Annas Traum von der Liebe

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Grant Ashton ist ein fantastischer Liebhaber, der Anna alle erotischen Wünsche von den Augen abliest. Aber das reicht ihr nicht. Sie träumt von einem gemeinsamen Leben, einer Familie - wozu Grant nicht bereit ist. Doch so leicht gibt Anna nicht auf …


  • Erscheinungstag 20.06.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733747145
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

PROLOG

In der achtzehnten Etage des Ashton-Lattimer-Gebäudes im Financial District von San Francisco saß ein schlanker Mann mit silbernen Haaren und grünen Augen hinter seinem pompösen Marmorschreibtisch. Diesen hatte er vor fünf Jahren extra anfertigen lassen. Der elegante italienische Maßanzug betonte die athletische Figur des Mannes.

Mit den Fingern seiner rechten Hand trommelte er gedankenverloren neben dem Telefon auf die Platte, als erwartete er ungeduldig einen Anruf, während er sich mit der linken Hand über das Kinn strich.

Es war halb zehn Uhr morgens, und er sollte eigentlich arbeiten. Doch seine einfältige Sekretärin hatte eine lästige Besucherin in sein Allerheiligstes vorgelassen. Er runzelte die Stirn und machte ein finsteres Gesicht. Diese Frau hatte hier nichts zu suchen, und dass sie es geschafft hatte, zu ihm vorzudringen, ärgerte ihn maßlos.

„Spencer, wir müssen miteinander reden.“

„Ich wüsste nicht, was es noch zu sagen gibt.“

Er empfand nichts als Verachtung, als Alyssa Sheridan ihn mit Tränen in ihren großen braunen Augen ansah und über ihren flachen Bauch strich. In dem schlichten weißen Kleid, die langen dunklen Haare zu einem lockeren Knoten gesteckt, wirkte sie auf ihn unscheinbar und reizlos. Früher hatte er sie mal schön gefunden.

Er lehnte sich in seinem schwarzen Ledersessel zurück und lächelte zynisch. „Was glaubst du eigentlich, was du mit deinen Krokodilstränen erreichen kannst, Alyssa?“

„Ich will nur, dass du deinem Kind ein Vater bist.“

„Vergiss es. Ich will das Kind nicht. Ich habe schon genug.“

„In deinem Herz ist bestimmt noch Platz für ein weiteres.“

„Nein.“

„Spencer, bitte …“

„Hier bin ich für dich Mr. Ashton“, unterbrach er sie scharf.

Er blickte auf ihren Bauch. „Woher soll ich wissen, dass das Kind überhaupt von mir ist?“

Ein Muskel zuckte in ihrem Kinn. „Natürlich ist es dein Kind.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich war mit keinem anderen Mann zusammen.“

„Das behauptest du. Aber wer weiß? Schließlich war es auch für mich ein Leichtes, dich in mein Bett zu bekommen.“

„Wie kannst du so etwas sagen! Ich verstehe dich nicht.“

„Was ist daran nicht zu verstehen?“

„Wo ist nur der Mann geblieben, den ich kannte? Der Mann, von dem ich dachte, dass er sich etwas aus mir macht, der sich um mich kümmern würde – der Mann, in den ich mich …“

„Stopp!“ Seine Augen funkelten bedrohlich. „Wir haben ein paar Mal Sex gehabt, mehr nicht. Ein netter Zeitvertreib, aber ohne jede Bedeutung.“

Sie wurde kreidebleich. Lange Zeit blieb sie stumm. Dann hob sie den Kopf und sagte leise: „Was ist mit deiner Frau? Vielleicht sollte ich ihr einmal von deinem kleinen … Zeitvertreib erzählen?“ Wieder traten ihr Tränen in die Augen.

Er lachte hämisch. „Du hältst dich wohl für sehr clever. Aber – Pech für dich – meine Frau weiß nämlich, dass ich mich ab und zu mit anderen Frauen vergnüge.“

„Und sie hat nichts dagegen?“

„Sagen wir mal so“, erwiderte er arrogant. „Sie kann nichts dagegen tun. Niemand schreibt mir etwas vor.“ Er zog die Augenbrauen hoch. „Niemand.“

Tränen liefen ihr über die Wangen.

Spencer hatte kein Mitleid mit ihr. Seine einzige Sorge war, dass die Tränen auf seinen Schreibtisch tropften. Das Salz könnte den Marmor angreifen. „Wenn es sonst nichts mehr gibt …“, sagte er hastig.

„Nur eines noch.“ Sie wischte sich die Tränen aus den Augen. „Du bist ein widerlicher Bastard, Spencer.“

Er schnaubte verächtlich. „Vielleicht bin ich das, aber wenn du die Sache nicht regelst …“, er deutete auf ihren Bauch, „… dann musst du dich bald um deinen eigenen Bastard kümmern. Und zwar ohne meine Hilfe.“

Sie legte die Hände an den Bauch, als wollte sie das kleine Wesen, das in ihr wuchs, vor seinen Worten beschützen.

Sein Blick kehrte zu den Unterlagen auf seinem Schreibtisch zurück. „Und wenn du noch einmal versuchst, in mein Büro einzudringen, dann lasse ich dich festnehmen.“

Er blickte erst wieder auf, als die Tür zugeknallt wurde. Doch als er es tat, lächelte er.

1. KAPITEL

Rote Locken, große grüne Augen und ein Lächeln, das einen schwach werden ließ.

„Hab dich lieb, Mommy.“

Mommy, dachte Anna Sheridan gerührt. Sie breitete dem Jungen die Arme aus.

Ihrem Sohn.

Sie hatte sich daran gewöhnt, ihn so zu nennen, obwohl er nicht ihr leiblicher Sohn war. Er war ihr Neffe, das Kind ihrer Schwester Alyssa. Aber der Tod ihrer Schwester und das Desinteresse des Vaters an seinem Kind hatten Anna und Jack zwangsläufig zusammengeführt – hatten sie wunderbarerweise zu Mutter und Kind von ersten Tag seines Lebens an gemacht.

Natürlich war Jack noch zu klein, um die Umstände zu verstehen, doch Anna wusste, dass sie ihm irgendwann die Wahrheit sagen musste. Jetzt aber, dachte sie, als er in ihre Arme geflogen kam und ihr einen klebrigen Kuss auf die Wange gab, jetzt würde sie ihn einfach beschützen, ihn lieben und bemuttern, so gut sie konnte.

Anna blickte zum Himmel. Von dort oben sah Alyssa ganz sicher auf sie herunter und achtete darauf, dass Anna dem kleinen Jack ihre ganze Liebe schenkte. Trotz ihres Leichtsinns, ihrer Schwächen und ihrer Fehler war Alyssa ein guter Mensch gewesen, und sie hätte für ihr Kind nur das Beste gewollt. Keine leichte Aufgabe für Anna, aber sie erfüllte die hohen Erwartungen gern. Was konnte es Schöneres geben, als sich um diesen süßen Jungen zu kümmern?

„Laufen, Mommy?“ Jack sah sie hoffnungsvoll aus großen Augen an.

Anna lächelte. Jack war ein kleiner Wildfang. Für ihn gab es nichts Schöneres als herumzurennen – außer Pizza essen vielleicht. Auf The Vines hatte das Kind glücklicherweise genug Platz zum Toben. Anna und Jack hatten Unterschlupf auf dem Weingut gesucht, als die Presse herausgefunden hatte, wer Jacks Vater war. Von dem Tag an hatte Anna keine Ruhe mehr gehabt. Die Journalisten hatten nichts unversucht gelassen, um an ein Interview zu kommen.

Und dann die Drohungen.

Anna überlief es kalt. Dem Himmel sei Dank für Caroline und Lucas. Sie waren ganz wundervolle Menschen und hatten sich erstaunlich großmütig gezeigt – genau wie Jacks Halbgeschwister. Jeder auf Louret Vineyards hatte Anna seine Unterstützung angeboten und Jack mit Liebe überschüttet, wofür Anna unendlich dankbar war.

Sie blickte hinaus auf die sanfte Hügellandschaft von Louret Vineyards. Das prächtige Wohnhaus im französischen Baustil lag inmitten ertragreicher Weinberge. Nicht weit entfernt glitzerte ein kleiner See. Neben dem Haus befanden sich die Ställe.

Anna, die mit ihrer Schwester Alyssa in bescheidenen, fast ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen war, hätte sich niemals vorstellen können, dass eine Welt wie diese überhaupt existierte. Und im Gegensatz zu ihrer Schwester hatte sie auch nicht danach gesucht. Sie hatte nur einen einzigen Wunsch gehabt: es einmal besser zu haben. Und dank ihrer Ausbildung, dank ihres geliebten Lehrerberufs, war ihr das auch gelungen.

„Laufen, Mommy? Laufen“, wiederholte Jack.

„Tut mir leid, Schatz. Mommy geht es heute nicht so gut.“ Anna schlug ihm nur ungern eine Bitte ab, aber heute fühlte sie sich wirklich nicht wohl. Ihr Magen rebellierte seit dem Frühstück, und sie war erschöpft. „Aber ich habe einen Ball. Ich werfe ihn, und du läufst hinterher und bringst ihn mir zurück.“

Jack hüpfte aufgeregt herum und rief strahlend: „Ball, Ball, Ball!“, bis Anna ihn endlich auf die Wiese warf.

Jack fühlte sich wohl auf dem Weingut. Hier hatte er Platz zum Toben, Tiere und eine große Familie. Es würde nicht einfach für ihn werden, diesen herrlichen Ort zu verlassen und in die Wohnung in der Stadt zurückzukehren, sobald der Mord an Spencer aufgeklärt war.

Anna wurde schwer ums Herz. Auch ihr würde der Abschied nicht leichtfallen. Zwar fühlte sie sich hier nicht ganz so zu Hause wie der kleine Jack, aber es gab etwas – jemanden, den sie schrecklich vermissen würde.

Trotz des kalten Novembertages war ihr plötzlich heiß. Anna fragte sich, ob es daran lag, dass sie Fieber hatte, oder ob der Mann daran schuld war, der ihr vierundzwanzig Stunden am Tag, sieben Tage die Woche nicht aus dem Kopf ging. Der Mann, der gerade in diesem Moment auf sie zukam. Der große, selbst-beherrschte Mann mit den dunklen Haaren und den grünen Augen – der Mann, der sie alles vergessen ließ, wenn er sie nur berührte.

Ihr Herz pochte heftig. In seinen verwaschenen Jeans und dem blauen Flanellhemd wirkte er in diesem noblen Weinanbaugebiet etwas deplatziert. Doch sein gesundes Selbstvertrauen machte das wett. Dieser Mann fühlte sich überall zu Hause. Auf diesem Weingut, beim Viehtrieb, auf dem Traktor und im Bett einer Frau, die ihn anbetete.

Ja, Grant Ashton erweckte den Anschein, als könnte ihn nichts erschüttern. Lachend hob er den kleinen Jack hoch und wirbelte ihn durch die Luft. Doch Anna hatte Grant auch schon anders erlebt. Erst vor ein paar Monaten hatte er in San Francisco in Untersuchungshaft gesessen, und er und Anna hatten sich gefragt, ob er jemals wieder seine Freiheit genießen würde. Während dieser schrecklichen Zeit war sein Selbstvertrauen tief erschüttert gewesen, und Anna hatte seine Angst gespürt.

Deshalb hatte sie sich auch seinem Wunsch widersetzt, die leidenschaftliche Nacht mit ihm geheim zu halten, und der Polizei berichtet, wo Grant die Nacht verbracht hatte, als Spencer Ashton ermordet wurde.

In ihrem Bett.

Grant gab Jack den Ball und ging zu Anna. Trotz ihres Unwohlseins wäre sie am liebsten aufgesprungen und hätte sich in seine Arme geschmiegt.

Doch sie unterdrückte den Wunsch nach körperlicher Nähe. In den letzten Tagen war sie Grant sogar aus dem Weg gegangen. Nicht, weil sie nicht mit ihm zusammen sein wollte. Ganz im Gegenteil. Im Laufe der letzten Wochen waren ihre Gefühle für ihn immer stärker geworden, aber sie hatte erkannt, dass sie ihr Herz irgendwie schützen musste. Sonst würde es zerbrechen, wenn er Kalifornien verließ und nach Nebraska zurückkehrte.

Das Problem war, dass sie sich zu schnell zu nah gekommen waren. Mit ihm zu schlafen, sich in seine Arme zu schmiegen und mit ihm über wichtige und unwichtige Dinge des Lebens zu reden, das alles war schon fast zu einer Sucht geworden.

Doch irgendwann würde der schreckliche, unvermeidliche Tag seiner Abreise kommen, und Anna wollte diesen Tag mit Würde überstehen. Ihre Zuneigung sollte sich nicht in Hass verwandeln, weil er ging. Und sie selbst wollte sich nicht den Vorwurf machen müssen, von einer gemeinsamen Zukunft geträumt zu haben, die er ihr nie versprochen hatte.

Eine Zukunft, an die er nicht einmal denken konnte, solange der Mord an Spencer Ashton sein Leben noch beherrschte.

Ihr Magen rebellierte wieder. „Jack, mein Schatz, wir müssen gleich gehen. Es wird Zeit für deinen Mittagsschlaf.“

„Vogel, Mommy.“ Jack ignorierte ihre Worte völlig und zeigte begeistert auf einen Ast.

„Ja, ich sehe ihn. Er ist blau.“

„Blau, blau.“

„Ja, Schatz.“

„Grant, Grant, Grant!“, rief Jack und deutete auf den Mann, der jetzt vor ihr stand.

„Ja, das ist Grant“, bestätigte sie und sah in Grants Augen, die sie schon zärtlich, heiß, unsicher und voller Humor gesehen hatte, aber noch nie so, wie sie jetzt blickten – verärgert.

Sie brachte ein freundliches, unverbindliches Lächeln zustande. „Hallo, Grant.“

Grant erwiderte die lockere Begrüßung nicht. Er war kein Mann, der um den heißen Brei herumredete. Er kam immer gleich zur Sache, ob es einem passte oder nicht. „Gehst du mir aus dem Weg?“

„Nein“, log sie.

„Nein?“

„Jedenfalls nicht direkt.“

„Nicht direkt?“ Er setzte sich neben sie. „Komm schon, Anna.

Du weißt, dass ich diese Spielchen nicht mag.“

„Es ist kein Spiel.“

„Was ist es dann? Was ist los?“

Sie stieß einen tiefen Seufzer aus. „Ich wollte dir einfach etwas Freiraum geben, das ist alles.“

„Freiraum für was?“

„Um deine Gefühle und die Familienangelegenheiten zu ordnen, die Situation um deinen Vater …“

„Nenn ihn bitte nicht so“, unterbrach Grant sie gereizt.

„Entschuldige. Ich dachte einfach, du brauchst Platz zum Atmen.“

„Nein, brauche ich nicht. Und ich muss auch keine Gefühle ordnen.“

„Das glaube ich nicht.“

„Warum nicht? Weil ich immer noch in Napa herumhänge?“

„Zum Beispiel.“

„Verdammt, Anna, du weißt, dass ich nicht abreisen kann, solange der Mord an Spencer nicht aufgeklärt ist. Die Polizei lässt mich nicht gehen, und ich will es auch nicht.“

Anna ärgerte sich, dass ihr seine Worte einen Stich versetzten. Natürlich blieb er nicht ihretwegen auf The Vines. Sie musste sich endlich am Riemen reißen und einsehen, dass sie nur eine Affäre hatten – eine kurzfristige. „Ich muss jetzt gehen.“ Sie hatte Kopfschmerzen und leichten Schüttelfrost.

Grant betrachtete sie. „Du siehst schlecht aus.“

„Danke.“ Anna stand auf und schloss ihre Jacke hoch bis zum Kinn.

Er sprang ebenfalls auf. „Bist du krank?“

„Mir geht es gut. Ich bin nur etwas müde.“

Sie merkte ihm an, dass er ihr nicht glaubte. Er kannte sie schon viel zu gut. „Ich muss dich unbedingt sehen. Nachher.“

Der Schüttelfrost wurde stärker. Sie musste sich hinlegen. „Weshalb?“

„Das fragst du noch, Anna?“ Grant blickte sie aus seinen grünen Augen an – nicht begehrlich –, sondern eher ruhelos, irgendwie verzweifelt.

„Hör zu, Grant“, begann sie ungeduldig, während sie mit letzter Kraft gegen den Schüttelfrost und ihren rebellierenden Magen kämpfte. „Eine Zeit lang war ich bereit, dich einfach aufzufangen. Aber meine Gefühle für dich sind stärker geworden, und ich … nun, ich habe Angst.“

„Wovor?“

„Dass ich auf der Stelle trete. Du weißt, was ich für dich empfinde. Da kann ich dir nichts vormachen.“

„Anna …“

„Ich weiß, dass du im Moment großen Belastungen ausgesetzt bist. Du hast jetzt keine Zeit, dir Gedanken über unsere Beziehung zu machen. Aber ich muss darüber nachdenken, wie es weitergehen soll. Ich wünsche mir für mich und meinen Sohn eine Zukunft, und du bist nicht …“ Was? Bereit? Verliebt?

Er legte die Hände an ihre Schultern. „Tut mir leid, Anna. Ich wünschte, ich könnte dir geben, was du brauchst – und was du verdienst.“ Er schüttelte den Kopf. „Weiß Gott, ich würde es wirklich gern, aber im Moment …“

„Du musst es nicht sagen … und ehrlich gesagt will ich es auch gar nicht hören.“

Er nickte, dann seufzte er. „Die Familie ist schon etwas Komisches. Zu viele Überraschungen, zu viele dunkle Geheimnisse.“

„Ich weiß.“

Er sah ihr tief in die Augen. „Spencers Blut fließt in meinen Adern. Macht dir das keine Angst?“

„Nein.“

„Mir aber.“

„Du bist nicht wie er, Grant.“ Anna löste sich aus seinem Griff.

„Ich weiß gar nicht mehr, wer ich bin.“ Grant wirkte frustriert und sehr verwirrt.

Sie wollte ihm Mut und Trost zusprechen, hielt sich jedoch zurück. „Du musst es herausfinden.“

„Ohne deine Hilfe. Ist es das, was du mir sagen willst?“

„Das ist eine unglaublich eigennützige Frage.“

Grant legte die Stirn in Falten. „Ich fürchte, ich bin sehr egoistisch, wenn es um dich geht.“ Er strich sanft über ihr Gesicht. „Du bist eine tolle Frau, Anna.“

Ihre Haut prickelte unter seiner Berührung. Vielleicht war es auch der Schüttelfrost. „Ich muss jetzt gehen.“

„Lass mich dir helfen.“

„Nein.“ Sie richtete sich auf, wobei sie zu verbergen suchte, wie schwach und kraftlos sie war. Grant sollte nicht wissen, wie krank sie sich wirklich fühlte, denn sonst würde er darauf bestehen, mit ihr zu gehen und sie ins Bett zu bringen. Er war ein so liebenswerter, fürsorglicher Mann. Aber damit konnte Anna im Moment nicht umgehen. Sie musste ihr Herz unter Kontrolle bekommen. „Ich denke, wir sollten in nächster Zeit etwas auf Distanz gehen.“ Sie wich vor ihm zurück und ging zu ihrem Kind. „Auf geht’s, Jack.“

„Tschüs, Grant!“, rief Jack, als Anna ihn in Richtung Cottage zog.

„Tschüs, Jack. Bis später.“ Grants Stimme klang tief und ernst. „Wir sehen uns nachher noch.“

Anna entfernte sich und tat, als hätte sie die letzten Worte nicht gehört.

Grant brachte den Hengst zum Stehen.

Mann, tut das gut, mal wieder auf einem Pferd zu sitzen, dachte er und ließ das Tier im Kreis tänzeln. Beim Reiten, den Wind im Gesicht, hatte er das Gefühl von Freiheit. Trotzdem war er hier nicht zu Hause. Er konnte sich nicht vormachen, auf seinem Land in Nebraska zu sein, weit weg von Spekulationen und Kontroversen. Die Luft roch einfach anders. Nein, dies war nicht seine Heimat. Dies war Kalifornien, Carolines Land – das Einzige, was Spencer ihr nicht genommen hatte.

Spencer Ashton.

Bei dem Namen verkrampfte sich Grants Griff um die Zügel. Der Mann hatte so vielen Menschen schweres Leid zugefügt, doch das Netz aus Lügen und Intrigen hatte auch viele Menschen zusammengeführt. Diese Ironie ließ Grant hämisch lächeln. War er Spencer dankbar für die Geschwister, die er erst vor Kurzem kennengelernt hatte und jetzt als seine Freunde betrachtete? Und dafür, dass er Jack gezeugt hatte oder dafür, dass Anna in sein Leben getreten war?

Grant gab dem Hengst die Sporen und ritt weiter durch die Weinberge. Er wusste keine Antworten auf diese schwierigen Fragen. Sein Leben in Nebraska war einfach gewesen. Beständig, vorhersehbar, ohne große Überraschungen. Etwas, was er jetzt zu schätzen wusste.

Andererseits würde ihm in Nebraska vieles fehlen: Seine Halbgeschwister, sein kleiner Bruder Jack – und vor allem Anna Sheridan.

Noch nie hatte eine Frau ihn so fasziniert wie Anna. Und er war sich sicher, dass sie genauso empfand. Verdammt, hatte sie es nicht sogar gesagt? Aber im Gegensatz zu ihm wünschte sie sich eine feste Beziehung, einen Vater für ihren Jungen, einen Ehemann für sich selbst.

Und diesem Grant Ashton, diesem neuen Grant Ashton, den es erst seit ein paar Monaten gab, diesem Grant Ashton, der angelogen worden war, der von seinem Vater zurückgewiesen und für ein Verbrechen ins Gefängnis geworfen worden war, das er nicht begangen hatte, diesem Grant Ashton stand nicht der Sinn nach einer festen Beziehung.

Er hatte zu viele gescheiterte Ehen erlebt. Liebe, die sich in Hass verwandelt hatte. Und die Leidtragenden waren immer die Kinder gewesen. Er selbst hatte unter dieser Situation gelitten.

Dieses Risiko wollte er bei Anna und Jack nicht eingehen.

Verdammt, es gab viele gute Gründe, ihren Wunsch zu respektieren und sich von ihr fernzuhalten. Doch sein Verlangen nach ihr war stärker.

„Entschuldige den Ausdruck, aber mir ist speiübel.“

Jillian stand in der Tür zum Cottage und sah ihre Freundin besorgt an. „Wie kann ich dir helfen?“

Eingewickelt in eine Decke, schwitzend und gleichzeitig vor Kälte zitternd, erwiderte Anna: „Könntest du Jack heute Nacht mit zu euch nehmen? Ich scheine irgendetwas auszubrüten und möchte nicht, dass er sich ansteckt.“

„Natürlich. Aber wer kümmert sich um dich?“

„Darum mach dir keine Gedanken. Ich bin schließlich nicht das erste Mal krank. Es geht mir nur um Jack. Ich möchte, dass er gut versorgt ist.“

„Kein Problem. Rachel wird sich riesig freuen. Und auch der Rest der Familie.“ Jillian betrachtete Annas Gesicht. „Bitte, lass dir von Caroline etwas Suppe oder Toast oder …“

„Danke, aber das ist nicht nötig. Ich habe Suppe und Brot im Haus. Caroline ist eine viel beschäftigte Frau, und sie hat schon so viel für mich getan. Ich möchte ihr nicht zur Last fallen.“

Jillian verdrehte die Augen. „Dann versprich mir wenigstens, sofort anzurufen, wenn es dir schlechter geht.“ Als Anna nicht antwortete, warnte Jillian: „Dieser Junge braucht seine Mutter.“

Anna rang sich ein Lächeln ab. „Okay, ich verspreche es.“

„Gut.“ Jillian war beruhigt. „Komm, Jack.“

Der kleine Junge nahm die Hand, die Jillian ihm reichte, doch er blickte traurig zu Anna auf.

„Mommy?“

„Es ist nur für eine Nacht, mein Schatz. Versprochen.“

„Okay“, sagte er leise, dann lächelte er. „Tschüs.“

„Tschüs, mein Kleiner.“

Nachdem Jack und Jillian gegangen waren, schloss Anna die Tür. Einen Moment lehnte sie sich dagegen. Sie fühlte sich schrecklich allein, war erschöpft und wusste nicht, was mehr schmerzte – ihre Glieder oder ihr Herz.

Schließlich stieß sie sich von der Tür ab, taumelte zum Sofa und sank in die weichen weißen Kissen. Frierend zog sie eine von Carolines wunderschönen Decken bis unters Kinn. Schon diese kleine Bewegung strengte sie ungeheuer an. Es würde eine lange Nacht werden.

Das Ticken der Küchenuhr war das einzige Geräusch in dem kleinen Cottage. Anna versuchte, etwas Flüssigkeit zu sich zu nehmen. Schon nach wenigen kleinen Schlucken schloss sie die Augen und fiel in unruhigen Schlaf. Immer wieder wurde sie vom Schüttelfrost gepackt oder von extremen Schweißausbrüchen geweckt.

Als sie ein Klopfen an der Tür hörte, stöhnte sie laut, zwang sich jedoch aufzustehen, weil es Jillian oder Jack sein könnten.

Als sie die Cottagetür öffnete, erlebte sie eine Überraschung.

Grant stand in der Dämmerung und machte ein mürrisches Gesicht. „Du bist ja richtig krank.“

„Scheint so.“ Anna wusste, dass sie schrecklich aussah, doch es kümmerte sie nicht.

„Du hast gesagt, dass du nur müde bist.“

„Habe ich das?“

Er ignorierte ihren Sarkasmus. „Warum hast du mich nicht angerufen?“

„Das weißt du genau.“

„Ich werde mich jetzt um dich kümmern.“

„Nein.“

„Doch.“

„Grant, ich komme allein klar. Es ist nur eine Grippe.“

Er zog die Augenbrauen hoch. „Gehst du jetzt zur Seite, oder muss ich dich hochheben?“

„Das ist doch albern.“

„Du benimmst dich wie ein störrisches Kind.“

Anna war kurz davor zusammenzubrechen. Sie trat zur Seite und ließ Grant eintreten. „Nein, ich will nur niemanden anstecken.“ Ihr wurde wieder übel, und sie lehnte sich gegen die Wand.

Er zog sie in seine Arme.

Hatte er denn gar nichts verstanden? Sie wollte Distanz, weil sie im Gegensatz zu ihm verliebt war und unter schrecklichem Liebeskummer leiden würde, wenn er eines Tages Napa verließ.

„Meine arme Anna.“

Seine Stimme war sanft und beruhigend, und er fühlte sich so kühl und stark an, dass sie sich an ihn schmiegte und entspannte.

„Das ist keine gute Idee“, murmelte sie.

„Du bist krank, Anna.“

„Ich weiß.“

„Außer, dass ich dir ein paar Wadenumschläge mache und dir Suppe einflöße, rühre ich dich nicht an, okay? Ich will dir nur helfen.“

Sie fühlte sich miserabel; alles tat ihr weh. Konnte sie seine Hilfe annehmen?

Ja, heute Abend konnte sie es.

Grant führte sie fürsorglich zurück zum Sofa. „Ist dir schlecht? Hast du etwas Falsches gegessen?“

Autor

Laura Wright
Laura hat die meiste Zeit ihres Lebens damit verbracht, zu singen, an Tanzturnieren teilzunehmen oder als Schauspielerin zu arbeiten. Erst als sie begann, Romane zu schreiben, hat sie ihre wahre Leidenschaft und Berufung entdeckt! Geboren und aufgewachsen ist sie in Minneapolis, Minnesota. Danach lebte Laura für einige Zeit in New...
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