Romana Extra Band 48

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SINNLICHE VERSUCHUNG IM WÜSTENPARADIES von LOGAN, NIKKI
Weihnachten unter Palmen: In einem luxuriösen Ferienresort fern der Heimat sucht die reiche Erbin Sera nach einem Medienskandal endlich Ruhe. Aber wie soll sie entspannen, wenn ihr attraktiver Bodyguard Brad ihre Sinne in Aufruhr versetzt? Und Küsse für ihn streng verboten sind …

UNTER DER SONNE SIZILIENS von HEWITT, KATE
"Nur diese eine Nacht, mehr kann ich dir nicht geben." Der italienische Geschäftsmann Larenzo Cavelli will der schönen Emma keine falschen Hoffnungen machen, als er sie auf seinem Anwesen in den Bergen Siziliens verführt. Allerdings ahnt er da noch nichts von den süßen Folgen …

IST LIEBE IM SPIEL? von MCALLISTER, ANNE
Für Spencers Geschäftspartner soll Sadie die Vorzeigefrau spielen. Was heißt spielen? Nach dem Gesetz ist sie seine Ehefrau - leider nur auf dem Papier. Bis jetzt! Denn der Honeymoon-Bungalow mit Kingsize-Bett ist einfach perfekt für eine romantische Verführung …

WENN UNSER GLÜCK ERBLÜHT von SHEPHERD, KANDY
Erst fasziniert Shelley nur der verwilderte Garten des alten Herrenhauses, dann immer mehr dessen attraktiver Besitzer Declan Grant. Doch kaum gesteht sie sich ein, dass sie ihr Herz an den Software-Milliardär verloren hat, muss sie plötzlich fürchten, dass er sie nur benutzt …


  • Erscheinungstag 01.11.2016
  • Bandnummer 0048
  • ISBN / Artikelnummer 9783733743468
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Nikki Logan, Kate Hewitt, Anne McAllister, Kandy Shepherd

ROMANA EXTRA BAND 48

NIKKI LOGAN

Sinnliche Versuchung im Wüstenparadies

Die betörende Sera stellt Bodyguard Brad Kruger auf eine harte Probe, denn sie weckt sein Begehren wie keine Frau zuvor. Aber wenn er ihr gegenüber die professio-nelle Distanz aufgibt, hat er verloren!

KATE HEWITT

Unter der Sonne Siziliens

„Larenzo!“ Emma stockt der Atem. Nach einer unver-gesslichen Liebesnacht auf Sizilien hat sie den feurigen Italiener nie wiedergesehen. Warum taucht er jetzt plötzlich auf? Kennt er ihr süßes Geheimnis?

ANNE MCALLISTER

Ist Liebe im Spiel?

Für Spencer steht der größte Deal seines Lebens auf dem Spiel. Seine lang vertraute Sekretärin könnte ihm als Einzige in dieser Situation helfen. Ist Sadie bereit, alles zu riskieren – und ihn zu heiraten?

KANDY SHEPHERD

Wenn unser Glück erblüht

Shelley weckt etwas in Declan, das er lange nicht gespürt hat. Doch sie soll sich um seinen Garten kümmern, nicht um ihn! Denn er hat sich geschworen, sich nie wieder am Feuer der Liebe zu verbrennen …

1. KAPITEL

Brad Kruger entdeckte seine Klientin sofort, als sie mit den übrigen Passagieren des Flugs aus London die Ankunftshalle des Flughafens von Umm Khoreem betrat. Sie trug als einzige Frau das Haar offen und ein schulterfreies Top. Offenbar hatte sie sich unterwegs umgezogen – in England herrschte um die Weihnachtszeit schließlich eisige Kälte. Ihre Kleidung trug zwar dem hiesigen Wüstenklima Rechnung, nicht aber der Kultur des Landes.

Du wirst mir in den kommenden Wochen noch einige Kopfschmerzen bereiten, dachte er, als in dem Moment Grenzbeamte in makelloser Uniform auf sie zukamen und sie unauffällig an einen freien Schalter weitab der übrigen Neuankömmlinge geleiteten.

Das fängt ja gut an! Brad drückte sich von der reich verzierten Säule ab, an der er gelehnt hatte, und näherte sich dem Schalter.

Visa für Umm Khoreem gab es erst bei der Einreise. Wer keines erhielt, wurde gnadenlos abgeschoben. Die Beamten mochten wegen der freizügigen Kleidung auf die junge Frau aufmerksam geworden sein. Wenn sie von ihrer Verhaftung vor wenigen Wochen erfuhren, würden sie ihr das Visum garantiert verweigern.

Brad sah, wie einer der Beamten mit ausdrucksloser Miene ihren Pass entgegennahm, ihr einige Fragen stellte und dann auf seinen Bildschirm starrte. Die langbeinige Brünette blickte sich ungeduldig um. Erst jetzt schien sie zu bemerken, dass man sie von den übrigen Passagieren getrennt hatte. Erschrocken drehte sie sich zu dem Beamten um, die lässige Leichtigkeit, mit der sie förmlich durch die Halle geschwebt war, fiel schlagartig von ihr ab, und sie ließ die Schultern hängen.

Endlich gelang es Brad, Blickkontakt mit einem der Beamten herzustellen. Der Mann kam zu ihm herüber, hörte mit gesenktem Kopf an, was er zu sagen hatte, nickte und zückte sein Handy. Sein Kollege am Schalter nahm das Gespräch entgegen. Er warf Brad einen neugierigen Blick zu, ehe er sich erneut der Frau zuwandte.

Damit war Brad jetzt offiziell in die Angelegenheit verwickelt, aber nur so konnte er etwas erreichen.

Der Beamte am Schalter begann, ihr Gepäck zu durchsuchen, wohl um Zeit zu schinden, bis ihre Daten überprüft waren. Als der Computer ihm die nötigen Informationen anzeigte, bat er sie, ihm zu folgen. Als sie zögerte, verlieh er seiner Bitte mit einer eindeutigen Geste Nachdruck.

Einen Beamten vor sich, einen dahinter, wurde Seraphina Blaise aus dem Ankunftsbereich geführt. Auf das Zeichen eines der Grenzer hin folgte Brad ihnen.

Jetzt sind es schon drei, dachte Seraphina, als sie den Mann bemerkte, der im Gegensatz zu den beiden anderen nicht die traditionelle Kleidung und Kopfbedeckung des Landes trug. Im dunklen Anzug wirkte er eher wie ein Chauffeur oder gar ein CIA-Agent.

Die Männer standen im Nebenraum, durch ein schalldichtes Fenster von ihr getrennt. Der Chauffeur sprach, die anderen hörten ihm aufmerksam zu.

„Gibt es ein Problem?“, fragte sie. Sicher funktionierte der Schallschutz nur in eine Richtung. Die Männer ignorierten sie, lediglich der Chauffeur warf ihr einen flüchtigen Blick zu.

Zeig keine Angst, bleib immer höflich, rief sie sich die Regeln ins Gedächtnis, die beim Umgang mit Behörden überall auf der Welt galten.

„Können wir bitte anfangen? Ich werde nämlich abgeholt“, rief sie, als wäre die Verzögerung ihre größte Sorge. Dabei lächelte sie gewinnend und hoffte, dass man ihrer Stimme die Anspannung nicht anhörte. Die Männer beachteten sie nicht einmal.

Endlich trat einer der Offiziellen an den Tisch, auf dem ihr Reisepass lag, schlug ihn auf, drückte einen Stempel hinein und reichte ihn dem Chauffeur. Die Beamten verschwanden, gleich darauf öffnete der Chauffeur die Tür. Er hielt ihren Pass in einer Hand, ihren Koffer in der anderen.

„Willkommen in Umm Khoreem. Sie dürfen jetzt gehen“, sagte er ohne weitere Erklärung oder Entschuldigung. Sein Englisch war perfekt, die sonnengebräunte Haut und das dunkle Haar ließen ihn wie einen Araber aussehen.

„Wieso hat man mich festgehalten?“ Seraphina konnte sich die Antwort denken. Die Ereignisse in einem Forschungslabor nördlich von London würden ihr ein Leben lang nachhängen.

Der Mann setzte lediglich seine Sonnenbrille auf, machte auf dem Absatz kehrt und ging mit ihren Sachen davon.

„Geben Sie mir meinen …“

„Kommen Sie, Ms. Blaise.“ Mit einer Kopfbewegung wies er auf eine Glastür weit vor ihnen. „Erst hinter diese Tür liegt Umm Khoreem.“

Verblüfft sah sie ihn an. Er zog die Vokale lang wie ein Australier, und er gehörte offenbar nicht zum Flughafenpersonal. Wer war er? Sollte sie wirklich einem Wildfremden durch einen langen, dunklen Korridor folgen? Da er ihre Sachen trug, blieb ihr jedoch keine Wahl.

„Was war das denn gerade?“, fragte sie erneut, als sie ihn eingeholt hatte. „Und wieso lässt man mich plötzlich gehen?“

„Der regierende Scheich hat sich für Sie eingesetzt.“

Verblüfft blieb sie stehen. „Sie sind ein Scheich?“

„Nein, nein.“ Er konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. „Sehe ich so aus? Scheich Baksh Shakoor ist mein Chef. Ich spreche in seinem Namen.“

„Und weshalb kümmert es ihn, was aus mir wird?“ Woher wusste er überhaupt von ihr?

„Sie sind Langzeitgast in seinem exklusivsten Hotel. Es wäre ihm nicht recht, wenn man Sie wegen einer Lappalie festhielte.“

Als Lappalie erschien ihr eine Verurteilung nicht, deswegen hatte sie sie auf ihrem Visumsantrag angegeben. Andererseits würde ihr vierwöchiger Aufenthalt in dem Wüstenhotel dem Scheich ein kleines Vermögen einbringen.

„Er weiß sicher nicht, was Sie gerade getan haben.“

„Details überlässt er grundsätzlich seinen Mitarbeitern.“

„Sie haben sich also etwas einfallen lassen …“

In diesem Moment traten sie durch die Glastür, und Sera befand sich in Umm Khoreem. In der Freiheit. Zumindest halbwegs.

„Ich musste den Beamten einige Zusagen machen“, erklärte er. „Nichts, was Sie beim Sonnenbaden stören würde.“

Offenbar ging er davon aus, dass sie sich in der Wüstensonne aalen wollte. Dabei flüchtete Sera in erster Linie vor ihrem Leben und den bevorstehenden Feiertagen, die sie fürchtete wie sonst nichts.

„Was für Zusagen?“

„Während Ihres Aufenthalts in Al Saqr stehen Sie als Gast des Scheichs unter seinem Schutz. Daher ist man bereit, über ihre … Verurteilung hinwegzusehen.“

„Das klingt ja, als hätte ich eine Bank ausgeraubt.“

„Sie wären überrascht, was ich alles von Ihnen weiß, Ms. Blaise.“

Viel kann das nicht sein, dachte sie. Sie war ein unbeschriebenes Blatt – von der Verurteilung wegen Hausfriedensbruchs einmal abgesehen.

„Hegen Sie mir gegenüber etwa Vorurteile?“

„Das Resort ist weitläufig und gut befestigt. Solange sie sich innerhalb seiner Grenzen aufhalten, bekommen sie keine Probleme.“

Sein frostiger Ton und sein strenger Blick weckten ihren Widerspruchsgeist. „Wer sollte mich daran hindern, Kafr Falaj zu besuchen?“ Vom Flugzeug aus hatte sie einen Blick auf die moderne Landeshauptstadt werfen können.

Ihr Begleiter blieb so abrupt stehen, dass sie beinahe mit ihm zusammengestoßen wäre. „Das ist meine Aufgabe. Auch darauf habe ich mein Wort gegeben.“

„Dann bin ich also nicht nur dem Scheich verpflichtet, sondern auch seinem Chauffeur.“

Sichtlich gereizt presste er die Lippen aufeinander. „Ich gehöre der königlichen Garde an und bin in den kommenden vier Wochen für Ihre Sicherheit verantwortlich.“

Sera bekam ein schlechtes Gewissen. Es war schließlich nicht seine Schuld, dass sie auf einen Mann hereingefallen war, der ihres Vertrauens nicht würdig war, und zwar kurz vor Weihnachten, einer Jahreszeit, die ihr regelmäßig zu schaffen machte.

Sie hatte keine Lust, die nächsten vier Wochen mit ihm im Dauerstreit zu liegen über Dinge, die er nicht zu verantworten hatte. Obendrein hatte sie ihrem Vater versprochen, sich unauffällig zu verhalten.

Streit anzuzetteln fiel ihr allerdings leichter, als ihm auszuweichen. „Sie haben offenbar die Niete gezogen, wenn Sie einen Monat lang Babysitter spielen müssen“, spöttelte sie.

Bei dem Wort Babysitter zuckte er zusammen, fing sich aber gleich wieder. „Ganz im Gegenteil. Das werden Sie begreifen, sobald Sie das Resort sehen.“

Seine Körpersprache mahnte sie zur Vorsicht, daher verkniff sie sich jede weitere Bemerkung. Endlich hatten sie den Ausgang erreicht. Als sich die Türen öffneten, schlug ihnen die sengend heiße Wüstenluft entgegen.

Die Autobahn führte an den Glas- und Stahlpalästen von Kafr Falaj vorbei. Die Stadt war erst vor wenigen Jahrzehnten aus dem Wüstenboden gestampft worden und legte ein spektakuläres Zeugnis von der scheinbaren Überlegenheit des Menschen über die Natur ab. Sie war auf einem unterirdischen Kanalnetzwerk errichtet, vergleichbar den römischen Aquädukten, und innerhalb kurzer Zeit zu einer blühenden, bei Ausländern überaus beliebten Metropole angewachsen.

Bald darauf fuhren sie durch eine sich schier endlos ausdehnende monotone Wüstenlandschaft. Sera richtete ihre Aufmerksamkeit auf ihren Begleiter, der sich ganz aufs Fahren konzentrierte. Er trug das dunkle Haar militärisch kurz geschnitten, sein Vollbart war elegant gestutzt, eine Narbe teilte eine seiner Augenbrauen. Seit er sie in den Fond des riesigen, luxuriösen Geländewagens hatte einsteigen lassen, hatte er kein Wort von sich gegeben und auch nichts gesagt, als sie sich kurzerhand zwischen den Frontsitzen hindurchgezwängt und auf den Beifahrersitz gesetzt hatte. Sie saß nicht gern hinten.

„Wie soll ich Sie anreden?“, unterbrach sie das Schweigen.

„Wie Ihren letzten Leibwächter.“

„Heißen Sie auch Russel?“

„Nennen Sie mich Brad, Ms. Blaise.“ Er starrte stur auf die Fahrbahn.

„Blaise ist ein Künstlername, genau wie Madonna oder Bono.“

„Wie lautet Ihr Familienname?“

„Den verwenden Sie bitte auch nicht.“

„Dann also Seraphina.“

„Bloß nicht! Das hört sich genauso nach Künstlername an. Sicher hat Dad mich deswegen so genannt.“

„Wie soll ich Sie dann nennen?“

„Sera. Können wir uns duzen?“

„Einverstanden. Was hältst du davon, wenn wir einige grundsätzliche Regeln für die kommenden Wochen festlegen?“

„Wozu? Du bestimmst doch ohnehin, was wie läuft.“

„Ich finde es wichtig, Rahmenbedingungen festzulegen.“

Kopfschüttelnd drehte sie sich um, holte aus dem Kühlschrank im Fond eine eisgekühlte Flasche Wasser heraus, öffnete sie und trank. „Hast du meine Akte nicht gelesen?“ Ihr Vater, ihre Bodyguards, ehemalige Lehrer und Kindermädchen hatten sicher entsprechende Notizen gemacht.

„Sie ist umfangreich.“ Brad wirkte wie ein Mann, der jedes Dokument gründlich von vorne bis hinten studierte.

„Also gut“, lenkte sie ein. „Darf ich die erste Regel aufstellen?“

„Nur zu.“

„Wenn wir miteinander reden, sollten wir Blickkontakt herstellen. Das ist höflich.“ Sie lächelte süß.

Für einen Moment herrschte Stille, dann nahm Brad seine Sonnenbrille ab, klappte sie zusammen und steckte sie in seine Hemdtasche. Anschließend wandte er sich Sera zu und sah sie an. Seine faszinierenden hellgrauen Augen bildeten einen starken Kontrast zu dem sonnengebräunten Teint.

Sera war, als würde er bis in ihr Inneres blicken, und sie verfluchte ihre vorlaute Klappe. Erst, als er den Blick erneut auf die Straße richtete, konnte sie wieder durchatmen.

„Du benimmst dich gerade wie ein Fall aus dem Lehrbuch.“

„Inwiefern?“, fragte sie verblüfft.

„Indem du versuchst, die Situation zu kontrollieren.“

„Ich bin in der Obhut von professionellen Erziehern aufgewachsen. Darunter gab es Vollidioten, die meisten waren in Ordnung, einige waren supernett. Sie alle wurden dafür bezahlt, für mich da zu sein. Aus diesem Grund ist mir Blickkontakt wichtig. Er gibt mir das Gefühl, es mit echten Menschen zu tun zu haben.“

Brad fuhr eine Weile schweigend weiter. Irgendwann sah er sie wieder an. „Regel Nummer eins: Höflichkeit in all ihren Formen.“ Er nickte Sera zu und richtete den Blick erneut auf die Straße. Ehe sie etwas entgegnen konnte, fuhr er fort: „Regel Nummer zwei: Ich respektiere deinen Wunsch nach Unabhängigkeit, sofern du meine Verantwortung als Sicherheitsexperte akzeptierst.“

Und wenn mein Wunsch mit deinen Pflichten kollidiert? überlegte sie. „Ist das deine Art, mir zu sagen, dass ich zu tun habe, was immer du anordnest?“

„Ich bitte dich lediglich, dich mir nicht aus Prinzip zu widersetzen.“

„Einverstanden. Regel Nummer drei …“ Es wurde Zeit für eine klare Ansage. „Ich bin dein Schützling, deswegen sind wir längst keine Freunde. Du darfst dich über mich ärgern, es aber nicht persönlich nehmen, wenn etwas nicht nach deinem Kopf läuft.“ Die vier Wochen in der Wüste sollten ihr als Auszeit dienen. Sie wollte nicht, dass er seinen Frust über sie lautstark äußerte, wie ihr Vater es häufig tat.

„Kein Problem. Ich bin schließlich nicht dein Gesellschafter.“

„Sonst noch was?“

Brad überlegte kurz. „Regel Nummer vier: Wenn du Hilfe brauchst – welcher Art auch immer –, wende dich an mich. Ich kümmere mich um alles.“

Sera sträubten sich die Nackenhaare. Ihr Leben lang hatte sich jemand um sie gekümmert. „Du scheinst ein Kontrollfreak zu sein.“

„Ich werde dafür bezahlt, dein Umfeld zu kontrollieren.“

„Stimmt.“ Und vier Wochen konnten verdammt lang werden! Daher beschloss sie, die Stimmung aufzulockern. „Wir haben alles abgedeckt: Höflichkeit, Zusammenarbeit, Respekt und einen Notfallplan. Das Einzige, was fehlt, ist ein Codewort. Wie wäre es mit ‚Paprikaschote‘?“

Brad sah sie verständnislos an.

„Für den Fall, dass einer von uns unser Arrangement beenden will.“

Es zuckte kurz um seine Mundwinkel, abgesehen davon verzog er keine Miene. „Was ist, wenn du im Restaurant Paprika bestellen willst?“

Dass er auf ihren Scherz einging, gefiel ihr. „Dann sage ich Gemüsepaprika.“

„Und wenn du Paprika im Garten anbauen willst?“

„In der Wüste von Umm Khoreem?“

„Vielleicht möchtest du dein Zimmer paprikarot streichen?“

Mit todernster Miene legte sie sich eine Hand aufs Herz. „Ich verspreche, in den kommenden vier Wochen keine Wand zu streichen.“

„Gut. Dann bleibt es bei Paprikaschote.“

Sein Blick war geradezu freundlich, und ihr Sieg, so winzig er auch war, versetzte Sera in überraschend gute Laune. Lag es daran, dass sich ihr Wortgeplänkel wie ein kleiner Flirt angefühlt hatte?

2. KAPITEL

Je mehr Sera im Gespräch über sich preisgab, desto zuversichtlicher wurde Brad. Sie schien kein hilfloses Prinzesschen zu sein, das ausflippte, sobald etwas nicht nach seinem Kopf ging. Unselbstständig wirkte sie auch nicht. Vermutlich war sie eine Nervensäge, und wenn er sie retten musste, dann am ehesten vor sich selbst.

Während sie miteinander redeten, verlor er keinen Moment aus den Augen, was um sie herum vorging. Zahlreiche Autos mit abgedunkelten Scheiben rasten vor, neben und hinter ihnen über die Autobahn. Was die Insassen planten, konnte man nie wissen. Immerhin war Sera die Tochter eines Prominenten, wenn auch eines Rockstars und keines Politikers. Zum Glück lag Umm Khoreem weit entfernt von den Krisenherden des Orients, in denen er früher gearbeitet hatte.

Neugierig sah er sie an. Sie betrachtete fasziniert die weit ausladenden monotonen Sanddünen, an denen sie gerade vorbeifuhren. Im Geist ging er ihre Akte durch:

Seraphina Blaise, vierundzwanzig Jahre alt, Tochter eines Rockstars, den Brad schon seit seiner Jugend kannte. Immer noch eroberten die jeweils neuesten Alben der Band The Ravens Plätze an der Spitze der Charts. Blaise wirkte viel zu jung für eine erwachsene Tochter. Er musste seine Karriere früh gestartet – und schon früh Vater geworden sein.

In den Unterlagen wurde Sera als unbedachter Heißsporn beschrieben, gleichzeitig aber auch als überaus loyal. Es gab Fotos von ihrer Verhaftung, Berichte über zahlreiche ehrenamtliche Tätigkeiten, ihre Intelligenz sowie ihr Talent als Fotografin. Was davon beschrieb die Wirklichkeit am besten? Brad besaß selbst einen Aktenordner voller lobender Erwähnungen – das machte ihn nicht zu einem besseren Menschen.

Mach dir dein eigenes Bild, nahm er sich vor.

In jedem Fall besaß sie eine spitze Zunge, und ihr scharfer Verstand forderte ihn heraus. Das respektierte er. Ihr anfänglich aggressives Verhalten schrieb er den schwierigen Umständen bei ihrer Einreise zu.

Eine klassische Schönheit war sie nicht, stattdessen wirkte sie wie von einem postmodernen Bildhauer aus unterschiedlichsten Teilen zu einem überaus fesselnden Ganzen zusammengefügt. Alles an ihr war lang: ihr Gesicht, ihr Kinn, ihre Nase, das Haar, die Finger, die Beine. Das erinnerte ihn an die prächtigen Araberpferde, die Scheich Baksh Shakoor in seinem berühmten Stall hielt. Dabei wirkte sie ausgesprochen weiblich – und sie faszinierte ihn ungemein.

Dass sie in einem schulterfreien Top in ein überaus konservatives Land eingereist war, war sicher kein Zeichen von Ignoranz. Wahrscheinlich hatte sie ein Exempel statuieren, einen Denkanstoß geben wollen. In ihrer Akte stand, dass sie leidenschaftlich und hartnäckig gegen Ungerechtigkeiten aller Art protestierte.

Kurz darauf setzte Brad den Blinker, bog von der Autobahn ab und in die schmale Straße ein, die nach Al Saqr führte. Da mit Gegenverkehr kaum zu rechnen war – das Resort war überaus exklusiv – gab er Gas.

Sera richtete sich auf und sah sich neugierig um. Mit einem Mal wirkte sie viel wacher, engagierter und gleichzeitig entspannter als zuvor.

„Wir brauchen noch eine Viertelstunde“, sagte er, und sie ließ sich erneut in den Sitz fallen wie ein schmollender Teenager.

Brad verkniff sich ein Lächeln. „Ist das deine erste Wüste?“

„Ja.“

„Was immer du erwartest, du irrst dich“, murmelte er.

Wenig später hielten sie vor dem Eingangstor zum Resort. Links und rechts davon erstreckte sich ein riesiger Maschendrahtzaun, soweit das Auge reichte. Ein Wachmann kontrollierte sie, glich ihre Namen mit der Gästeliste ab und winkte sie schließlich durch.

„Gibt es hier oft Probleme?“, fragte Sera, die das Gewehr des Diensthabenden bemerkt hatte.

„Der Zaun dient in erster Linie dem Schutz der Wildtiere“, versicherte ihr Brad. Zugleich erleichterte es seine Aufgabe ungemein, dass so nur registrierte Gäste, Angestellte und Lieferanten ins Resort gelangen konnten.

Die Straße war nicht länger asphaltiert, sondern bestand nur noch aus Schotter und festgefahrener Erde. Neugierig betrachtete Sera bizarr geformte nackte Felsen und vereinzelte Dornbüsche am Wegesrand. Nach einer Weile erreichten sie den Gipfel einer hohen Düne. Von hier aus konnte man die Hotelanlage in der Ferne sehen, die von ineinanderfließenden goldfarbenen Sanddünen eingefasst war.

„Was für ein Anblick!“, flüsterte Sera. Das weitläufige Resort wirkte wie ein von grünen Juwelen besetztes Diadem.

Je näher sie dem Hotel kamen, desto dichter und abwechslungsreicher wurde die Vegetation. Anfangs wuchsen nur vereinzelte Dattelpalmen neben der Piste, die sich mit dem wenigen vorhandenen Grundwasser begnügten. Dazwischen standen Gebäude in kleinen Gruppen, die als Werkstätten oder Personalquartiere dienten. Später gesellten sich Sidr- und Ghaf-Bäume dazu. So plötzlich, wie vor Dorothy der gelbe Ziegelweg auftauchte, der nach Oz führte, erreichten sie eine Straße aus säuberlich verlegten Steinplatten.

Sera sah wie gebannt nach draußen. „Wow!“, entfuhr es ihr, als das zentrale Gebäude von Al Saqr vor ihnen auftauchte, das im arabischen Stil errichtet worden war.

Sie hielten davor an, und Brad checkte rasch die Umgebung. „Bleiben Sie hier“, wies er Sera an, ehe er ausstieg. Trockene Hitze schlug ihm entgegen. Nach einem argwöhnischen Blick in die Umgebung ging er um den Geländewagen herum und öffnete die Beifahrertür. Im selben Moment traten auch schon zwei Männer aus dem Haupthaus. Der kleinere der beiden trug die bequeme traditionelle Kleidung des Landes. Als er lächelte, bildeten sich auf seinen Wangen Grübchen. Ihm folgte ein größerer Rothaariger in Baumwollhose und Hemd.

Sie nickten Brad zu, der gerade Sera aus dem Auto half und sich dann aufrecht und mit hinter dem Rücken verschränkten Händen dagegenlehnte.

Sera wirkte mittlerweile gar nicht mehr wie die verängstigte Frau vom Flughafen. Stattdessen sah sie sich mit einer geradezu mädchenhaften Begeisterung in der Anlage um, die Brad verblüffte.

„Herzlich willkommen, Ms. Blaise“, begrüßte der kleinere der beiden Männer sie in nahezu akzentfreiem Englisch. Er reichte ihr seine Visitenkarte. „Mein Name ist Aqil, ich bin verantwortlich für unsere Gäste. Wann immer Sie etwas benötigen, zögern Sie nicht, sich an mich zu wenden.“

„Ich bin Eric und stehe Ihnen für sämtliche Aktivitäten und Ausflüge zur Verfügung“, stellte sich der andere vor.

Aqil und Eric baten Sera ins Haupthaus, und Brad folgte ihnen. Drinnen sorgte eine Klimaanlage für nahezu arktische Temperaturen. Den Strom dazu lieferten in den Dünen geschickt vor den Blicken der Gäste verborgene Sonnenkollektoren.

Wann immer Brad nach Al Saqr kam, fühlte er sich in ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht versetzt. Nach der gleißenden Sonne draußen wirkte das im arabischen Stil gehaltene Foyer dunkel und geradezu mystisch, das landestypische Mobiliar und der köstliche Duft nach orientalischen Kräutern und Gewürzen sorgten für eine exotische und zugleich anheimelnde Atmosphäre.

Sera zeigte sich zutiefst beeindruckt. „Ich wünschte, ich hätte meine Kamera zur Hand“, sagte sie und bestaunte abwechselnd das prächtige Bodenmosaik und die kunstvoll geschnitzte Dachkonstruktion.

„Wir freuen uns, wenn es Ihnen gefällt.“ Aqil lächelte freundlich. „In den kommenden Wochen werden Sie sicher reichlich Gelegenheit finden, zu fotografieren.“ Er führte sie in die mit bequemen Polstermöbeln und niedrigen antiken Tischen ausgestattete Lounge, wo Eric ihr ein großes Glas tropischen Fruchtsaft servierte.

„Während du dich ausruhst, rede ich kurz mit unseren Gastgebern“, sagte Brad. Ob sie ihn gehört hatte, wusste er allerdings nicht. Sie betastete gerade hingerissen die handgewebten Vorhänge und bewunderte die kunstvoll geschmiedeten Gitter vor dem Fenster.

Die Männer zogen sich in einen Nebenraum zurück. „Wie lautet dein Auftrag?“, fragte Aqil.

„Enger Kontakt.“ Das bedeutete, dass Brad sich ständig in ihrer Nähe aufhalten musste. „Wo bringt ihr sie unter?“

„In Suite zehn. Die Nachbarsuiten sind frei.“

Damit war Brad einverstanden. Suite zehn lag ein Stück abseits und bot reichlich Privatsphäre, die zentralen Gebäude lagen aber nahe genug, um im Notfall rasch Hilfe zu erhalten, und er konnte im Gebäude neben ihrem unterkommen. Zwar gab es in der Anlage Suiten mit mehreren Schlafzimmern, doch wäre es undenkbar, Mann und Frau unter einem Dach unterzubringen, die nicht verheiratet oder verwandt waren.

„Niemand betritt ihre Suite, solange sie anwesend ist, es sei denn, ich bin ebenfalls da.“ Sie klärten noch einige wichtige Punkte, dann kehrte Brad zu Sera zurück, die es sich auf einer Couch bequem gemacht hatte und zufrieden an ihrem Saft nippte. Das Lächeln, mit dem sie ihn begrüßte, war so strahlend wie die Wüstensonne. „Es ist einfach paradiesisch hier!“

Unwillkürlich tat sein Magen einen kleinen Satz. Dass sie ihm ihre freundliche, unschuldige Seite präsentierte, war ihm gar nicht recht. Zu einer selbstsicheren, launischen Klientin konnte er viel leichter Distanz halten.

„Wollen wir jetzt dein Zimmer anschauen?“

Sie warf einen sehnsüchtigen Blick auf ihr halb geleertes Glas und seufzte wehmütig. Nur mit Mühe gelang es Brad, eine ernste Miene zu wahren. „So etwas bekommst du hier jederzeit.“

Nach einem letzten langen Zug stellte sie das Glas zurück auf den Tisch. „Gehen wir.“

Von oben betrachtet glich Al Saqr einem Skorpion. Das zentrale Hauptgebäude bildete den Körper, die Beine waren die palmenbeschatteten Pfade, die in alle Himmelsrichtungen davon ausgingen und an denen die Suiten lagen, geschickt versetzt in die Dünen platziert.

Die Gästequartiere waren Beduinenzelten nachempfunden: Weiß mit dunklen Holzfenstern auf einem sechseckigen Grundriss errichtet, verfügten sie über weit ausladende Leinwanddächer, die die umlaufenden Holzveranden in Schatten tauchten.

Sera atmete erleichtert auf. Hier erinnerte nichts an zu Hause, an die reißerischen Medien – oder gar an Weihnachten.

„Da sind wir auch schon.“ Aqil parkte das einem Golfbuggy ähnelnde Gefährt im Schatten einer Suite. Dahinter erstreckte sich nichts als die Wüste. Die Suiten waren so angeordnet, dass die Gäste völlig ungestört waren. Kein Mensch war zu sehen, keine dringende Pflicht wartete.

Sera und Aqil blieben im Golfbuggy sitzen, während Brad Seras Suite unter die Lupe nahm.

Das Warten hat sich gelohnt, dachte Sera beim Eintreten. Drinnen war es angenehm kühl, und es duftete so köstlich wie an der Rezeption. Damit hörte die Ähnlichkeit aber schon auf. Der Raum wirkte auf den ersten Blick schlicht, war aber luxuriöser als alles, was sie kannte. Das Mobiliar im arabischen Stil passte sich perfekt an die Form des Gebäudes an und verlieh ihm eine luftige Leichtigkeit. Neben großzügigen Sofas gab es einen ultramodernen Kaffeeautomaten und einen Schreibtisch. Ein riesiges Bett auf einer Empore dominierte den Raum. Die Suite war zu drei Seiten hin komplett verglast. Licht- und Sichtschutz boten kostbare Vorhänge im selben Material und Stil wie in der Lounge.

Als Aqil einen davon öffnete, schnappte Sera überwältigt nach Luft. Vor ihr erstreckten sich goldene Dünen dramatisch bis zum Horizont, dahinter zeichneten sich schemenhaft majestätische Berge ab. Zwischen dem Sand und dem klimatisierten Zimmer glitzerte ein großzügiger tiefblauer Swimmingpool, der halb in der Wüstensonne, halb im Schatten lag.

Unwillkürlich presste Sera die Hände gegen die Glasscheibe. Heiße Wüste, kaltes Wasser, ein Kaffeeautomat, ein Bett wie für die Prinzessin auf der Erbse …

Ein Großteil der Spannung, die sich im Laufe des vergangenen Jahres in ihr angestaut hatte, fiel augenblicklich von ihr ab.

„Das ist Ihr Zuhause für die nächsten Wochen“, sagte Aqil. Es war an alles gedacht worden, nichts blieb zu wünschen übrig. „Mr. Kruger bewohnt die Suite rechts von Ihnen.“ Er reichte Brad einen altmodischen schmiedeeisernen Schlüssel. „Sein Gepäck befindet sich bereits dort.“

Wozu Gepäck? dachte Sera. Sie würde nichts als einen Badeanzug brauchen und ein Kleid, um im Restaurant zu essen. Als sie einen Tisch neben dem Pool entdeckte, überlegte sie, ob sie sich die Mahlzeiten nicht lieber kommen lassen sollte.

„Vielen Dank, Aqil. Das ist exakt das, was ich brauche.“ Ruhe, Schönheit, Natur. Hier konnte sie nicht negativ auffallen, selbst wenn sie es darauf anlegte. Und von Weihnachtsstimmung keine Spur.

Mit einer Verneigung verabschiedete Aqil sich und ging.

Seufzend lehnte sich Sera gegen die warme Glasscheibe, schloss die Augen und entspannte sich. Als sie die Augen wieder aufschlug, war Brad immer noch da.

Mr. Kruger hatte Aqil ihn genannt. Ein starker Name für einen starken Mann. Rasch schob sie den Gedanken beiseite. „Ich suche zuerst meine Kamera raus, dann gehe ich schwimmen und strecke mich auf der Sonnenliege aus. Oder andersherum. Geh du also ruhig und richte dich ein. Wir können später besprechen, wie es weitergehen soll.“

Er nickte mit ausdrucksloser Miene und ließ sie allein.

Mühsam riss Brad sich vom immer wieder faszinierenden Anblick der Wüste los. Er reiste stets mit leichtem Gepäck und hatte fürs Auspacken nur wenige Minuten gebraucht.

Im Grunde könnte er täglich von seinem Apartment in der Stadt ins Resort pendeln, um auf Sera achtzugeben, doch ihr Vater hatte Rundumbetreuung gebucht. Brad war das recht. Auf die Weise kam er vier Wochen lang in den Genuss des Luxus des Al Saqr. Es gab unangenehmere Arten, Weihnachten zu verbringen.

Vor einer Weile hatte er ein Platschen gehört. Sera schwamm offenbar im Pool – und stellte keine Dummheiten an. Nach dem Drama bei der Einreise brauchte sie vermutlich etwas Zeit für sich. Er beschloss, sie ihr zu lassen und sich derweil draußen umzusehen.

Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass das ständige Beisammensein mit dem Bodyguard den Schutzbefohlenen niemals behagte, selbst wenn ihr Leben davon abhing. Die richtige Balance zwischen zu viel und zu wenig Nähe zu finden, war schwierig. Der Personenschützer musste gelassen wirken, um seinem Klienten Zuversicht einzuflößen und ihn zur Zusammenarbeit zu bewegen, durfte etwaige Risiken dabei aber nie aus den Augen verlieren. Zudem durfte der Schützling ihm nicht so weit vertrauen, dass er aufhörte, auf seinen eigenen Instinkt zu achten. Und wenn er zu anhänglich wurde, konnte es ebenfalls gefährlich werden.

Am besten war stillschweigende Akzeptanz. In diese Richtung würde er Sera dirigieren.

Seine Suite ähnelte ihrer: drei verglaste Seiten, eine massive Holztür, Sichtschutz zum Resort, nicht aber zur Wüste. In der Anlage galt das ungeschriebene Gesetz, dass man sich beim Spazierengehen vom Nachbargrund fernhielt. Das Personal würde Seras Suite nicht betreten, solange sie alleine war, und von den Gästen würde sich keiner ihrem Bereich nähern.

Sollte und würde reichten jedoch nicht. Brads Aufgabe war es, Sera von allen Schwierigkeiten fernzuhalten, bis sich die öffentliche Aufregung um ihre jüngste Eskapade gelegt hatte. Obendrein war ihr Vater reich und berühmt, daher galt es, mit allem zu rechnen. Unachtsamkeit konnte er sich nicht leisten.

Einmal und nie wieder, ging es ihm durch den Kopf.

Brad verriegelte die Tür hinter sich und lief an Seras Suite vorbei zum Nachbargebäude, um sich zu versichern, dass es tatsächlich leer stand. Anschließend sah er auf die Uhr. Inzwischen hatte sie eine ganze Stunde für sich gehabt. Er ging zu ihr und klopfte an. Nichts regte sich, auch nicht, als er nach kurzem Warten erneut klopfte.

Hoffentlich war sie nicht alleine auf Entdeckungstour gegangen! Sie hatten zwar Regeln vereinbart, das bedeutete jedoch nicht automatisch, dass sie sich auch daran hielt, wenn die Verlockung zu groß wurde.

Brad ging um die Suite herum bis zu einer Seitentür, die vom Hauspersonal benutzt wurde und für die er ebenfalls einen Schlüssel besaß.

„Sera?“, rief er leise, um sie nicht zu erschrecken. „Ich komme jetzt.“

Er bog um die Ecke und hielt inne, als er sie sah. So konnte sie ihn natürlich nicht hören! Sie befand sich am anderen Ende des Pools, die Arme auf die Umrandung gestützt, das Kinn in den Händen, und starrte in die Wüste. Auf ihren Ohren hatte sie große Kopfhörer, von denen ein Kabel zu ihrem Handy auf den trockenen Fliesen neben dem Pool führte.

Etwas an ihrer Haltung kam ihm allerdings merkwürdig vor. Er blieb stehen – und hörte ein seltsames Geräusch. Sie schluchzte in ihre verschränkten Arme.

Am liebsten wäre er zu ihr gelaufen, um zu fragen, was ihr fehlte, doch ein Bild aus der Vergangenheit hielt ihn zurück: ein junges Gesicht mit hektischen roten Flecken, gegen die Heckscheibe eines davonrasenden Autos gepresst, der Mund zum Schrei geöffnet.

Sera mochte aus vielerlei Gründen weinen: wegen ihres Exfreunds, der in der Akte erwähnt war, vielleicht hatte sie auch schlechte Nachrichten von zu Hause erhalten, oder sie hatte Ärger im Job – nur arbeitete sie nicht, dazu war ihr Vater zu reich.

Geld macht auch nicht glücklich, dachte er. Was immer sie bedrückte, ging ihn nichts an. Er musste sie vier Wochen lang beschützen und von Ärger fernhalten, war aber nicht für ihr emotionales Wohlbefinden verantwortlich. Damit wäre er ohnehin gründlich überfordert.

Behutsam tat er einen Schritt zurück, noch einen … und verließ die Terrasse auf demselben Weg, auf dem er gekommen war.

3. KAPITEL

„Hast du die Bananen probiert? Sie sind köstlich.“ Gut gelaunt öffnete Sera die Tür.

„Gibt es in England keine mehr?“, fragte Brad verwirrt. Vor wenigen Minuten im Pool hatte sie noch untröstlich gewirkt.

Als sie in die Suite zurückging, folgte er ihr. „Die werden unreif importiert aus Westafrika oder Südamerika. Wirklich frische habe ich ewig nicht gegessen.“

Irgendwie schaffte sie es, selbst Obst zum Politikum zu erheben. „Geht’s dir gut?“

„Klar. Und dir?“

„Brauchst du vielleicht Augentropfen?“ Ihre Augen waren vom Weinen noch gerötet. Er hätte es ignorieren sollen.

„Das kommt bestimmt vom Poolwasser.“

Brad ließ es dabei bewenden. Sie brauchte – oder wollte – seine Hilfe nicht. „Wie gefällt es dir hier?“

Ihr strahlendes Lächeln sagte alles. „Es ist unglaublich! Das Licht verändert sich jede Minute. Das auf Fotos festzuhalten, wird eine Herausforderung.“

„Ich dachte, du willst dich entspannen.“

„Wenn ich einen ganzen Monat nur faulenze, werde ich wahnsinnig. Fotografieren ist mein Job, das weißt du doch, oder?“

Natürlich wusste er es. Sie war bei dem Versuch, Tiere in einem Versuchslabor zu fotografieren, verhaftet worden – nicht zufällig, wie sie zunächst geglaubt hatte.

„Ich werde morgens und am späten Nachmittag arbeiten. Dann sind die Temperaturen erträglich, und das Licht ist nicht so hart. Musst du rund um die Uhr … auf mich aufpassen?“

Die kleine Pause, die sie eingelegt hatte, ließ ihn sich fühlen wie einen Stalker. „Sieben Tage die Woche, einen Monat lang. Du wirst mich aber nicht die ganze Zeit über sehen.“

„Während der Mittagshitze werde ich mich vermutlich in die Suite zurückziehen. Dann kannst du drei, vier Stunden frei machen.“

„Mal sehen.“ Falls sie vorhatte, in der Zeit im Internet aktiv zu werden, musste er achtgeben. Sie könnte einen regimekritischen Blog schreiben …

„Ich muss zur Stelle sein, wenn etwas passiert. An der Bar volllaufen lasse ich mich daher bestimmt nicht.“

Sera starrte ihn verblüfft an. „Die Anlage ist so sicher wie Fort Knox. Was sollte hier schon geschehen?“

Offenbar wusste sie nicht, wie weit seine Aufgaben reichten. Er beschloss, die Karten auf den Tisch zu legen. „Ich muss dich nicht nur beschützen, sondern auch dafür sorgen, dass du nicht negativ auffällst.“

„Das habe ich Dad doch versprochen. Anscheinend vertraut er mir nicht“, murmelte sie enttäuscht.

Sie tat Brad leid, doch er verdrängte dieses Gefühl rasch. „Da ich rund um die Uhr bei dir sein werde, wird dir niemand etwas antun. Zugleich kann ich dich vor gesellschaftlichen Fehltritten bewahren.“

„Und wenn ich verspreche, keine öffentlichen Erklärungen abzugeben?“, scherzte sie.

Darüber konnte Brad jedoch nicht lachen. „Ich ändere dein Passwort täglich, notfalls auch öfter.“

„Ja, klar. Wieso nimmst du mir nicht gleich Handy und Tablet weg?“

„Weil du kein Kind bist. Ich versuche, Risiken von dir fernzuhalten, bin aber nur dein Beschützer, kein Elternteil.“

„Niemand kann rund um die Uhr arbeiten.“

„Du wirst kaum merken, dass ich da …“

„Um mich mache ich mir dabei keine Sorgen“, unterbrach sie ihn. „Es ist dir gegenüber unfair. Du hast Unannehmlichkeiten wegen etwas, das niemals eintreten wird. Ich hatte gehofft, dieses Jahr niemandem die Weihnachtstage zu verderben.“

„Das tust du nicht. Es ist mein Job, und dieser Auftrag ist nicht besonders anstrengend.“

„Nur, wenn etwas passiert?“

„Das liegt in der Natur der Sache.“

„Ich werde jedenfalls keine Dummheiten anstellen, was immer Dad auch glaubt“, versprach sie. „Du wirst dich im kommenden Monat langweilen.“

Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert, dachte Brad. „Hat dein letzter Bodyguard dir deine Sanftmut abgekauft?“ Sie hatte ihn abgehängt, um in das Versuchslabor eindringen zu können …

Errötend schlug sie die Augen nieder, und Brad schämte sich. „Keine Angst, ich komme schon zurecht. Ich mache Pausen, wann immer es geht.“

„Ich wollte ja auch nur sagen, dass ich nichts gegen Privatsphäre habe.“

Er musste lachen. „Das glaube ich dir gerne. Leider muss ich in deine eindringen.“

Seufzend trat sie an den Nachttisch und nahm ihren Zimmerschlüssel. „Neuankömmlinge, die einen Langstreckenflug hinter sich haben, bekommen eine Wellnessbehandlung spendiert. Meine geht in einer halben Stunde los.“

„Dann bestelle ich einen Golfbuggy.“

„Lass uns lieber gehen. Ich möchte unterwegs gerne fotografieren. Und nach dem Mittagessen vielleicht auch.“

So höflich sie es auch ausdrückte, es war ein Befehl. Sie war es gewohnt, mit Sicherheitspersonal umzugehen, doch es behagte ihr nicht.

Ein Glück, dachte Brad. Klienten, die klare Ansagen machten, ertrugen in der Regel die Einmischung in ihr Leben recht gut. „Gute Idee.“

Tatsächlich war seine Arbeit größtenteils langweilig. Während der Klient ein Buch las, einen Film anschaute oder den Nachwuchs beim Spielen beobachtete, musste der Bodyguard stets wachsam bleiben und alle Sinne beisammenhalten.

Sera schnappte sich die Kamera und einen riesigen Strohhut und ging zur Tür. „Los geht’s.“

„Hat dir der Fußboden etwas getan?“, fragte Sera. In einen riesigen, flauschigen Bademantel gehüllt, noch ganz in dem wohligen Gefühl nach der Massage schwelgend, ging sie an Brad vorbei.

„Was hast du gesagt?“ Schon sprang er auf und folgte ihr.

„Du hast den Boden so intensiv angestarrt.“

„Wir hatten eben eine ernsthafte Meinungsverschiedenheit.“ Unvermittelt musste er lachen.

Das trug mehr zu ihrer Entspannung bei als die Wellnessstunde im Spa oder der befreiende Weinkrampf im Pool. Denn wenn Brad lachte, was ausgesprochen selten vorkam, dann aus vollem Herzen.

„Wie fühlst du dich?“, fragte er.

„Wunderbar.“ Das ist mein neues Lieblingswort, ging es Sera durch den Kopf. Die Wüste war wunderbar, ihre Suite, die Massage, Brads Augen … Hätte sie ihm bloß niemals befohlen, die Sonnenbrille abzunehmen!

„Ich warte vor der Tür“, sagte er, als sie in die Umkleidekabine ging. Fünfzehn Minuten später kam sie wieder heraus. Mithilfe der bereitstehenden Tinkturen und Lotionen war es ihr gelungen, ihr Haar zu bändigen. Ihre Haut glänzte von den Massageölen, ein köstlicher Duft nach arabischen Essenzen umgab sie, und sie fühlte sich frisch und entspannt und schwebte geradewegs zur Tür hinaus.

Brad trug ihr die Kamera hinterher. „Vergiss das Mittagessen nicht“, sagte er. „Lange wird die eine Banane nicht vorhalten.“

„Du hast recht. Die Massage hat mich hungrig gemacht. Gehen wir ins Restaurant.“

Unterwegs hielten sie nur ein einziges Mal zum Fotografieren an, als ein Gazellenkitz direkt neben dem Weg im Sand stand. Bei dem Versuch, die intensive Fellfärbung und die feuchten dunklen Augen einzufangen, vergaß Sera fast ihren knurrenden Magen.

Brad hatte sich nach der Ankunft ebenfalls umgezogen und trug nun Jeans und ein leichtes Hemd, dazu seine Sonnenbrille und eine Baseballkappe. Dank seiner militärischen Haltung und der athletischen Proportionen wirkte er wie ein Mitglied einer arabischen Eliteeinheit, fand Sera.

Verwirrt von der Richtung, die ihre Gedanken einschlugen, konzentrierte sie sich lieber auf ihre Umgebung. Sie schlenderten gerade an einem kleinen Wasserlauf entlang, der sich durch das gesamte Resort schlängelte. Die Sonne stand hoch am Himmel, doch selbst in diesem harten Licht entdeckte Sera faszinierende Farben und Strukturen, die sie irgendwann mit der Kamera einzufangen gedachte: Wellen, die der Wind im Sand geformt hatte, Vögel mit fantastischem Gefieder, eine bunt schillernde Eidechse, die gemächlich den Pfad vor ihnen kreuzte.

Brad folgte ihr dicht auf dem Fuß über die Türschwelle ins Restaurant von Al Saqr. Über war das richtige Wort – sämtliche Schwellen waren erhaben, vermutlich, um den Sand draußen zu halten. Drinnen war es angenehm kühl, hochflorige Teppiche lagen auf dem Steinboden. Nach dem gleißenden Sonnenschein draußen war die Dunkelheit eine Wohltat für die Augen, doch es dauerte einen Moment, ehe Sera gut sehen konnte.

Das Restaurant befand sich im rückwärtigen Teil des Hauptgebäudes. Die Gäste konnten in gepflegtem Ambiente drinnen speisen oder an hübschen Tischen auf der schattigen Terrasse mit Blick auf einen kleinen See.

Sera ließ sich zu einem Tisch im Freien führen, am Rand der Terrasse. Bald stand ein Glas ihres Lieblingssafts vor ihr, dazu eine Karaffe eisgekühltes Wasser. Brad saß einige Meter weiter hinter ihr. Sie sah ihn nicht, dafür hatte er vermutlich einen Überblick über den gesamten Bereich.

Dad dürfte nicht hier sitzen, ging es ihr durch den Kopf. Der Gothic-Rock, den die Ravens spielten, zog viele Verrückte an. Einer davon könnte sich in den Dünen verstecken und ihn mit einem Gewehr bedrohen. Ihr dagegen lauerte schlimmstenfalls die Presse auf. Und ganz bestimmt nicht hier.

Sechs weitere Gäste nahmen einen verspäteten Lunch ein – drei sehr verliebte Paare. Die luxuriöse Ferienanlage eignete sich perfekt für Flitterwochen, zum Begehen von Jahrestagen oder für ein romantisches Weihnachtsfest. Dennoch hoffte Sera, die Feiertage hier besser hinter sich bringen zu können als zu Hause.

Wenig später wurde das Essen serviert. Lediglich das leise Klirren von Besteck auf Porzellan erinnerte Sera daran, dass Brad hinter ihr saß. Sie konnte seine Gegenwart geradezu spüren, und das machte sie rastlos – so sehr, dass sie nach einer Weile die herrliche Aussicht und die delikaten Gerichte nicht mehr genießen konnte.

Sobald der erste Gang abgeräumt war, schob sie den Stuhl zurück, stand auf und ging zu Brad. „Das ist doch albern. Komm und iss mit mir.“

„Nett von dir, aber ich bin im Dienst.“

„Du hast brav gesagt, was dein Arbeitgeber von dir erwartet. Jetzt komm mit an meinen Tisch.“

„Es ist besser, wir halten uns an die Vorschriften.“

Seine unerschütterliche Ruhe irritierte sie, und es ärgerte sie, dass sie ihren Willen nicht bekam. Gleichzeitig fragte sie sich, weshalb sie ihn überhaupt bei sich haben wollte. Sie hatte Männern doch eigentlich abgeschworen.

„Wo liegt das Problem, wenn wir uns beim Essen unterhalten?“

„Ich werde dafür bezahlt, dir wie ein Schatten zu folgen, und nicht, dich mit Beschlag zu belegen“, sagte er vorsichtig.

„Davon kann keine Rede sein.“ Sera sah sich um. „Es ist seltsam, ganz alleine zu essen.“

„Tust du das sonst nicht?“

Ich bin immer allein, dachte sie. Selbst in Gesellschaft. Früher hatte zumindest ihr Kindermädchen die Mahlzeiten mit ihr eingenommen. Meist hatte sich das Gespräch um Tischmanieren gedreht, von menschlicher Nähe keine Rede. „Falls es dir entgangen ist, in diesem Hotel wohnen ausschließlich Paare.“

Aufmerksam betrachtete Brad die Leute an den anderen Tischen. „Soll es aussehen, als wären wir zusammen?“

Sera schnaubte frustriert und zog damit viele Blicke auf sich. „Hör zu: Ich bin die Kundin, und ich bitte dich, mir Gesellschaft zu leisten. Aus Sicherheitsgründen.“

Als er lediglich skeptisch die Augenbrauen hob, gab sie auf. „Gut, vergiss es. Dann genieße ich die tolle Aussicht eben alleine und tausche mich mit niemandem darüber aus.“

Sie machte kehrt, ließ sich frustriert auf ihren Stuhl sinken und trank einen riesigen Schluck Melonensaft. Anbetteln würde sie ihn bestimmt nicht, das hatte sie noch nie getan. Doch die Versuchung war groß.

Erst als der Stuhl ihr gegenüber über den Boden scharrte, bemerkte sie Brad. Er stellte sein Wasserglas auf ihren Tisch und setzte sich.

„Möglicherweise willst du irgendwann alleine essen. Oder ich. Was dann? Wir vermeiden engen Kontakt mit Klienten, um unangenehmen Situationen vorzubeugen. So entstehen auf keiner Seite Druck oder Erwartungen.“

„Glaubst du, ich erwarte, dass du immer mit mir isst?“ Sera warf ihm einen finsteren Blick zu.

„Du wärst nicht die erste Klientin, die die Situation falsch interpretiert. Die Vorschriften existieren aus gutem Grund.“

„Dein Pech, wenn du mit wollüstigen älteren Damen nicht zurechtkommst.“ Sie wandte ihm den Rücken zu und sah in die Wüste hinaus.

„Ich hätte nicht gedacht, dass du zum Schmollen neigst.“ Seine Stimme klang ruhig, amüsiert und zugleich ein wenig enttäuscht.

„Ich schmolle gar nicht“, protestierte sie. „Ich wollte … Normalerweise dränge ich mich niemandem auf.“ Das Risiko, zurückgewiesen zu werden, war ihr zu groß.

„Aber?“

„Der Zaun, die bewaffneten Wächter … Niemand kennt mich, die Presse kann mich hier nicht aufstöbern. Ich dachte, ich könnte es hier entspannt angehen lassen.“ Unter seinem eindringlichen Blick kribbelten ihre Finger. Rasch ballte sie die Hände zu Fäusten.

„Was dich angeht, hast du sicher recht. Allerdings kennt man mich hier.“

Sera seufzte. Er hatte ja recht! Wenn er ihrem Wunsch nachgab, setzte er seinen Job aufs Spiel. „Das habe ich nicht bedacht. Vielleicht solltest du …“

„Jetzt bin ich hier und bleibe auch. Es würde noch mehr Aufmerksamkeit erregen, wenn ich wieder ginge. Lass uns in Ruhe zu Ende essen.“

Sera nickte stumm. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, hatte alle interessanten Gesprächsthemen vergessen – und Brad schien ihr nicht aus der Patsche helfen zu wollen.

„Du warst beim Militär?“, stellte sie das Offensichtliche fest.

„Zehn Jahre bei einem Spezialeinsatzkommando der UN.“

Dann war sie noch ein Kind gewesen, als er sich zum ersten Mal in Gefahr begab. Fühlte sie sich deswegen so seltsam, wenn sie zusammen waren – fast wie ein Teenager? „Warst du schon in vielen Wüsten?“

Brad hielt inne, seine Gabel schwebte auf halbem Weg zum Mund über dem Teller. „In mehr als die meisten.“

„Hast du im Mittleren Osten gearbeitet?“

„Hauptsächlich.“

„Klingt aufregend.“

„Wenn du die politische Lage meinst, hast du sicher recht.“

„Wann hast du die Truppe verlassen?“

Unvermittelt verdüsterte sich sein Blick. „Vor zwei Jahren.“

„Warum?“

Verlegen blickte er in die Ferne. „Weil ich einen Fehler gemacht habe.“

Am liebsten hätte Sera nachgehakt, aus Taktgefühl ließ sie es bleiben. „Seither arbeitest du für den Scheich?“

„Ich wollte unbedingt in sein Team. Es ist das beste.“

„Dann war die Konkurrenz bestimmt groß.“

„Ich bin ehrgeizig.“ Er lächelte, und ihr blieb augenblicklich die Luft weg.

„Arbeitest du immer hier?“

„Nein, aber häufig. Das Al Saqr ist das Juwel in der Krone des Scheichs. Irgendwann einmal kommt jeder seiner wichtigen Gäste hierher.“

Lächelnd lehnte sich Sera in ihrem Stuhl zurück. „Wie viele von ihnen durften das Resort nicht verlassen, ohne eine Ausweisung zu riskieren?“

„Du bist die Erste – zumindest von meinen Klienten.“

Der Gedanke, in irgendeiner Beziehung die Erste für ihn zu sein, löste ein seltsames Kribbeln in ihrem Magen aus. „Welcher Klient war dein schwierigster?“

„Darauf zu antworten wäre unprofessionell.“

„Du brauchst keinen Namen zu nennen.“

Als er sie nur stumm ansah, begriff sie. „Echt? Ich bin die Schlimmste?“

„Nicht die Schlimmste, sondern die Schwierigste.“

„Du kennst mich seit gerade einmal drei Stunden. Wie kannst du das schon behaupten? Und inwiefern bin ich schwierig?“

Für einen Moment wich er ihrem Blick aus, und zum ersten Mal hatte sie den Eindruck, dass er ihr etwas verheimlichte. „Meine Klienten haben üblicherweise keine Probleme bei der Einreise.“

„Du hast die Krise schnell gemeistert.“

„Das ist mein Job. Ich muss jede Situation beherrschen.“

Unwillig runzelte sie die Stirn. Musste er ihr ständig unter die Nase reiben, dass er ein Angestellter war?

In diesem Moment servierte eine junge Frau in einem prächtigen, farbenfrohen Gewand das Dessert und erkundigte sich nach weiteren Wünschen. Als sie wieder ging, sah Brad ihr hinterher, was Sera zu ihrer eigenen Überraschung gewaltig störte.

„Ist es dir recht, wenn ich heute Nachmittag fotografiere, sobald es etwas kühler ist?“, zog sie seine Aufmerksamkeit wieder auf sich.

„Wie du willst.“ Höflich wartete er, bis sie ihre Dessertgabel ergriff, ehe er seine zur Hand nahm. Einige Minuten lang aßen sie schweigend die exotischen Köstlichkeiten, ehe er fragte: „Ist Fotografieren dein Hobby oder dein Beruf?“

„Um es Beruf zu nennen, habe ich nicht genügend Bilder verkauft. Dennoch nehme ich es ernst.“

„Wie bist du dazu gekommen?“

„So genau weiß ich das nicht mehr. Umso besser erinnere ich mich an den Tag, als ich meine erste eigene Ausrüstung gekauft habe. Und jeden Freitagnachmittag bekam ich Unterricht von einem professionellen Fotografen.“

„Was war dein erstes Motiv?“

„Blaise. Das Foto hängt heute noch in meiner Wohnung.“ Es war kein Meisterstück, doch so konnte sie ihren Vater täglich sehen. „Dann kam das Personal an die Reihe.“

Sie hatte den Leuten die sorgfältig arrangierten Fotos geschenkt, für die sie posiert hatten, während sie die Schnappschüsse aufbewahrt hatte, die sie zuvor geschossen hatte, als ihre Modelle sich das Haar richteten, lachten, herumalberten oder einander sprechende Blicke zuwarfen. Darauf wirkten sie natürlich, offen, menschlich.

„Später habe ich streunende Hunde in der Stadt als Motiv entdeckt. Seither dreht sich für mich alles um Tiere und wie sie in der Stadt überleben. Ich finde sie interessanter als Menschen.“ In vielerlei Hinsicht. „Eine Weile habe ich geholfen, Heimtieren ein neues Zuhause zu besorgen. Das war eine schöne Zeit.“

„Hier wirst du keine Streuner antreffen.“

Sera überlegte kurz. „Streuner bedeutet doch nichts anderes als Wildtier im städtischen Umfeld. Das Wild hier lebt auch in engem Kontakt mit den Menschen. So groß ist der Unterschied also nicht.“

Brad sah sie ernst an. „Darf ich dich etwas fragen? Gibt es etwas, das ich wissen müsste? Wegen vorhin … im Pool?“

Sera erstarrte. Sie hätte sich denken können, dass ein guter Beobachter wie er von ihrem Weinkrampf wusste. Doch wie sollte sie ihm erklären, dass sie monatelang auf diesen erlösenden Augenblick gewartet hatte?

Monatelang hatte sie mühsam ihre Würde gewahrt, hatte die Verhaftung, die Enttäuschung ihres Vaters, den Medienhype um ihre Verurteilung klaglos ertragen, sogar die Nachricht vom Verrat ihres Exfreundes. Mark hatte im Warteraum vor dem Gerichtssaal mit ihr Schluss gemacht, nach vier Monaten Beziehung. Das hätte er sich sparen können, sie wollte ohnehin nichts mehr von ihm wissen. Er hatte skrupellos ihre Verhaftung inszeniert, um seine Kampagne gegen Tierversuche ins Rampenlicht zu rücken. Er hatte sie ausgenutzt und verraten, und sie hatte es ihm leicht gemacht mit schlechter Menschenkenntnis und grenzenlosem Optimismus.

„Das Weinen hat mir gutgetan. Hinter mir liegen harte Monate, jetzt fühle ich mich befreit. Du kannst von Glück sagen, dass ich nicht schon am Flughafen in Tränen ausgebrochen bin. Ich war nämlich kurz davor.“

Brad sah sie verständnislos an.

Männer sind schon seltsame Wesen, dachte Sera. „Du findest Weinen sicher unprofessionell.“

„Ich habe auch schon geweint“, gab er spontan zu und errötete. „Gut hat es sich nicht angefühlt.“

Etwas an seiner Haltung verriet ihr, dass er weder Mitleid noch Neugierde dulden würde. Daher hakte sie nicht nach. „Derzeit habe ich keine Sorgen. Aber vielen Dank für deine Anteilnahme.“ Er schien es ehrlich zu meinen, und das tat ihr gut. Nur durfte sie es nicht persönlich nehmen. Er kümmerte sich um sie, weil es seine Aufgabe war.

Brad betrachtete sie eine Weile eindringlich. „Gut. Ich möchte dich nur daran erinnern …“

„Dass ich mich an dich wende, sobald ich Hilfe brauche“, fiel sie ihm ins Wort. „Regel Nummer vier.“ Dabei ging es zwar um Hilfe in Gefahr, dennoch war es schön, sich einzureden, dass sie ihm ihre Sorgen anvertrauen, Frust ablassen oder Dinge ansprechen konnte, die sie bedrückten. Normalerweise machte sie nämlich alles mit sich ab.

„Was willst du heute knipsen?“, lenkte er das Gespräch zurück auf neutrales Terrain.

Unwillkürlich schüttelte Sera den Kopf. Wie war nur aus einer harmlosen Plauderei so rasch ein Seelenstriptease geworden?

„Einfach alles. Dazu muss ich zunächst das gesamte Terrain erkunden.“

„Al Saqr, das Gelände innerhalb des Zauns, umfasst fünfzehn Prozent des gesamten Staatsgebiets. Vielleicht möchtest du es lieber langsam angehen lassen?“

„Hauptsache, ich tue überhaupt etwas.“

„Die meisten Gäste entspannen über Weihnachten.“

„Ich bin aber nicht die meisten“, entgegnete sie pampig, bis ihr einfiel, dass er lediglich seinen Job tat. „Außerdem bin ich ganze vier Wochen hier. Da bleibt zwischendurch genügend Zeit zum Ausspannen.“

Brad stellte ihr noch einige weitere Fragen, dann waren sie fertig. Zwischenzeitlich waren etliche Gäste gegangen, andere hatten ihre Plätze eingenommen.

Noch mehr Paare, dachte Sera. Wie sollte sie es zwischen so vielen Verliebten aushalten, noch dazu über die Feiertage?

„Wenn du heute noch fotografieren willst, sollten wir aufbrechen.“ Brad stand auf und rückte ihr den Stuhl zurecht.

Recht hast du, dachte Sera. Die Anlage war viel zu schön, um Gedanken an einsame Weihnachtstage und selbstsüchtige Männer zu verschwenden.

4. KAPITEL

Brad hielt sich unauffällig im Hintergrund, während Sera versuchte, ein Gespür für das Licht zu entwickeln. Von Aqil wusste sie, dass die Huftiere der Wüste sich innerhalb des Zauns frei bewegen durften und ihre Scheu vor den Menschen abgelegt hatten. Berühren ließen sie sich nicht, meist aber fotografieren. Auch außerhalb des Tierreichs entdeckte sie Motive in Hülle und Fülle, sodass sie innerhalb einer Stunde kaum einhundert Meter vorankamen.

Brad beklagte sich nicht, doch sobald er das Gewicht von einem Fuß auf den anderen verlagerte, ging sie einige Schritte weiter. Irgendwann verließ sie den befestigten Weg und kletterte auf eine Düne. Dabei entdeckte sie die Abdrücke ihrer Füße im Sand als weiteres interessantes Fotomotiv.

„Lass dir doch noch etwas für morgen übrig“, murmelte Brad nach geraumer Zeit.

„Das sind nur Testschüsse, an denen ich lerne, wie Licht, Schatten und Sand zusammenwirken. Du kannst gerne an deinen Pool gehen.“ Zur Antwort erhielt sie lediglich ein Schnauben, das sie ignorierte.

Die Sonne sank immer tiefer, das Licht wurde immer weicher und ließ bizarre, vom Wind in den goldenen Sand geprägte Formen hervortreten – im Gegenlicht. Sera beschloss, morgens bei Sonnenaufgang zum Fotografieren zurückzukehren. Erst in diesem Moment wurde ihr bewusst, dass sie schon lange nicht mehr so viel Begeisterung für ihre Arbeit aufgebracht hatte.

„Lass uns zurückgehen“, sagte sie kurz darauf. „Ich brauche eine Abkühlung.“

Zu ihrer Suite war es nicht weit, und Brad ging voran, um die Räume zu kontrollieren.

„Was ist, wenn jemand mich entführt, während du in meinem Zimmer bist?“, fragte sie halb im Scherz.

„Das läuft unter kalkuliertes Risiko“, rief er von drinnen. „Die meisten Verbrechen finden im stillen Kämmerlein statt. Draußen könnte jemand beobachten, wie du gefesselt und auf ein Kamel gehievt wirst.“

Sera grinste. Die Vorstellung, von einem sexy Wüstenscheich auf seinem Kamel oder Araberhengst verschleppt zu werden, war irgendwie reizvoll. Wenn er so gut aussähe wie Brad, würde sie nicht lange um Hilfe rufen.

Als er sie hereinrief, setzte sie eine Unschuldsmiene auf, wohl wissend, dass ein offener Flirt mit seinem Arbeitsethos nicht vereinbar war.

„Ich ruhe mich bis zur Dämmerung aus, dann möchte ich essen.“ Wenn sie ihn eine Weile nicht sähe, würden sich ihre aufgestauten Hormone hoffentlich beruhigen. Obendrein machte ihr auch noch der Jetlag zu schaffen.

„Lass dir doch etwas aufs Zimmer bringen“, schlug er vor, als könnte er Gedanken lesen. Oder sah er ihr nur an, wie erschöpft sie war? Er holte die Speisekarte vom Schreibtisch und reichte sie ihr. „Ich bestelle, während du in deinen Badeanzug schlüpfst.“

„Überrasch mich doch mit etwas Leckerem.“ Sera genoss es, einmal keine Entscheidungen treffen zu müssen – und etwas Neues auszuprobieren.

Sie ging ins Bad und zog ihren blauen Badeanzug an, der schon wieder getrocknet war. Dann streifte sie ihr Haargummi ab und ließ das Haar offen über ihren Rücken fallen. Sie mochte das Gefühl, wenn es nass und schwer auf ihren Schultern lag. Es war angenehm, fast wie eine Umarmung. Wer ohne Mutter aufwuchs, wessen Vater monatelang am Stück unterwegs war, genoss jede Art von Berührung, wo immer er sie fand.

„Möchtest du auf der Terrasse essen oder drinnen?“, fragte Brad durch die massive Holztür hindurch.

Es hörte sich an, als wären sie ein Paar. Brad passte sich automatisch ihrem Tagesablauf an, ahnte ihre Wünsche voraus – und Sera hatte sich auch schon an seine Anwesenheit gewöhnt. Dabei kannten sie sich gerade erst seit wenigen Stunden.

„Auf der Terrasse bitte. Bei Sonnenuntergang.“

Er sagte etwas ins Telefon, und unwillkürlich fragte Sera sich, wie seine Stimme wohl klänge, wenn er direkt neben ihr läge …

„Nur für eine Person“, rief sie erschrocken über den verwegenen Gedanken. Gleich darauf zuckte sie peinlich berührt zusammen. Du bist die Kundin, du darfst deine Wünsche äußern, versuchte sie sich zu beruhigen, musste aber an die Frauen denken, die Brad erwähnt hatte. Frauen, die mehr von ihrem Bodyguard wollten als seinen Schutz. Hoffentlich hielt er sie nicht für eine von ihnen.

„Ich habe heute Abend ein Date mit dem Sand und der Stille“, schob sie rasch als Entschuldigung hinterher und wartete gespannt auf seine Antwort.

„Schon gut“, hörte sie ihn sagen, und es klang, als meinte er es auch so. Er hatte den gemeinsamen Lunch für keine gute Idee gehalten, und mittlerweile verstand Sera auch, warum. Dennoch fühlte sie sich einsam, als sie eine Weile später alleine am Tisch saß.

Brad holte eine Flasche Bier aus der Minibar, ging auf die Terrasse und ließ sich auf eine der Sonnenliegen fallen.

Er hatte die Vorhänge in der Suite geöffnet, sodass gedämpftes Licht von drinnen auf die Terrasse fiel. Auch die Poolbeleuchtung war eingeschaltet. Eine leichte Brise kräuselte die Wasseroberfläche.

Als er hörte, wie zu seiner Linken eine Tür geschlossen wurde, begann er, über Sera nachzudenken.

Sie steckte voller Widersprüche und war dabei so facettenreich. Während er sich von seinen bisherigen Klienten innerhalb eines einzigen Tages ein klares Bild hatte machen können, gelang ihm das bei ihr nicht. In einem Moment forderte sie selbstbewusst Blickkontakt, im nächsten vergoss sie heimlich Tränen. Sie diskutierte scharfsinnig und hellwach mit ihm, kam schläfrig und mit zerzaustem Haar von der Massage. Sie zeigte ihm die kalte Schulter und wollte alleine zu Abend essen, gleich darauf versuchte sie die vermeintliche Kränkung abzumildern.

Nach außen hin gab sie sich hart und zäh, innen war sie sanft und weichherzig.

Und du? fragte er sich. Was verursachte ihm ein solches Unbehagen? Sein Stolz war tatsächlich verletzt, nur den Grund verstand er nicht. Er aß sonst nie mit seinen Klienten, in den meisten Fällen wäre es ohnehin kein Vergnügen.

Wieso kränkte es ihn dann, dass sie ihn nicht zum Dinner eingeladen hatte?

Nachdenklich stellte er die geleerte Bierflasche auf den Boden und streifte sein T-Shirt ab. In Badeshorts watete er in den beheizten Pool, um im warmen Wasser die trüben Gedanken fortzuspülen. Es war Winter, und die Wüste kühlte nachts rasch ab. Daher bildeten sich immer wieder neue Nebelschwaden über der Wasseroberfläche, die mit jedem Windhauch in die Dunkelheit entschwebten.

Brad tauchte. Unter Wasser herrschte friedliche Stille, hier konnte er entspannen. Er hielt den Atem so lange an wie möglich. Das war lange, schließlich hatte er das Überlebenstraining der Spezialkräfte absolviert.

Nach seinem Ausscheiden aus den UN-Truppen war er der Garde des Scheichs beigetreten. Er hatte auf hochkarätige, anspruchsvolle Aufgaben gehofft, bei denen er seine Fähigkeiten nutzen konnte. Kurze Einsätze für Geschäftsleute, die seinen Schutz akzeptierten und schätzten. Unpersönlich.

Die vergangenen zwei Jahre hatten ihm gutgetan und ihm dabei geholfen zu verarbeiten, was in Kairo geschehen war – weil er seinem Klienten persönlich zu nahegestanden hatte.

Sein Motto seit damals lautete stillschweigende Akzeptanz. Er sollte es sich auf den Arm tätowieren lassen, denn bei seinem derzeitigen Auftrag musste er ganze vier Wochen engen Kontakt zu seiner Klientin halten. Im Lauf der Zeit würde es ihm schwerfallen, auf Distanz zu bleiben. Sera weckte Empfindungen in ihm wie Neugier, Mitgefühl und andere, die er nicht identifizieren konnte.

Er stieß sich vom Beckengrund ab, tauchte wieder auf, drehte sich auf den Rücken und ließ sich rücklings auf der Wasseroberfläche treiben. Nach einer Weile kletterte er aus dem Pool, trocknete sich ab und ging nach drinnen, um sich noch ein Bier zu holen.

Die Sonne versank hinter den Dünen, und die Oryxantilopen wurden munter. Sera hatte tagsüber die kleine Herde bemerkt, die in flachen Senken im Sand ruhte. Nun erhoben sich die Tiere schwerfällig, schüttelten den Sand aus dem Fell und begaben sich auf ihre nächtliche Wanderung … wohin auch immer.

Da nun keine Gefahr mehr bestand, in Kontakt mit ihren spitzen Hörnern zu geraten, beschloss sie, einen kurzen Spaziergang in die Wüste zu unternehmen. Sie schaltete sämtliche Lichter in ihrer Suite aus und entfernte sich nur wenige Meter von ihrer Terrasse, um den Nachthimmel zu fotografieren. So viele Sterne auf einmal hatte sie noch nirgends gesehen, meist war es um sie herum viel zu hell. Das Stativ ließ sich nicht aufstellen, daher lief sie rasch ins Haus zurück und holte ein Buch, eine Zeitschrift und einen leeren Teller als Unterlage. Als alles perfekt war, betätigte sie den Auslöser und setzte sich einen Meter entfernt in den Sand, um die lange Belichtungszeit abzuwarten. Sie freute sich schon darauf, die Fotos auf ihrem Laptop zu bearbeiten, wenn es tagsüber zu heiß war, um draußen zu sein. Dann hatte sie wenigstens keine Zeit zum Grübeln.

Allmählich gewöhnten ihre Augen sich an die Dunkelheit, gleichzeitig wurde ihr bewusst, dass die nachtaktiven Wüstenkreaturen sie deutlich erkennen konnten, während sie sie bestenfalls schemenhaft wahrnahm.

Nach einer Weile beschloss sie, etwas tiefer in die Wüste vorzudringen, um von dort aus ihre Suite zu knipsen. Dummerweise hatte sie sämtliche Lichter ausgeschaltet, doch Brads Gebäude war erleuchtet. Der Einfachheit halber beschloss sie, einige Testaufnahmen von seinem Häuschen zu machen und am nächsten Abend ihr eigenes abzulichten.

Rasch brachte sie die Utensilien, die sie nicht benötigte, zu ihrer Terrasse und stapfte durch den tiefen Sand zu Brads Suite.

Er war nirgends zu sehen. Auf seiner Terrasse lag lediglich eine leere Bierflasche. War er zum Essen ins Restaurant gegangen oder auf ein Bier in die Bar?

Noch immer bedauerte sie die abrupte Weise, mit der sie ihn von ihrem Dinner ausgeschlossen hatte. Soziale Kompetenz war nicht gerade ihre Stärke.

Sie schob den unerfreulichen Gedanken beiseite und richtete die Kamera auf das Gebäude, um einen schönen Bildausschnitt zu finden. Brads Suite war in Grüntönen gehalten, während ihre blau war. Sie drückte ab, änderte einige Einstellungen und wollte gerade erneut den Auslöser betätigen, als das Wasser im Pool in Bewegung geriet und Brads nasser, nackter Oberkörper auftauchte.

Im letzten Moment gelang es ihr, einen Aufschrei zu unterdrücken. Sie ließ die Kamera sinken und sah zu, wie Brad sich rücklings aufs Wasser legte und treiben ließ. So entspannt und zufrieden hatte sie ihn noch nie erlebt. Nach einer Weile stand er auf und kletterte aus dem Pool. Wasser strömte über seinen Rücken, dann hüllte er sich in eines der riesigen Badetücher, die das Resort den Gästen zur Verfügung stellte. Verlegen wandte Sera sich ab und setzte sich einige Meter entfernt mit dem Rücken zu ihm in den Sand.

Genügt dir eine Verurteilung wegen Hausfriedensbruchs nicht? ermahnte sie sich in Gedanken. Musst du auch noch zur Stalkerin werden?

Glücklicherweise hatte Brad sie nicht entdeckt. Das machte ihren Voyeurismus allerdings nicht besser.

Sie hörte, wie eine Tür ins Schloss fiel. Brad musste nach drinnen gegangen sein. Kurz darauf ging die Tür erneut. Neugierig drehte sie sich um. Gerade ließ er sich auf einer der Sonnenliegen nieder. Er trug jetzt eine weite Jogginghose und ein Sweatshirt. In einer Hand hielt er eine Bierflasche, in der anderen ein Buch.

Das Buch überraschte sie. Sie hätte ihn nicht für eine Leseratte gehalten. Allerdings wusste sie kaum etwas über ihn – genauso wenig wie von den anderen Menschen, die für sie arbeiteten.

Leise stand sie auf und machte sich auf den Rückweg zu ihrer Suite. Dabei schlug das Mondlicht auf dem Sand sie völlig in seinen Bann. Es wirkte völlig anders als das gleißende Sonnenlicht.

Auch Brad im Pool kam ihr wie ein neuer Mensch vor. Wenn er im Dienst war, bewegte er sich wie ein Mann mit einer Mission. Jeder Schritt wirkte kalkuliert, er ließ den Blick unaufhörlich umherschweifen, ging zielstrebig und schnell, allzeit einsatzbereit. In seiner Freizeit dagegen schlenderte er gemächlich wie jemand, der nichts Besseres zu tun hatte, als ein Bier zu trinken und einen Krimi zu lesen.

So gefiel er ihr. Sehr gut sogar. Am liebsten säße sie neben ihm auf der Terrasse, läse und faulenzte mit ihm.

Lass dir bloß nicht den Kopf verdrehen, würde ihr Vater sie warnen, doch das war nicht nötig. Sie hatte auf die harte Tour gelernt, auf ihr Herz zu achten und sich nicht zu eng an jemanden zu binden. In der Welt, in der sie lebte, kamen und gingen die Menschen. Keiner blieb. Das lag in der Natur der Sache. Die Leute arbeiteten für sie, dann wechselten sie zum nächsten Arbeitgeber. Es waren keine Freunde, sondern Angestellte.

„Sera!“

Starke Hände umfassten ihre Taille, sie wurde herumgerissen und sah sich einem atemlosen, zornigen Brad gegenüber.

„Ich bin fast in meiner Suite“, verteidigte sie sich instinktiv.

„Es ist dunkel, und du bist allein unterwegs!“

„Ich konnte dich doch sehen.“ Sie errötete, als ihr klar wurde, was sie ihm da gerade gestanden hatte. „Du hättest es gehört, wenn mir etwas zugestoßen wäre.“

„Bis ich bei dir gewesen wäre, hätte alles Mögliche passieren können“, fuhr er sie an.

„Wer sollte mich denn entführen?“

„Was ist mit Schlangen, Skorpionen? In der Wüste gibt es wilde Tiere, einige davon sind tödlich. Bis ich dich erreicht hätte, wäre eine Minute vergangen. Zwei weitere, bis ich dich ins Haus geschafft hätte. Das sind drei der sechs Minuten, die man nach einem Schlangenbiss zu leben hat.“

„Oh.“ Verlegen sah Sera zu Boden. In der Dunkelheit konnte sie ihre Füße kaum ausmachen.

„Warum kannst du nicht ein Mal die einfachsten Anweisungen befolgen?“

„Es ist leicht, sie zu erteilen, aber schwer, danach zu leben. Ich wollte lediglich ein paar Nachtaufnahmen machen.“

„Du hättest mir Bescheid geben müssen.“

„Du bist kein Sklave und hast dir deine Freizeit verdient.“

„Dann fotografierst du eben morgen Nacht, und ich mache tagsüber einige Stunden frei.“

Das klang vernünftig. „So einfach ist das nicht. Wenn ich eine Eingebung habe …“

„Ich fürchte, du hast ständig irgendwelche Eingebungen. Dennoch kannst du nicht einfach durch die Dünen laufen. Hier lauert der Tod.“

„Jetzt übertreibst du aber! Ich bin nur wenige Meter von meiner Suite entfernt. Hab doch ein bisschen Vertrauen in mich.“

„Du hast mir noch keinen Grund dazu gegeben.“

Nein! stöhnte sie innerlich. Sie hatte ihn enttäuscht – genau wie ihren Vater. Wie gut ihre Absichten auch sein mochten …

„Neunzig Sekunden, dann bin ich in Sicherheit.“ Wütend marschierte sie auf ihre Suite zu. Der Rückweg dauerte allerdings länger, als sie gedacht hatte. Es ging bergan über losen Sand. Als sie endlich ihre Terrasse erreichte, atmete sie schwer.

„Ich bleibe, bis ich sicher sein kann, dass dir nicht noch mehr dumme Ideen kommen“, verkündete Brad.

„Dann bring am besten deine Sachen hierher. Ich habe nämlich ständig irgendwelche Einfälle.“ Zumindest dachte ihr Vater das immer von ihr.

Brad folgte ihr in die Suite, und sie fuhr herum und drückte die Hände gegen seine Brust. Durch sein Sweatshirt hindurch spürte sie feste Muskeln, genauso hart, wie sie durchs Objektiv ausgesehen hatten. Rasch zog sie die Hände zurück. „Das meinst du doch nicht ernst?“

„Doch.“

„Du kannst nicht bei mir übernachten! Es ist gegen das Gesetz.“ Kein arabisches Gericht würde ihm abnehmen, dass er die Nacht auf dem Sofa verbracht hatte, während eine junge Frau im selben Raum in einem bequemen Doppelbett schlief.

„Dann schlafe ich eben auf der Terrasse.“

„Die ganze Nacht?“

„Sicher. So bin ich zur Stelle, wenn die Muse dich wieder küsst.“

Sera schnaubte verächtlich. „Ich kann auch zur Vordertür rausgehen.“

Mit wenigen Schritten war Brad dort, drehte den altmodischen Schlüssel im Schloss und schob ihn in seine Hosentasche.

Wütend starrte sie ihn an. Sie war eine Gefangene im Resort und jetzt sogar in ihrer eigenen Suite. „Und wenn es brennt?“

„Dann rette ich dich.“

„Du Held!“

„Stets zu Diensten.“

Frustriert warf sie die Kamera aufs Bett. „Wie soll ich schlafen, wenn du da draußen herumhängst?“, fragte sie.

„Sicher.“ Er verschwand durch die Terrassentür und zog sie hinter sich zu. Dann bedeutete er ihr, sie von innen zu verriegeln, ehe er sich auf der Sonnenliege ausstreckte.

Sera betrachtete verärgert seinen Hinterkopf. Wenn du unbedingt GI Joe spielen willst, dann tu es eben, sagte sie sich. Erfrieren würde er schon nicht, auch wenn im Winter die Nächte in der Wüste kalt waren.

Sie schnappte sich ihren Pyjama, ging ins Bad, zog sich um und putzte sich die Zähne. Als sie zurückkam, sah sie, wie Brad die Hände aneinanderrieb.

Wortlos schnappte sie sich ein Kissen und einen Sofaüberwurf, ging zur Tür, sperrte auf und warf Brad die Sachen in den Schoß. Anschließend schloss sie die Vorhänge und versuchte, den Mann auf der Terrasse zu vergessen.

5. KAPITEL

Von nun an verbrachte Brad jede Nacht auf Seras Terrasse. Die Liege war bequem, er konnte gut darauf schlafen, besser als bei so manchem anderen Einsatz. Und es war gut zu wissen, dass er zur Stelle wäre, falls Sera eine neue Eingebung bekäme …

Seit der ersten Nacht hatte sie seinen Schlafplatz optimiert. Nun lagen allabendlich ein bauschiges Kopfkissen und eine warme Wolldecke für ihn bereit, außerdem standen ein Bier und eine Leselampe neben seiner Liege. Sie akzeptierte seinen Schutz und versuchte, es ihm möglichst angenehm zu machen.

Tagsüber gab sie sich distanziert und kühl und ignorierte ihn weitgehend, während sie die vom Resort angebotenen Aktivitäten wahrnahm oder sich mit Fotografieren beschäftigte. Nachts machten Sarkasmus und Sprödigkeit dann Empathie und Mitgefühl Platz.

Eines frühen Morgens nahm Brad im Halbschlaf ein leises, schlabberndes Geräusch wahr. Er schlug die Augen auf und blinzelte in die goldene Dämmerung, die der Morgensonne vorausging. Gleich darauf blinzelte er erneut, völlig perplex diesmal.

Am entfernten Ende von Seras Pool stand ein Einhorn weiß und strahlend im Morgenlicht und trank. Dunkle Schatten lagen auf seinem Gesicht, sein langes Horn wand sich spiralförmig in die Höhe. Um das Wesen herum stiegen Dampfschwaden auf. Der Anblick war magisch, wunderschön und erhebend.

Langsam und vorsichtig drehte Brad sich auf die Seite, und das Einhorn sah ihn an. Gleich darauf trank es in aller Seelenruhe weiter, ohne ihn jedoch aus den Augen zu lassen. Minuten vergingen, die Sonne erhob sich über dem Horizont und warf erste zarte Strahlen über die Wüste. Erst jetzt begriff Brad, dass, was er als Schatten angesehen hatte, die Gesichtszeichnung des Tieres war, und als es den Kopf hob, bemerkte er das zweite Horn. Das vermeintliche Einhorn war eine Oryxantilope.

Den Oryx schien es nicht zu stören, dass ein Mensch an seiner Tränke lag, doch plötzlich heftete er den Blick auf die Suite.

Brad drehte sich um und sah Sera, die, noch ganz verschlafen, am Fenster stand, die Hände gegen die Scheibe gepresst, und den Überraschungsgast bestaunte.

Mit den langen, nackten Beinen, den festen Brüsten, die sich unter ihrem Pyjama abzeichneten, und dem zerzausten Haar sah sie wahnsinnig sexy aus, dennoch blickte Brad wie gebannt auf ihre Augen. Sie strahlten geradezu vor Freude. Statt sich die Kamera zu schnappen und draufloszufotografieren, stand sie da wie gebannt und lächelte verzückt das prächtige Tier an, das ihren Blick neugierig erwiderte.

Und Brad sah Sera an – er konnte nicht anders.

Schließlich trank die Antilope ein letztes Mal, machte kehrt und schritt majestätisch in die Wüste hinaus. Brad, der immer noch Sera anstarrte, erkannte es daran, dass sie dem Tier mit Blicken folgte. Erst als nichts mehr von dem frühmorgendlichen Besucher zu sehen war, lächelte sie ihn an, so strahlend, dass es ihm den Atem verschlug. Sie wirkte jung, lebendig, schön und so geheimnisvoll wie das vermeintliche Einhorn. Und sie wollte diesen magischen Moment mit jemandem teilen. Darüber hatte sie offenbar verdrängt, dass sie nichts als einen Pyjama trug – vor einem fast Fremden.

Als sie sich der Realität bewusst wurde, verblasste ihr Lächeln, sie wich zögernd von der Fensterscheibe zurück. Schließlich erinnerte nichts mehr an den magischen Moment als die zurückgezogenen Vorhänge und ihre Handabdrücke auf der Scheibe.

Da wurde Brad klar, dass ihm kein Morgen mehr vollkommen erscheinen würde ohne den wunderschönen Strubbelkopf.

Sera kam gerade aus dem Bad, als Brad an die Terrassentür klopfte und auf seine Armbanduhr deutete. Sie machte auf, kühle, köstlich frische Morgenluft schlug ihr entgegen.

„Du bist nicht wieder ins Bett gegangen“, stellte er fest.

„Die Falkenvorführung geht um sieben Uhr los, deswegen war ich früh wach.“ Gerade rechtzeitig, um den Oryx am Pool zu sehen.

„Bist du froh darüber?“

Dass Brad sie ungeschminkt, mit zerzaustem Haar und im Pyjama gesehen hatte, war Sera unangenehm. Ändern ließ sich daran aber nichts mehr. „Hätte ich gewusst, dass wir morgens Besuch haben, wäre ich zum Frühaufsteher geworden.“

„Ich habe den Oryx selbst zum ersten Mal gesehen. Es war wirklich faszinierend. Meine Anwesenheit scheint das Tier nicht überrascht zu haben. Ich schätze, es kommt jeden Morgen zum Trinken her.“

„Wieso trinkt es hier? Die Suiten nebenan stehen leer.“

„Wahrscheinlich ist es ein Gewohnheitstier. Menschen kommen und gehen, der Pool gehört ihm.“ Brad drehte sich um: „In zehn Minuten werden wir abgeholt. Ich gehe nach nebenan und ziehe mich rasch um. Wir treffen uns dann vor deiner Haustür.“

Er reichte ihr den Zimmerschlüssel, den er abends immer an sich nahm, und lief ums Haus herum zu seiner Suite.

Sera beeilte sich ebenfalls, denn Brad brauchte niemals zehn Minuten zum Umziehen. Als sie wenig später vor die Tür trat, fuhr Eric gerade mit dem Golfbuggy vor. Brad war bereits da, lässig und zugleich professionell gekleidet in Cargohose und kurzärmligem Hemd.

„Haben Sie gut geschlafen?“, fragte Eric fröhlich.

„Tief und fest. Entweder liegt es an den Betten, an der Dunkelheit, oder Sie tun etwas ins Wasser. So gut wie hier schlafe ich sonst nie.“

Er lachte. „Wir verabreichen unseren Gästen so wenig Drogen wie möglich.“

Unterwegs fragte Brad, der neben Sera saß, sie leise: „Hast du vor, in diesem Tempo weiterzumachen?“ Sie hatte innerhalb kürzester Zeit bereits mehr als die Hälfte der vom Resort angebotenen Aktivitäten wahrgenommen, manche auch schon zweimal. Die restliche Zeit füllte sie mit Fotografieren und damit zusammenhängenden Tätigkeiten.

„Ich entspanne mich doch: Ich halte einen Mittagsschlaf und schwimme viel.“

„Vom Pool aus fotografieren ist nicht dasselbe wie schwimmen.“

„Es macht Spaß, daher gilt es als Freizeit.“

Das schien ihn nicht zu überzeugen. „Was treibt dich eigentlich so an?“

Sera hatte keine Lust, darüber zu diskutieren, schon gar nicht vor dem Frühstück und mit einem Kontrollfreak wie ihm. „Sobald das Resort und die Wüste mich weniger faszinieren, mache ich langsamer.“

„Nicht so bald also“, murmelte er.

Kurz darauf kamen sie ans Ziel, und Eric führte seine Passagiere in ein kleines Amphitheater, das zwischen den Dünen eingebettet lag. Weitere Gäste und etliche Raubvögel warteten bereits auf die tägliche Flugvorführung. Während ein Falkner die Vögel auf den Flug vorbereitete, erklärte Eric, dass der Zoll beschlagnahmte Falken – sie waren mit einem Ausfuhrverbot belegt – nach Al Saqr brachte, wo sie verhätschelt wurden wie Rockstars. „Sie haben sogar eigene Bodyguards“, berichtete er den aufmerksamen Gästen.

Unwillkürlich musste Sera an Brad denken, der zwei Bankreihen hinter ihr thronte und sie mit dem scharfen Blick eines Raubvogels bewachte.

„Unsere ersten Flugkünstler sind Würg- oder Sakerfalken. Ihnen verdankt das Resort seinen Namen. Sie leben bereits seit drei Jahrtausenden in dieser Wüste.“

Fasziniert beobachtete Sera die pfeilschnellen, wendigen Vögel. Sie zogen hohe Kreise über dem Amphitheater und kehrten immer wieder zurück, um die Beute zu schlagen, die ihr Trainer an einer Kette durch die Luft wirbelte. Derweil erzählte Eric viel Wissenswertes über Biologie und Gewohnheiten der Vögel, die traditionelle Falkenjagd in der Wüste, die Zuchterfolge im Resort und die Lebensgeschichte jedes einzelnen Tieres. Die Vögel flogen völlig frei und ungebunden durch die Luft, anschließend kehrten sie aus eigenem Antrieb zu ihrem Trainer zurück.

Ehe die nächsten Vögel herbeigebracht wurden, durften die Gäste fotografieren. Glücklicherweise hatte Sera die Speicherkarte ihrer Kamera geleert, sodass sie nach Herzenslust drauflosknipsen konnte.

Dann kam Omar.

„Omar ist ein Uhu“, erklärte Eric, der den riesigen braunen Vogel den Gästen zeigte. „Er kam als Küken zu uns und wurde von Hand aufgezogen. Er kennt weder seine Eltern noch andere Uhus.“

Der Ärmste, dachte Sera. Sie war ebenfalls von Fremden aufgezogen worden. Ihren Vater sah sie gelegentlich, von ihrer Mutter wusste sie nur, dass sie Groupie auf einer seiner Europatourneen gewesen war. Neun Monate später hatte ein Anwalt ihm ein schreiendes Baby in den Arm gedrückt. Ihr Vater hatte sein Möglichstes getan und viel Geld investiert, um seiner Tochter die beste Erziehung zukommen zu lassen. Eine enge Beziehung hatten sie dennoch nie aufbauen können, da er den Großteil des Jahres auf Tournee war oder irgendwo auf der Welt im Studio Aufnahmen machte. Zwar gab er sich redlich Mühe, wenn sie zusammen waren, doch anschließend musste Sera endlose Wochen in ihrem stillen Zuhause warten, ehe sie ihn erneut in die Arme schließen durfte.

„Omar sieht aus wie ein Uhu, verhält sich aber mehr wie ein Bussard, weil er in einer Voliere mit den Bussarden aufgewachsen ist.“

Es kam Sera vor, als erzählte Eric von ihrem Leben. Sie war zwar kein Bussard, hatte instinktiv aber stets die Erwachsenen imitiert, die sie umgaben, selbst als kleines Kind schon.

„Er kann nicht rufen wie ein Uhu, weil niemand es ihm beigebracht hat“, fuhr Eric fort und streichelte Omar liebevoll übers Gefieder.

Armer, stummer Omar, schoss es Sera durch den Kopf.

Mit dreizehn Jahren – ihr Vater war zu dem Zeitpunkt noch wenig populär und das Risiko von Entführungen entsprechend gering gewesen – war sie zum ersten Mal in ihrem Leben auf eine Schule geschickt worden. Bis dahin hatte sie zu Hause Unterricht gehabt. Sie hatte nicht gewusst, wie sie sich verhalten sollte, hatte kaum Freundschaften geschlossen und sich stattdessen ganz auf den Lernstoff konzentriert – und Bestnoten erzielt.

„Er bekommt die bestmögliche Pflege“, versicherte Eric dem Publikum. „Nur müssen wir darauf achten, ihn nicht zu sehr auf uns Menschen zu prägen. Irgendwann könnte seine Bezugsperson eine neue Stelle antreten – und was dann? Daher haben wir ihm die Bussarde zur Gesellschaft gegeben.“

Unwillkürlich verkrampfte sich Sera. Mitgefühl für den armen Uhu überwältigte sie, und sie sprang auf. Omar mit seinem exzellenten Gehör zuckte zusammen und sträubte die Federn, und Eric warf ihr einen besorgten Blick zu.

Sofort war Brad an ihrer Seite und erkundigte sich nach ihrem Problem.

„Ich habe Kopfschmerzen“, entschuldigte sie sich bei den Zuschauern, die sie verblüfft anstarrten. Eric nickte und fuhr mit seinen Erläuterungen fort, während Sera sich von Brad aus dem Amphitheater führen ließ.

„Was ist los?“, fragte er erneut.

„Mein Kopf tut weh“, fauchte sie, weil Lügen einfacher war. Er würde nie begreifen, wieso ein in Gefangenschaft gehaltener Vogel ihr fast das Herz brach.

Sie erklommen gerade eine steile Düne, und Sera sank beim Aufstieg tief in den Sand ein. Ihr Atem ging hastig und stoßweise, Mitleid mit Omar presste ihr Herz förmlich zusammen.

„Bist du wegen der Show aufgebracht?“, fragte Brad. „Ich weiß doch, dass du es mit Tieren hast … die Streuner, die Versuchstiere …“

Es wunderte sie nicht, dass Brad Schlüsse aus ihrer Vorgeschichte zog. Sie hatte sich von Mark dazu verleiten lassen, in ein Labor voller Versuchstiere einzudringen und die Tiere zu fotografieren.

Dreist wie der Vater, Rocker-Erbin vor Gericht oder Ganz der Rocker-Papa, hatten die Schlagzeilen der Boulevarde-Presse gelautet.

Ihr Vater prangerte mit seiner Musik soziale Ungerechtigkeit aller Art an, daher hatte sie vorausgesetzt, er würde Verständnis zeigen, wenn sie dasselbe tat, doch …

„Einer der Vögel wollte nicht in die Freiheit zurückkehren, zwei hätten alleine nicht überlebt. Nein, ich finde es nicht falsch, dass sie stattdessen hier leben.“

„Was macht dir dann zu schaffen?“

„Kopfschmerzen!“

„Am besten besorgen wir dir etwas zu essen und zu trinken“, schlug Brad vor.

Sera dachte an die gedämpfte, ruhige Atmosphäre im Restaurant, die Waschräume, in die er ihr nicht folgen konnte … „Okay.“

Er ergriff ihre Hand und zog sie die steile Düne hinauf, als sie nicht mehr konnte. Zum Restaurant war es nicht weit. Als sie ankamen, entschuldigte sie sich: „Ich will mich rasch frisch machen.“

Der elegante, bequem möblierte Waschraum war glücklicherweise menschenleer. Es duftete nach orientalischer Seife, doch das hob Seras Laune keineswegs. Erschöpft ließ sie sich auf einen der Polstersessel an der Wand sinken und schlug die Hände vors Gesicht.

Niemand liebte Omar. Man ließ ihm die beste Pflege angedeihen und schenkte ihm Zuneigung, doch aus Sorge, ihn zu verletzen, falls sein Pfleger die Stelle wechselte, enthielt man ihm Liebe vor.

Dasselbe traf auf sie zu. Ihr Vater hatte Experten engagiert, um sie heil durch Kindheit und Jugend zu bringen. Es waren viele nette Menschen darunter gewesen, professionell und hingebungsvoll, doch alle hatten Distanz gewahrt, um sie nicht abhängig von sich zu machen. Sera sollte sie nicht lieben, denn irgendwann verließ jeder von ihnen sie wieder.

In Omars Geschichte sah sie ihr eigenes Leben gespiegelt, und das erschütterte sie bis ins tiefste Innere.

Es klopfte leise an der Tür.

„Ich komme sofort.“ Rasch sprang sie auf, trat ans Waschbecken, wusch sich Hände und Gesicht und trocknete sich an einem der flauschigen Handtücher ab. Dann atmete sie tief durch, ehe sie sich Brads durchdringendem Blick zu stellen wagte.

Er begleitete sie an einen Tisch auf der Terrasse und rückte ihr den Stuhl zurecht. Das strahlende Morgenlicht, der Anblick des goldenen Sandes taten ihr gut, doch als das Publikum aus der Vogelflugarena allmählich hereinströmte, fiel ihr ein, dass sie Omar nicht fotografiert hatte.

Als Brad sich ihr gegenübersetzte, sagte sie: „Ich möchte …“

„Lieber alleine essen“, beendete er den Satz für sie. „Das ist mir klar. Ich verschwinde, sobald ich mich überzeugt habe, dass es dir gut geht. Brauchst du einen Arzt?“

Eigentlich hatte Sera sich für ihr neurotisches Verhalten bei der Flugshow entschuldigen wollen und für ihre Launenhaftigkeit die ganze Woche über.

„Wegen Kopfschmerzen? Die kommen von der Sonne.“

„Um sieben Uhr morgens?“

„Dann liegt es an der Müdigkeit.“

„Gerade hast du noch zu Eric gesagt, wie gut du schläfst.“ Er betrachtete sie skeptisch. „Ich gehe nicht, ehe ich sicher bin, dass du mich nicht brauchst.“

Sera betrachtete ihn abwägend. Sie hatten vereinbart, dass sie sich an ihn wenden sollte, wenn sie etwas brauchte. Dabei hatte er zwar an Sicherheitsfragen gedacht, doch momentan brauchte sie jemanden, dem sie ihr Herz ausschütten konnte.

„Die Sache mit Omar ist mir unter die Haut gegangen.“

„Der Uhu?“ Brad überlegte, wie der Vogel ihren dramatischen Aufbruch veranlasst und die Tränen in ihren Augen hervorgerufen hatte.

„Seine Lebensumstände ähneln meinen verblüffend.“

„Das musst du mir schon näher erklären.“

„Niemand hat ihm beigebracht, wie ein Uhu zu rufen.“

Brad nahm dem Kellner, der gerade an ihren Tisch kam, die Speisekarten ab und legte sie beiseite. Der junge Mann verstand und zog sich zurück.

„Dennoch kommt er gut zurecht.“

„Er ist ein Uhu und sollte den Ruf seiner Artgenossen kennen.“

Brad gab sich alle Mühe zu verstehen, was sie ihm damit sagen wollte. „Er kennt keine anderen Uhus, daher weiß er auch nicht, wie sie rufen. Deswegen fühlt er sich bestimmt nicht minderwertig.“

Für einen Moment wirkte Sera verwirrt, dann atmete sie tief durch. „Das arme Tier ist ohne persönliche Bindungen aufgewachsen.“

„Okay …?“

„Ich war immer umgeben von Kindermädchen, Lehrern, Bodyguards … Glaubst du, einer von ihnen hätte sich Gedanken darüber gemacht, wer mir das Rufen beibringt?“

Endlich begriff Brad, dass sie von ihrer Kindheit sprach. „Sie hatten bestimmt dein Bestes im Sinn“, sagte er behutsam und in dem Bewusstsein, dass er zu der Kategorie Mensch gehörte, von der sie sprach. Es gab eine Grenze, die man im Umgang mit Klienten nicht überschreiten durfte.

„Wie kann es dem Wohl eines Kindes dienen, wenn man es auf Abstand hält?“

Dazu hätte er einiges sagen, ihr eine spezielle Geschichte erzählen können … „Wenn sie zu anhänglich werden …“

„Versteh mich nicht falsch“, warf sie rasch ein. „Als ich älter wurde, habe ich gelernt, professionelle Distanz zu schätzen. Sie schützt vor allzu großem Trennungsschmerz. Aber erkläre das mal einer Siebenjährigen!“

Alles in Brad verkrampfte sich. Er ahnte, wie einem Kind zumute sein musste. Sera hatte jedoch nicht erlebt, was passieren konnte, sobald man sich zu sehr auf einen Klienten einließ.

„Womöglich geht es mir wie Omar: Mir fehlt etwas, und ich weiß es nicht einmal. Vielleicht gibt es Dinge, die normale Frauen tun, von denen ich aber nichts ahne.“

Endlich begriff er, worauf sie hinauswollte. „Normale Frauen?“

„Frauen, die in normalen Familien aufgewachsen sind, bei normalen Eltern.“

„Du meinst im Gegensatz zu Töchtern von Rockstars, die auf weitläufigen Landsitzen leben durften?“

Sera lachte bitter. „Frauen in Seifenblasen, umgeben von bezahlten Erziehern.“ Sie beugte sich vor. „Du kennst sicher zahlreiche Frauen – privat.“

Autor

Anne McAllister
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