Bianca Gold Band 45

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DU SOLLST MEIN DADDY SEIN von CHRISTENBERRY, JUDY
Jacey ist fünf, fröhlich und frech! Und sie weiß, was sie will: einen Mann für ihre Mutter Rachel und einen Vater für sich selbst. Listig bringt sie den reichen John Crewes deshalb dazu, ihren Vater zu spielen - und zum Schein ihre Mutter zu heiraten. Ein Kinderspiel, oder?

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  • Erscheinungstag 23.05.2018
  • Bandnummer 0045
  • ISBN / Artikelnummer 9783733734299
  • Seitenanzahl 447
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Judy Christenberry, Mollie Molay, Cathy Gillen Thacker

BIANCA GOLD BAND 45

1. KAPITEL

„Ich habe Geld.“

John Crewes blickte überrascht hoch. Im Liegestuhl auf seiner Terrasse wollte er sich entspannen. Kinder gehörten nicht dazu, besonders nicht dieses über dem Zaun hängende Kind.

„Wer bist du? Und wieso störst du mich?“

„Ich wünsche eine geschäftliche Besprechung“, erklärte das Mädchen mit der Würde einer Bankpräsidentin.

John wandte sich wieder dem „Wall Street Journal“ zu. „Schön. Und jetzt verschwinde.“

„Nein, mit dir“, erklärte sie. „Ich habe Geld.“

„Warum wiederholst du das?“

„Weil ich dich engagieren will.“

Das weckte Johns Aufmerksamkeit. Er war Finanzexperte. Manche Leute hielten ihn sogar für ein Genie. Die Kleine wollte eine Anlageberatung? Plötzlich fiel ihm ein, woher er sie kannte. Sie war zu Beginn des Schuljahres mit ihrer Mutter nebenan eingezogen.

„Wo ist deine Mutter?“

„Pst!“, warnte sie entsetzt. „Sie darf nichts davon wissen.“

„Ich sollte dir aber nicht helfen, wenn deine Mutter damit nicht einverstanden ist.“

„Es geht um mein Geld. Mom hat gesagt, dass ich es ausgeben darf, wie ich will, wenn es nichts Schlechtes ist.“

Ihre Entschlossenheit amüsierte ihn. „Willst du herüberkommen?“ Er wusste nicht, worauf sie stand. Jedenfalls reichte sie mit ihrer kleinen Stupsnase gerade bis zum Rand des Zauns.

„Ja.“

Das Gesicht verschwand, dann raschelte es, als sie zu seinem Gartentürchen lief, und gleich darauf quietschte der Riegel. John musste ihn ölen. Auf seinem Grundstück hatte nichts zu quietschen.

Das kleine Mädchen in Shorts und T-Shirt tauchte mit schmutzigen Knien und einem schwarzen Fleck auf der Wange vor ihm auf. Das dunkelbraune Haar war zu einem zottigen Pferdeschwanz gebunden. Neben dem Liegestuhl blieb die Kleine stehen und gab sich plötzlich verschämt.

John ließ die Zeitung sinken und verschränkte die Arme. „Also, was für einen Rat willst du?“

Sie hielt den schmutzigen Zeigefinger an die rosigen Lippen. „Gar keinen. Ich will nicht mit dir reden, sondern dich engagieren. Ich habe Geld.“

Ihre Hartnäckigkeit war köstlich. „Ich mähe nicht mehr für andere Leute den Rasen. Lass dir lieber von deiner Mutter helfen.“

„Nein, das geht nicht. Sie ist doch ein Mädchen.“

Ihr trauriger Blick rührte ihn. „Muss es denn ein Junge sein? Na gut, was willst du?“

„Einen Daddy.“

Sie musterte ihn mit einem prüfenden Blick, als wäre er ein seltenes Exemplar unter einem Mikroskop.

„Tut mir leid, Schatz, aber du hast kein Glück. An einer Heirat bin ich nicht interessiert.“ Das war die Untertreibung des Jahrhunderts. Ein einziges Mal hatte er diese hochgelobte Institution ausprobiert und war gar nicht gut damit gefahren. Seither ging er nur zeitlich begrenzte Bindungen ein.

„Ich auch nicht.“

Konnte es sein, dass ihm ein Freund einen Streich spielte? „Sehr gut. Für eine Bindung bist du auch noch etwas zu jung.“

„Aber ich brauche einen Daddy.“

„Darüber musst du mit deiner Mommy sprechen.“

„Nein. Mommy sagt, dass wir keine Männer brauchen. Wir sind zwei selbstständige Mädchen.“

„Aha. Dann brauchst du also vermutlich keinen Daddy.“

„Doch! Ich will nicht immer die Einzige sein.“

„Die Einzige was?“

Eifrig setzte sie sich auf die Kante des Liegestuhls. „Die anderen Kinder haben alle einen Daddy.“

„Das stimmt sicher nicht. Bei den vielen Scheidungen haben garantiert auch andere Kinder in deiner Klasse keinen Daddy.“

„Die Mommy von Lisbeth hat für sie einen Daddy gefunden. Jetzt sind nur noch Earl und ich übrig, und er zählt nicht.“

„Warum nicht?“

„Weil es ihm egal ist.“

„Hör mal …“ John unterbrach sich. „Wie heißt du eigentlich?“

„Jacey.“

„Also, Jacey, das ist eine Sache zwischen dir und deiner Mutter. Wenn Lisbeths Mommy einen Daddy finden kann, dann kann das deine Mommy bestimmt auch.“ Nach allem, was er aus der Ferne von ihrer Mommy gesehen hatte, konnte sie sogar jede Menge Daddys finden. Sie hatte langes, dunkles Haar, eine kurvenreiche Figur und volle Lippen, die geradezu zum Küssen einluden. Das war ihm natürlich aufgefallen.

„Freilich kann sie das“, bestätigte Jacey. „Aber sie will nicht.“

Das Gespräch führte zu nichts, und er hatte noch nicht einmal die Schlagzeilen überflogen. „Ich möchte jetzt meine Zeitung lesen, Jacey. Geh wieder in euren Garten und spiele.“

John atmete erleichtert auf, als sie aufstand. Er hätte nicht gedacht, dass er sie so leicht loswerden könnte. Doch anstatt zu gehen, holte sie einen kleinen Beutel aus der Hosentasche und versuchte, die Kordel zu öffnen.

„Was machst du da?“

„Ich zeige dir mein Geld. Ich habe dir doch gesagt, dass ich Geld habe.“

„Das hast du, aber ich verstehe nicht …“

„Ich will dich als Daddy engagieren.“

Ihre Beharrlichkeit gefiel ihm. Die Kleine würde es im Leben weit bringen, allerdings ohne ihn. „Dafür kann man niemanden engagieren.“

„Warum nicht? Das brauchst du ja nur manchmal zu machen.“

„Wovon sprichst du?“

Prompt setzte sie sich wieder auf den Liegestuhl und tätschelte sein Knie. „Es ist bestimmt nicht schwer.“

„Was ist nicht schwer?“

„Wenn du den anderen Kindern von deiner Arbeit erzählst. Du kannst beschreiben, wie du die bösen Verbrecher fängst und um dich schießt und …“

„Moment! Langsam! Ich bin kein Polizist.“

Jacey war sichtlich schwer enttäuscht. „Ach, ich dachte … Bist du ein Feuerwehrmann?“, fragte sie hoffnungsvoll.

„Tut mir leid, mein Schatz, ich bin in der Finanzwelt tätig.“

„In was?“

„Ich lege für andere Leute ihr Geld an und sorge dafür, dass es sich vermehrt.“

Offenbar beeindruckte sie das überhaupt nicht, doch sie beugte sich vor und tätschelte seine Wange. „Schon gut, die anderen werden dich trotzdem mögen.“

John musste lächeln. Was für ein Kind! „Vielen Dank für deinen Zuspruch, aber ich kann nicht …“

„Es dauert doch nicht lange. Die Daddys bleiben nicht den ganzen Tag.“ Sie machte ein verzweifeltes Gesicht. „Außerdem habe ich jetzt schon gesagt, dass du kommst.“

Jetzt kamen sie endlich zum springenden Punkt. „Jacey, dann musst du eben deinem Lehrer sagen, dass du geschwindelt hast.“

„Ich habe drei Dollar und siebenundsechzig Cents“, erklärte sie hastig und kämpfte erneut mit dem Beutelchen.

„Jacey …“

„Reicht das nicht?“, fragte sie besorgt.

„Hör mal, Schatz, wenn deine Mutter davon erfährt, bekommst du Ärger.“

„Sie erfährt nichts. Sie ist nicht an meiner Schule. Ich möchte dich nur für dieses Schuljahr engagieren. Im nächsten Jahr könnte ich dann sagen, dass du wie Earls Daddy weggegangen bist.“

Sie hatte sich alles gut zurechtgelegt, das musste er ihr zugestehen. Das Schuljahr ging in einem Monat zu Ende. Obwohl er natürlich nicht mitmachen konnte, fragte er: „Wann sollen denn die Daddys in deine Schule kommen?“

„Am Montagvormittag.“

„Jacey, ich glaube nicht …“

„Am nächsten Freitag bekomme ich mein Taschengeld, einen ganzen Dollar. Den gebe ich dir auch.“ Der verzweifelte Klang ihrer Stimme erinnerte ihn daran, wie wichtig einem als Kind manche Dinge waren.

„Wie wäre es, wenn ich mit deiner Mutter darüber spreche?“

„Nein, dann wäre sie nur traurig. Sie sagt, dass wir keine Jungen brauchen.“ Jacey sah John mit großen blauen Augen an. „Aber ich brauche manchmal einen, damit ich wie die anderen Kinder bin.“

John erinnerte sich daran, wie wichtig es war, nicht aus der Reihe zu tanzen. Mit acht war er vor Verlegenheit fast gestorben, als er zum ersten Mal sein Baseballteam verköstigen musste. Seine Mutter war mit hochhackigen Schuhen und Schmuck erschienen und hatte frisch gekauftes Blätterteiggebäck gebracht. Die anderen Jungen hatten sie angeglotzt, als sie winzige Servietten verteilte. Wie sehr hatte er sich selbst gebackene Plätzchen und eine Mom in Jeans gewünscht!

Was konnte es schon schaden, wenn er auf Jaceys Plan einging? Sie war niedlich, und er hatte am Montag nicht viel vor. „Also schön, aber nur dieses eine Mal, einverstanden?“

„Nein“, erwiderte sie sofort eigensinnig. „Du musst es bis zum Ende des Schuljahres machen. Nicht ständig, aber immer dann, wenn ich dich brauche.“ Sie streckte ihm das Portemonnaie hin. „Das ist viel Geld.“

Für Jacey war es bestimmt viel Geld. John nahm den Beutel. „In Ordnung. Immer dann, wenn du mich brauchst.“

„Danke.“ Sie strahlte ihn an, warf sich ihm an die Brust, gab ihm einen Schmatz auf die Wange und lief weg.

Erst als John wieder allein war, fiel ihm ein, dass er weder den Namen ihrer Schule noch den Zeitpunkt für seinen Auftritt kannte. Bis morgen wollte er abwarten, ob Jacey wiederkam … Falls nicht, musste er seiner schönen und unabhängigen Nachbarin, die keine Jungen brauchte, einen Besuch abstatten.

Rachel Cason schrubbte wild an einem dunkelblauen Fleck in der weißen Porzellanspüle. Das kam davon, wenn man Geld sparen wollte. Sie hatte ein fleckiges, hellblaues Kleid dunkelblau gefärbt, um es noch ein Jahr tragen zu können. Und jetzt musste sie die Farbe aus der Spüle entfernen.

Die Hintertür fiel zu. „Jacey?“

„Ja, Mommy, ich bin hier.“

Lächelnd blickte sie über die Schulter auf das Energiebündel, das den Mittelpunkt ihrer Welt darstellte. „Hi, Schatz. Oh! Du hast offenbar eine Menge Spaß gehabt, aber du siehst schlimm aus. Vor dem Abendessen solltest du baden. Hol dir einen sauberen Pyjama, und dann …“ Das Telefon klingelte. „Gehst du dran, Schatz?“

Jacey kletterte auf den Hocker vor dem Wandtelefon und hob ab. „Hier bei Cason. Für dich, Mommy.“

Während Rachel nach dem Hörer griff, bemerkte sie Jaceys betroffene Miene. „Hallo.“

„Mrs. Cason? Natürlich heißen Sie jetzt nicht mehr so, aber ich bin heute Abend schrecklich in Eile. Hier spricht Mrs. Wilson. Sagen Sie bitte Ihrem Mann, er soll am Montag um halb zehn in der Schule sein. Er wird der zweite Daddy sein. Vielen Dank. Auf Wiederhören!“

Rachel stand mit dem Hörer in der Hand da, bis der Piepton sie daran erinnerte, dass sie auflegen sollte. Als sie sich umdrehte, starrte ihre kleine Tochter sie mit ängstlich aufgerissenen Augen an.

„Vielleicht kannst du mir diesen Anruf erklären, junge Dame.“

„Wer war das?“

„Das weißt du doch. Es war Mrs. Wilson, deine Lehrerin in der Vorschule.“

„Ich habe gut gearbeitet, Mommy.“

„Du arbeitest immer gut, mein Schatz, aber es ging nicht um deine Arbeit. Es ging um deinen Daddy.“

Jaceys Augen wurden noch größer, falls das überhaupt möglich war. „Ich habe keinen Daddy, Mommy. Hast du das schon vergessen?“

Rachel betrachtete ihr Kind und überlegte, was da im Busch war. „Ich habe es nicht vergessen, und ich glaube, du hast es auch nicht vergessen. Wieso hat Mrs. Wilson es bloß vergessen?“

„Vielleicht hat sie mich mit Lisbeth verwechselt. Habe ich dir erzählt, dass Lisbeth einen Daddy bekommen hat?“

Zum ersten Mal fiel Rachel auf, dass ihre Tochter ein wenig verloren wirkte. Sie kniete sich hin und legte die Arme um Jacey. „Ja, du hast es mir erzählt. Wünschst du dir deshalb einen Daddy?“

„Nein!“ Jacey schlang fest die Ärmchen um ihren Nacken. „Wir sind nur zu zweit, Mommy, du und ich.“

„Richtig, nur wir beide, Kleines, und wir kommen gut zurecht.“

Jacey zog sich wieder zurück. „Ich bade jetzt, Mommy. Ich will nämlich nicht zu spät ins Bett gehen.“

Jacey mochte klug und sogar hervorragend sein, wie ihre Lehrerin Rachel zu Weihnachten versichert hatte. Doch glücklicherweise war sie eine erbärmlich schlechte Lügnerin.

„Das ist sehr brav von dir, Jacey, aber vorher solltest du mir erklären, wieso Mrs. Wilson glaubt, dass du einen Daddy hast.“

„Oh …“ Jacey starrte zu Boden, den Zeigefinger zwischen die Zähne geschoben. Als Rachel schwieg, sah sie endlich hoch. „Ich habe gesagt, dass ich einen Daddy habe.“

„Und warum?“

„Weil alle anderen Daddys in die Schule kommen und uns von ihrer Arbeit erzählen. Und jetzt kommt sogar Lisbeths Daddy.“

Rachel nickte. „Ich verstehe, warum du enttäuscht bist, aber du solltest nicht lügen. Möchtest du, dass ich den Kindern alles über meine Arbeit erzähle?“

Ein Lächeln huschte über Jaceys ernstes Gesicht. „Danke, Mommy, aber du bist eine Lehrerin. Wir wissen alles über Lehrer.“

„Aha! Und was willst du am Montag machen, wenn dein neuer Daddy nicht auftaucht?“

„Ach, er wird … der … ich weiß nicht …“

„Er wird was?“, fragte Rachel. Sie kannte ihre Tochter sehr gut. Auf der ganzen Welt gab es keine praktischer denkende Fünfjährige. „Jacey, was hast du getan?“

„Ich habe nur mein eigenes Geld genommen.“

„Geld? Wovon sprichst du?“

„Ich habe einen Daddy engagiert. Nur bis zum Sommer, Mommy.“

„Du hast mit deinem Ersparten einen Daddy engagiert?“ Rachel traute ihren Ohren nicht. „Wie viel hast du denn gespart?“

„Drei Dollar und siebenundsechzig Cents.“

Großartig! Was für ein Mistkerl nahm Geld von einem Kind und versprach etwas dermaßen Lächerliches? „Und wen hast du engagiert?“

„Ihn.“ Jacey deutete auf das Nachbarhaus, in dem laut Nachbarschaftstratsch ein Finanzgenie wohnte. Ein alleinstehendes Finanzgenie.

Polly, Rachels Nachbarin von gegenüber, hatte ein paarmal angeboten, sie mit dem Mann zusammenzubringen. An den Namen erinnerte sie sich nicht mehr, doch das spielte keine Rolle. Sie hatte glatt abgelehnt.

Die Geschiedene direkt neben Polly hatte sich eine Weile um den Mann bemüht, sich dann jedoch ihre Niederlage eingestanden und behauptet, der Kerl wäre kalt wie ein Fisch. Mr. Donaldson, Leiter der Nachbarschaftsgruppe, hatte ihr recht gegeben und gemeint, der Mann würde weder an ihren Treffen teilnehmen noch bei der Bekämpfung von Kriminalität und Umweltverschmutzung mitmachen.

Und diese gute Seele hatte ihrer Kleinen das Ersparte abgenommen und angeboten, Jaceys Daddy zu spielen?

„Du hast unseren Nachbarn als Daddy engagiert? Und er ist auf einen dermaßen verrückten Vorschlag eingegangen?“ Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, als Rachel sie auch schon bereute.

„Nein, Mommy, er hat gesagt, dass er dich nicht heiraten will.“

Rachel musste sich auf die Unterlippe beißen, um das Lachen zurückzuhalten. „Dafür bin ich wirklich sehr dankbar. Für eine Heirat hättest du zu viel bezahlt.“

„Ja“, bestätigte Jacey weise. „Wenn er uns heiraten will, muss er bezahlen.“

Es war höchste Zeit, Jacey zu bremsen. „Schatz, man zahlt nicht, damit einen jemand heiratet. So etwas soll nur aus Liebe geschehen.“

„Na, dann bin ich froh, dass er dich nicht heiraten will.“

Rachel stand auf und streckte die Hand aus. „Komm, Jacey, wir müssen diese Sache mit unserem Nachbarn klären. Er kann am Montag nicht deinen Vater spielen.“

Jacey ergriff zwar die Hand ihrer Mutter, machte jedoch keinen Hehl daraus, wie unglücklich sie war. „Aber, Mommy, ich habe ihn bezahlt!“

„Pech, Schatz. Dann hast du eben dein Erspartes verloren.“

John sah sich gerade eine Golfmeisterschaft im Fernsehen an, als es an der Tür klingelte. Es konnte nur ein Vertreter sein, weil er seinen Nachbarn auswich, besonders diesem Donaldson. Der Mann wollte ihn ständig zu diesen Versammlungen schleppen, auf denen stundenlang bei Plätzchen und Limonade über die Verschönerung der Vorgärten diskutiert wurde.

Doch vor der Tür stand Jacey, diejenige Nachbarin, der er heute nicht ausgewichen war. Bei ihr war die attraktive Frau, die er von Ferne kannte. Aus der Nähe wirkte sie umwerfend. Zumindest wäre das der Fall gewesen, wenn sie gelächelt hätte. Jetzt lächelte sie nicht.

„Hallo, Jacey“, sagte er und richtete den Blick auf die Frau.

„Leider kenne ich Ihren Namen nicht“, erklärte diese hochnäsig. „Ich bin Rachel Cason. Sie haben heute mit meiner Tochter eine Vereinbarung getroffen.“

„John Crewes.“ Er streckte ihr die Hand hin, die sie geflissentlich übersah. „Möchten Sie nicht hereinkommen?“

„Das ist nicht nötig. Ich entschuldige mich für die Störung durch Jacey. Natürlich ist die Vereinbarung null und nichtig.“

Jacey zog ihre Mutter am Arm. „Was heißt null und nichtig, Mommy?“

„Es heißt, dass sich Mr. Crewes am Montag nicht als dein Daddy ausgeben wird.“

„Nun, Mrs. Cason“, meinte er, „ich habe Jacey ein Versprechen gegeben, und ich nehme mein Wort nicht gern zurück.“ Er lächelte, damit sie vielleicht etwas auftaute. Und man hatte ihm schon versichert, dass sein Lächeln attraktiv wirkte. Doch da kam keinerlei Reaktion.

„Ich respektiere Ihre Einstellung, Mr. Crewes, aber als Jaceys Mutter kann ich Lügen nicht gutheißen.“

Jacey hielt die Hand ihrer Mutter fest, weinte nicht und sah ihn nur sehnsüchtig an.

John räusperte sich. „Könnten wir nicht einen Kompromiss schließen?“ Wieso griff er eigentlich nicht nach diesem Ausweg aus einer albernen Lage?

„Ich kann mir absolut nicht vorstellen, wie …“

„Wenn Sie hereinkommen, könnten wir über die Möglichkeiten reden. Immerhin habe ich meine Bezahlung schon erhalten. Und es wäre nicht schön, wenn ich eine derartige Summe zurückzahlen müsste.“

Für einen Moment sah es so aus, als würde Rachel Cason lächeln, doch sie machte gleich wieder schmale Lippen. „Es ist unnötig, Jacey das Geld zurückzugeben. Das wird ihr eine Lehre sein, in Zukunft keine solchen Fehler mehr zu begehen.“

„Mann, sind Sie vielleicht eine knallharte Lady! Wie hältst du es bloß mit ihr aus, Jacey?“

Die Kleine lächelte scheu. „Sie ist meine Mommy.“

Rachel blickte auf ihre Tochter hinunter und sah John an. „Wieso werde ich das Gefühl nicht los, dass sich alle gegen mich verschwören?“

„Keine Ahnung, Mrs. Cason“, versicherte er gespielt erstaunt.

„Großmutter, wieso hast du so große Augen?“, konterte sie und kniff ihre zu schmalen Schlitzen zusammen.

„Um dich besser sehen zu können, Rotkäppchen, wenn du in mein Haus kommst. Geben Sie sich einen Ruck! Was kann es schon schaden, wenn wir darüber reden?“

„Bitte, Mommy“, flüstere Jacey flehend.

„Eindeutig eine Verschwörung“, stellte ihre Mutter fest und nickte. „Also gut. Aber ich bin auf keinen Fall damit einverstanden, dass Sie sich Mrs. Wilson gegenüber als Jaceys Vater ausgeben.“

2. KAPITEL

Jacey starrte zur Uhr und kaute Fingernägel. Lisbeths Vater sprach vor der Klasse, doch das interessierte Jacey nicht. Sie wartete auf John, ihren angeblichen Daddy.

Sie hatte gemeinsam mit John ihre Mommy überredet, dass er heute in die Vorschule kommen durfte. Doch sie sollte der Lehrerin sagen, dass er nur ein Freund und nicht ihr Daddy war.

Die anderen klatschten, und Jacey fühlte sich elend. Jetzt sollte ihr Vater sprechen. Doch sie hatte nicht nur keinen Vater, sondern nicht einmal einen angeblichen Vater.

„Das war sehr schön, Mr. Wester. Ich bewundere Ihre Arbeit grenzenlos.“ Mrs. Wilson lächelte Lisbeths Daddy zu. Dann trat Stille ein, und Mrs. Wilson wandte sich an Jacey.

Bevor ihr irgendeine Ausrede einfiel, öffnete sich die Tür des Klassenzimmers, und da war er! Jacey strahlte über das ganze Gesicht. Ohne zu überlegen, sprang sie auf, lief zu ihm und drückte sich fest an ihn.

„Tut mir leid, Baby“, sagte er leise. „Ich wurde durch einen Anruf aufgehalten.“

Baby? Sie war schon ein großes Mädchen, wie sie ihrer Mommy ständig erklärte. Doch es machte ihr nichts aus, wenn „er“ sie Baby nannte. Das klang sogar nett. „Schon gut.“

„Mr. Crewes.“ Mrs. Wilson kam ihm entgegen. „Sie müssen leider sofort anfangen. In wenigen Minuten wollen wir lesen.“

John sah Jacey fragend an. Er wollte wissen, ob sie ihrer Lehrerin gesagt hatte, dass er nur ein Freund und nicht ihr Daddy war. Sie legte den Finger an die Lippen und schüttelte leicht den Kopf. Daraufhin sah er nicht sonderlich glücklich drein.

„Kinder, begrüßt John Crewes, Jaceys neuen Daddy.“

Die Kinder klatschten. Nur Jacey sah den Mann neben ihrer Lehrerin stumm an.

Was sollte John jetzt bloß machen? Rachel hatte von Jacey verlangt, ihrer Lehrerin die Lage zu erklären, bevor er herkam. Rachel hatte sie beide versprechen lassen, zu der Lehrerin ehrlich zu sein.

Doch Ehrlichkeit unter vier Augen war etwas anderes als Ehrlichkeit vor sechzehn Vorschülern.

„Sie brauchen nicht nervös zu sein, Mr. Crewes“, drängte Mrs. Wilson.

John machte nur der Gedanke daran nervös, wie Rachel reagieren würde, sobald sie herausfand, dass er nichts erklärt hatte. Er räusperte sich. Nach seinem Vortrag konnte er die Dinge klarstellen.

„Schönen guten Tag. Jacey hat mich gebeten, euch etwas über meine Arbeit zu erzählen.“ Er lächelte dem kleinen Mädchen aufmunternd zu, und Jacey strahlte. „Ich habe mit Geld zu tun, bin aber kein Bankier. Ich nehme das Geld anderer Leute.“ Er beugte sich vor, berührte das Ohr des kleinen Jungen vor ihm und hielt eine Münze hoch. „Zum Beispiel das Geld dieses Jungen. Das ist doch dein Geld?“

„Nein, ich habe kein Geld“, widersprach der Junge.

„Dann ist das auch nicht dein Geld?“, fragte er und zog aus dem anderen Ohr des Jungen ebenfalls eine Münze.

„Wo kommen die her?“, fragte er Junge und hielt sich die Ohren zu. Die Kinder schrien vor Lachen.

„Tun wir mal so, als wäre es dein Geld. Seht ihr, Kinder, wenn ihr Geld habt, wollt ihr es für die Zukunft sparen. Aber es wäre doch gut, wenn dabei aus diesem Geld noch mehr Geld wird. Also, meine Arbeit besteht darin, dass ich euer Geld nehme …“ Er hielt die beiden Münzen hoch und versteckte dann die Hände hinter dem Rücken. „… und es wachsen lasse.“

Jetzt zeigte er vier Münzen vor.

„Und es weiter wachsen lasse“, fuhr er fort, verbarg die Hände wieder auf dem Rücken und zeigte unter Beifall acht Münzen vor. Das wiederholte er, bis es sechzehn Vierteldollar waren.

Nachdem er jedem Kind einen Vierteldollar gegeben hatte, führte er noch einige Tricks vor, die etwas mit Geld zu tun hatten.

„Wo ist dein Kaninchen?“, rief einer der Jungen.

„Tut mir leid, das ist heute nicht hier. Noch weitere Fragen?“

Es gab keine Fragen, aber viel Beifall. Das größte Lob war die Begeisterung in Jaceys Augen.

„Das war wunderbar, Mr. Crewes.“ Mrs. Wilson kam zu ihm. „Wir wussten nicht, dass wir zusätzlich zu den Informationen noch eine Zauberschau bekommen. Vielen Dank, dass Sie hier waren.“ Sie drückte ihm die Hand. Als er gerade mit ihr unter vier Augen sprechen wollte, blickte sie an ihm vorbei und sagte: „Und Ihnen auch herzlichen Dank, Mr. Wester. Ihre berufliche Laufbahn hat großen Eindruck auf mich gemacht.“

John drehte sich mit einem flauen Gefühl im Magen um. Ja, seine Ahnung hatte ihn nicht getäuscht. Mr. Wester war David Wester, ein bekannter Psychologe, der in den letzten zehn Jahren mit Büchern über Beziehungen und Eheberatungsvideos Geld gescheffelt hatte.

Wester war ungefähr zehn Jahre älter als John, blond mit grauen Haaren. Er schüttelte John die Hand. „Ich habe Ihren Vortrag genauso wie die Kinder genossen, Mr. Crewes. Welches Mädchen ist Ihre Tochter?“

„Jacey“, erwiderte John und fühlte im selben Moment ihre kleine Hand in seiner. „Hi, Schatz. War es gut?“ Er bückte sich und hob Jacey hoch.

Sie schlang die Arme um seinen Nacken. „Es war toll, John.“

„Hallo, Jacey“, sagte David Wester, während Lisbeth zu ihm kam. „Du und Lisbeth, ihr seid doch Freundinnen?“

Die beiden Mädchen nickten.

„Es freut mich ganz besonders, Sie kennenzulernen, John, wenn ich Sie so nennen darf“, fuhr er fort. „Ich halte es für wichtig, die Familien der Spielkameraden seiner Kinder zu kennen.“

„Ja, das ist sicher gut.“

„Noch einmal vielen Dank Ihnen beiden für Ihr Kommen, aber jetzt wird gelesen“, erklärte Mrs. Wilson. „Wir müssen uns an den Stundenplan halten. Geht wieder auf eure Plätze, Mädchen.“

Jacey umarmte John noch einmal und flüsterte ihm zu: „Ich habe ihr nichts gesagt.“

„Ich weiß“, flüsterte John zurück und stellte Jacey auf den Boden. Unter Mrs. Wilsons strengen Blicken lief sie zu ihrem Platz. „Ach, Mrs. Wilson, könnte ich Sie einen Moment sprechen?“, fragte er und hoffte, David Wester würde gehen, bevor er sein Geständnis ablegte.

„Ich werde mich gern einmal mit Ihnen und Ihrer Frau unterhalten, Mr. Crewes, aber im Moment geht es nicht. Bitte haben Sie dafür Verständnis. Auch Lehrer sind sehr beschäftigt. Rufen Sie mich wegen eines Termins an, und noch einmal vielen Dank für Ihr Kommen.“

Damit trat die Lehrerin wieder vor ihre Schüler und setzte den Unterricht fort.

Seufzend wandte John sich zur Tür, wo David Wester auf ihn wartete.

„Wissen sie, ich könnte diese Schule kaufen, ohne mit der Wimper zu zucken. Aber eine Lehrerin verwandelt mich im Handumdrehen in einen Schüler, der kein Wort herausbekommt. Mütter und Lehrerinnen müssen über eine besondere Magie verfügen.“

John gab ihm völlig recht. Und er kannte eine Mutter und Lehrerin, die eine außergewöhnliche Macht über ihn besaß. „Sehr richtig.“

Vor dem Schulgebäude gaben sie sich noch einmal die Hand und trennten sich.

Auf dem Weg zu seinem Büro ging John einiges durch den Kopf. Jacey war ein Schatz. Er hatte keine Erfahrung mit Kindern und hatte gefürchtet, noch mehr aufzufallen als seine Mutter mit ihrem Schmuck und dem Blätterteiggebäck. Und dann war ihm die Zauberei eingefallen, die er als Teenager erlernt hatte, um seine Schüchternheit zu überwinden.

David Westers Firma hatte er einmal seine Dienste angeboten. Westers Assistent hatte ihm jedoch versichert, dass sie mit ihrem Vermögensberater sehr zufrieden waren. Was für eine Überraschung, dass Lisbeths neuer Daddy ausgerechnet David Wester war. John war froh, dass der Mann nicht sein Klient war, sodass er ihm seine Lüge nicht erklären musste.

Wahrscheinlich sprach Rachel nie wieder mit ihm. Schade. Dabei wollte er gar keine Frau. Seine erste Frau hatte ihn beinahe ruiniert. Er hatte von Frauen die Nase voll. Doch an Rachel dachte er gern. Auch daran, wie Jeans und T-Shirt sich um ihre Kurven schmiegten … üppige Kurven … üppig an den richtigen Stellen.

Seine Lippen fühlten sich plötzlich trocken und spröde an. Es war besser, er ging Rachel Cason aus dem Weg. Und wenn sie erst erfuhr, was geschehen war, sollte das nicht allzu schwierig werden.

Rachel bog in die Einfahrt der Kindertagesstätte, in die Jacey nach der vormittäglichen Vorschule ging. Hoffentlich machte Jacey das Eingeständnis am Vormittag nicht zu sehr zu schaffen. Ihr Kind sollte nicht leiden, durfte aber auch nicht mit einer Lüge durchkommen.

Offenbar litt Jacey nicht sonderlich. Sie spielte kichernd mit anderen kleinen Mädchen und tat, als würde sie auf einem Spielzeugherd kochen.

„Ach, Sie sind schon hier, Mrs. Cason“, sagte die Kindergärtnerin.

Jacey hörte den Namen ihrer Mutter, ließ alles fallen und kam angerannt. „Du bist früh dran, Mommy!“

Rachel drückte die Kleine an sich. „Nur ein wenig. Bist du bereit?“

„Ich muss noch meine Spielsachen wegräumen“, erklärte Jacey und lief zu ihren Freundinnen zurück.

„Ihre Tochter ist ja so brav“, versicherte die Kindergärtnerin. „Nie macht sie Ärger.“

„Danke.“ Rachel dachte an das Chaos, das Jacey mit John Crewes angerichtet hatte. Er war der Typ Mann, den sie mied. Attraktiv, einflussreich und egoistisch. Zumindest beschrieben ihn so die Geschiedene und Mr. Donaldson.

„Ich bin bereit, Mommy!“, verkündete Jacey.

Auf der Heimfahrt stellte Rachel die Frage, die sie schon den ganzen Tag beschäftigte. „Mr. Crewes war heute Vormittag da?“

„Aber ja, und er hat Zauberkunststücke vorgeführt. Sieh mal!“ Unter dem Sicherheitsgurt fischte Jacey in der Hosentasche und hielt ihrer Mutter die Hand hin.

„Er hat dir Geld gegeben?“

„Er hat jedem einen Vierteldollar gegeben, den er hinter Bobbys Ohr hervorgeholt hat! Und dann hat er hinter seinem Rücken mehr Geld daraus gemacht. Ist das nicht toll? Ich habe gar nicht gewusst, dass man so Geld machen kann. Wenn du seinen Trick lernst, brauchst du nicht mehr zu arbeiten und kannst bei mir daheimbleiben.“

Na großartig. Dank John Crewes fand sie heraus, dass ihre Tochter sich einen Daddy wünschte und nicht wollte, dass ihre Mutter arbeitete.

„Schatz, du weißt, dass ich im Sommer arbeiten muss, um mein Studiendarlehen zurückzuzahlen. In diesem Jahr ist es das letzte Mal. Danach brauche ich nicht mehr in der Sommerschule zu arbeiten, und dann können wir gemeinsam faulenzen.“

„Ich weiß, Mommy, aber es wäre lustig gewesen.“

„Sicher, mein Engel, aber Mr. Crewes hat ein Zauberkunststück vorgeführt. Er hat das Geld nicht wirklich gemacht.“

„Nein?“

Rachel seufzte. „Nein.“ Nun hatte sie Jacey wieder einer Illusion beraubt, und auch das verdankte sie dem lieben John.

„Oh.“ Jacey sah genauso enttäuscht drein wie beim letzten Weihnachtsfest, als sie erfuhr, dass es keinen Weihnachtsmann gibt. Trotzdem hatte sie Spaß mit den Geschenken gehabt und war über die Enttäuschung hinweggekommen. So würde es auch diesmal sein, vor allem, wenn sie John Crewes nicht wiedersah.

„Du könntest dir eine Stunde lang Zeichentrickfilme ansehen, und danach könnten wir Hamburger essen gehen.“

„In Ordnung.“ Die Kleine lächelte schon wieder.

Erst als Rachel daheim Jeans und ein Shirt anzog, fiel ihr ein, dass sie nicht nach Mrs. Wilsons Reaktion gefragt hatte. Das konnte sie beim Essen nachholen. Und bis dahin wollte sie sich die Strafe ausmalen, die sie John Crewes an den Hals wünschte, weil er Jacey an etwas glauben ließ, dass es noch weniger gab als den Weihnachtsmann.

John schockte seine Mitarbeiter, indem er zeitig das Büro verließ. Normalerweise war er der letzte und ging erst gegen acht oder neun. Auf dem Heimweg hielt er normalerweise bei einem seiner bevorzugten Restaurants. Dann machte er in seinem Keller Gewichtstraining, las Finanzberichte und ging um elf schlafen.

Kein aufregendes, aber ein produktives Leben.

Heute wollte er Jacey beistehen, wenn die Kleine ihrer Mutter gestand, dass sie die Lüge nicht aufgeklärt hatte. Er wollte die ganze Schuld auf sich nehmen und das Mädchen gegen die Mutter in Schutz nehmen.

Er bog in seine Einfahrt, lockerte die Krawatte und öffnete den Kragenknopf. Im Nachbarhaus rührte sich nichts, aber davor stand ein alter Chevrolet, den er schon mal gesehen hatte.

Mit der Aktentasche lief er in sein Haus und in den ersten Stock hinauf. Innerhalb von zwei Minuten hatte er den Anzug gegen Jeans, ein Shirt und Tennisschuhe vertauscht.

Eine Minute später stand er vor Rachels Tür und klingelte. Er hatte es nur so eilig, weil er Jacey beschützen wollte. Das hatte nichts damit zu tun, dass er Rachel wiedersehen wollte.

Absolut nichts.

Die Tür öffnete sich im nächsten Moment, und die beiden Damen standen vor ihm. Jacey strahlte ihn wortlos an. Rachel fragte überrascht: „Ja?“

Sie freute sich zwar nicht über seinen Anblick, machte aber auch keinen mordlüsternen Eindruck. Jacey schüttelte kaum merklich den Kopf.

„Ach …“ Hatte die Kleine denn noch nichts erzählt?

„Ja?“, wiederholte Rachel.

Erst jetzt bemerkte er, dass sie eine Handtasche bei sich hatte. „Wollten Sie weg?“

„Wir wollen Hamburger essen gehen“, verriet Jacey unverändert strahlend. „Willst du mitkommen?“

„Jacey!“, rief Rachel.

„Hey, Jacey, sehr gern, wenn deine Mom nichts dagegen hat.“ Ein gemeinsames Abendessen war ideal, um Jacey zu unterstützen. Dass er bei Rachels Anblick Herzklopfen bekam, hätte ihn allerdings vom Gegenteil überzeugen sollen.

Wenn er natürlich nicht erwünscht war, wollte er sich nicht aufdrängen. Aber er probierte den gleichen flehenden Blick wie Jacey aus.

„Das ist schon wieder eine Verschwörung gegen mich“, protestierte Rachel und unterdrückte ein Lächeln.

„Das wird bestimmt lustig, Mommy“, versicherte Jacey.

„Ich lade Sie ein“, bot John an und erkannte sofort seinen Fehler.

Rachel warf ihm einen eisigen Blick zu. „Jacey und ich bezahlen für uns selbst. Eine Bestechung kommt nicht infrage.“

„Bestechung? Verdammt … ich meine … verflixt“, verbesserte er sich, als sie ihn noch kühler betrachtete. „Ich wollte Sie nicht bestechen.“

Sie bedachte ihn mit ihrem Lehrerinnenblick.

„Nun ja, vielleicht ein wenig, aber was ist schon dabei? Ein Essen in einem Schnellrestaurant ist schließlich nicht so, als würden wir zusammenziehen.“

Ihrer Miene nach zu schließen war er ins nächste Fettnäpfchen getreten.

Jacey zog ihre Mutter an der Hand. „Bitte, Mommy, John war heute wirklich gut. Wir können ihm zum Dank seinen Hamburger bezahlen. Du sagst doch immer, dass wir uns bedanken müssen, wenn jemand nett zu uns ist.“

Als Rachel sich an ihre Tochter wandte, schwand ihre gereizte, kühle Miene. „Du hast recht, Jacey. Daran habe ich nicht gedacht. Wir bezahlen Mr. Crewes einen Hamburger, um uns zu bedanken.“ Mit Blicken fügte sie hinzu, dass sie ihn danach nie wiedersehen wollte.

„Darüber, wer nun bezahlt, zerbrechen wir uns später den Kopf. Hier entlang, meine Damen. Meine Kutsche steht bereit.“ Mit einer großartigen Geste deutete er auf seinen Porsche.

„Was ist eine Kutsche?“, fragte Jacey und drängte sich an ihrer Mutter vorbei.

„Aschenputtel ist darin zum Ball gefahren“, erklärte Rachel und fügte hinzu: „Wir fahren mit unserem Wagen und treffen Sie dort.“

„Seien Sie nicht albern, Rachel.“ Wieder ein Fehler, wie er an ihren warnend hochgezogenen Augenbrauen erkannte. „Wozu zwei Wagen nehmen?“

„Sie haben recht. Fahren Sie mit uns.“

Er betrachtete den alten Wagen in ihrer Einfahrt und seinen eigenen blinkenden schwarzen Porsche und schluckte. „Einverstanden.“

Jacey klatschte in die Hände, kletterte auf den Rücksitz und schnallte sich an. John begnügte sich mit dem Beifahrersitz, obwohl er am liebsten das Steuer übernommen hätte. Er war es nicht gewohnt, gefahren zu werden.

„Braves Mädchen, Jacey“, lobte er, während er sich anschnallte.

„Was habe ich denn gemacht?“, fragte das Kind neugierig.

„Du hast dich angeschnallt.“

„Vorher fährt Mommy nicht los.“

Rachel setze sich ans Steuer, ohne sich um die beiden zu kümmern.

„Ach, brave Mommy.“

Jacey kicherte, und Rachel lächelte ihrer Tochter zu, John jedoch nicht. Also lief alles normal.

Im Schnellrestaurant stellten sie sich zu dritt an. Rachel bestellte ganz gezielt für sich und Jacey und holte ihr Portemonnaie hervor.

John wandte sich an den Jungen hinter der Kasse. „Wir gehören zusammen.“ Er bestellte ebenfalls und gab dem Kassierer zwanzig Dollar, bevor Rachel erkannte, was er vorhatte.

„Nein, wir …“

„Machen Sie keine Schwierigkeiten, Rachel“, bat er und lächelte dem Jungen zu. „Frauen!“, sagte er gedämpft und handelte sich von Rachel einen zornigen Blick ein. „Suchen Sie uns zusammen mit Jacey einen Tisch.“

Rachel wandte sich abrupt ab und ging weg. Hoffentlich marschierte sie nicht direkt bis zu ihrem Wagen.

John nahm das Tablett in Empfang und sah sich um. Er hatte Glück. Rachel und Jacey saßen beim Fenster an einem Tisch für vier Personen. Er trug das Tablett an den Tisch und setzte sich.

Rachel begann nicht gleich zu essen wie Jacey. Stattdessen sah sie John fragend an. „Jacey hat erzählt, dass Ihr Vortrag heute Vormittag gut verlaufen ist. Aber wie hat Mrs. Wilson darauf reagiert, dass Sie nicht Jaceys Daddy sind?“

Also hatte Jacey tatsächlich nichts erklärt, und er hatte auch keine Lust dazu.

3. KAPITEL

Rachel wartete auf eine Antwort des Mannes, der ihr gegenübersaß. Er sah jedoch ihre Tochter an.

„Jacey?“, fragte sie und bemerkte die ängstliche Miene der Kleinen.

„Es war nicht ihre Schuld“, versicherte John hastig. „Ich kam ziemlich spät, und daher …“ Er verstummte und zuckte die Schultern.

„Was war nicht Jaceys Schuld? Hast du deiner Lehrerin gesagt, dass Mr. Crewes nicht dein neuer Daddy ist?“, fragte Rachel die Kleine.

Jacey griff nach einer Fritte und rührte damit in einem dicken Klecks Ketchup herum. „Nicht direkt.“

„Janet Cecilia Cason!“, rief Rachel.

„Mommy!“, protestierte Jacey, weil sie es hasste, wenn Mommy alle ihre Namen benützte. Das bedeutete nämlich, dass sie sich über etwas aufregte.

„Ich glaube, junge Dame, du musst mir etwas erklären.“

„Warten Sie einen Moment“, setzte John an und wollte offenbar ihrer Tochter eine Strafpredigt ersparen. Mit einem strengen Blick brachte sie ihn zum Schweigen, weil sie fürchtete, dass er sie zu sehr vielem überreden konnte. Ihre Mutterrolle war jedoch zu wichtig, als dass Rachel es sich leisten könnte, ihm nachzugeben.

„Ich wollte es tun, Mommy, aber ich habe auf John gewartet, weil er so groß ist, und wenn er bei mir gewesen wäre, hätte ich keine Angst gehabt, genau wie wenn er mein richtiger Daddy wäre.“

Große Augen richteten sich zuerst auf John und dann auf Rachel. Man brauchte kein Psychoanalytiker zu sein, um zu erkennen, dass John von Jaceys Erklärung total beeindruckt war.

„Ach, Jacey, tut mir leid, dass ich zu spät gekommen bin“, versicherte er und griff über den Tisch nach ihrer Hand.

Rachel bemüht sich weiterhin um ein finsteres Gesicht, als sich zwei Augenpaare flehend auf sie richteten. „Oh nein, so leicht lasse ich mich nicht beeindrucken, Jacey. Ich habe dir gesagt, dass du es Mrs. Wilson erklären sollst, sobald du in die Schule kommst.“

„Aber sie war sehr beschäftigt, Mommy.“

„Und warum haben Sie, John Crewes, es nicht bei Ihrer Ankunft erklärt, wenn Sie schon unbedingt Jacey entlasten wollen?“

„Mrs. Wilson hat mich sofort vor die Klasse gestellt, weil ich spät dran war. Lisbeths Vater war bereits fertig. Alle Vorschüler hätten mein Geständnis gehört, und ich wollte Jacey nicht dermaßen in Verlegenheit bringen.“

Rachel hätte beinahe laut aufgestöhnt. Es war schon schlimm genug, zu Jacey streng zu sein, obwohl sie wusste, dass es nur im Interesse des Kindes geschah. Doch jetzt schlug sich noch jemand auf die Seite ihres kleinen Mädchens. „Und hinterher?“, fragte sie beharrlich.

„Lesestunde“, erklärte er und ahmte Mrs. Wilsons Stimme recht gut nach. „Wir müssen uns an den Stundenplan halten.“

Rachel achtete nicht darauf, dass er Jacey mit seinem Talent zum Lachen brachte. „Es ist unhöflich, Mrs. Wilson zu verspotten. Sie ist eine gute Lehrerin.“

John senkte den Kopf und murmelte eine Entschuldigung wie einer der Jungen, die sie unterrichtete.

Seufzend wandte sie sich wieder an ihre Tochter. „Jacey, warum hast du es hinterher nicht erklärt?“

„Weil da schon der Schulbus kam, Mommy, und ich hatte Angst, dass sie mich nicht mitnehmen.“

Da Jacey einmal den Schulbus versäumt hatte, weil sie beim Wegräumen getrödelt hatte, war sie von ihrer Mutter ermahnt worden, immer rechtzeitig auf den Bus zu warten.

„Kommen Sie, Rachel, es ist doch keine große Affäre“, meinte John, als sie sich an die Stirn fasste.

„Für Sie vielleicht nicht“, erwiderte sie heftig. „Aber jetzt glaubt die Lehrerin meines Kindes, ich wäre mit einem mir völlig Fremden verheiratet.“

„Wie oft sprechen Sie mit dieser Frau?“

Rachel holte tief Atem. Vielleicht hatte John Crewes recht. Morgen wollte sie in einem Brief erklären, wie es zu diesem albernen Missverständnis gekommen war. Und damit wäre die Angelegenheit dann abgeschlossen.

„Nun gut, ich kläre es morgen.“

„Müssen wir es Mrs. Wilson sagen?“, fragte Jacey zaghaft. Sie hatte ihr Essen kaum angerührt.

„Ja, Schatz, aber diesmal übernehme ich die Erklärung. Dann kommt alles in Ordnung.“ Sie warf einen Blick in Jaceys Karton mit dem Essen. „Hast du schon deine Überraschung gefunden?“

„Nein.“ Jacey lehnte sich traurig zurück.

„Wenn du nichts willst, habe ich da drüben einen kleinen Jungen gesehen, der kein Überraschungsessen hat. Du könntest ihm deines anbieten, damit es nicht verloren geht.“

Damit lenkte sie Jacey ab, die sich sofort nach dem kleinen Jungen umsah. „Ich möchte es lieber behalten, Mommy.“

„Wie du willst.“ Rachel griff nach ihrem Hamburger und biss hinein, als wäre alles in Ordnung. Und wenn sie den attraktiven Mann ignorierte, der ihr gegenübersaß, war es das vielleicht auch.

„Und womit wollen Sie mich ablenken?“, fragte er leise, als Jacey sich auf das Spielzeug in der Plastiktüte stürzte.

„Warum sollte ich Sie ablenken wollen?“

„Ich weiß es nicht. Soll ich jetzt meinen Hamburger essen?“

Rachel hinderte sich eisern am Lächeln. „Ehrlich gesagt, Mr. Crewes … es ist mir völlig egal, ob Sie jemals wieder etwas essen. Sie haben mir mit Ihrem Verhalten Jacey gegenüber viele Schwierigkeiten gemacht. Vielleicht wäre es sogar sehr erfreulich, Sie verhungern zu sehen.“

„Ich habe es schon einmal gesagt, aber ich wiederhole es jetzt. Sie sind eine knallharte Lady, Rachel Cason.“

„Allerdings“, bestätigte sie und hoffte, dass ihr Lächeln nicht verriet, wie gut ihr sein scherzhafter Ton gefiel und wie gern sie sich entspannt hätte. Insgeheim schwor sie sich, ihrem Nachbarn von jetzt an aus dem Weg zu gehen.

Das Leben war für John Crewes ja so einfach. Ein Lächeln und ein Augenzwinkern, und die Welt gehörte ihm. Und Geld hatte er auch. Seine Nachbarn behaupteten, dass er darin schwamm. Das war etwas anderes als ihr eigener ständiger Kampf, um für Jacey und sich selbst zu sorgen.

Ja, sie sollte diesem Mann unbedingt aus dem Weg gehen, allein schon wegen seines guten Aussehens. Mit dem lässig zurückgekämmten, blonden Haar, den haselnussbraunen Augen, den breiten Schultern und der kräftigen Gestalt wirkte er einfach zu verführerisch.

John Crewes aus dem Weg zu gehen konnte allerdings durchaus ihre Kräfte übersteigen.

John fuhr sich frustriert durch das Haar. Warum konnte er sich heute Vormittag nicht auf die Arbeit konzentrieren, sondern musste ständig an Rachel und Jacey denken?

„Mr. Crewes?“, ertönte die Stimme seiner Sekretärin aus der Sprechanlage. „David Wester auf Leitung zwei.“

„Danke.“ Was wollte der Mann von ihm? War er schon hinter den Schwindel gekommen?

„David, hier ist John. Was kann ich für Sie tun?“

Zuerst machte David ihm noch einmal ein Kompliment wegen der gestrigen Zaubervorstellung. Offenbar wusste er noch nicht, wie viel fauler Zauber damit verbunden gewesen war.

„Der eigentliche Grund für meinen Anruf, John, ist, dass ich einen neuen Vermögensberater suche. Nach unserem gestrigen Zusammentreffen habe ich mich über Sie erkundigt, und ich muss sagen, ich bin beeindruckt.“

John holte tief Atem. Seine kleine Firma war im Lauf der Jahre gewachsen, und er verdiente jetzt sehr gut, aber mit David Wester als Klienten hätte er den Umsatz verdoppeln können. „Danke, David, wir machen uns gut.“

„Das ist eine Untertreibung, aber ich lasse mich nicht nur von Zahlen beeindrucken. Es geht mir vielmehr um Ihre Fähigkeit, mit Kindern umzugehen, vor allem mit Jacey. Sie sind genau der Typ Mann, mit dem ich zusammenarbeiten möchte. Ein Mann, dem Menschen wichtiger sind als Geld.“

John bedankte sich noch einmal. Er hatte wegen des Missverständnisses ein schlechtes Gewissen, wusste jedoch nicht, wie er die Dinge geraderücken sollte. „Ich sehe mir gern Ihre Investitionen an und mache Ihnen einige Vorschläge.“

„Nein“, erwiderte David. „Ich habe mich bereits entschieden. Ich möchte, dass Sie sich ab sofort um meine Investitionen kümmern.“

„Aber, David, sollten wir uns nicht zuerst darüber unterhalten? Ich erkläre Ihnen, was mir vorschwebt.“

„Nein, John, das ist nicht nötig. Ich treffe meine Entscheidungen aufgrund meiner Menschenkenntnis und nicht nach Erfolgsbilanzen, auch wenn die Ihre ausgezeichnet ist. Schließlich bin ich Psychologe.“

„Aber …“

„Also, ich möchte, dass Sie sich mit Bud Cassidy, meinem Vizepräsidenten, in Verbindung setzen. Er wird Ihnen alle nötigen Informationen geben und jede Frage beantworten. Ich arbeite mehr auf der kreativen Seite unseres Unternehmens. Im Moment bin ich mit einem neuen Projekt beschäftigt, das Sie bestimmt interessieren wird. Mehr darüber später.“

„Aber …“

„Sie können sich doch sofort mit Bud treffen, oder?“

„Natürlich, aber …“

„Großartig. Ich möchte, dass Sie am Freitag um sieben zum Abendessen zu mir kommen. Und bringen Sie bitte Jacey und Ihre Frau mit. Lisbeth und ihre Mutter freuen sich schon darauf. Ganz zwanglos, einverstanden?“

„David, ich …“

„Ich muss jetzt Schluss machen, John. Wir sehen uns am Freitag.“

Bevor John noch etwas sagen konnte, war die Verbindung unterbrochen.

Wie betäubt legte er auf und starrte gegen die Wand. David Wester übertrug ihm einen Teil seiner Investitionen! Damit wurde er fertig. Er war gut in seinem Beruf.

Das Problem bestand darin, dass David bei seiner Entscheidung von falschen Voraussetzungen ausgegangen war. Irgendwann musste er die Wahrheit herausfinden. Rachel hatte angekündigt, dass sie heute das Missverständnis aufklären wollte.

Zehn Minuten lang überlegte er, dann entschied er sich für Ehrlichkeit und rief in David Westers Büro an.

„Hier ist John Crewes. Ich möchte bitte Mr. Wester sprechen.“

„Es tut mir leid, Mr. Crewes, aber Mr. Wester ist nicht im Büro. Möchten Sie eine Nachricht hinterlassen?“

„Ich habe doch vor wenigen Minuten noch mit ihm gesprochen.“

„Wahrscheinlich hat er Sie von seinem Autotelefon aus angerufen. Er war unterwegs zum Flughafen.“

„Wann kommt er zurück?“ Seine Erklärungen konnte er unmöglich einer Sekretärin anvertrauen.

„Im Büro wird er erst wieder am Montag sein, aber ich glaube, er kommt schon am späten Freitagnachmittag in die Stadt zurück. Möchten Sie eine Nachricht hinterlassen, oder kann ich Ihnen sonst irgendwie helfen?“

„Ist Bud Cassidy da?“

„Mr. Cassidy ist in einer Besprechung. Ich werde ihn bitten, Sie zurückzurufen, sobald es geht.“

Frustriert legte John auf. Großartig! Nun verlor er die größte Chance seiner Karriere, weil er eine seiner eigenen Regeln gebrochen hatte. Ehrlichkeit. Diese Ehrlichkeit hatte ihn gerettet, als seine Frau bei der Scheidung versuchte, ihn zu vernichten. Er hatte gemeinsam mit Jacey diese Regel gebrochen. Sie war allerdings nur ein kleines Mädchen. Er hätte der Klügere sein müssen.

Vielleicht konnte er Rachel überreden, mit der Klarstellung noch zu warten. Sie war zwar sehr entschlossen, aber sie hatte genau wie er eine Schwäche für Jacey und war vielleicht einverstanden, wenn sie damit ihrer Tochter half. Es war einen Versuch wert. Er brauchte nur einen Aufschub, bis er mit David unter vier Augen sprechen konnte.

Er griff schon nach dem Telefon, als ihm einfiel, dass er weder die Schule, an der Rachel unterrichtete, noch ihre Nummer wusste. In der Nachbarschaft kannte er nur Polly Meadows, eine ältere Witwe. Rasch suchte er aus dem Telefonbuch ihre Nummer heraus.

„Polly, hier spricht John Crewes, Ihr Nachbar von gegenüber. Ich versuche, Rachel Cason zu erreichen.“

„Ach, John, ich wusste nicht einmal, dass ihr beide euch kennt! Rachel hat es jedes Mal abgelehnt, wenn ich sie mit Ihnen bekannt machen wollte.“

Das ärgerte ihn, doch darüber wollte er erst nachdenken, wenn es nicht mehr so hektisch zuging. „Polly, ich habe es eilig. Wissen Sie, wo Rachel unterrichtet?“

„Aber ja, sicher. Sie unterrichtet Geschichte an der Daniel Webster Highschool.“

„Danke, Polly.“ Er beendete das Gespräch, bevor sie ihm Rachels Tagesablauf beschreiben konnte, griff wieder nach dem Telefonbuch und wählte erneut.

„Webster Highschool.“

„Rachel Cason, bitte“, verlangte er energisch.

„Sie können gern eine Nachricht hinterlassen. Mrs. Cason ist gerade im Unterricht.“

„Wann kommt sie aus der Klasse?“

„Das weiß ich nicht. Ich kann ihr eine Nachricht in ihr Fach legen, damit sie zurückruft.“

„Aber ich muss sofort mit ihr sprechen!“

„Es tut mir leid, aber …“

„Es ist ein Notfall! Sie können Ihre Lehrer in einem Notfall doch sicher erreichen.“

„Nun ja, wenn es sich tatsächlich um einen Notfall handelt …“ Die strenge Sekretärin schien darauf zu warten, dass er eingestand, nur einen Scherz gemacht zu haben.

„Es ist ein Notfall!“ Zumindest war es für ihn einer. Was konnte es schon schaden, den Unterricht für einige Minuten zu unterbrechen?

„Ich schicke einen Schüler mit einer Nachricht zu ihr in die Klasse. Was soll ich schreiben?“

„Dass sie sofort John Crewes unter 555-8714 anrufen soll.“

„Und soll ich auch schreiben, dass es sich um einen Notfall handelt?“

Offenbar zweifelte die Lady noch immer an ihm! „Ja.“

Er knallte den Hörer auf den Apparat und wartete. Wie ertrug es Rachel, als Lehrerin so schwer erreichbar zu sein? Wenn er kein Telefon neben sich hatte, fühlte er sich verloren.

Eine Viertelstunde später wartete er noch immer mit wachsendem Frust. Als seine Sekretärin endlich Rachels Anruf meldete, griff er nach dem Hörer wie nach einem Rettungsring.

„John? Hier ist Rachel. Was ist los?“

„Warum hat das so lange gedauert? Ich sagte doch, es wäre ein Notfall!“

„John, ich hatte sechsundzwanzig Oberschüler in der Klasse. Ich konnte nicht einfach weggehen und sie sich selbst überlassen.“

„Und wenn Jacey krank geworden wäre? Müsste sie auch warten, bis es Ihnen gelegen kommt?“, fragte er empört.

„Jacey? Geht es um Jacey?“

Bei der Panik in ihrer Stimme bekam er ein schlechtes Gewissen. „Nein, das heißt, nicht direkt.“

„Beeilen Sie sich, John. Meine nächste Unterrichtsstunde beginnt in zwei Minuten.“

„Haben Sie schon mit Mrs. Wilson gesprochen?“, fragte er.

„Ich habe Jacey heute Morgen einen Brief mitgegeben.“

„Oh.“

„Was ist denn los?“

„Ich wollte Sie bitten, mit der Aufklärung noch zu warten.“

„Wozu? Ich bringe unangenehme Dinge gern schnell hinter mich.“

„Typisch“, murmelte John.

„Wie bitte? Ich habe Sie nicht verstanden.“

„Schon gut. Tut mir leid, dass ich Sie gestört habe.“

„John, was ist denn nun?“

Er hörte im Hintergrund eine Schulglocke läuten und fügte rasch hinzu: „Ich erkläre es Ihnen später, wenn wir beide mehr Zeit haben.“ Bevor sie noch etwas fragen konnte, legte er auf und ließ sich auf dem Sessel zurücksinken.

„Mr. Crewes, Mr. Cassidy auf Leitung eins“, kündigte seine Sekretärin an.

Seufzend griff John wieder nach dem Telefon und drückte den entsprechenden Knopf.

Nach einer kurzen Einleitung wollte Bud Cassidy einen Termin für den nächsten Tag vereinbaren.

„Hören Sie, Mr. Cassidy, ich …“

„Nennen Sie mich Bud. Wir werden oft zusammenarbeiten.“

„In Ordnung, Bud, aber ich finde … ich meine, ich kann mich morgen mit Ihnen treffen. Ich weiß aber nicht, ob David mir wirklich den Auftrag geben will.“

„Er hat sich bereits entschieden. So ist David, John. Er trifft schnelle Entscheidungen und irrt sich nur selten.“

„In diesem Fall glaube ich …“

„Hören Sie, er ist für einige Tage verreist. Wir könnten doch ein paar Vorbesprechungen abhalten.“

John gab auf. „Also schön, wie wäre es morgen um zehn? Soll ich zu Ihnen ins Büro kommen? Nein, es ist mir recht, wenn Sie zu mir kommen. Einverstanden. Bis dann.“

John legte auf und blickte starr aus dem Fenster. Was für eine Situation! Und das alles, weil er einem blauen Augenpaar nicht hatte widerstehen können.

Zwei blauen Augenpaaren …

Jacey betastete das zusammengefaltete Blatt in ihrer Tasche und wartete auf den Beginn des Unterrichts. Ihre Mutter hatte ihr genau gesagt, was sie damit machen sollte.

Sie wollte sich auch daran halten. Ehrlich. Doch Lisbeth war sofort zu ihr gekommen und hatte erzählt, dass ihr neuer Daddy mit ihr in den Sommerferien nach Disney World fuhr. Danach hatte ein anderes Mädchen seine bevorstehenden Ferien mit der ganzen Familie beschrieben. Und Mrs. Wilson hatte alle erzählen lassen, was sie vorhatten.

Und dann hatte sie Jacey gefragt, wohin ihr neuer Daddy und ihre Mommy mit ihr fuhren. Und sie hatte auch Disney World gesagt, weil alle denken sollten, dass ihr neuer Daddy genauso wunderbar war wie der von Lisbeth.

„Wir können ja zusammen fahren!“, rief Lisbeth. „Dann sind wir wie Schwestern!“

„Ja, wie Schwestern!“, bestätigte Jacey begeistert, erkannte jedoch bereits, wie sehr die Warnung ihrer Mutter stimmte. Lügen brachten einen immer in Schwierigkeiten. Sie konnte zwar so tun, als wäre John ihr neuer Daddy, aber er fuhr mit ihr bestimmt nicht nach Disney World.

Darum betastete sie jetzt das zusammengefaltete Blatt in ihrer Tasche. Sie sollte es Mrs. Wilson sofort geben, wie ihre Mommy das verlangt hatte. Doch Mrs. Wilson verlangte dann sicher von ihr, dass sie sich vor der Klasse entschuldigte. Erst letzte Woche hatte Peter sich entschuldigen müssen, weil er ein schlimmes Wort gesagt hatte. Hinterher hatten ihn auf dem Spielplatz alle ausgelacht.

„Also, Kinder, jetzt üben wir Rechnen.“

Zu spät. Mrs. Wilson begann schon mit dem Unterricht. Dann musste Jacey ihr den Brief eben später geben, wenn der Unterricht zu Ende war und bevor der Schulbus kam.

Jacey wartete auf den richtigen Moment. Sie wollte ihre Mutter nicht enttäuschen, aber sie wollte auch nicht von den anderen Kindern ausgelacht werden. Als endlich die Glocke ertönte, raffte Jacey ihren ganzen Mut zusammen und ging zu Mrs. Wilsons Schreibtisch.

„Los, los, Kind, du willst den Schulbus doch nicht schon wieder versäumen!“, drängte Mrs. Wilson, während die letzten hinausgingen.

Jacey öffnete den Mund für eine Erklärung, doch da erschien der Direktor mit einem Kind und zwei Erwachsenen in der Tür.

„Jacey, Kind, lauf“, rief Mrs. Wilson, bevor sie die neue Schülerin und deren Eltern begrüßte.

Jacey gehorchte und lief los. Aber wie sollte sie ihrer Mutter erklären, dass sie ihr Versprechen wieder nicht gehalten hatte?

4. KAPITEL

Rachel lächelte nicht, als sie Jacey aus der Kindertagesstätte abholte. Sie fragte auch nicht, wie Mrs. Wilson auf ihre Nachricht reagiert hatte.

„Hast du was, Mommy?“, fragte Jacey nach einer Weile.

„Wie?“ Rachel sah sie an, als wäre sie überrascht, dass ein Kind im Wagen war. „Oh, tut mir leid, Schatz. Was hast du gesagt?“

„Hast du was? Du redest nicht.“

„Es ist nichts. Ich … es war nur ein harter Tag in der Schule, Baby. Einer meiner Schüler war sehr unangenehm.“

Oje, dachte Jacey. Wenn ihre Mommy jetzt schon so war, dann freute sie sich bestimmt nicht darüber, dass sie Mrs. Wilson die Nachricht nicht gegeben hatte. Jacey rutschte so tief, wie es der Sicherheitsgurt erlaubte, und schloss die Augen, als ob auch sie einen sehr harten Tag hinter sich hätte.

Schweigend bogen sie in die Einfahrt. Jacey öffnete die Augen und entdeckte John hinter dem großen Fenster an der Vorderseite seines Hauses.

„Sieh nur, Mommy, da ist John!“, rief sie und stieg winkend aus.

„Komm ins Haus, Jacey“, verlangte ihre Mutter nicht gerade freundlich.

„Magst du John nicht, Mommy?“

„Jacey …“

„Hallo!“

Jacey und ihre Mutter wandten sich zu John um, der auf sie zukam.

„Hallo“, erwiderte Rachel und lächelte noch immer nicht.

„Ich wollte Ihnen den Anruf erklären.“

„Welchen Anruf?“, fragte Jacey und lächelte, als John ihr wie ein richtiger Daddy die Hand auf den Kopf legte.

Er kauerte sich neben sie. „Ich habe deine Mom heute in der Schule angerufen. Wie war es bei dir? Schlimm?“

Sie wusste, was er wissen wollte, aber genau diese Frage wollte sie nicht beantworten. „Ach, bei Mommy war es schlimmer.“

Er zog die Augenbrauen so besorgt zusammen wie die Daddys im Fernsehen, wenn mit ihrer Familie etwas nicht stimmte. Das gefiel ihr.

„Rachel, Sie hatten doch nicht etwa wegen meines Anrufs einen schlimmen Tag?“, fragte er.

„Nein, natürlich nicht. Vergessen Sie es einfach.“ Damit wandte sie sich abrupt ab und ging zum Haus.

Jacey und John wechselten einen Blick, bevor sie ihr folgten. Rachel war schon im Haus verschwunden.

„Darf ich hereinkommen?“, rief John an der Tür.

„Ja, wenn es sein muss“, erwiderte Rachel.

John kauerte sich wieder neben Jacey. „Vielleicht sollte ich mit deiner Mom allein sprechen.“

„Einverstanden“, erwiderte sie und schlang die Arme um seinen Nacken. Es war hübsch, dass sich jemand um ihre Mommy kümmerte. Außerdem brauchte sie auf diese Weise ihrer Mommy nicht zu sagen, dass sie Mrs. Wilson die Nachricht nicht gegeben hatte. Zumindest jetzt noch nicht. „Ich gehe nach oben“, flüsterte sie und lief in ihr Zimmer.

„Was ist denn heute schiefgelaufen?“

Rachel wirbelte herum. Ein Verhör durch John Crewes hatte ihr gerade noch gefehlt. Zuerst hatte sie sich die Strümpfe an dem rauen Holz des alten Schreibtisches zerrissen. Dann hatte ein Footballspieler sie über den Haufen gerannt. Und danach hatte sie das von Diane erfahren. „John, was wollen Sie? Ich habe keine Zeit, um …“

„Ich mache mir nur Sorgen, Rachel. Darf ich mir keine Sorgen machen? Sie sehen aus, als hätten Sie Ihren besten Freund verloren.“

Sein warmer Tonfall war unglaublich verlockend. Jahrelang hatte sie keine Schulter zum Ausweinen gehabt. Jetzt malte sie sich aus, wie sie sich an seinen schlanken Körper schmiegte.

Und dann brauchte sie sich gar nichts mehr auszumalen, weil er sie in die Arme zog. Und sie war so verblüfft, dass sie ihn nicht abwehrte. Er fühlte sich so herrlich stark und … maskulin an.

In diesem Moment an seiner Schulter dachte sie nicht daran, sich auszuweinen. Ganz andere Gefühle, die sie viel zu lange unterdrückt hatte, erwachten. Oh nein, wehrte sie ab. Sie konnte keinen Mann gebrauchen!

Energischer als beabsichtigt schob sie ihn von sich und wandte sich ab.

„Es geht mir bestens. Was wollen Sie?“

Er ging um sie herum. „Warum werden Sie rot?“

„Unsinn, es ist ein heißer Nachmittag.“ Und John Crewes war ihr sehr nahe. Anstelle des Anzugs trug er abgeschnittene Jeans und ein Polohemd. Er sah darin wie ein Collegestudent und nicht wie ein Geschäftsmann aus.

„Na schön, ich wollte nur wissen, wie es bei Mrs. Wilson gelaufen ist und ob es Jacey sehr unangenehm war, als Sie es der Lehrerin erklärt haben.“

„Ach, du lieber Himmel“, sagte Rachel. „Das hatte ich völlig vergessen.“

„Dann haben Sie ihr nichts erklärt?“

„Jetzt erinnere ich mich, deswegen haben Sie mich ja angerufen. Ich sollte mit meiner Erklärung warten. Warum eigentlich?“

Er zuckte die Schultern und machte das gleiche verlegene Gesicht wie Jacey, wenn sie bei etwas erwischt worden war.

„David Wester hat mich heute angerufen“, sagte er, als würde das alles erklären.

Der Name sagte ihr nichts. „Und?“

„Sie wissen nicht, wer das ist?“

„Nein, tut mir leid.“

„Lisbeths neuer Daddy.“

„Der andere Daddy, der in die Vorschule gekommen ist und über seinen Beruf gesprochen hat?“

„Richtig.“ John fuhr sich durch das dichte blonde Haar, und Rachel blickte rasch weg, weil sie genau das gern getan hätte.

Um Abstand zu gewinnen, ging sie um die Couch herum und setzte sich in den Schaukelstuhl.

John folgte ihr. „Rachel, hören Sie mir überhaupt zu?“

Sie drückte sich gegen die Rückenlehne, als John sich zu ihr beugte, und wehrte sich gegen den Wunsch, sich in seine Arme zu schmiegen. „Natürlich. Worum geht es denn nun?“

„Wissen Sie, was David Wester beruflich macht?“

„John, warum sollte mich das interessieren? Es war ein langer Tag. Ich bin müde und hungrig, ich muss meine Tochter versorgen und einen Stapel Klassenarbeiten beurteilen.“ Als er sie nur ansah, fügte sie hinzu: „Tut mir leid, das war unhöflich, aber …“

„Aber Sie müssen erst Abstand gewinnen.“

Es überraschte sie, wie gut er sie verstand. „Ja.“

„Schön, dann hole ich mit Jacey Abendessen für uns. Chinesisch? Wir lassen uns Zeit. Legen Sie die Beine hoch und entspannen Sie sich.“

„Nein, das geht nicht. Sie haben schon gestern Abend das Essen bezahlt.“

John achtete nicht auf ihren Einwand. „Jacey!“, rief er.

Rachel wollte noch einmal widersprechen, als ihre Tochter oben an der Treppe erschien.

„Wir holen chinesisches Essen, während deine Mom sich ausruht, einverstanden?“

„Oh Mann, kann ich Hühnchen süßsauer haben?“, fragte Jacey und jagte die Treppe herunter. „Und Maiskölbchen und Glücksplätzchen!“

„Kannst du alles haben, Schatz.“

„Und können wir im Park die Enten füttern?“, fügte sie hinzu.

„Warum nicht?“

Rachel protestierte, aber die beiden planten trotzdem weiter. „John, Sie sollen nicht …“, setzte sie erneut an.

„Wir sind in ungefähr einer Stunde wieder da, Rachel“, erklärte John und nahm Jacey an der Hand. Und dann beugte er sich zu der verdutzten Rachel und gab ihr einen Wangenkuss, als wäre das ganz selbstverständlich. Bevor sie sich davon erholte, waren die beiden schon lächelnd zur Tür hinaus.

Rachel sah ihnen mit offenem Mund nach. Er hatte sich wie ein Ehemann verhalten. Wie ein richtiger Ehemann, der verstand, dass seine Frau gelegentlich genau wie sein Kind verwöhnt werden musste. Wie der Ehemann ihrer Träume.

Doch sie durfte sich nicht täuschen lassen. Er war nicht ihr Ehemann. Er war nicht Jaceys Daddy. Und er würde wieder aus ihrem Leben verschwinden.

John und Jacey besorgten einen Laib Brot und Limonadendosen, bevor sie in den Park fuhren. Die großen weißen Enten waren sehr frech, als sie entdeckten, dass das kleine Mädchen Futter hatte.

Jacey rannte kreischend und kichernd über eine halbe Stunde hin und her, und John hielt sich im Hintergrund, während er auf sie aufpasste.

Endlich rief er sie zu sich auf die Parkbank und gab ihr eine kühle Limonade. „Du hast sicher Durst“, meinte er lächelnd.

„Haben wir auch was für die Enten?“

„Jacey, man gibt Enten keine Limonade. Sie trinken das Teichwasser.“

„Aber das stinkt, und Mommy sagt, dass ich das Wasser im Swimmingpool nicht trinken darf.“

Er kniff sie leicht in die Nase. „Du bist aber auch keine Ente.“

„Klar. Das hat Spaß gemacht, danke.“

„Gern geschehen. Du hast gute Manieren.“

„Die hat mir meine Mommy beigebracht.“

„Und du hast eine sehr nette Mommy.“

„Ich weiß“, bestätigte sie kichernd.

„Kommt sie oft so schweigsam nach Hause?“

„Nein, nur wenn ein Kind in der Schule sie traurig gemacht hat“, erklärte Jacey.

„Wie machen die Kinder deine Mom traurig? Stellen sie etwas Schlimmes an?“

„Nein, Mommy sorgt dafür, dass sie sich gut benehmen. Aber wenn ein Kind niemanden hat, der es liebhat, macht sie das traurig.“

„Verstehe.“ Und er verstand tatsächlich. Rachel Cason besaß ein Herz voll Liebe. Er hatte gesehen, wie sie mit Jacey umging. Sein Vater war in seiner Arbeit aufgegangen, seine Mutter in ihren Wohltätigkeitsveranstaltungen. Darunter hatte er zwar nicht gelitten, aber eine Mutter wie Rachel, die ihr Kind umarmte und ihm ein Lächeln und ihre Zeit schenkte – himmlisch.

Natürlich wäre es noch besser gewesen, wenn Rachel ihn jetzt umarmt hätte. Als er sich ihre Reaktion auf seine Gedanken vorstellte, musste er lachen.

„Was ist denn so lustig?“, fragte Jacey.

„Ich habe nur daran gedacht, wie nett deine Mom ist.“

„Ja“, bestätigte sie zufrieden.

„Wo ist eigentlich dein Daddy?“, fragte er, ohne zu überlegen, und hätte die Worte am liebsten sofort wieder zurückgenommen, doch das Kind schien damit keine Probleme zu haben.

„Er ist weggegangen, bevor ich geboren wurde. Mommy sagt, dass er nicht gewusst hat, wie lieb ich werde, sonst wäre er nicht weggegangen.“

John drückte sie an sich. „Deine Mommy hat recht, Jacey. Du bist ein ganz besonders liebes Kind.“

„Und du bist ein guter Daddy.“ Jacey lächelte ihn an. „Ich habe einen guten Daddy engagiert.“

„Ich habe damit aber keine Erfahrung.“

„Mommy hat auch keine Erfahrung gehabt, wie man eine Mommy ist. Sie sagt, dass sie Angst gehabt hat. Aber sie hat es schnell gelernt.“

„Das hat sie. Und jetzt holen wir chinesisches Essen und fahren nach Hause. Vielleicht geht es ihr schon wieder besser.“

Sie waren fast schon wieder beim Haus, als John sich endlich an sein ursprüngliches Problem erinnerte.

„Sag mal, Jacey, wie hat denn Mrs. Wilson reagiert, als sie erfuhr, dass ich nicht wirklich dein Dad bin?“

Jacey Lächeln verschwand schlagartig.

„War es so schlimm, Schatz?“, fragte er mitfühlend. „Das tut mir leid.“

Jacey ließ den Kopf hängen und murmelte etwas. John musste auf die Straße achten und konnte sie deshalb nicht richtig trösten. Diese Lehrerin musste wirklich brutal gewesen sein!

In der Einfahrt stellte er den Motor ab und wandte sich zu Jacey. „Komm schon, Schatz! Erzähl mir, was sie gesagt hat.“

„Das kann ich nicht“, flüsterte Jacey.

„So gemein kann sie doch gar nicht gewesen sein Jacey. Hat sie dich gezwungen, es vor den anderen Kindern zu sagen?“

Sie schüttelte den Kopf.

Er sah sie entsetzt an. „Sie hat dich doch nicht geschlagen?“

„Nein.“

„Jacey, sag es mir endlich! Hat sie geschimpft?“

Wieder schüttelte das Kind den Kopf.

John fand Jacey zwar niedlich, aber jetzt wollte er eine Antwort. Allmählich begriff er, wieso Eltern bei Kindern manchmal die Geduld verloren.

„Jacey!“

„Ich habe ihr den Brief nicht gegeben.“ Jacey starrte unverwandt auf ihre Zehen.

John war darauf eingestellt, sie über die schreckliche Bestrafung, die sie erhalten hatte, hinwegzutrösten. Jetzt brauchte er einen Moment, um zu begreifen. „Was? Sie weiß noch nichts?“

Jacey schüttelte den Kopf.

„Hast du es Lisbeth erzählt?“, fragte er sicherheitshalber.

Jacey schüttelte erneut den Kopf, warf ihm einen Blick zu und senkte wieder den Kopf. „Lisbeth fährt mit ihrem neuen Daddy nach Disney World!“, stieß sie hervor.

John interessierte sich nicht für Lisbeth. „Fein“, murmelte er zerstreut.

„Ich habe gesagt, dass wir das auch machen.“

„Fein“, wiederholte er. „Schatz, hast du deiner Mutter schon erzählt, dass du Mrs. Wilson den Brief nicht gegeben hast?“

„Nein.“ Nach einer Weile fragte sie mit dünnem Stimmchen: „Bist du jetzt böse?“

John lachte laut auf. „Böse? Nein, ich freue mich.“ Dann zog er in Betracht, wie das auf das Kind wirken musste. „Ich bin allerdings nicht deine Mutter. Sie wird sich bestimmt nicht darüber freuen, dass du nicht gehorcht hast.“

„Ich weiß.“

„Wann sagst du es ihr?“

„Ich kann Mrs. Wilson den Brief ja morgen geben.“

„Nein!“, rief John hastig. „Nein … ich meine, ich halte das nicht für eine gute Idee.“

„Warum nicht?“

„Weil … weil … ich finde, du solltest es deiner Mommy heute Abend sagen.“

„Aber dann regt sie sich auf, und sie ist jetzt schon traurig.“

Jacey hatte recht. Und wenn er mit Rachel nicht vor Montag darüber reden musste, Mrs. Wilson nichts zu sagen, war das perfekt. Jacey bekam keinen Ärger, und Rachel regte sich nicht auf.

Ein Klopfen am Wagenfenster schreckte sie beide auf.

Jacey öffnete die Wagentür.

„Wir haben Spaß gehabt, Mommy. Wir haben die Enten gefüttert.“

„Schön. Ihr wart lange weg.“

John stieg mit dem Essen und einer Tüte mit Getränken aus. „Hungrig?“

„Sehr, aber es gefällt mir nicht, dass Sie sich so viel Mühe gemacht haben.“

„Das war keine Mühe. Jacey hat doch schon gesagt, dass wir Spaß hatten.“

Während er Rachel ins Haus folgte, überlegte er, ob er vielleicht erst nach dem Essen über den Brief an Mrs. Wilson sprechen sollte. Wozu allen den Appetit verderben?

5. KAPITEL

Rachel betrachtete John, während er mit Jacey redete. Der Abend hatte sich überraschend entwickelt. Zuerst hatte John verstanden, dass sie allein sein wollte. Dann hatte er ein köstliches Abendessen gebracht und sie beide mit lustigen Geschichten unterhalten. Jacey hatte die ganze Zeit gelacht. Jetzt saß sie auf Johns Schoß und half ihm, seine Zukunft aus dem zerbrochenen Glücksplätzchen auf seinem Teller zu lesen.

„‚Sie werden gesund, reich und glücklich sein‘“, las John vor.

„Ist das gut?“, fragte die Kleine.

„Bestens“, versicherte er und drückte ihr einen Kuss auf das Haar.

Rachel wollte dagegen Einspruch einlegen. Ihr Kind gewöhnte sich zu sehr an diesen Mann, den sie erst eine knappe Woche kannten.

„Was steht auf meinem Zettel?“, fragte Jacey und zog einen schmalen Papierstreifen aus ihrem Glücksplätzchen.

John las und lachte.

„Was steht da? Was steht da?“, fragte Jacey neugierig.

„‚Der Kluge hört auf die Greise.‘“ Er blickte zu Rachel und wartete darauf, dass sie mit ihm lachte. Sie schaffte nur ein Lächeln.

„Was sind Greise?“, fragte Jacey.

„Deine Mom und ich“, erwiderte er.

„Ein Greis ist ein Mensch, der schon sehr alt ist, Jacey“, fügte Rachel hinzu.

Jacey fand es nicht so heiter wie John. „Ist gut“, sagte sie seufzend und rutschte von seinem Schoß.

„Jacey, was machst du?“, fragte er.

Sie stellte sich vor ihre Mutter. „Ich muss dir etwas sagen, Mommy. John hat gesagt, dass ich es tun soll.“

John stand rasch auf. „Nein, Jacey, mach es, wie du es willst.“

Sie hielt den Finger an die Lippen, wie immer, wenn sie durcheinander oder ängstlich war. Rachel legte ihr die Hand unter das Kinn. „Worum geht es, Jacey?“

„Mommy, ich habe Mrs. Wilson den Brief heute nicht gegeben.“

Rachel schloss für einen Moment die Augen und sah dann Jacey an. „Warum nicht, Schatz?“

„Weil ich Angst hatte, dass ich mich dann wie Peter vor allen anderen entschuldigen muss. Alle haben ihn ausgelacht.“ Tränen stiegen ihr in die großen blauen Augen. „Es tut mir leid, Mommy. Bist du jetzt böse auf mich?“

Rachel drückte ihre Tochter an sich. „Nein, ich bin nicht böse, nur ein wenig enttäuscht, weil du nicht gehorcht hast. Aber vielleicht habe ich zu viel verlangt.“

„Ich gebe ihr morgen den Brief, Mommy, das verspreche ich“, rief Jacey, schlang die Arme um den Nacken ihrer Mutter und drückte sie fest.

„Mal sehen, Jacey. Ich werde darüber nachdenken. Bedanke dich jetzt bei Mr. Crewes für das Abendessen und mach dich zum Schlafen fertig.“

Jacey bedankte sich nicht nur bei John, sondern warf sich ihm auch noch in die Arme.

„Darf ich sie nach oben tragen?“, fragte er und schwang sich Jacey auf die Schultern.

Jacey lachte und hielt sich an seinen Ohren fest. Wie konnte Rachel da ablehnen?

„Ja, natürlich.“ Sie ließ ihn an sich vorbei und folgte ihm die Treppe hinauf.

John setzte Jacey auf ihr Bett, wünschte ihr eine gute Nacht und erklärte, dass er unten auf Rachel warten wollte.

„Ich habe John lieb“, verkündete Jacey, als Rachel ihr den Pyjama anzog.

„Jacey, John ist sehr nett, aber … aber er ist kein Daddy. Und nach dem heutigen Abend kommt er nicht mehr her.“

„Warum nicht? Er wohnt nebenan, Mommy. Das ist doch nicht weit.“

„Ich weiß, Schatz, aber Männer, die nicht verheiratet sind und keine Kinder haben, sind sehr beschäftigt. Sie haben keine Zeit, um mit kleinen Kindern zu spielen.“ Oder mit alleinstehenden Müttern …

„Oh.“

„Danke, dass du wegen des Briefes ehrlich warst.“

„Tut mir leid, dass ich ihn nicht abgegeben habe.“

„Das ist schon in Ordnung. Und jetzt solltest du beten.“

Nach dem üblichen Abendgebet fügte Jacey stets etwas Eigenes hinzu. „Danke für John, lieber Gott. Lass ihn wieder herkommen, damit er mit uns spielt. Es tut mir leid, dass ich nicht auf meine Mommy gehört habe.“

Rachel wollte sie jetzt ins Bett legen, aber Jacey hatte noch etwas auf dem Herzen.

„Und mach bitte John zu meinem richtigen Daddy, Amen.“

„Jacey!“

„Was ist, Mommy? Du hast gesagt, dass ich den lieben Gott um alles bitten kann.“

„Ja, aber … aber er erfüllt dir diese Bitte vielleicht nicht.“

„Ich weiß, aber ich kann doch darum bitten.“

„Gute Nacht, Jacey.“ Rachel gab ihrer Tochter einen Kuss und vermied es, über Jaceys Bitte zu sprechen. John Crewes stellte eine Versuchung dar, der sie ausweichen wollte.

John wartete im Wohnzimmer, das Rachel mit alten Möbeln hübsch eingerichtet hatte.

„Danke, dass Sie Jacey zu dem Geständnis überredet haben“, sagte Rachel, als sie hereinkam.

John betrachtete die schöne Frau, die vor ihm stand. „Danken Sie mir nicht.“

„Warum nicht?“

Ihre Augen waren noch größer und schöner als die von Jacey. Er trat einen Schritt näher und blieb stehen.

„Als ich ihr den Rat gab, dachte ich an mich. Hinterher hielt ich es für falsch, Jacey in Schwierigkeiten zu bringen, nur um mir selbst zu helfen.“

Rachel hob die Augenbrauen und betrachtete ihn kühl. Jetzt wusste John, wie sich ein Schüler fühlte, der gegen ihre Vorschriften verstieß.

„Wieso hilft es Ihnen, wenn Jacey Schwierigkeiten bekommt?“

„Ich musste mit Ihnen darüber reden, wann Sie Mrs. Wilson die Wahrheit beibringen. Das konnte ich aber nicht, solange Sie noch dachten, Mrs. Wilson wüsste schon Bescheid.“

Sie verschränkte die Arme. „Das hat mit Ihrem Anruf zu tun, nicht wahr?“

Er nickte.

„John, Mrs. Wilson muss die Wahrheit erfahren, sonst ändert sie alle Unterlagen über Jacey. Die Lüge darf nicht länger bestehen.“

„Das will ich auch gar nicht.“ Er kam noch einen Schritt näher und hätte Rachel am liebsten an sich gezogen.

„Was schlagen Sie vor?“

Er deutete auf die Couch. „Setzen Sie sich. Dann kann ich es erklären. Es ist kompliziert. Und warum sollten wir es uns nicht bequem machen?“

Misstrauisch ging sie zur Couch. „Der letzte Mann, der wollte, dass ich es mir bequem mache, wollte mir ein Nachschlagewerk verkaufen. Was wollen Sie mir verkaufen, John?“

„Nichts, das so teuer ist.“ Ihm fielen zahlreiche Dinge ein, für die Rachel es sich bequem machen sollte. Nachschlagewerke gehörten nicht dazu. Sobald er neben ihr saß, kam er sofort zur Sache. „David Wester hat mich heute angerufen und mir seine Geschäfte übertragen, weil ich ein familienorientierter Mann bin.“

Autor

Judy Christenberry

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