Sinnliche Tage auf Myros

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Am Strand in der Sonne, allein in einer romantischen Bucht, genau so hatte sich die gestresste Finanzberaterin Cressida ihren Griechenlandurlaub vorgestellt. Aus der ruhigen Erholung wird jedoch ein aufregender Flirt, als sie den feurigen Draco Viannis trifft. Nur ein heißes Abenteuer, denkt Cressida. Bis Draco ihr überraschend einen Heiratsantrag macht …


  • Erscheinungstag 31.07.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733774448
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Cressida Fielding lenkte ihren Fiat zwischen den beiden Steinsäulen in die Einfahrt und fuhr über den langen, gewundenen Weg zum Haus.

Auf der breiten Kiesfläche vor dem Haupteingang brachte sie den Wagen zum Stehen. Die Hände um das Lenkrad gekrampft, saß sie einen Moment still und starrte auf das Haus.

Endlos war ihr die Fahrt vom Krankenhaus über die engen, kurvigen Landstraßen vorgekommen, während die Abendsonne ihre Augen blendete. Aber lieber wäre sie den Weg noch einmal gefahren, als sich der Situation zu stellen, die sie nun erwartete.

Das Bild ihres Vaters auf der Intensivstation ging ihr nicht aus dem Kopf. Sein Gesicht unter dem grellen Neonlicht war aschfahl, sein stämmiger Körper schien seltsam geschrumpft.

Mit zusammengepressten Lippen versuchte Cressida das Bild abzuschütteln. So durfte sie nicht denken. Ihr Vater hatte einen schweren Herzanfall erlitten, aber er war auf dem Weg der Besserung. Und sobald sein Zustand stabil genug war, würde er operiert werden. Und dann würde es ihm wieder gut gehen – zumindest gesundheitlich.

Und ich werde alles tun, ihm die Rückkehr ins Leben zu erleichtern, dachte sie.

Ihr Herz tat einen Sprung, als sie den Range Rover ihres Onkels neben den Rhododendronbüschen stehen sah. Wenigstens war sie nicht alleine.

Als sie die Stufen hochging, öffnete sich die Eingangstür, und die Haushälterin erschien mit besorgtem Gesicht. „Oh, Miss Cressy“, rief sie erleichtert bei ihrem Anblick. „Endlich sind Sie da.“

„Ja, Berry, ich bin zurückgekommen.“ Cressida legte beruhigend ihre Hand auf Mrs Berrymans Arm. In der Eingangshalle blieb sie stehen und blickte auf die geschlossenen Türen rundherum. Sie holte tief Luft. „Ist Sir Robert im Wohnzimmer?“

„Ja, Miss Cressy. Und Lady Kenny ist auch da. Ich weiß nicht, was ich ohne ihn angefangen hätte, er war wie ein Fels in der Brandung.“ Sie zögerte. „Soll ich Ihnen etwas bringen?“

„Ja, vielleicht Kaffee – und ein paar Sandwiches. Ich konnte im Flugzeug nichts essen.“

Cressida sah der forteilenden Berry nach, dann durchquerte sie seufzend die Halle. An dem großen Spiegel über dem hübsch geschwungenen antiken Tischchen hielt sie kurz inne und betrachtete ihr Spiegelbild.

Sie behielt immer einen kühlen Kopf. Ihr Chef sagte es mit Bewunderung, ihre Freunde mit bekümmertem Lächeln und ihre Verehrer mit an Feindseligkeit grenzender Verzweiflung.

Eine Persönlichkeit, die sie sorgfältig und mit Bedacht aufgebaut hatte, und die ihr Halt gab.

Aber heute Abend zeigten sich Risse in der Fassade. Unter den graugrünen Augen lagen tiefe Schatten, was die hohen Wangenknochen noch stärker betonte, und um den Mund zogen sich Linien der Anspannung.

Nach dem Gefühlssturm der letzten Wochen war es das erste Mal, dass sie sich eingehend im Spiegel betrachtete. Ihre Sachen waren völlig zerknittert von der Reise, und ihr hellblondes Haar klebte am Kopf. Mit einer Grimasse fuhr sie sich durchs Haar, atmete tief durch und betrat das Wohnzimmer.

An der Tür blieb sie verdutzt stehen, als sie die veränderte Einrichtung sah – mit schwerem Brokat bezogene Polstermöbel, weißer Teppichboden anstelle der schönen alten Perserbrücken, vergoldete und kristallene Leuchter, wo früher grazile Lampen standen, und überall Spiegel. Alles wirkte teuer und geschmacklos zugleich.

Es sah aus wie ein Bühnenbild, und vermutlich war es auch so gedacht, mit Eloise in der Hauptrolle. Nur dass sie ihre Rolle nicht zu Ende gespielt hatte …

Sir Robert, der unbehaglich auf einer Sesselecke in all dieser Pracht saß, sprang sichtlich erleichtert auf, als er Cressida erblickte. „Mein liebes Kind. Das ist eine schlimme Geschichte.“ Er umarmte sie unbeholfen. „Ich kann es immer noch nicht glauben.“

„Ich auch nicht“, erwiderte Cressida und gab ihrer Tante einen Kuss. „Hat Eloise sich gemeldet?

„Nein“, sagte Sir Robert knapp. „Und das wird sie auch nicht. Sie hat praktisch das ganze Haus geplündert, bevor sie ging.“ Er runzelte die Stirn. „Berry sagt, sie hätte auch den Schmuck deiner Mutter mitgenommen.“

„Dad hat ihn ihr geschenkt, als sie heirateten“, erinnerte sie ihn. „Er gehörte ihr. Wenigstens sind wir sie jetzt los.“

„Aber zu welchem Preis.“ Sir Robert verzog den Mund. „Nun ja, ich habe nie verstanden, was James an ihr fand.“

„Da bist du der Einzige, mein Liebling“, wandte seine Frau trocken ein und zog Cressida neben sich auf das Sofa. „Eloise war eine sehr schöne, sehr sexy aussehende junge Frau, und sie hat meinen unglückseligen Bruder im Sturm erobert. Er war ihr vom ersten Moment an verfallen und ist es wahrscheinlich immer noch.“

„Herrgott, Barbara, sie hat ihn ruiniert – sie und ihr … Liebhaber.“

„Das ist das Schreckliche an der Liebe“, sagte Cressida langsam. „Sie macht dich blind … verrückt …“ Ich habe das vorher nie verstanden, dachte sie schmerzlich. Aber jetzt weiß ich es. Bei Gott, jetzt weiß ich es …

Sie fing sich wieder und sah ihren Onkel an. „Stimmt es wirklich? Es ist nicht nur ein schrecklicher Irrtum?“

Sir Robert schüttelte ernst den Kopf. „Den Irrtum hat dein Vater begangen, fürchte ich. Er hat diesen Caravas anscheinend vor zwei Jahren in Barbados getroffen, als er mit Eloise dort Urlaub machte. Caravas gab sich als Anlageberater aus und machte ihm einige ganz vernünftige Angebote.“ Er presste die Lippen zusammen. „Das nennt man wohl ‚den Boden vorbereiten‘.“

„Wann hat er zuerst von der Ferienanlage gesprochen?“

„Einige Monate später“, erwiderte Sir Robert grimmig. „Sie trafen sich, angeblich zufällig, bei einem Ball. Danach gab es andere Treffen – teure Abendessen, für die er bezahlte –, und schließlich begann er von dieser Luxusferienanlage zu sprechen, wie gewinnbringend das Projekt sei und dass man möglichst viel anlegen sollte.“

Cressy zog die Luft ein. „Also hat Dad sein ganzes Geld hineingesteckt? Und noch eine Hypothek auf das Haus aufgenommen?“ Sir Robert nickte bekümmert. „Wenn James mir nur davon erzählt hätte, vielleicht hätte ich es noch verhindern können. Aber als ich es erfuhr, war es zu spät.“

„Und natürlich war es ein Flop.“ Cressy blickte auf ihre zusammengepressten Hände. „Ein Sumpfgebiet mitten in der Einöde. Niemand würde dort je etwas hinbauen.“

„Aber es war schlau eingefädelt. Ich habe die Pläne gesehen und auch die Baugenehmigung. Alles wirkte sehr professionell.“

„Und der clevere Mr Caravas? Seit wann sind er und Eloise zusammen?“, fragte Cressy.

„Ich vermute, schon ziemlich seit Beginn. Zweifellos hat sie James zu dem Deal überredet. Und jetzt sind die beiden wie vom Erdboden verschwunden. Die Polizei vermutet, dass sie ihre Namen geändert haben und das Geld sich auf einem Nummernkonto befindet.“ Er machte eine Pause. „Natürlich war dein Vater nicht das einzige Opfer.“

Cressy schloss die Augen. „Wie, um alles in der Welt, konnte Dad ein solches Risiko eingehen?“

Sir Robert räusperte sich. „Er war schon immer ein Spieler, mein Kind. Deshalb hatte er auch so großen geschäftlichen Erfolg. Aber dann verlor er an der Börse – und es gab noch verschiedene andere Probleme. In dem Projekt sah er eine zukunftssichere Anlage. Er hat nie an Ruhestand gedacht. Er wollte immer die Fäden in der Hand behalten.“

„Ja“, sagte Cressida bitter. „Und jetzt kann ich zusehen, ob aus dem Trümmerhaufen noch was zu retten ist.“ Sie blickte sich um. „Ich nehme an, das Haus sind wir los.“

„Sieht so aus“, sagte Barbara bekümmert.

Cressy nickte entschlossen. „Ich habe meinen Laptop dabei. Morgen werde ich nachsehen – herausfinden, wie schlimm es wirklich steht.“

Es klopfte, und Mrs Berryman kam mit einem vollen Tablett herein. Der Kaffeegeruch, die appetitlichen Sandwiches und selbst gebackenen Plätzchen erinnerten Cressy daran, wie lange sie nichts gegessen hatte. „Das sieht sehr lecker aus, Berry“, sagte sie mit warmer Stimme.

„Sie machen den Eindruck, als hätten Sie es nötig.“ Die Haushälterin blickte sie prüfend und mitfühlend zugleich an. „Sie haben abgenommen.“

Cressy schenkte Kaffee ein. „Das scheint nur so wegen meiner griechischen Bräune. Außerdem bin ich dort viel gewandert.“ Und ich bin geschwommen und habe getanzt …

„Mein Kind, es tut mir leid, dass dein Urlaub auf diese Weise unterbrochen wurde“, sagte Sir Robert bedrückt. „Aber ich hatte schon, bevor James zusammenbrach, daran gedacht, dir Bescheid zu geben.“

Cressy zwang sich zu einem Lächeln. „Es war ohnehin Zeit zurückzukommen.“ Sie presste die Lippen zusammen. „Man soll gehen, wenn es am schönsten ist.“ Sie reichte den Kaffee herum und bot Sandwiches an. „Ich wollte schon längst hier sein. Aber es ist Hochsaison, und ich konnte nicht gleich einen Flug bekommen. Ich musste einen ganzen Tag in Athen warten.“

Es war ein nervenaufreibender, verkorkster Tag gewesen. Sie hatte an einer Führung auf die Akropolis teilgenommen, sich von der Menge durch die Plaka schieben lassen und ständig darauf gewartet, dass sich eine Hand auf ihre Schulter legt, jemand sie beim Namen nennt …

„Cressy, ich mache mir Sorgen um dich“, sagte Lady Kenny. „Du hast nicht genug Spaß im Leben. Dauernd hockst du vor dem Computer, um anderer Leute Steuerprobleme zu lösen. Du solltest dir einen netten jungen Mann suchen.“

„Ich mag meinen Job“, erwiderte Cressy sanft. „Und wenn du damit meinst, ich solle mich der Leidenschaft hingeben, dann haben wir damit schon genug Ärger in unserer Familie. Wenn ich daran denke, wie mein Vater sich zum Narren machte für jemand wie Eloise…“

„Er war lange allein“, sagte ihre Tante ruhig. „Der Tod deiner Mutter hat ihn sehr mitgenommen. Und Eloise war clever – sie hat ihn um den Finger gewickelt. Sei nicht zu hart mit ihm, Kind.“

„Nein“, erwiderte Cressy gedankenverloren. „Ich habe kein Recht, über ihn zu urteilen. Wie leicht kann man von seinen Gefühlen überrumpelt werden.“ Das wusste sie nur zu gut.

Für einen Moment sah sie das kobaltblaue Meer, den weißen Strand, die von der Sonne gebleichten Klippen. Und sie sah dunkle lachende Augen in einem markanten, gebräunten Gesicht, Augen, in denen ganz plötzlich das Begehren aufflackern konnte …

Sie schob das Bild beiseite. Ich werde nicht mehr an ihn denken, befahl sie sich streng. Ich darf nicht …

Als sie die erstaunten Blicke ihrer Tante und ihres Onkels sah, fügte sie schnell hinzu: „Vielleicht sollte ich mich nicht von meiner Abneigung gegen Eloise überwältigen lassen. Wenn ich hier gewesen wäre, hätte ich vielleicht alles verhindern können.“ Tränen traten ihr in die Augen, und sie biss sich auf die Lippen.

Sir Robert tätschelte ihre Schulter. „Cressy, du bist die Letzte, die man dafür verantwortlich machen könnte. Und was den Herzanfall angeht, so meinte der Doktor, dass er schon vor einem Jahr Anzeichen festgestellt und deinen Vater gewarnt hat. Aber der wollte es nicht wahrhaben.“

„Wegen Eloise“, sagte Cressy bitter. „Oh, warum musste er sie treffen?“

Lady Kenny sagte sanft: „Manchmal geht das Schicksal seltsame Wege, Cressy.“ Und nach einer Pause: „Ich habe ein Zimmer in unserem Haus für dich hergerichtet, falls du nicht nach London zurückwillst. Und du sollst das nicht alleine durchstehen müssen.“

„Das ist sehr nett von dir“, sagte Cressy dankbar; „Aber ich möchte hier im Haus bleiben. Ich habe im Krankenhaus hinterlassen, dass sie mich hier erreichen können. Und Berry ist ja auch noch da.“

„Ach ja“, seufzte Sir Robert. „Ich fürchte, Berry wird ein weiteres Opfer dieses Debakels werden.“

„Oh, bestimmt nicht“, wandte Cressy ein. „Sie hat schon immer zur Familie gehört.“ Etwas, das selbst Eloise nicht ändern konnte, dachte sie.

Sir Robert trank seinen Kaffee aus und stellte die Tasse ab. „Mein Kind, du musst dich wohl damit abfinden, dass nichts mehr so sein wird wie früher.“

Er hat recht, dachte Cressy, als sie eine Stunde später auf der Treppe stand, um ihn und ihre Tante zu verabschieden. Alles hatte sich auf einen Schlag verändert. Einschließlich ihr selbst.

Während sie ins Haus zurückging, versuchte sie, die Erinnerung abzuschütteln.

Sie musste die verzauberten, sonnentrunkenen Tage auf Myros vergessen. Wie nahe war sie selbst daran gewesen, einen schrecklichen Fehler zu begehen.

Der dringende Anruf aus England, auch wenn der Anlass noch so schmerzlich war, hatte sie in die Realität zurückgeholt. Hatte sie aus diesem gefährlichen, verführerischen Traum erweckt, der sie gefangen hielt. Eine Urlaubsaffäre – mehr war es nicht. Unbedeutend und kitschig, wie so was eben ist – ein glutäugiger Grieche und eine gelangweilte Touristin.

Sie fragte sich, was wohl passiert wäre, wenn sie die Nachricht ihres Onkels nicht im Hotel vorgefunden hätte. Wenn sie Dracos Aufforderung gefolgt und zu ihm zurück nach Myros gefahren wäre …

Sie unterbrach diesen Gedankengang. Solche Fantasien waren jetzt nicht am Platz. Myros und alles, was dort passiert war, gehörte der Vergangenheit an. Irgendwann würde es nichts weiter sein als eine jener Erinnerungen, die man ausgräbt, abstaubt und lächelnd anschaut.

Die Erinnerung an eine Leidenschaft …

Jetzt aber gab es andere Probleme. Sie würde früh ins Bett gehen und morgen sehen, was noch zu retten war.

Doch sie schlief unruhig, wachte mehrmals schweißgebadet auf, von Bildern verfolgt, die sie nicht einordnen konnte. Vielleicht lag es daran, dass sie in dieses Haus zurückgekommen war, wo sie sich so lange fremd gefühlt hatte, und wieder in ihrem alten Zimmer schlief. Die Vergangenheit spukte in ihrem Unterbewusstsein herum.

Aber wenigstens hatte dieser Raum Eloises kostspielige Renovierungsmaßnahmen unbeschadet überstanden. Cressy dachte eher sorgenvoll als ärgerlich daran, wie entschlossen Eloise jede Spur ihrer Vorgängerin zu tilgen versucht hatte. Kein Wunder, dass ihr Vater in finanzielle Schwierigkeiten geraten war.

Obwohl man gerechterweise sagen musste, dass dies nicht das erste Mal war, dass James Fielding zu viel riskiert hatte. Nur diesmal schien sein guter Riecher ihn im Stich gelassen zu haben.

Sie schob die Decke weg, stand auf und ging zum Fenster. Am östlichen Horizont zeigte sich bereits ein heller Streifen, und die kühle Morgenluft ließ sie in ihrem dünnen Baumwollhemd erzittern.

In Griechenland waren die Nächte so heiß gewesen. Außer im Hotel, wo es eine Klimaanlage gab. Jeden Abend hatte das Zimmermädchen ihr seidenes Nachthemd kunstvoll aufs Bett drapiert, eine Rose darauf gelegt und ein exquisites Stück Konfekt aufs Kopfkissen.

In der Taverne in Myros hatte sie nackt geschlafen und selbst das dünne Laken weggeschoben, froh, durchs offene Fenster die laue Meeresbrise auf ihrer Haut zu spüren.

Sie ging leise nach unten in die Küche und kochte sich eine Kanne Kaffee, die sie mit ins Arbeitszimmer nahm. Wenn sie schon nicht schlafen konnte, konnte sie ebenso gut mit der Arbeit anfangen.

Sie war sicher, dass das finanzielle Desaster abgewendet werden konnte. Ihr Vater war ein Stehaufmännchen. Er würde seine Krankheit überwinden und ein neues Leben beginnen.

Sie hatte im Flugzeug schon überlegt, was sie dazu beitragen konnte, war aber nicht sehr weit gekommen. Selbst wenn sie ihre Londoner Wohnung verkaufen und wieder hier leben würde, könnte sie die Hypothek nicht abzahlen.

Außerdem war sie nicht sicher, ob sie es ertragen könnte, wieder in diesem Haus zu wohnen, und sei es auch nur für kurze Zeit. Es gab zu viele schlechte Erinnerungen.

Cressida war ein Teenager gewesen und hatte noch um ihre Mutter getrauert, als sie erfuhr, dass ihr Vater wieder heiraten wollte. Zu dem Schock kam das Gefühl des Verrats, als sie herausfand, welche Art von Frau ihr Vater sich ausgesucht hatte.

Rückblickend erkannte sie allerdings auch ihre eigene Intoleranz gegenüber der neuen Mitbewohnerin.

Eloise war eine kleine Schauspielerin gewesen, und der Höhepunkt ihrer Karriere war die Rolle als Hostess in einer zweitklassigen Quizsendung im Fernsehen. Sie war groß und vollbusig, mit kokett aufgeworfenen Lippen und kindlich weit geöffneten veilchenblauen Augen. Außer wenn sie sich ärgerte. Dann waren ihre Augen zusammengekniffen wie bei einem Raubtier.

Die Abneigung war beiderseitig. Eloise machte kein Hehl daraus, dass sie keine Lust hatte, sich mit anderen Frauen abzugeben, und sei es auch nur mit einem jungen unreifen Küken, das ihr keinesfalls Konkurrenz machen konnte.

Und wenn Cressy auf Drängen ihres Vaters zaghafte Annäherungsversuche unternahm, wurde sie brüsk zurückgewiesen. Sie wurde immer verschlossener und galt schließlich als hinterlistiges, ja schwer erziehbares Kind. Und James Fielding, der nicht merkte, dass er manipuliert wurde, zeigte ihr deutlich sein Missfallen. So entstand mit den Jahren eine immer größere Kluft zwischen Vater und Tochter.

Cressida hatte bald gespürt, dass sie unerwünscht war. Selbst über Weihnachten war sie alleine. Dann organisierte Eloise gewöhnlich einen Skiurlaub für sich und ihren Mann.

„Liebling“, hatte sie beim ersten Mal einschmeichelnd gesagt. „Cressida hat bestimmt keine Lust, ihre Ferien mit uns altmodischen Leuten zu verbringen. Sie hat ihre eigenen Freunde, ihr eigenes Leben.“ Ihr stählerner Blick traf die Stieftochter. „Stimmt’s?“

Es war leichter, den Schmerz und die Verwirrung hinunterzuschlucken und zuzustimmen. Natürlich hatte sie Freunde, zu denen sie gehen konnte, und auch Onkel Robert und Tante Barbara waren immer für sie da. Ihr gemütliches, unordentliches Haus war für sie ohnehin zur Heimat geworden.

Lange Zeit hatte Cressida sich einzureden versucht, dass ihrem Vater eines Tages die Augen aufgehen würden. Aber das war nie passiert.

Eloise, dessen war Cressida sicher, sah in James Fielding nur den erfolgreichen Geschäftsmann mit solidem Hintergrund und einem hübschen Haus im viktorianischen Stil, nicht allzu weit von London entfernt.

Was sie nicht wusste, war, dass James’ Firma wiederholt in finanzielle Krisen geriet und dass James als Vorstandsvorsitzender mehr als einmal versagt hatte, bis man ihm schließlich den Rücktritt nahe legte.

Eloise war viel zu sehr damit beschäftigt, Wochenendpartys zu organisieren und sich mit den richtigen Leuten an den richtigen Orten zu zeigen.

Selbst als James in den Ruhestand ging, schraubte sie ihre Ansprüche nicht zurück.

Alec Caravas war jung und unternehmungslustig. Und Eloise war leicht zu verführen.

In den letzten beiden Jahren hatte Cressida ihren Vater nur hin und wieder in London zum Lunch getroffen, meist in angespannter Atmosphäre.

Vielleicht hätte ich mir mehr Mühe geben sollen, dachte sie, während sie ihren Kaffee trank. Vielleicht hätte ich ihm vorheucheln sollen, sie zu mögen. Ich hätte mir einreden können, dass sie, ungeachtet meiner Abneigung, meinen Vater liebte und ihn glücklich machte.

Aber daran hatte sie nie geglaubt. Allerdings hätte sie auch nicht erwartet, auf solch fatale Weise Recht zu bekommen.

Sie wandte sich seufzend dem Computer zu. Es hatte keinen Sinn, über die Vergangenheit nachzugrübeln. Besser wäre es, sich um die Zukunft ihres Vaters zu kümmern.

Was sie herausfand, war jedoch wenig beruhigend.

Die Rente war tatsächlich alles, was ihrem Vater blieb. Nach seiner Genesung wird er feststellen, dass er bankrott ist, dachte sie unglücklich.

Er würde seinen Lebensstil herunterschrauben müssen. Sie musste eine Wohnung oder ein kleines Haus für ihn mieten und ihm ein Heim schaffen – ihm und Berry, die er mehr denn je brauchen würde. Aber wer sollte das bezahlen?

Darüber würde sie später nachdenken. Sie sah auf die Uhr. Zeit, zu duschen und sich anzuziehen und dann wieder ins Krankenhaus zu fahren.

Erst als sie den Stuhl zurückschob, bemerkte sie auf dem Bildschirm den Hinweis auf eine Nachricht.

Noch jemand, der früh aufgestanden ist, dachte sie und zog eine Grimasse.

Sie öffnete die E-Mail und las:

Ich warte auf Dich.

Obwohl dieser Satz knapp war und die Absenderadresse ihr unbekannt vorkam, zuckte sie zusammen und blickte instinktiv hinter sich. Das Zimmer war leer, und doch fühlte sie Dracos Anwesenheit. Es war, als würde er ihr von hinten die Hand auf die Schulter legen.

„Nein“, sagte sie in Panik. „Das ist nicht wahr. Das kann nicht sein …“

2. KAPITEL

Bestimmt gab es eine ganz einfache Erklärung. Irgendwer hatte sich einen Scherz mit ihr erlaubt.

Während der Fahrt zum Krankenhaus versuchte Cressy, sich das einzureden. Es war ganz sicher einer ihrer Kollegen …

Nur dass alle dachten, sie würde sich auf einer Insel in der Ägäis sonnen. Sie hatte noch niemandem erzählt, dass sie wieder da war.

Außerdem war die Nachricht zu knapp, zu persönlich. Sie konnte nur von Draco kommen. Aber wie kam ein griechischer Fischer mit einem kleinen, schäbigen Boot und einem halb fertigen Haus zu einem Computer und all dem technischen Know-how?

Es ergab keinen Sinn.

Davon abgesehen hatte sie ihm nur ihren Vornamen genannt. Wie konnte er sie damit ausfindig machen?

Die Gedanken kreisten immer noch in ihrem Kopf, als sie im Fahrstuhl zur Intensivstation hochfuhr. Erst als die Schwester ihr mitteilte, es gehe ihrem Vater erheblich besser, wurde sie ruhiger.

„Im Augenblick schläft er, aber Sie können sich gern zu ihm setzen.“ Die ruhigen Augen der Schwester blickten sie offen an. „Sicher werden Sie ihm keine Dinge erzählen, die ihn aufregen, Miss Fielding. Er braucht absolute Ruhe.“

„Natürlich nicht“, beeilte sich Cressy zu sagen. „Ich will doch, dass er wieder gesund wird.“

Sie holte sich einen Kaffee am Automaten im Gang und setzte sich ans Bett. Sie durfte jetzt nicht mehr an die mysteriöse Nachricht denken. Zuerst musste sie sich um ihren Vater kümmern.

James Fieldings Gesicht hatte wieder etwas Farbe bekommen, und er sah fast aus wie früher. Bald würde er in ein normales Einzelzimmer verlegt werden können. Für die ausstehenden Beiträge seiner privaten Krankenversicherung würde sie aufkommen.

„Ich werde dich nicht allein lassen, Daddy, was auch kommen mag“, murmelte sie.

Einmal wachte er kurz auf und lächelte sie schwach an, schlief jedoch sofort wieder ein.

Abgesehen vom leisen Brummen der Maschinen war es friedlich im Raum. Und heiß. Cressy öffnete einen weiteren Knopf ihrer cremefarbenen Baumwollbluse.

Fast so heiß wie in Griechenland.

Einen Moment lang spürte sie wieder die stechende Sonne auf ihrem Kopf, sah das gleißende Licht auf dem Wasser und hörte, wie die Wellen leise an das Boot schlugen, das sie nach Myros brachte.

Myros …

Der indigoblaue Fleck am Horizont war ihr gleich am ersten Tag aufgefallen, nachdem sie über den kühlen Marmorboden ihres Hotelzimmers zum Balkon gegangen war und den Blick über das schillernde Meer gleiten ließ.

Autor

Sara Craven

Sara Craven war bis zu ihrem Tod im November 2017 als Autorin für Harlequin / Mills & Boon tätig. In über 40 Jahren hat sie knapp hundert Romane verfasst. Mit mehr als 30 Millionen verkauften Büchern rund um den Globus hinterlässt sie ein fantastisches Vermächtnis.

In ihren Romanen entführt sie...

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