Julia Extra Band 444

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DAS FEUER DEINER LEIDENSCHAFT von LUCAS, JENNIE
Nur eine Nacht der Leidenschaft, einmal allen Kummer vergessen - mehr möchte Scarlett nicht. Mutig lässt sie sich auf den heißen Flirt mit Vincenzo Borgia ein. Sie ahnt nicht, dass diese Nacht mit dem gefährlich attraktiven Playboy ihr ganzes Leben verändern wird …

SINNLICHE NÄCHTE IM WÜSTENPALAST von FIELDING, LIZ
Ein kostbares Collier besiegelt den Vertrag: Sechs Monate soll Ruby die Frau von Scheich Ibrahim spielen. Damit er nicht die von seinem Vater arrangierte Ehe mit einer Anderen eingehen muss! "Kein Sex, keine Küsse", verspricht er. Eine Vereinbarung, die Rubys Sehnsucht enttäuscht …

KOSTBAR WIE EIN DIAMANT? von BLAKE, MAYA
Selfmade-Millionär Draco Angelis braucht Arabella nur für einen wichtigen Businessdeal. Den opulenten Diamantring schenkt er ihr, damit niemand erfährt, dass ihre Verbindung reine Berechnung ist. Bis ihm sein Herz einen Strich durch die allzu kühle Rechnung macht …

MAGGY - KÖNIGIN WIDER WILLEN von CREWS, CAITLIN
König Reza von Constantinien ist sich sicher: Amerikanerin Maggy ist die verschollene Prinzessin, die ihm schon seit seiner Geburt versprochen ist! Maggy soll ihm in sein Reich folgen und seine Frau werden - aber sie will nur einen Mann, der sie wirklich liebt …


  • Erscheinungstag 09.01.2018
  • Bandnummer 0444
  • ISBN / Artikelnummer 9783733710767
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Jennie Lucas, Liz Fielding, Maya Blake, Caitlin Crews

JULIA EXTRA BAND 444

JENNIE LUCAS

Das Feuer deiner Leidenschaft

Als Vincenzo Borgia nach einer heißen Nacht mit Scarlett erwacht, ist sie verschwunden. Um ausgerechnet bei seiner Hochzeit mit einer Anderen wieder vor ihm zu stehen!

LIZ FIELDING

Sinnliche Nächte im Wüstenpalast

Sie hat der Himmel geschickt: Gerade, als Scheich Ibrahim eine Frau sucht, tritt Ruby in sein Leben. Attraktiv und sexy! Eigentlich ist ihre Ehe nur ein Arrangement. Eines mit höchst erotischen Folgen …

MAYA BLAKE

Kostbar wie ein Diamant?

Der Diamant an ihrem Verlobungsring schillert wie das Sternenzelt! Doch er ist nur eine Leihgabe: Wenn Arabella ihre Aufgabe an Dracos Seite erfüllt hat, muss sie den Millionär für immer verlassen …

CAITLIN CREWS

Maggy – Königin wider Willen

Ein Leben in unvorstellbarem Reichtum, umgeben von Gold, Silber und erlesenen Edelsteinen verspricht ihr König Reza. Aber dafür muss Maggy ihm in seinen Palast folgen – obwohl sie ihn kaum kennt!

1. KAPITEL

„Sie haben zwei Möglichkeiten, Scarlett.“ Der gierige Blick ihres Chefs wanderte von ihrem Babybauch zu den vollen Brüsten, die sich unter dem Stoff ihres schwarzen Umstandskleides abzeichneten. „Entweder Sie unterschreiben diese Papiere, werden auf der Stelle meine Frau und geben Ihren Bastard nach der Geburt zur Adoption frei, oder …“

„Oder was?“ Scarlett Ravenwood versuchte, sich von den Papieren abzuwenden, die der muskulöse Mann ihr zuschob. Auf dem Rücksitz seiner Limousine hatte sie kaum Chancen, dem Verhängnis zu entkommen.

„Oder ich lasse Sie durch Doktor Marston für unzurechnungsfähig erklären. Er wird Sie kurzerhand in ein Sanatorium einweisen.“ Die Lippen ihres Chefs verzogen sich zu einem eisigen Lächeln. „Nur zu Ihrer Sicherheit natürlich. Jeder zurechnungsfähige Mensch würde sich meinem Willen fügen. Doch wer würde wohl ein Baby in der Obhut einer Mutter lassen, die Patientin in einer geschlossenen Anstalt ist?“

Scarlett starrte ihn an, als die Limousine die 5th Avenue hinabglitt. Blaise Falkner war gutaussehend, reich und mächtig. Und ein Monster.

„Das können Sie nicht ernst meinen!“ Sie zwang sich, ruhig zu bleiben. „Ich bitte Sie, Blaise. Wir leben im 21. Jahrhundert!“

„Dem Jahrhundert, in dem ein reicher Mann alles tun kann, was ihm beliebt. In dem sich früher oder später jeder seinem Willen fügt.“ Er streckte seine rechte Hand aus und drehte eine Strähne von Scarletts langem roten Haar um seinen Zeigefinger. „Wer sollte sich mir in den Weg stellen? Sie?“

Ihr Mund wurde ganz trocken. Die letzten zwei Jahre hatte sie in Blaise Falkners Villa in der Upper Eastside gelebt, um Tag und Nacht als Pflegekraft für seine todkranke Mutter da zu sein. Während dieser Zeit hatte Blaise ihr immer drängendere Avancen gemacht. Allein die herrische Hauseigentümerin, die der Gedanke, dass ihr einziger Erbe sich mit dem Hauspersonal abgab, zutiefst entsetzte, hatte ihn in Schach gehalten.

Aber jetzt war Mrs. Falkner tot, und Blaise konnte – wie er soeben unmissverständlich klargemacht hatte – tun, was ihm gefiel. Vor allem mit Scarlett, einer mittellosen jungen Frau ohne Familie und ohne Freunde. Sie war nach New York gekommen, um ein neues Leben zu beginnen. Doch sobald sie den Vertrag mit den Falkners unterschrieben hatte, war sie in der Villa isoliert worden, um den Befehlen der mürrischen, bettlägerigen Frau und ihres kaltherzigen Sohnes zu gehorchen und für sie all die Aufgaben zu erledigen, die niemand sonst machen wollte. Jetzt, da die Falle vollständig über ihr zuzuschnappen drohte, hatte sie niemanden, an den sie sich wenden konnte.

Außer. Scarlett schluckte. Ihn.

Es war so gut wie unmöglich.

Doch wenn Blaise seine Drohung wahr machte? Wenn er und sein befreundeter Psychiater einen Weg fanden, ihren schrecklichen Plan umzusetzen?

Heute Morgen hatte Scarlett ihrem Chef erklärt, dass sie direkt nach dem Begräbnis seiner Mutter die Stadt verlassen würde. Denn mit Mrs. Falkners Tod war ihr Arbeitsvertrag ungültig. Zu ihrer Überraschung hatte Blaise angeboten, Scarlett nach der Trauerfeier zum Busbahnhof zu fahren. Und froh, mit ihrem Koffer nicht den weiten Weg bis zur nächsten Metrostation laufen zu müssen, hatte sie seinen Vorschlag angenommen.

Sie hätte wissen sollen, dass Blaise ihr nur mit schäbigen Hintergedanken half. Aber sie hätte nie geglaubt, dass er so weit gehen würde, sie zu einer Heirat zu nötigen. Sie zu zwingen, ihr Baby wegzugeben.

Ehrlich gesagt hatte Scarlett stets geglaubt, dass Blaise nicht mehr als ein egoistischer, verzogener Playboy war, der sie vorübergehend als Spielzeug wollte. Doch sie hatte sich getäuscht. Er war vollkommen verrückt.

„Also?“, hörte sie ihn fragen. „Wie lautet Ihre Antwort?“

„Warum sollten Sie gerade mich heiraten wollen?“, flüsterte Scarlett schwach. Dann nahm sie einen zittrigen Atemzug und widmete sich dem verzweifelten Versuch, an die Eitelkeit des Mannes zu appellieren, der sie noch immer gierig musterte. „Sie sind gutaussehend, mächtig, reich. Jede andere Frau würde Sie von Herzen gerne heiraten.“ Jede Frau, die nicht wusste, wie Blaise wirklich war, fügte sie in Gedanken hinzu.

„Aber ich will Sie!“ Er packte Scarletts Handgelenk so fest, dass sie aufstöhnte. „All die Jahre konnte ich Sie nicht haben. Ich muss mit ansehen, wie Sie das Kind eines anderen Mannes erwarten! Eines Mannes, dessen Name Sie verschweigen! Aber ich habe mich lange genug zurückgehalten.“ Er knirschte mit den Zähnen. „Sobald wir verheiratet sind, werde ich der einzige Mann sein, der Sie berühren darf. Und wenn Ihr Balg geboren und zur Adoption freigegeben ist, werden Sie allein mir gehören! Für immer.“

Scarlett versuchte, ihre Panik zu verbergen. Als die Limousine das Ende der Fifth Avenue erreichte, sah sie die berühmte Kathedrale. Und sie wusste, was sie zu tun hatte. Es war ihre einzige Möglichkeit, Blaise zu entfliehen.

Sie hatte bereits eine Busfahrkarte Richtung Süden gekauft und wollte ihre wenigen Ersparnisse darauf verwenden, an einem sonnigen Ort ein Zuhause für sich und ihr Baby zu schaffen. Doch wie ihr eigener Vater ihr so oft gesagt hatte, bevor er starb – das Leben hat meist andere Pläne als du selbst.

Scarlett war an einem Punkt angekommen, an dem ihr nur die Wahl zwischen Pest und Feuertod blieb. Denn während Blaise Falkner definitiv die Pest für alle war, hatte Vincenzo Borgia – zumindest für Scarlett – nicht wenige Gemeinsamkeiten mit dem Feuertod.

Vin. Sie sah die dunklen Augen des Vaters ihres Babys vor sich. So leidenschaftlich im einen Moment, so unerbittlich im nächsten. Scarlett würde niemals den entschlossenen Ausdruck in seinem Gesicht vergessen. Oder die Stärke und Willenskraft, die von diesem Mann ausgingen.

Ein Schauer durchfuhr sie. Was wäre wenn …

Sie schüttelte den Kopf und nahm einen weiteren zittrigen Atemzug. Als die Limousine an einer roten Ampel langsamer wurde, wusste sie, dass der Moment gekommen war. Sie zwang sich zu einem Lächeln, bevor sie zu Blaise aufblickte.

„Wissen Sie …“, Scarlett lehnte sich ein wenig in seine Richtung und ballte ihre rechte Hand hinter dem Rücken zur Faust, „… was ich schon lange tun wollte?“

„Was?“ Blaise leckte über seine Lippen, als sein Blick erneut zu Scarletts Brüsten wanderte.

„Das!“ Sie holte aus, und ihre Faust traf Blaises Kiefer mit aller Kraft. Seine Zähne schlugen zusammen, und sein Kopf fiel mit einer derartigen Wucht nach hinten, dass sich seine Finger von Scarletts Handgelenk lösten.

Ohne darauf zu warten, dass die Limousine ganz anhielt, riss Scarlett die Tür auf und stolperte auf die Straße. Sie löste die unbequemen High Heels von ihren Füßen, drückte schützend beide Hände vor ihren Bauch und lief barfuß und so schnell sie konnte in Richtung der weißen Kathedrale.

Der erste Oktober war der perfekte Tag für eine Hochzeit. Jeder Baum in der Stadt hatte seine Blätter in Gelb, Orange und Rot gefärbt. Die St. Swithuns Kathedrale war die berühmteste Kirche in New York, der Ort, wo nur Reiche und Mächtige ihre Taufen, Hochzeiten und Begräbnisse zelebrierten. Das zweihundert Jahre alte, hochragende Gebäude aus hellem Marmor war fast so groß wie ein Wolkenkratzer. Seine Turmspitzen schienen beinahe den strahlend blauen Himmel zu berühren.

Das schnelle Laufen ließ Scarlett nach Atem ringen. Ängstlich blickte sie auf die schmale goldene Armbanduhr, die sie von ihrer Mutter geerbt hatte. Es war kurz nach zwei. Scarlett betete, dass die Zeremonie noch nicht vorbei war.

Als sie um die Ecke zum Eingang bog, sah sie den weißen, mit Bändern und Blumen geschmückten Rolls-Royce Corniche. Daneben den uniformierten Fahrer. Leibwächter mit dunklen Sonnenbrillen, mürrischen Gesichtern und Headsets hielten Wache auf dem Gehsteig und auf den Stufen zur Kathedrale, um die illustre Hochzeitsgesellschaft vor den Blicken der Öffentlichkeit zu schützen.

Die Hochzeit, deren Datum Scarlett versucht hatte zu vergessen, seit sie vor vier Monaten das Aufgebot in der New York Times gesehen hatte, galt in VIP-Kreisen als die Hochzeit des Jahres. Scarlett gehörte nicht hierher. Und dennoch musste sie irgendwie in die Kathedrale gelangen, weil nur Vin Borgia ihr helfen konnte.

Ein Leibwächter blockierte ihren Weg. „Miss, Sie können da nicht rein …“

Scarlett drückte ihre Hände fester an ihren Bauch und versuchte, sich an dem dunkel gekleideten Mann vorbeizudrücken. „Sie verstehen nicht! Ich muss mich verstecken. Jeden Moment wird hier ein Mann auftauchen, der mich bedroht!“

Der Bodyguard musterte sie erschrocken. „Was?“

Scarlett nutzte seine momentane Verblüffung, um in Richtung der Eingangsstufen zu eilen. „Rufen Sie bitte die Polizei!“

„Hey! Sie können trotzdem nicht einfach …“

Zitternd schleppte sich Scarlett die Stufen zur Kathedrale hinauf.

„Bleiben Sie stehen!“ Ein zweiter Leibwächter warf ihr einen drohenden Blick zu. Doch als mit quietschenden Reifen Blaises Limousine vor der Kathedrale hielt, und nicht nur Blaise, sondern auch sein Fahrer und sein Bodyguard im nächsten Moment im Begriff waren, sich an den Leibwächtern vorbei ihren Weg zur Kirche zu bahnen, wurde dem Sicherheitspersonal klar, wie ernst die Lage war.

Scarlett zögerte keinen Moment länger. Sie öffnete die Türen der Kathedrale und huschte hinein.

Ihre Augen brauchten einen Moment, um sich an das Halbdunkel zu gewöhnen. Dann staunte sie. Sie war mitten in einem Märchen gelandet. Über zweitausend Gäste saßen in den Kirchenbänken, und am Altar stand umgeben von weißen Rosen, Lilien und Orchideen die schönste Braut, die Scarlett jemals gesehen hatte. Direkt neben dem attraktivsten Mann der Welt.

Vin zum ersten Mal seit jener magischen Nacht wiederzusehen, machte Scarlett ganz schwindelig.

„Wenn irgendjemand einen Grund weiß …“, erklärte der Priester, der vor Vin und seiner Braut stand, „… warum diese beiden Menschen nicht im heiligen Bund der Ehe vereint werden sollten, so möge er …“

Man vernahm das metallische Quietschen der Eingangstüren und Blaises triumphierendes Auflachen, als er in die Dunkelheit trat.

„… jetzt sprechen oder für immer schweigen.“

Verzweifelt stolperte Scarlett in den Kirchengang. Tränen brannten in ihren Augen, als sie rief: „Bitte! Ich brauche Hilfe!“

Sie hörte ein Raunen durch die Menge von zweitausend Gästen gehen und spürte, wie sich alle zum Ende des Ganges umdrehten. Dorthin, wo sie stand. Scarlett, die noch immer die Hände an ihren Bauch gedrückt hielt, atmete inzwischen so schwer, dass es ihr kaum noch möglich war zu sprechen. So stolperte sie auf die einzige Person zu, die in diesem Raum für sie wichtig war.

„Bitte Vin, du musst mir helfen! Mein Chef will mir unser Baby wegnehmen!“

Im Gegensatz zu vielen anderen Männern, die heirateten, hatte Vincenzo Borgia in der Nacht vor seiner Hochzeit ausgezeichnet geschlafen.

Er wusste, was auf ihn zukam. Seine Beziehung wie auch die Verlobung mit Anne Dumaine waren komplikationslos verlaufen. Keinerlei Uneinigkeiten. Keinerlei unkontrollierbare Emotionen. Kein Verlangen seiner Braut nach Gefühlsbekundungen. Und kein Sex – zumindest noch nicht.

Es ging einzig und allein darum, sein Leben mit ihrem ohnehin recht ähnlichen Leben zu vereinen. Und ihre Familien. Und vor allem ihre Fluggesellschaften. Da mit der Hochzeit Vins SkyWorld mit Air Transatlantique, dem Unternehmen von Annes Vater, fusionierte, würde Vin dreißig neue transatlantische Strecken dazugewinnen, einschließlich der lukrativen Verbindungen von New York nach London und Boston nach Paris. Die Größe von Vins Unternehmen würde sich verdoppeln, ebenso der Marktwert. Warum also sollte der neue Lebensabschnitt ihm Angst machen?

Vom Tag seiner Hochzeit an würde er alles unter Kontrolle haben. Es gäbe keine Ungewissheiten mehr, keine Sorgen um die Zukunft. Dieser Gedanke gefiel ihm.

Und genau deshalb hatte er weder letzte Nacht noch heute Zweifel an seiner Verbindung mit Anne gehegt. Er ging den Bund fürs Leben mit einer ruhigen, konservativen Frau ein, die darauf bestanden hatte, Jungfrau zu bleiben, bis sie heirateten. Heute Nacht und jede weitere Nacht für den Rest seiner wohlgeordneten, angenehm kontrollierbaren Zukunft würde er ihr zeigen, dass sich das Warten gelohnt hatte. Das Warten auf die perfekte Ehe.

Dass er sich nicht übermäßig zu seiner Braut hingezogen fühlte, störte Vin nicht. Leidenschaft starb so schnell, wie sie entstand, und so war es doch das Klügste, so etwas von Anfang an nicht mit in die Gleichung einzubeziehen. Etwas, das es nie gab, würde man nie vermissen.

Auch dass er und Anne außer der Hochzeit und der Fusion kaum etwas gemeinsam hatten, stellte für Vin keinerlei Probleme dar. Männer und Frauen hatten eben verschiedene Interessen. So etwas wie die große Liebe gab es nicht. In einer Partnerschaft ging es allein darum, einander zu unterstützen. Stark zu sein, wenn der andere schwach war.

Denn so stark Vin auch auf andere wirkte, er wusste um seine Schwächen. Seinen Mangel an Geduld. Seinen Mangel an Einfühlungsvermögen. In der Geschäftswelt waren das Stärken, aber in Beziehungen und Familien waren Geduld und Einfühlungsvermögen unentbehrlich, er jedoch konnte damit nicht dienen. Was Anne betraf, so war er überzeugt, dass sie beides besaß.

Zudem wollte sie eine Familie. Und auch Vin hatte sein einsames Leben voller unkontrollierbarer Affären satt. Nach seinem letzten One-Night-Stand, einer explosiven Nacht mit einer hinreißenden Frau, mit der er den besten Sex seines Lebens gehabt hatte, war der rothaarige Engel namens Scarlett einfach verschwunden. Das Ganze hatte Vin derart aus dem Konzept gebracht, dass er beschlossen hatte, nie wieder eine unvorhersehbare Affäre einzugehen.

Und so hatte er nur ein paar Monate später Anne Dumaine den Heiratsantrag gemacht. Anne, der vernunftbetonten Frau, die mit ihrem tadellosen Stammbaum die geeignete war, eine gute Ehefrau und Mutter zu werden. Geboren und aufgewachsen in Montreal sprach sie perfekt Französisch, was für die internationalen Verhandlungen mit Paris unabdingbar war. Und Vin würde weitere lukrative Geschäfte mit Frankreich abschließen, sobald ihm Air Transatlantique gehörte.

Vin sah seine Verlobte an, deren Hand er leicht in seiner hielt, als der Klang einer halberstickten Stimme durch die Kathedrale hallte: „Du musst mir helfen! Mein Chef will mir unser Baby wegnehmen!“

Für einen Moment glaubte er zu träumen. Er starrte auf seine perfekte Braut, die mit ihrem gefassten Gesichtsausdruck und ihrem langen weißen Spitzenkleid beinahe aussah wie Fürstin Gracia. Und dann hörte er noch einmal die Stimme. „Vin bitte!“

Er biss die Zähne zusammen. Er kannte diese Stimme. Doch was er da hörte, konnte unmöglich wahr sein.

Wie in Trance drehte er sich um.

Und erstarrte, als er in die großen grünen Augen sah, die von den dichtesten schwarzen Wimpern gerahmt waren, die er je an einem Menschen gesehen hatte. Wie unter Schock wanderte sein Blick über das blasse herzförmige Gesicht und das rote Haar, das wild über die Schultern der schönen Besucherin fiel. Die Frau, die er seit acht Monaten zu vergessen versuchte, stand im Halbdunkel der Kirche, in der er heiraten wollte.

Scarlett. Der Engel, mit dem er nur eine einzige Nacht geteilt hatte. Weil sie am nächsten Morgen verschwunden war, noch bevor Vin nach ihrer Nummer oder auch nur ihrem Nachnamen fragen konnte! Keine Frau war ihm je derart unter die Haut gegangen. Keine hatte ein derartiges Gefühlschaos in ihm ausgelöst.

Und jetzt stand sie nur wenige Meter von ihm entfernt. Vin fiel sofort auf, dass sie barfuß war. Und völlig in Schwarz gekleidet. Erst auf den zweiten Blick nahm er die prallen Brüste zur Kenntnis, die den Stoff von Scarletts Kleid zum Spannen brachten. Fassungslos blickte er tiefer. Sie war hochschwanger.

„Vin, du musst mir helfen! Mir und unserem Baby!“ Ihre Worte waren nur noch ein ersticktes Flüstern, das von den kühlen Mauern der Kathedrale widerhallte.

Für einen Moment starrte Vin sie an, außerstande seinen Augen und Ohren zu trauen.

Unserem Baby? Unserem?

Wie von weit entfernt hörte er ein Raunen durch die Gästemenge gehen. Er spürte, wie ihn die zweitausend Anwesenden mit starrem Blick musterten, während sie auf eine Reaktion von ihm warteten.

Ihm wurde eiskalt, als er begriff, dass er binnen Sekunden jegliche Kontrolle über seine Hochzeit und sein wohlgeplantes, geordnetes Leben verloren hatte. Dann blickte er in Richtung der Gäste. Sah den finsteren Blick von Annes Vater, der mit hochrotem Kopf neben ihrer schockierten Mutter saß. Glücklicherweise hatte er keine eigene Familie, die er enttäuschen konnte.

In Erwartung, Tränen, Schmerz und Wut in ihren Augen zu sehen, wandte Vin sich seiner Braut zu. Er spürte den Drang, ihr zu erklären, dass er sie nicht betrogen hatte. Dass er Scarlett Monate, bevor Anne in sein Leben trat, getroffen hatte. Doch das schöne Gesicht seiner Braut zeigte noch immer denselben gefassten Ausdruck wie Minuten zuvor.

„Entschuldige mich“, sagte Vin und löste seine Hand aus ihrer. „Nur für einen Moment.“

„Natürlich.“

Vin trat die Altarstufen hinab und lief langsam auf Scarlett zu.

Die Leute, die ihn von den Kirchenbänken aus beobachteten, schienen ihm plötzlich unwirklich.

Alles, was er noch wahrnahm, war das wilde Hämmern seines Herzens, als er auf die wunderschöne Frau zutrat, die nach ihrer gemeinsamen Nacht einfach von der Erdoberfläche verschwunden war. Als er beinahe vor ihr stand, flüsterte er: „Du erwartest ein Kind von mir?“

Sie hob ihr Kinn und sah in seine Augen. „Ja.“

Vin wusste, dass sie nicht log. Während er auf ihren runden Bauch hinabsah, erinnerte er sich an die Nacht, in der sich ihre Seelen vereint hatten. An Scarletts reinen, unschuldigen Körper, den sie ihm in der Dunkelheit seines Schlafzimmers geschenkt hatte. An ihr leises Stöhnen, als er in sie eingedrungen war. Und daran, dass er sie zärtlich geküsst hatte, bis ihr Schmerz einer Woge von Gefühl gewichen war.

„Warum erfahre ich das erst jetzt?“

„Es tut mir leid“, flüsterte sie. „Ich wollte …“

Als hinter ihnen Schritte ertönten, drehte Scarlett sich erschrocken um.

Drei Fremde stürmten den Gang entlang, und das Gesicht des mittleren Mannes hatte sich zu einer Maske glühender Wut verzerrt. „Du kommst jetzt mit, du kleine …“ Grob ergriff er Scarletts Arm und sah Vin nicht einmal an, als er begann, Scarlett wegzuzerren.

Es wäre bequem gewesen, sie gehen zu lassen. Vin hörte ein Aufatmen durch die Menge gehen, fast als glaubte die Hochzeitsgesellschaft immer noch, dass es sich bei allem, was gerade geschah, um eine tragische Verwechslung handelte.

Doch er wusste es besser. Gerade als die Bodyguards des hasserfüllten Mannes ebenfalls Hand an Scarlett legen wollten, um sie trotz ihrer verzweifelten Gegenwehr in Richtung des Ausgangs zu ziehen, hörte Vin eine gebieterische Stimme: „Lassen Sie sie los!“

Die Stimme war seine eigene.

Der wütende Mann starrte ihn an. „Halten Sie sich da raus!“

Ohne zu zögern, stapfte Vin auf ihn zu. „Merken Sie nicht, dass die junge Dame Sie nicht begleiten möchte?“

„Sie ist ein wenig durcheinander. Ich zweifle schon seit Längerem an ihrer geistigen Zurechnungsfähigkeit.“ Der durchtrainierte Mann, dessen affektiertes Gehabe an eine verzogene, aber gefährliche Raubkatze erinnerte, riss Scarlett an sich. „Ich bringe sie zu meinem Psychiater. Und dann wird sie sich eine lange, lange Zeit in einem Sanatorium aufhalten!“

„Nein!“, schluchzte Scarlett. Sie sah zu Vin, als Tränen begannen, über ihre Wangen zu laufen. „Ich bin nicht verrückt. Dieser Mann war bis heute mein Chef. Er versucht, mich dazu zu zwingen, ihn zu heiraten. Und er will unser Baby zur Adoption freigeben!“

Unser Baby.

Noch einmal hörte Vin die Worte, die sein Herz wie wild schlagen ließen. Und er wusste, dass er niemals zulassen konnte, dass dieser Mann mit Scarlett aus der Kathedrale verschwand.

„Lassen Sie sie los!“ Obwohl Vins Stimme ganz ruhig war, klang sie eisig.

„Und wer will mich dazu zwingen?“

„Vincenzo Borgia.“ Er sprach seinen Namen mit zusammengebissenen Zähnen aus. Doch augenblicklich trat Furcht in den Blick des widerwärtigen Fremden. Es war eine Reaktion, die Vin gewohnt war.

„Ich … ich wusste das nicht …“

Vin sah kurz in Richtung seiner eigenen Leibwächter, die mittlerweile die Kathedrale betreten hatten, um den Eindringlingen mit systematischer Genauigkeit den Weg abzuschneiden. Sollten Scarletts Verfolger ihr nur ein einziges Haar krümmen, würden sie rasch von Vins Personal überwältigt. Doch mit einem kaum merklichen Kopfschütteln gab Vin seinen Angestellten das Zeichen, vorerst Abstand zu halten. Dann blickte er in die zornigen Augen des Mannes, der Scarlett noch immer am Arm hielt. „Verschwinden Sie hier. Sofort!“

Abrupt ließ der Widersacher Scarlett frei. Er drehte sich um und verließ ohne ein weiteres Wort die Kathedrale. Während seine zwei Angestellten ihm folgten, brach bestürzter Tumult unter den Hochzeitsgästen aus.

Und Scarlett sank mit einem Schluchzen gegen Vin.

Als die Tür schließlich mit einem lauten Knall ins Schloss gefallen war, ertönte die Stimme eines Mannes aus den Gästereihen. „Anne, ich habe es dir gesagt! Heirate diesen Borgia nicht! Wen interessiert, ob du enterbt wirst?“

Der Tumult verstummte, als die Menschen sich zu dem jungen Gast umdrehten, der erklärte: „Ich liebe Anne. Wir haben seit sechs Monaten eine Affäre!“

Und damit war das Chaos perfekt. Der Brautvater begann zu schreien, die Brautmutter weinte laut, und die Braut selbst fiel – mit solch unerwartetem Aufruhr konfrontiert – umgeben von einem Haufen weißen Tüll in Ohnmacht.

Vin jedoch bemerkte all das kaum. Denn das Einzige, was ihm in diesem Raum voller Menschen noch wichtig schien, war der rothaarige Engel, der sich weinend und zitternd an ihm festhielt. Und der kugelrunde Babybauch, der gegen Vins Körper gedrückt wurde, als er Scarlett in seine Arme schloss.

2. KAPITEL

Sie war Blaise tatsächlich entkommen.

Doch zu welchem Preis?

Seit einer guten Stunde saß sie nun in einem geblümten Ohrensessel im Pfarrbüro und versuchte, den donnernden Schlag ihres Herzens zu beruhigen. Sie sah in den hübschen kleinen Garten hinaus, unfähig zu glauben, in welches Durcheinander sich dieser Tag verwandelt hatte.

Vin hatte sie nach Blaises Verschwinden zum Pfarrhaus hinter der Kathedrale gebracht, damit sie sich ein wenig ausruhen konnte. Dann war er zurück zu seiner sich auflösenden Hochzeitsgesellschaft geeilt, nicht aber ohne sich zu vergewissern, dass die freundliche alte Haushälterin des Pfarrers auf Scarlett achtgab. Die Frau hatte genickt und eine Tasse Tee für ihre unerwartete Besucherin zubereitet.

Lange hatte Scarlett die Tasse in ihren zitternden Händen gehalten. Und irgendwann war der Tee kalt geworden.

Sie stellte die feine Porzellantasse ab und sank seufzend in den Sessel zurück. Offen gestanden war sie nicht sicher, was ihr mehr Angst einjagte. Der Gedanke an die Dinge, die ihr durch die Flucht vor Blaise erspart geblieben waren. Oder die Tatsache, dass Vin Borgia nun von ihrem gemeinsamen Baby wusste.

Scarlett wollte weglaufen. Sofort. Dann könnte sie ihr Busticket umbuchen und in Richtung Freiheit fahren. Doch das Ticket …

War in ihrer Handtasche. Und die befand sich noch immer in Blaise Falkners Limousine. Mit ihrem Geld, ihrem Ausweis, ihrer Kreditkarte und ihrem Handy.

Resigniert schloss Scarlett die Augen.

Sie war so oft weggelaufen. Ihre Kindheit und Jugend hatte sie an über zwanzig verschiedenen Orten verbracht, in großen und kleinen Städten, Bergdörfern und Hütten im Wald, die nicht einmal über Strom oder fließendes Wasser verfügten. Sie hatte teilweise nicht einmal die Möglichkeit gehabt, in die Schule zu gehen, und wenn es doch klappte, dann unter anderem Namen und mit braun gefärbten Haaren, sodass sie niemand erkannte. Ein Zuhause und Freunde zu haben, für ein ganzes Jahr in dieselbe Schule zu gehen oder in einem Sport- oder Gesangsverein zu sein und all das zu tun, was für andere Kinder normal war – davon hatte Scarlett nur geträumt. Sie hatte nie einen Schulabschlussball gehabt, nicht einmal ein Date.

Bis sie im Alter von vierundzwanzig Jahren Vin Borgia begegnet war. An jenem unvergesslichen Nachmittag im Februar diesen Jahres.

Weil sich bei den eisigen Temperaturen niemand sonst aus dem Haus gewagt hatte, war Scarlett losgeschickt worden, um in einer Apotheke die Medikamente für Mrs. Falkner abzuholen. Und gerade als sie bezahlte, war eine SMS von einem alten Schulfreund ihres Vaters angekommen.

Alan Berry, der Mann, der Scarletts Vater siebzehn Jahre zuvor gezwungen hatte, mit seiner kleinen Tochter und der kranken Ehefrau unterzutauchen, war das Opfer einer Messerstecherei geworden. Der Mann, der ihre Familie ruiniert hatte, war tot. Scarlett konnte weder Erleichterung noch Genugtuung darüber verspüren. Durch die Erwähnung seines Namens wurde ihr nur alles in Erinnerung gerufen, was sie seit ihrer Ankunft in New York zu vergessen versuchte.

Mit dem Gefühl, sich jeden Moment übergeben zu müssen, war sie nach Erhalt der SMS auf die Straße hinausgelaufen. Und fünf Minuten später hatte sie zum ersten Mal in ihrem Leben eine Bar betreten und sich ein Glas Wodka bestellt. Der scharfe, beißende Geschmack des Alkohols hatte einen Hustenanfall in ihr ausgelöst.

„Lassen Sie mich raten.“ Eine tiefe, amüsierte Stimme war von einem Tisch in der Ecke erklungen. „Es ist Ihr erstes Mal.“

Scarlett hatte sich umgedreht. Im Halbdunkel der Bar war der Mann langsam auf sie zugekommen. Dunkle Augen. Dunkles Haar. Ein schwarzer Anzug, der seine breiten Schultern betonte. Der Fremde war groß und durchtrainiert. Dunkle Bartstoppeln zierten sein schönes Gesicht. Er wirkte wie ein Held aus einem Hollywoodfilm – oder als er näherkam, eher wie der gut aussehende Gegenspieler des Helden. So mächtig, stark und dennoch so verloren, dass er Scarlett noch schwindeliger machte als ihr erstes Glas Wodka.

„Ich habe heute nicht gerade die besten Nachrichten bekommen.“ Ihre Stimme zitterte.

Ein Lächeln trat auf die sinnlichen Lippen des Fremden. „Davon gehe ich aus. Warum sonst sollten Sie am helllichten Tag Ihr erstes Glas Wodka trinken?“

Scarlett hatte resigniert mit den Schultern gezuckt. „Zum Spaß?“

„Spaß? Der sieht für mich anders aus.“ Der Fremde war nah genug gekommen, um Scarletts vom Weinen gerötete Augen sehen zu können. Die kaum getrockneten Tränen auf ihren eiskalten Wangen.

Sie hatte sich auf Fragen gefasst gemacht, doch der Fremde hatte nur galant auf dem Lederhocker neben ihr Platz genommen und seine Hand gehoben, um dem Barkeeper ein Zeichen zu geben. „Vielleicht schmeckt Ihnen Whiskey besser. Er ist sanfter. Edler. Ich denke, das passt viel besser zu Ihnen.“

Und Scarlett hatte sich unwillkürlich gewünscht, dass Vin Borgia über mehr als ein Getränk sprach. So wie sie sich heute in der Kirche unwillkürlich gewünscht hatte, anstelle seiner wunderschönen Braut mit ihm vor dem Altar zu stehen. Denn in dem Moment, wo Vin sich zu ihr umgedreht hatte, waren all die Erinnerungen an ihre gemeinsame Februarnacht zurückgekommen.

Daran, wie Vin sie durch die verschneiten Straßen zu seinem mondänen Penthouse geleitet hatte. Wie er sie mühelos verführt und dazu gebracht hatte, ihm ihre Jungfräulichkeit zu schenken. Er hatte dadurch Gefühle von Glück und Lebendigkeit in ihr ausgelöst, die sie vorher nie für möglich gehalten hatte.

Ein Mann, der nicht einmal ihren vollen Namen kannte, hatte ihre ganze Welt auf den Kopf gestellt. Doch ein Anruf von Mrs. Falkners Krankenschwester hatte ihren wunderschönen Stunden ein jähes Ende gesetzt. Vin hatte noch tief geschlafen. Scarletts Pflichtgefühl hatte sie dazu gezwungen, sich aus seiner Umarmung zu lösen, um zur Falkner-Villa zurückzukehren und die Medikamente abzuliefern. Dann hatte sie sich mit klopfendem Herzen darangemacht, im Internet die Telefonnummer des Mannes zu suchen, der ihr die beste Nacht ihres Lebens geschenkt hatte. Zum Glück war Vins Nachname gefallen, als sein Pförtner ihn mit einem achtungsvollen „Mr. Borgia“ begrüßt hatte.

Doch was sie nach der Eingabe seines Namens erfuhr, hatte sie auf den Boden der Tatsachen zurückgeworfen. Entsetzt las sie die Berichte über den vermeintlich hinreißenden Fremden.

Vincenzo Borgia war ein herzloser Milliardär, der sein Unternehmen, die Fluggesellschaft Skyworld, aus dem Nichts aufgebaut hatte. Mit klugen Strategien und ohne Rücksicht auf die Gefährdung anderer Firmen und Existenzen hatte er sein Unternehmen an die Weltspitze geführt und jeden, der sich seinem Streben nach mehr in den Weg stellte, ruiniert. Scarlett konnte sich nicht einmal ansatzweise erklären, warum ein Mann wie er, der laut Internet ausschließlich Liaisons mit Schauspielerinnen, Supermodels und anderen Berühmtheiten hatte, gerade sie in seine Wohnung eingeladen hatte, um mehr als die kurze Zeit in der Bar mit ihr zu teilen. Doch sie war dankbar, dass sie ihm ihren Nachnamen nicht verraten hatte. So würde er keine Chance haben, auch sie zu ruinieren.

Später, als sie gemerkt hatte, dass sie schwanger war, hatte Scarlett natürlich daran gedacht, Vin zu informieren. Doch dann war sein Hochzeitsaufgebot in der Zeitung erschienen und Scarlett musste sich damit abfinden, den Vater ihres Kindes nie wiederzusehen. Und seltsamerweise hatte ihr die Tatsache, bald eine alleinerziehende Mutter zu sein, bis heute Mittag nicht einmal Angst gemacht. Scarlett war seit Jahren allein. Und da das Schicksal ihrer Eltern sie zu einem Leben auf der Flucht gezwungen hatte, war sie nicht nur gut darin, sich um andere zu kümmern und mit wenig Geld auszukommen, sondern konnte sich im Notfall auch mit Tricks von Taschendieben und Einbrechern durchschlagen. Verglichen mit allem, was sie schon erlebt hatte, wäre ihr Dasein als Mutter leicht. Mit ihrem Kind wäre sie nicht mehr einsam. Sie hatte ein wenig Geld gespart. Alles hätte in Ordnung kommen können. Irgendwie.

Die Strahlen der warmen Herbstsonne fielen durch das Fenster und ließen die Staubkörnchen in der Luft wie ein Dutzend goldener Hoffnungsschimmer aufleuchten. Sanft legte Scarlett beide Hände auf ihren Bauch, erhob sich aus dem weichen Ohrensessel und ging zum Fenster.

Vin hatte sie vor Blaise gerettet. Aber alle reichen und mächtigen Männer hatten eines gemeinsam: Sie wollten Kontrolle. Und nach allem, was Scarlett über den Vater ihres ungeborenen Kindes gelesen hatte, war Vincenzo Borgia ein Meister dieser Disziplin. Deshalb wäre es das Beste zu verschwinden, bevor er zurückkehrte. Auch ohne ihre Handtasche. Und ohne Schuhe.

Doch in diesem Augenblick …

„Wie ist dein voller Name?“

Sie wirbelte herum, als Vin ins Zimmer stürmte. Mit zusammengebissenen Zähnen lockerte er die Fliege an seinem Hemdkragen, bevor er schnurstracks zu Scarlett ans Fenster trat. Der dunkle, maßgeschneiderte Smoking ließ ihn noch beeindruckender wirken als in Scarletts Erinnerung. Und der aufgewühlte, fast wilde Blick in seinen dunklen Augen ließ Scarlett am ganzen Körper zittern. War es Furcht? Oder das ungewollte Verlangen nach Vin? Sie wusste es nicht.

„Lass mich raten …“, begann Vin, als er nach einer guten Minute noch keine Antwort vernahm. „Ravenwood?“

Scarlett entfuhr ein erstickter Laut. „Wer hat dir das gesagt?“

Vin griff in die Tasche seines Smokings, nur um mit einer gelassenen Geste ihre Brieftasche hervorzuziehen.

„Woher hast du die?“

„Falkners Chauffeur hat mir deine Handtasche gebracht. Ebenso wie deinen Koffer.“

„Gebracht?“

„Ja. Und er hat sich für das Missverständnis entschuldigt.“

Scarlett sah Vin mit weitaufgerissenen Augen an. „Der gnadenloseste Mann, den ich kenne, fürchtet sich vor dir?“

Vin lächelte grimmig. „Das sollte er auch.“ Dann hielt er Scarlett die Brieftasche hin. „Bitte sehr. Siebzehn Dollar Bargeld und eine Kreditkarte mit einem achthundert Dollar Limit.“

„Hey!“ Röte schoss in ihre Wangen, als sie ihr Eigentum entgegennahm. „Woher kennst du meinen Kreditrahmen?“

Vin musterte sie nachdenklich. „Glaubst du nicht, dass ich aufgrund der jüngsten Entwicklungen ein Recht habe, zu wissen, mit wem ich es zu tun habe? Oder hattest du etwa vor, mir selbst zu sagen, dass du niemals einen festen Wohnsitz hattest, bis du vor zwei Jahren nach dem Tod deines Vaters nach New York kamst? Dass du Tag und Nacht als Krankenpflegerin für die verbitterte Mrs. Falkner gearbeitet hast, die dir nie die Möglichkeit gegeben hat, das Haus zu verlassen …“, er neigte seinen Kopf und sah Scarlett direkt an, „… bis auf dieses eine Mal?“ Sein Herz schlug ungewollt schnell, als die Worte durch das stille Zimmer hallten. Er sollte nicht weiter über diese Nacht nachdenken. Nicht jetzt.

Scarlett schluckte schwer. „Du hattest kein Recht, mich auszuspionieren!“

„Die Falkners bezahlten dir gerade mal den Mindestlohn, und trotzdem konntest du ein paar Ersparnisse zur Seite legen. Aber das lernt man wohl, wenn man einen Kriminellen zum Vater hat, der …“

„Wage es nicht, schlecht über meinen Vater zu reden!“, schrie Scarlett. „Er war der freundlichste und beste Mann, der jemals gelebt hat!“

„Wirklich?“ Vins Lippen verzogen sich zu einem spöttischen Lächeln. „Laut Behörden war er nichts als ein flüchtiger Bankräuber, der dich und deine Mutter zu einem Leben im Verborgenen zwang. Ihr hattet nie Geld, du gingst kaum zur Schule, und deine Mutter starb an einer Krankheit, die sie vielleicht überlebt hätte, wenn ihr ein erfahrener Arzt zur Hilfe gekommen wäre! Was also hat dir dein Vater Gutes getan?“

„Hör auf, ihn zu verurteilen!“, konterte Scarlett. „Mein Vater hat vor langer Zeit einen Fehler gemacht. Als er meine Mutter heiratete, versprach er ihr, ein geordnetes Leben zu führen. Aber niemand außer ihr war bereit, ihm eine Chance zu geben. Als ich geboren wurde und wir kein Geld hatten, überzeugte ihn ein vermeintlicher Freund davon, einen letzten Coup zu wagen. Dad stimmte zu. Doch meine Mutter fand es heraus, und schließlich gab er das Geld zurück, ohne einen Penny davon verwendet zu haben. Er stellte die Taschen vor einer Polizeiwache ab und stellte mit einem anonymen Anruf sicher, dass das Geld an die Bank zurückgegeben wurde.“

„Warum hat dein Vater sich nicht persönlich bei der Polizei gemeldet?“

„Weil er nicht riskieren wollte, verurteilt und von seiner Familie getrennt zu werden.“ Scarlett nahm einen tiefen Atemzug. „Alles wäre gut gegangen, wenn man Dads Anstifter nicht sechs Monate später dabei erwischt hätte, wie er seinen Anteil des gestohlenen Geldes ausgab. Bei seiner Verhaftung gab Alan Berry meinen Vater als Initiator des Verbrechens an … Und so blieb uns nur die Möglichkeit zu fliehen …“

„Dein Vater hätte stets die Möglichkeit gehabt, sich der Polizei zu stellen und die Konsequenzen für seine Taten zu tragen“, fügte Vin eisig hinzu. „Doch er wählte den leichteren Weg für sich selbst! Auch wenn er damit das Leben von dir und deiner Mutter ruinierte.“

Kopfschüttelnd musterte Vin die zarte Frau, die vor ihm stand. „Mir scheint, das einzig Gute, das deinem Vater jemals gelang, war, vor zwei Jahren bei einem Flugzeugabsturz ums Leben zu kommen. Die eine Million Dollar von der Versicherung der Fluggesellschaft haben dich vielleicht ansatzweise für deine verkorkste Kindheit entschädigt!“

Er merkte, wie Scarletts Knie bei seinen Worten nachgaben. Es blieb ihm keine Zeit, zum wiederholten Mal an diesem verrückten Tag seine Ehrlichkeit und sein Temperament zu verfluchen. Er legte nur einen Arm um die vermeintliche Mutter seines Kindes und führte sie zurück zu dem geblümten Sessel, bevor er ihr aus einer Karaffe ein Glas Wasser eingoss und es ihr reichte. Als er sicher war, dass es Scarlett besser ging, goss er sich ebenfalls ein Glas Wasser ein und nahm auf einem der Stühle gegenüber des Sessels Platz. „Wie man hört, hast du alles verschenkt, was du von der Fluggesellschaft erhalten hast“, bemerkte er in sanfterem Ton. „Warum?“

„Ich wollte das Blutgeld nicht“, flüsterte Scarlett. „Also gab ich es Menschen, die es brauchten.“

„Ja, ich weiß. Der Krebsforschung, einer Stiftung, die mittellose Menschen in Rechtsangelegenheiten vertritt und einem Verein zur Unterstützung von Waisen und Halbwaisen. Das ist wirklich sehr nobel von dir. Aber ich verstehe nicht, warum du dich nicht auch ein wenig um deine eigene finanzielle Absicherung gekümmert hast.“

„Wie du bereits herausgefunden hast, brauche ich nicht viel Geld“, erwiderte sie hitzig und stellte ihr Wasserglas auf den kleinen Tisch neben dem Sessel. „Es gibt Dinge, die wichtiger sind!“

„Wie Ehrenhaftigkeit?“, fragte Vin, dessen Temperament bei Scarletts Trotzreaktion zurückkehrte. Mit einem deutlichen Scheppern stellte er ebenfalls sein Wasserglas auf den Tisch.

„Zum Beispiel.“

„Und wie genau passt es in dein ehrenhaftes Bild, dich nach unserer gemeinsamen Nacht ohne ein Abschiedswort aus meiner Wohnung zu schleichen? Ich wusste nicht einmal, ob du noch lebst, oder ob ich mir unsere Begegnung vielleicht nur eingebildet habe, bis du am Tag meiner Hochzeit hochschwanger in der Kirche aufgetaucht bist!“

„Ich hatte meine Gründe …“

„Ach ja? Dann nenn sie mir bitte, Scarlett. Aber vor allem will ich eins wissen: Wenn du heute nicht von Falkner bedroht worden wärst, hättest du mir dann jemals von unserem Kind erzählt?“

Scarlett senkte den Blick, bevor sie mit einem Kopfschütteln verneinte.

„Warum nicht? Hat es etwas mit Falkner zu tun?“ Obwohl Vins Stimme kaum mehr als ein Flüstern war, klang sie vorwurfsvoll. „Hast du mir deinen Nachnamen und die Sache mit dem Baby vorenthalten, weil du die ganze Zeit mit ihm verlobt warst?“

„Nein!“ Scarlett starrte in sein wunderschönes Gesicht. „Ich wusste nicht, dass er mich heiraten wollte. Er hat es mir erst gesagt, als er mich nach dem Begräbnis seiner Mutter zum Busbahnhof fuhr!“

„Und was hast du geantwortet?“

„Das dürfte dir doch wohl klar sein! Als er nicht lockerließ, sah ich keinen anderen Ausweg, außer irgendwie aus seinem Wagen zu entkommen. Ich …“ Sie zögerte einen Moment. „Wir waren gerade am Ende der Fifth Avenue angekommen. Und ich wusste, dass heute in dieser Kathedrale deine Hochzeit stattfinden sollte. Du warst der einzige Mensch, den ich um Hilfe bitten konnte, Vin. Es tut mir leid, dass ich deinen großen Tag ruiniert habe.“ Sie sah noch immer in sein Gesicht. Weder das mühsam unterdrückte Feuer in seinen dunklen Augen noch die fest zusammengepressten Lippen entgingen ihr.

„Schon gut“, sagte er widerwillig. „Ich nehme an, dass ich dir danken sollte.“

„Weil du sonst nie erfahren hättest, dass deine Verlobte dich betrügt?“

„Nicht nur das.“ Sein Blick wanderte zu Scarletts Bauch. „Bin ich wirklich der Vater deines Babys? Oder hast du das nur gesagt, weil du meine Hilfe brauchtest?“

„Du bist der einzige Mann, mit dem ich jemals geschlafen habe! Wer sollte wohl sonst der Vater meines Babys sein?“

Für einen Moment musterte er Scarlett verwundert. Dann umspielte ein Lächeln seine schönen Lippen. „Der Einzige? Wirklich? Ich habe immer gewusst, dass du anders bist als all die Frauen, die ich jemals kannte.“

Scarlett hatte das Gefühl, in seinen Augen zu ertrinken.

Bis Vin deutlich hörbar ausatmete und erklärte: „Ich verlange trotzdem einen DNA-Test.“ Das Lächeln war von seinen Lippen verschwunden. „Damit wir beide wissen, wie es für uns weitergeht.“

„Uns?“ Scarlett fühlte Panik in sich aufkommen. Ihre Stimme zitterte, als sie entgegnete: „Ich weiß bereits, wie es für mich weitergeht. Ich werde meinen Koffer nehmen und in den nächsten Bus Richtung Süden …“

„Das glaube ich nicht!“ Vin lehnte sich langsam auf seinem Stuhl nach vorne, fast als wollte er sich zwingen, seine Selbstbeherrschung zu behalten. „Denn sobald ich den Beweis habe, dass das Baby wirklich meins ist, werden wir beide heiraten, Scarlett!“

Scarlett fühtle sich, als hätte er sie geohrfeigt. „Bist du verrückt? Ich werde niemanden heiraten!“

3. KAPITEL

Wilde rote Locken, die über ihre Schultern fielen, große grüne Augen, die wehmütig funkelten, sinnliche dunkle Lippen, die in perfektem Kontrast zu ihrer blassen Haut standen. Scarletts volle Brüste spannten den Stoff ihres einfachen schwarzen Kleides und ihr Babybauch machte sie noch sexyer als bei ihrer ersten Begegnung mit Vin. Die Frau, die ihm mehr unter die Haut ging, als er sich jemals eingestehen wollte, war zurück in seinem Leben. Und sie war schwanger.

Wenn er wirklich der Vater ihres Babys wäre, würde er alles tun, damit sein Kind glücklich wurde. Es sollte sich immer sicher und geliebt fühlen. Und im Gegensatz zu Vin würde es immer wissen, wer sein Vater war.

Vorausgesetzt, Scarletts Behauptung entsprach der Wahrheit. Vin kannte sie ja kaum, und so konnte es trotz allem sein, dass sie log. Er brauchte einen Beweis. Langsam erhob er sich von seinem Platz und streckte seine rechte Hand nach ihr aus. „Darüber werden wir sprechen, sobald wir das Testergebnis haben. Wenn das Baby, das du erwartest, tatsächlich meins ist, dann habe ich ebenso ein Recht darauf wie du. Also lass uns zu einem Arzt gehen und den Test machen.“

Scarlett bewegte sich nicht. Sie sah Vin nur mit einer Mischung aus Trotz und Entsetzen an, bevor sie entgegnete: „Und ich habe ein Recht, in den nächstbesten Bus zu steigen und dich nie wiederzusehen!“

„Wie gesagt, das wird sich zeigen, wenn wir das Testergebnis haben. Doch du kannst sicher sein, dass dir bei einem positiven Vaterschaftstest kein Rechtsanwalt erlauben wird, so einfach aus meinem Leben zu verschwinden.“

„Willst du mich ebenso kidnappen, wie Blaise es vorhatte?“

Vin lachte bitter. „Das ist nicht nötig. Ich werde durch meine Anwälte einen Vertrag aufsetzen lassen, der das Sorgerecht für unser Kind regelt.“

„Wie bitte?“ Scarletts Stimme klang panisch.

„Ob du das nun willst oder nicht, falls ich tatsächlich der Vater bin, habe ich gewisse Rechte. So wäre es für alle Beteiligten das Einfachste, wenn wir beide heiraten. Doch ich kann auch ohne einen Trauschein die Kontrolle erhalten, die diese Situation so dringend erfordert.“

„Die Kontrolle worüber?“

„Über unsere Zukunft natürlich!“

Scarletts Augen wirkten riesig, als sie ihn musterte. Nach einer kleinen Ewigkeit jedoch nickte sie zaghaft und erhob sich aus dem geblümten Sessel. „Könntest du mir einen Gefallen tun, bevor wir zum Arzt gehen und den Vaterschaftstest machen?“ Sie schenkte Vin ein scheues Lächeln, das Grübchen auf ihre blassen Wangen zauberte und sein Herz wie wild schlagen ließ. „Könnten wir bei einem Schuhgeschäft halten?“

Wie Aschenputtel, dachte Vin. Er war überrascht, wie schnell seine Bitterkeit verflog. Und wie gut sich ein simples Lächeln von Scarlett anfühlte. Zum ersten Mal seit zwei Stunden hatte er das Gefühl, die Oberhand über das Chaos dieses Tages zurückzuerlangen. „Natürlich“, sagte er wohlwollend. „Es tut mir leid, dass ich nicht selbst daran gedacht habe.“ Und mit diesen Worten hob er Scarlett, die trotz ihres Zustandes kaum etwas zu wiegen schien, in seine Arme, um sie zu der weißen Limousine zu tragen, die noch immer vor der Kathedrale wartete.

Dem Chauffeur fielen beinahe die Augen aus dem Kopf, als er Vin, der mit einer schlanken Blondine am Arm die Kirche betreten hatte, selbige mit einem hochschwangeren Rotschopf in den Armen verlassen sah. Doch er nickte nur und hielt die Wagentür auf, bis Vin und Scarlett in dem blumengeschmückten Rolls-Royce Platz genommen hatten.

„Denkst du an irgendein besonderes Schuhgeschäft?“, fragte Vin, als der Wagen gestartet wurde. Fast erwartete er, den Namen einer der Designerläden zu hören, von denen Anne permanent geschwärmt hatte. Doch er hatte für einen Moment vergessen, wie anders Scarlett war.

„Mir ist jedes recht, das Schuhe verkauft, in denen man gut laufen kann“, erklärte sie leise, bevor sie durch ihre dichten Wimpern zu Vin aufsah.

„Sie haben gehört, was die junge Dame braucht“, sagte Vin zu seinem Fahrer.

Zehn Minuten später probierte Scarlett in einem riesigen Sportgeschäft in der siebenundfünfzigsten Straße verschiedene Laufschuhe an. Passend zu ihrem Kleid wählte sie ein gemütliches Paar in schwarz, dazu ein Paar schwarze Sneakersocken, behielt alles gleich an und bedankte sich bei Vin, der wie selbstverständlich für ihren Einkauf zahlte.

„Danke“, flüsterte sie und umarmte ihn dann. Für einen Moment schloss Vin die Augen. Er atmete ein, und Scarletts Duft berührte seine Sinne, das Pfefferminzaroma ihres Atems, der Blütengeruch ihres Haars. Bis Scarlett sich abrupt von ihm löste und ihn mit ihren großen Augen anstarrte. Sie sagte nichts, sondern biss sich nur nachdenklich auf die Unterlippe. Wie gerne hätte Vin sie zurück in seine Arme gezogen. Ihre Lippen berührt und das weiche rote Haar …

Scarlett lächelte ihm scheu zu. „Entschuldige mich bitte für einen Moment. Ich müsste mal kurz …“ Sie sah zu dem Schild, das in Richtung der Kundentoilette zeigte, und eilte davon. Vin blickte ihr nach und einen Moment zu lange verhaftete sein Blick auf ihrer verführerischen Silhouette und den wunderschönen Kurven ihres Körpers. Scarlett schaffte es, im schlichtesten schwarzen Kleid wie eine Göttin auszusehen.

Wie stolz wäre er, zu dieser Frau zu gehören …

Fest entschlossen, so schnell wie möglich herauszufinden, was die Zukunft für ihn bereithielt, tastete Vin nach seinem Handy, um seinem Hausarzt Bescheid zu geben, dass er mit Scarlett auf dem Weg war. Mit etwas Glück konnten sie nach telefonischer Vorankündigung direkt ins Untersuchungszimmer durchgehen.

Er griff in die Brusttasche seines Smokings und zog das Mobiltelefon hervor. Doch gerade, als er dabei war, durch seine Kontakte zu scrollen, zuckte er zusammen. Hatte er nicht gerade genau dorthin seine Brieftasche gesteckt? Er hatte für Scarletts Schuhe bezahlt und dann …

Noch einmal tastete er die Innentasche ab. Nichts. Stirnrunzelnd sah er auch in seinen Hosentaschen nach – doch sie waren leer. Dann lief er zurück zur Kasse, doch die freundliche Kassiererin versicherte ihm, dass er die Brieftasche nach dem Kauf an sich genommen hatte. Direkt, bevor „seine Begleitung“ ihn umarmt hatte.

Vin schluckte, als ein schwerwiegender Verdacht in ihm aufkam. Schnellen Schrittes lief er in Richtung der Kundentoilette. Scarlett war bereits eine sehr lange Zeit da drin. Vin zögerte noch für einen Moment. Dann drückte er entschlossen die Türklinke nieder. Der riesige Raum war leer. Keine der Toilettenzellen besetzt. Und das Fenster, das in den Hinterhof des Gebäudes führte … stand sperrangelweit offen. Mit einem scharfen Fluch schritt Vin auf das Fenster zu. Der Hof war mit einem anderen Hof verbunden, und sogar aus der Entfernung konnte Vin die angelehnte Tür sehen, die direkt auf die Madison-Avenue führte. Einmal dort konnte Scarlett mit Leichtigkeit in den Menschenmassen der Stadt untertauchen. Für einen Moment war Vin zu schockiert, um irgendetwas zu tun. Dann kletterte er ebenfalls aus dem Fenster und lief an Dutzenden Abfallcontainern vorbei zu der offenstehenden Tür. Er starrte auf den nicht enden wollenden Strom von Menschen. Es war unmöglich, Scarlett hier zu finden.

Sie hatte sich – wie bereits in jener Nacht im Februar – heimlich und leise aus seinem Leben geschlichen. Und heute hatte sie ihm auch noch die Brieftasche gestohlen.

Unter Schock stehend lief Vin zurück zu seiner Limousine und ließ sich wortlos auf den Rücksitz fallen. Während sein Fahrer – ohne Fragen zu stellen – den Gang zum Start einlegte, rieb Vin sich mit beiden Händen über seine pochende Stirn. Dann entfuhr ihm ein einzelnes ungläubiges Lachen. Er war zweimal an einem Tag abserviert worden. Belogen und betrogen von zwei verschiedenen Frauen. Annes Verlust konnte er akzeptieren. Ihre Verbindung hatte sich immer nur um Geld gedreht. Doch Scarlett? Er hatte nie aufgehört, an sie zu denken. Sie erwartete ein Kind von ihm. Und Vin hatte keine Ahnung, wie er sie finden sollte.

Scarletts Vater hatte ihr beigebracht, dass es nur eine Sache gab, die im Leben wirklich zählte.

Freiheit. Sie war das höchste Gut, für das Scarletts Familie mitten in der Nacht von einem Ort zum anderen geflohen war, nur mit dem Nötigsten bepackt und verzweifelt auf der Suche nach einer neuen Bleibe. Sogar in der schrecklichsten Nacht ihres Lebens, als ihre Mutter unter falschem Namen in der Notaufnahme in Pennsylvania starb, hatte ihr Vater Scarlett schluchzend versichert: „Jetzt ist sie frei. Von Schmerz und Sorgen.“

Heute, zwölf Jahre später, war auch Scarlett frei. Von Blaise Falkner. Von Vin Borgia. Von ihrer Angst. Sie und ihr Baby würden in Freiheit leben.

Scarlett hatte alles dafür riskiert.

So schnell sie konnte, war sie aus dem Schuhgeschäft zur nahegelegenen Penn Station geeilt und in den nächsten Zug gestiegen. Irgendwie war sie nach Boston gekommen, wo sie – trotz ihrer panischen Flugangst – spät in der Nacht ein Flugzeug nach London bestiegen hatte.

Schlechte Wetterverhältnisse über Irland hatten das Flugzeug zu einer Notlandung in Belfast gezwungen. Während das Flugzeug von Sturmböen geschüttelt wurde, hatte Scarlett Todesängste ausgestanden. Bitte lass mein Baby nicht sterben, hatte sie immer wieder gebetet.

Wie durch ein Wunder war das Flugzeug schließlich unbeschädigt gelandet und die Passagiere wurden in die Flughafenhalle gebracht, wo sie sich vom überstandenen Nervenkitzel erholen konnten, bis der Flug weiterging. Scarlett jedoch hatte auf dem schnellsten Weg den Flughafen verlassen. Sie würde nie wieder in ein Flugzeug steigen.

Mit Schiff und Bahn war sie schließlich weiter in die Schweiz gereist. Und sie würde nie wieder dort weggehen. Das kleine Land in der Mitte Europas würde ihr neues Zuhause werden. Scarlett hatte keinen Grund, je wieder nach New York zurückzukehren. Vins Brieftasche und das von ihm „geborgte“ Geld hatte sie ihm vor ein paar Tagen in einem Päckchen zurückgesandt und somit die letzte Brücke hinter sich abgebrochen. Es tat ihr nicht leid, dass sie ihn ohne Abschied in dem riesigen Schuhgeschäft zurückgelassen hatte. Nur dass sie ihn – obwohl sie sich geschworen hatte, so etwas niemals zu tun – vorsätzlich und ohne zu zögern beklaut hatte. Stehlen war niemals in Ordnung, und wenn ihre Mutter vom Himmel herabsah, musste sie über Scarlett entsetzt gewesen sein. Doch sie hatte einfach keinen anderen Ausweg gesehen. Sie wusste, dass sie irgendwo untertauchen musste, um Vin zu entkommen. Er war nicht nur ein mächtiger Milliardär, sondern hatte durch seine Kontakte als Chef einer Fluggesellschaft ganz sicher Verbindungen in alle Länder der Welt. Wenn er Scarlett suchte, und sie unter ihrem richtigen Namen an irgendeinem Menschen geriet, den Vin kannte, hätte man ihn sicher auf der Stelle über ihren Aufenthaltsort informiert.

Also hatte Scarlett noch im Pfarrhaus beschlossen, sich an einen alten Freund ihres Vaters in Boston zu wenden, der ihr einen Reisepass fälschen konnte. Doch das kostete Geld. Und als ihr beim Bezahlen der Schuhe das viele Bargeld in Vins Brieftasche aufgefallen war, hatte sie beschlossen, es sich zu „leihen“. Sie hatte nichts anderes in seiner Brieftasche angerührt. Weder seinen Führerschein noch seine Kreditkarten. Und nachdem sie sicher in der Schweiz angekommen war, hatte sie ihre Ersparnisse von der Bank geholt und die Brieftasche samt Bargeld an Vin zurückgesendet. Sie hatte sogar ein paar zusätzliche Dollars mit in das Päckchen gelegt … die Zinsen sozusagen. Um das Päckchen zu versenden, war sie letztes Wochenende nach Norditalien gefahren. Ein Poststempel aus ihrem neuen Heimatland hätte Vin zu viel über ihren Aufenthalt verraten. Scarlett hatte sichergestellt, dass niemand sie und ihr Baby in den Schweizer Alpen finden würde.

Sie nahm einen tiefen Atemzug und atmete die klare Bergluft ein. Sie war jetzt schon über eine Woche in Gstaad, und langsam begann sie, sich zu entspannen. Da Vin sie nicht finden konnte, würde er Scarlett und das Baby sicher irgendwann vergessen. Sanft strich sie über ihren Bauch, der mittlerweile so groß war, dass sie ihre weite Jacke nicht mehr zuknöpfen konnte. In zweieinhalb Wochen war der errechnete Geburtstermin. Scarletts Körper fühlte sich schwer und müde an. Doch zum Glück hatte sie eine neue Arbeit gefunden, die noch nicht allzu anstrengend war.

Als sie aus New York geflüchtet war, hatte sie bereits gewusst, wohin sie gehen würde. Die beste Freundin ihrer Mutter arbeitete als Haushälterin bei einem reichen europäischen Magnaten in der Schweiz. Obwohl sie Wilhelmina seit dem Begräbnis ihrer Mutter nicht mehr gesehen hatte, hatte sie nie die gütigen Worte der Frau vergessen. „Deine Mum war meine beste Freundin. Wenn du jemals etwas brauchst, kommst du einfach zu mir, hörst du?“ Seitdem hatte Scarlett nur durch Briefe zu Wilhelmina Kontakt gehalten. Doch als sie vor knapp zwei Wochen müde und vor Kälte zitternd vor den Toren der riesigen Villa in Gstaad gestanden hatte, war Wilhelmina ihrem Versprechen treu geblieben.

„Mein Chef sucht eine neue Köchin“, hatte sie Scarlett am nächsten Morgen lächelnd berichtet. „Traust du dir das zu? Er liebt Brathühnchen, Jambalaya und Cajun Reis.“

Scarletts Antwort war ein trauriges Kopfschütteln gewesen. Von den meisten dieser Gerichte hatte sie noch nicht einmal etwas gehört.

Doch Wilhelmina schien an sie zu glauben. „Mr. Black wird frühestens Anfang Dezember hier sein. Und bis dahin kannst du lernen zu kochen! Natürlich wirst du ab sofort bezahlt.“

Tapfer hatte Scarlett während der letzten zehn Tage versucht, sich mit Hilfe von Büchern und Internetvideos die Kunst des Kochens anzueignen. Leider blieb der Erfolg mäßig. Der Pförtner Johan neckte sie regelmäßig mit der Behauptung, dass nicht einmal sein Hund etwas fressen wollte, das Scarlett kochte. Was leider der Wahrheit entsprach. Doch Scarlett war fest entschlossen, sich zu verbessern. Die Köchin für einen schwerreichen Magnaten zu sein, der nur wenige Monate in seiner Villa lebte, war die perfekte Arbeitsstelle für eine alleinerziehende Mutter. Wilhelmina hatte Scarlett bereits vertraglich zugesichert, dass sie nach der Geburt zwei Wochen bezahlten Urlaub bekäme. Und danach durfte sie mit dem Baby an ihrer Seite arbeiten, fast als ob sie in dieser wunderschönen Villa zuhause war.

Zudem wirkte das idyllische Bergdorf wie der perfekte Schauplatz einer glücklichen Kindheit. Scarlett steckte beide Hände in ihre Jackentaschen, als sie auf einem schmalen Pfad in Richtung des nahegelegenen Waldes abbog. Steine knirschten unter ihren Stiefeln, und sie genoss das Singen der Vögel, den Duft der Bäume und die Wärme der letzten warmen Sonnenstrahlen des Jahres auf ihrem Gesicht. Sie hatte wirklich Glück im Unglück gehabt, und ihr Herz war voller Dankbarkeit. Für einen kurzen Moment schloss sie die Augen. Bis sie eine Stimme hinter sich hörte: „Scarlett!“

Sie zuckte zusammen und drehte sich um. Und ihr Herz blieb vor Schreck beinahe stehen.

„Es ist nett, dich zu sehen“, erklärte Vin kalt.

Mit schwarzer Hose und einem dunklen Mantel bekleidet stapfte er auf sie zu und musterte sie mit finsterem Blick. Sie sah, dass am Rande des Pfades ein silberner Mercedes und ein schwarzer Geländewagen geparkt waren. Drei Leibwächter standen neben dem größeren Fahrzeug und bildeten eine undurchdringliche Mauer von Macht und Kraft.

Scarlett saß in der Falle. Sie versuchte, in Richtung des Waldes zu eilen, doch Vin war in Sekundenschnelle neben ihr und ergriff ungestüm ihr Handgelenk.

„Lass mich los!“, kreischte sie.

Sie spürte seinen Griff stärker, als sich sein dunkler Blick in sie zu bohren schien. „Du hast mir etwas weggenommen!“, raunte er mit zusammengebissenen Zähnen.

„Ich habe dir dein Geld zurückgezahlt! Mit Zinsen!“ Verzweifelt sah Scarlett in Richtung des Waldes, doch sie hatte keine Chance. Vin und seine drei Leibwächter würden sie diesmal nicht entkommen lassen.

„Ich spreche nicht von meiner Brieftasche.“

Sie blickte aufgebracht in Vins Gesicht. „Du bist nicht der Vater meines Babys. Ich habe gelogen!“

„Ich glaube eher, dass du jetzt lügst.“

Scarlett versuchte, ihr Handgelenk aus seinem Griff zu befreien. „Lass mich in Ruhe!“

„Ich verstehe dich nicht, Scarlett.“ Vin zog sie ganz nah an sich und zwang sie, auf dem schmalen Pfad stehen zu bleiben. „Was um alles in der Welt habe ich getan, das dich ständig vor mir davonlaufen lässt?“

„Du zerstörst Menschen!“

„Wie bitte?“

Traurig schüttelte sie den Kopf. „Du vernichtest deine Rivalen ohne Rücksicht auf ihre Mitarbeiter, ihre Familien und ihr Leben!“

Vin antwortete nicht gleich. Alles, was Scarlett für einen Moment hören konnte, war das Rauschen der Bäume im Herbstwind.

Dann erklang Vins Stimme – so eisig und tief, dass Scarlett zu frieren begann. „Du hast mich also gegoogelt.“

Scarlett schluckte. „Ich hatte einen guten Grund. Als ich nach unserer Nacht zurück in die Falkner-Villa musste, habe ich online nach deiner Nummer gesucht. Ich wollte dich wiedersehen. Bis ich herausfand, wer du wirklich bist.“

Er starrte sie an: „Wenn du mich für einen derartigen Bastard hältst, warum bist du dann zu mir gekommen, als du Hilfe brauchtest?“

„Ich hatte sonst niemanden!“

„Und jetzt hat sich das geändert?“

„Ich habe mein Leben im Griff!“ Sie kniff die Augen zusammen. „Ich und mein Baby, wir sind frei. Wir brauchen niemanden, der unser Leben kontrolliert!“

„Kontrolle geht nun mal mit Verantwortung Hand in Hand, Scarlett. Und ich denke, ich habe die Verantwortung, dich zu heiraten und unserem Kind ein guter Vater zu sein!“

„Vin, bitte! Wenn ich für eine Sekunde glauben könnte, dass wir einander lieben und vertrauen könnten, würde ich dich auf der Stelle heiraten. Aber mit einem Mann, der andere Menschen zerstört, möchte ich einfach keine Familie haben!“

Ein kaum merklicher Schatten verdunkelte Vins Blick. Dann löste er seine Finger von Scarletts Handgelenk. „Ich habe nie mit Absicht das Leben eines Menschen zerstört. Dass die freie Wirtschaft kein Streichelzoo ist, sollte jedem klar sein. Es gibt nur fressen oder gefressen werden!“

„Selbst Blaise hat sich vor dir gefürchtet! Das sagt eine ganze Menge über dich aus!“

Vin biss die Zähne zusammen. „Nur, dass ich ihn wirklich vernichtet hätte, wenn er dir oder unserem Kind noch nähergetreten wäre!“

Scarlett sah Vin mit weit aufgerissenen Augen an, doch plötzlich wurde seine Stimme sanft. „Ich weiß, dass es von mir ist, Scarlett. Bitte sei so loyal und verweigere mir nicht länger den Beweis. Ich habe uns bereits einen Termin bei einer Ärztin in Genf gemacht. Sie hat eine renommierte Klinik und kann dir und dem Baby die beste ärztliche Versorgung bieten.“

„Ich habe schon eine gute Ärztin hier im Dorf. Außerdem werde ich in meinem Job gebraucht und kann nicht einfach mit dir nach Genf fahren, nur weil du es dir in den Kopf gesetzt hast!“

Ein sarkastisches Lächeln trat auf Vins Lippen. „Ich bin zufällig mit deinem Arbeitgeber Kassius Black befreundet. Als seine Frau mir vor ein paar Tagen erzählt hat, dass in ihrer Schweizer Villa eine hochschwangere Köchin ohne Arbeitszeugnisse und Referenzen eingestellt wurde, bin ich hellhörig geworden. Vor allem, als man mir sagte, die junge Dame wäre allein und mittellos aus den Staaten nach Europa gekommen und sie hätten dem Arbeitsvertrag nur zugestimmt, da ihre herzensgute Haushälterin sie inständig darum gebeten hat. Glaubst du wirklich, dass du in der Villa unentbehrlich bist, Scarlett?“

Scarletts Wangen brannten vor Wut: „Ich hasse dich! Du denkst ebenso wie Blaise Falkner, dass du alle Menschen ausspionieren und nach deiner Pfeife tanzen lassen kannst!“

Vins Lächeln war aus seinem Gesicht verschwunden, als er ganz ruhig entgegnete: „Das tue ich nicht. Ich versuche nur, das Richtige zu tun und meine Verantwortung gegenüber meinem Kind zu erfüllen. Ebenso wie du!“

Scarlett hatte nicht die Kraft, sich noch länger zu wehren. Was konnte sie auch tun? Tief in ihrem Inneren wusste sie ja selbst, dass Vin ein Anrecht auf die Wahrheit hatte. Doch auf ihr Leben und das ihres Kindes? Niemals!

Sie würde mit ihm zu dieser Klinik in Genf fahren. Und dann würde sie sich irgendwie davonschleichen. Kliniken hatten Hintertüren.

Scarlett ließ ihre Schultern hängen und grub die Spitze ihrer Stiefel in die Erde des schmalen Pfades. Sie gab sich Mühe, angemessen niedergeschlagen zu wirken, als sie sagte: „Du hast gewonnen!“

„Das tue ich immer.“ Er gab den Leibwächtern, die vor dem schwarzen Geländewagen warteten, ein kurzes Zeichen, bevor er seinen rechten Arm um Scarlett legte, um sie zu seinem Auto zu führen. „Über die Autobahn dauert die Fahrt nach Genf circa zwei Stunden. Wenn das in deinem Zustand zu unbequem ist, kann ich uns auch einen Hubschrauber hierher bestellen. Er wäre in zehn Minuten hier.“

„Nein!“, antwortete Scarlett aufgebracht. Sie merkte, wie ihr Herz zu rasen begann und ihr Atem flacher wurde. Schweißperlen traten beim bloßen Gedanken an das Fliegen auf ihre Stirn. Als Vin sie erschrocken musterte, zwang Scarlett sich zu einem schwachen Lächeln. „Auf der Fahrt haben wir die Möglichkeit zu reden. Und es ist um diese Jahreszeit bestimmt wunderschön, durch die Berglandschaft zu fahren.“

Vin zögerte für einen kurzen Moment. Dann nickte er und legte seinen Arm ein wenig fester um Scarlett. „Wie du möchtest.“

Zehn Minuten später standen sie in der riesigen Küche der Black-Villa, wo sie Wilhelmina um einen freien Tag für Scarlett baten. Ohne große Details preiszugeben, stellte sich Vin als ein Freund vor, der Scarlett zu der Untersuchung in Genf begleiten wollte.

Wilhelmina sah besorgt aus. „Warum fährst du in diese Klinik? Ist etwas nicht in Ordnung?“

„Es geht nur darum, Scarlett die bestmögliche Versorgung zukommen zu lassen“, antwortete Vin in beruhigendem Ton. „Die Klinik bietet ihr ein paar zusätzliche Untersuchungen an.“

Skeptisch starrte die Freundin ihrer Mum auf den gutaussehenden Besucher. Dann lächelte sie. „Bitte passen Sie gut auf Scarlett auf.“

„Ich verspreche es.“ Vin erwiderte das Lächeln. „Da Scarlett nicht nach Genf fliegen möchte und lange Autofahrten in ihrem Zustand nicht unbedingt angemessen sind, wäre es mir auch lieber, wenn ich ihr für eine Nacht ein Hotelzimmer in Genf buche. Ist das von Ihrer Seite aus in Ordnung, Mrs. Stone?“

„Natürlich. Hauptsache, es geht ihr gut.“

Scarlett sah benommen zwischen Wilhelmina und dem Vater ihres Babys hin und her. Dieser Mann übernahm die Kontrolle über andere mit einem Wimpernschlag. Doch in ihrem Fall nicht für lange. Das schwor sie sich.

Kurz darauf wurde sie von Vin in ihr Zimmer im oberen Stock der Villa begleitet, wo sie das Nötigste ihrer wenigen Habseligkeiten in ihren Koffer packte, um für die Nacht in Genf ausgestattet zu sein. Dann trug Vin den Koffer die Treppe hinab und wartete geduldig, bis Wilhelmina und Johan sich von Scarlett verabschiedet hatten. Schließlich legte er erneut den Arm um sie, um sie zu seinem silbernen Mercedes Benz zu bringen, der am Eingang der Villa parkte. Mit klopfendem Herzen nahm Scarlett auf dem Beifahrersitz Platz. Die nächsten Stunden würden kompliziert werden, doch sie hatte schon so viele gefährliche Situationen durchlebt, dass sie auch diesen Ausflug heil überstehen würde. Und dann konnte sie nach Gstaad zurückkommen. Vin Borgia war nur für ein paar Stunden an ihrer Seite. Nicht für ein ganzes Leben.

4. KAPITEL

„Es besteht kein Zweifel, Mister Borgia. Sie sind der Vater des Babys.“ Die freundliche Ärztin strahlte Vin an.

Scarlett sah eine Flut von Emotionen über sein schönes Gesicht huschen. Freude, Hoffnung, Stolz und dann, als er sie ebenfalls anblickte, Wut. Fast als könnte er ihr das Schweigen, Weglaufen und Lügen niemals verzeihen.

Doch das war ganz egal, tröstete sie sich. Sie wäre sowieso bald weit weg von ihm.

Eigentlich hatte sie geplant, bereits vor dem Test aus dem Krankenhaus zu verschwinden. Noch bevor Vin den Beweis erhielt, den er vor Gericht zu seinen Gunsten nutzen konnte.

Doch es hatte sich keine Gelegenheit zur Flucht geboten. Von dem Moment, als Vin ihr am Waldrand in Gstaad begegnet war, hatte er Scarlett nicht mehr aus den Augen gelassen. Nicht bei der Ankunft in der Klinik, nicht während des ärztlichen Beratungsgespräches, nicht während des Tests oder der Zeit, als sie, um die Wartezeit bis zum Testergebnis zu überbrücken, in einem eleganten Restaurant am See zu Mittag gegessen hatten. Sogar als Scarlett sich entschuldigt hatte, um zur Toilette zu gehen, hatte Vin, in einer augenscheinlich höflichen Geste, im Flur auf sie gewartet. Sie hatte ihr Bestes versucht, jeglichen Verdacht gegen sie im Keim zu ersticken. Im Auto und auch während des Mittagessens hatte sie sich höflich, beinahe freundschaftlich mit ihm unterhalten, sodass er annehmen musste, sie letztendlich doch bezwungen zu haben.

Was sie nicht vermutet hatte, war ihre eigene Reaktion auf ihn. Das Rasen ihres Herzens, sobald sie in seine dunklen Augen sah. Das Feuer darin, an dem sie zu verbrennen drohte. Gerade deshalb musste sie vor dem Vater ihres Kindes fliehen. Sie konnte keinem anderen Menschen erlauben, die Kontrolle über ihr Leben zu übernehmen.

„Möchten Sie das Geschlecht Ihres Babys wissen?“, hörte sie Doktor Schauss wie von weit her fragen.

Vins Augen waren ganz groß, als er Scarlett ansah. Sie räusperte sich, bevor sie mit unüberhörbarem Zittern in der Stimme hervorbrachte: „Sicher.“

Die Ärztin lächelte. „Sie bekommen einen Jungen!“

Scarletts Augen füllten sich mit Freudentränen. Sie erwartete einen Sohn! Bald schon würde sie ihn zum ersten Mal in den Armen halten!

„Einen Jungen?“ Ein Lächeln erhellte Vins Gesicht. Noch einmal blickte er Scarlett an, und sie hatte beinahe das Gefühl, ihn zum ersten Mal zu sehen. Sein sonst so ernster, zynischer Gesichtsausdruck war verschwunden. Er wirkte unbeschwert und um Jahre jünger. „Ist mit ihm alles in Ordnung?“, fragte er die Ärztin leise. „Und mit Scarlett auch?“

Eine seltsame Fessel legte sich bei seiner Frage um Scarletts Herz.

Die Ärztin nickte. „Mutter und Kind geht es sehr gut. Und alle Zeichen sprechen dafür, dass das Baby seinen genauen Geburtstermin einhalten wird. Obwohl man natürlich in der Spätphase der Schwangerschaft immer damit rechnen muss, dass es im nächsten Moment so weit ist.“

Als die Ärztin ihnen ein ausgedrucktes Ultraschallbild reichte, hatte Scarlett das Gefühl, auch in Vins Augen Freudentränen zu sehen. Sie schluckte schwer. Sie hatte es viel zu weit kommen lassen. Davonlaufen wäre jetzt zehnmal schwerer als noch vor diesem Gespräch. Und es würde mit jeder Minute schwerer werden. Während die Ärztin Vin das Ultraschallbild erklärte, erhob Scarlett sich mit wild klopfendem Herzen von ihrem Platz, bevor sie fragte: „Entschuldigen Sie mich für ein paar Minuten? Ich müsste mal kurz Ihre Toilette benutzen.“

„Natürlich.“

Der Argwohn in Vins Augen entging ihr ebenso wenig wie der aufmerksame, mütterliche Blick der Ärztin. Scarlett zwang sich zu einem strahlenden Lächeln, bevor sie auf wackeligen Beinen in Richtung Tür ging.

Dann eilte sie so schnell sie konnte den Korridor hinab – vorbei an Krankenschwestern, Doktoren und anderen werdenden Eltern, die strahlend und Händchen haltend ihre Vorsorgetermine wahrnahmen. Ohne zu wissen, wo sich der Hinterausgang eigentlich befand, schleppte Scarlett sich die Treppen hinab. Doch da am Hauptportal der Klink Vins Leibwächter warteten, musste sie einen anderen Weg finden, um zu entkommen.

Sie fand die Beschilderung zum Notausgang, drückte die rechte Hand vor ihren schweren Bauch und begann zu rennen. Sie würde nach Gstaad zurückkehren und Wilhelmina bitten, sie zu verstecken. Irgendwie würde alles in Ordnung kommen.

Hoffnungsvoll drückte sie die schwere Stahltür auf und trat ins Sonnenlicht. Am Ende des Klinikparks sah sie den Genfer See und einen Parkplatz mit Bussen. Das war ihre Chance. Für einen Moment blieb sie auf der Rasenfläche des Parks stehen, um Luft zu holen.

Und als sie aufblickte, stand ein dunkel gekleideter Mann mit verschränkten Armen vor ihr. „Wohin des Weges, Scarlett?“

Sie öffnete die Lippen, doch sie brachte kein Wort hervor. Denn es gab keine Erklärung oder Entschuldigung für das, was sie erneut getan hatte.

„Woher wusstest du …“ Sie konnte nicht weitersprechen.

„Ich falle kein drittes Mal auf dich herein“, antwortete Vin schulterzuckend. „Dass du plötzlich bereit warst, mit mir hierherzukommen, war von vornherein verdächtig. Ich habe nur darauf gewartet, wann du versuchst, mich auszutricksen.“ Als er beide Hände in die Taschen seines Mantels schob, sah er aus wie ein dunkelhaariger James Dean. Seine Stimme klang eher amüsiert als vorwurfsvoll, als er hinzufügte: „Eigentlich bin ich fast enttäuscht, dass du dasselbe Kunststück zweimal versucht hast. Ich hätte gehofft, dass du mir ein wenig mehr Intelligenz zutraust.“

Scarlett war viel zu überrascht, um seinem Blick auszuweichen. Zum ersten Mal an diesem verrückten Tag sah sie Vin direkt an. Dunkle Ringe lagen unter seinen schwarzbraunen Augen und sein Gesicht, auf dem jetzt am Nachmittag dunkle Bartstoppeln zu sehen waren, wirkte so müde, als ob er seit Tagen nicht geschlafen hätte. Er wirkte vollkommen erschöpft, und das war ihre Schuld. Sie hatte nie vorgehabt, ihn unglücklich zu machen. Doch sie konnte auch nicht zulassen, dass er einfach so ihr Leben kontrollierte.

„Warum verabscheust du mich so?“, fragte er leise. „Du scheinst zu denken, dass ich eine Art Schwerverbrecher bin. Aber ich möchte wirklich Verantwortung für dich und mein Kind übernehmen. Ich möchte dich heiraten, und ich verspreche dir, dass es euch beiden an nichts mangeln wird!“

Für einen Moment schüttelte Scarlett nur stumm den Kopf. Doch irgendwann fand sie ihre Stimme wieder. „Du möchtest mich nicht heiraten“, entgegnete sie traurig. „Du bestehst darauf. Und das macht dich nicht besser als Blaise Falkner.“

Vin blickte sie erschrocken an. „Du hast kein Recht, so etwas zu sagen!“

„Ach nein?“, fragte Scarlett, in deren Augen erneut heiße Tränen brannten. „Wenigstens war Blaise von Anfang an ehrlich zu mir. Ich wusste, dass er mich nur besitzen wollte. Aber dich mochte ich. Sonst hätte ich niemals eine Nacht mit dir verbracht!“ Wütend wischte sie die Tränen fort, die mittlerweile unkontrollierbar ihre Wangen hinabströmten. „Du tust so, als sorgst du dich um mich! Doch in Wahrheit möchtest du ebenso die Kontrolle über mich und das Baby haben wie Blaise!“ Sie sah zu ihm auf. Ihr ungebetener Begleiter stand immer noch ganz nah vor ihr und sah sie an, als konnte er nicht fassen, was hier gerade geschah. Unwillkürlich trat Scarlett einen Schritt zurück und verschränkte die Arme vor ihrem großen Bauch.

Vin starrte sie für einen langen Moment wortlos an. Dann jedoch fand er seine Sprache wieder. „Du willst also wirklich, dass wir uns niemals wiedersehen? Dass unser Kind ohne den Schutz und die Liebe seines Vaters aufwächst?“

Liebe?

Mit diesem Wort hatte Scarlett ganz offen gestanden nicht gerechnet. Sie blickte auf den Genfer See, der im Licht der Nachmittagssonne wie flüssiges Gold glitzerte. Der Herbstwind raschelte durch die Bäume des Krankenhausparks und weit über ihr sang ein Vogel.

„Jedes Kind hat das Recht darauf.“ Vins Stimme klang ruhig und dennoch so eindringlich, dass Widerspruch unmöglich schien.

Für einen langen Moment sah Scarlett in sein Gesicht. Erst nach ein paar Minuten konnte sie entgegnen: „Aber du liebst mich nicht!“ Verhängnisvolle Worte. Scarlett machte sich auf einen zynischen Kommentar gefasst. Ein sarkastisches Lachen. Oder irgendeinen anderen Ausdruck von Hohn und Spott.

Doch Vin trat nur einen erneuten Schritt auf sie zu, um schließlich ganz sanft nach ihrer rechten Hand zu greifen. „Romantische Liebe zwischen Mann und Frau ist nichts als eine Illusion, Scarlett. Ich habe die Mittel, dir und unserem Baby ein Leben in Luxus und Sicherheit zu bieten. Eine wunderbare Zukunft mit allem, wovon andere nur träumen!“

Ihre Hand in Vins zitterte. Scarlett machte sich keinerlei Illusion darüber, dass ihm das entging. „Du verstehst es nicht, oder? Geld ist nicht wichtig für mich. Ich möchte nur glücklich sein. Und das kann ich in Gstaad. Bei meiner Arbeit und meinen Freunden.“

Vin blickte in ihre verweinten Augen. Und zum ersten Mal seit vielen, vielen Jahren fühlte er sich machtlos. Er hatte nie die Absicht gehabt, Scarlett traurig zu machen oder ihr irgendetwas wegzunehmen, das in ihrem einsamen Leben von Bedeutung war. Doch er wünschte sich mittlerweile nichts mehr, als den hübschen Rotschopf mit dem wilden Temperament zu seiner Frau zu machen und Scarlett und sein Kind in Zukunft an seiner Seite zu wissen. Er wollte Scarlett, als seine Frau und Geliebte. Er wollte jeden Tag in ihrer Nähe verbringen. Und jede Nacht. Vor allem aber war es ihm wichtig, dass sein Sohn in Geborgenheit und Liebe aufwuchs. Dass er irgendwann Geschwister bekam. Er wollte für seine kleine Familie sorgen. Und sie beschützen.

Er hielt Scarletts Hand noch immer in seiner, als er fragte: „Wie kann ich deine Meinung ändern?“

„Das kannst du nicht.“ Ihre Stimme klang schwach. „Der einzige Grund, aus dem ich heiraten würde, ist Liebe. Und ich liebe dich genauso wenig, wie du mich liebst.“ Sie zog ihre Hand zurück, und die plötzliche Abwesenheit ihrer Körperwärme fühlte sich für Vin an wie schmerzhafte Nadelstiche auf seiner Haut.

Doch in diesem seltsamen Moment wurde ihm eins klar. Scarlett interessierte sich für zwei Dinge im Leben: Liebe und Freiheit. Alles, was er tun musste, war, es ihr zu geben.

Oder sie zumindest glauben zu lassen, dass er es tat.

Nie zuvor im Leben hatte er versucht, Gefühle vorzutäuschen. Doch wie schwer konnte das schon sein? Seine Mutter hatte seinem Vater jahrelang mit Erfolg vorgetäuscht, ihn zu lieben. Und nicht nur das.

Vin wusste, dass er sich auf dünnes Eis begab. Scarlett selbst war alles andere als ungeübt darin, andere an der Nase herumzuführen. Was es ihr sicher erleichterte, die Täuschungsversuche anderer zu durchschauen …

Er vergrub beide Hände in seinen Manteltaschen, während er für einen Moment nach den richtigen Worten suchte. Dann nahm er einen tiefen Atemzug und sah direkt in Scarletts Gesicht. „Vielleicht können wir es lernen. Wir alle brauchen manchmal eine Chance.“

Ihre Augen weiteten sich. „Oh bitte, Vin! Jeder Mann, der an seinem Hochzeitstag erfahren musste, dass seine Frau ihn betrügt, würde vom Heiraten vorerst nichts wissen wollen. Doch du hast noch am selben Tag beschlossen, mich zu heiraten. Weil die Ehe für dich nur ein Geschäft ist, dass dir Kontrolle und Rechte sichert. Du wirst nie einer Frau dein Herz schenken! Du hast doch gerade noch gesagt, dass romantische Liebe eine Illusion ist.“

„Vielleicht habe ich Unrecht. Aber wir werden es niemals herausfinden, wenn du mir nicht eine Chance gibst, es zu versuchen.“

Scarlett strich sich das wilde rote Haar aus der Stirn. „Netter Versuch. Für was für eine Idiotin hältst du mich?“

„Für gar keine!“ Vin riss der Geduldsfaden. „Du bist die warmherzigste, interessanteste und schönste Frau, die ich jemals getroffen habe. Und auch wenn du dich gerade so verhältst, als wäre ich der letzte Abschaum auf Gottes Erden, hatte ich in unserer gemeinsamen Nacht einen anderen Eindruck von deinen Gefühlen für mich. Wenn ich dir so wenig bedeute, wie du behauptest, wärst du doch niemals mit mir in meine Wohnung gegangen. Du hättest dich mir niemals hingegeben, geschweige denn mein Kind ausgetragen. Vielleicht lieben wir einander nicht. Doch wir haben eine Menge Dinge, die uns verbinden. Warum finden wir nicht einfach heraus, wohin das führen kann?“

Vin beobachtete sie sorgfältig, als die unbeabsichtigten Worte aus ihm herausplatzten. Er sah, wie ein Sturm von widerstreitenden Emotionen ihr blasses Gesicht überschattete. Sekunden schienen zur Ewigkeit zu werden, bis sie antwortete: „Du denkst wirklich, das ist das Risiko wert?“

Ja.

Und er würde es Scarlett beweisen. „Nicht nur du setzt deine Existenz und deine Freiheiten aufs Spiel. Sondern auch ich. Ich bin bereit, dich ohne vorehelichen Vertrag zu heiraten. Sollte ich mich als der Bastard erweisen, für den du mich hältst, so …“

„Würde mir bei einer Trennung die Hälfte deines Vermögens zufallen … Bist du verrückt?“ Sie schüttelte fassungslos den Kopf.

Wahrscheinlich war er wirklich verrückt. Wie sonst konnte er freiwillig versuchen, eine Frau dazu zu bringen, sich in ihn zu verlieben. Normalerweise tat er genau das Gegenteil. Vor jeder anderen Frau, die sein Bett geteilt hatte, war Vin davongelaufen, bevor sich irgendeine emotionale Verbindung aufbaute. Und seine Ehe mit Anne war ein rein rationales Arrangement gewesen. Vin hatte seine Anwälte einen Ehevertrag aufsetzen lassen, der ihm bei einer möglichen Scheidung vor finanziellen Verlusten bewahrte. So war er keinerlei Risiko eingegangen. Tatsächlich hatte er noch am Abend seiner geplatzten Hochzeit genau diesen Vertrag auf Scarletts Namen umschreiben lassen, mit der Klausel, dass im Falle einer Trennung das Sorgerecht für den gemeinsamen Nachwuchs an ihn fiel. Denn nie vorher war er – rational und emotional – zu etwas so entschlossen gewesen, wie zu der Zukunft seines Baby, und dessen Mutter zu stehen. Scarletts Verschwinden aus New York hatte für Vin nicht mehr als ein Hinauszögern seines Plans dargestellt. Jetzt, wo er den Beweis für seine Vaterschaft hatte, würde er sie dazu bringen, sich ihm zu fügen. Und er würde das Ganze vertraglich festhalten. Eheverträge waren nach einer Hochzeit ebenso wirksam wie davor. Es war sicher ungewöhnlich, für eine kleine Weile die Hälfte seines Vermögens aufs Spiel zu setzen. Doch da Scarlett ohnehin kein Interesse an Geld zu haben schien, riskierte Vin nichts im Vergleich zu dem, was er verlieren konnte, wenn Scarlett bereits vor der Hochzeit von ihm davonlief.

Eine gemeinsame Zukunft mit seinem rothaarigen Engel könnte sich als das aufregendste und größte Unternehmen in Vins Leben herausstellen. Vielleicht sogar als das beste. Sein Herz hämmerte beim bloßen Gedanken daran wie ein gefangener Vogel in seiner Brust.

Oder war der Grund dafür vielleicht, dass ihn nur wenige Zentimeter von Scarlett trennten, deren rotes Haar mit dem Licht der Herbstsonne um die Wette funkelte? Dass sie ihn mit ihren wunderschönen grünen Augen musterte, in denen Vin sich permanent zu verlieren drohte? Er wusste es nicht. Alles, was er wusste, war, dass er in diesem Moment die Hälfte seines Vermögens allein dafür gezahlt hätte, diese Frau berühren zu dürfen.

„Sag ja“, bat er, statt weiter auf ihre Frage einzugehen und trat den letzten halben Schritt auf sie zu. „Bitte.“

Als Scarlett aus nächster Nähe in sein Gesicht sah, wirkte sie unendlich zart und verwundbar. Fast, als ob sie es nicht wagte, auf mehr zu hoffen, als das karge und einsame Leben, das sie führte. „Warum ist es dir so wichtig?“, flüsterte sie.

Derart persönlichen Fragen war Vin in seinem Leben stets ausgewichen. Doch die Angst, das dünne Band des Vertrauens zwischen ihm und Scarlett zu gefährden, zwang ihn, zumindest teilweise aufrichtig zu sein. „Ich weiß, wie es ist, ohne Vater aufwachsen zu müssen. Mein Sohn soll eine bessere Kindheit haben. Er soll immer wissen, wer seine Eltern sind.“

In Scarletts Blick lag eine seltsame Mischung aus Verwirrung und Mitgefühl, die Vin das Herz zu brechen drohte. Für einen Moment schloss er die Augen, bevor er sachlich erklärte: „Familien fangen mit einem gemeinsamen Namen an. Mit einem gemeinsamen Haus. Unser Sohn soll sich immer sicher und geliebt fühlen. Er soll wissen, wo er hingehört.“ Er lächelte Scarlett zu. „Um seinetwillen bitte ich dich, meine Frau zu werden. Noch bevor er geboren wird.“

Die Tränen, die in Scarletts Augen traten, schienen weder Ausdruck von Enttäuschung noch von Wut zu sein. Vielmehr wirkte die Mutter seines Kindes beeindruckt von Vins Worten. Gerührt.

Und so setzte er alles auf eine Karte. „Mein Privatjet ist aufgetankt und wartet hier am Flughafen. Wir können noch heute Nacht zurück in New York sein …“

„Nein!“ Scarlett schien von der plötzlichen Vehemenz ihrer Stimme ebenso überrascht wie Vin. Sie biss sich für einen Moment gedankenverloren auf die Unterlippe, bevor sie hinzufügte: „Doktor Schauss hat gesagt, dass wir jeden Moment damit rechnen müssen, dass das Baby kommt.“

Erleichtert nahm Vin zur Kenntnis, dass das Nein nur dem Fliegen galt. „Sie hat aber auch gesagt, dass es wahrscheinlich seinen Termin in zwei Wochen einhält“, entgegnete er mit ruhiger Stimme. „Und für alle Fälle können wir gerne einen Arzt mit an Bord nehmen.“

„Nein.“ Scarlett schluckte. „Ich steige in kein Flugzeug ein.“

„Warum nicht?“

„Weil …“, sie konnte kaum weitersprechen. „Wenn ich es tue, sterbe ich! Und das Baby auch!“

„Wovon um alles in der Welt redest du?“

Mehr und mehr Tränen sammelten sich in Scarletts dunklen Wimpern. „Mein Vater starb doch bei einem Flugzeugabsturz.“

„Ich weiß“, sagte Vin sanft. „Aber das bedeutet doch nicht, dass …“

„Das Flugzeug, mit dem ich nach Europa kam, ist auch fast abgestürzt!“, fiel Scarlett ihm ins Wort. Sie konnte die Tränen nicht länger zurückhalten und schluchzte laut.

Vin erinnerte sich vage daran, in den Nachrichten etwas über eine Notlandung in Irland gelesen zu haben. Doch Scarletts Stimme unterbrach seine Gedanken. „Nach dem, was mit Dad geschah, wollte ich nie wieder in ein Flugzeug einsteigen. Doch weil ich vor zwei Wochen keine andere Möglichkeit sah, als hierher in die Schweiz zu fliegen, ignorierte ich meine Intuition. Und beinahe wären das Baby und ich gestorben.“ Schützend legte sie beide Arme um ihren Bauch. „Ich werde nie wieder an Bord eines Flugzeugs gehen …“

„Aber, Scarlett“, sagte Vin fast zärtlich. „Jeden Tag starten im Durchschnitt hunderttausend Flüge. Fast jeder verläuft störungsfrei und landet sicher an seinem Zielort. Statistisch gesehen …“

„Hör auf, mir Statistiken zu zitieren!“ Scarletts Stimme klang so hysterisch, dass Vin begann, sich ernsthafte Sorgen um sie zu machen. Vorsichtig griff er nach ihren beiden Händen und schloss sie in seine, bevor er Scarlett so nah an sich zog, dass er ihren riesigen Bauch an seinem Körper spüren konnte. „Ich fliege mehrmals wöchentlich in den Flugzeugen meiner Airline, meinen Privatjets oder meinem Hubschrauber. Ich habe sogar eine Fluglizenz und steuere die Maschinen selbst. Sie sind das sicherste Verkehrsmittel, das es gibt. Das kann ich dir persönlich garantieren!“

Scarlett entfuhr ein ersticktes Lachen. „Und ich kann dir persönlich garantieren, dass ich nie wieder in ein Flugzeug steige!“

Als er in ihre schönen Augen sah, die vom Weinen rotgerändert waren, konnte Vin nicht länger diskutieren. Er wollte nur, dass es Scarlett besser ging. Ohne ein weiteres Wort legte er beide Arme um sie und wickelte ihren zitternden Körper in seinen warmen Mantel. Während er über ihr Haar und ihren Rücken streichelte, flüsterte er immer wieder, dass sie keine Angst zu haben brauche. „Wir müssen nicht fliegen“, sagte er, als ihr Schluchzen irgendwann aufhörte. „Ich lasse nicht zu, dass dir etwas passiert. Niemals.“

Scarlett hielt ihr Gesicht noch für einen langen Moment an sein durchweichtes Hemd geschmiegt. Irgendwann jedoch blickte sie zu Vin auf und nahm einen unsicheren Atemzug. Sie sah im Sonnenlicht beinahe überirdisch schön aus. Ihr langes Haar wehte im Wind und ihre Augen schimmerten wie Smaragde. Vin spürte, wie sich eine seltsame Fessel um sein Herz legte. Und statt weiter darüber nachzudenken, wie er die jüngsten Vorkommnisse in seinem Leben unter Kontrolle bringen konnte, nahm er Scarletts tränennasses Gesicht in beide Hände und küsste sie.

5. KAPITEL

Sie hatte nicht erwartet, dass er sie küsste. Die Welt begann sich zu drehen, denn Scarlett wurde ganz schwindelig, als sie Vins sanfte Lippen auf ihren spürte. Der Kuss vertiefte sich, und Vins Lippen wurden hungrig und fordernd, fast als ob er ein Anrecht auf Scarlett einklagte. Fast als ob sie ihm gehörte. Vin zog sie so fest an sich, dass sie die Muskeln seines Bauches an ihrem schweren Unterleib spürte. Seinen durchtrainierten Oberkörper an ihren prallen Brüsten. Vins Nähe und die glühende Wärme, die von ihm ausging, fühlte sich an wie ein Schutz vor Kälte und Wind – und löste in Scarlett ein derartiges Wohlbehagen aus, dass sie für einen Moment den Boden unter den Füßen verlor. Es war, als schwebte sie auf Wolken.

Sie hatte vergessen, wie es war, Vin zu küssen. Sie hatte sich gezwungen, es zu vergessen. Doch jetzt, wo seine Zunge ihren Mund liebkoste und sie seine seidigen Lippen auf ihren spürte, sank sie gegen ihn, wollte sie ihn nie wieder loslassen. Sie konnte nicht anders. In den letzten achteinhalb Monaten hatte sie sich so sehr nach ihm gesehnt. Jede Nacht hatte sie von dem Moment geträumt, als sie ihre Unschuld an Vin Borgia verloren hatte. Er hatte ihr ein Hochgefühl geschenkt, das sie niemals für möglich gehalten hätte. Und ein Kind. In seinen Armen hatte sie das Gefühl von Sicherheit erfahren. Von Vertrauen. Sie hatte sich beinahe geliebt gefühlt …

„Ich habe dich so sehr vermisst“, flüsterte er gegen ihre Lippen. Ihr Herzschlag beschleunigte sich bis ins Grenzenlose. „Versprich mir, dass du bei mir bleibst, Scarlett. Ich bitte dich.“

„Ich bleibe bei dir.“

Freude und Hoffnung erhellten sein schönes Gesicht, und Scarlett realisierte, was sie gerade gesagt hatte.

Sie nahm einen zittrigen Atemzug, bevor sie in Vins leuchtende Augen sah. Und ihr wurde klar, dass sie nichts lieber wollte, als bei ihm zu bleiben. Damit ihr Baby in einer richtigen Familie aufwuchs. Damit es sicher und geliebt wäre und ein Zuhause hätte. Und sie wollte, dass sie und Vin füreinander da waren. Sie wollte eine Chance auf das ganz große Glück. War das selbstsüchtig? Verlangte sie zu viel vom Leben?

Vin strich vorsichtig über ihr Haar, bevor er beide Hände auf Scarletts Rücken ruhen ließ. „Versprich es mir“, flüsterte er noch einmal. „Indem du mich heiratest.“

Scarlett schluckte. Vin war bereit, sie ohne Ehevertrag zu heiraten. Er ging ein unglaubliches Risiko ein.

War sie bereit, ebenfalls etwas zu wagen?

Für eine Chance auf das ganz große Glück?

Ja.

„Ich verspreche es“, brachte sie überwältigt hervor. Warum sie erneut weinte, wusste sie nicht, bis Vin sie sanft an sich zog und festhielt. Wieder und wieder streichelte er ihr Haar und flüsterte leise Worte, um Scarlett zu beruhigen. Er war so gutaussehend, stark und mächtig, dass er jedes Mädchen der Welt zur Ehefrau hätte haben können.

Autor

Jennie Lucas

Jennie Lucas wuchs umringt von Büchern auf! Ihre Eltern betrieben einen kleinen Buchladen und so war es nicht weiter verwunderlich, dass auch Jennie bald deren Leidenschaft zum Lesen teilte. Am liebsten studierte sie Reiseführer und träumte davon, ferne Länder zu erkunden: Mit 17 buchte sie ihre erste Europarundreise, beendete die...

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