Baccara Collection Band 487

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

EIN HEISSER FLIRT MIT DER VERGANGENHEIT von REESE RYAN

Die schöne Andraya ist fassungslos: Ihr alter Jugendschwarm Kahlil Anderson hat die Pferderanch geerbt, die sie leitet. Der Tech-Unternehmer kennt sich allerdings nicht mit Pferden aus – und nun braucht ausgerechnet er, der ihr damals das Herz gebrochen hat, ihre Hilfe!

IM SÜSSEN CHAOS DER GEFÜHLE von ELIZABETH BEVARLY

Ein One-Night-Stand mit Rancher Zane stellt Sabrina Fortunes sorgfältig geplantes Leben auf den Kopf: Sie erwartet ein Baby! Doch noch während sie und Zane nach einem vernünftigen Kompromiss im Chaos suchen, wächst zwischen ihnen ein höchst unvernünftiges Gefühl …

DAS FLÜSTERN IN DEN WEIDEN von DEBRA WEBB

Was ist vor dreißig Jahren genau passiert? Zusammen mit dem sympathischen Ben Kane untersucht Reyna den ungelösten Fall von drei Männern, die damals spurlos verschwanden. Gemeinsam tauchen sie in eine Vergangenheit ein, deren dunkler Schatten bis in die Gegenwart reicht …


  • Erscheinungstag 09.08.2025
  • Bandnummer 487
  • ISBN / Artikelnummer 0855250487
  • Seitenanzahl 384

Leseprobe

Reese Ryan, Elizabeth Bevarly, Debra Webb

BACCARA COLLECTION BAND 487

Reese Ryan

1. KAPITEL

Kahlil Anderson ging erregt im Wohnzimmer seines teuren Apartments auf und ab. Hinter seinen Schläfen pochte es dumpf, und in seinem Bauch gähnte ein Abgrund. Er hatte sich in seinem ganzen Leben noch nicht so panisch gefühlt wie jetzt.

Der High-Tech-Unternehmer hatte vor genau einer Woche erfahren, dass seine Ex-Frau mit seinem Geschäftspartner Armand Moreau verschwunden war. Er war am Boden zerstört gewesen, als er die Nachricht bekommen hatte. Nicht weil sein ehemaliger College-Mitbewohner und langjähriger Geschäftspartner offenbar schon seit einem Jahr heimlich mit Meridia zusammen gewesen war. Mit Kahlil und seiner Ex-Frau war es schon lange vorbei – mehr noch, es war ein Fehler gewesen, dass sie je geheiratet hatten. Was Kahlil so wütend und verletzt machte, war, dass Armand so wenig an ihrer jahrzehntelangen Freundschaft zu liegen schien.

Doch die wirklich katastrophale Nachricht bekam er zwei Tage später – als Kahlils Buchhalter ihn diskret darüber informierte, dass Armand eines der Firmenkonten geleert hatte. Und was noch schlimmer war: Jemand hatte dafür ziemlich überzeugend Kahlils Unterschrift gefälscht. Doch Kahlil erkannte die winzige Abweichung sofort – die wahre Urheberin der Unterschrift war Meridia.

Kahlil hatte die letzten fünf Tage darüber gegrübelt, wie er mit der Situation umgehen sollte. Er hatte einen Privatdetektiv engagiert, der die Spur der beiden bis nach Venezuela verfolgt hatte – ein Land, das bekannt dafür war, dass es selten Kriminelle an die USA auslieferte. Die Spur des Geldes hatte sich über Offshore-Konten auf den Kaimaninseln verloren.

Wie lange hatten die beiden diesen Coup schon geplant? Schon seit der Scheidung vor einem Jahr? Oder hatte ihre heimliche Beziehung womöglich schon begonnen, als er und Meridia noch zusammen gewesen waren?

Kahlil bereitete sich einen starken Tom Collins zu und ging mit dem Drink in der Hand zu dem großen Fenster, von dem aus man einen spektakulären Blick auf Seattle und die Elliott Bay hatte. Normalerweise beruhigte die Aussicht seine Nerven, doch heute lastete das Gefühl von drohendem Unheil zu schwer auf ihm.

Er hielt das eiskalte, beschlagene Glas an seine Schläfe und sackte mit geschlossenen Augen in seinem Sessel zusammen. „Ich bin am Ende. Vollkommen am Ende.“

Im Laufe der Jahre hatten Kahlil, Armand und Meridia gemeinsam eine Vielzahl von Technologie-Startups gegründet und gewinnbringend verkauft: Smartphone-Apps, SaaS-Anwendungen und industrielle Software. Doch von allen Projekten, die sie entwickelt hatten, war das aktuelle mit Abstand am wichtigsten für Kahlil. Das Unternehmen entwickelte eine medizinische Software zur Unterstützung von Patienten mit Multipler Sklerose. Die Software vernetzte die verschiedenen, bei dieser Erkrankung notwendigen Spezialisten und ihre Untersuchungsergebnisse miteinander und verbesserte dadurch die Lebensqualität und die Lebenserwartung der erkrankten Menschen um ein Vielfaches.

Kahlil war von diesem Projekt begeistert – fast schon besessen –, seit er an einer Wohltätigkeitsveranstaltung für Familien teilgenommen hatte, die gegen diese Krankheit kämpfen.

Das Betriebskonto hatte Armand großzügigerweise nicht angetastet. Das Unternehmen hatte also genug Finanzkraft, um die nächsten drei bis sechs Monate zu überleben. Aber falls es zu unvorhersehbaren Ausgaben käme oder die Entwicklung der Software länger als sechs Monate dauerte, würde ihnen das Kapital ausgehen, bevor sie ihr Produkt auf den Markt bringen konnten. Und obwohl ein Forensiker mit Sicherheit den Unterschied zwischen seiner Unterschrift und der Fälschung seiner Ex-Frau feststellen könnte, würde die ganze Angelegenheit für immer wie eine dunkle Wolke über Kahlils Kopf hängen. Auch wenn er nicht derjenige gewesen war, der sich mit dem Geld der Investoren davongemacht hatte – er hatte das Projekt initiiert. Und er hatte eindeutig den falschen Leuten vertraut. Also hatte Khalil niemandem die Wahrheit erzählt – außer seinem Buchhalter und seinem Anwalt, die beide eine Verschwiegenheitsklausel unterschrieben hatten.

Kahlil nahm einen großen Schluck von seinem Drink und seufzte. Selbst wenn er sein Apartment verkaufte und seine privaten Konten plünderte, würde das nicht annähernd ausreichen, um den achtstelligen Betrag zu ersetzen, mit dem sich Armand und Meridia aus dem Staub gemacht hatten.

Es klingelte an der Tür, und Kahlil schreckte auf. Der verrückte Gedanke, dass Armand zur Vernunft gekommen war und ihm das gestohlene Geld der Investoren bis auf den letzten Cent zurückgeben wollte, raste durch sein Hirn.

Aber so viel Glück hatte er leider nicht.

Vor der Tür stand der Pförtner des Apartmentkomplexes.

„Hey, Bernie“, begrüßte Kahlil ihn. „Was kann ich für Sie tun?“

„Das kam vorhin für Sie an, Sir.“ Der freundliche ältere Mann hielt lächelnd einen Umschlag hoch. „Ich dachte, den würden Sie sicher gern sofort haben.“

„Danke, Bernie.“ Kahlil gab dem Mann diskret ein paar Dollar Trinkgeld, wünschte ihm einen schönen Abend und schloss die Tür.

Immer noch in der verrückten Hoffnung, dass Armand oder Meridia vielleicht zur Besinnung gekommen waren, musterte Kahlil die Schrift auf dem Umschlag.

Aus dem Nachlass von Hank Carson, Willowvale Springs.

Kahlil verzog schuldbewusst das Gesicht. In den letzten zwanzig Jahren war er ganze zwei Mal in Willowvale Springs gewesen. Und das auch nur, weil seine jüngeren Schwestern ihre jeweiligen Hochzeiten gefeiert hatten. Kahlil war jedes Mal genauso schnell wieder abgereist, wie er gekommen war.

Vor zwei Wochen hatte ihn seine Schwester Farah über den Tod des alten Hank Carson informiert. Da er und Armand zum Zeitpunkt der Beerdigung einen möglichen Investor in Houston besucht hatten, war Kahlil nicht gekommen. Hank Carson war in gewisser Weise die Verkörperung von Willowvale Springs gewesen. Und ihm hatte der größte Teil der Stadt gehört. Eine riesige Ranch, der Gemischtwarenladen, mehrere Mietshäuser. Und jede Menge unbebautes Land.

Kahlil hatte als Achtzehnjähriger – vor zwanzig Jahren – begonnen, als Stallbursche auf der Pferderanch des wohlhabenden Grundbesitzers zu arbeiten, und war zwei Sommer geblieben. Er hatte auch ein paar IT-Arbeiten für Hank erledigt. Dieser hatte damals gerade begonnen, sich mit der Idee anzufreunden, das Internet für Marketing und Bankgeschäfte zu nutzen.

Der alte Mann konnte launisch und streitsüchtig sein. Aber er hatte immer das Wohl der Stadt und ihrer Bewohner im Sinn gehabt. Trotz seiner schlimmen Lage musste Kahlil unwillkürlich grinsen, als er sich an einige seiner Begegnungen mit dem manchmal ziemlich verschroben wirkenden alten Mann erinnerte. Der Spruch Hunde die bellen, beißen nicht passte perfekt zu Hank.

Doch Kahlil hatte keinen blassen Schimmer, warum Hanks Nachlassverwalter ausgerechnet ihn kontaktiert hatte. Das letzte Mal, dass er mit dem alten Mann gesprochen hatte, war vor fünf Jahren gewesen.

Kahlil riss den Umschlag auf und überflog das mehrseitige Dokument. Dann las er es noch einmal in Ruhe. Und dann noch einmal.

„Das kann nicht wahr sein.“ Kahlil schüttelte den Kopf und fasste sich an die Stirn. „So ein krasses Glück kann ich einfach nicht haben.“

Nicht, dass es ein Glück gewesen wäre, dass der alte Mann gestorben war. Aber dass Hank Carson Kahlil seine geliebte Vollblutpferderanch vererbte – und das ausgerechnet jetzt, wo er das Geld so dringend brauchen konnte … Es musste irgendeinen Haken geben.

Kahlil griff tiefer in den Umschlag und zog einen USB-Stick heraus. Er schloss ihn an seinen Computer an und öffnete die einzige Datei, die sich darauf befand.

Hanks faltiges und von der Sonne verbranntes Gesicht erschien auf dem Bildschirm. Der Mann war Kahlil immer wie ein Riese vorgekommen. Aber in dem Video sah er müde, zerbrechlich und … sehr menschlich aus.

„Ich komme gleich zur Sache, mein Sohn. Du weißt, dass Edith und ich nie eigene Kinder hatten. Das war das Einzige, was ich ihr nicht geben konnte. Die Kinder, die in Willowvale Springs aufgewachsen sind, waren in gewisser Weise wie eine Familie für uns. Manche mehr als andere.“ Der alte Mann bekam einen furchtbaren Hustenanfall und winkte jemandem zu, der ihm eine Flasche Wasser anbot. Dann fuhr er fort: „Du hast mich während deiner Zeit auf der Ranch sehr beeindruckt. Und ich habe deine Karriere verfolgt. Ich bin verdammt stolz auf dich, mein Sohn. Und wahrscheinlich ist er zu dickköpfig, um es zuzugeben – aber ich weiß, dass dein Dad auch sehr stolz auf dich ist.“

Kahlils Magen verkrampfte sich, als er an seinen Vater dachte. Der hatte kaum mit ihm gesprochen, seit Kahlil die Ranch der Familie verlassen hatte, um seinen eigenen Weg zu gehen.

„Meine Pferderanch war immer meine größte Freude. Edith und ich hatten hier viele schöne Erinnerungen. Ich vererbe sie dir – die Ranch und die anliegenden Mietshäuser. Du kannst damit machen, was du willst, mein Sohn. Aber dieser Ort bedeutet den Leuten hier eine Menge. Ich vertraue dir, dass du das berücksichtigst, wenn du deine Entscheidung triffst.“

Hank nickte in die Kamera und verabschiedete sich.

Kahlil starrte auf das Dokument in seiner Hand. Zu der Pferderanch gehörten Hunderte von Hektar. Und sie war in der Gegend als einer der besten Pferdezuchtbetriebe bekannt.

Die Vorstellung, Hanks altes Zuhause zu verkaufen, ließ Kahlils Herz schwer werden. Aber es war unmöglich, dass das Schicksal ihm – genau zur richtigen Zeit – ein solches Geschenk machte und er diese Chance nicht nutzen sollte. Die gesamte Stadt Willowvale Springs war Hank Carsons Vermächtnis. Auch wenn Kahlil die Ranch verkaufte, würde die Stadt Hank niemals vergessen. Und die Software, die Kahlil entwickelte, hatte das Potenzial, Tausende von Leben zu retten.

Hätte Hank nicht gewollt, dass er alles in den Dienst dieser Sache stellte?

Andraya Walker ritt auf Gingerbread, ihrem fuchsfarbenen American Quarter Horse, am Ufer des Flusses entlang. Dieser wunderschöne ruhige Ort war einer ihrer Lieblingsplätze, seit sie im Alter von sechzehn Jahren als Pferdepflegerin auf der Willowvale Springs Horse Ranch begonnen hatte. Das war inzwischen zwanzig Jahre her, doch seitdem hatte sie diesen Ort und die Ranch nur noch mehr lieben gelernt.

Ihre Mutter und ihren Schwestern behaupteten immer, die Ranch wäre Andrayas Leben – wahrscheinlich hatten sie recht.

Abgesehen von den paar Jahren, die sie auf dem College verbracht hatte, hatte Dray die meiste Zeit ihres Lebens entweder auf der eigenen Farm ihrer Familie oder auf dieser Pferderanch verbracht. Und seit fünf Jahren war sie die Managerin der Ranch. Oft war sie die Erste, die kam, und die Letzte, die ging. Anfangs hatte sie sieben Tage die Woche gearbeitet. Nicht, weil das nötig gewesen wäre, aber sie fühlte sich auf der Ranch einfach am wohlsten. Erst als ihr Chef ihr gesagt hatte, sie sei zu jung, um so zu enden wie er – der nach eigenen Worten außer der Ranch kein Leben hatte –, hatte sie ihre Arbeitszeit auf fünf Tage die Woche reduziert.

Hank Carson, der vor wenigen Wochen verstorbene Besitzer der Ranch, konnte streitsüchtig und sehr perfektionistisch sein. Aber er war auch ein freundlicher und sehr großzügiger Mensch gewesen, der sich gut um sein Personal gekümmert hatte. Er hatte ihr alles beigebracht, was sie über die Leitung einer Ranch wusste. Hatte in ihr dieselbe Begeisterung für den Ort geweckt, mit der er selbst die Ranch damals aufgebaut hatte. Hank war wie ein zweiter Vater für sie gewesen.

Dray seufzte schwer. Ihre Augen brannten vor Tränen, als sie daran dachte, wie Hanks lange Krankheit seinen Körper in den letzten sieben Jahren verheert hatte. Eine Krankheit, die er vor den meisten Menschen geheim gehalten hatte. Obwohl es für jeden, der ihn kannte, offensichtlich war, dass etwas nicht in Ordnung war.

Sie schniefte und wischte sich mit dem Handrücken über ihre feuchten Wangen. Sie wollte nicht, dass Gingerbread mitbekam, wie es ihr ging. Der Hengst war ein sanftmütiges, einfühlsames Wesen, das viel mehr von ihren Gefühlen spürte als die meisten Menschen, die sie je gekannt hatte. Das schloss ihre Familie mit ein, die einfach nicht verstehen konnte, warum sie sich nicht längst mit jemandem auf ein gemeinsames Leben eingelassen hatte. Und auch die unbedeutenden Ex-Freunde, mit denen Dray sich laut ihrer Familie hätte zufriedengeben sollen. Die einzige Person, die auch nur annähernd verstand, warum sie diesen Ort so sehr liebte, war ihre beste Freundin Alejandra Price.

Doch selbst Allie verstand nicht wirklich, wie niedergeschmettert Dray über die Tatsache war, dass Hank ihr die Ranch nicht vererbt hatte.

Nach dem Tod seiner Frau Edith hatte Hank seine Lebensfreude verloren und war zu einem etwas schrulligen Halb-Eremiten geworden. Aber für Dray war er der freundliche Mentor geblieben, den sie so sehr verehrte. Und ihr schien immer, dass er sich darüber gefreut hatte, wie sehr sie die Ranch liebte.

Dray hatte den alten Mann geliebt. Sie vermisste die gemeinsamen Mittagessen. Die Morgen, an denen sie ihn mit Donuts oder selbst gebackenen Leckereien überrascht hatte. Die seltenen Gelegenheiten, bei denen sie ihn dazu gebracht hatte, mit ihr an den Fluss zu fahren, die unglaubliche Landschaft zu genießen und ein kleines Picknick zu machen. Sie hatte die weiche Seite des alten Mannes gekannt. Eine Seite, die er nicht oft gezeigt hatte.

Andraya hatte das alles nicht getan, weil sie etwas von ihm wollte oder erwartete. Aber sie wusste, wie sehr er die alte Ranch geliebt hatte. Und sie war sich sicher gewesen, dass er dafür sorgen würde, dass sein Besitz an jemanden ging, der diesen genauso lieben und bewahren würde, wie er selbst es sein Leben lang getan hatte.

Drei Wochen waren seit Hanks Tod vergangen, und kein Mensch hatte eine Ahnung, wem Hank seinen riesigen Besitz vererbt hatte.

Ihr selbst gegenüber hatte er sich extrem großzügig gezeigt. Er hatte ihr Gingerbread hinterlassen, außerdem einen schwarzen, reinrassigen Araberhengst namens Diablo, die geräumige Blockhütte, in der sie als Managerin der Ranch wohnte, und darüber hinaus eine beträchtliche Geldsumme. Sie war Hank unendlich dankbar – doch sie würde all diesen Besitz sofort für die Pferderanch eintauschen, die ihr so viel bedeutete. Was genau das war, was sie zu tun hoffte.

Wenn die neuen Besitzer der Ranch zu einem Deal mit ihr bereit wären, würde Dray alles verkaufen, was sie besaß – außer Gingerbread natürlich. Um dann so viel Fremdkapital aufzustellen, wie nötig war, um die Ranch zu erwerben. Doch solange sie nicht einmal wusste, wer die neuen Eigentümer waren, konnte sie nichts tun als hoffen und warten.

Plötzlich ertönte eine Stimme aus dem Funkgerät an ihrer Hüfte. Gingerbread blieb stehen und spitzte die Ohren, als wäre er misstrauisch, obwohl er die Stimme am anderen Ende kannte.

„Alles gut, mein Junge“, flüsterte sie und streichelte den warmen Hals des Pferdes. Sie fühlte sich schuldig, weil sich ihre eigene Sorge in den Wochen seit Hanks Tod offensichtlich auf Gingerbread übertragen hatte. Doch in diesem Fall war es wohl die Anspannung in der Stimme des Stallburschen, die Gingerbread beunruhigt hatte.

„Hier ist ein Mann, der sagt, er sei der neue Besitzer der Ranch“, sagte Tonio atemlos, fast schon panisch. „Soll ich ihn reinlassen?“

Andraya atmete tief ein und aus und umklammerte die Zügel mit den Händen. Sie zwang sich zu einem Lächeln und hoffte, dass sich dieses in ihrem Tonfall widerspiegeln und dem Jungen etwas von seiner Angst nehmen würde.

Sie alle hatten um den alten Mann getrauert. Aber in den Tagen nach Hanks Beerdigung hatte sich außerdem ein greifbares Gefühl von Angst und Sorge breitgemacht. Sie alle warteten förmlich darauf, dass die nächste Hiobsbotschaft sie erreichte – und diese würde sehr wahrscheinlich ihre Jobs betreffen.

„Mach dir keine Sorgen, Tonio“, sagte Dray in demselben beruhigenden Ton, den sie bei Gingerbread benutzt hatte. „Wenn er der neue Besitzer ist, wird er sowieso die Schlüssel für das Haus haben. Lass ihn ruhig rein. Ich bin draußen am Fluss, aber ich komme so schnell wie möglich zurück.“

Andraya stieß einen leisen Seufzer aus, wendete Gingerbread und galoppierte zurück zu den Ställen. In ihrem Körper vibrierte die gleiche Nervosität, die sie in Gingerbread spürte.

Wenige Minuten später informierte Tonio sie über das Funkgerät, dass der Mann jetzt auf dem Weg zu der Blockhütte auf dem Nachbargrundstück war. Die Hütte war nicht weit von dem Haus entfernt, das Hank Dray hinterlassen hatte. Sie änderte ihre Richtung, und kurz darauf kam sie vor der wunderschönen, vor nicht allzu langer Zeit erbauten Blockhütte zum Stehen. Sie stieg ab, befestigte Gingerbreads Führstrick an einem Pfosten und ging die Treppe hinauf. Ihr Herz raste, und ihre Handflächen waren feucht.

Dray klingelte und betrachtete sich selbst im Spiegelbild der kunstvoll mit Schnitzereien verzierten Doppeltür. Ihr Job bestand zum größten Teil aus körperlicher – und auch schmutziger – Arbeit, und sie machte sich selten Gedanken über ihr Aussehen. Sie hatte kein Interesse daran, ihre Kollegen auf der Ranch zu beeindrucken, und den Pferden war es mit Sicherheit egal, wenn sie kein Make-up trug und ihr Haar zerzaust war. Aber als sie jetzt ihr Spiegelbild betrachtete, zählte sie im Geist automatisch all die Dinge an sich auf, die irgendwie … falsch waren.

Sie war verschwitzt und schmutzig. Wahrscheinlich roch sie wie ein Pferd – was sie selbst schon längst nicht mehr bemerkte. Ihr alter Stetson – ein Geschenk von Hank zu ihrem ersten Sieg bei einem Turnier – war verbeult und müsste eigentlich mal gründlich gereinigt werden. Und wieso hatte sie nicht bemerkt, dass ihr kariertes Lieblingshemd einen Riss am Ärmel hatte?

Dray versuchte, sich so gut es ging, den Schmutz aus dem Gesicht zu wischen. Als die Tür, die sie als Spiegel benutzt hatte, sich plötzlich öffnete, zuckte sie zusammen. Sie befand sich auf Augenhöhe mit der breiten Brust eines Mannes. Ein verführerisches Aftershave umspielte dezent aber lockend ihre Nase. Es hätte nicht viel gefehlt, und sie hätte ihre Nase an seine Brust gepresst, um diesen köstlichen Duft tiefer einzuatmen.

Gab es so etwas wie Liebe auf den ersten Duft? Wenn ja, schwebte sie in großer Gefahr.

„Dray?“

Sie trat einen Schritt zurück, hob ihr Gesicht und blickte zu dem Mann auf, der ihren alten Spitznamen mit einer Stimme ausgesprochen hatte, die ihr nur allzu bekannt vorkam. Aber das konnte einfach nicht sein …

„Kahlil?“ Sie musterte ungläubig das vertraute Gesicht. Seine hellbraune Haut hatte ein paar mehr Lachfältchen bekommen, und er trug sein Haar viel kürzer als vor zwanzig Jahren – als sie ihn das letzte Mal gesehen hatte. Aber er sah besser aus als je zuvor. Und das Flattern in ihrem Bauch bewies, dass sie sich heute noch genauso sehr von ihm angezogen fühlte wie damals. „Was in aller Welt machst du hier?“

Andraya hatte sich in den letzten zwei Jahrzehnten große Mühe gegeben, Kahlil zu meiden. Sie war zu keiner der Hochzeiten seiner Schwestern gekommen – und hatte noch immer ein schlechtes Gewissen deswegen.

Und auch er war offensichtlich nicht gerade wild darauf gewesen, nach Willowvale Springs zurückzukehren. Was also machte er jetzt hier?

„Wohnst du in der Hütte, während du in der Stadt bist?“, fragte sie verwirrt.

„Ja.“ Er steckte die Hände in die Taschen.

Offensichtlich noch immer nicht besonders gesprächig. Aber egal, sie war schließlich nicht hier, um mit ihm zu reden.

„Okay … Ich muss Tonio falsch verstanden haben. Ich bin eigentlich gekommen, um den neuen Besitzer der Ranch zu treffen. Wahrscheinlich wohnt er in der kleineren Blockhütte.“ Dray ging einen Schritt rückwärts. Ihr Gesicht glühte, und ihr Puls raste. „Nun, ich bin sicher, dass du mit … du weißt schon … dass du zu tun hast. Ich will dich nicht aufhalten. Auf Wiedersehen.“ Dray drehte sich um und ging hastig zur Treppe. Sie konnte es kaum abwarten, dieser unglaublich peinlichen Situation zu entkommen.

„Ich bin der neue Eigentümer“, sagte Kahlil.

Andraya erstarrte. Dann drehte sie sich langsam auf den abgenutzten Absätzen ihrer Cowboystiefel um. Sie starrte den Jungen an, der einmal ihr bester Freund gewesen war. Der Junge, der damals in den Bus nach Denver gestiegen war, um aufs College zu gehen. Der versprochen hatte, dass sie sich Weihnachten wiedersehen würden – und der nie zurückgekommen war. Der Mann, der eindeutig nichts mehr mit ihr oder der kleinen Stadt Willowvale Springs zu tun haben wollte.

Es war, als hätte sich jemand einen grausamen Scherz erlaubt. Unmöglich, dass Hank Carson seine geliebte Pferderanch einem Abtrünnigen wie Kahlil Anderson vermacht hatte.

Oder etwa doch?

Dray starrte ihren alten Freund ungläubig an. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, und ihre Kehle war plötzlich trocken. Sie schüttelte den Kopf und tastete nach dem Treppengeländer. „Nein … ich glaube es einfach nicht.“

2. KAPITEL

Kahlil musterte das Gesicht, das ihm einst so vertraut gewesen war – die großen, ausdrucksstarken braunen Augen, die vollen Lippen und die dunkelbraune Haut. Das zerrissene karierte Hemd und die staubigen alten Jeans zeigten, dass sich ihr Stil nicht nennenswert verändert hatte. Aber alles andere an dem Mädchen von nebenan, das damals seine beste Freundin gewesen war, hatte sich komplett verändert.

Drays früher so knabenhafte Figur – die sich normalerweise in viel zu großer Kleidung verloren hatte – war jetzt weich und voller Kurven. Und statt ihren Körper zu verstecken, betonten ihr offenes Hemd und das Tanktop darunter ihre vollen Brüste. Solche Brüste hatte sie mit sechzehn definitiv nicht gehabt. Ihre Jeans schmiegte sich eng an ihre verlockenden Kurven … an den perfekten Hintern, den sie ihm vor wenigen Sekunden – im Begriff zu gehen – zugewandt hatte.

Kahlil hatte das Gefühl, diesen atemberaubenden Anblick nie wieder vergessen zu können.

Es war zwanzig lange Jahre her, dass er Andraya Walker das letzte Mal gesehen hatte. Doch in gewisser Weise fühlte es sich an, als sähe er sie heute zum ersten Mal. War sie schon immer so schön gewesen? Oder war ihm ihre Schönheit nur nie aufgefallen, weil sie damals einfach zu den Jungs gehört hatte?

Kahlil lehnte sich gegen den Türrahmen. „Tja, wenn ich nicht mal meine alte Freundin davon überzeugen kann, dass ich der neue Besitzer der Ranch bin, wird es heute kein leichter Tag für mich werden.“

Dray starrte ihn an und blinzelte. Er sah, wie sie schwer schluckte und dabei versuchte, ihre nächsten Worte zu formulieren.

„Warum?“, fragte sie schließlich.

„Warum bin ich hier? Oder warum hat Hank mir seine Ranch vererbt?“

„Beides.“ Sie spuckte ihm das Wort förmlich entgegen. In ihren dunkelbraunen Augen vermischten sich Schmerz, Wut und unterdrückte Tränen.

„Ganz ehrlich? Ich bin genauso schockiert wie du, dass der alte Mann mir seinen Besitz hinterlassen hat“, gab Kahlil zu. Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf und verschränkte die Arme vor der Brust. „Aber Hank Carson hat mir die Ranch wirklich vererbt. Ich habe heute Morgen mit seinem Anwalt die Formalien erledigt.“

„Mit seinem Anwalt? Du meinst meinen Bruder.“

Sie spie förmlich Funken, und er war sich sicher, dass man auf dem Feuer ihrer Wut ein Steak hätte grillen können. Er wusste nicht, auf wen sie wütender war – auf ihn, weil er Hanks Ranch geerbt hatte, oder auf ihren Bruder Phil, weil der ihr diese Information offensichtlich vorenthalten hatte. Das nächste Familientreffen würde zweifellos unangenehm werden. Um es vorsichtig auszudrücken.

Kahlil räusperte sich und sah ihr wieder in die Augen. „Ich habe mir das Video, das Hank mir hinterlassen hat, ein Dutzend Mal angesehen, und ich kann mir immer noch nicht erklären, warum er mir seinen Besitz hinterlassen hat. Du kannst es dir gern selbst ansehen, wenn …“

„Ja. Ich würde es gern sehen. Bitte?“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust und hob trotzig das Kinn, als er nicht antwortete. Als ob sie ihn herausfordern wollte, ihre Bitte abzulehnen.

Kahlil seufzte, dann stieß er die Tür zu seiner Blockhütte auf und ließ Andraya eintreten.

Als sie an ihm vorbei in den großen Raum ging, wurde er an all die vertrauten Gerüche der Arbeit auf einer Ranch erinnert. Sonnenschein, Schweiß, die freie Natur, Heuballen, Pferde … und ein weicher, warmer Duft, der nur ihr gehörte.

Dray nahm den abgenutzten alten Stetson vom Kopf und wischte sich mit dem Hemdärmel über die schweißnasse Stirn. Sie trug ihr glattes, schwarzes Haar in einem langen Zopf, der irgendwo zwischen ihren Schulterblättern endete.

Sie starrte ihn einen Moment lang an. „Also … das Video?“

„Richtig.“ Er riss seinen Blick von ihr los. „Aber kann ich dir etwas anbieten? Vielleicht Wasser oder ein kaltes Bier? Du siehst wirklich heiß aus … ich meine …“ Er biss sich auf die Zunge, dann fügte er lahm hinzu: „Als wäre dir heiß … Ist ja auch höllisch heiß da draußen.“

Andraya hob eine Augenbraue, ihre Nasenflügel weiteten sich. „Nur das Video, danke.“

Kahlil führte sie in die Sitzecke in dem Wintergarten der Blockhütte – ein sehr gelungenes architektonisches Element, wie er fand. Der kleine, vollverglaste Raum bot einen Blick auf den klaren Bach, der hinter der Hütte entlangfloss. Kahlil ließ sich auf das Sofa sinken und klappte den auf dem Tisch stehende Laptop auf. Als er den Ordner mit dem Video öffnete, gab das Sofa neben ihm etwas nach, und Kahlil spürte, wie Drays Oberschenkel die seinen berührten. Ein Hitzeschwall durchströmte seinen Körper.

Er räusperte sich und versuchte, seine körperliche Reaktion zu ignorieren. Er startete das Video und stellte es auf Vollbild.

Dray schien sprachlos zu sein. Sie starrte auf den Bildschirm, ihr Gesichtsausdruck eine Mischung aus Fassungslosigkeit und Enttäuschung.

„Noch einmal“, sagte sie benommen. „Bitte. Ich muss es noch einmal sehen.“

„Du kannst es dir so oft ansehen, wie du willst, Dray. Es wird nichts an der Tatsache ändern, dass Hank mir die Ranch vererbt hat.“ Doch Kahlil fühlte sich unendlich mies. Wieder hatte er ihr Schmerz zugefügt.

„Ich weiß. Ich muss nur genau … Ich muss verstehen, warum Hank das tun würde. Warum er sich für dich entschieden hat, wo dir die Ranch doch vollkommen egal ist. Die Ranch, die Stadt … die Menschen, die du hier zurückgelassen hast.“ Sie starrte ihn einen Moment lang an, ihre Augen voller Tränen. Dann wischte sie sich wütend über das Gesicht. „Ich würde die Flasche Wasser, die du mir vorhin angeboten hast, jetzt doch gern nehmen.“

„Kommt sofort.“

Andraya brauchte eindeutig Raum, um die Tatsache zu verarbeiten, dass er der neue Besitzer der Ranch war. Er ging in die Küche und ließ sich Zeit dabei, eine Flasche Wasser für sie und ein Bier für sich selbst aus dem Kühlschrank zu holen. Schließlich kehrte er in den Wintergarten zurück, ließ sich neben Dray auf dem Sofa nieder und reichte ihr das Wasser.

Ihre Augen waren gerötet, und sie schniefte. Sie nahm die Flasche Wasser und leerte in einem Zug fast die Hälfte des Inhalts. Dann drehte sie sich zu ihm, doch ihr harter Blick schaute an ihm vorbei aus dem Fenster. „Du hast ja sicher nicht vor, wieder hierherzuziehen. Was hast du also vor mit der Ranch?“

„In dem Sommer, bevor ich wegging, konntest du Hank Carson nicht ausstehen.“ Kahlil trank einen Schluck von seinem Bier und musterte Dray nachdenklich. „Warum interessiert es dich jetzt so sehr, was ich mit der Ranch vorhabe?“

Sie schien sich unwohl zu fühlen unter seinem Blick. Nervös erhob sie sich und begann, in dem kleinen Raum auf und ab zu gehen.

„Du kannst es dir vielleicht nicht vorstellen, Kahl, aber in zwanzig Jahren kann sich eine Menge ändern.“ Der Sarkasmus in ihrem Ton und in ihrem Gesichtsausdruck ließ ihn schuldbewusst schlucken.

Ist doch keine große Sache, dass ich gehe. In ein paar Monaten ist schon Weihnachten, und wir sehen uns wieder.

Die Worte, die er an jenem warmen Sommertag gesagt hatte, als Andraya ihn zum Busbahnhof in Cheyenne gebracht hatte, verfolgten ihn noch immer. Er hatte diese Worte wirklich gemeint damals. Aber als die Ferien gekommen waren, war Kahlil mit der Arbeit fürs College und den Anforderungen eines anstrengenden Jobs zu sehr gefordert gewesen, um nach Willowvale Springs zurückzukehren.

„Okay, Dray, dann sag mir, was sich geändert hat.“ Kahlils Blick folgte ihr, während sie weiter erregt auf und ab ging.

„Jetzt interessiert dich also mein Leben?“ Dray lachte bitter auf. Sie blieb stehen und verschränkte die Arme vor der Brust. „Wow, Kahl, du müsstest dich mal hören.“

Ihre Worte fühlten sich an wie ein Pfahl, der in sein Herz getrieben wurde.

„Es tut mir leid, wenn es so aussah, als ob ich dich damals geghostet hätte, Dray. Aber ich war komplett überfordert mit meinen Seminaren und meinem Teilzeitjob. Ich habe versucht, dir zu erklären, dass ich …“

„Spar dir die verlogene Entschuldigung.“ Andraya hob abwehrend eine Hand. „Konzentrieren wir uns einfach auf das, was aktuell los ist.“

Er stieß einen Seufzer aus. „Gut. Wenn es das ist, was du willst, Dray.“

„Ja, ist es.“ Ihr Gesichtsausdruck war unergründlich. War sie dankbar, dass er so schnell zugestimmt hatte, oder enttäuscht, dass er sich nicht gesträubt hatte? So oder so, es war eindeutig, dass sie beide in Zukunft keine Freundschaft mehr verbinden würde.

Gut. Das machte die Sache leichter für ihn.

„Kahl, für dich war die Arbeit auf der Pferderanch nie mehr als ein Mittel, um hier wegzukommen. Für mich … war es das Gegenteil. Die Ranch war von Anfang an meine Leidenschaft. Und ich habe mich in jeden Aspekt der Arbeit hier verliebt. Zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich mich nicht wie das unbeholfene Mädchen, das nirgendwo dazugehört. Ich hatte das Gefühl, wirklich hierherzugehören. Und ich fand etwas, in dem ich wirklich gut war.“ Ihre Stimme zitterte. „Mit Ausnahme meiner Collegezeit habe ich seitdem immer hier auf der Ranch gearbeitet.“

„Du hast die ganze Zeit für Hank gearbeitet?“

„Ich habe auf dieser Ranch so ziemlich jeden Job gemacht, den es gibt. Und seit fünf Jahren bin ich die Managerin. Es interessiert mich also enorm, wem diese Ranch gehört und was er mit ihr vorhat. Also frage ich dich noch einmal: Warum bist du hier, Kahlil? Was genau sind deine Pläne?“

„Ich werde die Ranch verkaufen.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust, bereit für den erwarteten Streit.

„Großartig.“ Ihre Antwort verblüffte ihn. Sie ließ sich auf das Sofa sinken, wobei sie dieses Mal Abstand zu ihm hielt. Sie wandte sich ihm zu. „Weil ich sie gern kaufen würde.“

„Du kannst es dir leisten, diese Ranch zu kaufen?“

„Nicht direkt, nein“, gab sie zu. „Aber ich kann eine hohe Summe als Anzahlung leisten, und wenn ich eine zweite Hypothek auf mein Haus aufnehme und ein paar Vermögenswerte umschichte, kann ich es schaffen. Wenn der Preis angemessen ist“, fügte sie hinzu. „Ich dachte an so etwas wie …“

Andraya nahm einen Stift, kritzelte eine Zahl auf den auf dem Tisch liegenden Notizblock und schob ihm den Block zu.

Kahlil las die Zahl und schnaubte verächtlich. „Ich bin Geschäftsmann, keine Wohltätigkeitsorganisation, Dray. Du weißt genau, dass dieser Betrag nicht annähernd an den Wert dieser Ranch heranreicht.“

„An den früheren Wert“, sagte Dray achselzuckend. „Wie gesagt, in zwanzig Jahren kann sich viel ändern.“

„Hast du den Laden absichtlich in den Ruin getrieben, damit du ihn billig kaufen kannst? Oder bist du einfach nur eine schlechte Managerin?“ Kahlil sprach ruhig, auch wenn er wusste, dass seine Worte sie wütend machen würden. „Der alte Carson hätte nie zugelassen, dass der Ort vor die Hunde geht.“

„Ich habe alles getan, was in meiner Macht stand, um diesen Ort am Leben zu erhalten.“ Drays Blick war finster, und ihr Körper wirkte angespannt, aber ihr Tonfall war ruhig und kontrolliert. „Aber nachdem Edith gestorben war … war Hank einfach nicht mehr derselbe. Er konnte sich kaum dazu durchringen, für irgendetwas Interesse aufzubringen. Manchmal war alles, wozu ich ihn habe bringen können, die allernötigsten Verträge zu unterschreiben. Er hat mit den Turnieren aufgehört, und wir züchten schon lange keine preisgekrönten Rennpferde mehr.“

„Das erklärt, warum der Laden sich gerade so über Wasser hält. Ich habe mir die Zahlen bereits angeschaut.“

Er war schockiert gewesen, als er auf der Pferderanch ankam und realisierte, dass das hier nicht mehr der Ort war, den er in Erinnerung hatte. Er hatte gehofft, die Ranch so zu verkaufen, wie sie war. Aber in ihrem jetzigen Zustand würde er nicht annähernd die Summe erzielen, die ihm vorschwebte. Er bereitete sich gedanklich auf die zweite Möglichkeit vor – die Ranch aufzulösen und den Besitz zu liquidieren.

Er könnte das Land in Parzellen aufteilen und die gesamte Ausrüstung verkaufen. Es bestand eine gute Chance, dass er auf diese Weise wesentlich mehr für den Besitz bekommen würde. Aber als er jetzt in Drays große Augen blickte, fühlte er sich schuldig, dass er diese Möglichkeit überhaupt in Betracht zog.

„Die Ranch hat jahrelang rote Zahlen geschrieben“, sagte sie fest. „Bis ich Managerin wurde und Hank überredet habe, die Ställe zu erweitern, damit wir fremde Pferde unterbringen und Reitstunden geben können.“ Sie richtete sich auf. „Hör zu, Kahlil, ich weiß, dass dieser Ort … diese Stadt dir nichts bedeutet. Aber für mich bedeutet die Ranch alles. Wenn ich Millionen von Dollar hätte, würde ich sie dir sofort geben für diesen Ort. Aber die habe ich nicht. Vielleicht können wir uns trotzdem einigen. Gib mir nur ein paar Monate und …“

„Ein paar Monate?“ Kahl stand auf und fuhr sich mit der Hand über sein kurz geschnittenes Haar. „Tut mir leid, Andraya, aber so viel Zeit habe ich nicht. Ich muss den Verkauf so schnell wie möglich über die Bühne bringen.“

„In seinem jetzigen Zustand wirst du für diesen Besitz auf keinen Fall den Höchstpreis bekommen“, sagte Dray, die jetzt ein Pokerface aufgesetzt hatte. „Ich bin sicher, dass wir eine angemessene Summe aushandeln können. Ich müsste für die Finanzierung nur ein paar Dinge arrangieren.“

„Nein, Andraya.“ Er schüttelte den Kopf. „Es tut mir leid.“

Sie waren meilenweit voneinander entfernt, was ihre Vorstellung von dem Preis betraf. Und die Wahrscheinlichkeit, dass Dray eine Finanzierung für eine achtstellige Summe bekommen würde, war extrem unwahrscheinlich.

Andraya sackte niedergeschlagen in sich zusammen. Doch dann straffte sie die Schultern und hob ihr Kinn, offensichtlich bereit zu kämpfen.

Das war die Reaktion, die er von ihr erwartet hatte.

„Dann bleibt dir nur die Möglichkeit, die Ranch komplett zu sanieren – etwas, worum ich Hank seit mehr als zehn Jahren gebeten habe. Mit topmoderner Ausrüstung und renovierten Gebäuden wirst du den Preis für die Ranch diktieren können“, sagte sie ruhig.

„Nein, das ist nicht meine einzige Möglichkeit“, sagte Kahlil gereizt. „Ich könnte den Besitz auch liquidieren. Das Grundstück in Parzellen aufteilen. Ich bin sicher, dass es eine ganze Reihe von Bauunternehmern gäbe, die an Bauland direkt am Fluss Interesse hätten. Das ist die perfekte Lage für Wohnhäuser.“

Dray starrte ihn erschrocken an. Dann sprang sie wütend auf. „Das würdest du nicht tun!“

„Der Ort gehört jetzt mir, Andraya. Und ich habe das Recht, damit zu tun, was ich will.“ Er starrte in ihre dunklen Augen, aus denen regelrechte Funken stoben. „Ich brauche weder deine Erlaubnis noch die der Stadt. Das habe ich bereits mit Phil geklärt.“

„Ich werde meinem Bruder den Hals umdrehen“, murmelte sie vor sich hin. Dann richtete sie einen Zeigefinger auf Kahlils Brust. „Ich stelle nicht dein Recht infrage, die Ranch zu liquidieren, Kahlil. Aber es wäre eine Riesensauerei. Für die Leute, die hier ihre Pferde unterbringen, und vor allem für diejenigen, die hier ihren Lebensunterhalt verdienen.“

„Der Laden bringt kaum Geld ein.“

„Aber er wird es, wenn wir die alten Gebäude renovieren, wieder preisgekrönte Hengste züchten und Turniere durchführen“, sagte sie sachlich.

„Wir, hm?“ Kahlil zog eine Augenbraue in die Höhe. „Ist das das königliche Wir, oder hast du vor, Geld in die Hand zu nehmen, um deine grandiosen Ideen zu verwirklichen?“

„Lass mich Teilhaberin der Ranch werden, und ich gebe gern eine Finanzspritze für die Renovierung dazu“, sagte Dray.

Kahlil wollte diese vor die Hunde gekommene Ranch nur loswerden und so schnell wie möglich wieder aus dem Ort verschwinden, aus dem er als Teenager geflohen war. Er wollte ganz bestimmt kein Rancher werden. Und schon gar nicht mit einer dermaßen rechthaberischen, nervigen Geschäftspartnerin.

„Ich bin raus“, sagte er.

„Aber du kannst doch nicht einfach …“

„Ich kann mit diesem Ort machen, was ich verdammt noch mal will,“ sagte er fest. „Diese ganzen Überlegungen waren ein Gefallen von mir. Weil wir früher Freunde waren. Aber die endgültige Entscheidung darüber, was mit der Ranch geschieht, liegt allein bei mir.“

„Du Mistkerl“, flüsterte sie. Tränen liefen ihr über die Wangen. Er war sich ziemlich sicher, dass er Andraya nur ein einziges Mal weinen gesehen hatte. Das war an dem Tag gewesen, als er in den Bus nach Denver gestiegen war.

Sie senkte den Blick. „Du hast dich noch nie um jemand anderen geschert als um dich selbst, oder?“ Dann richtete sie sich auf und starrte ihn an. „Nun, ich werde dir nicht dabei helfen, diesen Ort zu zerstören. Und damit das Leben all der Menschen, die von der Ranch abhängig sind. Betrachte das hier also als formellen Rücktritt von meinem Job. Mit sofortiger Wirkung.“

Sie drehte sich auf den Fersen um und ging zur Haustür.

„Warum benimmst du dich wie ein trotziges Kind?“ Er überholte sie mit ein paar langen Schritten und stellte sich zwischen sie und die Tür. „Du bist ein kluger, vernünftiger Mensch. Dir hätte klar sein müssen, dass die Ranch nach Hanks Tod verkauft werden würde.“

„Mir war nicht klar, dass Hank seine geliebte Ranch an jemanden vererben würde, der einen persönlichen Rachefeldzug gegen diese Stadt führt.“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust und starrte ihn finster an.

„Ich führe keinen Rachefeldzug gegen dich oder diese Stadt. Nichts von dem Ganzen ist persönlich, Dray. Es geht ums Geschäft. Und seien wir ehrlich, die Ranch ist kein profitables Geschäft mehr. Ich treffe die gleiche Entscheidung, die jeder andere vernünftige Investor auch treffen würde. Vielleicht hat Hank mir deshalb die Ranch überlassen. Weil er wusste, dass ich diese Entscheidung logisch angehen würde, statt mich von Gefühlen leiten zu lassen.“

Ihre Augen weiteten sich. „Logisch, distanziert und frei von menschlichen Gefühlen zu sein, war schon immer dein großes Talent, nicht wahr?“, stellte sie kühl fest.

Ihr Sarkasmus traf ihn tief, aber das zuzugeben, würde nichts an dieser verfahrenen Situation ändern. Genau wie vor zwanzig Jahren waren sie unterschiedlicher Meinung darüber, was er tun sollte – aber es war sein Leben, seine Entscheidung. Und er würde die Entscheidung treffen, die für ihn am besten war – auch wenn das bedeutete, Dray zu verletzen.

„Ich glaube immer noch an diese Ranch“, sagte sie jetzt ruhig, „und an die Menschen, die sie am Leben erhalten. Ich werde nie aufhören, für sie zu kämpfen.“

„Und deine Art, für diesen Ort zu kämpfen, ist, einen Wutanfall zu bekommen und zu kündigen? Brillant, Dray.“ Kahlil trat zur Seite und öffnete die Tür für sie. „Dann lass dich nicht aufhalten.“

Andraya warf ihm einen Blick zu, als wolle sie ihn mit bloßen Händen in Stücke reißen. Dann ging sie.

Kahlil schloss die Tür hinter ihr und beobachtete durchs Fenster, wie sie ihr Pferd bestieg und in Richtung Ranch galoppierte, als stünden ihre Haare in Flammen.

Er kniff die Augen zusammen und fuhr sich mit einer Hand über die Stirn. Hinter seinen Schläfen hatte es wieder schmerzhaft zu pochen begonnen.

Er hatte oft darüber nachgedacht, was er zu Andraya Walker sagen würde, wenn er sie wiedersähe. Wie er seine Gefühle von damals erklären könnte. Wie er sich am besten dafür entschuldigen sollte, dass er so ein mieser Freund gewesen war. Aber ihre heutige Begegnung hatte ihn kalt erwischt. Und jetzt hatte er die Dinge zwischen ihnen nur noch schlimmer gemacht.

Dieser unerwartete Geldsegen sollte seine Probleme eigentlich lösen. Doch stattdessen schien er sie nur zu vergrößern.

Kahlil zog sein Handy aus der Hosentasche, scrollte durch seine Kontakte und wählte dann eine Nummer, die er seit Jahren nicht mehr benutzt hatte. Er brauchte die Hilfe eines Immobilienprofis. Also rief er seinen alten Freund Paxton Hart an – den Jungen aus Willowvale Springs, der es zum Immobilienmogul gebracht hatte. Wenn es jemanden gab, der ihm aus dem Schlamassel helfen konnte, den Hank ihm hinterlassen hatte, dann Pax.

Und was Andraya betraf … Falls er je eine Chance gehabt hatte, sein Verhalten von damals wiedergutzumachen, war diese vor wenigen Minuten für immer den Bach runtergegangen.

3. KAPITEL

Dray trat einen Schritt zurück und betrachtete zufrieden die frisch gestrichenen Wände in ihrem Schlafzimmer. Die Farbe, Maison Blanche, war ein warmes, beruhigendes Beige, das ihr ihre Mutter empfohlen hatte. In Anbetracht der Wut, die sich in Dray angesammelt hatte, seit Kahlil Anderson in der Stadt aufgekreuzt war und ihre Pläne über den Haufen geworfen hatte, konnte sie einen Ort der Ruhe dringend brauchen.

Ihr Handy klingelte, und das lächelnde Gesicht ihrer älteren Schwester Alana erschien auf dem Bildschirm. Dray wischte sich den Schweiß von der Stirn und legte den Pinsel ab. Dann nahm sie den Videoanruf entgegen. „Hi, Lana, was gibt’s?“

„Die interessantere Frage lautet: Was gibt’s bei dir? Du siehst ganz schön wüst aus. Ich dachte, du hast deinen Job auf der Ranch gekündigt.“

„Habe ich auch.“

„Und warum siehst du dann so aus, als hättest du gerade zwanzig Ställe ausgemistet?“, fragte Alana. Im Hintergrund erhellte die Sonne den Bildschirm, offensichtlich machte sie gerade Mittagspause im Garten des Krankenhauses, in dem sie als Krankenschwester arbeitete.

„Ich liebe dich auch, Schwesterherz.“ Dray runzelte die Stirn. „Und zu deiner Information, ich streiche mein Schlafzimmer neu.“

„Warum? Außer dir sieht es doch eh niemand.“ Alana begann, ein Sandwich zu essen.

Dray zeigte ihrer Schwester den Mittelfinger, was diese nur in Gelächter ausbrechen ließ.

„Wie wär’s, wenn du dir weniger Gedanken darüber machst, was in meinem Schlafzimmer passiert, und stattdessen diese wunderschönen Wände bewunderst.“ Dray ließ die Kamera ihres Handys über die frisch gestrichenen Wände wandern. Als sie bei der Tür ankam, stieß Lana einen überraschten Schrei aus.

Dray ließ vor Schreck fast ihr Handy fallen. In der Tür stand Kahlil und musterte in aller Seelenruhe die Wände und die Malerausrüstung.

„Was zum Teufel machst du in meinem Haus?“, wollte Dray wissen. Ihr Herz raste, und ihr Gesicht glühte vor Wut – vielleicht auch vor Verlegenheit.

Kahlil Anderson mochte das gesamte Land um sie herum besitzen, aber diese Blockhütte und der angrenzende Garten waren ihr Besitz.

„Wer ist denn das?“, fragte Alana neugierig. „Warte … ist das etwa Kahlil?“

Er lächelte und winkte in die Kamera. „Alana, richtig? Schön, dich wiederzusehen. Auch wenn es nur auf dem Handy ist.“

„Wow, Dray, du hast vergessen, mir zu sagen, wie heiß dein bester Freund von früher heute ist! Das hätte eine gute Schlagzeile abgegeben.“

„Der Typ verkauft die Ranch, auf der ich mein ganzes Erwachsenenleben gearbeitet habe! Und du findest, dass die Tatsache, dass er jetzt besser aussieht als mit achtzehn, die Schlagzeile in dieser Story ist?“

Stirnrunzelnd musterte Dray den Mann, der da in ihrer Tür aufgetaucht war. Leider sah er wirklich unverschämt gut aus.

„Kahl, ich habe dir eine Frage gestellt – was zum Teufel machst du in meinem Haus?“

„Ich habe geklopft. Du hast nicht geantwortet. Die Haustür war offen, und die Musik war ziemlich laut, also …“

„Bist du hier, um dich wegen der lauten Musik zu beschweren?“ Dray stemmte ihre freie Hand in die Hüfte. „Dann muss ich dich leider bitten, dich zu verzi…“

„Andraya Walker!“ Alana rief ihren Namen in dem gleichen mahnenden Ton, den ihre Mutter benutze, wenn eines ihrer Kinder Schimpfworte in den Mund nahm. „Schau doch mal, was für schöne Blumen er dir mitgebracht hat!“

Andraya runzelte die Stirn. Er hatte tatsächlich einen üppigen Blumenstrauß in der Hand – der ganz sicher nicht für sie war.

Doch in diesem Moment reichte er ihr die Blumen, und sie nahm sie völlig überrumpelt entgegen.

„Also“, begann er verlegen, „warum ich hier bin … Wir haben uns gestern auf dem falschen Fuß erwischt. Ich hatte gehofft, wir könnten von vorne anfangen.“

„Oh, das ist so süß“, rief Alana. „Er ist gut aussehend und aufmerksam. Du solltest ihn unbedingt zu Moms und Dads Party an ihrem Hochzeitstag mitbringen. Du weißt, dass Mom versessen darauf ist, dich dort mit einem Mann zu sehen.“

Dray schenkte ihrer älteren Schwester einen mörderischen Blick, doch die fing nur an zu lachen. Es war wirklich kein Wunder, dass Dray als Kind alle Barbies ihrer Schwester an geheimen Orten auf der Farm der Familie vergraben hatte.

„Wir reden später über die Party“, sagte sie eisig. „Und über Moms übergriffige Verkupplungsfantasien. Auf Wiedersehen, Lana.“

„Wie du meinst, Schwesterchen.“ Lana grinste frech. „Hab dich lieb.“

„Ich dich auch“, sagte Dray widerwillig.

„Tschüss, Kahlil! Ich hoffe, wir sehen uns …“

Dray beendete das Gespräch, bevor ihre Schwester zu Ende sprechen konnte. Sie steckte ihr Handy in die Gesäßtasche, legte den Blumenstrauß auf einer Kommode ab und stemmte beide Füße fest in den Boden.

„Die Tatsache, dass du hier mit Blumen ankommst, spricht dafür, dass der Verkauf der Ranch nicht ganz so einfach war, wie du gehofft hast.“

Kahlils Augen weiteten sich, und Dray grinste triumphierend. „Bist du jetzt bereit, auf mein Angebot einzugehen?“

Er räusperte sich. „Nein.“

„Dann haben wir nichts zu besprechen.“ Dray schob sich an ihm vorbei in den Flur und begann die Treppe hinunterzulaufen.

Kahlil eilte hinter ihr her. „Gib mir wenigstens die Chance, meinen Vorschlag zu machen, bevor du mich rauswirfst.“

Unten angekommen, betraten sie die Küche, und Dray stellte sich auf die Zehenspitzen, um an die oberen Schrankfächer zu gelangen. Doch sie war barfuß und schaffte es mit ihren hundertsiebzig Zentimetern nicht, an die Vasen zu kommen.

„Statt mir dabei zuzusehen, wie ich mich hier abmühe“, stieß sie frustriert hervor, „könntest du mir vielleicht helfen?“

„Natürlich.“ Kahlil stellte sich hinter sie, und die Vorderseite seines Körpers berührte ihren Rücken. Sein warmer, herber Duft mit dem Hauch von Leder und Zedernholz erreichte ihre Nase. Ihre Haut wurde heiß, ihre Brustwarzen zogen sich unwillkürlich zusammen, und zwischen ihren Schenkeln pulsierte es.

Andraya hielt den Atem an und biss sich die Unterlippe. Sie ermahnte sich, dass die Reaktion ihres Körpers weniger mit der Person hinter ihr zu tun hatte, als mit der Tatsache, dass es – wie ihre Schwester so indiskret angedeutet hatte – eine Weile her war, dass sie Gesellschaft in ihrem Schlafzimmer gehabt hatte.

Kahlil reichte über ihren Kopf, nahm eine Glasvase aus dem Schrank und stellte diese auf den Küchentisch. Sie drehte sich zu ihm um und starrte ihn einen Moment lang an. Er schaute ihr in die Augen. Dann wanderte sein Blick zu ihren Brustwarzen, die sich durch den Stoff ihres Tanktops abzeichneten. Mist, sie hatte vergessen, dass sie keinen BH trug.

Andraya ging zum Tisch, nahm die Vase und füllte diese an der Spüle mit Wasser. Dann verschränkte sie schützend die Arme vor der Brust und drehte sich ihm zu.

„Dass ich nicht geantwortet habe, als du geklopft hast, gibt dir nicht die Erlaubnis, einfach so in mein Haus zu spazieren.“

„Und dafür entschuldige ich mich.“ Kahlil hielt kapitulierend seine offenen Handflächen hoch, und sie hätte ihm am liebsten eine Ohrfeige dafür verpasst, dass er dabei so unverschämt süß und liebenswert aussah. Genau wie der nerdige, verträumte Junge, in den sie damals verliebt gewesen war.

Drays Herz tat weh, als sie daran dachte, wie sehr sie für Kahlil geschwärmt hatte. Und wie wenig sie ihm bedeutet hatte. Es hatte ihr das Herz gebrochen. Aber es hatte sie auch gelehrt, nie wieder so leichtgläubig und naiv zu sein.

„Okay, offensichtlich gibt es etwas, worüber du mit mir reden wolltest, Kahlil. Spuck’s aus.“

„Du bist noch genauso geradeheraus wie damals.“ Kahlil rieb sich das bärtige Kinn.

Sie verzog das Gesicht und nickte. Geradeheraus genannt zu werden, war für sie das höchste aller Komplimente. Sie war nicht der Typ, der Leuten Versprechungen machte, die sie nicht einzuhalten gedachte. Oder der unangekündigt mit Geschenken auftauchte, sobald sie etwas brauchte.

„Du hast gesagt, dass du immer noch an diese Ranch und die Menschen hier glaubst“, sagte Kahlil ernst. „Dass du nie aufhören würdest, für sie zu kämpfen.“

„Und ich habe es so gemeint.“

„Nun, hier ist deine Chance, es zu beweisen.“ Kahlil musterte sie auf seine typische Art. Früher hatte sie gedacht, das sei ein Zeichen dafür, dass auch er Interesse an ihr hatte. Aber inzwischen wusste sie es besser. Er schaute die Menschen so an, wie Wissenschaftler Labormäuse studieren.

„Und wie soll das bitte gehen?“

„Ich möchte, dass du zurückkommst und auf der Ranch arbeitest. Du hältst diesen Ort eindeutig zusammen“, sagte er. „Ist es das, was du hören willst?“

„Was ich am liebsten hören würde, ist, dass du mir die Ranch zu einem vernünftigen Preis verkaufst. Aber ich würde mich zur Not auch damit zufriedengeben, dass du die Ranch am Leben erhältst. Dass du beweist, dass dir dieser Ort und diese Stadt und ihre Menschen nicht komplett egal sind.“ Dray ballte die Hände, die sie unter ihren Achseln vergraben hatte, zu Fäusten.

„Sie sind mir nicht egal.“ Kahlils Gesichtsausdruck war gequält. „Nach deinem leidenschaftlichen Plädoyer neulich habe ich mich dafür entschieden, die Ranch zu erhalten.“

„Du wirst also nicht an ein Bauunternehmen verkaufen?“ Andraya war ehrlich verblüfft. „Aber … warum?“

Kahlil antwortete nicht sofort. „Die Leute hier scheinen jetzt schon zu denken, dass ich herzlos und undankbar bin. Und mich einen Dreck um die Stadt oder meine Familie schere.“ Er sah Dray eindringlich an und zuckte dann mit den Schultern. „Das Letzte, was ich will, ist, ihnen Recht zu geben.“

„Oh.“ Dray versuchte, nicht so enttäuscht zu klingen, wie sie war. Was hatte sie denn erwartet, dass er sagen würde?

Ich habe es für dich getan, Dray.

Im Ernst, sie musste aufhören zu träumen.

„Du hast also noch immer die Absicht, den Besitz zu verkaufen. Aber du willst sicherstellen, dass der Käufer die Pferderanch weiterführt. Wie willst du das bewerkstelligen? Wenn jemand die Ranch kauft, kann er mit ihr machen, was er will.“

Er nickte. „In Anbetracht des derzeitigen Zustands der Ranch können wir beide nur erreichen, was wir wollen, wenn wir deine Vorschläge umsetzen: Renovierung der alten Gebäude, Zucht preisgekrönter Vollblutpferde und Wiedereinführung der Turniere.“ Er hakte die einzelnen Punkte an seinen Fingern ab.

„Das wird eine schöne Stange Geld kosten, Kahl. Und du willst das nur tun, um diesen Ort zu retten?“, fragte sie ungläubig, immer noch in der Erwartung, dass gleich jemand hinter dem Vorhang hervorspringen und verkünden würde, dass das alles nur ein grausamer Scherz war.

„Scheint so.“ Kahlil stieß einen langen Seufzer aus und fuhr sich mit der Hand über sein kurzes, welliges Haar.

Dray musterte einen Moment lang sein hübsches Gesicht und die dunklen Augen, die sie so ernst anschauten. Dann stieß sie einen leisen Seufzer der Erleichterung aus. „Ich danke dir, Kahl. Was du tust … bedeutet mir sehr viel.“

Und bevor er antworten – oder sie selbst nachdenken – konnte, schloss sie ihn zu ihrer eigenen Überraschung dankbar in die Arme.

Kahlil kam kurz aus dem Gleichgewicht, als Dray ihn so unerwartet und stürmisch umarmte. Sie hatte dasselbe getan, als sie ihn zum Busbahnhof in Cheyenne gebracht hatte. Und es hatte ihn damals genauso überrascht wie jetzt.

Dray war nicht gerade der warme und kuschelige Typ. Sie war immer ein Wildfang gewesen, jungenhaft und zäh. Andraya Walker hätte ihren Freunden eher einen Boxschlag verpasst, als ihnen zu sagen, dass sie sie liebte oder vermisste.

Die Umarmung jetzt fühlte sich noch seltsamer an als die vor zwanzig Jahren.

Dray roch nach Zitronen und Sonnenschein. Ihr weicher, warmer Körper schmiegte sich an seinen, und er war sich ihrer harten Brustwarzen, die sich durch den dünnen Stoff ihres weißen Tanktops an seine Brust drückten, nur zu bewusst. Er erwiderte ihre Umarmung, die Hände auf ihrer Taille, direkt über dem vollen, runden Hintern in den abgeschnittenen Jeansshorts. Über diesem prachtvollen Hintern, der ihn so grausam gefoltert hatte, als er hinter ihr die Treppe hinuntergegangen war.

„Ich … ä...

Autor

Elizabeth Bevarly
<p>Elizabeth Bevarly stammt aus Louisville, Kentucky, und machte dort auch an der Universität 1983 mit summa cum laude ihren Abschluss in Englisch. Obwohl sie niemals etwas anderes als Romanschriftstellerin werden wollte, jobbte sie in Kinos, Restaurants, Boutiquen und Kaufhäusern, bis ihre Karriere als Autorin so richtig in Schwung kam. Sie...
Mehr erfahren
Debra Webb
<p>Debra Webb wurde in Alabama geboren und wuchs als Tochter von Eltern auf, die ihr beibrachten, dass alles möglich ist, wenn man es nur zielstrebig verfolgt. Debra liebte es schon immer, Geschichten zu erzählen und begann schon mit neun Jahren zu schreiben. Die Farm, auf der sie aufwuchs bot viel...
Mehr erfahren