich hätte mich nicht von Jim überreden lassen dürfen, sie zu verlassen! dachte er zum wiederholten Male. Ich hätte ihr helfen sollen, das Jurastudium zu beenden, was auch immer das an Opfern bedeutet hätte. Als Mann und Frau hätten wir ein Feuer entzünden können, das auch jetzt noch brennen würde.

Nach so langer Zeit war ihre Zuneigung zu ihm vermutlich in Ablehnung umgeschlagen. Er konnte froh sein, dass sie bei dem Prozess nicht dabeisein und keine weiteren schmerzhaften Erinnerungen wecken würde. Bestimmt würde es schon schwer genug für ihn werden, mit seinem früheren Chef, der ihn aus gesellschaftlichen Gründen nicht in seiner Familie akzeptiert hatte, sachlich umzugehen.

Nachdem das Pferd fertig gestriegelt war, klopfte David ihm auf den glänzenden Hals und führte es zum Stall. Als er gerade die Tür schloss, klingelte sein Handy.

Jody Ann Daniels, Jim Frakes’ Sekretärin, war am Apparat. „Hallo, Superstar, wie geht’s Ihnen?“, fragte die etwa vierzigjährige Mutter dreier Kinder ihn fröhlich. „Der Chef bat mich, Ihnen den Termin für die Beweisaufnahme im Fall Naminga durchzugeben: Montag in einer Woche. Passt Ihnen das?“

David hatte seine Untersuchungen noch nicht abgeschlossen. „Ja, vorausgesetzt, es kommen keine neuen Beweise dazu.“

Jody Ann lachte. „Da er schon wusste, dass Sie diese Bedingung stellen würden, hat er das ebenfalls zur Auflage gemacht. Übrigens … Ihre alte Freundin Kyra lässt sich von ihrem Job in Kansas City beurlauben, um ihrem Vater zu helfen, da Tom Hanrahan im Krankenhaus liegt. Jetzt, wo sie geschieden ist, hat sie wohl etwas mehr Zeit, ihre alte Heimat zu besuchen.“

Kyra war geschieden! Und kam nach Flagstaff zurück?

Nachdem er sich von Jody verabschiedet hatte, ging David zur Koppel und lehnte sich an den Zaun. Der Blick seiner blauen Augen, die er von seinen englischen Vorfahren väterlicherseits geerbt hatte, richtete sich sinnend auf die wunderschönen Berge in der Ferne.

Ob Kyra ihm wohl noch mal eine Chance geben würde? David dachte an die schöne Zeit mit ihr zurück. Ein Jahr nach ihrer Trennung, als sie gerade ihren Abschluss machte, hatte er vergeblich versucht, sie telefonisch zu erreichen. Kurz darauf hörte er, dass sie geheiratet hatte, und hielt seitdem jeden Versuch einer Kontaktaufnahme für sinnlos.

Ihr Vater hatte ihn dazu gedrängt, Kyra zu verlassen, indem er behauptete, es sei nur zu ihrem Besten. David war damals dumm genug gewesen, das zu glauben, und seitdem hatten sie sich weder gesprochen noch zu Gesicht bekommen.

Nun brachte das Schicksal sie also wieder zusammen!

Kyra wiederzusehen würde ihn entweder heilen oder die alte Sehnsucht wieder aufleben lassen. Ihm fiel eine Bemerkung seines Urgroßvaters ein. „Man kann die Vergangenheit nie ändern“, hatte Henry Many Horses gesagt. „Aber man kann eine Menge aus ihr lernen.“

2. KAPITEL

Da sie wegen eines grippekranken Kollegen noch eine Menge zu erledigen hatte, konnte Kyra Kansas City erst Samstag Mittag verlassen. Vermutlich komme ich gar nicht mehr rechtzeitig zur Beweisaufnahme, dachte sie, während sie in ihrem kirschroten Jeep auf der Interstate 35 in Richtung Wichita fuhr. Damit würde sie auch die Gelegenheit verpassen, David wieder gegenüberzustehen. Es war beinahe, als hätte sie das geplant!

Kyra wusste, dass der Drang, ihn wiederzusehen, sich mit jedem Kilometer verstärken würde. Unwillkürlich trat sie aufs Gaspedal. Als sie am Sonntag Nachmittag Gallup in New Mexico erreichte, hielten sich Vorfreude und Angst die Waage. Sie beschloss, eine Pause einzulegen.

In dem kleinen Hotel fühlte sie sich einsamer denn je. Sie fand einfach keinen Schlaf. Um fünf Uhr früh stand sie auf und fuhr weiter.

Kurz nach neun erreichte sie Flagstaff, pünktlich zur Beweisaufnahme des Falles „Der Staat Arizona gegen Naminga“. Sie strich ihr beigefarbenes Kostüm glatt und fuhr nervös über ihre Aufsteckfrisur.

Was ist bloß, wenn ich nach all der Zeit noch immer in ihn verliebt bin! dachte sie unruhig. Ich muss doch endlich über die Sache hinwegkommen!

Das Gerichtsgebäude aus rotem Sandstein mit dem riesigen Glockenturm, in dem das Büro ihres Vaters lag, gehörte zu den Wahrzeichen der Stadt. Die dunkel getäfelte Eingangshalle mit ihren Ölporträts und ihrer breiten, eindrucksvollen Treppe sah noch genauso aus, wie Kyra sie in Erinnerung hatte. Nur der Vorraum zum Büro ihres Vaters wirkte verändert. Er war vollgestopft mit Akten und Papieren.

„Lange nicht gesehen!“, begrüßte Jody Ann Daniels sie lächelnd und unterbrach ihre Schreibarbeit. „Ich muss zugeben, dass Sie jedes Mal, wenn wir uns wiederbegegnen, besser aussehen. Das Treffen hat vor ein paar Minuten begonnen. Ihr Vater lässt Ihnen ausrichten, dass Sie gleich hineingehen könnten.“

Mit Herzklopfen betrat Kyra das Büro ihres Vaters, das sich seit ihrer Kindheit kaum verändert hatte. Fachbücher füllten die Borde, an den Wänden hingen Cowboybilder und Jagdtrophäen, die von den Hobbys des Staatsanwalts zeugten. In einer Ecke standen ein Paar Skier, die schon seit Jahren nicht mehr benutzt und deswegen ganz mit Staub bedeckt waren.

Kyra bemerkte David, sobald sie den Raum betrat, denn er hatte sich sofort erhoben. Sie ließ sich jedoch erst mal herzlich von ihrem Vater in den Arm nehmen und begrüßte dann den Gerichtsreporter, den sie noch aus der Highschool kannte.

Schließlich wendete sie sich dem Mann zu, um den ihre Gedanken schon seit Stunden kreisten.

Wieder erstaunte sie das Blau seiner hellen Augen im Kontrast zu der braunen Haut und dem pechschwarzen Haar. Sein Blick schien zu brennen. Kyra vergaß alles, was sie sich vorgenommen hatte, sie wünschte sich nur noch, darin einzutauchen.

„Hallo, Kyra“, sagte er mit seiner tiefen, weichen Stimme und streckte ihr die Hand entgegen.

Sein Händedruck war fest und warm, Kyra hatte sogleich den Eindruck, dass ihre Haut prickelte. Jeder Kuss, dem sie sich hingegeben hatte, jede Intimität, die sie ihm je gestattet hatte, fiel ihr wieder ein und weckte die Lust nach mehr.

„Hallo … schön, dich zu sehen“, murmelte sie und dachte sofort, wie banal das klang, so, als wären sie nur Bekannte.

David hielt ihre Hand ein wenig länger als nötig. Er fände es auch schön, sie wiederzusehen, sagte er. Als er sie verlassen hatte, war Kyra noch sehr jung gewesen, jetzt war sie eine richtige Frau. Eine, die einen anderen geheiratet hatte …

David spürte, dass er ziemlich durcheinander war. Aber er hatte gelernt, dass man, wenn man Dinge ändern wollte, nur auf die Zukunft bauen durfte.

Auch Kyra war sofort wieder in seinem Bann. David strahlte eine ruhige Kraft aus, etwas beinahe Mystisches. In den Jahren, die sie sich nicht gesehen hatten, schien er an Charaktertiefe und Reife gewonnen zu haben. Wie konnte jemand, der in seinen Gefühlen so unbeständig war, nur so lebensklug und zuverlässig wirken?

Darauf schien es keine Antwort zu geben. Seine körperliche Anziehungskraft jedenfalls war umwerfend. Obgleich er im dunklen Anzug, weißen Hemd und Krawatte seiner beruflichen Rolle gerecht wurde, stellte Kyra ihn sich sofort wieder in engen Jeans vor. Wenn sie dagegen an ihren Exmann und die Männer, mit denen sie sich seitdem getroffen hatte, dachte, dann waren alle nur ein armseliger Abklatsch dessen, wofür David das Maß gesetzt hatte.

Aber falls er ihre Romanze wiederaufleben lassen wollte, müsste sie auf der Hut sein! Sie durfte nicht vergessen, dass er Geld dafür genommen hatte, sie zu verlassen! Die moralischen Prinzipien, die er nach außen hin vertrat, galten offenbar nicht für ihn selbst.

Kyra zog einen Bürostuhl hervor. „Bitte, lasst euch nicht stören“, sagte sie leise. „Ich hoffe, es ist recht, wenn ich mir ein paar Notizen mache.“

In Arizona galt die Regel, dass bei einem Kapitalverbrechen beide Seiten Einblick in eine Liste nehmen durften, auf der alle Beweismittel der Gegenpartei sowie aller Zeugen, die geladen würden, aufgeführt waren. Kyras Vater jedoch zog direkte Besprechungen zwischen Anklage und Verteidigung vor, zumal man damit rechnen konnte, dabei noch zu weiteren Informationen zu kommen.

Big Jim fuhr fort, wo er aufgehört hatte, und ging weiter die Zeugenliste durch. Sie war ziemlich lang und enthielt alle Namen derer, die die Schlägerei von Paul Naminga und Ben Monongye vor dem Wohnwagen beobachtet hatten. Kyra kannte etliche davon, nicht aber das junge Mädchen, das gesehen hatte, wie ein Mann in Pauls Kostüm in Bens Wohnwagen gegangen war.

Was die ersten Untersuchungsergebnisse hinsichtlich der Blutflecken betraf, so reichte Big Jim David die Kopie des Laborberichts. „Es ist noch etwas hinzugekommen“, fügte Big Jim hinzu. „Die Spurensicherung fand in dem Wohnwagen, in dem Ben Monongye erstochen wurde, ein paar Haare, die Pauls entsprechen. Ihre natürliche Farbe scheint grau zu sein.“

„Ihre natürliche?“, fragte David interessiert nach.

„Sieht so aus, als seien sie schwarz gefärbt. Natürlich können sie auch schon vor dem Mord dorthingelangt sein, vielleicht sogar vor Wochen. Am Tag der Aufführung herrschte auf dem Gelände ein Kommen und Gehen. Außerdem handelte es sich um Leihfahrzeuge, und man weiß nicht, wo sie waren, bevor Suzy Horvath sie anmietete.“

Suzy Horvath, geschieden und Anfang Vierzig, verlegte eine kleine Zeitung. Sie hatte das Tanzfestival organisiert. Aus dem Augenwinkel bekam Kyra mit, dass David kurz lächelte.

„Vielen Dank“, sagte er, und seine Wangengrübchen vertieften sich. „Das sind immerhin ein paar Beweismittel, mit denen wir arbeiten können.“

Big Jim tat unbeeindruckt. „Alles in allem ist das nicht viel.“

Sie waren fast fertig, als Richter Beamish, der den Vorsitz hatte, in den Saal trat und sich zum Fenster begab. Er unterbrach nicht, grüßte Kyra aber lächelnd. Kurz darauf kam der Gerichtsdiener mit dem Gefangenen, der in Handschellen war, herein.

Es gibt also auch ein Kautionsverfahren, dachte Kyra, die den jungenhaften Angeklagten durch ein Kopfnicken begrüßte. Wenn sie Paul so ansah, konnte sie sich erst recht nicht vorstellen, dass er einen Mord begangen hatte, trotz seiner Auseinandersetzung mit dem Opfer.

David spürte sofort, dass Kyras Sympathie geweckt war. Sie ist noch dieselbe wie damals, dachte er, anständig und geradeaus denkend. Eine, die Unterprivilegierten half, wenn sie es verdienten. Trotz ihrer Erfahrung als Staatsanwältin war sie offensichtlich in ihrem Herzen eher Verteidigerin.

Wenn sie geheiratet hätten, wie Kyra es wollte, als sie damals zusammen am Leonard-Naminga-Fall arbeiteten, hätten sie vermutlich nicht nur das Bett, sondern auch die Arbeit geteilt. Das wäre der Himmel auf Erden gewesen! Inzwischen wären wir vielleicht sogar Eltern geworden, dachte er. Als er jedoch merkte, dass sein Blick ihr unbehaglich war, konzentrierte David sich wieder auf den Fall.

Während er die Gründe für eine Entlassung Pauls aufzählte und Big Jim dagegenhielt, spürte Kyra, wie sie sich in Nacken und Schultern verkrampfte, vor lauter Anstrengung, so zu tun, als sei David Luft für sie.

Schließlich meldete sich Richter Beamish zu Wort. Da es sich um ein Kapitalverbrechen handelte, lehnte er Davids Antrag auf Entlassung auf Kaution ab.

David warf Kyra noch einen langen Blick zu und begleitete den Angeklagten dann ins Gefängnis, um dort mit ihm zu sprechen.

Sobald er draußen war, kam es Kyra vor, als seien mit ihm alle Helligkeit und alle Energie aus dem Raum geschwunden. Er hat sich nicht mal von mir verabschiedet, dachte sie. Aber wieso sollte er auch. Eine leise innere Stimme flüsterte: „Die Zweiundzwanzigjährige, die du mal warst, hofft, dass er seinen Fehler bereut und versucht, dich zurückzugewinnen.“

Die sechs Wochen würden ihr lang werden. Kyra sank etwas in ihrem Stuhl zusammen.

Die nächste Verhandlung fand zwischen ihrem Vater und Richter Beamish statt. Kyra war nicht recht bei der Sache und erschrak, als sie Hank Beamish sagen hörte, dass er und David sich mit derselben Frau trafen – mit Suzy Horvath, der Zeitungsverlegerin und Organisatorin des Tanzfestivals.

„Wir sind natürlich keine richtigen Konkurrenten“, sagte Beamish mit einem Zwinkern, „es gibt also keinen Grund zur Beunruhigung.“

Wenn Big Jim das Gespräch in Kyras Gegenwart etwas merkwürdig fand, so ließ er es sich nicht anmerken. „Wieso das, Hank?“, fragte er beiläufig.

Der Richter lachte, stand auf und strich seine Robe glatt. „Na ja, wenn er ihr vermitteln würde, dass er es ernst mit ihr meint, würde Suzy gar keinen anderen Mann mehr anschauen.“

Kyra fühlte sich, als hätte man ihr ein Messer mitten ins Herz gestoßen. Aber mit so etwas hatte sie natürlich rechnen müssen! David hatte sicher eine Menge Frauen gehabt, nachdem sie es abgelehnt hatte, ihm ihre Jungfernschaft ohne Heirat zu opfern. Und er würde noch viele in seinem Leben haben. Das ging sie gar nichts an!

Doch trotz allem tat ihr das Herz weh. Sie verabschiedete sich von Richter Beamish und redete noch eine Weile mit ihrem Vater. Aber als ein wichtiger Anruf für ihn kam, beschloss sie, das Gerichtsgebäude zu verlasen. Vorher schrieb sie ihrem Vater noch schnell eine Nachricht, dass sie plane, Red Miners Frau Flossie zu besuchen und dann nach Hause zu fahren.

Nachdem David das Gespräch mit seinem Mandanten beendet hatte, kam er, auf der Suche nach Kyra, zum Gericht zurück. Sie hatte gerade in der Eingangshalle den Fuß der Treppe erreicht, als er ihr entgegenkam.

„Hast du etwas vergessen?“, fragte sie so beiläufig wie möglich und wollte zum Ausgang gehen.

Seine blauen Augen blitzten in dem dunklen Gesicht. „Das habe ich tatsächlich.“ Er blieb in der Eingangstür stehen.

„Dad ist noch oben, falls du ihn sprechen möchtest.“

„Ich bin nicht seinetwegen hier, und ich glaube, dass du das auch ganz genau weißt, Changing Woman.“

Changing Woman. Die Frau, die immer anders ist. Das war einer der Namen, die er in zärtlichen Momenten ihr gegenüber benutzt hatte. Kyra spürte sofort ein Prickeln am ganzen Körper.

„David, ich glaube nicht …“, sagte sie.

Doch er war gar nicht mehr in der Lage, irgend etwas zu glauben oder zu denken. Noch bevor Kyra weitersprechen konnte, zog er sie an sich und bedeckte ihren Mund mit gierigen Küssen.

Wieder in seinen Armen zu sein, seine Schenkel und seinen Mund zu spüren war, als hätte Kyra einen verlorenen Teil ihrer selbst wiedergefunden. Wilde Leidenschaft erwachte in ihr und durchströmte sie wie ein reißender Strom, der die Wüste überflutet. Davids Geschmack, sowohl salzig als auch süß, und sein männlicher Geruch überwältigten sie.

Ja, oh, ja, dachte sie, das habe ich vermisst, danach habe ich mich mit jedem Atemzug gesehnt, trotz seines Verrats!

Sie gab sich ganz seiner Umarmung hin. Am Ende war er derjenige, der sich von ihr löste. Er war sichtlich aufgewühlt. „Kyra, Kyra“, sagte er leise, „du hast ja keine Ahnung …“

Plötzlich waren hinter ihnen Schritte zu hören. Eine der Sekretärinnen aus der Verwaltung warf ihnen einen langen Blick zu, als sie mit laut klackernden Absätzen an ihnen vorübereilte.

Die Frau war dafür bekannt, dass sie gern klatschte. Kyra war auf einmal verärgert. „Was fällt dir ein, mich zu küssen, nachdem du mich damals sitzen gelassen hast?“, rief sie und offenbarte ihm damit, wie sehr sie das verletzt hatte.

David wollte ihre Liebe wiedergewinnen, nicht mit ihr über alte Fehler streiten. Wenn sie eine Entschuldigung wollte, konnte sie die gern haben. Dass er eine große Dummheit begangen hatte, war ihm längst klar geworden.

Aber Kyra sollte die Dinge nicht falsch darstellen. „Du wolltest mich doch genauso gern küssen wie ich dich.“

Das stimmte leider! Ein Blick von ihm, eine Berührung, und schon stand sie wieder in Flammen! Aber sie würde ihm nie die Wahrheit gestehen, nicht in hundert Jahren. Wortlos drehte sie sich um und verließ das Gerichtsgebäude.

David folgte ihr nicht. Sie spürte aber, dass er ihr nachschaute.

Eilig ging sie zu ihrem Jeep. Garantiert würde Cheryl Garcia, die Sekretärin, die sie beim Kuss überrascht hatte, das sofort verbreiten. Flagstaff war eine Kleinstadt, in der die meisten sich kannten. Es würde nicht lange dauern, bis es hieß, dass sie und David eine Affäre hatten!

Kyra ärgerte sich, dass David sie in diese Situation gebracht hatte … aber noch viel mehr ärgerte sie sich über sich selbst. Sie schloss ihre Wagentür auf und übersah dabei die junge Frau, die gerade das Gefängnis verlassen hatte und wenige Meter von ihr entfernt stehenblieb.

„Kyra … Kyra Frakes, bist du das?“, rief die junge Frau.

Es war Julie, Paul Namingas Frau. Sie hatten sich vor fünf Jahren durch den Fall Leonard Naminga kennengelernt. Die Arme hat im Gegensatz zu mir wirkliche Probleme, dachte Kyra.

„Julie … Es tut mir so leid, was passiert ist“, sagte sie ernst. „Ich mochte Paul schon immer.“

In Julies Stimme klang keinerlei Vorwurf mit. „Ich weiß, dass du hier bist, um deinem Vater bei der Anklage zu helfen.“

Kyra wusste nicht, was sie sagen sollte. Irgendwie fühlte sie sich schuldig. „Ja, Dad hat mich angerufen und mich um Hilfe gebeten, da Tom Hanrahan verhindert ist“, erklärte sie verlegen. „Da er nun mal mein Vater ist, habe ich zugesagt.“

Julie versuchte gar nicht erst, mit höflichen Floskeln zu reagieren. Sie akzeptierte Kyras Erklärung einfach. „Aber ich möchte dir sagen, dass mein Mann unschuldig ist“, sagte Julie, „genauso wie Leonard es war. Als ihr, David und du, damals deinem Vater bei der Anklage halft, habt ihr gespürt, dass er nicht am Tod dieses älteren Paares schuldig war. Und ihr habt getan, was ihr konntet, um die Wahrheit herauszufinden, anstatt es gleich zur Verurteilung kommen zu lassen.“

„Ja, das haben wir versucht“, sagte Kyra schlicht. „Aber leider hatten wir damit keinen Erfolg.“

Wieder verkniff Julie sich jede Plattitüde als Beschwichtigung. Leonard saß im Gefängnis und Paul jetzt auch. Es brachte nichts, das zu leugnen oder schönzureden. „Ich erwarte nicht, dass du die Seiten wechselst und zur Verteidigung überläufst“, sagte sie. „Ihr solltet meinem Mann nur die gleiche Chance geben wie damals Leonard, indem ihr Augen und Ohren offenhaltet und die Tatsachen klar seht.“

Kyra fühlte sich in die Zange genommen. „Ich kann David Yazzie aber nicht als Informantin dienen“, gab sie zu bedenken.

„Das verlange ich auch gar nicht. Ich möchte nur, dass du keine Vorurteile hast.“

Kyra schob sich eine Locke aus der Stirn. „Dafür kann ich, glaube ich, garantieren.“

Beide schauten sich einen Moment lang an.

„Hast du irgendeine Idee, wer Ben Monongye getötet haben könnte, wenn Paul es nicht war?“, fragte Kyra.

Julie lachte bitter auf. „Eine Menge Leute“, sagte sie und warf ein paar Namen ins Gespräch, sowohl von Weißen als auch von Indianern.

Kyra kannte die meisten. Bei einem davon horchte sie auf: Es war der von Dale Cargill, dem unverheirateten dreiundvierzigjährigen Sohn von Roy und Betty Cargill, einem Ehepaar, das seit Ewigkeiten mit Kyras Vater befreundet war. Dale war ein Sonderling, spielte, hatte einen Hang zu üblen Scherzen und trank. Das Baugeschäft seines Vaters, das er übernommen hatte, lief ziemlich schlecht. Insofern war er ein geschäftlicher Rivale des Opfers – und zufällig auch Besitzer des Pick-ups, den Pauls Bruder Leonard vor fünf Jahren gestohlen hatte, bevor damit der Unfall verursacht wurde, bei dem das ältere Ehepaar ums Leben kam.

Diese seltsamen Zusammenhänge mussten allerdings nicht unbedingt von Bedeutung sein. Obgleich Kyra Dale immer ziemlich merkwürdig gefunden hatte und es ihr unangenehm war, dass er für sie schwärmte, hielt sie ihn eigentlich nicht für fähig, ein Gewaltverbrechen zu begehen. Da sie seine Eltern mochte, war sie erleichtert gewesen, als Dale damals als nicht schuldig entlassen worden war.

Sie verabschiedete sich von Julie und fuhr zum Country Club in einer etwas feineren Gegend. Dort besuchte sie erst mal Flossie Miner, ihre Lieblingstante, Ersatzmutter und eine lebenslange Freundin der Familie. Immer, wenn Kyra etwas auf dem Herzen hatte, konnte sie sich bei der rundlichen Frau mit Brille aussprechen.

Offenbar war Kyra bereits durch einen Anruf von Big Jim angekündigt worden.

„Was siehst du toll aus in deinem feinen Anwaltskostüm und mit deiner Aufsteckfrisur!“, rief Flossie, die mit ausgebreiteten Armen zur Tür herauskam, noch bevor Kyra ausgestiegen war.

„Du und dein Vater, ihr seid heute Abend im Country Club unsere Gäste“, sagte Flossie und führte Kyra auf die Terrasse, wo schon Kaffee und Kuchen bereitstanden. „Vielleicht weißt du ja gar nicht, dass Big Jim nächsten Donnerstag vierzigjähriges Berufsjubiläum hat! Deshalb haben wir beschlossen, ihm heute Abend zu Ehren dieses Ereignisses ein kleines Fest zu geben.“

Kyra freute sich für ihren Vater, aber so schnell konnte sie gar kein Geschenk besorgen.

„Keine Sorge“, versicherte Flossie, „um einen peinlichen Geschenkeregen wie bei Hochzeiten zu vermeiden, haben wir uns ein Gemeinschaftsgeschenk für ihn ausgedacht: die teuren Golfschläger, die er sich gewünscht hat.“

Trotz der wenigen Besuche, die Kyra seit der Trennung von David in Flagstaff gemacht hatte, war sie in engem Kontakt mit Flossie geblieben und wusste, dass diese ein Geheimnis für sich behalten konnte. Sie beschloss, Flossie von ihren Gefühlen für David zu erzählen.

Teilnahmsvoll tätschelte Flossie ihr die Hand. „Ich weiß noch, dass ihr beiden ein schönes Paar wart, als ihr zum Team deines Vaters gehörtet“, sagte sie. „Ich schätze, du hast schon davon gehört, dass er sich mit Suzy Horvath trifft, wenn er in der Stadt ist? Man munkelt ja, dass die zwei heute Abend zusammen zur Feier kommen wollen. Trotzdem hab’ ich so das Gefühl, du bräuchtest ihm nur einmal nett zuzuzwinkern, und schon würde er Suzy links liegenlassen.“

Kyra dachte an den Kuss im Gerichtsgebäude. „Vor fünf Jahren war ich total verliebt in David“, gestand sie. „Aber das war damals, und jetzt ist jetzt. Was mich betrifft, so kann Suzy ihn haben. Ich kann ihm einfach nicht verzeihen, wie er mich verlassen hat.“

Als Kyra im Haus ihres Vaters angelangt war, versuchte sie, ein wenig zu schlafen. Aber sie musste immer an David denken. Sie wollte ihn unbedingt noch einmal sprechen, ihn fragen, wieso er sich hatte bestechen lassen und wie sich das mit seinen hohen moralischen Ansprüchen vertrug!

Danach hatte sie ihn bisher nie fragen mögen, denn damit hätte sie ja zugegeben, dass sie ihn noch immer mochte. Kyra war froh, als ihr Vater nach Hause kam und sie noch einen Moment miteinander plauderten, bevor sie sich für den Abend umzog und zurechtmachte.

Ihr ehemaliges Zimmer war noch genau wie früher eingerichtet, mit dem cremefarbenen Bettüberwurf und der zart gemusterten Tapete, die sie als Teenager ausgesucht hatte.

Als sie ihre Sachen auspackte, überlegte sie, was sie für die Party anziehen könnte. Natürlich wollte sie es nicht übertreiben, nur um David zu beeindrucken!

In ihrem alten Schrank fand sie, was sie suchte: ein kurzärmeliges, zweiteiliges Cocktailkleid aus saphirblauem Crêpe de Chine, das sehr figurbetont war und ihr blondes Haar gut zur Geltung brachte. Sie hatte es einmal getragen, als sie mit David ausgegangen war, und es gefiel ihm damals sehr …

Es passte noch genau. Der einzige Unterschied war, dass der herzförmige Ausschnitt inzwischen etwas besser ausgefüllt war! Zufrieden hängte sie das Kleid wieder auf den Bügel, ging duschen und begann sich zurechtzumachen.

Trotz aller Komplimente und freundlichen Begrüßungen bei dem Fest empfand Kyra eine leise Eifersucht, als David mit Suzy am Arm den Raum betrat. Obgleich die rothaarige Verlegerin schon Anfang Vierzig war, war sie noch sehr attraktiv. Kyra musste sich anstrengen, mit ihren Tischnachbarn – ihrem Vater, den Miners, Dale Cargill und dessen Eltern – zu reden und nicht dauernd zu David hinüberzustarren.

Beim Essen erhob sich Red Miner, um einen Toast auszusprechen. Die Anekdoten und humorvollen Anmerkungen wurden mit Applaus bedacht. Als man Big Jim die begehrten Golfschläger überreichte, wischte er sich eine Träne aus dem Augenwinkel.

„Das wäre doch nicht nötig gewesen“, sagte er und schaute seine Freunde an, die sich alle um ihn gruppiert hatten. „Aber ich freue mich natürlich sehr darüber!“, fügte er lachend hinzu. „Diese verdammten Dinger wollte ich schon lange haben und habe seit Monaten nach einer Rechtfertigung dafür gesucht, sie mir endlich zu leisten.“

Nachdem ihr Vater noch dem abwesenden Tom Hanrahan alles Gute gewünscht und erklärt hatte, dass der sein Nachfolger werden würde, wurde Musik gespielt, und die Gäste begannen zu tanzen.

Kyra konnte nicht umhin, Dales Aufforderung zu folgen, wenn sie die Gefühle seiner Eltern nicht verletzen wollte. Als sie sah, wie David Suzy mit vollendeter Höflichkeit zur Tanzfläche führte, nagte wieder die Eifersucht an ihr.

Sie schlafen miteinander, dachte sie zornig, und versuchte, sich daran zu erinnern, wie sie sich in seinen Armen gefühlt hatte. Und jeder im Raum wusste es. Konnten sie mit ihren Zärtlichkeiten nicht warten, bis sie wieder zu Hause waren? Dass David immer so eng tanzte, egal mit wem, hatte Kyra allerdings nicht bedacht. Ihr fiel auch nicht auf, dass er gar nicht so glücklich dabei aussah.

Irgendwann hatte sie genug. Sie entschuldigte sich und eilte zur Damentoilette. Als sie an der Bar vorbei zum Saal zurückging, konzentrierte sie sich so stark darauf, möglichst gelassen zu wirken, dass sie David erst bemerkte, als er ihren Arm packte.

Zu ihrem Erstaunen hatte er seine Begleitung verlassen und sich zu einem einsamen Bier an die Bar gesetzt.

„Ich dachte, du seist schon weg“, sagte er. „Bleib hier und trink etwas mit mir. Wir müssen miteinander reden.“

3. KAPITEL

So vieles lag in diesem Augenblick unausgesprochen in der Luft … man konnte die Spannung zwischen Kyra und David förmlich knistern hören. Ein einziges falsches Wort hätte jedoch diese besondere Atmosphäre wieder zerstört. Was ist mit deiner Freundin? hätte Kyra David gern gefragt. Wie würde sie das finden, wenn sie uns beide hier an der Bar entdeckte?

Wenn Kyra seine Einladung ausschlüge oder sarkastisch darauf reagierte, würde sie nie erfahren, worüber er mit ihr sprechen wollte. Oder ob er endlich erklären würde, warum er sie damals verlassen hatte.

Also entschloss sie sich, darauf einzugehen, glitt auf den Barhocker neben ihm und stellte ihr Abendtäschchen auf den Tresen. Als David sich neben sie setzte, berührten ihre Knie sich flüchtig.

„Was möchtest du trinken?“, fragte er mit seiner klangvollen Stimme. „Eine Margarita?“

Er hatte in dem alten Wohnwagen, der ihm als Bleibe diente, als er noch für ihren Vater arbeitete, immer Margaritas gemixt.

Da Kyra während des Essens kaum Alkohol getrunken hatte, sagte sie: „Hört sich gut an.“ Ihre Schuhspitze berührte leicht seine Hose, als sie die Beine übereinanderlegte.

David bestellte genau die Mischung aus Tequila und Lime mit Triple sec, die sie am liebsten mochte, und gab Kyra Gelegenheit, erst einmal zu trinken, bevor sie ein Gespräch begannen.

„Seltsam, dass wir uns erneut wegen eines Naminga-Falls wiedergetroffen haben, nicht?“, sagte er schließlich und schaute sie mit diesem rätselhaften Blick an, der für ihn typisch war. „Hast du gehört, wie es Leonard im Gefängnis ergangen ist?“

Kyra schüttelte den Kopf. Sie wusste, wie grausam es dort normalerweise zuging, und hätte lieber auf eine Antwort verzichtet.

„Er wurde von einer Gang vergewaltigt“, berichtete David. „Und spricht seitdem nicht mehr.“

„Wie schrecklich!“, flüsterte Kyra und schloss kurz die Augen. „Der arme Leonard. Er hat es nicht verdient, eingesperrt zu werden und dann noch so etwas zu erleben! Das ist ja entsetzlich.“

Kyras Mitgefühl für andere, vor allem die Schwachen und Hilflosen, gehörte zu den Dingen, die ihm immer sehr an ihr gefallen hatten. Für eine „Gringa“ hatte sie ein großes Herz.

„Falls du Paul ebenfalls für unschuldig hältst, musst du mir versprechen, mir bei der Wahrheitssuche zu helfen“, bat er.

„Natürlich. Dad würde das gleiche tun.“

Diese Antwort war ihm nicht genug, er wollte ihr Versprechen. Ohne das würde es keinen Neuanfang geben können. Es war schon schwierig genug, wieder eine gemeinsame Basis zu finden, nach dem, was zwischen ihnen passiert war.

„Ich bitte aber nicht ihn, sondern dich“, sagte David. Ob sie seine Entschuldigung annehmen würde und er ihr begreiflich machen könnte, dass er sie damals nur zu ihrem Besten verlassen hatte?

Kyra schwieg. Anstatt eine Erklärung abzugeben oder zu sagen, dass es ihm leidtat, stellte David eine Forderung! Und unglaublicherweise war sie auch noch bereit, sie zu erfüllen.

„Also gut, ich verspreche es“, sagte sie. „Bist du zufrieden?“

Sein Mund verzog sich zu dem ironischen Lächeln, das sie so gut von ihm kannte. „Wenn du mich wirklich zufriedenstellen willst, musst du schon eine ganze Menge mehr dafür tun, White Shell Woman“, sagte er.

Weiße Muschelfrau. Wieder hatte er sie mit einem seiner alten Kosenamen angesprochen. Kyra zuckte innerlich zusammen. Schon in seiner Nähe zu sein, seine schöne Stimme zu hören und die Bewegung seiner dunklen Wimpern zu sehen war wunderbar …

Aber sie durfte es nicht zulassen, dass David ohne Erklärung und Wiedergutmachung in ihr Leben zurückkam, so wie jemand einfach in das Haus zurückging, das er vorher zerstört hatte. Oder, dass er über Sex sprach, als käme das unter diesen Bedingungen für sie beide infrage. Unglücklicherweise war noch alles an ihm genauso perfekt wie damals, genau wie sie es mochte, von der sinnlichen Ausstrahlung bis hin zu den kraftvollen Händen.

„Ich glaube nicht, dass …“, begann sie.

In diesem Moment kam Flossie Miner aus dem Festsaal und berichtete: „Es gab einen schweren Unfall auf der Autobahn westlich der Stadt, und Red muss sofort hinfahren.“ Sie schaute von David zu Kyra und wieder zurück. „Ich wollte nur Gute Nacht sagen. Ruf mich morgen früh an, Schätzchen, falls du Zeit hast.“

„Mach’ ich“, versprach Kyra und ahnte, welche Fragen ihr dann gestellt würden.

Nachdem Flossie weg war, wollte sie zur Party zurück, bevor David und sie zu weit gingen. Wie sollte sie dann noch ihrem Vater beim bevorstehenden Prozess helfen? Kyra hoffte, dass sie sich nicht aus Feigheit zurückzog.

Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt dazu, die Dinge ins Lot zu bringen, dachte David. Dazu müssten sie allein und ungestört sein. Deshalb widersprach er auch nicht, als Kyra meinte, sie wolle jetzt lieber wieder zurückgehen. Immerhin war dies eine Feier zu Ehren ihres Vaters, und sie gehörte zu ihm.

Dennoch, trotz all der Zeit, die sie getrennt waren, fiel es ihm schwer, Kyra gehen zu lassen. Er legte seine Hand auf ihre.

„Du hast vielleicht gehört, dass ich an der Route 89 nahe den San Francisco Peaks eine Ranch besitze“, sagte er schließlich. „Mein Name steht am Briefkasten. Besuche mich doch, ich zeige dir dann alles.“

Auf der kurzen Rückfahrt in Big Jims Limousine vom Country Club lauschte Kyra nur mit halbem Ohr den Kommentaren ihres Vaters über den Abend.

„Einige Gäste wollen gesehen haben, wie du an der Bar gesessen und mit David herumscharwenzelt hast“, sagte Big Jim plötzlich, als sie in die Auffahrt fuhren und er per Fernbedienung das Garagentor öffnete. „Sag, dass das nicht wahr ist.“

„Ich habe nur kurz mit ihm gesprochen, wenn du das meinst. Das konnte ich kaum vermeiden. Er saß da, als ich von der Toilette zurückkam.“

Big Jim schwieg, während er in die Garage fuhr und den Motor ausstellte. Dann sagte er: „Ich hoffe, er wollte dich nicht über den Naminga-Fall ausquetschen. Oder sich wieder lieb Kind bei dir machen.“

David hatte Paul zwar erwähnt, aber keinerlei für ihn nützliche Information aus ihr herauslocken wollen. Das hätte er auch gar nicht geschafft.

Er wollte mit ihr schlafen, das spürte sie. Endlich das tun, was ihre Skrupel damals verhindert hatten, und darauf arbeitete er nun hinaus.

„Keine Sorge, Dad, ich bin immun gegen seinen Charme“, behauptete sie. „Und was Paul angeht, so haben wir den Fall kaum gestreift. David erwähnte nur Leonard Naminga und dass der im Gefängnis vergewaltigt wurde. Könntest du nicht deinen Einfluss dazu nutzen, dass Paul bis zur Verhandlung freigelassen wird?“

Zu ihrer eigenen Überraschung schlief Kyra an dem Abend sofort ein. Aber am nächsten Tag musste sie gleich wieder an David denken, als sie die Befragung der Kronzeugen vorbereitete.

Sie fuhr von Flagstaff nach Moenkopi, um mit dem jungen Mädchen zu sprechen, das gesehen hatte, wie jemand in Pauls Kostüm Ben Monongyes Wohnwagen betreten hatte. Die karge Landschaft des Reservats erinnerte sie an David. Er war hier aufgewachsen, bettelarm, und hatte sicher bei jedem Bissen der armseligen Ernährung, die er als Kind bekam, immer mehr Zorn auf das entwickelt, was der weiße Mann ihnen allen antat. Vielleicht war das auch ein Grund dafür, dass er sie verlassen hatte, sie nicht heiraten wollte: Sie hatte symbolisch für das erlittene Unrecht gestanden, und vielleicht hatte er das Geld, das ihr Vater ihm geboten hatte, nur als Teil einer Wiedergutmachung empfunden.

Was immer seine Gründe gewesen waren, er wäre bestimmt sehr erfreut darüber, dass sie weiterhin der Frage nachging, ob noch jemand außer Paul ein Interesse am Tod von Ben Monongye gehabt haben könnte. Und dass sie eine Liste anlegte, auf der seine möglichen Feinde vermerkt waren.

Es überraschte sie nicht, dass bei allen Befragungen immer wieder dieselben Namen auftauchten. Da Kyra sich eher wie eine unabhängige Detektivin fühlte als wie ein Mitglied der Staatsanwaltschaft, rechtfertigte sie ihre Untersuchungsmethode damit, dass ihr Vater den Schwur geleistet hatte, für Gerechtigkeit zu sorgen, egal auf welche Weise.

Abends gegen sechs Uhr sollten die Miners, Marie Johnson – eine weitere Nachbarin – und die Cargills mit ihrem Sohn Dale zu ihrem Vater zum Essen und Bridgespielen kommen. Big Jim hatte seine Haushaltshilfe gebeten, für sie zu kochen.

Als Dale nicht rechtzeitig auftauchte und das Essen ohne ihn begann, war Kyra nicht böse. Vielleicht hatte sie ja Glück, und er kam gar nicht.

Zu ihrer Enttäuschung rief er aber an, als gerade das Roastbeef serviert wurde. Kyra nahm den Anruf entgegen.

„Auf einer meiner Baustellen hat es ein Problem gegeben“, sagte er leicht gedehnt, als hätte er sich schon ein paar Drinks genehmigt. „Fangt ruhig schon ohne mich an. Ich komme, so schnell ich kann.“

Das freute Kyra nicht besonders. Aber sie richtete es ihrem Vater aus.

Sie war dankbar, dass das Gespräch sich nicht um ihre aufgefrischte Beziehung zu David drehte. Kyra murmelte die Antworten, die man von ihr zu erwarten schien, und schob das Essen zerstreut auf ihrem Teller hin und her. Schließlich kamen sie auf den letzten Skandal in Washington, D. C. zu sprechen, bei dem es um einen Senator ging, der wegen der Peinlichkeiten, die durch sein privates Tagebuch herausgekommen waren, seinen Hut nehmen musste.

„Offen gestanden überrascht es mich, dass sich jemand die Mühe macht, bei all der Arbeit, die er hat, auch noch Tagebuch zu führen“, meinte Big Jim, „und darin sozusagen all seine privaten Fehltritte beichtet.“

Betty Cargill widersprach. „Viele Menschen führen ein Tagebuch“, sagte sie. „Ich auch, genau wie Dale. Er hat es vermutlich von mir übernommen. Obgleich er nicht gerade schreibwütig ist, führt er es treu seit seiner Schulzeit. Gerade weil man darin beichtet, hilft es auch.“

Kyra hatte gehofft, sich nach dem Essen verdrücken zu können und die Älteren dem Kartenspiel zu überlassen. So war sie enttäuscht, als Dale zum Dessert doch noch auftauchte. Big Jim musste wenig Überzeugungsarbeit leisten, um Dale noch zu Roastbeef und Kartoffelbrei zu überreden, was Kyras Langeweile nur verstärkte. Sie musste nun auch noch zusehen, wie er das Essen in den Mund schaufelte, während sie zusammen mit der Haushälterin abräumte und Red Miner und Big Jim den Kartentisch vorbereiteten.

Der Gedanke daran, dass Dale sie als Spielpartner wieder mit seinen plumpen Annäherungsversuchen, seinen uninteressanten Gesprächen und seinem mangelnden Spielgeschick nerven würde, wurde so unerträglich, dass sie sich überlegte, wie sie dem entkommen könnte. Das einzige, worauf sie im Moment Lust hatte, war, David zu sehen!

Seine Einladung anzunehmen war womöglich riskant. Wenn sie ohne Ankündigung bei ihm auftauchte, müsste sie damit rechnen, Suzy Horvath dort anzutreffen. Aber vielleicht konnte sie das ja vorher herausfinden.

„Dad … Leute … tut mir leid, aber ich habe schreckliche Kopfschmerzen. Wahrscheinlich habe ich zuviel über den Akten gesessen. Außerdem habe ich im Reservat leider ohne Sonnenbrille mit den Zeugen gesprochen.“ Sie massierte sich die Schläfen. „Ich hoffe, ihr nehmt es mir nicht allzu übel, wenn ich heute Abend aufs Kartenspielen verzichte. Ich fahre noch ein wenig in der Gegend herum. Ein bisschen frische Luft wird mir guttun.“

Noch bevor Dale ihr das ausreden oder sogar seine Begleitung anbieten konnte, schlossen die Miners sich an. „Red war bis um drei Uhr früh am Unfallort“, erklärte Flossie, „und ich habe die ganze Zeit auf ihn gewartet. Wir sind auch nicht gerade in der Verfassung, heute Abend Trümpfe zu zählen.“

Kyra warf Flossie einen dankbaren Blick zu und vermied es, auf die unausgesprochenen Fragen ihres Vaters zu reagieren. Sie nahm ihre Handtasche, eine Strickjacke und die Wagenschlüssel. Vermutlich bin ich völlig verrückt, überlegte sie. Dann stieg sie in ihren Jeep und verließ die Stadt in Richtung Nordosten. Dabei konnte ja nichts Gutes herauskommen …

Gerade als Kyra losfuhr, bekam David einen Anruf von Suzy Horvath. „Ich weiß, es ist schon recht spät für eine Einladung, aber hast du schon gegessen?“, fragte sie, als er den Hörer abhob. „Falls nicht, was würdest du dazu sagen, wenn ich mit einer Flasche Wein und ein paar Steaks vorbeikommen und für dich kochen würde?“

Wäre nicht Kyra wieder in seinem Leben aufgetaucht, hätte David dieses Angebot wohl angenommen. Doch nun sah alles ganz anders aus. „Heute Abend nicht“, sagte er ohne weitere Erklärung.

Suzy klang enttäuscht. Und ein wenig eifersüchtig. „Wirklich nicht?“, drängte sie, und ihre sonstige Heiterkeit drohte ins Schrille abzugleiten.

David wollte ihre Gefühle nicht verletzen. Er sagte nur sachlich: „Tut mir leid, ich habe etwas anderes vor.“

Dann legte er auf und ging zurück in seine ganz mit Holz, Stein und Kupfer eingerichtete gemütliche Küche, wo er gerade ein Navajo-Lammgericht zubereitete. Ob seine Hoffnung sich wohl erfüllte? Schlimmstenfalls müsste er allein essen. Vielleicht wäre das auch gar nicht so schlecht …

Vermutlich war es verrückt, zu erwarten, dass Kyra seine vage Einladung annehmen würde. Doch seitdem Jody Ann Daniels ihm mitgeteilt hatte, dass sie ihrem Vater beruflich helfen würde, dachte er an nichts anderes als daran, sie wiederzusehen.

Eigentlich hatte er sein Haus nur für sie gebaut … ohne zu wissen, ob sie je ihren Fuß hineinsetzen würde. Er sortierte die Zutaten für die Maisklöße, die sanft über dem köstlichen Stew, das seine Großmutter Mary Many Horses ihn zu kochen gelehrt hatte, dämpfen würden.

Er, der vor einer Heirat zurückgeschreckt war, nach der Kyra sich so sehr sehnte, hatte ihr ein Haus gebaut. Wenn sie noch so war, wie er sie in Erinnerung hatte, wie er sie erträumte, dann würde er sie jetzt bitten, seine Frau zu werden. Vorausgesetzt, er bekäme Gelegenheit dazu, natürlich! Aber erst musste alles wieder in Ordnung kommen, erst musste sie ihm verzeihen, dass er als junger Mann so freiheitsliebend und egoistisch gewesen war.

Als er die Schüssel mit den frischen Maiskörnern und die weiteren Zutaten auf dem Tresen zurechtlegte, beschloss er, Butter und Milch doch noch nicht beizumischen. Er würde noch etwas warten. Und auf ein Wunder hoffen. Obgleich es schon halb neun war, könnte sie ja vielleicht doch noch vorbeikommen.

Als Kyra die Route 89, die ihr im Dunkeln wenig vertraut war, entlangfuhr, schoss ihr durch den Kopf, wie unsinnig es war, Davids beiläufige Einladung ernst zu nehmen! Sie hätte doch zumindest ein paar Tage warten können, statt sich gleich auf den Weg zu machen! Nun würde er sicher denken, sie sei noch immer verrückt nach ihm.

Abwechselnd stellte sie sich vor, herzlich willkommen geheißen zu werden oder ihn in Damengesellschaft anzutreffen. In der einbrechenden Dunkelheit versuchte sie, die Namen an den Briefkästen zu entziffern, die am Straßenrand, abseits des Highway, aufgestellt waren und gelegentlich von Bäumen verdeckt waren. Vielleicht sollte sie doch lieber umkehren?

Aber ihre Abenteuerlust war stärker. Wenn sie seinen Briefkasten fände, würde sie an seine Tür klopfen, ganz einfach. Die Entscheidung lag somit nicht mehr bei ihr. Einen Vorwand für ihren Besuch brauchte sie nicht, nicht mal sich selbst gegenüber. Sie nahm die Einladung aus Neugier an, nicht etwa weil sie ihm vergeben und sein übles Verhalten vergessen hatte!

Wenn er ihre Achtung wiedergewinnen wollte, musste er unumwunden zugeben, dass er das Geld genommen hatte. Vielleicht ahnte er nicht, dass das für sie Vorrang vor allem hatte. Vielleicht wusste er gar nicht, dass ihr Vater ihr von dem Bestechungsgeld überhaupt erzählt hatte.

Wie immer es sich entwickelte, sie durfte sich auf keinen Fall wieder in ihn verlieben. Sie konnte ihre Neugier darüber befriedigen, wie er jetzt lebte, feststellen, dass es ihm gut ging, musste aber erhobenen Hauptes wieder das Haus verlassen!

Als sie etwas langsamer fuhr, entdeckte sie seinen Briefkasten. In ihrem Magen kribbelte es sogleich. Die Angst davor, einen großen Fehler zu machen, und eine wilde Hoffnung mischten sich. Kyra bog links in einen Kiesweg ein, der sich an einer Koppel und einem Pferdestall vorbei eine Anhöhe hinaufwand, wo prächtige Tannen und Davids eindrucksvolles Haus standen.

Er schien zu Hause zu sein, denn in mehreren Zimmern brannte Licht.

Kyra parkte den Jeep auf dem Kiesweg, stieg aus und schloss die Fahrertür. Nervös strich sie sich das Haar und ihre enge schwarze Hose glatt. Falls er gerade Musik hörte, hatte er ihr Kommen vielleicht nicht bemerkt. Theoretisch konnte sie es sich also noch anders überlegen. Aber nein, sie war ihm schon zu nahe, um wieder umzukehren.

Ich will ja nur, dass er zugibt, wie schlimm er sich damals verhalten hat, ermutigte sie sich und klopfte an die Haustür. Er sollte ihr sagen, dass er den größten Fehler seines Lebens begangen habe und ihn jetzt zutiefst bereue. Vielleicht konnte sie dann die Scherben ihrer Vergangenheit zusammenkehren und befreit mit dem Leben fortfahren.

Sobald der Naminga-Fall abgeschlossen war, würde sie nach Kansas City zurückgehen. So gern sie auch mit David schlafen wollte, keinesfalls würde sie so dumm sein, sich mit ihm einzulassen.

Als er plötzlich die Tür öffnete und sie sichtlich erfreut anschaute, schrak sie doch zusammen.

„Komm doch herein.“ Er trat zur Seite. „Das Essen ist in etwa zwanzig Minuten fertig. Ich habe dich erwartet.“

4. KAPITEL

Da Kyra bei ihrem Vater nur wenig gegessen hatte, weckte der wunderbare Duft, der ihr in die Nase stieg, sogleich ihren Appetit.

„Das riecht ja köstlich“, sagte sie.

Die beiden attraktiven Lachfalten rechts und links von Davids Mund vertieften sich. Kyra hier zu wissen, bei ihm, in seinem Haus, war einfach wunderschön. Ihm war, als habe das Gebäude erst jetzt eine Seele erhalten, als sei es erst dadurch zu einem wirklichen Zuhause für ihn geworden.

„Lammeintopf auf Navajo-Art mit Maisklößen, dazu gibt es Salat. Und Pfirsichtörtchen als Nachtisch“, sagte er. „Ein Freund aus Chinle hat mir in der vergangenen Woche Pfirsiche mitgebracht. Du mochtest sie doch immer so gern.“

In seiner Nähe bekam Kyra immer Appetit … wenn auch nicht auf Essbares. Sie musterte unauffällig seine athletische Figur, die kräftigen Schultern in dem verwaschenen Cordhemd. Im Vergleich zu ihm fühlte sie sich in ihrem hellen Kaschmirtwinset beinahe zu fein gekleidet. Zum Glück hatte sie ihr Haar nicht seriös aufgesteckt, sondern trug es offen.

Als sie damals gemeinsam am Fall Leonard Naminga arbeiteten, war es ein paarmal beinahe dazu gekommen, dass sie miteinander schliefen. Bei mindestens einer dieser Gelegenheiten, als sie in seinem Wohnwagen auf dem schmalen Bett neben ihm lag und sie sich zärtlich küssten, hatte er ihr gesagt, wie wundervoll er es fand, wenn ihr Haar ihm wie ein Vorhang über das Gesicht hing.

„Es ist wie ein Wasserfall“, hatte er geflüstert.

Wenn er sie damals doch genug gewollt und ihren Vater in die Wüste geschickt hätte …

Kyra besann sich und betrachtete ihre Umgebung. Wie sie vom Wohnzimmer aus sehen konnte, war das Haus geräumig, besaß einen Kamin und bequeme Samtsofas. Auf dem mexikanischen Terracottaboden lagen indianische Teppiche. Davids Haus war äußerst stilvoll eingerichtet. Neben indianischen Kunstwerken gab es auch afrikanische, sowohl alte als auch moderne. Im Kamin knisterte ein Feuer, über einem Sessel hing eine Navajo-Wolldecke für kühle Abende.

„Ich zeige dir gern das ganze Haus“, bot David an, der erfreut ihr Interesse registrierte. „Ich muss nur eben noch die Klöße machen und sie in den Dampftopf legen.“

Kyra folgte ihm in die Küche und setzte sich auf einen Hocker neben den frei stehenden Herd in der Mitte des Raumes.

Sie mochte die Art, wie David sich bewegte, und sie schaute ihm gern dabei zu, wie er Küchenarbeit verrichtete. Dabei hatten sie ja eigentlich etwas Ernstes zu besprechen …

Dass David kochen konnte, machte ihn für sie um so attraktiver. Er gab sich immer Mühe damit, selbst bei sehr einfachen Bohnengerichten – mehr hatten sie sich damals nicht leisten können.

Nachdem er die Klöße fertig zubereitet und den Herd auf die richtige Temperatur gestellt hatte, öffnete er eine Flasche kalifornischen Weißwein, den er gekühlt hatte. „Der stammt von einem Freund von mir, der selbst Wein anbaut und den ich mal bei einem Prozess vertreten habe.“ Er goß zwei Gläser voll und reichte Kyra eins davon.

Kyra hoffte, dass er keinen Toast aussprechen würde, wie etwa „Auf die guten alten Tage“, denn das würde unausweichlich in Vorwürfen enden.

David schien das zu spüren. „Möchtest du dich ein bisschen umschauen?“, schlug er vor.

Mit den Gläsern in der Hand gingen sie erst in seinen Bürotrakt, den man durch einen langen Flur erreichte und der etwas abgelegen war. Er war nicht groß, enthielt aber immerhin noch ein Zimmer für die Sekretärin sowie ein kleines Duschbad.

Kyra betrachtete den Arbeitsbereich und die großen Fenster, durch die man die Berge sehen konnte.

Wenn ich mit ihr hier zusammen wohnen und arbeiten würde, müsste ich noch ein Zimmer anbauen, dachte er. Aber zwischen Wunsch und Wirklichkeit klaffte eine große Lücke. Und sie beide hatten wenig Zeit, nur die paar Wochen, die Kyra in Flagstaff bei ihrem Vater sein würde.

Er musste sie auch erst wieder kennenlernen, um zu wissen, ob seine Gefühle ihn nicht trogen und ob er auch für sie der Richtige war. Vielleicht konnte sie ihm irgendwann einmal vergeben, und sie hätten Gelegenheit, sich langsam und vorsichtig wieder einander anzunähern.

Das Esszimmer lag neben Wohnzimmer und Küche und war kleiner als das Wohnzimmer. Durch gläserne Schiebetüren gelangte man in den Garten und zum Swimmingpool. Tisch und Anrichte waren aus Tannenholz, an der Wand hing ein großes Gemälde, das einen traditionellen Hopi-Tänzer zeigte.

„Deine Sammlung indianischer Töpferwaren gefällt mir“, sagte Kyra und wies auf die Gefäße, die auf der Anrichte standen. „Vielleicht klingt das jetzt albern, aber für mich sind sie viel mehr als reine Behälter. Sie regen die Fantasie an, über die Vergangenheit nachzudenken.“

David ging es genauso. Vielleicht haben die Frakes ja auch etwas indianisches Blut in sich, dachte er. „Komm mit, ich zeige dir noch, wo ich schlafe, dann können wir essen“, sagte er so leichthin wie möglich.

Kyra seufzte innerlich vor Sehnsucht, als sie sein Schlafzimmer betrat. Es war moderner eingerichtet als der Rest des Hauses und hatte ein hohes Glasdach, durch das man den nächtlichen Himmel sehen konnte. Außer dem Schrank und einer Mahagonikommode gab es kaum Möbel. An einer Wand befand sich ein Kamin, die riesige Matratze lag direkt am Boden und war mit einem handgemachten Quilt bedeckt.

Das Ganze wirkte elegant, erinnerte aber wegen seiner Schlichtheit auch an die einfache Hütte, in der David aufgewachsen war. Auch dort schlief man auf einer Decke am Boden, und es gab oben eine Öffnung, durch die der Rauch beim Kochen abziehen konnte.

David spürte, dass Kyra die Ähnlichkeit bemerkte. „Man kann einen Jungen aus dem Reservat herausholen, nicht aber das Reservat aus ihm“, sagte er lächelnd.

Kyra stellte sich unweigerlich vor, wie es wäre, hier mit ihm zu schlafen. Bei der Vorstellung, wie sie beide eng umschlungen dalägen, nachdem sie sich leidenschaftlich und ausgiebig geliebt hätten, wurde ihr ganz heiß.

Ihr Herzklopfen beruhigte sich erst, nachdem sie in der Küche alles auf ein Tablett gestellt hatten und nach draußen gingen, um am Pool zu essen. Kyra fand es wunderbar, auf diese Weise bedient zu werden.

Sie vermieden es, über ihre Trennung zu sprechen, sondern diskutierten über Kyras Arbeit in Kansas City und über wichtige Fälle, die David unlängst abgewickelt hatte. Später brachte er das Gespräch auf seinen Urgroßvater mütterlicherseits, auf Henry Many Horses, der sein Mentor gewesen war und vor einigen Jahren im gesegneten Alter von einundneunzig am Ufer des Little Colorado gestorben war.

„Ich erinnere mich daran, ihm einmal begegnet zu sein“, sagte Kyra. „Er war Schamane, nicht?“

David nickte. „Als er jung war, waren Heilzeremonien nach der Tradition der Dineh seine Spezialität. Als er älter wurde, besann er sich aber auch auf die esoterischen Lehren, die sein Großvater ihm vermittelt hatte, und entwickelte, wie er es nannte, die Kraft, die alle Menschen besäßen, um Zeit und Raum zu überwinden und die Wahrheit zu finden. Als er spürte, dass er nicht mehr lange leben würde, hat er auch mich in diese Geheimnisse eingeweiht, damit ich dereinst in seine Fußstapfen treten kann.“

Kyra konnte sich nicht vorstellen, dass David trotz dieser sicher bedeutungsvollen Kenntnisse je seine erfolgreiche Anwaltspraxis aufgeben würde, um Stammes-Medizinmann zu werden. Allerdings spürte sie, dass er im Gegensatz zu früher großes Selbstvertrauen ausstrahlte.

Als Abschluss des reichhaltigen Menüs gab es Pfirsichtörtchen mit Vanilleeis und Kaffee. „Keine Zigarre?“, fragte Kyra.

„Nein, die mag ich nicht mehr, ich bin inzwischen erwachsener geworden.“

Sie räumten das Geschirr ab und hörten beim Abwaschen eine CD mit Flötenmusik.

Soweit David es beurteilen konnte, war von der wütenden Kyra, die sich im Gerichtsgebäude aus seinen Armen befreit hatte, nichts mehr zu spüren. Allerdings verhielt er sich nun auch besonders vorsichtig.

Als sie fertig waren, zeigte er ihr Fotos, die er für ein Buch über den Einfluss indianischer Behausungen auf die moderne amerikanische Architektur aufgenommen hatte. Beim Herumreisen im Westen hatte er zu seiner Verwunderung mehrere Häuser entdeckt, die seinem eigenen verblüffend ähnlich sahen.

Kyra ahnte nicht, dass David nur auf den richtigen Zeitpunkt wartete, ihr ein Bad im Pool vorzuschlagen. Er hoffte nämlich, dass das ihren Aufenthalt bei ihm ein bisschen verlängern würde.

Als er schließlich damit herauskam, sah Kyra ihn verwundert an. „Aber es ist doch ziemlich kalt draußen“, wendete sie ein. „Außerdem habe ich natürlich keinen Badeanzug mitgebracht.“

„Na ja, der Pool ist beheizt“, erklärte er. „Wenn wir unsere Schultern unter Wasser behalten, wird uns warm genug sein. Und einen Badeanzug brauchst du nicht. Falls du Skrupel hast, nackt zu baden, kann ich ja die Beleuchtung ausschalten. Wir haben Neumond, da ist es besonders dunkel. Ich habe auch einen Bademantel für dich, dann frierst du nicht.“

Seinen Vorschlag anzunehmen wäre ziemlich riskant für mich, dachte Kyra. Andererseits reizte sie gerade das. Trotz der Vorbehalte, die sie gegen David hatte, fand sie ihn noch immer äußerst attraktiv und wollte nicht daran denken, dass er mal ihr Herz gebrochen hatte.

Außerdem war sie keine Jungfrau mehr, und selbst wenn er einen kurzen Blick auf ihren nackten Körper würfe, wäre das auch nicht der Weltuntergang. Seit Jahren träumte sie von ihm, und obgleich es natürlich ein bisschen ungewöhnlich war, hatte sie große Lust, dieses Risiko einzugehen.

„Also gut“, sagte sie und versuchte, gelassen zu wirken, „es kann ja nicht schaden.“

Als er ihr den weißen Frotteemantel reichte, streiften ihre Hände sich kurz und ließen an vergessene Berührungen denken.

Ob David seine Entscheidung von damals wohl bereut? überlegte Kyra. Na ja, es war eigentlich auch unwichtig, wie er darüber dachte. Jedenfalls konnten sie nicht da fortfahren, wo sie einmal aufgehört hatten. Sie würde ihm zeigen, dass sie nun erwachsen war und keine Angst vor ihm hatte. Dann würde sie wieder gehen … und ihn erst im Gerichtssaal wiedersehen.

Kyra zog sich im Gästebad um und folgte David im Bademantel nach draußen. Er trug den gleichen wie sie. Ihr fiel auf, dass er etwas nervös wirkte. Erst schaltete er die Terrassenlampen aus und dann auch die Unterwasserbeleuchtung im Pool.

Sogleich war alles stockfinster, nur die Sterne waren verstreut am samtschwarzen Himmel zu sehen. Ich bin wirklich hier bei David! dachte Kyra staunend.

Sekunden später hörte sie ein Platschen. David hatte seinen Bademantel abgelegt und war nackt ins Wasser gesprungen.

„Komm rein“, rief er, als er wieder auftauchte, „nach dem ersten Schock ist es herrlich!“

Obgleich Kyra ihn im Dunkeln kaum sehen konnte, waren seine Schultern und das nasse, anliegende Haar schwach zu erkennen.

„Dreh dich um, dann komme ich“, bat sie.

Er drehte sich sofort um und schaute zu den Bergen hinüber, die sein Volk als Heiligtum betrachtete. Er hatte ihr ja nicht versprochen, sich nicht vorzustellen, wie sie aussah, mit rosafarbenen, aufgerichteten Brustspitzen und den weichen Kurven ihres Körpers. Wie es wohl war, das blond gelockte Dreieck zwischen ihren Schenkeln zu berühren und ihre weiblichen Geheimnisse zu erkunden …

Ein leises Plätschern und kleine Wellen verrieten, dass Kyra nun auch im Pool war. Er hörte, wie sie beim Eintauchen vor Kälte nach Luft schnappte, aber bald würde sie sich an die Temperatur gewöhnen.

Der Pool war so lang, dass man darin eine recht anständige Strecke zurücklegen konnte. „Was hältst du davon, wenn wir zum tieferen Ende schwimmen, dann wird uns warm“, schlug David vor.

Kyra stimmte zu, und beide schwammen gemächlich in diese Richtung. Nur das Bewusstsein der Gegenwart des anderen verband sie. Das reichte allerdings, um die Fantasie zu beflügeln.

Falls David versuchen sollte, mich zu berühren, verlasse ich sofort den Pool, ziehe mich an und fahre weg, schwor Kyra sich. Gleichzeitig stellte sie sich genussvoll eine nasse, leidenschaftliche Umarmung im Wasser vor, durch die Vergangenheit und Gegenwart miteinander verschmelzen würden.

Als sie am anderen Ende angekommen waren, kam es wieder zu einer kurzen Berührung. Beide hielten sich am Rand fest, ihre Körper waren nur Zentimeter voneinander entfernt, Kyras Mund so dicht neben seinem, dass sie Davids Atem zu spüren glaubte.

„Ist dir schon wärmer?“, fragte er mit belegter Stimme.

„Ja, etwas.“

Wollte er sie küssen? Wenn sie sich nackt umarmten, würden sich Kyras Vorsätze allesamt in Luft auflösen! Sie würden erst Liebende sein und dann unweigerlich zu Feinden werden. Nein, bevor so etwas zwischen ihnen passierte, mussten sie erst noch die schmerzvolle Vergangenheit ansprechen.

David musste all seine Selbstbeherrschung aufbringen, um Kyra nicht in die Arme zu nehmen. Er begehrte sie so sehr und seit so langer Zeit! Mit jeder Faser seines Körpers sehnte er sich nach ihr.

Aber er wollte sie nicht nur für eine Nacht verführen, um sie dann sofort wieder zu verlieren. In seinem Gesicht begann ein Nerv zu zucken, so sehr strengte er sich an, seiner Erregung Herr zu werden. Wenn er noch einmal eine Chance haben wollte, musste er es ruhig angehen, Kyra sehr vorsichtig behandeln und ihr beweisen, dass er sich geändert hatte.

Er riss sich energisch von ihr los und schwamm in kräftigen Zügen ans andere Ende zurück. Kyra, die überrascht war, dass er so plötzlich weg war, sah, wie er die Beckenstufen hinaufstieg und den Bademantel anzog.

Der kurze Anblick seiner bronzenen Nacktheit weckte erneut ihre Lust auf ihn. Sie sollte jetzt lieber nach Hause fahren, bevor sie noch etwas tat, was sie später bereuen würde!

„Ich glaube, ich gehe auch lieber raus. Könntest du dich bitte noch mal umdrehen?“, bat sie und schwamm ins flachere Wasser zurück.

David wollte aber nicht wegsehen. Er tat es auch nicht. Innerlich bat er sie, dennoch zu glauben, dass er sich zurückhalten würde. Er reichte ihr den Bademantel.

Kyra spürte, dass er sie nur anschauen wollte. Wenn sie darauf bestünde, würde er sich vermutlich umdrehen. Soll er mich doch ansehen, dachte sie. Vielleicht tut es ihm dann um so mehr leid. Sie joggte regelmäßig, trainierte dreimal pro Woche in einem Sportstudio, um sich fit zu halten, und war in bester körperlicher Verfassung.

Das sollte ihn ruhig reizen. Aber dann würde sie ihm mitteilen, dass sie nun losfahren müsse. Geschmeidig stieg sie aus dem Wasser und spürte seinen bewundernden Blick auf sich.

Die kalte Nachtluft, die ihre nasse Haut streifte, dämpfte ihren Triumph allerdings. Obgleich sie sich eilig in den Bademantel hüllte, fröstelte sie doch sichtbar.

„Ach, mein Liebes …“ David schämte sich plötzlich dafür, dass er darauf bestanden hatte, Kyra nackt anzuschauen, und legte die Arme um sie. „Komm mit hinüber zu einer der Terrassenliegen und lass dich wärmen. Ich mache schnell das Kaminfeuer an.“

In Kyra überwog das schöne Gefühl, so liebevoll umhegt zu werden. Sie verdrängte ihr leises Rachebedürfnis und erlaubte David, sie zu einer der bequemen Liegen zu führen und sie in eine weiche, warme Decke zu wickeln.

Die Pinienzweige, die im Außenkamin aufgetürmt waren, brannten sogleich, nachdem David sie angezündet hatte, und der Rauch stieg in den Himmel. Da kaum Wind herrschte, spürte Kyra bald die ausstrahlende Wärme.

Als David zurückkam, legte er freundschaftlich den Arm um sie. „Besser?“, fragte er.

Kyra nickte. Ob seine Fürsorge nun echt war oder Vorspiel zur Verführung, war ihr im Augenblick egal.

„Ich habe mir den Kamin für genau solche Abende wie heute einbauen lassen“, erklärte David, verschwieg aber, dass er dabei schon damals an sie gedacht hatte. „Wenn es warm genug ist, verbringe ich die Nacht oft hier im Freien, direkt unter den Sternen.“

Kyra beschloss, nur noch ein bisschen dazubleiben und dann zu fahren. „Wenn man in Kansas City lebt, vergisst man ganz, wie klar der Himmel sein kann“, sagte sie leise. „Man hat das Gefühl, die Sterne berühren zu können. Wie nennst du die Plejaden noch mal?“

Sie spürte, wie er darüber lächelte, dass sie nicht vergessen hatte, was er ihr beigebracht hatte. „Dilyehe“, erwiderte er.

„Du hast mir mal eine Geschichte erzählt …“

„Wie der Himmel mit einer Tasche voller Kristalle übersät wurde?“

„Ja, die.“

„In ihr wird von der Ordnung erzählt, mit der der Schwarze Gott die Sterne an ihre Stelle setzte: den ‚Mann mit gespreizten Füßen‘, die ‚Gehörnte Klapperschlange‘, den ‚Donner‘ und ‚Die Kaninchenfährten‘.“ David nannte die Navajo-Namen. „Aber die Sorgfalt, mit der er vorging, wurde nicht belohnt. Koyote, der Listige, stahl ihm die Tasche, schleuderte den Inhalt in alle vier Ecken des Universums und erschuf so die weite, glänzende Milchstraße.“

Inzwischen war Kyra wieder warm geworden. „Eine schöne Geschichte“, sagte sie gähnend. „Eines Tages, wenn du eine Familie gründest, musst du sie deinen Kindern erzählen.“

David hätte gern Kinder mit ihr gehabt. Die würden das Beste von zwei Kulturen mitbekommen und mit Kyra als Mutter wunderschön sein … Aber bevor er davon sprechen konnte, warum er sie damals verließ, hatten sie noch einen langen Weg vor sich. Wenn er das Thema zu schnell anschnitt, würde sie die Gründe nicht verstehen.

„Weißt du“, wechselte er das Thema, „einige meiner Vorfahren glauben, wie eine Menge Physiker heutzutage, dass alles gleichzeitig existiert, dass es also keine Zeit gibt. Mein Urgroßvater war derselben Meinung. Er behauptete, jeder Mensch könne die Zeit überwinden und in die Vergangenheit reisen oder in die Zukunft, vorausgesetzt, er hat genug Weisheit erlangt und das Bedürfnis danach ist groß genug.“

Autor

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