Julia Extra Band 448

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HEIRAT - LIEBE INBEGRIFFEN? von BUCANNON, BELLA
Als Hoteltycoon Ethan James erfährt, dass Alina die Leihmutter für das Kind seiner verstorbenen Schwester ist, steht für ihn fest: Er wird sie heiraten und das Baby als sein eigenes ausgeben - eine reine Zweckehe. Doch warum schlägt sein Herz dann schneller bei Alinas Anblick?

KLEINE FAMILIE - GROßES GLÜCK von THAYNE, RAEANNE
Krankenschwester Megan hat ihren Beruf und ihre Zwillinge - für einen Mann ist in ihrem Leben einfach kein Platz. Doch dann trifft sie bei einer Hochzeit auf Hawaii den attraktiven Polizisten Shane. Und fühlt sich unwiderstehlich zu ihm hingezogen …

LASS MICH NIE MEHR ALLEIN von HANNAY, BARBARA
Zwanzig Jahre lang hat Eva ihr Geheimnis vor Griffin, der Liebe ihres Lebens, verborgen. Sie glaubte, es würde sein Leben zerstören. Als sie ihn dann wiedersieht, flammen die alten Gefühle wieder auf. Aber was geschieht, wenn er erfährt, warum sie ihn damals verlassen musste?

EINE MOMMY FÜR CHLOE von EVANS, MOLLY
Aurora kehrt in ihr Heimatstädtchen zurück, um gesund zu werden - nicht, um sich zu verlieben. Doch Witwer Beau, ihr alter Freund aus Kindertagen, und seine kleine Tochter erobern ihr Herz im Sturm. Aber ist sie wirklich schon wieder bereit für eine neue Liebe?


  • Erscheinungstag 03.04.2018
  • Bandnummer 448
  • ISBN / Artikelnummer 9783733710804
  • Seitenanzahl 450
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Bella Bucannon, RaeAnne Thayne, Barbara Hannay, Molly Evans

JULIA EXTRA BAND 448

BELLA BUCANNON

Heirat – Liebe inbegriffen?

Alina ist bereit, Tycoon Ethan zu heiraten – zum Wohle des Kindes, das sie als Leihmutter für seine verstorbene Schwester austrägt. Mit Liebe hat diese Ehe nichts zu tun. Oder etwa doch?

RAEANNE THAYNE

Kleine Familie – großes Glück

Polizist Shane ist hingerissen von der bezaubernden Megan und ihren Zwillingsmädchen. Er hat sich geschworen, niemals eine eigene Familie zu haben. Zu gefährlich ist sein Job – aber jetzt sagt sein Herz ihm etwas ganz anderes …

BARBARA HANNAY

Lass mich nie mehr allein

Griffin hätte niemals gedacht, seine große Liebe Eva noch einmal wiederzusehen. Vor 20 Jahren verschwand sie ohne ein Wort. Jetzt steht sie plötzlich vor ihm – und gesteht ihm etwas Unfassbares …

MOLLY EVANS

Eine Mommy für Chloe

Seit er seine Frau verloren hat, zieht Arzt Beau seine kleine Tochter alleine groß. Dann kehrt unerwartet seine Jugendfreundin Aurora in die Kleinstadt zurück – und weckt in ihm längst vergessene Gefühle …

1. KAPITEL

Dritte Tür links. Warum hatte er sich nur darauf eingelassen? Er hätte im Hotel anrufen, sich entschuldigen lassen und den Brief in den Mülleimer werfen können. Er hatte noch nie von einer Alina Fletcher gehört und weder die Zeit noch den Wunsch, sich mit ihr zu treffen.

Allerdings war da dieser eine Satz in dem Schreiben, der sich auf seine Familie bezog. Fünf Wochen nach dem überraschenden Tod seiner Schwester und seines Schwagers in Barcelona hatte ihn die Formulierung hellhörig gemacht.

Zweimal war er bereits in Spanien gewesen, um ihre Hinterlassenschaft zu regeln. Jetzt war er müde und erschöpft. Die ständigen Auseinandersetzungen mit den spanischen Behörden waren nervenaufreibend, und die wiederholte Zeitumstellung war auch nicht hilfreich. Er brauchte dringend eine Pause, um endlich um Louise und Leon zu trauern.

Die offen stehende Tür erlaubte ihm einen klaren Blick auf die Frau am Fenster. Schlank, mittelgroß, kurzes dunkelbraunes Haar. Blauer Blazer, helle Hose und flache Schuhe. Ungewöhnlich in dieser Zeit, in der extrem hohe Absätze beliebt waren.

„Ms. Fletcher?“ Es kam barscher heraus als beabsichtigt.

Als sie sich langsam zu ihm umwandte, stockte ihm der Atem. Ihr Blick aus unglaublich violettblauen Augen ließ seine Libido erwachen. Sein Puls beschleunigte sich, und alle Müdigkeit war vergessen. Völlig unangebracht. Ganz und gar unentschuldbar.

„Ethan James? Danke, dass Sie gekommen sind.“ Kein Lächeln, keine Regung.

Er musste sich räuspern, um seine Stimme zu klären. „Hatte ich eine Wahl?“ Er trat mit ausgestreckter Hand auf sie zu und runzelte die Stirn, als sie seine Geste nicht erwiderte. Sie war es schließlich gewesen, die um dieses Treffen gebeten hatte.

Kühl deutete sie auf einen Stuhl. „Kaffee? Schwarz und stark?“

Woher kannte sie seine Vorliebe? Sein Blick fiel auf ihren Ehering. Also verheiratet, aber was ging ihn das an? Ihr Parfüm passte nicht zu ihr. Zu stark, zu aufdringlich. Was ist nur mit mir los, dachte er im Stillen. Vor lauter Müdigkeit konnte er wohl nicht mehr klar denken.

„Was wollen Sie von mir?“ Entweder kam sie gleich zur Sache, oder er würde wieder gehen. „Sie haben zwei Minuten, um mich zum Bleiben zu bewegen.“

Sie hielt seinem Blick mühelos stand. „Dann fangen Sie besser gleich an zu lesen!“ Sie hatte sich ihm gegenüber an dem niedrigen Couchtisch niedergelassen und schob jetzt einen schmalen Ordner zu ihm hinüber. Dann schenkte sie ihm einen Kaffee ein.

Er spürte, wie sich alles in ihm anspannte. Die Frau war ihm ein Rätsel. Sie wirkte so selbstbewusst und behandelte ihn fast herablassend. Jetzt zog sie ein Buch aus ihrer Tasche, lehnte sich scheinbar entspannt zurück und begann zu lesen.

Widerwillig zog er den Ordner zu sich herüber und schlug ihn auf. Was er sah, ließ ihn erstarren. Er wollte es nicht glauben, doch alle Daten waren zutreffend und sämtliche Unterschriften korrekt.

Er griff nach seinem Kaffee und stürzte ihn in einem Zug hinunter. Dabei betrachtete er Alina Fletcher mit einem Seitenblick. Bei genauerem Hinsehen wirkte sie nicht mehr ganz so überlegen. Mit den Fingern ihrer linken Hand vollführte sie ein eigenartiges Ritual. Alle paar Sekunden beugte sie den kleinen Finger in die Handfläche und drückte ihn mit dem Daumen nieder.

Nervös? Das sollte sie verdammt noch mal auch sein, wenn sie ihn aus heiterem Himmel mit so etwas konfrontierte. Er wandte sich wieder dem Dokument zu und studierte jeden Paragraphen Satz für Satz.

Mit zitternden Fingern blätterte Alina die Seiten ihres Buchs um. Die Buchstaben sah sie nur verschwommen. Ihre Gedanken waren in hellem Aufruhr. Sie hatte sich diese Begegnung anders vorgestellt. Sie hatte nach Sydney kommen, Louises Bruder über die Situation informieren und dann gemeinsam mit ihm eine Lösung suchen wollen. Stattdessen schien dieses Treffen vom ersten Moment an unter einem schlechten Stern zu stehen.

Am besten kehrte sie rasch nach Europa zurück und erledigte den Rest entspannt per E-Mail oder Telefon. Allein zu leben war sie gewohnt. Keine Wurzeln, keine Bindungen. Sie hatte kaum Freunde, und selbst den netteren unter gelegentlichen Bekannten war es nie gelungen, die Mauer zu durchdringen, die sie um sich errichtet hatte.

Noch immer wusste sie nicht richtig, warum sie sich seit ihrer ersten Begegnung mit Louise zu ihr hingezogen gefühlt hatte. Vielleicht hatte sie hinter der strahlenden Persönlichkeit die verborgene Trauer erahnt und eine Seelenverwandte in ihr entdeckt? Vor vier Monaten hatte das Schicksal sie in einer für beide kritischen Zeit zusammengebracht.

Der Trauerfeier in Barcelona war sie ferngeblieben, weil sie Zeit für ihren eigenen Entschluss brauchte. Als Ethan James dann die Überführung seiner Liebsten nach Australien zu regeln hatte, wollte sie ihn nicht auch noch mit ihrem Problem belasten. Jetzt aber war es unaufschiebbar. Es ging auch um ihre eigenen Interessen.

Sie hatte sich bei diesem Treffen kühl und geschäftsmäßig geben wollen, doch nun hatte sie in diese kobaltblauen Augen mit den dichten schwarzen Wimpern geblickt, und ein fast schon vergessenes Gefühl war in ihr erwacht. Sofort hatte sie es zu unterdrücken versucht. Niemals wieder!

Seine direkte Art gefiel ihr. Leon hatte seinen Schwager als scharfsinnig, pragmatisch und in geschäftlichen Angelegenheiten völlig unsentimental beschrieben. Genau diese Qualitäten brauchte sie jetzt. Alles hing von diesem Mann vor ihr ab, der aufmerksam die Unterlagen studierte.

Alina nippte an ihrem Tee und betete im Stillen, dass ihr Gast ihrem Vorschlag zustimmen würde. Die Spannung im Raum wuchs. Ethans Blick war ernst, die Stirn gerunzelt und die Lippen zusammengepresst. Bezweifelte er etwa die Berechtigung ihrer Ansprüche? Im Oktober würde sie ihm den Beweis liefern.

Sie atmete tief durch, um die aufsteigende Angst zu unterdrücken, und bemühte sich um eine kühle Miene.

„Sie tragen also Louises Kind aus!“ Das zumindest schien er nicht anzuzweifeln. „Warum?“

„Nach drei Fehlgeburten, ohne dass es dafür eine eindeutige medizinische Erklärung gab, erschien ihr eine Leihmutterschaft als einziger Weg, ein Kind zu haben.“ Sie sprach langsam und betont, als hätte sie jedes Wort auswendig gelernt.

Ethan fluchte innerlich. Warum hatte Louise ihm nichts gesagt? Bei keinem seiner Besuche hatte es einen Hinweis auf Probleme gegeben. Oder hatte er nur nichts bemerkt, weil er zu sehr mit seinem rasch wachsenden Firmenimperium beschäftigt war?

Nun ärgerte er sich über die verpasste Gelegenheit und fühlte sich schuldig, weil er eventuelle Veränderungen im Verhalten seiner Schwester nicht bemerkt hatte. „Warum die Geheimniskrämerei? Und warum Sie?“ Er stieß die Worte wütend hervor.

Sie wich nicht zurück. Ihr Kopf blieb hocherhoben, auch wenn sich eine leichte Rötung auf ihren Wangen abzeichnete. „Ich habe mich angeboten“, erklärte sie mit vor der Brust verschränkten Armen. „Es war meine eigene Entscheidung.“

Etwas in ihrem Tonfall riet ihm, das Thema nicht weiterzuverfolgen. Einstweilen würde er sich mit dieser Erklärung begnügen. Erst einmal musste er sich an den Gedanken gewöhnen, dass er bald Onkel werden würde.

„Wann soll das Kind kommen?“ In seinem Kopf wirbelten so viele Fragen, dass er nicht wusste, wo er beginnen sollte.

„Ende Oktober. Ich bin in der neunten Woche. Wir waren sogar noch gemeinsam beim Frauenarzt.“ Alinas Augen schimmerten feucht. „Ein paar Tage lang waren sie unglaublich glücklich … bis der Lastwagen in das Straßencafé raste.“

Voller Entsetzen erinnerte sich Ethan an den Anruf der spanischen Polizei. Später hatte er den Unfallbericht gelesen und die Fotos von der Unglücksstelle gesehen.

Plötzlich sehnte er sich nur noch nach Ruhe. Er schob den Bericht in den Ordner zurück und erhob sich. Alina blieb sitzen. Sein plötzlicher Aufbruch schien sie zu überraschen.

Ethan zog sein Handy aus der Tasche. „Ich muss das alles erst einmal verdauen. Geben Sie mir Ihre Nummer. Ich werde Sie morgen anrufen.“

Sie diktierte ihm langsam die Nummer mit der spanischen Vorwahl und fügte hinzu: „Sie können an der Rezeption eine Nachricht hinterlassen, sodass Sie nicht die teuren Roaminggebühren bezahlen müssen.“

Ethan lachte kurz auf. Sie schien sich ernsthaft Sorgen um seine Telefonrechnung zu machen. „Ich kann es mir leisten“, erwiderte er.

Jetzt stand auch Alina auf. „Ich kann verstehen, was für ein Schock das für Sie sein muss. Wenn es einen leichteren Weg gäbe …“

„Den gibt es wohl nicht. Auf Wiedersehen, Ms. Fletcher.“ Er wandte sich um und verließ den Raum.

Sobald Ethan die Tür hinter sich geschlossen hatte, fiel alle Anspannung von Alina ab. Diese Begegnung war ganz anders verlaufen, als sie erwartet hatte.

Sie versuchte, den Eindruck von diesem zutiefst erschütterten Mann mit dem Bild von dem durchsetzungsfähigen Unternehmer in Einklang zu bringen, als den Leon ihn beschrieben hatte. Wie passte er zu dem unerschrockenen Geschäftsmann, der eine kleine, vom Bankrott bedrohte Reiseagentur in ein millionenschweres Tourismusunternehmen verwandelt hatte? Der Mann, der sie gerade fluchtartig verlassen hatte, schien mit den Nerven am Ende zu sein.

Es war bedauerlich, dass sie noch mehr Sorgen in sein Leben gebracht hatte, aber es gab keinen anderen Weg. Im Stillen hatte sie gehofft, dass er alle wichtigen Entscheidungen treffen und ihr die Verantwortung abnehmen würde. Immerhin hatte er sie nicht komplett abgewiesen.

Sie musste an Louise denken. Weinend hatte sie vor ihr gesessen, nachdem der Arzt ihr aus gesundheitlichen Gründen von jedem weiteren Versuch, schwanger zu werden, abgeraten hatte. Sie sah noch deutlich vor sich, wie verzweifelt Louise gewesen war. Dann hatte sich plötzlich dieser Gedanke in ihren Kopf geschlichen, hatte immer weiter Form angenommen, bis sie ihn nach zwei Tagen des Grübelns ausgesprochen hatte.

Sie war bereit, ihrer Freundin als Leihmutter zu helfen. Zuerst hatten die beiden das Angebot vehement abgelehnt, doch je länger sie das Für und Wider gegeneinander abwägten, desto konkreter wurde der Plan. Schließlich waren sich alle drei sicher gewesen, die perfekte Lösung gefunden zu haben. Nur mit den versagenden Bremsen eines Lastwagens hatten sie nicht gerechnet.

Alina strich sich über den Bauch. Das war Louises Baby. Sie war nur der Kokon. Im Oktober sollte das Kind geboren werden. Dann hätte sie sich zurückgezogen und den beiden von Herzen die Freuden der Elternschaft gegönnt. Nun hatte das Schicksal es anders gewollt.

Am nächsten Vormittag machte sie gerade einen Schaufensterbummel entlang der George Street, als ihr Telefon klingelte.

„Ms. Fletcher?“

Ein anderer Tonfall diesmal. Irgendwie persönlicher? Dummer Gedanke. Gestern hatte er den Eindruck vermittelt, dass er sich von ihr belästigt fühlte.

„Es tut mir leid, dass ich nicht früher angerufen habe. Ich kämpfe ständig mit meinem Terminkalender. Haben Sie heute Abend Zeit?“

„Ja, natürlich. Schließlich bin ich nur nach Sydney gekommen, um mich mit Ihnen zu treffen.“

„Und wenn ich Sie nicht hätte sehen wollen?“, fragte er brüsk.

„Dann hätte ich Ihnen einen Brief mit allen Unterlagen geschickt und den nächsten Flug zurück nach Spanien genommen.“

„Und was …? Nein, nicht jetzt am Telefon. Ein Wagen wird Sie um halb sechs vor Ihrem Hotel abholen. Ich habe einen Tisch reservieren lassen. Bis dann, Ms. Fletcher.“

Damit war das Gespräch abrupt zu Ende, und Alina fragte sich, was seine unvollendete Frage zu bedeuten hatte. Sie hatte volles Verständnis für seine Skepsis und schwor sich, ganz ehrlich zu ihm zu sein. Allerdings musste er, soweit es nicht das Baby betraf, nicht alles über ihre Vergangenheit erfahren. Am liebsten wollte sie selbst nicht mehr daran denken.

Ethan trommelte mit den Fingerspitzen auf die Schreibtischplatte. Er hatte Alina fragen wollen, warum sie einen Ring trug und ob es einen Partner oder Ehemann gab. Doch dann war eine dringende E-Mail auf seinem Bildschirm erschienen, die unverzüglich eine Antwort erforderte.

Sein Rücken schmerzte, und sein Schädel brummte. Die halbe Nacht hatte er damit zugebracht, sich im Internet über das Thema Leihmutterschaft zu informieren. Am Ende gab es mehr Fragen als Antworten. Es schmerzte ihn, dass Louise und Leon ihn nicht in ihre Pläne eingeweiht hatten. Sie hätten doch wissen müssen, dass er sie mit allen Mitteln unterstützt hätte.

Er hatte Louises Heirat mit Leon gegen die Wünsche ihrer Eltern verteidigt und war gern ihr Brautführer gewesen. Louise hatte sich eine schlichte Hochzeit unter freiem Himmel mit ein paar Freunden gewünscht, aber ihre Mutter hatte darauf bestanden, das Fest zu organisieren. So war eine glamouröse Veranstaltung mit Hunderten Gästen daraus geworden.

Seine Schwester und Leon, seit Grundschultagen sein bester Freund, waren ihm immer wie die bewundernswerte Ausnahme in einer Welt von Doppelmoral und hohlen Phrasen erschienen. Nur zu gut erinnerte er sich an seine eigene Kindheit. Manchmal hatte er tagelang nur Dienstboten zu Gesicht bekommen. Der Stachel saß noch immer tief. Er hatte sich geschworen, niemals selbst Kinder zu haben, selbst wenn er eines Tages heiraten sollte. Allerdings wollte er der beste Onkel für eventuelle Nichten und Neffen sein. Dieser Vorsatz wurde nun in unerwarteter Weise auf die Probe gestellt.

Lange noch hatte er wach gelegen und an diese rätselhafte Frau gedacht. Alina Fletcher war nach Australien gereist, um sich mit ihm zu treffen, und sie hatte damit seine Welt aus den Fugen gebracht. Nicht zuletzt hatte ihn seine körperliche Reaktion auf diese Fremde verwirrt. Deshalb hatte er sie am Abend fast fluchtartig verlassen.

Alina entdeckte Ethan sofort. Hochgewachsen und unverschämt gut aussehend war er auf der Straße vor dem Luxushotel nicht zu übersehen. Seine Schwester war spontan und fröhlich gewesen. Ihr Begleiter für den heutigen Abend wirkte eher verschlossen und abgespannt.

Er öffnete die Tür des Taxis für sie und reichte ihr die Hand beim Aussteigen. Die Berührung dauerte länger als notwendig und verursachte ein eigenartiges Prickeln auf ihrer Haut.

„Vielen Dank, dass Sie so pünktlich sind.“

Die tiefe Stimme klang heute weniger dynamisch. Die Schatten unter seinen Augen waren dunkler. Vermutlich hatte er einen stressigen Tag und eine Nacht mit zu wenig Schlaf hinter sich.

Das Prickeln auf ihrer Haut wurde stärker, als er seinen Arm um sie legte und sie durch die Menge führte.

Als sie den Fahrstuhl betraten, löste er sofort den Arm von ihr. Schweigend fuhren sie zum Restaurant hinauf. Der Oberkellner führte sie zu einem Tisch am Rand, durch üppige Grünpflanzen vor neugierigen Blicken abgeschirmt.

„Das ist ja unglaublich!“, entfuhr es Alina beim Blick aus dem Fenster. Die Aussicht über den Hafen mit dem berühmten Opernhaus war atemberaubend.

Ich muss ihm wie ein Landei vorkommen, schoss es ihr durch den Kopf. Doch zu ihrer Überraschung schien auch er einen Moment den Anblick zu genießen, ehe er sich setzte. Als er sich ihr wieder zuwandte, lächelte er, und seine verschlossene Miene wirkte wie verwandelt.

„Das ist es wohl. Allerdings gewöhnt man sich mit der Zeit daran.“

„Unmöglich“, widersprach sie heftig. „Und wahrscheinlich wird es noch eindrucksvoller, wenn die Lichter angehen, oder?“

2. KAPITEL

Ethans Erschöpfung schwand angesichts der Begeisterung, die Alina für etwas zeigte, das ihm schon selbstverständlich geworden war. Sie wirkte auf einmal so jung, so strahlend … ganz anders als die kühle, zurückhaltende Frau von gestern.

Nach einem Blick in die Speisekarte blickte sie verlegen auf. „Wie soll ich mich entscheiden? Bei den meisten Dingen weiß ich nicht einmal, was es ist. Wählen Sie für mich!“

„Die Rotzunge ist besonders gut. Oder nehmen Sie das Special des Küchenchefs, wenn Ihnen der Sinn nach Lamm steht.“ Sein Blick fiel auf ihre ungeschminkten, natürlich roten Lippen. Die wären bestimmt süßer als jedes Dessert aus der Küche.

„Das ist sicher alles ganz köstlich. Aber bitte nicht zu heiß oder zu stark gewürzt.“ Sie legte die Karte vor sich auf den Tisch und beugte sich vor. „Und nur kleine Portionen für mich bitte.“

Ihr Dekolleté ließ seine Gedanken erneut in unziemliche Richtungen abschweifen. Gestern hatte eine weite Jacke ihre Kurven verborgen. Heute waren ihm ihre üppigen Brüste als Erstes aufgefallen, als sie aus dem Wagen stieg.

Was zum Teufel war nur los mit ihm? Die Frau vor ihm trug einen Ehering und war schwanger. Er versuchte, seine erotischen Anwandlungen zu verdrängen und sich auf die Speisekarte zu konzentrieren.

Während Ethan die Bestellung aufgab, ließ Alina den Blick durch den Raum schweifen. Große Grünpflanzen schirmten sie vor den übrigen Gästen ab. So konnten sie kaum gesehen, geschweige denn gehört werden. Ob er diesen Platz bewusst ausgewählt hatte? Vermutlich gehörte dieses Haus auch zu seiner Starburst-Hotelkette. Schließlich siegte die Neugier über ihr Taktgefühl. „Steht dieser Schirm aus Grünpflanzen immer hier?“, fragte sie direkt.

Er machte eine beiläufige Geste. „Manche Paare finden die Abgeschiedenheit romantisch. Manche Männer brauchen die Abgeschiedenheit, um den Mut für einen Antrag aufzubringen.“ Ein leises Lächeln umspielte seine Lippen. „Es ist dann auch nicht so peinlich, falls der Antrag abgelehnt wird.“

Sie verstand die Anspielung. Was, wenn er ihren Vorschlag ablehnte? Ein eisiger Schauder rann ihr über den Rücken. Sie musste Ethan unbedingt davon überzeugen, dass ihr Plan für alle Beteiligten das Beste war.

Gedankenverloren betrachtete Alina das Panorama der Stadt durch die großen Fenster.

Ethan bemerkte ihr beinahe andächtiges Staunen. „Ein vorzügliches Restaurant, die funkelnden Lichter der Stadt … Diese romantische Umgebung wird sicher schon manchem Paar wunderschöne Erinnerungen beschert haben“, stellte er fest.

Wie sanfter Wellenschlag an einem einsamen Strand in der Abenddämmerung. Sie spürte es feucht in ihren Augen werden und musste sich auf die Lippen beißen, um die Tränen zu unterdrücken. Hör auf damit! Es ist vorbei. Für immer.

Ethan schien zu spüren, dass sie mit ihren Gedanken weit weg war. „Alina?“, sprach er sie an. Es gab noch so viel über sie zu erfahren. Er musste wissen, warum sie sich als Leihmutter zur Verfügung gestellt hatte. Warum sie diesen Ring trug. Was sie bisher in ihrem Leben gemacht hatte.

Sie schreckte auf. „Tut mir leid. Ich war abgelenkt.“

„Das habe ich bemerkt.“ Er ahnte, dass ihre kühle Maske nur ein Schutzschild war, hinter dem sie ihre Gefühle verbarg.

„Entspannen Sie sich! Genießen Sie das vorzügliche Essen!“

In diesem Moment erschien ein Kellner mit der Vorspeise, einer sahnigen Kürbissuppe mit Croûtons. Sie aßen schweigend, nur von einem Lob Alinas für die Küche des Hauses unterbrochen. Als sie fertig waren, bat Ethan die Bedienung, das Hauptgericht noch ein wenig zurückzuhalten.

Dann nahm er das Gespräch wieder auf. „Wie lange haben Sie Leon und Louise eigentlich gekannt?“

„Seit ungefähr drei Jahren. Immer wenn ich in Barcelona war, habe ich in einem Café in der Nähe ihrer Wohnung gearbeitet.“

„Als Kellnerin?“ Er runzelte die Stirn. Immer wenn sie in Barcelona war? Stammte sie nicht von dort?

„Kellnern ist eine nützliche Fähigkeit, wenn man viel unterwegs ist. Ich bleibe selten lange an einem Ort.“

„Haben Sie noch andere nützliche Fähigkeiten?“ Diese Frau wurde ihm von Minute zu Minute rätselhafter. Gelegenheitsarbeiterin. Nicht sesshaft. Kein richtiger Beruf. Warum hatten Leon und Louise ausgerechnet sie ausgewählt?

Alina unterdrückte den Impuls, gegen seine herablassende Art aufzubegehren. Er war der Onkel des Babys und hoffentlich auch sein künftiger Vormund. Sie durfte es sich nicht mit ihm verscherzen.

Sie spielte mit dem Stiel ihres Glases und holte tief Luft. „Alle Arten von Büroarbeit, Übersetzungen in verschiedene Sprachen und bei Bedarf auch Erntehelferin. So war mein Leben in den letzten sieben Jahren.“

„Jetzt nicht mehr. Ihre Zukunft wird davon bestimmt sein, was für das Kind gut ist, das Sie in sich tragen, und ich werde ein Mitspracherecht bei jeder Entscheidung haben.“ Sein Tonfall ließ keinen Zweifel daran, dass er es ernst meinte.

„Das Baby ist meine höchste Priorität. Ich ernähre mich gesund, rauche und trinke nicht, und ich halte mich fit.“ Alina ärgerte sich selbst über die plötzliche Schärfe in ihrer Stimme und versuchte es noch einmal in ruhigerem Ton: „Alles, was ich mache, soll nur ihren Traum am Leben halten.“

Leons und Louises Traum … nicht ihren eigenen. Das Gespräch mit Ethan James rief Erinnerungen wach, die sie tief vergraben hatte.

„Welche Nationalität haben Sie eigentlich? Besitzen Sie Papiere?“

Alina saß steif auf ihrem Stuhl, die Hände im Schoß verborgen. Sie wollte keine Schwäche zeigen. „Ich bin Australierin, hier geboren und aufgewachsen. Ist das gut genug für Sie? Mein Pass liegt im Hotelsafe.“

Er wartete. Seine tiefblauen Augen verrieten nichts. Wie aus dem Nichts schoss ein total unpassender Gedanke durch Alinas Kopf: Wie mochten sich wohl diese vollen Lippen auf ihren anfühlen?

Nein! Sie presste die Hände zusammen. Sie wollte diesen Mann überzeugen, nicht verführen. Es war wichtig, dass er eine gute Meinung von ihr bekam.

Sie versuchte es noch einmal. „Alles, was Sie an Dokumenten brauchen, ist bei meinem Anwalt in Crow’s Nest.“

„Gut. Die lassen sich ja beschaffen.“ Er schien sich mit dieser Antwort zufriedenzugeben. „Hier kommt unser Hauptgericht.“

Ethan hatte gegrillte Seezunge mit gedünstetem Gemüse für sie bestellt. Alina genoss jeden Bissen. Ihre Anspannung schwand nach und nach, während ihre Unterhaltung unverfänglich dahinplätscherte.

„Mmm, köstlich“, sagte sie schließlich und legte ihr Besteck beiseite. „Essen Sie öfter hier?“

„Ich werde dem Küchenchef gern Ihr Lob übermitteln lassen. Ja, gelegentlich esse ich hier. Außerdem ist es sehr bequem, dass ich hier anrufen und mir das Essen in mein Büro oder mein Apartment schicken lassen kann.“

„Wie bei einem Pizzaservice?“ Sie sah ihn erstaunt an. Dieser Mann ließ sich also regelmäßig Gourmetmahlzeiten ins Haus schicken! Sie dagegen bestellte gelegentlich etwas im Take-away und sparte das Geld für den Boten, indem sie es selbst abholte.

Er lachte. „Wir bieten vierundzwanzig Stunden Roomservice an. Meine Mahlzeiten fahren nur ein wenig weiter in einem Taxi. Das ist alles.“

„Wow! Wir scheinen in ziemlich verschiedenen Welten zu leben.“

Ihre Bemerkung hatte die lockere Stimmung zerstört. Enttäuscht schob Ethan seinen leeren Teller beiseite. Sie ließ es wie eine unüberwindbare Kluft zwischen ihnen klingen. Wenn auch das Leben seiner Schwester in Spanien bescheidener gewesen sein mochte als seine ehrgeizgetriebene Existenz hier in Sidney, hatten sie doch immer die gleichen Werte geteilt.

Ethan hatte jeden Moment seiner gelegentlichen Besuche in Barcelona genossen, vor allem die lauten, fröhlichen Mahlzeiten bis weit in die Nacht. Dabei waren immer Freunde zu Gast gewesen. Wieso war er ihr nie begegnet? Zufall?

Er leerte sein Glas und legte die Serviette auf den Tisch. „Können wir gehen? Oben werden wir mehr Ruhe haben.“

„Oben?“

Sie sah ihn erschrocken an, und Ethan beeilte sich, sie zu beruhigen.

„Eine Suite für Freunde oder Familie. Leon und Louise haben dort auch schon übernachtet.“

Wortlos stand sie auf und signalisierte mit einem kleinen Nicken, dass sie bereit war zu gehen. Ethan war beeindruckt. Die Frau hatte Mut, und wunderschön war sie auch. Einen Augenblick später fuhren sie in einem privaten Fahrstuhl nach oben.

Fremde Welten in der Tat! Alina sah sich beeindruckt um. Sie hatte schon in vielen Hotelzimmern geputzt, aber in einer solchen Luxussuite war sie noch nie gewesen. Bodentiefe Fenster erlaubten einen atemberaubenden Blick über die Stadt. In der Mitte des Raums stand ein schwerer Esstisch aus dunklem Holz, geschmackvoll dekoriert mit heimischen Blumen. Ein luxuriöses, mit braunem Büffelleder bezogenes Sofa stand einem mächtigen Flachbildschirm-Fernseher gegenüber.

Ethan schlüpfte aus seinem Jackett und warf es achtlos über einen Stuhl. Dann begann er, an einer extravaganten Kaffeemaschine zu hantieren, und nahm zwei Becher aus dem Schrank. Alina betrachtete das Spiel seiner Muskeln unter seinem Hemd und schämte sich sofort für das plötzlich aufwallende Begehren.

„Kaffee oder Tee? Ich nehme an, Sie haben gestern wegen Ihrer Schwangerschaft keinen Kaffee getrunken?“

Er hatte es bemerkt! Bei aller Aufregung war ihm nicht entgangen, was sie getrunken hatte.

„Kräutertee bitte, wenn Sie welchen haben.“

„Gern. Machen Sie es sich bequem.“

So höflich. So entgegenkommend. Würde sich sein Verhalten ändern, wenn sie sich nicht einigen konnten?

Sie ließ sich auf dem weichen Sofa nieder. „Lassen Sie ihn bitte nur kurz ziehen? Bisher habe ich Glück gehabt, aber bei starken Aromen wird mir manchmal übel.“

Das Thema war ihr unangenehm, aber glücklicherweise ging Ethan nicht näher darauf ein. Er stellte die beiden Becher auf den Couchtisch und setzte sich neben sie.

Lieber hätte er mehr Abstand gehalten, aber mehr Platz bot das Sofa nicht. Er war ihr so nah, dass er sie bei einer unbedachten Bewegung berühren würde. Vorsichtshalber verschränkte er die Arme vor seiner Brust. Es war besser, unpersönlich zu bleiben.

Er räusperte sich und begann: „Ist die Schwangerschaft schon medizinisch bestätigt worden?“ Eine ganz normale Frage unter den gegebenen Umständen.

„Nein. Wir haben am siebten Februar einen Test gemacht, und ich habe den noch einmal wiederholt, bevor ich den Flug gebucht habe. Beide Male war er positiv.“ Sie antwortete klar und deutlich, ohne zu zögern.

Er nickte. „Wir haben am nächsten Montag um halb zwölf einen Termin bei Dr. Patricia Conlan. Sie ist eine der besten Gynäkologinnen in der Stadt. Bei ihr werden Sie und unser Baby in guten Händen sein. Wir können froh sein, so kurzfristig einen Termin bei ihr zu bekommen.“

Alina ärgerte sich zwar, dass er das bereits über ihren Kopf hinweg entschieden hatte, aber sie ließ es ihm durchgehen. Er hatte ja recht. Eine ärztliche Untersuchung war zur Bestätigung ihrer Behauptung unumgänglich.

Plötzlich wechselte Ethan das Thema. „In den letzten drei Jahren bin ich häufig in Barcelona gewesen, allerdings erinnere ich mich nicht, dass Ihr Name je erwähnt wurde. Wie kommt es, dass wir uns nie begegnet sind?“

„Wir waren zwar gut befreundet, aber ich gehörte nicht zur Partytruppe von Leon und Louise. Ich mache mir nichts aus flüchtigen Bekanntschaften oder Smalltalk. Außerdem bin ich viel gereist.“

Sie blickte aus dem Fenster, wirkte einen Moment, als sei sie in Gedanken ganz weit weg. Am liebsten hätte Ethan die Hand ausgestreckt und sie sanft gestreichelt. Schon im Restaurant war er die ganze Zeit wie gefesselt von ihr gewesen. Ihre Augen, ihre Lippen, die elegante Biegung ihres Halses, wenn sie sich vorbeugte. Alles an ihr faszinierte ihn. Der goldene Ring an ihrer linken Hand aber, den sie als einzigen Schmuck trug, gab ihm zu denken.

Sie hatte kein einziges Mal einen Ehemann oder Partner erwähnt. In allem, was sie erzählte, hatte es immer nur „ich“ geheißen. Seine Neugier wuchs mit jeder Minute. Schließlich hielt er es nicht mehr aus. Als sie sich gerade vorbeugte, um ihre Tasse abzusetzen, sagte er: „Sie tragen einen Ehering. Soviel ich weiß, kommen als Leihmütter nur Frauen infrage, die wenigstens einmal ein eigenes Kind ausgetragen haben.“

Sie erstarrte mitten in der Bewegung, den Arm ausgestreckt, ihre Miene wie versteinert.

Die nächste Frage ergab sich von selbst. „Wo sind Ihr Kind und Ihr Mann?“

Die Tasse krachte auf die Tischplatte und zerbrach. Alina wurde kreidebleich und sah ihn mit großen Augen an, in denen er nichts als Schmerz entdecken konnte.

„Sie sind gestorben.“ Tonlos, ausdruckslos. Keine Gemütsregung, kein weiteres Wort.

Dann sprang sie plötzlich auf und blickte wie verzweifelt suchend zur Tür. Sofort war Ethan auf den Beinen, fasste sie am Ellbogen und drehte sie zu sich um. Ihre schmerzerfüllte Miene erschütterte ihn tief.

„Ich war gedankenlos. Es tut mir leid, Alina.“

Nach einem tiefen Atemzug wandte sie sich von ihm ab und ging wortlos zur Tür.

3. KAPITEL

Alina saß auf dem Toilettendeckel und versuchte, ihren keuchenden Atem zu beruhigen. Der Nebel in ihrem Hirn begann sich zu lichten. Was blieb, war eine Mischung aus Angst und Scham. Dabei hatte sie diese Frage doch erwarten müssen. Ethan James war ein gründlicher Mann und wäre früher oder später von selbst auf die Antwort gekommen. Statt ruhig zu reagieren, war sie in Panik geraten.

Jetzt schämte sie sich für ihre unangemessen heftige Reaktion. Ihr Bild im Spiegel war bleich und wirkte angespannt. Das war nicht der Eindruck, den sie vermitteln wollte. Ethan sollte darauf vertrauen, dass sie gut für sich und das Kind sorgen konnte.

Für Louise und Leon. Sie wiederholte es wie ein Mantra, straffte die Schultern und kehrte in den Wohnraum zurück.

Ethan lehnte neben der Kaffeemaschine am Tresen und blickte ihr aufmunternd entgegen. Ein Anflug von Schuldbewusstsein flackerte kurz in seinen kobaltblauen Augen auf.

Das half Alina nicht, sich besser zu fühlen. Verlegen zuckte sie mit den Schultern. „Sie haben mich überrascht. Ich hatte erwartet, dass ein Arzt mich nach meiner Geschichte fragen würde, und nicht bedacht, dass auch Sie ein Recht auf diese Information haben.“

„Es war mein Fehler. Ich hätte nicht so gedankenlos vorpreschen dürfen.“ Er trat auf sie zu, ohne ihr jedoch zu nahe zu kommen. „Meine einzige Entschuldigung ist, dass ich noch immer versuche, alles zu begreifen. Verzeihen Sie mir?“

Alina brachte ein schiefes Lächeln zustande. „Könnte ich noch einen Tee haben?“

Ethan atmete erleichtert auf. „Danke, dass Sie bleiben. Dieselbe Geschmacksrichtung?“

Sie nickte wortlos und lehnte sich in eine Ecke des großen Sofas. Er ließ sich auf der anderen Seite nieder, sodass sie sich nicht womöglich versehentlich berühren konnten.

Der Abstand half nicht wirklich. Wie gestern zeigte Ethans Körper überraschende Reaktionen auf ihre Gegenwart. Nur mit Mühe unterdrückte er das Verlangen, die Hand nach ihr auszustrecken. Es war wichtig, ihr Vertrauen zu gewinnen. Vielleicht wäre es besser, den Abend jetzt zu beenden, doch seine Neugier siegte.

„Was haben Sie erwartet, als Sie um ein Treffen baten?“

Erleichtert stellte er fest, dass sie nicht wieder in Panik geriet. „Ich hoffe, Sie verstehen, dass ich Ihnen diese Fragen stellen muss. Ich bin nicht einfach neugierig, Alina. Es geht mir vor allem um das Wohl des Kindes.“

Es fiel ihr sichtlich schwer, ruhig sitzen zu bleiben und die Befragung über sich ergehen zu lassen, doch Ethan konnte es ihr nicht ersparen.

„Ich konnte mir vorstellen“, begann sie, „dass es ein Schock für Sie sein müsste, wenn ich plötzlich mit einer Nichte oder einem Neffen daherkäme. Ich nahm an, Sie würden Zeit brauchen, um sich an den Gedanken zu gewöhnen und zu entscheiden, ob Ihre Familie das Kind adoptieren …“

Ob wir Louises Kind adoptieren würden?“ Erregt sprang Ethan auf und funkelte sie aus seinen blauen Augen an.

Zu seiner Überraschung wich sie nicht zurück. „Ja, ob. Wollen Sie etwa behaupten, dass Ihre Eltern diese Nachricht willkommen heißen? Selbst nach einem erfolgreichen DNA-Test?“ Tapfer hielt sie seinem aufgebrachten Blick stand.

Alina wusste, wie schwer es seinen Eltern fallen würde, das Kind eines ungeliebten Schwiegersohns anzunehmen. Vermutlich war ihre versnobte Einstellung der Grund dafür, dass Louise ihre Fehlgeburten geheim gehalten hatte.

„Es wird ihnen bestimmt auch nicht leichterfallen, ein Enkelkind von einer Leihmutter zu akzeptieren“, entgegnete Ethan heftig.

„Sie hätten es gar nicht erfahren sollen.“ Das war ihr so herausgerutscht, aber nun konnte Alina ihre Worte nicht mehr zurücknehmen.

Wieder funkelte er sie aus seinen blauen Augen an. Wütend machte Ethan einen Schritt auf sie zu, doch Alina wich nicht zurück. Sie hielt seinem feurigen Blick stand und hoffte nur, dass er ihr Zittern nicht bemerkte.

Einen tiefen Atemzug später senkte er den Kopf. „Vielleicht sollten wir uns lieber hinsetzen, damit Sie mir erklären können, wie Sie drei die Wahrheit vor uns zu verbergen gedachten.“

Alina blieb stehen und versuchte, ihre Fassung wiederzugewinnen. Jetzt kam es darauf an! In der nächsten Woche würde sie vermutlich wieder in Spanien sein. Sie musste die Angelegenheit in diesen wenigen Tagen klären.

Widerstrebend setzte sie sich nun doch und sah ihn herausfordernd an. „Und dann kann ich in mein Hotel zurück?“

„Ja. Erzählen Sie mir nur das Wesentliche. Den Rest besprechen wir morgen.“

Er legte den Arm auf die Rückenlehne des Sofas. Es war eine ganz normale Geste, doch Alina verspürte den plötzlichen Drang, sich hineinzukuscheln, den Kopf an seine Schulter zu lehnen. Was für ein verrückter Gedanke! Energisch verbot sie sich solche verrückten Fantasien.

„Leon und Louise haben einer Klinik, die sich um sozial schwache Paare kümmert, eine großzügige Spende gemacht. Da in Spanien Leihmutterschaft nicht erlaubt ist, habe ich Louises Namen benutzt, und für die Dauer der Schwangerschaft hatten wir vor, uns an Orten aufzuhalten, wo uns keiner kannte.“

Sie hielt inne, denn Ethans Haltung hatte sich sichtbar verändert. Erst hatte er ungläubig den Kopf geschüttelt. Nun saß er reglos da, seine Miene ließ keinen Zweifel, dass er ihr Vorgehen missbilligte.

„Wir haben niemanden verletzt oder betrogen“, versuchte Alina, sich zu rechtfertigen. „Das gestiftete Geld hat sogar anderen Paaren dazu verholfen, ihren Traum wahr zu machen.“

„Was ist mit den Folgeuntersuchungen? Der Geburt? Was, wenn irgendetwas schiefgegangen wäre? Wie viele Menschen wollten Sie noch belügen?“

Alina presste die Hände so stark zusammen, dass sich ihr Ring ins Fleisch drückte. Warum nur war das Leben so ungerecht zu ihr? Sie hatte endlich den Mut gefunden, sich aus ihrer Einsamkeit zu befreien und anderen verzweifelten Menschen zu helfen. Nun war wieder sie es, die die Folgen ertragen musste. Mühsam unterdrückte sie ihre Tränen.

„So wenige wie möglich“, fuhr sie stockend fort. „Sie können das nicht verstehen. Sie waren nicht dabei.“

Ethan saß wie erstarrt vor ihr. Sie konnte kaum erkennen, dass er atmete. Seine dunklen Augenbrauen waren zusammengezogen, und sein Blick war nicht zu deuten.

„Nein, war ich nicht. Sie drei haben mir auch nie die Chance dazu gegeben.“

Beide schwiegen einen Moment. Dann griff er plötzlich nach ihrer Hand und strich mit dem Daumen über ihren goldenen Ring.

„Wie alt sind Sie?“

„Dreißig.“

„Ich werde im Dezember sechsunddreißig. Sie sind ungebunden?“

Sie nickte zögernd.

„Niemand weiß von Ihrer Leihmutterschaftsvereinbarung?“

Ein etwas deutlicheres Kopfnicken.

Seine nächsten Worte klangen resolut. „Dann wird dieses Kind vor aller Welt unseres sein.“

Alinas Herz begann auf einmal wie wild zu hämmern. Louises Bruder war bereit, das Kind als seins auszugeben! Das war mehr, als sie je zu hoffen gewagt hatte. Nicht einmal eine Adoption wäre dann nötig.

Ethan hatte gerade einen folgenschweren Entschluss gefasst, aber selbst jetzt fiel es ihm schwer, alles zu begreifen. Seine Schwester und sein bester Freund waren bereit gewesen zu lügen, sogar zu betrügen, um Eltern zu werden. Er hätte alles in seiner Macht Stehende getan, um ihnen zu helfen. Sie hatten ihn nicht gefragt.

Nun würde er selbst Vater ihres Kindes werden. Das war der einzige Ausweg aus dieser vertrackten Situation. Alina musste das akzeptieren.

Ihre Miene verriet, dass sie genauso erschöpft war wie er. „Es war für uns beide ein anstrengender Tag“, sagte er. „Dieses Apartment hat drei Schlafzimmer. Sie können hier schlafen oder sich in Ihr Hotel zurückbringen lassen.“

„Ich würde lieber in mein Hotel zurückkehren.“ Sie zögerte, ehe sie energisch fortfuhr: „Wir waren nicht fahrlässig. Wir hätten niemals die Gesundheit des Babys riskiert!“

„Das bezweifle ich nicht.“ Die drei hatten sich einen völlig verrückten Plan ausgedacht. Dennoch war Ethan zu seinem eigenen Erstaunen davon überzeugt, dass sie es hätten schaffen können.

Er griff nach dem Telefon und orderte einen Wagen. Wenig später stand Alina still an der Tür und sah zu, wie er die Teebecher wegräumte. Sieben Jahre lang hatte sie sich kaum mit Männern abgegeben, und wenn sie einmal jemanden kennengelernt hatte, war sie rasch wieder auf Distanz gegangen. Doch seit sie Ethan James begegnet war, empfand sie Regungen, die sie sich lieber nicht eingestehen wollte. Sie hoffte, dass nur ihre Hormone verrücktspielten und dass es nach der Geburt vorüber sein würde. Jemandem ihr zerbrechliches Herz anzuvertrauen wäre ein viel zu großes Risiko.

Aber wie kam es dann, dass ihr dummes Herz schon beim Anblick des Spiels seiner Muskeln unter dem Hemd schneller schlug? Warum war sie so fasziniert von seinen breiten Schultern? Wieso musste sie ständig daran denken, wie sich seine Hand auf ihrem Rücken angefühlt hatte?

Ethan wandte sich um, als spürte er ihren Blick, und lächelte sie aufmunternd an. Zögernd erwiderte sie sein Lächeln. Er ging zur Tür und griff unterwegs nach seinem Jackett.

„Der Chauffeur wartet. Lassen Sie uns im Wagen darüber reden, wie wir morgen weiter vorgehen.“

Im Wagen gab Ethan dem Fahrer das Ziel vor und setzte sich dann zu Alina nach hinten. Als er sich neben ihr anschnallte, berührten sich versehentlich ihre Schenkel. Alina zuckte zusammen und rutschte näher zur Tür.

Reden! Ganz gleich welches Thema! Alles, was die Gedanken von diesem Mann ablenkt!

„Was geschieht, wenn ich bei dieser Ärztin war? Fliege ich dann zurück?“, fragte sie und versuchte, ihre Frage möglichst beiläufig klingen zu lassen.

Sein Blick war hintergründig. „Nein.“ Er zog den Laptop aus der Tasche, stellte ihn auf seine Knie und schaltete ihn ein.

Wie meinte er das? Wenn sie hierblieb, würde das Schwierigkeiten mit seinen Eltern provozieren. Es war viel besser, wenn sie jetzt verschwand und erst später im Jahr zurückkehrte. Natürlich sollte das Baby in Australien geboren werden.

„Sie bleiben bei mir. Sie haben einen Vertrag geschlossen, das Kind auszutragen und zur Welt zu bringen. Daran hat sich nichts geändert.“

Worte eines erfolgsgewohnten Managers. Kühl, direkt, unnachgiebig.

Er drehte den Laptop herum, sodass sie auf den Schirm sehen konnte. Beinahe hätte Alina laut aufgelacht, als sie den Antrag für eine amtliche Heiratserlaubnis entdeckte.

Sie unterdrückte eine heftige Entgegnung. Ethan James machte keine Spielchen. Er begegnete jeder Situation wohlbedacht und zielstrebig, und genau das war dies für ihn … eine Situation, mit der er umgehen musste.

Er stellte den Laptop neben sich und wandte sich ihr zu. Sie zuckte zusammen, als er seine Hand vorsichtig auf ihren Bauch legte. Gleich darauf breitete sich ein wohlig warmes Gefühl in ihrem Inneren aus.

Jetzt lächelte er, und seine Stimme klang einschmeichelnd. „Alina, das Baby in diesem Bauch gehört zu meiner Familie. Ich werde nicht zulassen, dass es unehelich geboren wird.“

Ihr Verstand wollte ihm zustimmen, doch die eben noch verspürte Wärme machte einem eisigen Schauer Platz. Einst hatte eine andere Hand an derselben Stelle gelegen, und die Bewegungen des ungeborenen Kindes in ihrem Leib zu ertasten versucht. Dieser andere Mensch war ihr ohne Vorwarnung genommen worden.

Das Hupen des Chauffeurs ließ sie aus ihren Gedanken aufschrecken. Sie merkte, wie eindringlich Ethan sie betrachtete, und stellte sich vor, zu welchen Mitteln er greifen würde, um seine Absicht durchzusetzen.

„Wie lange soll unsere Ehe denn dauern?“ Das klang so falsch! Sie bemerkte das enttäuschte Aufflackern in seinem Blick.

„Wir haben sieben Monate Zeit, uns Gedanken über die Zukunft zu machen. Niemand wird sich wundern, wenn unsere überstürzt geschlossene Ehe nicht lange hält.“ Er löste seine Hand von ihrem Bauch und legte sie beruhigend auf ihren Arm. „Ich werde Sie nicht zum Bleiben zwingen, und ich kann Ihnen versichern, dass Sie bei diesem Arrangement nichts verlieren werden.“

Wenn er wüsste, wie recht er hatte! Alles, was ihr je wichtig gewesen war, hatte sie bereits verloren. Sogar einen neuen Ring hatte sie gekauft, weil sie den Anblick des Originals an ihrem Finger nicht ertragen konnte. Nun wollte Ethan sie heiraten. Eine Vernunftehe. Keine Intimitäten. Nicht von Dauer. Ein zweckdienliches Arrangement, gerade lange genug, um die Behauptung glaubhaft zu machen, dass er der Vater sei.

Sein Plan machte Sinn. Wenn sie heirateten, würde niemand seine Vaterschaft anzweifeln. Er konnte später dem Kind die Liebe geben, die sie nicht in sich verspürte.

„Versprechen Sie mir, dass ich abreisen kann, wenn ich es möchte?“ Nur als Nomadin ohne Verpflichtungen konnte sie verhindern, dass ihr Leben abermals in einem Scherbenhaufen endete. Louise ihre Hilfe anzubieten war ein Verstoß gegen ihre wichtigste Regel gewesen. Jetzt musste sie die Folgen ausbaden.

„Ja.“ Kurz, kühl. Seine Miene war nicht zu deuten.

„Also gut. Ich werde Sie heiraten. Wann soll es denn geschehen?“ Das klang so gefühllos.

„Wir werden uns morgen darum kümmern, alle erforderlichen Dokumente zusammenzubekommen, und dann das Aufgebot bestellen. Spätestens einen Monat später kann die Hochzeit stattfinden.“

So schnell ging es also. Vor elf Jahren war ihr die Wartezeit wie eine Ewigkeit erschienen.

4. KAPITEL

Ethan sprach erst wieder, als er seinen Sicherheitsgurt öffnete. „Ich werde morgen früh um neun hier sein.“

Alina schrak auf. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie ihr Hotel erreicht hatten. „Ich werde in der Lobby warten.“

Wie verabschiedet man sich von einem Fremden, den man beschlossen hat, zu heiraten? Nur einen Tag, nachdem man ihn kennengelernt hat? Einem Mann, den man noch nicht einmal geküsst hat?

Dieser letzte Gedanke brachte sie so durcheinander, dass sie beim Aussteigen fast gestolpert wäre. Ethan legte ihr den Arm um die Taille, um sie zu stützen. Seine Berührung ließ sie erschauern.

„Ich begleite Sie noch zu Ihrem Zimmer“, bot er fürsorglich an und führte sie durchs Foyer zu den Fahrstühlen.

„Die eine Etage geht zu Fuß schneller“, sagte sie, um der Enge der Fahrstuhlkabine zu entgehen. So viel Nähe fühlte sie sich nicht gewachsen.

Ethan folgte ihr ins Zimmer und musterte die Einrichtung. Ihre Unterkunft konnte es nicht mit seiner Hotelsuite aufnehmen. Ein Bett für ein paar Tage und eine Möglichkeit zu duschen, mehr nicht.

„Es ist sauber und zentral gelegen“, kam Alina seiner Kritik zuvor. „Es passt zu meinem Budget. Wenn Sie also mit der Inspektion fertig sind, würde ich gern schlafen gehen.“

„Ihnen mag es genügen. Aber indem Sie hierhergekommen sind, haben Sie sich und unser Kind unter meinen Schutz begeben. Sie können unmöglich hierbleiben.“

Alina trat einen Schritt zurück und hob in einer abwehrenden Geste die Hand. „Heute Abend werde ich nicht mehr umziehen. Morgen früh, wenn Sie darauf bestehen.“

Er runzelte die Stirn. Ihr Widerspruch schien ihm nicht zu gefallen.

„Bitte, Ethan“, fuhr sie fort. „Ich bin müde und will nur noch ins Bett.“

Mit einem Seufzer gab er nach. „Ich habe Ihnen heute viel zugemutet, nicht wahr? Aber für mich war es auch nicht einfach.“

Sanft strich er ihr über die Wange. „Also, ich sehe Sie dann morgen früh. Darf ich Ihr Handy für einen Moment haben?“

Er nahm es und speicherte seine Nummer ein. „Für den Fall, dass Sie mit mir Kontakt aufnehmen müssen. Morgen beschaffe ich Ihnen einen australischen Provider.“ Zum Abschied küsste er sie auf die Stirn. „Schlafen Sie gut, Alina.“

Schwer atmend schloss sie die Tür hinter ihm. Ihre ganze Welt war durcheinander geraten, seit sie diesem Mann begegnet war. Erschöpft sank sie wenig später ins Bett. Morgen musste sie ausgeruht und konzentriert sein. Der Notar, der Standesbeamte … Sie fragte sich, was Ethan sonst noch geplant haben mochte.

Alina wartete bereits in der Lobby, als Ethan eine Viertelstunde vor der verabredeten Zeit erschien. Sie hatte sich vorgenommen, ihre Gefühle im Zaum zu halten, doch als sie ihn jetzt mit geschmeidigen Bewegungen auf sich zukommen sah, war es um ihre guten Vorsätze schon wieder geschehen.

Heute trug er eine maßgeschneiderte graue Hose und ein kurzärmliges dunkelgrünes Hemd. Ihr Puls beschleunigte sich beim Anblick der sonnengebräunten, muskulösen Arme. Bei der Erinnerung an den flüchtigen Kuss stieg ihr das Blut ins Gesicht. Das müssen die Hormone sein, tröstete sie sich.

„Guten Morgen, Alina. Da wir bald heiraten werden, können wir wohl auf das förmliche Sie verzichten.“ Er lächelte verschmitzt. „Du siehst erholt aus. Hast du gut geschlafen?“

„Ja, vielen Dank. Wir können gehen.“ Als sie sich gleichzeitig zu Alinas Koffer hinabbeugten, berührten sich ihre Hände. Sie zuckte im selben Moment zurück, in dem er sich steif aufrichtete.

„Das ist das Vorrecht eines Gentlemans“, murmelte er sichtlich verlegen und griff nach ihren beiden Gepäckstücken.

Schweigend folgte sie ihm nach draußen. Am Bordstein wartete ein Chauffeur mit einer imposanten Limousine. Es war derselbe Wagen wie am Abend zuvor, aber ein anderer Fahrer.

„Ich werde die Nummer der Mietwagenfirma in dein Handy eingeben. Nimm einen Wagen, wann immer du willst!“ Nach kurzem Zögern fügte er hinzu: „Ich kann verstehen, dass du deine Unabhängigkeit schätzt. Aber … seit Montag bist du mit dem Kind meine Familie. Ich sorge für alles, was mein ist.“

Im ersten Moment wollte sie sich gegen seine übermäßig behütende Art auflehnen, doch dann begriff sie, dass es ihm nur um das Baby ging. Das musste sie wohl akzeptieren. Sie hatte eingewilligt, sich Ethan James anzuvertrauen, und nun musste sie sich seinen Vorstellungen anpassen.

„Als Nächstes brauchen wir die Adresse deines Anwalts“, fuhr er fort und reichte ihr sein Handy. „Ruf ihn an und bitte ihn, die Papiere bereitzuhalten!“

„Das habe ich schon erledigt. Er erwartet uns.“ Als Ethan sie überrascht anschaute, fuhr sie erklärend fort: „Ich habe seine Handynummer. Er hat sich damals … als ich völlig am Boden zerstört war …“

Ethan legte seine Hand auf ihre. „Das war eine natürliche Reaktion auf einen so schweren Verlust. Ich kann dich gut verstehen, Alina.“

„Er ist ein vertrauenswürdiger Mann. Sein Büro ist meine australische Adresse.“ Ich sollte die Berührung seiner Hand nicht so angenehm finden.

Louise hatte viel von ihrem erfolgreichen Bruder erzählt und hatte Fotos gezeigt. Doch dieser Mann an ihrer Seite war jetzt ganz real aus Fleisch und Blut. Alina spürte, wie ihr Körper unfreiwillig auf ihn reagierte.

Ethan hielt sich zurück, als der Anwalt Alina mit einer herzlichen Umarmung begrüßte. Der Händedruck, den er bekam, war fest und der Blick abschätzend. Wurde er mit dem Ehemann verglichen? Dieser Anwalt kannte Alinas ganze Geschichte und hatte ihr damals zur Seite gestanden. Was war eigentlich mit der Familie Fletcher? Wo waren sie damals gewesen, und wo waren sie jetzt?

Er bemerkte, wie nervös Alina war, während sie in ein kleines Büro geführt wurden. Ihre Finger waren unaufhörlich in Bewegung. Nachdem der Anwalt sie allein gelassen hatte, holte Alina tief Luft und beugte sich über den Karton auf dem Tisch. Mit zittrigen Händen griff sie nach dem Deckel.

Auf dem Heimweg fuhr Ethan seinen Laptop hoch. Sein Blick wanderte vom Bildschirm zum Karton mit ihrer Lebensgeschichte und wieder zurück. Ihm war klar, wie viel Überwindung Alina dieser Besuch gekostet haben musste. Die Verzweiflung hatte in ihrem Gesicht gestanden, als sie in der Box gekramt hatte. Schließlich hatte er nach ihrer Hand gegriffen und den Deckel geschlossen. „Nicht hier und nicht jetzt.“

Nach ein paar Worten mit dem Anwalt hatten sie die Kanzlei verlassen. Alina hatte während der ganzen Zeit kein Wort gesprochen. Als sie nun im Wagen saßen, folgte Ethan seinem Instinkt und nahm sie in die Arme. Der Kuss, der als zarter Trost gedacht war, verlangte unversehens nach mehr.

Was ist los mit dir, Ethan James? Wo hast du deinen Verstand gelassen?

„Ich war nicht besonders hilfreich, nicht wahr?“, brachte Alina schließlich hervor. „Aber ich musste an diese Sachen seit der Testamentseröffnung nie wieder heran.“

Ethan hörte das Zittern in ihrer Stimme. „Sieben Jahre sind eine lange Trauerzeit. Damit allein zu sein war sicherlich sehr schwer. Es war mutig von dir, zu mir zu kommen.“

Ihr kurzes Auflachen klang freudlos. „Nach allem, was Louise mir erzählt hat, hielt ich dich für den einzig Ansprechbaren in der Familie. Ich hätte nicht gewagt, deinen Eltern allein gegenüberzutreten.“

„Das wird auch nicht geschehen“, stellte er energisch fest. „Ich werde nicht zulassen, dass sie sich einmischen. Wir werden uns ihnen gemeinsam nach der Hochzeit stellen. Ein guter Freund von mir wird Trauzeuge sein. Gibt es jemanden, den du dabeihaben möchtest? Familie? Freunde?“

„Ich habe keine Familie. Meine Mutter hat mich bei ihren Eltern gelassen, als ich vier war, und ich habe nie wieder von ihr gehört. Wer mein Vater war, habe ich nie erfahren. Ein Jahr nach meinem Schulabschluss starb meine Großmutter an einem aggressiven Tumor, und drei Monate später erlitt mein Großvater einen Herzinfarkt.“

Einen Moment lang blickte sie gedankenverloren vor sich hin, dann fuhr sie fort: „Nur mit wenigen Menschen von früher habe ich noch Kontakt.“

Ihre Anspannung schien sich gelegt zu haben, und ihre Stimme klang fester. Seine Bewunderung für sie wuchs zusammen mit einem anderen, undefinierbaren Gefühl.

„Den nächsten Termin haben wir um eins“, sagte er hastig, um nicht über dieses Gefühl nachzudenken. „Wir haben also viel Zeit.“ Er griff nach seinem Laptop. „Ich glaube, du bist mutig genug für alles, Alina Flechter.“

„Vielen Dank.“

Alina wusste es besser, aber sie nahm das Kompliment lieber an, als sich mit ihm darüber auseinanderzusetzen.

„Ich meine es genau so. Sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen muss sehr schmerzvoll für dich sein.“

Er öffnete den Karton.

Schmerzvoll? Herzzerreißend! Alte Wunden wurden ohne Betäubung wieder aufgerissen. „Irgendwann muss es ja sein.“

Und zwar jetzt! Sie zog die Schachtel zu sich heran. „Ich suche heraus, was wir brauchen.“

Ihre Geburtsurkunde und die Papiere ihrer Mutter lagen obenauf, wo sie sie hingeworfen hatte. Sie reichte sie Ethan, bemüht, das Zittern ihrer Hände zu kontrollieren.

Konzentrier dich auf das, was du brauchst! Ignoriere den Rest!

Es fühlte sich an, als ob eine eisige Hand nach ihrem Herzen griff. Zwei weitere Schriftstücke brauchte sie noch, aber sie konnte sich nicht rühren.

Ethan tippte die Informationen von ihrer Geburtsurkunde in den Laptop.

„Den Rest mache ich selbst.“ Ihr war bewusst, wie ihre Stimme zitterte. Diese Papiere wollte sie nicht aus der Hand geben. „Es ist meine Vergangenheit.“

Er schob den Laptop zu ihr herüber. „Ich verstehe.“ Dann sah er sie prüfend an. „Du hast heute Morgen nicht viel gegessen, nicht wahr? Wie wäre es mit einem kleinen Imbiss?“

„Ich hatte etwas Toast und Obst. Das war genug nach der üppigen Mahlzeit gestern Abend.“ In Wahrheit hatte sie kaum einen Bissen hinunterbekommen. „Vielleicht einen kleinen Salat. Wird das Restaurant denn schon geöffnet sein?“

„Wir werden den Roomservice bemühen.“ Er griff nach seinem Handy.

Alina konzentrierte sich darauf, Namen, Daten und Orte in den Laptop zu tippen, die ihre Lebensgeschichte umschrieben. Es sind nur Buchstaben und Zahlen, versuchte sie sich einzureden.

„So, das ist erledigt“, verkündete Ethan. „Wir essen eine Kleinigkeit, dann kümmern wir uns um deinen Telefonanbieter. Das verbinden wir mit einem Besuch beim Juwelier.“ Seine Worte waren klar und unmissverständlich. Widerspruch war nicht vorgesehen.

Er schien zu spüren, dass er sie mit seiner forschen Art erschreckte. „Es wird nicht so schlimm, wie es vielleicht klingt, Alina“, sagte er mit gewinnendem Lächeln. „Du wirst dich an das Leben an meiner Seite gewöhnen.“

Das Leben an seiner Seite! Alinas Herz schlug plötzlich schneller. „Ich habe heute Morgen eine Liste gemacht“, versuchte sie rasch abzulenken.

Er sah sie fragend an. „Was für eine Liste?“

„Dinge, die zu erledigen sind. Es gibt ein paar Leute, die ich über meinen Wohnortwechsel informieren muss. Die meisten offiziellen Briefe gehen nach Crow’s Nest. In Barcelona hat Louise sich um meine Post gekümmert.“ Plötzlich klang ihre Stimme brüchig.

„Dann müssen wir veranlassen, dass sie weitergeleitet wird. Hattest du dort eine feste Adresse?“

„Nein, ich habe in immer wechselnden Pensionen gewohnt.“

„Wir werden ja demnächst hinüberfliegen, sodass du entscheiden kannst, was du herbringen möchtest.“

Sie lachte kurz auf. Er ließ eine Reise auf die andere Seite der Welt klingen wie einen Ausflug in die Nachbarschaft. „Das wird sich kaum lohnen. Dort gibt es nur einen alten Koffer und zwei Plastikschachteln.“

Jetzt war es an ihm, sich zu wundern. „Das ist dein ganzer Besitz?“

Unter seinem kühl forschenden Blick konnte Alina unmöglich lügen. „Alles andere ist eingelagert. Dort will ich nicht hin.“

„Zu schmerzhaft.“ Es war eine Feststellung, und plötzlich erinnerte sich Alina beschämt, dass auch er kürzlich einen Verlust erlitten hatte.

„Es tut mir leid, Ethan, ich habe nicht an deinen Schmerz gedacht, sondern war nur mit mir selbst beschäftigt.“ Sie legte ihre Hand auf seine. „Du hast dich um so vieles zu kümmern und schaffst es dennoch, geduldig mit mir zu sein.“

„Das ist nicht schwer.“ Er drehte ihre Hand, sodass er sie umfassen konnte. „Du trägst schließlich unser Kind unter dem Herzen.“ Dann schmunzelte er plötzlich. „Gibt es auch eine Liste mit Sachen, die eingekauft werden müssen?“

Sie antwortete mit einem kleinen Lachen. „Ich habe ein paar Dinge notiert. Warum?“

„Ich wollte das nur wissen. Fertig?“

„Noch nicht ganz.“ Sie wandte sich wieder der Tastatur zu und fügte die letzten Daten ein. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, dass er sich diskret abgewendet hatte.

Ihr Essen wurde in die Familiensuite geliefert. Anschließend entspannte sich Alina vor dem Fernseher, während Ethan zum Telefonieren in sein Büro ging. Ihr schlechtes Gewissen kehrte zurück. Ständig war Ethan ihretwegen beschäftigt. Alle Energie, die er für sie aufwandte, enthielt er seinen Geschäften vor.

Das Klingeln des Telefons ließ sie aufschrecken. Sollte sie rangehen? Glücklicherweise kam Ethan in diesem Moment zurück und nahm das Gespräch an. Nachdem er schweigend gelauscht hatte, bat er die Rezeption, den Besucher heraufzuschicken.

Jetzt war es zu spät, es sich noch anders zu überlegen. Der Notar, der die Trauung vorbereiten sollte, würde jeden Moment hier sein. Für Louise und Leon! Ihr Mantra. Und für das Kind!

Der Notar stellte sich als Notarin heraus, eine freundliche und einfühlsame Frau mittleren Alters. Sie erklärte ihnen die Vorgehensweise und versprach, die Unterlagen rechtzeitig fertigzustellen. Die Hochzeit wurde für Sonntag, den zwanzigsten April, um siebzehn Uhr festgesetzt.

5. KAPITEL

Opulent war das einzige Wort, das Alina angesichts ihres eigenen Bades einfiel. Besorgt, Spuren zu hinterlassen, fuhr sie vorsichtig mit den Fingerspitzen über die glänzenden Marmorflächen.

Das Bad war purer Luxus in Marmor und Chrom. Das Beste waren die weichsten, flauschigsten Handtücher, in die sie je ihr Gesicht geschmiegt hatte.

Auch das Schlafzimmer war ganz nach ihrem Geschmack in gedämpften Grüntönen gehalten. Über dem Bett hing das Bild eines still dahinfließenden Flusses zwischen Weidenbäumen.

Dies wird also bis zum Ende des Jahres mein Zuhause sein.

Sie setzte sich mit untergeschlagenen Beinen auf den luxuriösen Teppich und stützte die Ellbogen auf die Knie. Dann schloss sie die Augen. Schwarzes Grauen! Entsetzt riss sie die Augen auf. Als Nächstes versuchte sie, sich eine friedliche, ländliche Szene vorzustellen. Einatmen, ausatmen! Zähl die Blumen auf der Wiese! Zähl die Bäume! Sperre alles andere aus! Ihre Ängste wichen … ein wenig.

Nachdem sie sich ein wenig zurechtgemacht hatte, gesellte sie sich zu Ethan ins Wohnzimmer. Er telefonierte gerade. Als er sie erblickte, bat er seinen Gesprächspartner, kurz zu warten. Dann deckte er das Mikrofon des Handys mit der Hand ab und blickte Alina fragend an. „Alles in Ordnung?“

Als sie nickte, bekam sie zur Belohnung ein Ethan-James-Lächeln, das ihr die Knie weich werden ließ.

„Gib mir zehn Minuten“, bat er. „Es wäre nett, wenn du inzwischen Kaffee machen könntest.“

Die Küche hätte jeder Kochshow im Fernsehen zur Ehre gereicht. Schwarzer Granit, blitzender Stahl, funkelndes Glas. Während im Wohnzimmer Holz und Leder für eine gemütliche Atmosphäre sorgten, dominierte hier die Funktionalität.

Alina hatte nicht mehr in einer Küche mit Kochinsel gestanden seit … seit sie das bis unters Dach verschuldete Haus verkauft hatte, dessen Anblick sie nie wieder ertragen würde. Bei der Erinnerung musste sie die Zähne zusammenbeißen und sich auf die hochmoderne Kaffeemaschine konzentrieren.

„Eine bronzene Kapsel für mich bitte“, rief Ethan aus dem Wohnraum. „Kekse sind im obersten Regal.“ Alina hörte, wie er eine weitere Nummer wählte.

Ethan lauschte am Telefon und verfolgte Alina mit Blicken, während sie Kaffee, Tee und eine Schale mit Keksen hereintrug. Er musterte sie von Kopf bis Fuß … vom kurz geschnittenen Haar, das ihr hübsches Gesicht einrahmte, über die aufregenden Rundungen bis hinunter zu ihren nackten Füßen. Sofort reagierte sein Körper auf ihren Anblick.

„Ethan? Sind Sie noch bei mir?“

Die Stimme im Telefon riss ihn aus seinem Tagtraum. Die Realität verlangte ihr Recht.

Er bedankte sich bei seinem Gesprächspartner, legte sein Handy beiseite und trank einen Schluck vom starken, belebenden Kaffee.

Das Objekt seiner abschweifenden Gedanken saß jetzt mit untergeschlagenen Beinen auf einem Sessel. Sie hielt Schreibblock und Stift in der Hand und schien sich überhaupt nicht der Wirkung bewusst zu sein, die sie auf ihn hatte.

„Wie heißt denn die Neueste?“

Alina runzelte die Stirn und sah ihn fragend an.

Er deutete auf den Notizblock. „Die neueste Liste.“

„Ach so. Kleidung. Was ich selbst besitze, würde nicht zu deinem Lebensstil passen.“

„Ich habe eine Kreditkarte für dich bestellt.“ Er hob die Hand, bevor Alina widersprechen konnte. „Keine Widerrede! Es war meine Entscheidung, dass du hier bei mir lebst. Also werde ich auch für die Kosten aufkommen.“

„Ich habe selbst genügend Geld!“, fuhr Alina nun doch auf.

Ihre Dickköpfigkeit reizte ihn. Das Blitzen in ihren Augen, die zusammengepressten vollen Lippen … die zum Küssen einluden!

„Wie wäre es mit einem Kompromiss?“, lenkte er ein. „Du akzeptierst die Karte und benutzt sie ganz wie es dir beliebt.“

„Also gut, solange ich selbst entscheiden kann“, beendete sie die Diskussion energisch. „Gibt es ein Fitnessstudio irgendwo in der Nähe? Bis ich einen Job finde, würde ich gern …“

Sie zuckte zusammen, als er plötzlich aufsprang.

Auf seiner Stirn bildete sich eine tiefe Falte. Einen Job? Sie wollte arbeiten? Er holte tief Luft und versuchte, seine Erregung zu zügeln. Wie sollte er dieser Frau, die schon so lange für sich allein gesorgt hatte, seine Welt erklären?

Ethan setzte sich wieder und nahm ihre Hand. „In den Kreisen, in denen ich aufgewachsen bin, haben nur wenige Frauen gearbeitet. Wenn meine Eltern sich über berufstätige Frauen unterhielten, klang das immer ein wenig herablassend. Ich bin nicht stolz auf meine Familie, aber so war es nun einmal.“

Er legte die Hand unter ihr Kinn, sodass sie ihn ansehen musste. „Ich bewundere, wie du dich allein über Wasser gehalten hast. Aber jetzt lass dich von mir verwöhnen! Bitte.“

„Ich glaube, ich weiß nicht, wie das geht.“

Er konnte sehen, wie es buchstäblich hinter ihrer Stirn zu arbeiten begann. „Gelten Fortbildungskurse als Arbeit?“, fragte sie schließlich.

Unwillkürlich musste er lachen. Diese Frau war bewundernswert. Er zog sie an sich und hauchte ihr einen Kuss aufs Haar.

Dann stand er auf und streckte ihr die Hand hin. „Komm mit!“

Bereitwillig ließ Alina sich von ihm einen langen Flur entlangführen. Er deutete auf zwei Türen zur Rechten. „Ein Abstellraum und ein leeres Zimmer.“ Dann öffnete er die Tür auf der linken Seite. „Aber das hier hat damals den Ausschlag gegeben.“

Er beobachtete ihre Miene und wurde nicht enttäuscht. Begeistert bestaunte sie den Wellnessbereich mit modernsten Fitnessgeräten und einem Pool. Bevor sie etwas sagen konnte, legte er ihr warnend den Finger auf den Mund.

„Nicht …!“

Sie hob fragend die Augenbrauen.

„Sprich es nicht aus!“

Nun hob sie trotzig das Kinn. „Du weißt doch gar nicht, was ich gedacht habe!“

Er tat, als sei er verärgert. „Noch ein Wort über unsere unterschiedlichen Welten, und ich höre überhaupt nicht mehr zu!“

Im nächsten Moment hellte sich seine Miene wieder auf. „Dies ist mein Zufluchtsort nach stressigen Tagen.“ Er trat hinter sie und legte ihr die Hände auf die Schultern. „Wenn du die Geräte benutzen möchtest, können wir leichtere Gewichte auflegen. Hast du dein Badezeug mit?“

Sie wandte den Kopf und wollte sagen, dass sie Badezeug auf die Einkaufsliste setzen würde, doch dann erstarrte sie. Ihre plötzliche Bewegung hatte sie ihm nahe gebracht. Viel zu nahe! Zum Küssen nahe! Die Knie wurden ihr weich. Ihr Mund war plötzlich trocken, und ihr Herzschlag fühlte sich an wie ein Trommelwirbel. Es war ein erregendes Gefühl, gleichzeitig aber auch beängstigend. Eine schwache Erinnerung an lange verdrängte Emotionen.

Als Ethan sie unvermittelt losließ und sich von ihr entfernte, stieg Enttäuschung in ihr auf.

„Benutz das Studio, so oft du willst, obwohl es mir lieber wäre, wenn ich dabei bin. Falls dir das Wasser im Pool zu kalt ist, kann ich die Temperatur erhöhen. Handtücher liegen im Regal neben der Tür.“ Seine Stimme klang nüchtern. Der Moment intimer Nähe schien ihn nicht weiter berührt zu haben.

Auf dem Weg zur Tür schämte sich Ethan für sein plötzliches Verlangen. Alina hatte keine Ahnung, wie sehr sie ihn aufwühlte. Wahrscheinlich würde sie schon morgen nach Spanien zurückfliegen, wenn sie wüsste, was mit ihm los war. Eben hätte er sie fast geküsst … und er würde es am liebsten sofort nachholen.

Es würden frustrierende Wochen und Monate werden. Erzwungenes Zölibat mit Alina in Reichweite! Und dann mussten sie auch noch alle glauben machen, dass ihre Schwangerschaft das Resultat einer kurzen, heißen Affäre während seines letzten Besuchs in Spanien war.

Ethan blieb stehen. „Dank meiner Schwester weißt du eine Menge über mich. Was dich betrifft, tappe ich immer noch im Dunkeln. Also, erzähl mir ein bisschen von dir!“

Den Arm um ihre Taille gelegt, fuhr er fort: „Die Leute sollen glauben, dass wir ein Liebespaar und dass ich der Vater dieses Kindes bin.“ Zärtlich strich er ihr mit den Fingerspitzen über die Wange und flüsterte leise: „Ein Mann und eine Frau, die vorgeben, ein Kind gezeugt zu haben, sollten wenigstens so tun, als hätten sie sich schon einmal geküsst.“

Im nächsten Moment drückte er die Lippen auf ihren Mund, unfähig, sich länger zurückzuhalten. Er fuhr mit den Fingern durch ihr Haar, verzweifelt bemüht, nicht ganz die Kontrolle zu verlieren.

Ihre Lippen schmeckten so süß … aber sie reagierte nicht!

Toll gemacht, Ethan James! Eine gute Methode, ihr Vertrauen zu gewinnen!

Sofort löste er sich von ihr und blickte in weit aufgerissene violette Augen. Himmel, wie gern würde er sie jetzt in seine Arme ziehen!

Rasch trat er ein paar Schritte zurück. „Wir werden daran arbeiten.“

Sie sah ihn kritisch an. „Als ob du noch üben müsstest!“

Fast hätte ihn ihre beiläufige Bemerkung getäuscht, wäre da nicht dieses wundervolle, atemlose Zittern ihrer Stimme gewesen. Sie konnte es bestreiten, so viel sie wollte, sein Kuss hatte Wirkung gezeigt.

Nur mit großer Mühe brachte er das Gespräch zurück auf alltägliche Dinge. „Der Pool wird regelmäßig gereinigt, das Apartment montags, mittwochs und freitags gesäubert.“

Sie schien erleichtert über seinen Themenwechsel. „Es gibt hier einen Sicherheitsdienst. Wie komme ich hinein und hinaus?“

„Ich habe bereits eine Schlüsselkarte für dich bestellt. Inzwischen kannst du meine Ersatzkarte benutzen.“ Er blickte auf die Uhr. „Es wird Zeit. Kannst du in zehn Minuten fertig sein?“

Alina und Ethan wurden in einen exklusiv eingerichteten Raum im bekanntesten Juweliergeschäft der Stadt geleitet. Ethan verhielt sich ganz wie ein aufmerksamer Bräutigam. Alina hingegen fühlte sich steif und verspannt. Wie sollten sie jemandem weismachen, dass sie ein Paar waren?

Ein elegant gekleideter Herr begrüßte sie mit Glückwünschen für die bevorstehende Hochzeit und stellte zwei mit Samt ausgeschlagene Tabletts mit Eheringen auf den Tisch. Es glitzerte und funkelte vor Alinas Augen. Kein Vergleich zu dem kleinen Diamanten in einer herzförmigen Fassung, den sie damals ausgewählt hatte.

Jetzt nicht an die Vergangenheit denken! Dies hier hat nichts mit der Wirklichkeit zu tun.

Ethan strich ihr sanft über die Wange. „Zu viel Auswahl, Liebling? Darf ich?“

Sie wusste, dass seine Zärtlichkeit nur eine Show für den Juwelier war. Tapfer brachte sie ein schwaches Lächeln zustande, aber sie wagte nicht zu sprechen.

Ohne zu zögern wählte Ethan einen ovalen Amethyst mit einem Kranz aus winzigen Diamanten. Elegant, nicht aufdringlich. Ihr Finger zitterte, als er ihr den Ring überstreifte.

Dann hob er ihre Hand und hauchte einen Kuss darauf. „Perfekt. Wunderschön … so wie du.“ Und im nächsten Moment küsste er sie zärtlich.

Wohl oder übel musste sie mitspielen, um die Show nicht zu gefährden. Also fügte sie sich und tat, wogegen sie sich zuvor am Pool noch gesträubt hatte. Sie erwiderte seinen Kuss.

Ihr Herzschlag beschleunigte sich, und sie hoffte, der Juwelier würde ihr Zittern nicht bemerken. Einen Moment lang genoss sie atemlos das Gefühl von Ethans Lippen auf ihrem Mund.

Doch dann war da plötzlich wieder der eiskalte Knoten in ihrem Bauch. Hastig löste sie sich aus Ethans Umarmung und senkte den Blick. Auf den Juwelier wirkte sie wahrscheinlich wie eine verschämte Braut.

6. KAPITEL

Ihre nächste Station war ein Handyshop. Als sie den Laden verließen, besaß Alina ein neues Smartphone mit einem Vertrag auf Ethans Namen. Er hatte eine charmante Art, jeden Widerspruch zu überstimmen.

Ebenso erging es ihr beim Besuch einer exklusiven Parfümerie. Zielstrebig wählte Ethan ein Parfüm für sie aus, das sie sofort hinreißend fand, einen leichten, eleganten Duft. Der verstohlene Blick, den Ethan mit der Verkäuferin gewechselt hatte, war ihr nicht entgangen. Was plante er sonst noch?

Auf dem Weg zurück zu ihrer Wohnung ließ er den Wagen anhalten. „Es dauert nicht lang“, erklärte er und stieg aus. Der Fahrer fuhr weiter, und nach einer Runde um den Block wartete Ethan bereits auf dem Bürgersteig. Er trug zwei Plastiktüten, aus denen es verführerisch duftete.

Als er ihren erstaunten Blick bemerkte, musste Ethan lachen. „Die beste Thai-Küche in der Stadt. Es ist nicht zu scharf gewürzt“, fügte er beruhigend hinzu.

Das exotische Aroma machte Alina bewusst, wie hungrig sie war. „Danke, dass du daran gedacht hast.“

„Ich erinnere mich an alles, was du mir gesagt hast, Alina.“

Ihre Blicke trafen sich, und sie hatte Mühe, sich abzuwenden. Sie musste die Distanz wahren! Zu große Nähe durfte sie nicht zulassen, der Preis wäre einfach zu hoch.

Nach dem Essen machten sie es sich vor dem Fernseher bequem. Während Alina interessiert der Nachrichtensendung folgte, schweiften Ethans Gedanken ab. Mit wem in Sydney mochte Alina noch Kontakt haben? Sie war lange aus Australien weg gewesen. Hatte sie hier keine Freunde mehr, denen sie sich anvertrauen konnte?

Es war offensichtlich, dass sie einen tief sitzenden Schmerz in sich trug. Ethan wusste so wenig von ihr, aber er wollte sie nicht mit aufdringlichen Fragen verschrecken. Wenn es ihm gelang, ihr Vertrauen zu gewinnen, würde sie sich vielleicht ganz von selbst öffnen. Er war sicher, dass er ihr helfen konnte, wenn er nur erst Genaueres wüsste.

Er ertappte Alina beim Gähnen. „Müde? Es war ein anstrengender Tag.“ Mitfühlend schloss er sie in die Arme. „Gute Nacht, Alina. Ich weiß, dass das alles nicht leicht für dich ist. Schlaf gut.“ Ethan löste sich von ihr und stand auf.

„Ich habe es ja überlebt. Gute Nacht.“ Auch sie erhob sich nun und ging zur Tür.

„Alina?“

Fragend wandte sie sich um.

„Ich schwöre, ich werde für dich und das Kind sorgen.“ Der Blick aus seinen blauen Augen ließ keinen Zweifel daran, dass er seine Worte ernst meinte.

Alina stand an die Kochinsel gelehnt und blickte auf ihren Notizblock. Ein paar neue Jeans wären sicherlich nötig. Das und einen weiteren Punkt notierte sie auf ihrer Liste. Die Kreditkarte hatte sie weit von sich geschoben. Sie zu besitzen hieß ja nicht, sie auch zu benutzen.

An diesem Morgen hatte Ethan sie sehr früh mit der Ankündigung geweckt, dass er ins Büro müsse. Noch halb im Schlaf hatte sie kaum registriert, was er sagte. Doch als er ihr zärtlich eine Haarlocke aus der Stirn strich, war sie plötzlich hellwach geworden.

Sie ließ den Stift sinken. Es war lächerlich. Der Braut eines Multimillionärs sollte es nicht schwerfallen, eine Einkaufsliste zusammenzustellen. Jede andere Frau in ihrer Situation würde den Block im Nu vollgeschrieben haben. Doch als eingefleischte Nomadin besaß sie kaum mehr als das, was sie am Leib trug. Und sie hatte auch gar nicht das Bedürfnis, mehr zu besitzen. Ihre Unterwäsche war praktisch und würde es nie auf die Titelseite eines Magazins schaffen oder gar die Libido eines Mannes entfachen.

Spar dir solche Gedanken, schimpfte sie stumm mit sich selbst. Der Mann will das Baby, nicht dich.

Kurz nach zwölf sank sie erschöpft auf einen Stuhl in einem gut gefüllten Café. Zwei Plastiktüten mit dem mageren Ergebnis ihrer Einkaufsversuche belegten den Platz neben ihr. Es war hoffnungslos. Jedes Mal war sie vor dem Betreten einer der teuren Boutiquen zurückgeschreckt.

Sie brauchte Hilfe … und wusste nicht, wen sie fragen sollte. Sie war es gewöhnt zu arbeiten, und jetzt hatte sie den ganzen Tag nichts zu tun. Ihre Bemerkung, sie könnte ja Kurse belegen, war eigentlich als Scherz gemeint gewesen, doch nun kam ihr die Idee gar nicht mehr so absurd vor.

Als die Bedienung mit zwei Tellern verlockend duftender Speisen vorbeiging, kam ihr ein anderer Gedanke. Sie griff nach ihrem Notizblock, begann eine neue Liste und hielt erst damit inne, als ihr bestelltes Essen kam.

Ethan schnupperte anerkennend, als er später als geplant das Apartment betrat. Er hatte noch die zukünftige Arbeitsverteilung mit seinem Stellvertreter besprechen müssen. Zu seinem Erstaunen sah er den Tisch für zwei Personen gedeckt. In der Mitte stand eine Schüssel mit frischem Salat, und eine Flasche Shiraz wartete darauf, geöffnet zu werden. Sein Zuhause empfing ihn warm und einladend … eine erfreuliche neue Erfahrung.

„Oh, das riecht gut. Steaks, wenn ich mich nicht irre.“

„Hallo.“ Alina kam mit einer Karaffe Wasser und Gläsern aus der Küche. „Das Essen ist fertig, sobald du dir die Hände gewaschen hast.“

Er stellte seinen Laptop ab und trat auf sie zu. Der Duft ihres neuen Parfüms umfing ihn. Perfekt! Wenn dies wirklich sein Leben wäre …

War es aber nicht! Sie spielten nur Theater.

Heute Morgen hätte er sie beinahe geküsst. Er hatte nicht nachgedacht, sondern instinktiv gehandelt. Er würde sich zügeln müssen, wenn sie eine vertrauensvolle Beziehung entwickeln sollten.

„Gib mir fünf Minuten.“

Alina arrangierte die Steaks mit den in Folie gebackenen Kartoffeln auf den vorgewärmten Tellern und lächelte zufrieden. Hoffentlich schmeckte es so gut, wie es aussah. Wenn Ethan sie kochen und putzen ließ, würde sie sich mit ihrer Vereinbarung viel besser fühlen. Es war ihr zuwider, in allen Dingen von ihm abhängig zu sein.

Natürlich konnte sie es nicht mit den Köchen in seinem Restaurant aufnehmen. Sie würde sich an die Gerichte halten, die sie beherrschte. Das neu gekaufte Kochbuch sollte zur Inspiration dienen.

Ethan hatte bereits den Wein eingeschenkt, als sie sich zu Tisch setzten. Das Funkeln in seinen Augen ließ Alina den Atem anhalten. „Das stammt nicht aus der Hotelküche, oder?“

„Nein.“ Sie senkte den Blick. Wenn der Unterschied so offensichtlich war, hatte sie bereits verloren.

„Mmm.“ Er öffnete die Folie, löffelte Sour Cream auf die Kartoffel und begann zu essen.

Alina hielt den Atem an und wartete gespannt auf seine Reaktion.

„Das ist gut!“

Sein Lächeln ließ sie erleichtert ausatmen. Erst jetzt merkte sie, dass sie die Luft angehalten hatte.

„Aber nicht so, wie du es gewöhnt bist?“

„Besser.“

Skeptisch zog sie die Brauen zusammen. Sie wollte keine scheinheiligen Komplimente. „Du musst mir nichts vormachen. Ich weiß selbst, dass ich mich nicht mit Profiköchen vergleichen kann.“

„Ich verspreche, ich werde dir immer die Wahrheit sagen, Alina. Ich habe oft achtlos während der Arbeit gegessen und war dabei viel zu sehr auf Zahlen und Tabellen konzentriert, um es zu genießen.“

Er legte sein Messer ab und griff über den Tisch nach ihrer Hand. „Bis vor Kurzem kam es mir so vor, als hätte mein Leben keinen Sinn mehr. Ich habe nicht einmal mehr gewagt, an Louise und Leon zu denken, denn dann hätte ich akzeptieren müssen, dass sie niemals zurückkehren werden. Jetzt aber hast du meinem Leben einen neuen Inhalt gegeben. Schon beim Aufwachen spüre ich, dass durch dich meine Schwester und mein bester Freund immer noch Teil meines Lebens sind. Ich fühle …“

Er verstummte und zog langsam seine Hand zurück, als wagte er nicht, noch mehr Gefühle zu offenbaren.

„Wir sollten essen, solange es heiß ist“, sagte er dann hastig mit belegter Stimme. „Hast du noch weitere Köstlichkeiten auf dem Plan?“

„Ist das dein Ernst? Brauchst du wirklich mehr als eine Mahlzeit für dein Urteil?“

„Unbedingt!“ Lächelnd hob er sein Glas. „Auf viele weitere selbst gekochte Mahlzeiten.“

„Aber nur, wenn du mir ehrlich sagst, falls es dir nicht schmeckt. Wenn ich außerdem die Hausarbeit übernehme, habe ich wenigstens etwas zu tun.“

„Aus dem Vertrag mit der Reinigungsfirma komme ich nicht so schnell heraus. Abgesehen davon wirst du in ein paar Monaten für die Hilfe dankbar sein. Du kannst ja von Fall zu Fall entscheiden, was erledigt werden soll.“

„Bist du eigentlich Sportfan?“, fragte sie während des Desserts aus Obst und Eiscreme. „Ich weiß, Leon und Louise schwärmten für die Sydney Swans und haben sich die Spiele im Internet angesehen. Du scheinst nicht viel Zeit für so etwas zu haben.“

„Wenn die beiden hier waren, haben wir nie ein Heimspiel verpasst. Ich bin immer noch zahlendes Mitglied im Klub. Aber du hast recht. Allein nehme ich mir selten die Zeit, zu den Spielen zu gehen. Wenn ich abends nach Hause komme, zappe ich manchmal zur Entspannung durch die Sportkanäle.“

Während des abschließenden Espressos fragte Ethan sie, durch welche Länder sie schon gereist war. Sie verriet ihm eher beiläufig, dass sie fließend Spanisch, Italienisch und Französisch sprach und das für nicht besonders bemerkenswert hielt. Da sein Spanisch nicht über Grundkenntnisse hinausging, nannte er das eine beachtliche Leistung.

Nach dem Essen hielt sich Alina während der kurzen Nachrichtensendung nur mit Mühe wach. Sie musste sich sehr zusammennehmen, um sich nicht gegen Ethans Schulter sinken zu lassen und einzuschlafen.

„Macht es dir etwas aus, wenn ich zu Bett gehe? Ich werde gewöhnlich nicht so schnell müde, vielleicht liegt es ja an der Schwangerschaft.“

Er legte tröstend den Arm um sie. „Ich kann verstehen, dass es für dich nicht leicht ist. Wir werden gleich morgen fragen, ob du extra Vitamine nehmen solltest.“

Ohne darüber nachzudenken, beugte er sich vor und küsste sie. Er spürte das leichte Zittern ihrer Lippen, und ihr leises Stöhnen klang wie Musik in seinen Ohren. Widerstrebend richtete er sich auf und löste sich von ihr.

„Schlaf gut, Alina“, sagte er und versuchte, sich seine Erregung nicht anmerken zu lassen. „Morgen werde ich früher nach Hause kommen.“

Er sah ihr nach, als sie das Zimmer verließ, und verfluchte seinen Mangel an Zurückhaltung. Gerade hatte sie sich ein wenig geöffnet und begonnen, von ihrem Leben zu erzählen. Jetzt würde sie womöglich ihren Schutzwall wiederaufbauen. Er verwünschte seine Eltern, die es ihm so schwer gemacht hatten, seine Gefühle zu zeigen. Louise und Leon hatten keine Hemmungen gehabt, ihre Liebe zu leben … privat oder in der Öffentlichkeit. Blickkontakte, Berührungen, Küsse … all das war für sie so natürlich gewesen wie das Atmen. Zwischen seinen Eltern hatte er niemals eine zärtliche Geste gesehen.

Wenn ihre Geschichte in der Öffentlichkeit glaubhaft sein sollte, würden er und Alina sich wie ein Liebespaar verhalten, er aber gleichzeitig sein Verlangen zügeln müssen. Was für eine Herausforderung!

7. KAPITEL

Leise Geräusche drangen aus dem Wohnzimmer, als Ethan die Haustür öffnete. Seit Monaten war er nicht mehr so früh zu Hause gewesen. Er hatte Alina überraschen wollen, doch nun war er es, der wie gebannt stehen blieb.

Alina hatte es sich in einem Sessel bequem gemacht. Mit gesenktem Blick galt ihre ganze Konzentration dem Material in ihren Händen.

Ethan betrachtete die sanfte Biegung ihres schlanken Halses, die glatte Haut ihrer leicht geröteten Wangen, den Schwung ihrer langen braunen Wimpern. Sie bot das perfekte Bild einer natürlichen Schönheit.

Vorsichtig trat er auf sie zu, um sie nicht zu erschrecken. Ihr Duft umfing ihn, als er nähertrat, und erregte ihn in ungeahnter Weise.

Alle guten Vorsätze waren vergessen, alle Zurückhaltung aufgegeben. Mit einem letzten Schritt war er bei ihr und schloss sie in seine Arme. Seine Lippen öffneten sich zum Kuss …

„Au!“ Er zuckte zurück und rieb sich den schmerzenden Schenkel. Dann musste er lachen. „Gelegentlich habe ich mir mal eine Ohrfeige eingefangen, aber gestochen hat mich noch nie jemand.“

Alina erblasste mit der Nadel in der Hand. „Ich … es tut mir leid. Ich sticke gerade und habe vergessen …“

Er nahm ihr die bedrohliche Waffe aus der Hand und legte sie auf den Beistelltisch neben eine Ansammlung bunter Fäden. „Ich bin selbst schuld. Ich war so von deinem bezaubernden Anblick gebannt, dass ich nicht auf die Gefahr geachtet habe.“

Sein Kompliment ließ sie erröten. „Die Nadel ist nicht wirklich spitz“, entgegnete sie verlegen. „Soll ich nachsehen, ob es blutet?“

Das leichte Zittern ihrer Stimme und der vorwurfsvolle Blick wirkten wie eine kalte Dusche. Er hatte sie mit seinem impulsiven Handeln schockiert. Denk daran, warum sie hier ist, ermahnte Ethan sich.

Rasch trat er zurück und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Vor fünf Tagen hatte er nicht einmal gewusst, dass diese Frau überhaupt existierte. Für sie war er nur eine mittelfristige Lösung in einer schwierigen Situation.

Er brauchte jetzt einen kühlen Kopf. In der Öffentlichkeit mussten sie als Liebespaar auftreten, im Privatleben auf Distanz bleiben. Das war das Beste für alle … vor allem für die Frau, die ihn jetzt mit großen, wachsamen Augen ansah.

Er deutete auf das Stück Tuch, das sie über einen runden hölzernen Rahmen gespannt hatte. Verschiedene Schattierungen von Grün waren bereits hineingestickt. Die aufgedruckte Skizze deutete an, dass es einmal einen bunten Bauerngarten darstellen sollte.

„Interessant. Ein hübsches Hobby.“

„Klein und leicht. Es passt in meinen Rucksack und ist anspruchsvoll genug, um mich an den Abenden zu beschäftigen.“ Sie legte den Stickrahmen auf den Tisch neben sich. „Außerdem hält es mich davon ab, zu viel nachzudenken.“

„Und du hast gleich eine Waffe zur Hand, wenn jemand über dich herzufallen droht“, spottete er. Dann deutete er auf ihr leichtes Sommerkleid. „Du warst shoppen?“

Sie verzog das Gesicht. „Nicht unbedingt meine Lieblingsbeschäftigung. Dass ich nicht weiß, welche Größe ich in ein paar Wochen brauchen werde, hilft auch nicht gerade. Wie war denn dein Tag?“

„Viel zu tun. Schau, ich habe ein Päckchen vom Juwelier bekommen.“ Er griff in seine Tasche und zog eine kleine schwarze Schachtel hervor. „Er hat den Ring angepasst.“ Sanft griff er nach ihrer linken Hand und schob ihr den Amethyst auf den Ringfinger. „Jetzt passt er perfekt.“

Sie blickte auf ihre Hände und ließ die Schultern sinken.

„Alina!“ Der kurze Anflug von Trauer in ihrem Blick war ihm nicht entgangen. „Denk daran, warum wir dies tun und für wen.“

„Ich weiß.“ Sie entzog ihm ihre Hand und verschränkte die Arme vor der Brust. „Es ist alles nur ganz anders, als ich erwartet hatte.“ Sie versuchte zu lächeln, doch es wollte ihr nicht recht gelingen. „Ich werde dich nicht enttäuschen.“

Sein Instinkt sagte ihm, dass dieses verletzliche Wesen beschützt und vor weiterem Schmerz bewahrt werden musste, gleichzeitig ahnte er, dass es keine gemeinsame Zukunft für sie gab. Seine Erwartungen an sie würden ihr Leid nur noch vergrößern. Sie würde nicht in Australien bleiben. Ihre Lebenspläne passten einfach nicht zusammen, und letztlich würde er allein für das Kind verantwortlich sein.

Ethan hatte sich geschworen, niemals in einer kalten, lieblosen Ehe zu enden wie seine Eltern. Dann war es besser, Junggeselle zu bleiben und gelegentlich weibliche Gesellschaft ohne emotionale Verwicklungen zu genießen. Plötzlich alleinerziehender Vater zu werden würde sein Leben zwar ziemlich durcheinanderbringen, aber er würde schon damit zurechtkommen.

Was die Einmischung seiner Eltern anging, musste Alina allerdings gewarnt werden. „Ich werde meine Eltern nicht zur Hochzeit einladen, also trag den Ring bitte vorher nicht in der Öffentlichkeit.“

Sie sah in verständnislos an.

Autor

RaeAnne Thayne

RaeAnne Thayne hat als Redakteurin bei einer Tageszeitung gearbeitet, bevor sie anfing, sich ganz dem Schreiben ihrer berührenden Geschichten zu widmen. Inspiration findet sie in der Schönheit der Berge im Norden Utahs, wo sie mit ihrem Ehemann und ihren drei Kindern lebt.

Foto: © Mary Grace Long

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Die Kreativität war immer schon ein Teil von Barbara Hannays Leben: Als Kind erzählte sie ihren jüngeren Schwestern Geschichten und dachte sich Filmhandlungen aus, als Teenager verfasste sie Gedichte und Kurzgeschichten.
Auch für ihre vier Kinder schrieb sie und ermutigte sie stets dazu, ihren kreativen Neigungen nachzugehen.
Doch erst als...
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