Feurige Begegnung auf Mallorca

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Beim ersten Blick in Tomás‘ dunkle Augen weiß Jenna: Diesen stolzen Mann von ihrer Mission zu überzeugen, wird nicht leicht! Doch überraschend wird die Zeit mit dem attraktiven Spanier auf Mallorca einfach wunderbar. Süß weht der Duft der Mandelblüten, als Tomás sie zum ersten Mal küsst, sie beim Sonnenuntergang am Meer in seine Arme zieht, ihr leise zuflüstert, wie sehr er sie nach ihr sehnt … Bis ein Zufall Jennas Hoffnungen zerstört. Entsetzt muss sie glauben: Nicht aus Liebe umwirbt Tomás sie - sondern weil er einen dunklen Racheplan verfolgt!


  • Erscheinungstag 13.03.2010
  • Bandnummer 1835
  • ISBN / Artikelnummer 9783862951192
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Wenn du das Paradies suchst, dann komm nach Mallorca.

Dieser Satz, den sie in einem Reiseprospekt gelesen hatte, kam Jenna wieder in den Sinn, als sie am Hafen von Portocristo auf einer Bank saß und angestrengt eines der vielen kleinen Boote im Auge behielt, von denen es hier im Osten von Mallorca mehr gab als in den anderen Häfen der Insel, wo überwiegend die großen luxuriösen Jachten der Nordeuropäer ankerten. Der leichte Wind, der vom Meer her zu ihr herüberwehte und mit ihrem Haar spielte, war angenehm frisch und hinterließ einen salzigen Geschmack auf ihren Lippen. Kurz dachte sie über den Werbespruch nach und kam zu dem Schluss, dass nichts auf der Welt die Baleareninsel so treffend zu beschreiben vermochte wie diese wenigen Worte.

Dies war das Paradies, das hatte sie gestern Nachmittag schon auf dem Weg vom Flughafen zum Hotel festgestellt. Traumhafte Buchten mit türkisfarbenem Wasser und blütenweißen Stränden, verschlafene kleine Ortschaften, kurvige Küstenstraßen gesäumt von Palmen und Zitronenbäumen, das alles war Mallorca – und noch viel mehr. Und auch jetzt genoss sie die Umgebung ebenso wie die wärmenden Strahlen der hoch am Himmel stehenden Sonne.

Gleichzeitig stand für sie außer Frage, dass sie eben nicht zu den beneidenswerten Menschen gehörte, die in der Lage waren, dieses Paradies wirklich zu genießen. Dazu verspürte sie für ihre Begriffe seit ihrer Ankunft entschieden zu oft ein Gefühl der Sehnsucht. Der Sehnsucht nach einem Menschen, mit dem sie dieses Paradies teilen konnte.

Jenna seufzte schwer. Wohin sie auch blickte, sah sie Pärchen aller Altersklassen, die händchenhaltend die Promenade entlangschlenderten, den Fischern beim Entladen der Boote zuschauten oder einfach nur das herrliche Wetter genossen. Unwillkürlich ließ sie ihre Gedanken zurück zu Kevin und der Zeit wandern, in der auch sie zu den glücklich Verliebten gehörte. Damals war sie überzeugt gewesen, dass dieser Zustand niemals enden würde. Doch dann hatte die Realität sie mit einem Schlag eingeholt, und …

Sie schüttelte den Kopf, wie um die unliebsamen Erinnerungen zu vertreiben. So groß ihre Sehnsucht nach Nähe und Zärtlichkeit auch sein mochte, das Thema Liebe war für sie seit jenem Ereignis ein für alle Mal abgeschlossen. Und deshalb sollte sie jetzt auch nicht zurück, sondern nach vorn schauen. Gegenwart und Zukunft waren alles, was zählte. Gleichzeitig aber wusste Jenna, dass das ohnehin nicht funktionierte. Die Geister der Vergangenheit ließen sich nicht einfach in den Hintergrund drängen, zumindest nicht auf Dauer. Am Ende holten sie einen doch immer wieder ein.

Trotzdem. Jetzt war eindeutig nicht der richtige Zeitpunkt, um über früher nachzudenken. Dazu gab es schlicht zu viel zu tun. Schließlich war sie keineswegs aus London hierhergekommen, um Urlaub zu machen. Ganz im Gegenteil sogar.

Sie suchte einen Mann, einen ganz bestimmten Mann. Sein Foto lag auf ihren Knien, und als sie es jetzt wieder ansah, blickte ihr ein sonnengebräuntes Gesicht mit markanten Zügen und blauen Augen entgegen. Das kurze schwarze Haar war zurückgekämmt und glänzte.

Das Bild stammte aus dem Internet, und es zeigte den spanischen Bauunternehmer Tómas Suárez. Vor knapp einer Stunde hatte sie ihn, nachdem sie ihm von seinem Büro aus zum Hafen gefolgt war, beim Betreten eines Bootes beobachtet, das sie seitdem nie länger als ein paar Sekunden aus den Augen ließ. Noch immer befand er sich unter Deck, und mit jeder Minute, die verstrich, klopfte ihr Herz schneller. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis er wieder auftauchte, und dieser Moment war entscheidend für sie.

Jenna dachte über den Unternehmer nach. Bis vor einigen Monaten hatte sie noch nie etwas von ihm gehört. Und jetzt war sie hier und wollte ihn, einen der mächtigsten Männer der Insel, überreden, etwas zu tun, das er ganz offensichtlich nicht tun wollte.

Die Motive für sein Verhalten kannte sie zwar nicht, aber sie gab sich keinen Illusionen hin: Es würde nicht einfach werden, ihr Vorhaben erfolgreich umzusetzen, denn ein Mann wie er tat nichts grundlos. Zudem war sie unangemeldet hier, und es gab keine Garantie, dass er sie überhaupt anhören würde. Doch sie durfte jetzt nicht aufgeben, dafür ging es einfach um zu viel. Und das nicht nur für sie allein, sondern vor allem auch für ihren Vater. Und dann war da noch Eric, den sie unbedingt …

Sie wurde aus ihren Gedanken gerissen, als sie sah, wie jemand an Deck des Bootes kletterte, das sie beobachtete. Doch es handelte sich nicht um den Bauunternehmer, sondern um einen älteren Spanier mit grauem Haar und Brille. Er blieb an Deck stehen, und einen Moment lang tat sich nichts.

Endlich tauchte auch Tómas Suárez auf. Er wechselte kurz mit dem anderen Mann noch ein paar Worte, ging dann von Bord und allein den Pier entlang zur Promenade. Er trug Jeans und ein hellblaues Hemd. Sein schwarzes Haar war, anders als auf dem Bild, nicht zurückgekämmt, was ihn insgesamt um einiges natürlicher wirken ließ.

Jenna atmete tief durch. Der Moment der Entscheidung war gekommen. Hastig packte sie das Foto zurück in ihre kleine Handtasche, stand auf und glättete ihren Rock. Dann ging sie los.

Am Hafen herrschte rege Betriebsamkeit. Die hier arbeitenden Fischer ließen sich nicht von den zahlreichen Touristen stören, sondern gingen einfach ihrem Tagwerk nach, so als würde es niemanden geben, der sie beobachtete.

Und auch Tómas Suárez ahnte mit Sicherheit nicht, dass ihn jemand beobachtete.

Jenna erreichte ihn, als er gerade in einen teuren Sportwagen steigen wollte, der am Straßenrand der Promenade parkte.

„Señor Suárez?“, rief sie, und ihre Blicke trafen sich.

Fragend musterte er sie. Sein Gesichtsausdruck zeigte kein Zeichen von Wohlwollen. „Sí?“

Vom ersten Moment an fühlte Jenna sich verunsichert, und das war für ihr Vorhaben keine besonders gute Ausgangsposition. Tómas Suárez schien irgendwelchen Gefälligkeiten eindeutig abgeneigt zu sein. Seine blauen Augen wirkten kalt, und die zusammengezogenen dunklen Brauen zeigten, dass er über die Störung alles andere als erfreut war.

Gleichzeitig war da etwas an ihm, das Jennas Mund trocken und ihr den Atem knapp werden ließ. Es war weniger sein Aussehen allein, obwohl man ihn aufgrund seiner stattlichen Größe und seines durchtrainierten Körpers ohne Weiteres als Frauenschwarm bezeichnen konnte, als vielmehr seine Ausstrahlung, die sie sofort in den Bann zog, und ihr wurde klar, dass dieser Mann in jeglicher Hinsicht mit Vorsicht zu genießen war.

Sie zwang sich, jetzt nur noch an den Grund ihrer Reise nach Mallorca zu denken. „Entschuldigen Sie bitte die Störung“, begann sie auf Spanisch, das sie gut beherrschte, da sie mit sechzehn ein Austauschjahr in Mexiko verbracht und außerdem eine gute Freundin hatte, die auf dem spanischen Festland in der Nähe von Valencia lebte. „Mein Name ist …“

Doch Tomás Suárez ließ sie sich noch nicht einmal zu Ende vorstellen. „Sagen Sie mir einfach, was Sie wollen“, unterbrach er sie unfreundlich. „Ich bin ein viel beschäftigter Mann und habe nicht ewig Zeit.“

Sie nickte angestrengt. Zum ersten Mal wurde ihr bewusst, dass ihre Vorgehensweise, sich nicht anzumelden, sondern einfach unangekündigt auf ihn zuzugehen, alles andere als klug gewesen war. Zwar hätte sie auf dem offiziellen Weg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erst gar keinen Termin bekommen, aber falls doch, wäre sie von Beginn an ein gleichwertiger Gesprächspartner gewesen. Jetzt aber fühlte sie sich einfach nur als Störenfried.

Doch das war nicht mehr zu ändern. Bestimmt schürte es seinen Unmut nur noch mehr, wenn sie ihn weiter warten ließ.

Deshalb setzte sie jetzt ihr hübschestes Lächeln auf, in der vagen Hoffnung, ihn dadurch milder zu stimmen, und sagte: „Natürlich, Señor Suárez. Also, es ist so, ich komme im Auftrag von mei… Ich meine, ich bin im Auftrag von Eurostores Limited hier. Es geht um das Grundstück in …“

„Ich kann mir denken, worum es geht“, fiel er ihr erneut ins Wort, wobei er nun ins Englische übergewechselt war. „Allerdings verwundert es mich, dass Mr. Fitzgerald eine Angestellte vorschickt. Wenn schon nicht mit ihm, so hätte ich zumindest mit seinem Stellvertreter gerechnet, der mich jetzt bereits seit über zwei Monaten telefonisch belästigt.“

„Eric … Mr. Troyless ist verhindert“, antwortete sie rasch.

„Ist das tatsächlich so?“, fragte er und musterte sie abermals von oben bis unten. „Oder hat man Sie nicht vielmehr in der Hoffnung hierhergeschickt, dass eine hübsche Señorita eher in der Lage ist, mich umzustimmen?“

Jenna schluckte. „Nein!“, rief sie aus. „Wirklich nicht, es ist nur so, dass ich …“ Sie atmete tief durch. Wie hatte es diesem Mann nur gelingen können, sie derart aus der Fassung zu bringen? Sie musste ja wie ein blutiger Anfänger auf ihn wirken. „Hören Sie, Señor Suárez“, sagte sie, bemüht, ihrer Stimme einen festen Klang zu verleihen. „Ich habe diesen Weg gewählt, weil ich befürchtete, anders nicht an Sie heranzukommen.“

„Zu Recht. Aber nun interessiert es mich zunächst einmal, woher Sie überhaupt wussten, dass ich hier bin.“

„Nun“, sie lächelte schwach, „sagen wir einmal so: Information ist das Wichtigste im Geschäftsleben, das sehen Sie doch ganz bestimmt auch so, nicht wahr?“

„Sie haben also Erkundigungen über mich einholen lassen. Oder sind Sie mir gefolgt?“ Er winkte ab. „Aber im Grunde spielt das auch keine Rolle. Wie lange bleiben Sie noch auf Mallorca?“

„Eine Woche.“ Hoffnung keimte in Jenna auf. Wenn er das wissen wollte, war er offenbar zumindest nicht abgeneigt, ein unverbindliches Gespräch mit ihr zu führen. Rasch zog sie eine ihrer Visitenkarten aus der Tasche und reichte sie ihm. „Bitte, nehmen Sie. Da steht auch meine Handynummer drauf, unter der Sie mich hier erreichen können. Ich wohne im Hotel Playa del Sol.“

Ohne einen Blick auf die Karte zu werfen, nahm er sie an sich und steckte sie achtlos in die Hemdtasche. „Nun, Señorita, ich empfehle Ihnen, die restlichen Tage auf dieser schönen Insel als Urlaub zu betrachten. Geschäftlich gibt es für Sie nämlich hier rein gar nichts mehr zu erledigen.“

Mit diesen Worten wandte er sich ab, stieg in seinen Wagen und ließ den Motor an. Eine Sekunde später fuhr er mit quietschenden Reifen davon.

Es gab Tage, an denen erkannte Tómas Suárez sich selbst nicht wieder.

Heute war einer davon.

Nachdenklich lenkte er seinen schnittigen Sportwagen die Küstenstraße entlang, die nach Pollença führte. Dabei fiel sein Blick immer wieder auf das Meer, das im strahlenden Sonnenschein glitzerte wie ein Ozean aus Diamanten. In weiter Ferne, wo das Wasser den wolkenlosen hellblauen Himmel zu berühren schien, konnte er die imposanten Umrisse eines Luxusliners ausmachen, der durch die türkisblauen Gewässer vor Mallorca kreuzte.

Tómas seufzte schwer. Obwohl diese Aussicht ihn jedes Mal aufs Neue faszinierte, konnte er sie jetzt nicht wirklich genießen. Immerzu musste er an die junge Frau denken, die ihn eben im Hafen von Portocristo angesprochen hatte.

Er war selbst verwundert über sein ruppiges Benehmen, das ihm jetzt auch schon wieder leidtat.

Zweifellos gab es dafür einen Grund: Er hatte sich ganz einfach vollkommen überrumpelt gefühlt. Zwar hielt er sich einmal in der Woche auf dem Boot von Miguel Cabézon auf, und das immer am selben Tag zur selben Stunde, aber kaum jemand wusste davon. Es hatte nichts mit seinem Leben von heute zu tun, sondern glich vielmehr einem Ausflug in die Vergangenheit, zu den Wurzeln seines Daseins.

Sein Blick fiel in den Rückspiegel. Den mürrisch dreinblickende Mann, der ihm daraus entgegensah, konnte er im Grunde selbst nicht so recht leiden. Als Kind und in seiner frühen Jugend war er ganz anders gewesen. Fröhlich, unbeschwert, neugierig auf alles, was es zu entdecken gab. Doch davon schien heute nicht mehr viel übrig geblieben zu sein.

Sicher hatte das Leben damals auch seine Schattenseiten gehabt. Als Sohn eines kleinen Kaufmanns war er in recht ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen. Seine Eltern hatten jede Peseta zwei Mal umdrehen müssen, und oft hatte das Geld nicht einmal bis zum Monatsende gereicht, aber trotzdem erfüllten ihn die Erinnerungen an damals mit Glück und Zufriedenheit.

Doch dann war mit einem Schlag alles zerstört worden. Er erinnerte sich noch genau an den Tag kurz nach seinem vierzehnten Geburtstag, als …

Er schüttelte den Kopf. Nein, nicht schon wieder!, ermahnte er sich selbst. Denk nicht schon wieder über früher nach!

Aber er konnte nicht anders, und zumindest heute war das nicht einmal seine Schuld. Warum auch hatte diese Mitarbeiterin von Eurostores hier auftauchen und ihn in seiner Ruhe stören müssen?

Und wieso wollte ihm diese Frau einfach nicht mehr aus dem Kopf gehen?

Es stimmte: Seit er vor etwa zehn Minuten mit quietschenden Reifen losgefahren war, musste er immer wieder an sie denken. Und das, obwohl er sie doch gar nicht kannte und obwohl sie ihm eigentlich aufgrund ihres Jobs eher unsympathisch sein sollte. Aber sie hatte etwas an sich, das ihn faszinierte.

Er dachte an ihre Augen, die grünblau waren wie das Meer an einem Sommertag, ihr blondes Haar und an ihre wundervoll geschwungenen Lippen, und er stellte sich vor, wie es wohl sein mochte, diese Lippen zu küssen und …

Quita! Wütend über sich selbst schlug er mit der Faust aufs Lenkrad. Hör endlich auf damit! Oder hast du schon vergessen, wie es ist, wenn man eine Frau zu nah an sich heranlässt? Denk doch nur an Fernanda und daran, was du ihr angetan hast!

Doch so sehr er auch versuchte, sich zu zwingen, nicht mehr an die schöne Unbekannte zu denken – es gelang ihm einfach nicht. Seufzend fuhr er an den Straßenrand und zog die Visitenkarte, die sie ihm gegeben hatte, aus der Hemdtasche. Er musste einfach wissen, wie sie hieß und …

Seine Augen weiteten sich, als er den Namen las, der auf der kleinen Karte stand: Jenna Fitzgerald.

Er schüttelte den Kopf. Nein, das konnte nicht sein. Das war unmöglich! Sollte sie wirklich … Und er hatte sie lediglich für eine Angestellte von Eurostores gehalten!

Damit änderte sich alles. Schlagartig wurde ihm klar, dass es ein Fehler gewesen war, ihr eine Absage zu erteilen, und diesen Fehler galt es zu berichtigen.

Jenna Fitzgerald sollte ihre Unterredung mit ihm bekommen – aber anders, als sie es sich vorstellte.

Ganz anders.

Niedergeschlagen ließ Jenna sich auf das Bett ihres Hotelzimmers sinken und vergrub das Gesicht in den Händen. Auf der Fahrt zurück hierher hatte sie nur daran denken können, dass ihr Aufenthalt auf Mallorca schon am zweiten Tag beendet war.

Dass sie versagt hatte.

Wie soll ich das nur Vater beibringen?, fragte sie sich kopfschüttelnd. Aber eigentlich gab es da gar nichts beizubringen; im Grunde rechnete er doch gar nicht mit einer Erfolgsmeldung. Wann hatte er ihr denn zum letzten Mal wirklich etwas zugetraut? Hatte er das überhaupt jemals getan?

Sie hob den Kopf, und ihr Blick fiel auf ihren Koffer, der geöffnet neben dem Bett auf dem Teppichboden lag. Sie hatte gestern nur das Nötigste ausgepackt, und diese wenigen Sachen würde sie jetzt gleich wieder einpacken können. Denn eines stand für sie fest: Nach der Abfuhr, die Tómas Suárez ihr soeben erteilt hatte, würde sie keinen Tag länger auf dieser Insel bleiben!

Sie nahm ihr Handy aus der Handtasche und wollte gerade die Auskunft anrufen, um sich mit dem Flughafen verbinden zu lassen, als das Telefon zu klingeln begann.

Ein Blick auf das Display genügte, um zu wissen, wer der Anrufer war.

Eric!

Jenna schloss die Augen. Nicht auch das noch! Was wollte er denn von ihr? Sie war doch gerade mal zwei Tage aus London fort.

Aber sie war nicht dumm; natürlich konnte sie sich denken, dass es ihn brennend interessierte, wie sie vorankam. Schließlich verdankte er es ihrer Einmischung, dass er nicht selbst nach Mallorca gereist war.

Und ich wollte doch noch so viel mehr erreichen, dachte Jenna resignierend. Aber das kann ich jetzt wohl vergessen. Wenn ich ohne einen Erfolg nach Hause komme, wird Vater nie einsehen, dass Eric der Falsche ist.

Sie nahm das Gespräch an. „Ja?“

„Bist du schon weitergekommen?“, kam Eric ohne Umschweife zur Sache. „Hast du ein Treffen mit Suárez arrangieren können?“

Jenna atmete tief durch. Was sollte sie ihm sagen? Die Wahrheit? Im Grunde blieb ihr gar keine Wahl, denn alles andere wäre sinnlos. Schon morgen früh würde sie wieder im Büro sein, und dann brachte keine Ausrede der Welt sie mehr weiter.

„Ich bin dran, keine Sorge. Es läuft alles nach Plan.“ Jenna war selbst überrascht. Warum sagte sie so etwas? „Und jetzt entschuldige mich bitte, Eric, aber ich habe zu tun.“

Sie beendete das Gespräch und schüttelte den Kopf. Wieso hatte sie das getan? Jetzt steckte sie noch mehr in Schwierigkeiten als vorher. Nicht nur, dass sie mit leeren Händen nach Hause kommen und ihrem Vater erneut den Eindruck vermitteln würde, für geschäftliche Belange völlig ungeeignet zu sein, nein, sie hatte Eric gegenüber gerade eben auch noch behauptet, die Situation unter Kontrolle zu haben, obwohl das genaue Gegenteil der Fall war. Wie …

Erneut klingelte ihr Handy, das sie noch in der Hand hielt, und Jenna seufzte schon genervt auf, weil sie glaubte, es sei erneut Eric, als ihr Blick auf das Display fiel.

Die Nummer war ihr unbekannt, aber aufgrund der Ländervorwahl konnte kein Zweifel daran bestehen, dass der Anrufer von einem Anschluss in Spanien anrief.

Sie dachte an die Visitenkarte, die sie Tómas Suárez gegeben hatte, und ihr wurde klar, dass er außer ihrer Freundin der einzige Mensch in diesem Land war, der ihre Handynummer kannte.

Aufregung erfasste sie. Der Bauunternehmer hatte ihr eine klare Absage erteilt. Warum also sollte er sie jetzt anrufen? Was konnte das zu bedeuten haben?

Ihr Zeigefinger zitterte leicht, als sie ihn auf die Rufannahmetaste legte. Noch einmal atmete sie tief durch, dann nahm sie das Gespräch an.

2. KAPITEL

„Er … Er lädt mich zu sich ein? Señor Suárez möchte mich wirklich sprechen? In seinem Büro?“

Die Frau am anderen Ende der Leitung, die sich als Tómas Suárez’ Sekretärin vorgestellt hatte, räusperte sich, bevor sie antwortete. „Nein, das ist nicht ganz richtig“, erklärte sie auf Englisch. „Señor Suárez erwartet Sie zwar in der Tat zu einem Gespräch, allerdings nicht in seinem Büro, sondern auf seinem Privatanwesen in Pollença.“

„Ich soll … zu ihm nach Hause kommen?“ Ungläubig schüttelte Jenna den Kopf. „Habe ich das richtig verstanden?“

„Ganz recht. Ein Fahrer wird Sie heute Abend um sieben Uhr in Ihrem Hotel abholen. Señor Suárez betont, dass dies der einzige Termin ist, der zur Verfügung steht. Darf ich ihm also ausrichten, dass Sie seine Einladung annehmen?“

Jenna nickte heftig, obwohl ihr die Unsinnigkeit dieser Geste durchaus bewusst war. „Ja, natürlich“, antwortete sie. „Haben Sie vielen Dank!“

Sie beendete das Gespräch und legte das Telefon zur Seite. Dann stand sie auf und trat auf den Balkon. Von hier aus hatte man einen wunderbaren Blick über die Altstadt mit ihren verwinkelten Sträßchen und engen Gassen. Der Turm der Ortskirche Església Mare de Déu del Carme überragte die Dächer der umgebenden Häuser, dahinter glitzerte am Horizont das Mittelmeer. Doch das alles nahm Jenna nur am Rande wahr. Sie fühlte sich innerlich viel zu aufgewühlt, um sich auf diese traumhafte Aussicht zu konzentrieren. Das soeben Geschehene kam ihr wie ein Traum vor. Hatte Tómas Suárez sie tatsächlich zu einem Gespräch eingeladen? Aber wie konnte das sein? Woher rührte sein plötzlicher Sinneswandel? Und warum wollte er bei sich zu Hause mit ihr sprechen, statt in seinem Büro?

Jenna wusste es nicht, aber im Grunde waren diese Fragen auch völlig nebensächlich. Wichtig war nur, dass sie endlich ihre heiß ersehnte Chance bekam, mit Tómas zu reden. Nun hing alles von ihrem Verhandlungsgeschick ab.

Sie war nach Mallorca gekommen, um die Schwierigkeiten aus dem Weg zu räumen, die ihrem Vater auf der Baleareninsel zu schaffen machten. Richard Fitzgerald besaß zahlreiche Einkaufszentren in ganz Europa, auch in Spanien. Lediglich auf Mallorca hatte er bislang noch nicht Fuß fassen können. Vor über einem Jahr war es ihm jedoch schließlich gelungen, Land zu erwerben, auf dem er einen riesigen Einkaufspalast errichten wollte. Doch schon bald gab es Probleme vor Ort: Offenbar hatte ihr Vater sich schlecht beraten lassen, denn bei dem Grundstück fehlte es bislang an Stromleitungen und Abwasserrohren. Natürlich hatte er sofort in Auftrag gegeben, diese neu zu verlegen, doch sein Vorhaben erwies sich als nicht durchführbar, da die Leitungen zwangsläufig unter dem Grundstück eines der größten Grundbesitzer der Umgebung führen würden.

Und bei diesem Mann handelte es sich um niemand anderen als den Bauunternehmer Tómas Suárez, der sich seit der ersten Anfrage beharrlich querstellte.

Die Gründe für sein Verhalten kannte niemand. Richard Fitzgerald hatte mehrmals versucht, mit ihm Kontakt aufzunehmen, und wäre auch am liebsten selbst nach Mallorca gekommen, um die Angelegenheit zu klären, doch das ließen sein Alter und sein angeschlagener Gesundheitszustand nicht zu.

Aus diesem Grund hatte er beschlossen, seinen Stellvertreter nach Mallorca zu schicken. Eric war schon dabei gewesen, sein Flugticket zu buchen, als Jenna sich eingeschaltet hatte. Mit viel Überredungskunst war es ihr dann tatsächlich gelungen, ihren Vater dazu zu bringen, sie selbst statt Eric hierherreisen zu lassen.

Sie seufzte. Seit drei Jahren arbeitete sie nun schon in London für Eurostores Limited, doch bisher waren all ihre Versuche, in der Firmenhierarchie aufzusteigen, fehlgeschlagen. Dafür gab es zwei Gründe: Zum einen wünschte ihr Vater sich, dass sie bald heiratete und ihm Enkelkinder schenkte, was für sie absolut nicht infrage kam. Außerdem traute er ihr, was geschäftliche Belange betraf, einfach nicht genug zu. Und wenn sie ehrlich zu sich selbst sein wollte, konnte sie ihm das nicht einmal verübeln. Nicht nach allem, was sie damals …

Sie schüttelte den Kopf. Es lohnte nicht, ständig mit der Vergangenheit zu hadern. Was geschehen war, ließ sich nicht mehr ändern, und sie musste sich jetzt erst einmal Gedanken über ihr weiteres Vorgehen machen. Denn wenn es ihr nicht gelang, Tómas Suárez dazu zu bringen, einzulenken, verschenkte sie nicht nur die Chance, ihrem Vater doch noch zu beweisen, was in ihr steckte, sondern beraubte sich auch der Möglichkeit, ihm über Eric die Augen zu öffnen.

Eric war Vaters Liebling, praktisch der Wunschsohn, den er nie hatte. Es stand schon jetzt so gut wie fest, dass er die Leitung der Firma übernehmen würde, sobald ihr Vater sich zur Ruhe setzte, was aufgrund dessen gesundheitlicher Lage nur noch eine Frage der Zeit war.

Doch Jenna traute Eric nicht, und dafür gab es eine Vielzahl von Gründen. Aber solange ihr Vater sie nicht als Geschäftsfrau und ebenbürtige Partnerin respektierte, würde ihn auch ihre Meinung Eric betreffend nicht interessieren.

Und genau deshalb war es so wichtig für sie und letztlich auch ihren Vater, dass es ihr gelang, Tómas Suárez umzustimmen.

Sie durfte einfach nicht versagen!

Punkt sieben Uhr abends holte Tómas’ Fahrer sie im Hotel ab. Jenna schätzte den freundlichen Spanier auf etwa Anfang sechzig. Er erzählte ihr, dass er Javier hieß und sich auf Tómas Suárez’ Anwesen um die Gartenarbeit und alle anfallenden Tätigkeiten rund um das Haus kümmerte.

Die Fahrt verging dank Javiers Redseligkeit wie im Fluge. Hinzu kam die malerische Landschaft, die an ihnen vorüberzog und Jenna immer wieder aufs Neue faszinierte. Die Stadt Pollença schmiegte sich in ein Tal im Schatten des Kalvarienberges. Tómas Suárez’ Villa lag ein wenig außerhalb, man konnte sie nur über einen Privatweg erreichen, der ziemlich steil bergauf führte.

Als Javier den Landrover nun durch das geöffnete schmiedeeiserne Tor lenkte, hielt Jenna unwillkürlich den Atem an.

Das Anwesen sah aus wie aus dem Bilderbuch. In sanften Kurven führte die lange, von Kiefern gesäumte Einfahrt einen mit Zedern bewachsenen Hügel hinauf, von dem aus man einen fantastischen Ausblick bis hinunter zum Meer hatte. Oben auf der Anhöhe stand ein in typisch mediterraner Bauweise errichtetes Haus. Nein, es gleicht eher einem Palast, stellte Jenna fasziniert fest. Das mehrgeschossige Gebäude besaß gleich mehrere Terrassen und einen Turm, und im Schatten einiger hoher Palmen glitzerte türkisfarbenes Wasser in einem Pool.

„Wirklich beeindruckend“, murmelte Jenna, noch immer wie gebannt von dem Anblick.

„Nicht wahr?“ Javier nickte. Er sprach, wie schon die ganze Zeit über, Spanisch. „Warten Sie ab, bis Sie erst das Haus von innen sehen. Oder die Gärten.“

Er hielt vor dem großen Haus, und sie stiegen aus. Im selben Moment trat eine junge Frau aus der Villa. Sie war schlank und mittelgroß. Ihr ebenmäßiges Gesicht wurde von langem schwarzem Haar umrahmt, und mit ihren dunklen Augen schaute sie ein wenig schüchtern drein, was ihrer gesamten Haltung entsprach.

„Das ist Dolores, das Hausmädchen“, erklärte Javier. „Bitte folgen Sie ihr.“ Jenna nickte Javier noch einmal zu, dann ging sie hinüber zu der jungen Hausangestellten.

„Buenas tardes“, begrüßte Dolores sie. „Herzlich willkommen in der Villa Calvario. Señor Suárez lässt ausrichten, dass er noch etwas Wichtiges zu erledigen hat und in wenigen Minuten bei Ihnen sein wird. Sie möchten bitte im Salon auf ihn warten. Kommen Sie, ich führe Sie hin.“

Jenna lächelte dankbar und folgte der Spanierin. Hatte das Haus von außen bereits einen unglaublichen Eindruck auf sie gemacht, so wurde ihr Staunen jetzt, als sie es betrat, noch größer: Alles war sehr modern und elegant eingerichtet. Die Möbel bestanden aus edlem Holz, und Jenna war sicher, dass jedes Stück ein kleines Vermögen wert war. Glänzender schwarzer Marmor bedeckte den Boden, sonst wirkte alles hell und einladend, wenn auch, wie Jenna fand, ein wenig steril. So, als habe die Person, die hier wohnte, einen Innenarchitekten mit der Einrichtung beauftragt. Die persönliche Note seines Besitzers fehlte.

„Señor Suárez wird gleich bei Ihnen sein“, erklärte Dolores mit einem scheuen Lächeln, bevor sie den Gast schließlich allein ließ.

Autor

Danielle Stevens
Danielle Stevens liebt London, wo sie und ihr Ehemann gern Zeit bei ausgedehnten Spaziergängen im Hyde Park oder beim Shopping auf der Regent Street verbringt. Doch auch überall sonst auf der Welt fühlt sie sich zu Hause. So haben ihre Reisen sie unter anderem bereits nach Spanien, Frankreich, Griechenland und...
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