Atemlos in deinen Armen

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Mode-Ikone Evie Staverton-Lynch ist mit den Nerven am Ende! Wegen einer kleinen Lüge steht nicht nur ihre Karriere kurz vor dem Aus, sondern auch die von Reality-TV-Star Jack Trent! Jetzt muss Evie ihren Ausrutscher kitten. Aber den arroganten Bad Boy auf sein Überlebenscamp begleiten - fernab von jedem Luxus? Niemals! Doch das glamouröse It-Girl hat keine Wahl, und plötzlich sind es nicht die absurd gefährlichen Stunts, die sie atemlos machen, sondern Jacks Küsse unter einem funkelnden Sternenhimmel … aber warum behandelt der sexy Abenteurer sie am nächsten Tag wie Luft?


  • Erscheinungstag 16.08.2016
  • Bandnummer 0017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733706944
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Das Gute an Smartphones war, dass man alle vernichtenden Kommentare jederzeit abrufen konnte, wenn man es sich mit der ganzen Welt verscherzt hatte. Das Gute? Nun, ja …

Ein Tweet im Internet …

Gebt @evieIT-Girl eine Ratte zu fressen. Wie kann sie @SurvivalJackT nur so beleidigen? #Tussi

Neue Facebook-Gruppe …

Schmeißt Evie Staverton-Lynch aus der Reality-Show Miss Knightsbridge. 15000 likes. Tendenz steigend …

Neues Video auf youtube …

Sehen Sie hier, wie It-Girl Evangeline Staverton-Lynch behauptet, die Expeditionen von Survival-Experten Jack Trent wären eine Lüge.

Das niederträchtige Video war erst vor zwei Tagen ins Internet gestellt worden, aber Hunderttausende hatten es schon angeklickt.

Evie stellte ihr Handy aus, um die Hasstiraden nicht länger ertragen zu müssen, und nippte an dem scheußlichen Kaffee. Sie saß im Büro von dem einzigen Menschen, der ihr vielleicht aus der schrecklichen Situation heraushelfen konnte, in die sie sich selbst hineinmanövriert hatte.

Der Künstleragent Chester Smith, dem Evie ihren kometenhaften Aufstieg von einer unbedeutenden Tochter aus gutem Haus zum Liebling der Fernsehzuschauer zu verdanken hatte, saß ihr am gläsernen Schreibtisch gegenüber. An den Wänden seines Büros hingen Dutzende, mit persönlichen Widmungen versehene Fotos von Fernsehstars, deren erfolgreiche Karrieren er gemanagt hatte. Auf dem Tisch lagen sämtliche Klatschblätter des Tages. Mindestens drei von ihnen hatten ein grobkörniges Foto von Evie auf dem Titel. Chester warf seine perfekt frisierte Tolle zurück, dann zog er ein Tablet aus der Tasche, klappte den knallbunten Deckel auf und drückte auf ‚Play‘. Er führte Evie das heimlich mit einem Handy aufgenommene Video vor, als wäre der demütigende Film nicht sowieso schon seit achtundvierzig Stunden in Dauerschleife vor ihrem geistigen Auge abgelaufen.

Obwohl die Bildqualität nicht gerade berauschend war, saß dort unverkennbar sie selbst. Als wäre noch ein zusätzlicher Beweis nötig, lag ihre Lieblings-Designer-Clutch auf der blütenweißen Tischdecke, gleich neben dem Wasserglas. Ihr Vater saß ihr gegenüber, den kerzengerade durchgestreckten Rücken der Kamera zugewandt. Im Hintergrund waren die Leute zu sehen, die vor drei Tagen in dem schicken Promi-Restaurant im Londoner Viertel Knightsbridge zu Mittag gegessen hatten. Deshalb hatte sie den Laden überhaupt ausgesucht, als ihr Vater sie zum Mittagessen hatte antreten lassen. Ihr Vater bat sie nicht um ein Treffen, er zitierte sie in ein Restaurant. Evie durfte lediglich entscheiden, wie viele Gänge sie essen wollte. Und wenn sie sich sowieso schon eine Stunde lang seine Kritik anhören musste, dann wollte sie wenigstens von Menschen umgeben sein, denen sie sich einigermaßen zugehörig fühlte.

Und sie hatte Glück gehabt, denn einige Fans hatten das Essen ein paar Mal unterbrochen, um sich mit ihr fotografieren zu lassen. Ihr Vater war darüber so wütend geworden, dass er beinahe geplatzt wäre – und war es ihr nicht vor allem darum gegangen? Ihr Vater mochte nicht viel von ihr halten und sich noch nicht einmal mehr für sie interessieren, solange sie ihn nicht blamierte. Aber in dem Restaurant hatte Evie immerhin den Eindruck, von Menschen umgeben zu sein, die sie schätzten – auch wenn sie in ihr nur die Promi-Queen sahen, die sie aus dem Fernsehen kannten.

Nachdem Evie sich mehr als zwanzig Jahre lang unbedeutend gefühlt hatte, war ihr das Interesse und die Unterstützung, die ihr die Öffentlichkeit seit ihren Auftritten in der beliebten Reality-Show Miss Knightsbridge entgegenbrachte, wie ein fantastischer Traum erschienen.

Doch dann hatte es nur einen einzigen dummen Ausrutscher von ihr gebraucht, und schon wurde ihr die Unterstützung wieder entzogen.

Chester fummelte an seinem Mini-PC herum, bis der Clip den ganzen Bildschirm einnahm und in maximaler Lautstärke lief.

„Nein, deine Sendung sehe ich mir ganz bestimmt nicht an“, höhnte die tiefe Stimme ihres Vaters. „Ich habe nicht das geringste Bedürfnis, dir dabei zuzusehen, wie du dich im Fernsehen zum Gespött machst. Ich kann beim besten Willen nicht nachvollziehen, warum sich die Leute dafür interessieren, wie du deine Zeit verplemperst.“ Es entstand eine Pause, weil ihr Vater an seinem Weißwein nippte. Evie sah im Video, wie ihr das Lächeln entglitt. „Sollte ich jemals den Fernseher einschalten, dann würde ich mir lieber die Konkurrenz ansehen. Jack Trent’s Survival Camp Extreme.

Beide schwiegen sich an. Im Hintergrund hörte man die Leute reden und lachen. Selbst jetzt wusste Evie nicht, welche Enthüllung sie sprachloser gemacht hatte – dass ihr Vater überhaupt Fernsehen schaute oder dass er seine Tochter verraten und ihren härtesten Konkurrenten um die Einschaltquote vorziehen würde.

Nach fast zwanzig Jahren, in denen sie erst vergeblich um seine Liebe und später nur noch um sein Interesse gekämpft hatte, hätte sie sich eigentlich längst ein dickes Fell zulegen müssen. Das letzte halbe Jahr, in dem sie plötzlich von den Leuten gemocht wurde, war wie ein Traum gewesen. Nachdem sie von einer Fernsehproduktionsfirma für die Rolle der Miss Knightsbridge entdeckt worden war, hatte sie schon bald im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gestanden. Die Show hatte sich zum Zuschauerknüller entwickelt, Evie gab ständig Interviews und wurde zu Fotoshootings eingeladen. Und dank ihres Erfolgs stand sie jetzt kurz davor, ihre erste eigene Schmuckkollektion auf den Markt zu bringen. Das war schon seit Jahren ihr größter Traum gewesen, aber vorher hatte es ihr am nötigen Selbstvertrauen gefehlt, um ihn in die Tat umzusetzen. Anstatt sich aber darüber zu freuen, dass seine Tochter endlich auf eigenen Beinen stand und sich nicht mehr auf seinen üppigen monatlichen Zuwendungen ausruhte, zeigte ihr Vater ihr nur, wie wenig er von ihrer Sendung hielt. Einen Moment lang fragte sie sich, welchen Beruf sie wohl ausüben musste, damit er sie endlich akzeptierte. Hirnchirurgin?

„Dass du dich vor allen Leuten so aufspielst“, sagte er in dem Clip. „Nachdem du in deiner Kindheit alles bekommen hast.“

Natürlich konnte er nicht eine Gelegenheit verstreichen lassen, ohne sie auf ihre Kindheit hinzuweisen. Als hätte sie ihm immer noch dafür dankbar sein sollen, dass er ihr, außer seinem Geld und seinem Namen, nie etwas gegeben hatte. Seine Liebe und Zuneigung waren seit dem Tod ihrer Mutter versiegt, ganz gleich, wie sehr Evie sich auch darum bemüht hatte.

„Gott sei Dank muss deine Mutter das nicht mehr miterleben“, fügte ihr Vater hinzu.

Der Satz hatte sie im Restaurant wie ein Fausthieb getroffen, und auch jetzt noch hatte sie das Gefühl, ihr würde die Luft wegbleiben. Der Grund war vermutlich, dass sie bei ihrer Schmuckkollektion vor allem an ihre Mutter gedacht hatte. Ihre Mum hatte Modeschmuck über alles geliebt und der kleinen Evie erlaubt, mit den glitzernden Ringen und Perlen aus ihrer Schatulle Verkleiden zu spielen. Das war eine der wenigen schönen Erinnerungen an ihre Kindheit, in der es bald nur noch Gehorsam, Disziplin und Einsamkeit gegeben hatte.

Und der Satz war es auch gewesen, der sie so überstürzt und dumm hatte reagieren lassen.

Evies Magen zog sich zusammen, weil sie wusste, welche peinliche Entgleisung im Videoclip nun folgte.

Sie hörte ihre eigene Stimme. Klang sie wirklich so arrogant? Die Scham trieb ihr eine glühende Hitze ins Gesicht.

„Jack Trent war früher in der Armee, nicht?“, hörte sie sich selbst höhnisch fragen. „Kein Wunder also, dass du dir lieber seine Sendung ansehen würdest.“

In ihrer Kindheit hatte sie nur Drill und Disziplin gekannt. Nach dem Tod ihrer Mutter hatte sie es nicht vermocht, dem kalten, strikt reglementierten Leben im Haus ihres Vaters so etwas wie weibliche Wärme entgegenzusetzen. Und die Erkenntnis, dass ihr Vater einem Mann mit militärischem Hintergrund den Vorzug gab, hatte ihre Wut noch angestachelt.

„Die Sendung von Trent ist eine echte Doku“, hatte ihr Vater zurückgeblafft. „Das hat wenigstens Substanz. Fünf Minuten von deiner Pseudo – Doku haben mir gereicht. Das ist nur oberflächlicher Mist. Du hast die Familie der Lächerlichkeit preisgegeben.“

Die Familie. Nicht unsere Familie. Hatte er es nur so dahingesagt? Oder hatte er sie bewusst ausschließen wollen? In den letzten Jahren hatte er sie deutlich spüren lassen, dass es für ihn einen Unterschied gab zwischen ihr und ihrem Bruder Will. Halbbruder, verbesserte sie sich selbst im Geist. Seit ihre Mutter, die das Bindeglied zwischen Will und ihr gewesen war, nicht mehr lebte, war Evie sich vorgekommen wie ein Kuckuckskind. Dieser Gedanke hatte sie bei dem Essen furchtbar traurig gemacht, und sie war aus unerklärlichen Gründen eifersüchtig auf Jack Trent und seine albernen Survival-Künste geworden. In dem Moment hatte ihr gesammelter Schmerz die Oberhand gewonnen, und Evie hatte sich gegen ihren Vater zur Wehr gesetzt. Leider war Jack Trent dabei versehentlich in die Schusslinie geraten.

„Substanz?“, hatte sie gefaucht. „Ich fasse es nicht, dass du ihm das alles abkaufst. Glaubst du wirklich, er schläft unter Sternen und isst gegrillte Ratten? Sobald die Kamera aus ist, rennt der doch ins nächste Fünfsterne-Hotel, wo er auf weichen Daunenkissen schläft und à la carte schlemmt.“

Chester sog hörbar die Luft ein, und das Geräusch brachte Evie wieder ins schreckliche Hier und Jetzt zurück.

„Egal, wie oft ich mir das ansehe, ich bin jedes Mal aufs Neue geschockt“, hauchte er und tippte aufs Tablet, um den Clip anzuhalten. Ein grobkörniges Standbild von ihrem entrüsteten Gesicht füllte den gesamten Bildschirm aus. Evies Kopf dröhnte.

„Was hast du dir dabei gedacht? Mit zwei Sätzen hast du vermutlich deine Karriere zerstört und die von Jack Trent gleich mit. Die Leute von der Produktionsfirma sind außer sich.“

„Aber das war doch nur meine persönliche Meinung“, protestierte sie. In Wahrheit war das gar nicht ihre Meinung gewesen, sie hatte nur ihrem Ärger Luft machen wollen. „Es war doch nur, weil mein Vater gesagt hat, er würde sich lieber die Sendung von Jack Trent als die von mir anschauen. Ich habe aus dem Bauch raus gehandelt, und es war nicht für die Öffentlichkeit bestimmt.“

„Allerdings scheinst du vergessen zu haben, dass die Produktionsfirma von Miss Knightsbridge auch für Jack Trent’s Survival Camp Extreme verantwortlich ist. Und die Boulevardblätter schüren jetzt das Gerücht, du hättest nicht nur eine zickige Bemerkung vom Stapel gelassen, sondern verfügst in Wahrheit über Insiderinformationen.“ Chester lehnte sich vor. „Informationen darüber, dass Jack Trent sich tatsächlich Fünfsterne-Essen schmecken lässt, statt sich an den Gaben von Mutter Natur zu laben.“

Er wischte über den Bildschirm und öffnete die Facebook-Seite, die Evie schon Dutzende Male gesehen hatte.

„Jack Trent hat eine extrem treue Fangemeinde“, sagte er. „Schmeißt Läster-Evie aus dem Programm“, las er vor. „Sechzehntausend likes. Tendenz steigend.“

Das konnte Evie von ihren Fans nicht gerade behaupten. Bisher hatte sie noch keinen einzigen aufmunternden Kommentar gelesen. Sie spürte einen eifersüchtigen Stich in der Magengegend.

Sie vergrub den Kopf in den Händen und starrte verzweifelt auf den Glastisch.

„Bitte, ich möchte nichts mehr davon hören.“

Sie wünschte sich, sie hätte sich die Zunge abgebissen, bevor ihr die Bemerkung herausgerutscht war. Aber in dem Augenblick hatte sie sich so unter Druck gesetzt gefühlt, dass ihr Unterbewusstsein das Zepter ergriffen hatte. Jack Trent war ein ehemaliger Soldat und vermutlich genauso kalt und abweisend wie ihr Vater. Im Prinzip war er ihr Vater, nur eben dreißig Jahre jünger. Vermutlich hatte sie ihn deshalb als Ersatzzielscheibe ausgesucht.

Obwohl sie von ihrem Vater seit Jahren nur Gleichgültigkeit oder bestenfalls Kritik erfuhr, konnte Evie ihm immer noch nicht ihre Meinung ins Gesicht sagen.

Leider hatte sie aber einen Moment lang nicht daran gedacht, dass sie in einem Restaurant saßen und jeder das Gespräch mithören konnte. Und wie es aussah, reichte es nicht, dass sie sich sofort in den sozialen Netzwerken entschuldigt hatte. Die gehässige Bemerkung kursierte im Internet und ließ sich nicht mehr rückgängig machen.

„Für die Leute da draußen bist du jetzt der letzte Abschaum, Darling.“ Chester zeigte mit einem Stift auf sie. „Aber noch schlimmer ist, dass du für sie stinkreicher Abschaum bist. Die Leute fanden dich gut, weil du dieses Bisschen-dumm-aber-niedlich-Image hattest, diesen überkandidelten Sinn für Mode und natürlich diese glamourösen Freunde. Nachdem du aber einen Nationalheiligen runtergemacht hast, zählt das alles nichts mehr. Sie glauben nämlich, sie hätten dein wahres Ich gesehen, und das, meine Liebe, war sehr hässlich.“

Er tippte noch einmal auf sein Tablet und drehte es zu Evie. Sie schob es wieder weg, aber leider hatte sie schon den letzten Kommentar gelesen.

@evieITgirl lebt im Luxus. @SurvivalJackT hat für sein Land gekämpft #Luxustussi

Sie schlug die Hände vors Gesicht und presste die Handflächen auf die Augen. Chester fuhr erbarmungslos mit seiner Kritik fort. Leider hatte sie keine Hand mehr frei, um sich die Ohren auch noch zuzuhalten.

Jack Trent knirschte mit den Zähnen und stieg vor dem gläsernen Hauptsitz von Purple Productions aus dem Taxi. Er ärgerte sich, weil er sich in der Stadt aufhalten und Anzugträger treffen musste. Für ihn war das die reinste Zeitverschwendung. Er fragte sich, ob er jemals in London aus einem Zug aussteigen würde, ohne die Stunden zu zählen, bis er wieder einsteigen und nach Haus fahren konnte.

Zu Hause in den schottischen Highlands, wo Jack ein Zentrum für Überlebenstraining eingerichtet hatte, lagen die Vorbereitungen für sein nächstes Abenteuer in der Zwischenzeit auf Eis. Das war ziemlich lästig, denn zum ersten Mal handelte es sich um ein Projekt, das nicht nur seine militärischen Fähigkeiten unter Beweis stellte. Und er hatte nicht nur Zeit und Geld hineingesteckt, sondern sehr viel Herzblut. Selbst wenn er weniger zu tun gehabt hätte, wäre ihm das Krisentreffen mit den Bossen der Produktionsfirma sauer aufgestoßen. Doch kurz vor dem Start seines neuen Projekts ging ihm der Termin gewaltig gegen den Strich.

Trotzdem musste er sich unbedingt blicken lassen. Seit seine Abenteuer im Fernsehen ausgestrahlt wurden und er so große Bekanntheit erlangt hatte, waren seine Survival-Kurse immer ausgebucht. Seine Firma befand sich auf der Überholspur. Ein Treffen hier, ein Fototermin dort, und schon konnte er mit seinen Ideen neue Wege beschreiten. Die Kurse für Kinder, die er so sorgfältig ausgearbeitet hatte, konnten endlich Wirklichkeit werden. Damit wollte er die Fehler seiner Vergangenheit wiedergutmachen. Früher hätte er nicht unbedingt in die Stadt kommen und seinem Agenten Honig um den Bart schmieren müssen. Aber da das Programm für Kinder in den Startlöchern stand, war er auf gute PR angewiesen.

Als er gehört hatte, dass im Internet Gerüchte kursierten, seine knallharten Survival-Abenteuer seien in Wahrheit nichts als Lügen, hatte er das zuerst für einen bösen Scherz gehalten. Im Internet zu surfen, stand auf seiner Prioritätenliste nicht an erster Stelle, vor allem nicht, wenn er sich Gedanken machen musste, ob die Stelle, die er für die abenteuerliche Flussüberquerung ausgesucht hatte, für Kinder nicht zu gefährlich wäre. Deshalb hatte sich das Gerücht wie ein Lauffeuer verbreiten können, bevor er das Geringste davon mitbekommen hatte. Erst durch den Anruf von einem Angestellten hatte er überhaupt erfahren, welche Aufregung seinetwegen im Internet herrschte. Er hatte sich das Video mit der verleumderischen Bemerkung angeschaut und im Zug genug Zeit gehabt, sich die vernichtenden Artikel durchzulesen, die allesamt mit glamourösen Fotos von Evangeline Staverton-Lynch bebildert waren.

Als er in London angekommen war, wusste er über alle schäbigen Details Bescheid. Wenn die Sache nicht zu seiner Zufriedenheit geregelt wurde, würden Köpfe rollen. Ganz gleich, wie hübsch sie auch waren.

Am Morgen des Treffens stieg Evie hoch erhobenen Hauptes zu ihrem Agenten ins Auto. Haar und Make-up saßen perfekt, und sie hatte ein pinkfarbenes Designer-Kostüm ausgewählt, weil es das Kleidungsstück in ihrem Schrank war, das am weitesten von zurückhaltendem Schwarz entfernt war. Da sie seit Tagen nicht mehr schlafen konnte, hatte sie genug Zeit gehabt, sich gut vorzubereiten. Die dunklen Augenränder hatte sie mit Abdeckstift kaschiert und die Aufmerksamkeit mit pinkfarbenem Lipgloss auf ihren Mund gelenkt. Aus Erfahrung wusste sie, dass ihr Zerknirschtheit nicht weiterhelfen würde. Deshalb hatte sie beschlossen, sich trotzig zu geben.

Die Evie, die nachts nicht schlafen konnte, hätte sich am liebsten reumütig bei Jack Trent entschuldigt und wäre dann in ihre Wohnung im Londoner Stadtteil Chelsea geflüchtet, wo sie sich bis an ihr Lebensende verkrochen hätte. Aber sie weigerte sich, auf diese Evie zu hören. Das war nämlich genau die Evie, die sich mit über zwanzig Jahren immer noch nach ihrer Mum sehnte. Die Evie, die so gern nach Hause zurückgekehrt wäre, als sie vom Internat geflogen war, und die alles versucht hatte, um sich bei ihrem Vater beliebt zu machen. Stattdessen hatte sich seine Gleichgültigkeit im Verlauf der Jahre in pure Ablehnung verwandelt. Damit er überhaupt bemerkte, dass es sie noch gab, hatte sie ihn durch immer wilderes und ausschweifenderes Benehmen aus der Reserve locken müssen. Und dabei hatte sie sich als äußerst erfindungsreich erwiesen.

Nachdem Evie klar geworden war, dass er sich bei Theateraufführungen und anderen schulischen Aktivitäten niemals blicken lassen würde, aber in respekteinflößender Uniform auftauchte, sobald man sie beim Rauchen oder anderem Unfug erwischt hatte, war sie immer häufiger in die Rolle der bösen Evie geschlüpft. Schon bald war sie eine Meisterin des Mir-doch-alles-egal geworden. Mittlerweile hatte sie sich so sehr an diese Rolle gewöhnt, dass die von Gewissensbissen geplagte Evie sich beim Treffen mit Jack Trent ganz bestimmt nicht zeigen würde.

Es war ein kalter, aber sonniger Frühlingsmorgen. Perfekt, um in den Londoner Edelboutiquen shoppen zu gehen und danach einen Kaffee in einem Straßencafé zu trinken. Allerdings standen die Chancen nicht schlecht, dass ihr ein aufgebrachter Rentner vor allen Augen ein Getränk über den Kopf schütten würde. Jack Trent hatte in allen Altersgruppen Fans, und sie schienen an jeder Ecke zu lauern und nur darauf zu warteten, sich an Evie zu rächen.

„Wir treffen uns mit der ausführenden Produzentin von Miss Knightsbridge und einigen Leuten aus dem Team“, klärte Chester sie auf, während er das Auto durch den dichten Morgenverkehr steuerte. „Sie wollen eine Lagebesprechung abhalten und die Alternativen durchgehen.“

„Du meinst, sie wollen mich feuern.“

Dass er keine Antwort gab, ließ ihr Selbstvertrauen nicht gerade wachsen.

Sie folgte Chester durch die elegante Empfangshalle von Purple Productions, deren Wände mit Fotos aus den erfolgreichsten Fernsehshows gepflastert waren. Hinter dem Empfangstresen entdeckte Evie ein Foto aus ihrer eigenen Sendung; sie trug etliche Einkaufstüten mit Designerlogo und lief eine belebte Straße entlang. Leider fiel ihr Blick ein paar Meter weiter auf ein Foto von Jack Trent; er stand bis zur Brust in einem Fluss und schlug sich mit einer Machete den Weg durch dichtes Schilf frei. Sein Gesicht war mit Schlamm beschmiert. Evies Magen zog sich zusammen.

Als sie an den Empfangsdamen vorbeiging, spürte sie die hasserfüllten Blicke in ihrem Rücken. Langsam überkam sie das Gefühl, dass man sie im Besprechungszimmer lynchen würde. Hätte sie in dem Restaurant doch bloß den Mund gehalten!

Als sie ins Zimmer trat, war ihr schlagartig klar, warum die Frauen in den Gängen sie so böse angestarrt hatten. Auf der anderen Seite des großen Tisches lehnte Jack Trent sich auf seinem Stuhl zurück, und seinem Gesichtsausdruck nach hätte er ihren Kopf am liebsten auf einem spitzen Pflock aufgespießt gesehen. Evie verließ der Mut. Das Foto in der Empfangshalle und die kurzen Ausschnitte, die sie von seiner Sendung gesehen hatte, waren ihm nicht gerecht geworden. Er hatte die breitesten Schultern, die sie je bei einem Mann gesehen hatte, und seine prallen Muskeln zeichneten sich unter der maßgeschneiderten, dunklen Anzugjacke deutlich ab. Sein hellbraunes Haar war kurz geschoren, und auf seiner linken wie gemeißelt aussehenden Wange zeichnete sich eine kleine Narbe ab. Dazu war er so braun gebrannt, wie man es nur sein konnte, wenn man sich tagelang draußen aufhielt, ohne etwas so Verweichlichtes wie Sonnencreme zu benutzen. Er sah sie aus grünen Augen an, die einen zum Dahinschmelzen gebracht hätten, wären sie nicht so wuterfüllt gewesen. Er war ohne Frage ein wahres Fest für die Augen. Allerdings nur, wenn man auf den Typ eiskalter, gefühlloser Soldat stand.

Sie tat es nicht.

Um den Tisch saßen verschiedene Mitarbeiter aus dem Produktionsteam von Miss Knightsbridge. Alle blickten sie feindselig an. Evie ballte die feuchten Hände seitlich zu Fäusten und vermied den direkten Augenkontakt. Sie hatte eine dämliche Bemerkung gemacht, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt gewesen war. Es war ein Versehen gewesen, mehr nicht. Dass man sie jetzt im Stich lassen wollte, hatte sie nicht verdient. Fest entschlossen, ihre innere Aufgewühltheit nicht nach außen dringen zu lassen, biss sie die Zähne zusammen. Sie würde ein tapferes Gesicht aufsetzen und sich von ihrer frechen Seite zeigen, wie sie es schon seit Jahren machte.

Trotzdem stieg es ihr heiß in die Wangen, und sie suchte sich einen Stuhl in der Nähe der Tür. Nur für den Fall, dass es mit dem tapferen Gesicht nicht klappen und der Wunsch siegen würde, aus dem Zimmer zu fliehen und sich bis an ihr Lebensende in ihrer Wohnung zu verstecken.

Jack Trent beobachtete, wie Evie mit hoch erhobenem Haupt ins Besprechungszimmer stolzierte. Sie trug das Haar offen, und die üppigen Locken schimmerten in verführerischen Karamell- und Goldtönen. Es war die Sorte Haar, in dem man am liebsten die Hände vergraben hätte. Vermutlich saß sie jede Woche stundenlang in irgendeinem teuren Friseursalon. Ihre Augen waren groß und babyblau, auf ihrer Nase waren ein paar winzige Sommersprossen zu erkennen, und ihr Mund mit der sinnlich vollen Unterlippe wurde von dem pinkfarbenen Lippenstift noch betont. Eine perfektere englische Schönheit hätte man sich kaum vorstellen können. Dazu war sie groß und schlank, und ihr gut sitzendes, pinkfarbenes Kostüm mit dem kurzen Rock rief in ihm Erinnerungen an die Fotos wach, die er im Internet gesehen hatte. Auf einem hatte sie sich nur mit einem Slip und einem sehr süßen Lächeln gezeigt.

Obwohl es ihm schwerfiel, wandte er den Blick von ihr ab und dachte stattdessen an den Haufen Ärger, den sie ihm mit zwei Sätzen eingebrockt hatte.

„Jack, das ist Evangeline Staverton-Lynch“, sagte der PR-Mann zu seiner Linken.

Jack holte tief Luft und sah sie über den Tisch hinweg an. Sie schaute aus trotzig-blauen Augen zurück, und wenn er mit einer kleinlauten Entschuldigung gerechnet hatte, würde er wohl vergeblich warten. Sie war ganz eindeutig eine von diesen oberflächlichen Möchtegern-Prominenten, die nur auf den eigenen Ruhm bedacht waren.

Sie nickte ihm zu und schenkte ihm ein huldvolles Lächeln, gerade so, als wäre sie nicht dafür verantwortlich, dass sein Ruf empfindlich angekratzt war. In diesem Monat war es vier Jahre her, dass er aus der Armee ausgeschieden war. Jetzt war er endlich an dem Punkt angelangt, sein schlechtes Gewissen erleichtern zu können. All die Jahre hatte es ihn geplagt, weil er sich für das, was in seiner Abwesenheit geschehen war, verantwortlich fühlte. Damals hatte er geglaubt, die Lösung für alle seine Probleme wäre es, sich zum Militärdienst zu verpflichten. Und tatsächlich hatte er damit den Neuanfang geschafft. Doch seine Mutter und seine Schwester Helen hatte er im Stich gelassen. Wenn er nicht so egoistisch gewesen und geblieben wäre, hätte er Helen vor dem Albtraum bewahren können, in den sie hineingeraten war. An der schlimmen Vergangenheit von Helen konnte er jetzt nichts mehr ändern, aber mit seinem neuen Projekt wollte er Gutes für Menschen wie sie bewirken. Er hatte sein Herz und seine Seele hineingelegt, aber dank dieser Fernsehdiva war sein Projekt ernsthaft in Gefahr.

„Ich sollte jetzt eigentlich in Schottland sein“, blaffte er. „Und die letzten Einzelheiten für meine Survival-Kurse für Kinder ausarbeiten. Nächsten Monat will ich sie in Schulen anbieten. Seit zweieinhalb Jahren arbeite ich auf diesen Moment hin, nur deshalb mache ich mit meiner Fernsehsendung weiter. Aber jetzt hängt alles am seidenen Faden, weil Sie mich böswillig verleumdet haben. Dabei kennen Sie mich nicht mal.“

Evie drückte den Rücken durch und biss die Zähne zusammen, damit ihr das Unschuldslächeln nicht aus dem Gesicht rutschte. Sie spürte einen neidischen Stich, weil dieser Jack Trent tatsächlich mehr zu sein schien als die Figur aus der Fernsehsendung. Er schien echte Ziele zu verfolgen und weit mehr zu bieten zu haben als Evie Staverton-Lynch, die ohne ihr Fernseh-Image ein Nichts war.

Schnell verdrängte sie den Gedanken und griff auf die Methode zurück, die ihr schon immer aus der Patsche geholfen hatte – niemals einen Fehler zugeben. Sie setzte ihr schönstes Lächeln auf, nahm all ihren Mut zusammen und lehnte sich vor.

„Nun, Jack – ich darf Sie doch Jack nennen, oder?“

Statt einer Antwort starrte er sie ungläubig an.

„Hier liegt ein scheußliches Missverständnis vor. Es war nur so dahingesagt, und man hat es völlig aus dem Zusammenhang gerissen. Ich wurde ohne mein Wissen oder meine Zustimmung gefilmt. Die Leute respektieren einfach keine Privatsphäre mehr. Aber, bitte, regen Sie sich nicht auf.“ Sie lehnte sich zurück und nickte beschwichtigend, als hätte sie die Situation unter Kontrolle. „Ich habe die Bemerkung in den sozialen Netzwerken natürlich sofort widerrufen.“

„Wollen Sie sich über mich lustig machen?“, rief er. „In den sozialen Netzwerken widerrufen? Das ist verdammt wenig.“ Er starrte sie zornig an, bis sie den Blick senkte. „Das halbe Land hat inzwischen mit angehört, wie Sie mich in den Schmutz ziehen. Die Zeitungen sind voll davon. Mein Ruf ist ruiniert.“

Sie strich sich durchs Haar und starrte auf die Tischplatte.

„Mir tut es wirklich leid, wenn ich Ihnen Unannehmlichkeiten bereitet habe. Aber man kann mir wirklich nicht die Schuld an einem Video geben, das ohne mein Wissen aufgenommen wurde. Meine Bemerkung richtete sich nicht gegen Sie. Ich habe mich mit meinem Vater gestritten und geredet, ohne nachzudenken. Wenn ich es zurücknehmen könnte, ich würde es tun. Wenn es irgendwas geben würde, was die Sache bereinigt, ich würde es sofort tun.“

Auf ihr gewinnendes Lächeln blickte er nur grimmig zurück.

Autor

Charlotte Phillips
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