Julia Saison Band 47

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ANTRAG AUF DEM VALENTINSBALL von WYLIE, TRISH
"Ich liebe dich", möchte Rhiannon hören - mehr nicht. Aber bis jetzt hat Kane nicht ein einziges Mal diese magischen drei Worte zu ihr gesagt. Und deshalb wird sie ihn auf keinen Fall heiraten! Selbst wenn er auf dem Valentinsball vor ihr auf die Knie fällt ...

FEST DER HERZEN IN CORNWALL von ASH, ROSALIE
Jennas Herz schlägt höher: Ihre Jugendliebe Ross ist nach Cornwall zurückgekehrt. Sofort fühlt sie sich wieder zu dem erfolgreichen Unternehmer hingezogen. Doch was empfindet er? Werden ihre Herzen am Valentinstag ein zweites Mal zueinander finden?

GESTÄNDNIS AM VALENTINSTAG von GRADY, ROBYN
Celeste verbringt sinnliche Stunden in den Armen des faszinierenden Millionärs Benton Scott. Danach trennt sie sich schweren Herzens von ihm, denn er will sich nicht binden. Doch warum taucht Benton sechs Wochen später wieder bei ihr auf - ausgerechnet am Valentinstag?


  • Erscheinungstag 04.01.2019
  • Bandnummer 47
  • ISBN / Artikelnummer 9783733713584
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Trish Wylie, Rosalie Ash, Robyn Grady

JULIA SAISON BAND 47

1. KAPITEL

Der Tennisschläger war der erste Gegenstand, den Rhiannon MacNally ertastete. Jeder andere wäre ihr auch recht gewesen. Dass sie das Geräusch trotz des Sturms draußen gehört hatte, glich beinahe einem Wunder. Wahrscheinlicher war allerdings, dass ihre Ohren an diesem ersten Abend allein mit ihrer Tochter in dem riesigen alten Haus empfindsamer waren als sonst. Und ausgerechnet jetzt brannte die Schlafzimmerlampe nicht.

Es war eindeutig jemand im Haus. Rhiannon war sich absolut sicher, während sie die letzte Treppenstufe verließ. Sie hörte die Bewegung, und ein eisiger Schauer lief ihr Rückgrat hinab. Nachzusehen, um wen es sich handelte, war vermutlich nicht die beste Idee. Aber dies war jetzt ihr Haus! Sie würde nicht zitternd im Bett liegen bleiben und warten.

Deshalb schlich sie den Flur entlang und ignorierte die Gänsehaut auf ihren Armen und die Kälte des Schieferbodens unter ihren nackten Füßen. Lautlos drückte sie sich an die Wand und hielt den Tennisschläger mit beiden Händen entschlossen vor sich.

Plötzlich fröstelte sie, und ihr Puls setzte einen Schlag aus. Da war es erneut. Diesmal ein deutliches Rascheln, gefolgt von einem unterdrückten Fluch, während jemand gegen etwas in der Küche stieß. Rhiannon schluckte heftig und befeuchtete mit der Zunge ihre trockenen Lippen. Sie schlich näher zur Tür, entschlossen, sich die Seele aus dem Leib zu schreien, um den Eindringling noch stärker zu verängstigen, als sie es selber war.

Gerade streckte sie die Hand nach dem Griff aus, da öffnete sich die Tür. Mit einem erstickten Schrei hob sie den Tennisschläger hoch, um niederzuschlagen, wer immer herauskommen mochte.

Ein Schatten näherte sich. Geschickt wich Rhiannon ihm aus und schlug heftig auf die Stelle ein, wo sie die Taille des Eindringlings vermutete – jederzeit bereit, tiefer zu gehen, falls es erforderlich war, um den Kerl wenigstens kurzfristig außer Gefecht zu setzen.

Kane fluchte laut. Er reagierte erstaunlich schnell und packte das andere Ende des Tennisschlägers. Geschickt nutzte er den Umstand, dass Rhiannon den Schläger nicht loslassen wollte, verdrehte ihren Arm und drückte ihren viel kleineren Körper fest an die Wand, sodass sie an dem kalten Stein gefangen war.

„Was zum Teufel …“

„Lassen Sie mich los!“ Rhiannon versuchte verzweifelt, sich so weit zu befreien, dass sie den Tennisschläger erneut schwingen konnte. „Ich habe die Polizei angerufen. Sie muss jeden Moment hier sein! Verschwinden Sie also lieber, solange Sie es noch können!“

In Wirklichkeit hatte sie ihr Handy in der Dunkelheit nicht gefunden. Aber das brauchte der Kerl nicht zu wissen.

„Rhiannon?“

Rhiannon hielt unwillkürlich inne, als sie die tiefe, vibrierende Stimme hörte. Der Duft seines Rasierwassers schlug ihr entgegen und reizte ihre Nase. Der zarte Geruch nach Zimt und einem anderen vertrauten Gewürz kam ihr auf Anhieb bekannt vor. Sie hatte ihn selbst nach zehn Jahren nicht vergessen, wie sehr sie sich auch bemühte. Und jetzt war der Kerl in ihrem Haus und hielt sie an der Wand gefangen. Es war der reinste Albtraum.

„Kane.“ Eine Frage war nicht nötig. Sie wusste genau, wen sie vor sich hatte. Sie verstand nur nicht, weshalb. „Was in aller Welt tust du hier?“

Sein warmer Atem fächelte durch ihr Haar und über ihre Stirn, und sein kräftiger Körper presste sich immer noch an sie. Rhiannon verabscheute sich selber dafür, dass sie sich jedes Zentimeters von ihm derart bewusst war, jedes Atemzugs, den er tat, und dass sein Duft unzählige Erinnerungen weckte.

Deshalb wehrte sie sich erneut. „Lass mich los!“

Er rührte sich nicht, und die Spannung zwischen ihnen wurde immer unerträglicher. „Nur wenn du versprichst, nicht wieder mit diesem Ding auf mich einzuschlagen, was immer es ist.“

„Du kannst froh sein, dass ich nichts Größeres gefunden oder nicht tiefer gezielt habe. Du hast mich zu Tode erschreckt. Was fällt dir ein, hier mitten in der Nacht herumzuschleichen? Wie bist du überhaupt hereingekommen? Du hast kein recht, einfach hier hereinzuspazieren und – und …“

Die Belustigung in seiner Stimme war unüberhörbar. „Eine Frau allein im Haus, die es mit jemandem aufnimmt, den sie für einen Einbrecher hält – das ist schon ein Geniestreich. Weshalb sollte ich denn nicht hier sein? Ich war die letzten Jahre mindestens so oft auf Brookfield zu Gast wie du. Kannst du dir nicht denken, dass ich noch einige Sachen hier habe?“

Seine Frage verwirrte sie, und eine leichte Panik bildete sich in ihrer Magengrube. Sie atmete ein paar Mal tief durch und merkte plötzlich, dass sie sich seiner nicht ganz so stark bewusst war, wenn sie sich nicht rührte. Entschlossen holte sie tief Luft und versuchte, ihre Gedanken zu sammeln.

„Brookfield ist jetzt mein Haus. Mattie hat es mir vererbt“, erklärte sie. „Du kannst hier nicht einfach hereinschneien, wenn dir danach ist. Falls du wirklich noch Sachen hier hast, hättest du sie tagsüber abholen oder, besser noch, sie dir schicken lassen können.“ Auf diese Weise wäre sie ihm wenigstens nicht begegnet. „Nochmals: Wie bist du hereingekommen? Bist du eingebrochen? Wenn ja …“

„Ich habe einen Schlüssel.“

Er hatte einen Schlüssel – seit wann?

„Gib ihn mir – sofort!“ Sie blickte zu dem dunklen Kreis hinauf, aus dem sein Gesicht zurzeit bestand. „Und würdest du mich freundlicherweise endlich loslassen?“

Es entstand eine lange Pause, dann trat Kane zurück. Ein kühler Luftzug ersetzte die Hitze seines Körpers, und Rhiannon fröstelte plötzlich. Sie hob ihre freie Hand und rieb sich fröstelnd den Oberarm.

„Also, weshalb bist du hier? Eingeladen habe ich dich garantiert nicht.“

Diesmal zögerte er nur kurz. „Wir müssen miteinander reden.“

Rhiannon sah ihn verblüfft an und ging in Richtung Küche. In der Dunkelheit mit ihm zu reden wäre zu verwirrend. „Wir haben nichts zu bereden. Und selbst wenn: Falls du es noch nicht gemerkt haben solltest, es gibt eine neue Erfindung namens Telefon. Du hättest mich anrufen können, anstatt mich mitten in der Nacht zu Tode zu erschrecken. Dies ist ein Einbruch, Mister.“

„Nicht, wenn man einen Schlüssel besitzt. Hätte ich keine Reifenpanne gehabt, wäre ich früher hier gewesen“, ertönte seine tiefe Stimme hinter ihr, während sie den Tennisschläger an die Wand stellte und nach dem Lichtschalter tastete. „Ich war aus sicherer Quelle unterrichtet worden, dass du erst in einer Woche hierher ziehen würdest.“

Was ging ihn ihr Umzugstermin an? Rhiannon drückte stirnrunzelnd auf den Schalter. Doch nichts geschah. „Es gab keinen Grund, eine weitere Woche zu warten.“

„Ich habe schon versucht, Licht zu machen. Der Strom muss ausgefallen sein.“

Na großartig. Rhiannon trat beiseite, stieß mit der Hüfte an die Kante der Anrichte und keuchte vor Schmerz. Instinktiv wich sie zurück und taumelte gegen Kane, der sofort die Arme hob und sie mit seinen großen Händen hielt.

Sie brauchte unbedingt Licht, um solche zufälligen Körperkontakte mit ihm zu vermeiden. Um ihm in die Augen zu sehen und ihn eindeutig aufzufordern, das Haus auf der Stelle zu verlassen.

Geistesabwesend strich er mit den Fingern über den Seidenstoff ihres Morgenrocks und machte ihr bewusst, wie spärlich sie bekleidet war.

Der Wind peitschte den Regen gegen die Fensterscheiben. „Gibt es hier nicht irgendwo Kerzen?“, fragte Kane ein wenig verärgert mit seinem wohl tönenden Bariton.

„Ja.“ Rhiannon zuckte heftig mit den Schultern und befreite sich aus seinem Griff. Vorsichtig tastete sie sich an der Anrichte entlang, öffnete eine Schublade und suchte blindlings darin. Sie erinnerte sich nicht, dass Kerzen und Streichhölzer zu jenen Dingen gehörten, die sie heute schon ausgepackt hatte. Aber es musste hier einfach Kerzen geben. Ganz bestimmt.

Das jahrhundertealte Brookfield lag mitten in der Wildnis. Dies war garantiert nicht der erste Zusammenbruch des Stromnetzes in einer stürmischen Januarnacht.

Sie hörte, dass Kane sich ebenfalls bewegte. Die nächsten Minuten war nur das Öffnen und Schließen der Schubläden zu hören. Endlich ertasteten ihre Fingerspitzen das Gesuchte.

„Ich habe die Kerzen gefunden!“

Auf der anderen Seite der großen Küche raschelte es ebenfalls. „Und ich habe hier Streichhölzer. Bleib, wo du bist. Ich komme zu dir herüber.“

Rhiannon lehnte sich mit dem Rücken an der Anrichte und wartete mit angehaltenem Atem. Ihre Haut prickelte, während sie versuchte, Kane in der Dunkelheit zu erkennen. Dabei war das gar nicht nötig. Sein Duft ging ihm voran. Deshalb drehte sie sich zu ihm und hielt die Kerze wie einen Miniaturschild vor sich.

„Hier.“

Sie nahm an, dass Kane ihr die Kerze abnehmen würde. Doch es raschelte erneut, und sie musste die Augen schließen gegen das helle Licht, während er die Flamme an den Kerzendocht hielt.

Als sie die Lider wieder öffnete, sah sie sein Gesicht im warmen Kerzenschein. Ja, Kane war älter geworden, ebenso wie sie. Doch sein markantes Gesicht war noch genau so hübsch wie damals. Es war nicht einfach gewesen, dem Mann so lange aus dem Weg zu gehen. Doch bis zu Matties Beerdigung war es ihr irgendwie gelungen. Und dort hatte sie Wichtigeres zu tun gehabt, als nachzusehen, wie er inzwischen aussah. Außerdem war es ihr völlig egal.

Im dämmrigen Licht waren seine Augen so dunkel, dass sie richtig schwarz wirkten und nicht tief saphirblau, wie sie sich erinnerte. Da er sie bei weitem an Körpergröße überragte und den Kopf ein wenig gesenkt hielt, um sie ebenfalls eingehend zu betrachten, konnte sie seine Gedanken nicht lesen. Allerdings hätte sie es an einem strahlenden Sommertag vermutlich auch nicht gekonnt. Sie hatte den Mann damals nicht so gut gekannt, wie sie glaubte, und kannte ihn heute erst recht nicht.

„Sind da noch mehr Kerzen?“

Seine Frage gab Rhiannon einen Grund, sich abzuwenden. Doch es war zu spät, um sein Bild in ihrem Kopf zu löschen. Selbst wenn die letzte Kerze niedergebrannt war, würde sie es immer noch vor Augen haben: sein glänzendes dunkelbraunes Haar, dessen kürzere Strähnen vom Scheitel über seine Stirn fielen, seine dicken Brauen, die sich abwärts zogen, während er ihr Gesicht studierte, die dichten Wimpern, die seine Augen umrahmten, seine gerade Nase und der spöttische Zug an den Winkeln seines sinnlichen Mundes.

Kurz gesagt, sie hatte ein ziemlich detailliertes Bild von Kane. Ein deutlicheres, als ihr lieb war.

Rhiannon hielt die Kerze über die Schublade und suchte nach weiteren Exemplaren. „Also, worum geht es, Kane“, fragte sie kühl. „Je früher ich es weiß, desto schneller kannst du wieder verschwinden.“

„Ich sagte schon, dass wir miteinander reden müssen. Matties Tod hat alles verändert.“

„Wir haben nichts zu besprechen.“ Dafür kam er zehn Jahre zu spät!

„Wir müssen über Brookfield reden.“

Worüber?

„Weshalb?“ Eine weitere Kerze in der Hand, hielt Rhiannon auf halbem Weg aus der Schublade inne und hob den Kopf. „Du hast nichts mit Brookfield zu tun. Mattie hat es mir vermacht.“

„Er hat dir das Haus vermacht.“ Kanes tiefe Stimme verriet nicht das geringste Gefühl, während er die Tatsachen auf den Tisch legte. „Die Ländereien gehören mir. Und das bedeutet, dass wir miteinander reden müssen.“

Was sollte das heißen – die Ländereien gehörten ihm? Herrenhaus und Ländereien gehörten seit Generationen zusammen. So heikel die Aufgabe war, beides allein zu übernehmen, Rhiannon war mit einer Begeisterung daran gegangen wie seit Jahren nicht mehr. Sie hatte es als Herausforderung betrachtet, in die sie ihr ganzes Herzblut legen konnte, um nicht nur ein Heim, sondern auch eine Zukunft für Lizzie und sich zu schaffen.

Lizzie! Erschrocken blickte sie nach oben. Kane durfte keine weitere Sekunde mit Lizzie unter einem Dach bleiben.

Er deutete ihren Blick richtig. „Schläft sie?“

Verdammt! Sie wollte sich nicht auf eine Diskussion über ihr Kind einlassen. Nicht mit ihm. „Was soll das heißen – die Ländereien gehören dir?“

Er zuckte mit den Schultern. Regentropfen funkelten im sanften Kerzenschein auf seiner Jacke. „Mattie hat sie mir vor einem Jahr verkauft.“

„Weshalb?“, fragte Rhiannon ungläubig. „Mattie hat dieses Anwesen geliebt. Er hätte es niemals mit jemandem geteilt, solange er noch lebte.“

„Nein, unter normalen Umständen nicht.“ Kane streckte seine große Hand aus und drehte ihre Hand so, dass er die zweite Kerze ebenfalls anzünden konnte. Er konzentrierte sich völlig auf diese Aufgabe, während er in einem leisen, beinahe verführerischen Ton fortfuhr: „Leider hatte er sich mit dem Anwesen und all den Therapien, um wieder gesund zu werden, restlos übernommen. Ein Darlehen wollte er nicht annehmen. Deshalb kaufte ich ihm seine Anteile an meiner Firma und die Ländereien unter dem Vorbehalt ab, sie niemals ohne das Haus weiterzuverkaufen.“

Oh nein, dies war ein Albtraum. Kane glaubte doch nicht, dass sie in der Lage wäre, ihm die Ländereien abzukaufen.

„Ich bin bereit, dir ein Angebot für das Haus zu machen.“

Rhiannon sah ihn mit offenem Mund an und merkte plötzlich, dass er die Finger immer noch oben um ihre Kerze geschlossen hatte. Wütend schob sie ihm die andere Kerze hin. Heißes Wachs tropfte auf ihren Handrücken, und sie keuchte leise.

Kane runzelte die Stirn. „Wir brauchen einen Untersetzer für die Kerze.“

„Um mitten in der Nacht eine geschäftliche Besprechung zu führen?“ Sie schüttelte ihre verbrannte Hand, um den stechenden Schmerz zu lindern. Das gab ihr ein wenig Zeit, ihre wirren Gefühle zu ordnen und einen klaren Gedanken zu fassen. Doch alles, was ihr einfiel, war: Sie war noch keine vierundzwanzig Stunden auf Brookfield und steckte schon in Schwierigkeiten.

Und wie bei allen großen Schwierigkeiten, die sie bisher durchgemacht hatte, war Kane Healey erneut mit von der Partie.

„Ich hatte nicht die Absicht, mitten in der Nacht mit dir darüber zu reden. Du hättest noch gar nicht hier sein sollen. Ich habe für morgen einen Makler bestellt, um konkrete Zahlen zu erhalten.“

„Hinter meinem Rücken?“

Er zuckte mit den Schultern. „Wenn ich dir Zahlen vorlegen könnte, hättest du eine bessere Grundlage für deine Preisentscheidung.“

„Ich bin gerade hier eingezogen und habe nicht vor, das Haus wieder zu verlassen.“ Außerdem hatte sie ihre Stellung aufgegeben und Lizzie von der Schule genommen – weg von ihren Freundinnen und ihrer vertrauten Umgebung. Das konnte sie ihrer Tochter unmöglich noch einmal zumuten.

„Du kannst ein Haus von dieser Größe nicht unterhalten.“

„Sag mir nicht, was ich kann und was ich nicht kann!“

Kane griff über ihre Schulter nach einer Untertasse. Mit seinen dunklen Augen beobachtete er, wie sie zurückzuckte und mit der Hand die Aufschläge ihres seidigen Morgenrocks zusammenhielt.

Die Begegnung lief nicht so, wie er es geplant hatte. Aber tat es das jemals, wenn es Rhiannon MacNally betraf?

Ganz gleich, was sie denken mochte: Er tat dies nicht, um ihr das Leben schwer zu machen. Er war vermutlich der letzte Mensch, mit dem sie verhandeln oder gar zu einer Partnerschaft gezwungen werden wollte. Schließlich hatte sie ihm all die Jahre mehr als deutlich gemacht, dass sie nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte.

Andererseits war er ziemlich sicher, dass sie nicht genügend Mittel besaß, um ihm die Ländereien abzukaufen. Deshalb machte es Sinn, wenn er ihr den Verkauf des Hauses vorschlug. Anschließend konnte sie mit dem Geld machen, was sie wollte, und hätte nichts mehr mit ihm zu tun. Es war ganz einfach.

Außer dass es jetzt schon komplizierter war, als er sich vorgestellt hatte. Erst hatte sie ihm – wie er jetzt wusste – einen Tennisschläger in den Bauch gerammt, und anschließend hatte er ihren weichen Körper an sich gepresst. Und das hatte Erinnerungen in ihm geweckt, die für immer verborgen bleiben sollten.

Rhiannon sah einfach fantastisch aus im sanften Kerzenschein.

Das intime Licht hob die feinen roten Strähnen ihres Haars hervor und ließ ihre rehbraunen Augen funkeln, wenn sie unter ihren langen Wimpern zu ihm aufsah. Es umgab ihren Kopf mit einem Lichtkranz, der sie noch weicher und weiblicher machte, als sie ohnehin schon war mit ihren kaum verborgenen Kurven unter der fließenden rosa Seide.

Was das betraf, war sie ihm immer schon gefährlich gewesen.

Kane wandte den Blick ab und ließ so viel Wachs auf die Untertasse tropfen, dass die Kerze nach dem Auskühlen aufrecht darin stehen konnte. Wahrend der Wind erneut den Regen gegen die Scheiben trieb, holte er tief Luft und sah Rhiannon wieder an.

„Es ist spät. Wir reden morgen weiter.“

Sie riss erschrocken die Augen auf. „Du kannst hier nicht übernachten.“

Es war zum Verzweifeln. „Es ist ein sehr großes Haus, Rhiannon. Du wirst nicht einmal merken, dass ich hier bin, bis du mich beim Frühstück siehst.“ Er lächelte spöttisch. „Ich verspreche dir hoch und heilig, dass ich dich nicht noch einmal im Dunkeln erschrecken werde.“

„Ich will dich nicht beim Frühstück sehen. Wenn wir etwas zu besprechen haben, kannst du wiederkommen, wenn Lizzie in der Schule ist.“ Sie richtete erneut den Blick nach oben. „Es ist alles schon verwirrend genug, ohne dass meine Tochter ein Dutzend Fragen über dich stellt.“

Eine schwache Ausrede, für seinen Geschmack. „Dann werde ich eben mit dem Frühstück warten, bis sie außer Haus ist. Kurz darauf kommt der Makler, und anschließend können wir reden. Hier sind weit und breit weder ein Hotel noch ein Motel.“

„Es gibt nichts zu bereden“, stieß Rhiannon hervor und sah aus, als geriete sie jeden Moment in Panik.

Kane verstand nicht, weshalb.

„Doch, das gibt es.“ Er atmete tief durch, um die Geduld nicht zu verlieren, und beugte sich näher zu ihr. „Ob es dir gefällt oder nicht: Das Haus und die Ländereien gehören zusammen. Wenn du das Haus nicht verkaufen willst und kein Geld hast, um die Ländereien zurückzukaufen, werden wir beide Partner. Und das bedeutet, dass wir einiges zu besprechen haben.“

Sie kniff ihre großen Augen leicht zusammen, und ihre Stimme wurde eisig. „Ich würde mir eher die Hand abhacken, als eine Partnerschaft mit dir einzugehen“, erklärte sie ruhig.

Er zog eine dunkle Braue in die Höhe. „Erneut einzugehen, meinst du.“ Sein Blick fiel auf ihre Wangen, die sich sofort röteten. Er legte den Kopf auf die Seite und fuhr fort: „Unsere letzte ‚Partnerschaft‘ war gar nicht so übel, meinst du nicht auch?“

„Oh, du bist so ein kompletter …“

„Na, na. Das ist wohl kaum die richtige Sprache für die neue Lady des Herrenhauses.“

Ihre Augen blitzten vor Zorn, und Kane lächelte wissend. Rhiannon sah aus, als würde sie ihm am liebsten ins Gesicht schlagen.

Im nächsten Moment hatte sie sich wieder unter Kontrolle. Ihre Brüste hoben und senkten sich heftig, während sie tief Luft holte, um sich zu beruhigen. Sie konzentrierte sich auf seinen Oberkörper und erklärte steif: „Ich will nicht mitten in der Nacht darüber reden. Verstanden?“ Entschlossen ging sie um ihn herum zur Tür. „Schlaf meinetwegen, wo du willst. Aber sorg unbedingt dafür, dass Lizzie dich nicht zu Gesicht bekommt. Sie hat keine Ahnung, wer du bist, und ich möchte, dass es so bleibt.“

Kane sah ihr nach und konnte seine Bitterkeit nicht ganz verbergen. „Weshalb sollte es mir etwas ausmachen, ob sie weiß, wer ich bin oder nicht? Ich habe nichts mit ihr zu tun.“

Rhiannon fluchte stumm. Auf der Schwelle drehte sie sich noch einmal um, und ihre Augen funkelten im Kerzenschein. „Dies ist der erste Punkt seit langer Zeit, in dem ich voll und ganz mit dir übereinstimme. Halt dich von meiner Tochter fern, Kane Healey. Es ist mir ernst. Sie wird nie und nimmer erfahren, was für ein elender Kerl du bist.“

Was in aller Welt meinte Rhiannon? Bevor Kane sie fragen konnte, war sie verschwunden. Er folgte ihr nicht, obwohl er die Zähne zusammenbeißen musste und wütender war als seit sehr, sehr langer Zeit.

Hätte er nur einen Funken Verstand, würde er die Verhandlungen über einen Anwalt laufen lassen. Aber er wollte – ja, was wollte er eigentlich?

Eines war gewiss: Je schneller er von hier verschwand, desto besser.

2. KAPITEL

„Also, Mum, bekomme ich ein Pony? Und vielleicht auch einen Hund?“

Rhiannon lächelte liebevoll zu ihrer Tochter hinab, während sie über den knirschenden Kies zu ihrem Jeep gingen. Lizzie hatte ihre Nervosität wegen des ersten Tags in ihrer neuen Schule hinter einem ständigen Geschnatter während des Frühstücks verborgen. Rhiannon hatte sie drängen müssen, damit sie außer Haus waren, bevor Kane von seinem Schlafplatz erschien, wo immer der gewesen sein mochte.

„Wie wäre es, wenn wir uns erst einmal ordentlich einrichteten, bevor wir hier einen Zoo aufnehmen?“ Obwohl ein Hund nach dem Abenteuer der letzten Nacht keine schlechte Idee wäre. Ein Tier mit einer handlichen Größe und einer tiefen, Angst einflößenden Stimme, das unten in der Küche schlafen konnte.

„Wem gehört denn das Auto da?“

Rhiannon bekam einen gewaltigen Schreck und legte die Hand auf den Griff des Jeeps. Sie setzte ein breites Lächeln auf und blickte zu dem schnittigen niedrigen Sportwagen, der hinter der Hausecke hervorschaute. Kane musste von der Rückseite ins Haus gekommen sein.

„Er gehört einem Freund von Onkel Mattie.“ Das war zumindest keine Lüge. Kane war tatsächlich Matties Freund gewesen, vor allem die letzten Jahre.

Lizzie sah ihre Mutter verwirrt an. „Er ist im Haus? Weshalb ist er nicht zum Frühstück gekommen. Kann ich ihn nach der Schule sehen?“

Nicht, wenn es nach ihrer Mutter ging. „Nein, dann wird er schon wieder fort sein. Er wusste nicht, dass wir schon eingezogen sind.“

Lizzie blickte mit ihren blauen Augen neugierig drein. „Wie ist er? Kann er nicht bleiben, bis ich zurück bin? Wir könnten über Onkel Mattie reden. Das wäre sehr schön.“

Rhiannons Herz zog sich schmerzlich zusammen. Natürlich wollte Lizzie diesen Freund kennenlernen, der ihren Lieblingsonkel gut gekannt hatte. Sie hatte ihre Tochter immer ermutigt, über ihren Onkel zu reden. Aber bitte nicht mit Kane!

„Er ist sehr beschäftigt. Ich bin sicher, dass er schon fort sein wird, wenn du zurückkommst.“ Das enttäuschte Gesicht ihrer Tochter verdoppelte ihr schlechtes Gewissen. „Wie wäre es, wenn wir uns heute Nachmittag Fotos von Onkel Mattie ansehen und überlegen, welche wir an die Wand der Bibliothek hängen können?“

Lizzies Gesicht hellte sich ein wenig auf, und sie nickte mit dem Kopf. Ihr langer schokoladenbrauner Pferdeschwanz wippte auf und ab. „Okay.“

„Dann lass uns jetzt zur Schule fahren.“

Erst als Lizzie in ihrem neuen Klassenzimmer saß, kehrten Rhiannons Gedanken zu dem zurück, was sie auf Brookfield erwartete.

Die letzte Nacht hatte sie sich ruhelos hin und her gewälzt und auf irgendwelche Geräusche von Kane gehorcht. Ihre Gedanken hatten sich beinahe überschlagen, während sie verzweifelt versuchte, mit ihrem Hass fertig zu werden, der wie Feuer in ihrem Magen brannte, und nach einer raschen Lösung für das Problem suchte, das dieser Mann für sie bedeutete.

Hätte sie besser geschlafen, wären ihr vielleicht ein oder zwei Möglichkeiten eingefallen. Ein erholsamer Schlaf ohne ständige Träume über die Vergangenheit wäre ebenfalls hilfreich gewesen.

Verärgert fasste Rhiannon das Lenkrad fester und bog durch das gewaltige schmiedeeiserne Tor, das den Eingang von Brookfield markierte.

Der Besitz von Brookfield mit seinen riesigen Ländereien, die bestellt werden wollten, sollte Lizzie und ihr helfen, ihre tiefe Trauer über Matties Tod zu überwinden. Er sollte ihnen die Möglichkeit geben, nach vorn zu blicken und nicht zurück, und dabei niemals den einzigen Menschen zu vergessen, der ihnen geholfen hatte, als sie es am dringendsten brauchten.

Endlich hatten sie eine echte Chance für die Zukunft – Lizzie und sie gegen die ganze Welt.

Nachdem sie das Tor durchquert hatte, fuhr Rhiannon eine lange Allee mit hohen skelettartigen Bäumen entlang, die erst im Frühling wieder Blätter tragen würden. Die Bitterkeit in Kanes Stimme fiel ihr ein, als er sie fragte, weshalb es ihm etwas ausmachen sollte, ob Lizzie wusste, wer er war oder nicht.

Er musste verschwunden sein, bevor ihre Tochter aus der Schule zurückkehrte. Das stand fest.

Obwohl ein kleiner reuiger Teil von ihr einen Moment überlegte, dass es ihm vielleicht …

Die Bäume lichteten sich und ermöglichten einen Blick auf den See und das eindrucksvolle Haus dahinter. Brookfield.

Rhiannon hatte ihr ganzes junges Leben in einem Mietshaus in einem ärmeren Viertel von Dublin verbracht und hätte von solch einem Anwesen höchstens träumen können. Sie erinnerte sich sehr gut an das erste Wochenende, als Mattie sie zu seiner „kleinen Hütte auf dem Land“ mitgenommen hatte. Die Vorfahrt auf dem breiten Kiesbett vor dem dreistöckigen Herrenhaus aus dem neunzehnten Jahrhundert, während die Sonne gerade hinter einer Wolke hervorkam und sich in den Dutzenden von kleinen Bleiglasfenstern spiegelte, war ihr wie eine Heimkehr erschienen. Sie hatte immer noch diese Wirkung, obwohl der Ort ohne den besten Freund, der sie an der Tür begrüßte, sie mit Einsamkeit erfüllte. Und mit einer wachsenden Verärgerung darüber, dass Kane hier war und Mattie hatte gehen müssen.

Sie würde sich das Haus nicht von ihm nehmen lassen. Sie musste eine Möglichkeit finden, es ohne die Ländereien zu halten.

Seufzend zog Rhiannon die Handbremse an und löste ihren Sicherheitsgurt.

Nur ihre hallenden Schritte auf dem Schieferboden waren zu hören, als sie das Haus betrat.

Sie lief den Flur hinab und blickte durch die offenen Türen: in den Salon, das Esszimmer, das Wohnzimmer, das Spielzimmer und zuletzt in die riesige Küche, wo sie mit der Hand über die ziemlich zerkratzte Platte des riesigen Holztisches strich, während sie zur anderen Seite ging.

Wo in aller Welt war Kane?

Erschöpft hob sie die Hand und massierte ihre Nackenmuskeln. Plötzlich begann ihre Haut zu prickeln, und sie spürte seine Anwesenheit, bevor er mit seiner tiefen Stimme so nahe hinter ihr sprach, dass sie zusammenzuckte.

„Immer noch müde von der langen Fahrt gestern?“

Rhiannon ließ die Hand fallen. „Ja.“

„Ist deine alte Wohnung schon ausgeräumt?“

„Ja.“

„Ich wette, das hast du ebenfalls allein erledigt.“

„Schließlich musste ich wissen, wo alles war, damit ich es hier sofort finden konnte.“ Auf solch einen Smalltalk mit ihm konnte sie wirklich verzichten.

Er ging an ihr vorüber und warf ihr einen kurzen Seitenblick zu. „Das klingt vernünftig. Trotzdem hatte ich angenommen, dass Stephen dir helfen würde.“

Rhiannon war nicht bereit, über ihre kurze verheerende Ehe zu reden. Deshalb machte sie Nägel mit Köpfen. „Bringen wir es hinter uns, Kane. Ich werde dir das Haus nicht verkaufen.“

„Ja, das sagtest du bereits.“ Er lächelte unverschämt. Doch bevor sie reagieren konnte, zeigte er auf den großen Holzherd, der die Küche heizte. „Kaffee?“

Rhiannon stöhnte stumm und setzte ihr reizendstes Lächeln auf. „Bitte sehr. Fühl dich wie zu Hause.“

„Das werde ich. Möchtest du auch eine Tasse?“

Das könnte ihm so passen. „Nein danke. Ich habe bereits gefrühstückt.“

„Ja, mit Lizzie. Es muss ein großer Tag für sie sein – der erste in einer neuen Schule.“ Er sah sie mit seinen blauen Augen forschend an, als könnte er direkt in ihr Herz blicken, und sie richtete sich unwillkürlich auf.

„Das geht dich absolut nichts an, verstanden?“

Er stutzte kurz, verschränkte die Arme vor der Brust und betrachtete sie nachdenklich. Gerade als sie den Mund öffnen und etwas hinzufügen wollte, antwortete er leise: „Du hast ein echtes Problem, wenn du ihretwegen ständig auf die Barrikaden gehst. Ist dir das klar?“

Rhiannon verschränkte ebenfalls die Arme und sah ihn erbost an. „Und ich frage mich, weshalb das so ist.“

„Sag es mir.“

Der Mann war einfach unmöglich. In ihren Augen war er das personifizierte Übel, auch ohne die Äußerlichkeit, dass er von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet war – ein dicker schwarzer Pullover mit Polokragen, schwarze Jeans und zweifellos auch schwarze Schuhe.

Außerstande seinen Anblick noch eine Sekunde länger zu ertragen, löste sie ihre Arme wieder, stützte die Hände flach auf den Tisch und beugte sich vor.

„Ich möchte, dass du gehst. Alles, was du wegen des Zugangs zu deinem Land oder der Benutzung meiner Außengebäude mit mir zu besprechen hast, kann über einen Anwalt erfolgen.“

Sein leichtes Lächeln war alles andere als warm. „Deine Reaktion ist ein bisschen übertrieben, findest du nicht? Du hast keinen Grund, so kindisch zu sein. Nur weil ich einen empfindlichen Nerv getroffen habe, als ich deine übertriebene Fürsorge gegenüber deiner Tochter erwähnte …“

Rhiannon öffnete verblüfft den Mund, weil er das Thema erneut anschnitt. Sie und kindisch? Oder überfürsorglich?

Wütend sah sie ihn an und stieß mit zusammengebissenen Zähnen hervor: „Ich bin nur übermäßig fürsorglich, wenn es darum geht, meine Tochter von dir fernzuhalten. Zu deiner Information, ich bin sehr schnell erwachsen geworden. Mutterschaft bringt so etwas mit sich.“

„Zwangsläufig, wenn man so jung ein Baby bekommt“, erklärte er derart ruhig, dass Rhiannon ihn am liebsten geohrfeigt hätte.

Nie hätte sie gedacht, dass sie einen Menschen so verabscheuen könnte!

„Geh endlich, Kane. Geh und komm nie wieder zurück. Ich werde nicht zulassen, dass du Lizzie wehtust. Denk gar nicht erst daran, nach so langer Zeit plötzlich den Vater spielen zu wollen.“

Kanes heftiger Fluch ließ sie verstummen.

„Weshalb zum Teufel sollte ich den Vater spielen wollen?“ Er stemmte seine großen Hände in die Seiten. „Lizzie hat einen Vater“, fügte er mit schneidender Stimme hinzu.

„Von wegen! Ihr Vater wollte schon vor ihrer Geburt nichts mit ihr zu tun haben.“

Kane sah sie finster an. „Immerhin hat er dich geheiratet, nicht wahr? Ich würde sagen, das beweist, dass er etwas mit ihr zu tun haben wollte.“

Rhiannon stockte der Atem. Ihre Brust krampfte sich zusammen, und sie wich zurück, als hätte Kane sie mit unsichtbarer Hand geschlagen.

„Das hast du dir gesagt?“ Verwundert schüttelte sie den Kopf und staunte nicht nur über seine Worte, sondern auch über die Tatsache, dass diese ihr immer noch wehtun konnten. „Dass sie das Kind eines anderen Mannes ist? Du bist wirklich ein seltsamer Mensch.“

Zum ersten Mal schienen ihre Worte ihn zu verwirren. „Wovon in aller Welt redest du?“

Gespannte Stille breitete sich aus, während er Rhiannon finster ansah. Sie zitterte vor Verärgerung und unterdrücktem Zorn. Als die alte Glocke über der Tür hinter ihr läutete, zuckte sie heftig zusammen und blickte auf das kleine Messingschild mit der Aufschrift „Hauseingang“.

„Das wird der Makler sein“, erklärte er.

„Sehr gut. Dann kannst du die Angelegenheit gleich an der Tür erledigen. Der Mann braucht sich das Haus gar nicht erst anzusehen, denn es ist nicht zu verkaufen!“

Sie war schon halb durch den Flur zur Bibliothek, als Kane ihr den Weg verstellte und sie festhielt. Er schloss seine langen Finger um ihren Oberarm und warnte sie stumm, keinen Schritt weiter zu gehen, weil er noch nicht mit ihr fertig war. Seine Hitze drang durch ihre Haut und strahlte in ihr fröstelndes Blut.

„Was soll das heißen – das Kind eines anderen Mannes?“

Rhiannon musste den Kopf zurücklegen, um ihm ins Gesicht zu sehen. Sie versuchte gar nicht erst, das Gift zu verbergen, das in ihr schwelte. „Es ist mir völlig egal, was du dir eingeredet hast, um dein Gewissen zu beruhigen“, zischte sie. „Tatsache ist, dass du schon vor langer Zeit jedes Recht an Lizzie verwirkt hast. Dass du jetzt unter einem Vorwand hier aufgetaucht bist, um festzustellen, was aus ihr geworden ist, ändert nichts daran. Ich habe alles in meiner Macht Stehende getan, dass sie keine Ahnung hat, wer du bist. Also halt dich von ihr fern. Denn eines schwöre ich dir: Wenn du ihr wehtust, bringe ich dich um. Sie braucht nicht zu wissen, was für eine Enttäuschung ihr Vater ist.“

Der Griff um ihren Arm verstärkte sich. „Willst du mir sagen, dass Lizzie meine Tochter ist?“

Rhiannon fluchte stumm und versuchte, ihren Arm zu befreien. „Lass mich los, Kane!“

„Willst du mir sagen, dass sie mein Kind ist?“

Sie wehrte sich erneut, und ihr Blick glitt zu der Stelle, wo er sie hielt. Wie konnte Kane es wagen, seine Körperkraft zu ausnutzen, um ihr seine Überlegenheit zu beweisen? Und wie konnte ihr verräterischer Körper es wagen, trotzdem derart zu brennen …

„Rhiannon!“ Der Ton seiner Stimme veränderte sich und enthielt plötzlich etwas, das beinahe wie Hoffnung in ihren Ohren klang.

Ihr Blick glitt zurück zu seinem Gesicht, und sie erschrak bis ins Mark.

„Natürlich ist das Kind von dir.“ Verwundert schüttelte sie den Kopf. „Das hast du doch gewusst. Ich hatte es dir in meinem Brief mehr als klargemacht.“

„In welchem Brief?“

3. KAPITEL

Rhiannon lehnte mit dem Rücken am Holzrahmen auf der Schwelle zur Bibliothek und versuchte zu begreifen, was geschehen war. Kane hatte ausgesehen, als hätte er tatsächlich keine Ahnung gehabt, dass Lizzie seine Tochter war. Mehr noch, als wäre ihm die Nachricht furchtbar nahegegangen.

Aber das konnte unmöglich stimmen. Wie hätte er nichts gewusst haben können?

Andererseits war sein Blick so unverstellt, so echt gewesen, dass sich die Wahrheit kaum leugnen ließ. Dabei hatte sie immer geglaubt …

Nein, nicht geglaubt: gewusst. Kane musste sich seine Sicht der Dinge eingeredet haben, um nachts besser schlafen zu können.

Rhiannon wollte gehen, doch seine Stimme hielt sie zurück.

„Oh nein, du bleibst hier. Mir scheint, wir beide müssen uns sehr ausführlich unterhalten.“

Kane kam mit so entschlossener Miene näher, dass ihre Nerven zu flattern begannen.

„Was ist mit dem Makler?“

„Ich werde einen neuen Termin mit ihm ausmachen. Das hat Zeit. Dies dagegen nicht.“

Rhiannon wollte nicht mit ihm reden. Es war alles völlig absurd und viel zu viel, um es zu begreifen. Plötzlich war sie furchtbar müde.

„Gehen wir ins Wohnzimmer“, forderte Kane sie auf. „Ich habe nicht die Absicht, auf dem Flur zu stehen, bis das Thema ausdiskutiert ist.“

Was fiel ihm ein? Wollte er sie in ihrem eigenen Haus herumkommandieren?

Entschlossen hob sie den Kopf, ging an ihm vorüber und achtete sorgfältig darauf, ihn nicht zu berühren. „Wir werden ins Kaminzimmer gehen. Dort sind wir ungestörter, falls ich erneut mit dir streiten muss.“

Aus diesem Raum an der Ecke des Hauses, mit seinen dicken Steinwänden aus der Zeit, als das Leben auf der befestigten Farm eben erst begann, würden die Geräusche nicht so leicht herausdringen. Es fehlte noch, dass ihre Stundenhilfe oder ein zufälliger Besucher vom Gut die schmutzige Wäsche aus ihrer Vergangenheit mit anhörte.

Leider war der große Kamin seit Monaten nicht angezündet worden. Deshalb war der Raum ziemlich kühl – ein Segen an den wenigen heißen Tagen. Jetzt hätte Rhiannon dagegen ein bisschen Wärme gebraucht.

Vor dem kalten Kamin blieb sie stehen und beobachtete argwöhnisch, wie Kane die niedrige Tür hinter sich schloss. Er warf ihr einen gereizten Blick zu, ging zu den hoch liegenden Fenstern, die auf den Garten zeigten, und begann, nervös auf und ab zu laufen. Der Zorn strahlte aus jeder Pore seines kräftigen Körpers.

Rhiannon rührte sich nicht und wartete. Welche Taktik würde er als nächste anwenden? Gleichzeitig wurde ihr bewusst, wie geschmeidig er sich immer noch bewegte – mit kontrollierter innerer Kraft und einer Präsenz, die wortlos Aufmerksamkeit verlangte.

„Erzählt mir von diesem angeblichen Brief, den du mir geschickt hast“, forderte er sie auf.

„Angeblicher Brief? Das soll wohl ein Scherz sein.“

Kane blieb stehen und legte spöttisch den Kopf auf die Seite. „Sehe ich aus, als würde ich scherzen?“

Nun, das nicht. Aber … „Du weißt genau, von welchem Brief ich rede! Wenn überhaupt, dann geht es hier darum, weshalb du nicht wenigstens die Höflichkeit hattest, ihn zu beantworten. Und sei es nur, um mir mitzuteilen, dass du das Kind nicht wolltest.“

Er schimpfte so heftig, dass Rhiannon instinktiv zurückwich. Im selben Moment bereute sie ihre Worte. Kane durfte auf keinen Fall den Eindruck bekommen, dass ihr sein damaliges Verhalten immer noch nicht gleichgültig wäre. Dabei hatte sie längst aufgehört, sich Gedanken darüber zu machen.

„Glaubst du wirklich, dass ich so etwas getan hätte?“

„Woher soll ich das wissen? Mir wurde damals eindeutig klar, dass ich dich überhaupt nicht kannte.“

Jetzt hatte es schon wieder geklungen, als würde es ihr etwas ausmachen.

Kane warf ihr einen weiteren finsteren Blick zu und stützte seine großen Hände auf die Lehne des Sofas, das zwischen ihnen stand. Er holte tief Luft, sah einen Moment durch den Raum, ließ die Lehne wieder los und begann erneut, auf und ab zu laufen. Immer auf und ab.

Schließlich hob er eine Hand, strich mit seinen langen Fingern durch sein dichtes Haar und legte den Kopf zurück, als suchte er etwas an der niedrigen gewölbten Decke.

„Und wohin hast du den Brief geschickt?“

Nicht dass er eine Antwort verdient hätte. Trotzdem sagte Rhiannon: „Ich habe ihn persönlich in dein Schließfach in der Universität gelegt – oben durch den Türspalt geschoben, um es genau zu sagen. Die Ausrede: ‚Er ging auf dem Postweg verloren‘ gilt in diesem Fall also nicht. Du musstest dein Schließfach zwangsläufig leeren.“

Sie holte erneut tief Luft, und ihre Schultern sanken nach vorn. Die unendliche Erschöpfung drückte sie wie eine schwere Last. „Aber das ist längst Geschichte. Welche Gründe du auch hattest, Lizzie nicht kennenzulernen: Es interessiert mich nicht mehr. Wichtig ist allein, dass sie hier und heute nicht verletzt wird.“

Kane blieb stehen und runzelte die Stirn. Plötzlich glätteten sich seine Falten, und ein verlorener Blick trat in seine Augen.

„Jetzt wird mir alles klar: Ich hatte jemand anders gebeten, mein Schließfach zu räumen, bevor ich ging“, erklärte er. „Ich sagte ihm, dass nichts darin wäre, was ich noch brauchte. Er könnte die Bücher behalten, wenn er wollte, und den Rest vernichten.“

Rhiannon versuchte sich trotz ihrer Erschöpfung zu konzentrieren. Ungläubig sah sie Kane an. „Willst du mir jetzt nach zehn Jahren ernsthaft weismachen, dass du meinen Brief nie erhalten hast? Dir sind schon bessere Ausreden eingefallen.“

Er sah sie erneut wütend an.

„Genau das hast du eben gesagt“, verteidigte sie sich und wiederholte ungläubig seine Worte. Aber wenn er den Brief wirklich nicht erhalten hatte … Nein, das war nicht möglich. Sie war immer davon ausgegangen …

Diesen Brief, über dessen Wortlaut sie tagelang gebrütet hatte; um den sie die Finger gekrallt hatte, während sie vor dem Schließfach stand und sich zwingen musste, ihn einzuwerfen; den Kane einfach ignoriert hatte und der den Grundstein für ihre Verärgerung und jenen Hass gelegt hatte, den sie seit mehr als zehn Jahren im Herzen trug – diesen Brief hätte er nie erhalten?

„Ist dir nie der Gedanke gekommen, dass ich den Brief nicht erhalten haben könnte, als ich nicht antwortete?“

Rhiannon runzelte die Stirn bei seiner Frage. Die Kälte im Raum drang bis in ihre müden Knochen, und sie zitterte innerlich. Erschöpft setzte sie sich in den großen Polstersessel nahe dem Kamin und faltete ihre kalten Finger auf dem Schoß.

„Vielleicht einen sehr kurzen Augenblick“, gab sie widerstrebend zu. „Aber wegen der Art und Weise, wie du einfach vom Erdboden verschwunden warst …“

„… warst du der Meinung, dass du dir genügend Mühe gegeben hättest, und wünschtest mich kurzerhand zum Teufel?“

„Nein!“ Sie starrte in seine blitzenden Augen und war nicht gewillt, nur einen Moment zu überlegen, ob sie vielleicht einen Fehler begangen hatte. „Du warst derjenige, der über Nacht eine Persönlichkeitsveränderung durchgemacht hatte und anschließend verschwunden war. Glaubst du etwa, ich wäre mit achtzehn und der Aussicht auf einen gut bezahlten Beruf in naher Zukunft freiwillig bereit gewesen, ein Baby allein aufzuziehen? Überleg mal!“

„Trotzdem hast du Lizzie bekommen.“

Eine andere Lösung war für Rhiannon niemals infrage gekommen. Nicht weil das Baby auch ein Teil von Kane war oder weil sie auf irgendeine Weise mit ihm in Verbindung bleiben wollte. Dafür waren sie nicht lange genug zusammen gewesen.

Nein, von dem Augenblick an, als der Schwangerschaftstest sich blau färbte, war Lizzie ein Teil von ihr gewesen. Und sie hatte ihr Bestes getan, um den anderen Teil, von dem ihr hübsches Kind stammte, einfach zu vergessen.

„Du hattest schon vorher keinen Zweifel daran gelassen, dass du dich nicht binden wolltest – an nichts und niemand. Als du nicht auf meinen Brief antwortetest, nahm ich an, dass du nichts mit dem Baby zu tun haben wolltest. Diese Schlussfolgerung kann dich kaum überraschen. Außerdem war ich nicht bereit, hinter dir herzulaufen und dich um Unterstützung zu bitten. Ich hatte beschlossen, das Baby zu bekommen. Also war ich für seinen Unterhalt verantwortlich.“

Das war eine stark verkürzte Version, und sie schien Kane nicht zu befriedigen. Er sah Rhiannon ungläubig an, als könnte er ihr Verhalten beim besten Willen nicht verstehen.

„Als Vater hatte ich gewisse Rechte und habe sie immer noch.“

Ihr Zittern nahm zu. „Was soll das heißen – du hast sie immer noch?“

„Wenn Lizzie mein Kind ist … Du hast schon zehn Jahre mit ihr allein verbracht.“

Sie würde niemals … Er konnte unmöglich einfach kommen und …

Als Rhiannon endlich wieder einen Ton herausbekam, klang ihre Stimme so kleinlaut wie nie zuvor.

„Ich lasse mir Lizzie nicht von dir wegnehmen.“ Mit Geld konnten manche Leute praktisch alles erreichen, das war ihr klar. Trotzdem würde sie bis zum letzten Atemzug um ihre Tochter kämpfen.

Kane fluchte erneut. „Für welche Art von Mann hältst du mich? Natürlich werde ich das Kind nicht von seiner Mutter trennen! Aber ich habe das Recht, einige Zeit mit meiner Tochter zu verbringen, ein Teil ihres Lebens zu sein. Und dieses Recht hast du mir genommen. Ich begreife nicht, dass dir keine Sekunde der Gedanke gekommen ist, ich würde furchtbar wütend darüber sein.“

Rhiannon legte die Arme fest um ihren Körper, als könnte sie so das innere Zittern beseitigen. „Du wusstest, dass ich ein Baby hatte“, sagte sie und sah ihn fest an. „Man kann dir vieles vorwerfen, aber dumm bist du nicht. Gewiss konntest du nachrechnen?“

Sein Kinn wurde hart. „Du hast Stephen geheiratet.“

„Und du hast daraus geschlossen, dass Lizzie sein Kind wäre?“

„Offensichtlich bin ich nicht als Einziger zu diesem Schluss gekommen.“

Na, wunderbar. Sie waren zwar nicht bis über beide Ohren verliebt gewesen. Doch deshalb automatisch anzunehmen, dass sie unmittelbar nach ihrer Trennung mit jemand anderem ins Bett gegangen war … Schlimmer noch, vielleicht sogar zur gleichen Zeit wie mit ihm … Das sagte mehr als deutlich, was er von ihr hielt. Wahrscheinlich glaubte er angesichts ihrer Herkunft sogar, dass ihr jeder reiche Mann recht gewesen wäre.

Rhiannon hielt es keine Sekunde länger gemeinsam mit Kane im selben Raum aus. Sie ließ ihre Arme seitlich fallen und richtete sich so hoch auf, wie es mit ihren eins siebzig möglich war. „Nun, wenn du dir so sicher bist, was für eine Frau ich bin, habe ich mich hinsichtlich Lizzies Vater vielleicht geirrt und sollte die lange Liste der Männer noch einmal durchgehen, mit denen ich damals geschlafen habe. Meinst du nicht auch?“ Entschlossen wandte sie sich ab.

Im nächsten Moment hatte er ihren Unterarm gefasst. Er zog nur einmal daran, doch es genügte, damit sie vor Schreck über seine heiße Hand auf ihrer kühlen Haut das Gleichgewicht verlor und an seinen festen Körper taumelte.

Erneut!

Ganz gleich, was sie tat. Es schien immer damit zu enden, dass sie Kane berührte oder gegen ihn sank. Wo sein männlicher Duft ihr in die Nase stieg und sie seine leichte Zimtnuance roch. Seine Hitze drang durch ihre Kleidung bis zu ihrer fröstelnden Haut – wie eine heiße Dusche nach einem Bad im Eis.

Rhiannon keuchte stumm und stemmte sich mit der freien Hand gegen seine breite Brust. Doch Kane hatte seinen anderen Arm schon hinter ihr Kreuz gelegt und hielt sie gefangen.

„Ich muss wissen, ob Lizzie meine Tochter ist.“

Rhiannon schluckte trocken und versuchte, die aufsteigende Hitze und das Zusammenziehen in ihrem Bauch nicht zu beachten. So war es jedes Mal zwischen ihnen gewesen: körperliche Anziehungskraft in reinster Form – spontan, kraftvoll und absolut überwältigend. Die Chemie hatte sie beim ersten Mal zusammengebracht. Doch genau das wollte sie jetzt nicht. Sie war inzwischen reif genug, um zu wissen, dass mehr zu einer Beziehung gehörte. Selbst wenn dieses Körperliche ihr den einzigen Menschen geschenkt hatte, den sie ohne Einschränkung lieben konnte.

Langsam hob sie den Kopf und folgte mit dem Blick einer dunklen Rippe seines Pullovers bis zu der Stelle, wo der Polokragen seine tief gebräunte Haut berührte, weiter über die schmale harte Linie seines Mundes und höher, bis sie in seine dunkelblauen Augen schauen konnte.

Ihr Herz hämmerte wie wild angesichts der heftigen Entschlossenheit, die sie darin entdeckte – den drängenden Wunsch, die Wahrheit zu erfahren.

„Ganz gleich, was du glaubst“, erklärte sie. „Es gab niemand anders. Lizzie ist deine Tochter.“

Darüber hatte es nie Zweifel gegeben. Und selbst wenn, brauchte sie Kane nur anzuschauen, um den Beweis zu haben. Es war ihr unendlich schwergefallen, jeden Tag zuzusehen, wie Lizzie etwas tat, etwas sagte oder auf eine bestimmte Weise lächelte, und immer Kane darin zu entdecken. Nur die überwältigende Liebe vom ersten Moment, als sie ihr Kind in den Armen hielt, hatte sie davon abgehalten, diese Erinnerungen zu hassen.

Kane atmete tief aus, und sein Pfefferminzgeruch strich über ihr Gesicht. Er lockerte seinen Griff ein wenig, doch seine Stimme klang immer noch gereizt. „Du hättest es mir mitteilen müssen.“

„Ich dachte, ich hätte es getan.“

„Nein. Denn wenn du es getan hättest, wäre ich da gewesen.“

„Aber du warst nicht da.“ Ihr Blick glitt zu seinem Mund und seinen leicht geöffneten Lippen. „Du warst längst fort.“

Als er nicht antwortete, wagte sie noch einen Blick in sein Gesicht und stellte fest, dass er nachdenklich auf ihren Kopf schaute.

Plötzlich ließ er sie los, trat ein wenig zurück und schob die Hände tief in die Taschen seiner schwarzen Jeans. „Aber ich bin jetzt da. Und ich gehe nicht weg, bevor ich mein Kind kennengelernt habe.“

Sie beobachtete, wie sein Hals sich zusammenzog, während er schluckte, und wehrte sich verzweifelt gegen den Gedanken, dass ein Teil von ihr – ein absolut winziger Teil – insgeheim wünschte, ihr jahrelanger Groll könnte ein Fehler gewesen sein. Hatten der Schmerz und die Verwirrung ihr Urteilsvermögen getrübt? Hätte sie als Erwachsene nicht über den Dingen stehen müssen? Hatte sie sich etwa hinter ihrem Hass auf Kane verschanzt?

Nein, er musste von seiner Vaterschaft gewusst haben.

Kane beugte den Kopf näher und fügte warnend hinzu: „Versuch gar nicht erst, mit mir zu streiten. Denn diesmal werde ich nicht fortgehen.“

Rhiannons Herz hämmerte schmerzlich gegen ihre Brust, und ihr Atem ging flach. „Ich kann Lizzie nicht einfach mit der Nachricht überfallen, dass …“

Grausam verzog er die Lippen. „Hattest du es überhaupt jemals vor?“

„Ja. Wenn sie alt genug sein wird, um selber zu entscheiden, ob sie Kontakt mit dir aufnehmen will oder nicht. Es wäre ihre Entscheidung gewesen.“

„Aber du hättest sie nicht ermutigt, nach ihrem Vater zu fragen.“

Vielleicht nicht. Aber Lizzie war ein intelligentes Kind. Sie fragte jetzt schon nach ihrem Dad. Vor allem der Vatertag weckte ihre natürliche Neugier. Mit sechs Jahren hatte sie sogar eine Karte für ihn gemalt. Es hatte Rhiannon das Herz gebrochen, dass sie ihr nicht den Vater geben konnte, den sie verdiente.

„Es wäre ihre Entscheidung gewesen“, wiederholte sie.

„Sie hat ebenso viel Recht, es zu erfahren, wie ich.“

Kane ließ nicht locker. War das der Beweis, dass er wirklich nichts gewusst hatte?

Ja, sie musste es wohl akzeptieren. Ganz gleich, wie sehr sie immer noch wünschte, dass es ihm die ganze Zeit bekannt gewesen wäre: Sie konnte die andere Möglichkeit nicht länger leugnen. Eine winzige Lücke tat sich in der Mauer auf, die sie um ihr Herz errichtet hatte – und füllte sich rasch mit schlechtem Gewissen.

Kane richtete sich zu seiner ganzen Größe von eins fünfundachtzig auf. „Eines steht fest, Rhiannon. Wenn du ihr nicht sagst, wer ich bin, werde ich es tun. Oder wir schlagen den Rechtsweg ein. Nachdem ich jetzt weiß, dass sie meine Tochter ist, habe ich vor, ein Teil ihres Lebens zu sein. Daran kannst du mich nicht hindern. Diesmal nicht.“

Obwohl er sie nicht festhielt und ein sicherer Abstand von mehreren Zentimetern sie trennte, erkannte Rhiannon, dass sie in der Falle saß. Kane war entschlossen, ein Teil von Lizzies Leben zu werden. Nichts würde ihn von diesem Entschluss abbringen. Aus verschiedenen Erzählungen über ihn in den letzten Jahren – über seine Entschlossenheit und seine Zielstrebigkeit nicht nur in geschäftlichen Dingen – wusste sie, dass er trotz aller Widrigkeiten stets bekam, was er wollte. Schließlich hatte sie selber einst auch zu jenen „Dingen“ gehört …

Sie musste einen Weg finden, die Angelegenheit zu regeln, ohne noch mehr Schaden anzurichten. „Ich brauche etwas Zeit.“

„Du hattest bereits zehn Jahre.“

„Ich werde es ihr sagen.“ Rhiannon sah Kane an und ließ ihn wortlos wissen, dass sie nicht glücklich darüber war. „Aber ich werde sie nicht von der Schule abholen und sie mit der Nachricht überfallen. Sie musste gerade erst den Verlust ihres alten Heims, ihrer Freundinnen in der Schule und eines Onkels verkraften, den sie richtig angehimmelt hatte. Ich kann sie nicht zusätzlich mit einem neuen Vater belasten.“

Kane biss die Zähne zusammen und beugte seinen großen Körper ein wenig vor. Rhiannon stand stocksteif da und machte sich auf das Schlimmste gefasst. Doch er richtete sich wieder auf und erklärte mit seiner wohltönenden tiefen Stimme: „Ich werde hierbleiben, bis sie sich besser an mich gewöhnt hat.“

Rhiannon riss erschrocken die Augen auf. „Du kannst unmöglich …“

„Nein?“ Er zog eine Braue in die Höhe. „Es gibt zwei Möglichkeiten: die leichte Tour und die harte Tour. Entscheide du, welche für Lizzie am besten ist. Denn was dir am liebsten wäre, interessiert mich offen gestanden im Moment kein bisschen.“

Rhiannon fielen gleich mehrere Möglichkeiten ein, was Kane unter der „harten Tour“ verstehen könnte. Wenn er es auf einen Kampf um Lizzie ankommen ließ, würde sie ihm die Hölle auf Erden bereiten. Aber wäre das wirklich das Beste für ihre Tochter?

Als könnte er ihre Gedanken lesen, fuhr er fort: „Sollte es zu einem Verfahren vor Gericht kommen, kann ich es mir leisten, so lange zu kämpfen wie nötig. Das ist dir hoffentlich klar. Ich werde die notwendigen Anordnungen treffen und mir meine Unterlagen aus Dublin schicken lassen, sodass ich von Brookfield aus arbeiten kann.“

Einfach so? Er schmiedete bereits Pläne, um hier einzuziehen?

„Und ich werde viel Zeit mit meiner Tochter verbringen, wenn sie von der Schule zurück ist.“

Er würde hier sein, unter demselben Dach wie sie, und sie würde zusehen müssen, wie er eine Beziehung zu Lizzie aufbaute.

„Und anschließend wirst du ihr sagen, wer ich bin.“

Endlich fand Rhiannon ihre Sprache wieder. „Du kannst nicht in diesem Ton mit ihr reden. Du musst versuchen, nett zu ihr zu sein.“

Kane lachte laut auf. Es war ein ungläubiges Lachen, als könnte er nicht glauben, dass sie sich erdreistete, so etwas zu sagen.

„Lizzie hat sich nicht absichtlich von mir ferngehalten. Weshalb sollte ich ihr böse sein?“

Lähmende Ruhe erfasste Rhiannon angesichts des Unvermeidlichen. „Also gut. Offensichtlich habe ich keine Wahl. Außerdem streite ich nicht mit Leuten, die unter demselben Dach wohnen wie ich, wenn auch nur vorübergehend.“ Ihre Worte bewiesen, wie verletzlich sie in ihrem erschöpften Gemütszustand war.

„Was zum Teufel soll das heißen?“

„Es soll heißen, dass ich es ihr sagen muss, wenn du auf dem Umgangsrecht mit ihr bestehst. Denn ich werde ihr keinen Kampf zumuten. Aber sie muss erst einige Zeit mit dir verbringen und ihr Leben hier neu einrichten, bevor sie es erfährt. Das verlange ich nicht für mich, sondern für sie.“

„Es geht nicht um Monate oder Wochen. Ich rede von Tagen – längstens von einer Woche. Oder ich werde es ihr selber sagen.“

Rhiannon schloss einen Moment die Augen. Die Versuchung, einfach davonzulaufen, war riesengroß. Doch sie hatte sich fest vorgenommen, dass Brookfield ihr endgültiger Wohnsitz sein würde.

Als sie die Augen wieder öffnete, betrachtete Kane sie aufmerksam. Eine senkrechte Falte stand zwischen seinen Brauen – das sichere Zeichen dafür, dass er häufig die Stirn runzelte. Doch in der Tiefe seiner blauen Augen entdeckte sie nicht nur Zorn, sondern noch etwas – als hätte er ein Rätsel noch nicht ganz gelöst oder als versuchte er, sie richtig einzuschätzen.

Aus einem unerfindlichen Grund fand Rhiannon diese Vorstellung faszinierend. Für den Bruchteil einer Sekunde vergaß sie alle Probleme zwischen sich und ihm und wurde neugierig auf den Mann, der vor ihr stand. War er tatsächlich der Mensch, für den sie ihn einmal gehalten hatte, oder hatte er sie die ganze Zeit belogen?

Wer war dieser Kane Healey wirklich?

Vor allem aber musste sie wissen, ob er jene Art von Vater sein konnte, den Lizzie verdiente. Sie hoffte es von ganzem Herzen. Er würde ein Teil ihres Lebens werden, und ihrer Mutter blieb nichts übrig, als sich damit abzufinden.

Rhiannon strich mit der Zungenspitze über ihre Lippen und konzentrierte sich auf einen Punkt hinter Kanes Schulter. „Ich werde es Lizzie sagen, sobald sie sich an dich gewöhnt hat. Aber wir dürfen uns keinesfalls in ihrer Gegenwart streiten. Wenn du mir etwas zu sagen hast, dann tue es bitte, solange sie nicht da ist. Sie sollte nicht den Preis für unsere gegenseitige Abneigung zahlen müssen.“

Kane trat beiseite, und sein Oberarm streifte ihre Schulter. Statische Elektrizität knisterte an dem Wollstoff und drang bis an ihre Haut.

„Lizzie hat all die Jahre ohne einen Vater gelebt. Ich finde, das war bereits ein erheblicher Preis.“

Nachdem Kane gegangen war, stand Rhiannon noch lange regungslos in dem kühlen Raum. Ihre Augen waren brannten. Doch innerlich war sie völlig leer. Ein Teil von ihr hatte immer gewusst, dass dieser Tag irgendwann kommen würde. Ihre Aufgabe war es jetzt, die richtigen Worte zu finden, um Lizzie alles zu erklären – und eine Möglichkeit, mit demselben Mann unter einem Dach zu leben, den sie zehn Jahre ihres Leben gehasst hatte.

4. KAPITEL

Kane blickte aus den bodentiefen Fenstern seines Büros über die Stadt Dublin und den River Liffey in der Ferne. Im Rhythmus des Hin- und Herschaukelns seines Stuhls klopfte er sich mit dem Zeigefinger leicht ans Kinn.

Es war Jahre her, dass er sich derart hilflos gefühlt hatte, überrumpelt von etwas, auf das er wahrhaftig nicht vorbereitet gewesen war. Festzustellen, dass Rhiannon ihm solch eine wichtige Nachricht so lange vorenthalten hatte …

Wie hatte die Frau angenehmen können, dass es ihm gleichgültig wäre, ein Kind gezeugt zu haben? Glaubte sie ernsthaft, dass er sich einfach aus dem Staub gemacht hätte? Es war zum Verzweifeln.

„So, das Angebot liegt praktisch auf dem Tisch“, sagte sein Firmenanwalt hinter ihm. „Die Aktionäre – und Sie als Hauptaktionär natürlich – werden ein Vermögen machen.“

Kane zwang sich, dem Gespräch wieder zu folgen. „Vorausgesetzt, dass sie mit Ja stimmen.“

„Nun, die Verhandlungen werden einige Monate in Anspruch nehmen. Aber ich gehe jede Wette ein, dass sie am Ende zustimmen.“

Kane schaukelte erneut vor und zurück, und seine Gedanken schweiften ab. Dies war ein äußerst ungünstiger Zeitpunkt, nicht ständig im Büro zu sein. Doch zum ersten Mal seit Jahren hatte er eindeutig Wichtigeres zu tun, als an seine Firma und seine Geschäfte zu denken. Nichts war wichtiger, als endlich sein Kind kennenzulernen. Nicht einmal der Versuch einer Firma in Übersee, sich sein Unternehmen einzuverleiben. Mit Übernahmen wurde er fertig, auch mit seinen Aktionären. Verhandlungen über millionenschwere technologische Entwicklungen gehörten beinahe wöchentlich zu seinem Alltag. Mit dem Gedanken an die Zeit mit seinem Kind, um die Rhiannon ihn gebracht hatte, würde er sich dagegen nie und nimmer abfinden.

Wie in aller Welt hatte Rhiannon damit leben können? Wie er sich fühlte, hatte sie vielleicht weniger interessiert. Aber der Tochter den Vater vorzuenthalten?

„Solch ein Angebot bekommt man nur einmal im Leben, Kane. Wie viele Männer werden aus eigener Kraft Millionär, bevor sie zweiunddreißig sind?“

Kane atmete tief durch. „Und wie viele Männer können einfach dastehen und zusehen, wie eine Firma, in die sie ihr ganzes Herzblut gesteckt haben, in winzige Teile zerschlagen und von einer Gesellschaft geschluckt wird, die eine weltweite Vorherrschaft auf dem Markt anstrebt?“ Er schwenkte seinen Sessel herum und sah dem älteren Mann fest in die Augen. „Es würde den Verlust an kreativer Kontrolle bedeuten und eine erhebliche Anzahl von Arbeitsplätzen kosten. Beides gefällt mir nicht.“

Besonderes Letzteres nicht.

„Nun ja … Das trifft zu.“ Der Mann war ein bisschen verwirrt über Kanes fehlende Begeisterung. „Aber so etwas passiert ständig. Das ist der Lauf der Welt.“

Kane sah seinen Berater schweigend an. Er hatte Micro-Tech mit Hilfe einer kleinen Gruppe von Investoren und vor allem mit Matties unerschütterlichem Optimismus praktisch aus dem Nichts aufgebaut. Es fiel ihm schwer, seine Firma unter solchen Umständen aufzugeben, selbst bei diesem gewaltigen Gewinn. Er hätte Probleme, morgens in den Spiegel zu blicken. Und nachdem er jetzt eine Tochter hatte, war es ihm noch wichtiger, dies tun zu können.

Kane schwenkte seinen Sessel zum Fenster zurück, blickte aber vorsichtshalber nicht zur benachbarten Trinity University, wo er Rhiannon zum ersten Mal begegnet war.

Es mochte ziemlich sinnlos sein, jene Art von Mann sein zu wollen, auf den ein Kind stolz wäre, ihn zum Vater zu haben, wenn dieses Kind beinahe zehn Jahre mit einem abwesenden Vater hatte leben müssen. Aber Kane konnte nicht anders. Wenn Lizzie seine Tochter war, musste er in Aktion treten und sie für die Jahre entschädigen, die ihre Mutter ihnen beiden gestohlen hatte.

Nachdenklich blickte er vor sich hin. Vielleicht hätte er der Sache stärker nachgehen sollen, anstatt kurzerhand anzunehmen, dass Rhiannon sich direkt dem nächsten Mann zugewandt hätte. Aber er hatte so viel mit sich selber zu tun gehabt. Die Verbitterung, der Zorn und die unvermeidliche Angst hatten ihm furchtbar zugesetzt. Während Rhiannon geglaubt hatte, ein einziger Brief würde genügen, um ihr verflixtes Gewissen zu erleichtern.

Kane riss er sich energisch zusammen. Er musste sich auf hier und heute konzentrieren.

„Punkt eins: Der Verlust so vieler Arbeitsplätze muss unbedingt abgewendet werden“, begann er und war wieder ganz der erfolgreiche Geschäftsmann.

„Jedes Kind sollte einen Hund haben. Findest du nicht auch, Kane?“

„Nicht jedes Kind hat einen Hund.“

„Nein, aber es sollte einen haben.“

Kane lächelte nachsichtig. „Du gibst nicht so schnell auf, nicht wahr?“

Lizzie zuckte mit den Schultern. „Mum sagt immer, ich hätte diese Ent… Entschließlichkeit …“

„Entschlossenheit?“

„Ja, ich vergesse immer, wie das heißt. Also, Mum sagt, ich hätte sie von meinem Dad geerbt.“ Sie zuckte erneut die Schultern. „Anscheinend ist es etwas Gutes.“

Kane nickte zustimmend. „Es kann eine gute Eigenschaft sein. Sie hilft einem, das zu bekommen, was man braucht.“

„Und ich brauche einen Hund und ein Pony.“ Sie nickte zur eigenen Bestätigung mit dem Kopf und reichte ihm einen weiteren leeren Umzugskarton zum Zerreißen.

„Und du glaubst, dass du beides bekommst, wenn du deine Mum genügend drängst? Ist das dein Plan?“

„Ja.“ Lizzie zog die Nase kraus. „Wenn die Tiere nicht zu teuer sind. Wir sind nicht reich.“

Kane lächelte über die sachliche Art, wie sie die Wahrheit aussprach. Er war längst restlos hingerissen von dem Mädchen.

Wie hatte Rhiannon ihn um dies hier bringen können? Sie hatte kein recht gehabt, ihm das erste Lächeln, das erste Lachen, den ersten Schritt und die ersten Worte vorzuenthalten – lauter Dinge, die sich nicht nachholen ließen.

Er erinnerte sich nicht, jemals so wütend auf einen Menschen gewesen zu sein. Trotzdem war er hier eingezogen, um näher bei Lizzie zu sein. Und er musste verhindern, dass die Spannung, die in der Luft lag, sobald Rhiannon in der Nähe war, sich auf seine Tochter übertrug. Zumindest in diesem Punkt stimmte er mit ihrer Mutter überein.

Plötzlich kam ihm ein Gedanke, und er fragte so beiläufig wie möglich: „Hat dein Dad dir früher kein Pony oder keinen Hund geschenkt?“

„Du meinst Stephen?“ Lizzie schüttelte den Kopf, und ein Schatten glitt über ihr strahlendes Gesicht. „Er wollte, dass ich auf eine Internatsschule ging, und er sagte, das wäre nicht möglich, wenn ich ein Pony oder einen Hund hätte. Aber Mum wollte nicht, dass ich ins Internat kam. Es ist besser, dass Mum und ich jetzt allein sind. Wenn wir dann noch einen Hund und ein Pony hätten, wäre alles perfekt.“

Es ist wirklich nicht schwer, irgendwelche Information von Lizzie zu bekommen, überlegt Kane lächelnd. Unendliche Erleichterung erfasste ihn bei dem Gedanken, dass seine Tochter niemals einen anderen Mann als ihren Dad bezeichnet hatte. „Nennst du ihn immer Stephen?“

„Ja.“ Lizzie hob einen Stapel Pony-Zeitschriften aus einem Karton. „Mum hat auch Stephen zu ihm gesagt.“ Sie kicherte leise und beugte sich näher. „Und noch einige andere böse Wörter, wenn sie dachte, ich würde es nicht hören“, flüsterte sie ihm ins Ohr.

Kane lachte stumm. Das war zwar ein anderes Thema. Aber in diesem Punkt stimmte er mit Rhiannon überein. Er hatte im Laufe der Jahre ebenfalls zahlreiche böse Bezeichnungen für Stephen gehabt. Der Kerl hatte etwas, das ihn bis auf Blut reizte.

Kane folgte Lizzie auf die Galerie, einen großen Sack mit zerrissenen Kartons in der Hand. Lächelnd beobachtete er, wie sie sich umdrehte, um sich zu vergewissern, dass er mitkam, und anschließend langsamer ging, damit er zu ihr aufschließen konnte, obwohl er es mit zwei langen Schritten geschafft hätte.

Sehr aufmerksam von ihr. Sie war ein erstaunliches Kind.

„Hast du Kinder, Kane?“

Sein Atem stockte angesichts ihrer unschuldigen Frage. Was zum Teufel sollte er antworten? Rhiannon hatte ihm deutlich zu verstehen gegeben, dass sie bisher nicht die geringste Andeutung gegenüber ihrer Tochter gemacht hatte.

„Bist du verheiratet?“

„Na, du stellst ja eine Menge Fragen.“ Kane wechselte den Sack in die andere Hand. „Muss ich meinen Anwalt anrufen, bevor wir weitermachen?“

Lizzie blieb oben an der Treppe stehen und schob sich eine lange Haarsträhne aus dem Gesicht. Ihr Haar hatte dieselbe Farbe wie seines, und die Augen, die zu ihm aufblickten, waren vom selben Saphirblau. Es war eine absurde Situation.

„Wozu brauchst du einen Anwalt? Lässt du dich auch scheiden?“

„Nein, ich war nie verheiratet. Das war nur für den Fall gedacht, dass du mich etwas fragst, was mich in Schwierigkeiten bei der Polizei bringen könnte.“

Sie sah ihn mit großen runden Augen an. „Hast du schon einmal Schwierigkeiten mit der Polizei gehabt wie die bösen Männer im Fernsehen?“

Lautes männliches Lachen hallte durch die gewölbte Eingangsdiele. „Das würde mich wesentlich interessanter machen, nicht wahr?“

„Ich finde dich sowieso interessant.“ Lizzie lächelte erneut, drehte sich wieder um und stieg die breite Treppe hinab.

„Danke.“ Sein Stolz nahm erheblich zu, während er ihr folgte.

„Stephen findet auch, dass du interessant bist. Er hat Mum eine Menge über dich gefragt.“

Das kann ich mir gut vorstellen. Kane runzelte hinter Lizzies Rücken die Stirn und zwang sich zu einem leichten Tonfall. „Stephen und ich kennen uns von ganz früher. Sicher wollte er wissen, was ich all die Jahre gemacht habe, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben.“

Lizzie hatte den Fuß der Treppe beinahe erreicht und drehte kurz den Kopf. „Was ist eigentlich ein Kontrollfreak?“

Kane blickte unschuldig drein. „Ein – was?“

„Stephen hat gesagt, dass du so einer bist.“

„Tatsächlich?“

Sie nickte mit dem Kopf, fasste das Geländer und sprang die beiden letzten Stufen hinab. „Ja, und irgendwas mit Auto.“

Kane zog eine Braue in die Höhe, während sie die Tür zur Küche aufstieß. „Autoritär?“

Sie lächelte breit. „Das und noch etwas mit …“

„Lizzie?“

Beide blickten gleichzeitig in die Richtung, aus der Rhiannons leise fragende Stimme kam.

Doch während Kane von einer neuen Welle unverfälschter Verärgerung erfasst wurde, wie jedes Mal, wenn er die Frau sah, plapperte Lizzie unbekümmert weiter.

„Hallo, Mum. Wir haben alles für mein Zimmer ausgepackt, und Kane hat mir geholfen, die Kartons zu zerreißen.“

„Das war sehr nett von ihm.“ Rhiannon bemerkte den Zorn in seinen Augen und wandte sich wieder an ihre Tochter, als brauchte sie das Mädchen als Puffer. „Was hattest du gerade zu Kane gesagt?“

Lizzie zuckte mit den Schultern. „Wir haben über Stephen gesprochen.“

Kane beobachtete, wie Rhiannons Hals sich zusammenzog, während sie schluckte. Sie sah ihn kurz an und wandte sich wieder ab. „Verstehe.“

Autor

Robyn Grady
Es ist schon lange her, doch Robyn Grady erinnert sich noch ganz genau an jenes Weihnachten, an dem sie ein Buch von ihrer großen Schwester geschenkt bekam. Sofort verliebte sie sich in die Geschichte von Aschenputtel, die von märchenhaftem Zauber und Erfüllung tiefster Wünsche erzählte. Je älter sie wurde, desto...
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Rosalie Ash
Sie hat bisher 21 erfolgreiche Romances geschrieben, wobei sie erst jetzt wieder richtig aktiv geworden ist, nachdem sie eine längere Pause vom Schreiben romantischer Stories gemacht hat. Rosalie Ash ist Mitglied der Society of Authors und der Romantic Novelists Association. Gelegentlich bewohnt sie auch ein Paralleluniversum in ihrer Fantasie, wo...
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