Baccara Collection Band 491

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HEISSE KÜSSE UNTERM MISTELZWEIG von JOANNE ROCK

Als Tierärztin Hope auf der Kingsland Ranch arbeitet, taucht plötzlich ihr Ex Clayton auf. Vor drei Jahren verschwand er ohne Abschied. Trotzdem fühlt sie sich ungewollt wieder zu ihm hingezogen. Ist der Kuss unter dem Mistelzweig ein Fehler – oder ein Neuanfang?

WER BIST DU, BETÖRENDE FREMDE? von ALLISON LEIGH

Ridge Fortune ist schockiert, als er eine junge Frau ohne Gedächtnis findet. Während er ihr Zuflucht auf seiner Ranch bietet, wächst mit jedem Tag seine romantische Sehnsucht. Doch solange er nicht weiß, ob ihr Herz einem anderen gehört, ist die schöne Unbekannte tabu!

ZWISCHEN VERDACHT UND VERLANGEN von ROBIN PERINI
Nachdem ein tödlicher Anschlag auf ihre Schwester verübt wurde, flüchtet Laurel kurz vor Weihnachten in die starken Arme von Sheriff Garrett Galloway. Aber ist sie bei dem attraktiven Gesetzeshüter wirklich sicher? Sie befürchtet, dass er etwas vor ihr verbirgt …


  • Erscheinungstag 29.11.2025
  • Bandnummer 491
  • ISBN / Artikelnummer 0855250491
  • Seitenanzahl 384

Leseprobe

Joanne Rock, Allison Leigh, Robin Perini

BACCARA COLLECTION BAND 491

Joanne Rock

1. KAPITEL

Hope Alvarez stand im Pferdestall der Kingsland Ranch und schrubbte sich die Hände sauber. Sie war erschöpft. Das war anstrengend gewesen!

Normalerweise hätte sie stolz auf sich sein müssen. Sie war noch relativ neu in ihrem Job als Tierärztin, und sie hatte ihre heutige schwierige Aufgabe gut gemeistert. Die Stute war zum ersten Mal trächtig gewesen, und bei der Geburt hatte es Komplikationen gegeben, die das Leben von Mutter und Kind gefährdeten. Im ersten Moment hatte es so ausgesehen, als würde das Fohlen wegen Atemschwierigkeiten intubiert werden müssen, aber dann war doch noch alles gut gegangen.

In beruflicher Hinsicht also ein guter Tag. Ein fast perfekter Tag, konnte man sagen!

Aber in persönlicher Hinsicht? Da sah es anders aus. Sie hatte auf die Kingsland Ranch zurückkehren müssen, und das war ihr nicht leicht gefallen. Kein Wunder! Hier hatte sie sich unsterblich verliebt, und hier war ihr auch das Herz gebrochen worden. Da spielte es auch keine Rolle, dass der Mann, den sie so geliebt hatte, gar nicht mehr auf der Kingsland Ranch wohnte. Er war fortgegangen, ohne sich auch nur von ihr zu verabschieden. Und er war weit fortgegangen, sehr weit fort! Clayton Reynolds, den die meisten nur kurz Clay nannten, hatte sich in den hintersten Winkel von Alaska verkrümelt – scheinbar nur, um ihr nicht mehr nahe zu sein.

Sie kannte ja den Begriff des Ghostings, den plötzlichen Kontaktabbruch ohne Vorwarnung. Aber Clayton Reynolds hatte das Ghosting durch seinen Umzug nach Alaska wirklich auf die Spitze getrieben! Jetzt stand sie wieder in dem Stall, an den sie so viele Erinnerungen hatte. Hier hatte sie sich einmal vor einem Unwetter verkrochen und dann mit Clay zwischen den Pferdeboxen getanzt. Himmel, war das romantisch gewesen! Jetzt schmerzte die Erinnerung natürlich …

„Vielen, vielen Dank, Hope“, hörte sie plötzlich eine raue männliche Stimme hinter sich. Die Stimme gehörte dem Besitzer ihrer vierbeinigen Patienten. „Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie viel uns deine gute Arbeit bedeutet.“

Sie wandte sich um und blickte Levi Kingsley ins Gesicht – Claytons Halbbruder, der ihm zwar nicht besonders ähnlich sah, der sie aber in seiner Art sich zu bewegen frappierend an Clayton erinnerte. Levi hatte die etwas dunklere Hautfarbe seiner kreolischen Mutter geerbt, während Clayton das gleiche brünette Haar und die gleichen grünen Augen wie ihr gemeinsamer Vater Duke Kingsley hatte.

Levi und Clay, die Halbbrüder – so gleich und doch so unterschiedlich. Sie waren im Abstand von nur wenigen Monaten auf die Welt gekommen, hatten den Vater gemein, aber nicht die Mutter. Ihre größte Gemeinsamkeit war vielleicht ihre Präsenz, ihre Wirkung auf andere. Wenn sie einen Raum betraten, war sofort klar, wer den Ton angab. Sie wirkten beeindruckend, ohne auch nur die geringste Aggressivität auszustrahlen.

„Ich habe doch nur meinen Job gemacht“, sagte Hope bescheiden zu Levi, während sie sich die Hände abtrocknete. Es war ihr unangenehm, für etwas gelobt zu werden, was ganz normal zu ihrem Beruf gehörte. „Ich komme morgen wieder vorbei, um nach Mutter und Kind zu sehen. Meine Assistentin Cassandra bleibt noch eine Weile hier, zur Sicherheit.“

Eigentlich war Hope sich sicher, dass nichts schiefgehen würde, aber man konnte ja nicht vorsichtig genug sein. Auf jeden Fall würde Cassandras Anwesenheit ausreichen. Hope wollte auf keinen Fall länger in diesem Stall bleiben, wo sie mit Clayton getanzt hatte – und wo der Tanz schließlich zu einem näheren Stelldichein auf dem Heuboden geführt hatte.

„Du brauchst nicht so bescheiden zu sein“, sagte Levi. „Du weißt, die Stute und das Fohlen sind extrem wertvoll, und du hast ihnen womöglich das Leben gerettet …“

Hope machte eine wegwerfende Handbewegung. „Schon gut. Ich versuche immer mein Bestes zu geben, egal ob bei einer edlen Zuchtstute oder bei einem zugelaufenen Straßenhund.“

„Ist schon klar“, erwiderte Levi. „Aber wenn eines der Tiere gestorben wäre, hätte uns das nicht nur das Herz gebrochen, es wäre auch ein enormer finanzieller Verlust gewesen. Deswegen möchten wir dir etwas mehr zukommen lassen als das übliche Honorar. Wie wäre es mit einer prozentualen Beteiligung an dem Fohlen? Bei den hochkarätigen Eltern wird es später sicher jede Menge Geld einbringen.“

„Das ist wirklich nett von dir, Levi, aber ich möchte wirklich nur den Betrag, den ich normalerweise auch abrechnen würde.“

Sie war noch dabei, ihre Sachen zusammenzupacken, als plötzlich Gavin Kingsley auftauchte.

Gavin war, wie Clayton, ein Halbbruder von Levi und Quinton Kingsley. Im Gegensatz zu Clay trug er jedoch rechtmäßig den Nachnamen Kingsley, da seine Mutter für kurze Zeit mit dem Vater der Halbbrüder verheiratet gewesen war. Gavin war ein ehemaliger Rodeoreiter – damals war er ein richtiger Star gewesen –, der sich später der Pferdezucht zugewandt hatte. Vor Kurzem hatte er Hopes Highschool-Freundin Lauryn geheiratet. Hopes andere gute Freundin aus Kinder- und Jugendzeiten, Kendra Davies, war gerade mit Levi Kingsley zusammengezogen. Für Hope gab es also kein Entkommen von Kingsley-Männern, selbst wenn sie nicht gerade zum Entbinden von Fohlen auf der Ranch weilte.

Immerhin wusste keine von Hopes Freundinnen von ihrer Verbindung zu Clay und dass er ihr das Herz gebrochen hatte. Lauryn hatte sich in jenem schicksalhaften Sommer mit hundertprozentiger Aufmerksamkeit dem Retten von Pferden verschrieben, während Kendra zur gleichen Zeit bei einer PR-Agentur in Denver gearbeitet hatte. Möglicherweise hatte Kendra trotzdem vermutet, dass zwischen Hope und Clay etwas lief, aber sie hatte Hope nie die Pistole auf die Brust gesetzt und direkt nachgefragt.

Gavin sah sie nachdenklich an und schob seinen Stetson höher. „Hope, du könntest doch bestimmt ein bisschen zusätzliches Bares für deine geplante Tierklinik brauchen …“

Hope schüttelte energisch den Kopf. Geldgeschenke von Clays Familie anzunehmen – das ging gar nicht! Was würde passieren, wenn er das irgendwie erfahren würde? Sie hatte schon gehört, dass die Kingsley-Männer in Alaska nach ihm gesucht hatten. Offenbar wollten sie ihre Erbschaft mit ihm teilen, obwohl ihr Vater sowohl Gavin als auch Clay in seinem Testament nicht bedacht hatte. Daher rechnete Hope im Stillen damit, dass Clayton doch noch wieder auftauchen würde. Und das machte sie mächtig nervös!

„Gavin, wenn du mir unbedingt einen Gefallen tun willst, gäbe es etwas anderes. Ich veranstalte doch vor Weihnachten eine Spendengala zugunsten der geplanten neuen Tierklinik. Es wäre mir eine Hilfe, wenn ihr auch kommen würdet.“

Und natürlich sollten sie möglichst viele ihrer reichen Freunde mitbringen. Jeder Teilnehmer war ihr hochwillkommen, außer natürlich Clayton Reynolds.

Weihnachten war immer wieder eine schwierige Zeit für sie, jedes Jahr aufs Neue, seit ihre Mutter vor neun Jahren am Weihnachtsabend verstorben war. Das war auch mit ein Grund, dass sie sich entschlossen hatte, in diesem Jahr so eine Spendengala zu veranstalten. Es sollte der Ablenkung dienen. Obwohl dieser Plan auch seine Schattenseiten hatte, weil sie sich jetzt schon im Voraus, bei der Planung zur Gala, mit Themen wie Weihnachtsliedern und Weihnachtsdeko beschäftigen musste, und so kamen die Erinnerungen noch viel früher hoch …

Sie hatte jetzt all ihre Utensilien in ihrer Tasche verstaut und zog den Reißverschluss zu. In diesem Moment klingelte Levis Handy, und fast gleichzeitig kam einer der Ranchhelfer, um etwas mit Gavin zu besprechen. Für Hope genau der richtige Moment, sich ohne großes Drumherum zu verabschieden und zu verdünnisieren.

„Cassandra wird mich anrufen, falls es irgendwelche Probleme mit dem Fohlen oder der Stute gibt“, versicherte sie Levi und Gavin. „Davon abgesehen schaue ich morgen sowieso noch einmal vorbei. Bis dann.“

Sie trat ins Freie und atmete tief durch. Ja, es war eine schwere Geburt gewesen, zumal die Stute zum ersten Mal trächtig gewesen war. Jetzt, nach den nervenaufreibenden Stunden, freute Hope sich auf eine heiße Dusche und ein schönes Frühstück.

Gavins Anruf hatte sie kurz nach Mitternacht erreicht, und sie hatte sich sofort auf den Weg zur Ranch gemacht. Bei einer normalen Geburt hätte die Anwesenheit der Leute von der Kingsland Ranch genügt, aber bei der wertvollen Stute gab es einige Risikofaktoren, die es ratsam machten, eine ausgebildete Tierärztin dabei zu haben.

Sie verstaute ihre Tasche und setzte sich ans Steuer ihres Pick-ups. Jetzt, da sie allmählich zur Ruhe kam bemerkte sie erst, wie kalt es mittlerweile in den Morgenstunden schon war. Plötzlich hörte sie das Geräusch von Reifen, die über den Kiesweg fuhren.

Sie wandte sich um und sah einen grauen SUV, der nicht wie ein Arbeitsfahrzeug aussah. Dagegen sprachen die Chromverzierungen, die alleine der Dekoration dienten, und die Tatsache, dass der Wagen so sauber war. Selbst Hopes Pick-up war meist staubig und dreckig – das ließ sich einfach nicht vermeiden, wenn man ständig über Feldwege und Trampelpfade fuhr, um Tieren in Not zu helfen.

Der Fahrer dieses SUVs war also offenbar keiner, der hierhin gehörte, der hier irgendwo arbeitete. Eher ein Besucher oder so. Sie kniff die Augen zusammen und nahm die Person am Steuer in den Fokus.

Und dann blieb ihr fast das Herz stehen.

Unwillkürlich begann sie zu zittern. Den Mann, der am Steuer dieses blitzblanken SUV saß, hatte sie seit drei Jahren nicht mehr gesehen.

Seit er nämlich ohne ein Wort urplötzlich aus ihrem Leben verschwunden war.

Clayton Reynolds war nach Hause zurückgekehrt!

Sicher hatte er sie schon gesehen; Hope hatte das Gefühl, sie hätte keine Wahl, als das Zusammentreffen jetzt durchzustehen. Sie würde ihren Ärger, ihre Wut herunterschlucken müssen. Es war absolut mies von ihm gewesen, so einfach von der Bildfläche zu verschwinden, und sie war über diese Enttäuschung noch immer nicht hinweg. Aber würde sie ihm zeigen wollen, wie sehr er sie verletzt hatte? Nein! Er hatte ruchlos und kalt gehandelt; wahrscheinlich würde es ihm sogar noch Freude bereiten zu sehen, wie sehr er ihr wehgetan hatte. Und diesen Triumph wollte sie ihm nicht gönnen.

Sie stieg wieder aus dem Wagen aus und sah zu, wie Clayton Reynolds näherkam. Sie würde dieses Aufeinandertreffen, diese Konfrontation, noch durchstehen müssen, um das Kapitel Clayton endlich endgültig abzuhaken.

Nur dieses eine Gespräch noch … und dann sollte dieser Mistkerl ein für alle Mal Vergangenheit sein!

Das Schicksal hatte manchmal schon einen merkwürdigen Humor!

Clayton konnte nur den Kopf darüber schütteln, wie schlecht dieses zufällige Timing war. Er war nach Silent Spring im Bundesstaat Montana zurückgekehrt, um sich seiner Familie zu stellen, mit der es einige Konflikte gab – das war die eine Sache. Aber musste er ausgerechnet jetzt noch mit der Frau zusammentreffen, die ihm so Schlimmes angetan hatte? Die ihn menschlich so enttäuscht hatte?

Vielleicht hatte das Schicksal nicht nur einen merkwürdigen Humor. Vielleicht war es sogar ausgesprochen sadistisch veranlagt!

Er verlangsamte den SUV, den er angemietet hatte. Nein, er konnte nicht einfach an Hope Alvarez vorbeifahren, die neben ihrem Pick-up stand. Sie hatten jetzt schon Augenkontakt gehabt; sie wusste, dass Clay sie gesehen hatte. Jetzt an ihr vorbeizufahren, auf das Hauptgebäude der Ranch zu – das wäre feige gewesen. Aber, verdammt, er hatte nicht damit gerechnet, was es in ihm auslösen würde, sie wiederzusehen.

Sie sah noch genauso gut aus wie damals mit ihren betörenden Augen, ihren vollen Lippen, ihrem schwarzen Haar. Und selbst die dicke Jacke, die sie trug, konnte ihre verlockenden Kurven nicht verbergen. Sie war nicht besonders groß, besaß aber ungeheure Power und Präsenz. Von all dem abgesehen war sie auch im Bett eine richtige Kanone, das wusste er ja noch von damals …

Aber das war natürlich Vergangenheit und würde es auch bleiben. So etwas würde zwischen ihnen nicht mehr ablaufen, auf gar keinen Fall. Dennoch, allein die Erinnerung an damals erregte ihn körperlich …

Er brachte seinen SUV nahe bei ihrem Wagen zum Stehen. Sein Entschluss stand fest: Er würde ihr nur kurz Hallo sagen; auf keinen Fall würde er sich in ein längeres Gespräch verwickeln lassen. Er würde sowieso nur über die Feiertage hierbleiben – und das auch nur, weil er Quinton Kingsley versprochen hatte, sich zumindest anzuhören, was seine Halbbrüder ihm zu sagen hatten. Anschließend würde er nach Alaska zurückkehren, dorthin, wo er hingehörte. Seine Vorortforschungen auf dem Gebiet der Wildtierbiologie mochten auf Außenstehende langweilig wirken, aber für ihn, der ohnehin mehr ein Einzelgänger war, waren sie eine Berufung. Er forschte im nördlichsten Norden von Alaska, wo er manchmal aufgrund der widrigen Umstände nur schwer zu erreichen war, über die Auswirkungen des Klimawandels auf die Tundra und die Tiere, die dort lebten. Diese Arbeit würde er auch im nächsten Jahr fortsetzen.

Er drehte den Zündschlüssel herum, zog ihn heraus und stieg aus dem Auto aus. Schon bevor er sich umwandte, um Hope anzusehen, spürte er ihren durchbohrenden Blick. Und, verdammt, er spürte, dass er noch immer scharf auf sie war! Um seine Begierde zu betäuben, dachte er daran, wie unrühmlich, wie enttäuschend und schmerzhaft ihre zehn Wochen dauernde Affäre geendet war.

„Hallo, Hope.“

Er hatte beiläufig, ungerührt klingen wollen, aber das war ihm vielleicht nicht so ganz gelungen. Na ja, er war eben noch nie der Typ für Spielchen und Verstellungen gewesen, dafür war er zu geradeheraus.

Ihre Blicke trafen sich, und er trat näher an sie heran.

„Hallo, Clayton.“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust. Ihr Gesichtsausdruck war kühl, ja, kalt.

Da hatte er sie ganz anders in Erinnerung, vor allem wenn er an ihre gemeinsamen Nächte dachte. Heiß und leidenschaftlich war sie gewesen! Die Erinnerungen an den Sex mit ihr hatten ihn in so mancher einsamen Nacht in der Tundra Alaskas warm gehalten …

„Ich bin hier, weil ich mit meinen Brüdern etwas klären muss.“ Er war noch nie der Mann für viele Worte gewesen, aber es war ihm wichtig, dass sie wusste, dass er nur aus familiären Gründen kurzzeitig zurückgekehrt war – und nicht etwa, um ihr wieder näherzukommen. Er konnte sich nur zu gut an ihre Worte erinnern, dass sie ihn nie wieder sehen wollte. Das war eindeutig gewesen! „Diese Gespräche werden sich über die Feiertage erledigen lassen.“

„Levi und Gavin sind im Stall“, sagte Hope. Sie presste die Lippen aufeinander, als überlegte sie, ob sie überhaupt noch weiter mit ihm reden sollte, ihm weitere Auskünfte geben sollte. Vielleicht tat es ihr auch schon leid, überhaupt auf ihn eingegangen zu sein. „Eine ihrer Stuten hat heute Nacht geworfen. Es war eine schwere Geburt.“

„Ich hoffe, Mutter und Kind sind wohlauf?“ Er warf einen Blick auf den frisch angestrichenen Stall. Damals hatte er selbst mitgeholfen, eine Sektion des Gebäudes speziell für abfohlende Stuten einzurichten. Er hatte schon immer lieber bei Arbeiten selbst mit angepackt, als mit seinem Vater zusammenzusitzen, der am liebsten von seinem Büro aus per Telefon Befehle gab, und das möglichst lautstark. Auch bei seiner Forschungstätigkeit war er mehr der aktive Typ, der, statt sich der Verwaltungsarbeit zu widmen, lieber draußen Fährten von Wildtieren verfolgte, so extrem die Witterungsverhältnisse auch sein mochten.

„Der Stute geht es mittlerweile wieder gut, obwohl die Geburt nicht ganz unproblematisch war. Das Fohlen hatte direkt nach der Geburt ein paar Startschwierigkeiten, aber mittlerweile scheint es …“ Sie hielt plötzlich inne und schaute an ihm vorbei. „Oh.“

„Was ist denn?“ Clayton wandte sich um und sah, wie Levi und Gavin vom Stall aus auf ihn zukamen. In den drei Jahren, seit er Silent Spring verlassen hatte, hatte er Levi kein einziges Mal gesehen. Und Gavin hatte er noch viel länger nicht gesehen. Das Letzte, was er von ihm wusste, war, dass Gavin eine große Rodeo-Karriere gemacht hatte und ihren gemeinsamen Vater mindestens ebenso stark ablehnte wie Clay. In früheren Zeiten hatten er und Gavin sich einmal nähergestanden, weil etwas sie einte: Duke Kingsleys Ablehnung. Er sah sie beide als „minderwertige“ Söhne an, für die er fast Verachtung hegte … und die er dann auch folgerichtig aus seinem Testament ausgeschlossen hatte.

Clayton hatte sich mittlerweile damit abgefunden; er hatte seinen Vater ja auch nicht gerade gemocht. Und dann irgendwann war Quinton Kingsley bei ihm in seinem Zuhause in Galbraith Lake im Norden Alaskas aufgetaucht, wo er ihn nach langer hartnäckiger Suche gefunden hatte. Sie hatten keinen guten Start gehabt, doch schließlich hatte Quinton ihn dann darüber aufgeklärt, dass er mit Clays Stiefschwester McKenna ein Kind bekommen würde; sie war bereits schwanger. Und dann hatte Quinton vorgeschlagen, dass die vier Brüder das Erbe des alten Kingsley gleichmäßig unter sich aufteilten. Obendrein wollte Quinton seine Anteile an der Kingsland Ranch an Clayton abtreten. Clayton hatte noch nicht zugestimmt, aber er hatte versprochen, seine Halbbrüder aufzusuchen und einige Zeit mit ihnen zu verbringen, um eine für alle zufriedenstellende Einigung zu erzielen.

Dafür hatte er sich selbst allerdings eine Frist bis zum Ende des Jahres gesetzt.

„Ich sollte eigentlich schon längst weg sein“, murmelte Hope.

„Ganz kleinen Moment noch“, sagte Clayton. Er hatte sich ja entschlossen, sie zu konfrontieren, da wollte er sie jetzt nicht so einfach ohne Abschluss des Gesprächs gehen lassen. „In den nächsten paar Wochen werden wir ja beide in Silent Spring sein. Deswegen sollten wir uns vielleicht überlegen, wie … wie wir …“ Wie sie sich aus dem Weg gingen, wie sie sich mieden? Das wollte er nicht so direkt sagen; er war nicht gerne rüde und unhöflich. Aber er konnte sich denken, dass sie nicht mehr Kontakt als unbedingt nötig zu ihm wollte. „Sagen wir, wie wir dafür sorgen, dass man sich nicht ständig unbeabsichtigt begegnet.“

Sie lächelte, aber es wirkte verbittert. „Mach dir mal keine Sorgen. Ich werde mein Möglichstes tun, dir nicht zu begegnen und …“

Weiter kam sie nicht, weil Levi sich jetzt lautstark zu Wort meldete. „Clayton! Willkommen zu Hause, Brüderchen!“

Clayton begrüßte seine Brüder, erst mit Handschlag, dann versuchten alle sich sogar an einer etwas unbeholfen wirkenden Umarmung. Hope sah dem Treiben skeptisch zu.

Clayton fühlte sich bei dieser Umarmung selbst nicht richtig wohl, weil er sich nicht sicher war, wie er das Verhältnis zu seinen Halbbrüdern einschätzen sollte. Er konnte nur hoffen, dass sich alles in den kommenden fünf Wochen klären würde. Und er wünschte sich vor allem, dass er in dieser Zeit so wenig wie möglich von Hope zu sehen bekam. Am besten gar nicht!

Levi warf einen Blick auf den gemieteten SUV und musterte dann Clayton. „Wir wussten ja nicht, wann du kommst, sonst hätten wir dir einen aufwändigeren Empfang bereitet.“ Dann blickte er zu Hope hinüber. „Wobei wir aber heute Nacht und heute früh sowieso keine Zeit dafür gehabt hätten, weil wir bei der Geburt eines Fohlens assistieren mussten. Die Sache sah nicht gut aus, und Hope hat dem Fohlen wahrscheinlich das Leben gerettet. Es sah ziemlich schlecht aus.“

Hope zuckte mit den Schultern und lächelte verlegen. „Ich habe meinen Job gemacht, das ist alles.“ Clayton spürte, dass sie so schnell wie möglich weg wollte.

Er hatte das Gefühl, dass sie nicht nur wegen des Zusammentreffens mit ihm verlegen war, sondern dass sie sich wegen des Lobs von seinem Halbbruder eher noch unwohler fühlte. Ja, so war sie schon damals gewesen. Sie hatte nie das Rampenlicht gesucht, sondern stets lieber im Hintergrund gearbeitet. Wenn er so darüber nachdachte, hatte ihm das an ihr besonders imponiert; im Grunde seines Herzens war er nämlich genauso.

Bevor Hope sich davonmachen konnte, schob Gavin seinen Stetson höher und wandte sich ihr zu. „Hope, gerade als du den Stall verlassen hast, ist Levi eine gute Idee gekommen, wie wir uns dafür bedanken können, dass du dem Fohlen unserer Stute Jewel das Leben gerettet hast.“

Sie schüttelte den Kopf. „Jungs, das ist wirklich nicht nötig, das habe ich doch schon gesagt.“

Jetzt mischte sich Levi ein. „Jetzt sei doch nicht immer so bescheiden, Hope. Lass es doch mal zu, dass man dir aus Dankbarkeit was Gutes tut. Also, die Kingsland Ranch wird das Spendenaufkommen deiner Weihnachtsgala verdoppeln. Das heißt, egal wie hoch die Gesamtsumme der Spenden ist, die du für deine neue Tierarztklinik einnimmst – wir legen noch mal genau den gleichen Betrag obendrauf.“

Clayton horchte auf. Hope veranstaltete eine Spenden-Weihnachtsgala? Das passte eigentlich so gar nicht zu ihr; eigentlich war sie vierundzwanzig Stunden am Tag um das Wohl der Tiere bemüht, und große Festivitäten waren so gar nicht ihre Sache. Aber auch bei dieser Gala ging es ja letzten Endes um das Wohl der Tiere – das war wohl genug Ansporn für sie, eine Gala zu veranstalten, an der sie normalerweise nicht einmal selbst teilgenommen hätte.

„Das würdet ihr wirklich tun?“, fragte Hope ungläubig.

Gavin nickte. „Würden wir. Dollar für Dollar, egal wie viel du einnimmst, für den guten Zweck der neuen Tierklinik geben wir noch einmal exakt den gleichen Betrag dazu. Wenn man das bei der Werbung für die Gala mit erwähnt, werden vielleicht sogar noch mehr Leute angezogen.“

Er schaute schnell zu Clayton hinüber. „Clay müsste unserem Vorhaben natürlich zustimmen. Er ist ja jetzt auch Anteilseigner der Kingsland Ranch, zu gleichen Teilen wie wir anderen.“

Eigentlich hatte Clay die Papiere, die der Familienanwalt vorbereitet hatte und die diese Aufteilung zementieren würden, ja noch gar nicht unterschrieben. Aber er wollte sich jetzt nicht in Formalitäten und Kleinigkeiten verlieren. Er hatte nämlich bemerkt, wie Hope ihn erwartungsvoll ansah, weil von seiner Zustimmung jetzt alles abhing. Und irgendwie erregte dieser Blick ihn …

„So eine Tierklinik wäre für Silent Spring auf jeden Fall eine gute Sache, so etwas hat hier schon lange gefehlt“, sagte er bedächtig. „Und die Kingsland Ranch hätte ja auch etwas davon, zumal sie die größte Ranch im ganzen Bundesstaat ist. Deshalb ist es gar keine Frage, dass ich mit diesem Vorschlag auch einverstanden bin.“

Hope musterte ihn kurz nachdenklich, dann nickte sie. „Das ist wirklich großzügig von euch, und im Interesse des Tierwohls nehme ich das gerne an. Ich danke euch … euch allen … ganz herzlich dafür.“ Sie lächelte, aber Clay hatte seine Zweifel, ob es wirklich von Herzen kam. „So, und jetzt muss ich aber wirklich los. Es warten noch jede Menge vierbeinige Patienten auf mich.“

„Ja, ist klar, verstehe ich.“ Gavin gab den Gentleman und hielt ihr die Wagentür auf. Unwillkürlich bekam Clay das Gefühl, das wäre eine Art Flirtversuch von Gavin. Eigentlich hätte Clay das ja egal sein können, weil zwischen Hope und ihm sowieso nichts mehr lief, dennoch störte es ihn. Aber dann fiel ihm wieder ein, dass er ja gehört hatte, dass Gavin erst vor ein paar Wochen die Tochter des Sheriffs der Stadt geheiratet hatte. Trotzdem, je größer der Abstand zwischen Hope und Gavin war, desto größer war auch Clays Seelenfrieden.

„Gib uns Bescheid, wenn wir dir bei den Vorbereitungen für die Wohltätigkeitsgala noch irgendwie helfen können“, sagte Gavin. „Sprich im Zweifelsfall am besten Clayton an, weil er unser größter Experte für das Tierwohl ist.“

„Ich weiß nicht recht“, murmelte Hope, und in der gleichen Sekunde wandte Clayton ein: „Für Ranch-Tiere bin ich nicht so der Experte.“

Die Widersprüche waren bei beiden wie aus der Pistole geschossen gekommen, sodass Gavin und Levi sich verwundert anblickten.

„Ich meine, ich habe mich ja mit ganz anderen Tieren beschäftigt“, bemühte Clayton sich zu erklären. „Was Ranch-Tiere angeht, habe ich wahrscheinlich nicht mehr Ahnung als ihr beiden.“

„Guter Witz.“ Gavin verdrehte die Augen und klopfte Clay auf die Schulter. „Glaub ihm bloß kein Wort, Hope. Clayton ist der Rundum-Universal-Tierexperte, Fachmann für alle Gattungen. Er war übrigens maßgeblich dafür verantwortlich, dass es jetzt auf der Seward-Halbinsel in Alaska eine große Tierforschungsstation gibt.“

Clay hielt sich zähneknirschend zurück; er wollte jetzt nicht die Geduld aller Anwesenden strapazieren, indem er einen Vortrag darüber hielt, dass es zwischen wilden Rentieren und Karibus auf der einen Seite und Rindern und Pferden auf der anderen Seite meilenweite Unterschiede gab.

„Ach ja, über diese Tierforschungsstation habe ich sogar in der Zeitung gelesen“, sagte Hope sinnierend und klang dabei immer noch etwas abweisend. „Aber vielleicht können wir uns ja morgen über alles Weitere unterhalten, wenn ich noch mal nach der Stute und dem Fohlen sehe.“

Überrascht blickte Clay zu ihr hinüber. Hatte sie eben gerade wirklich vorgeschlagen, sie sollten morgen Zeit miteinander verbringen?

Doch ihr Blick verriet etwas anderes. Nein, sie wollte ihm wohl damit nur signalisieren, dass sie morgen wieder auf der Ranch sein würde – damit er Bescheid wusste und sich von ihr fernhalten konnte.

Hm, das enttäuschte ihn nun doch ein wenig. Obwohl das Unsinn war. Denn er hatte ja die feste Absicht, keinen Kontakt mehr zu dieser Frau zu suchen – zu dieser Frau, die einfach per Brief mit ihm Schluss gemacht hatte, statt den Mut zu besitzen, ihm alles offen ins Gesicht zu sagen.

Andererseits, wenn sie ihm das so anbot …

Jetzt lächelte er, und sein Lächeln war mindestens so falsch wie ihres. „Das hört sich doch gut an. Reden wir morgen weiter.“

All das Folgende bekam er nur halb mit, weil er mit den Gedanken woanders war. Hope verabschiedete sich von allen und fuhr davon, und seine Halbbrüder verabredeten sich mit ihm zu einer Art Geschäftsessen, damit man in Ruhe besprechen konnte, wie es nun mit der Hinterlassenschaft von Duke Kingsley weitergehen sollte.

Claytons Gedanken kreisten nur um Hope. Das Wiedersehen hatte ein warmes Gefühl in seinem Inneren hinterlassen. Eigentlich, wenn er vernünftig wäre, sollte er nichts mit ihr zu tun haben wollen. Schließlich hatte sie sich ihm gegenüber äußerst mies verhalten. Aber dennoch, da war dieses unbestimmte Sehnen …

Drei Jahre waren vergangen, und dennoch begehrte er sie genauso stark wie damals. Und jetzt würde er runde fünf Wochen hier sein, wo er ihr jederzeit begegnen konnte. Wahrscheinlich würde es ihm wie fünf Jahre vorkommen, aber er musste dieser Sucht nach ihr widerstehen …

2. KAPITEL

Am nächsten Morgen parkte Hope ihren Wagen neben dem Stall auf der Kingsland Ranch. Sie atmete tief durch, um sich zu beruhigen. Während des Frühstücks hatte sie sich extra einen Drei-Punkte-Plan überlegt, um ihre Visite hier auf der Ranch gut durchzustehen.

Die Nacht war furchtbar gewesen. Immer wieder war Clay durch ihre Träume gegeistert. Es waren heiße Träume gewesen, sehr heiße! Und feucht waren sie gewesen, sehr feucht. Und sie hatte sie nicht gewollt. Träume über einen Dreckskerl, der auf so üble Weise mit ihr Schluss gemacht hatte …

Geschätzt die halbe Nacht hatten diese Träume in Anspruch genommen, und der Rest der Zeit war dafür draufgegangen, sich über diese Träume zu ärgern. Clayton hatte einfach nicht das Recht, sich so in ihrem Gehirn, in ihren Gedanken breitzumachen.

Hope war also alles andere als gut gelaunt, als sie die Tür des Stalls öffnete. Das Risiko, auf Clay zu treffen, war leider sehr hoch. Immerhin hatte sie für den Fall der Fälle ja ihren Drei-Punkte-Plan.

Die Arbeit machen und wieder verschwinden.

Je schneller, desto besser.

Den Kontakt mit Clayton Reynolds auf ein Minimum reduzieren.

Es roch nach Pferd und frischem Heu, als sie den Stall betrat. Im Gegensatz zum strahlenden Morgen draußen war es hier halb dunkel. Hope war sich ziemlich sicher, die Stute Jewel und das Fohlen wohlauf vorzufinden. Ihre Assistentin Cassandra hatte ihr kurz vor Sonnenaufgang noch eine Nachricht geschickt, dass es den beiden gut ginge. Dennoch wollte Hope sich nach der doch problematischen Geburt lieber mit eigenen Augen davon überzeugen.

Als sie sich dem Bereich des Stalls näherte, wo das Fohlen lag, bemerkte sie, dass sie nicht allein war.

Ein Mann war über das Fohlen gebeugt und streichelte es sanft mit seinen großen, kräftigen Händen.

Hope sah nur den Rücken des Mannes, nicht sein Gesicht – aber das war auch gar nicht nötig. Sie wusste auch so, wer es war. Ihr plötzlich viel heftiger pochendes Herz verriet es ihr.

Offenbar hatte sie irgendein Geräusch gemacht, denn plötzlich erhob Clayton sich aus seiner Position und wandte sich um. Seine und ihre Augen trafen sich sofort.

„Hope.“ Er sprach nur ihren Namen aus, sagte mit seiner tiefen, männlichen Stimme nur dieses eine Wort, aber das genügte schon. Ihr wurde ganz heiß.

Wie war noch die erste Regel des Drei-Punkte-Plans? Die Arbeit machen und wieder verschwinden. Drei Punkte – das würde sie doch wohl noch durchziehen können!

Mutig trat sie auf ihn zu. Jetzt nur nicht an die nächtlichen Träume über ihn denken, über ihn und sie, wie sie gemeinsam sündige Sachen machten …

„Wie geht es Jewel?“, fragte sie so sachlich wie möglich. Sie wollte Clayton behandeln wie jeden anderen Mann von der Ranch. Und nicht wie jemanden, der früher ihr Blut in Wallung gebracht hatte.

Früher. Oder jetzt auch noch?

„Soweit ich das beurteilen kann, sind Mutter und Kind wohlauf“, sagte Clay und trat einen Schritt zurück, um ihr die Möglichkeit zu bieten, sich selbst davon zu überzeugen. „Deine Assistentin hat mir gesagt, dass die Stute das Fohlen ganz normal gesäugt hat.“

„Du hast mit Cassandra gesprochen?“, fragte Hope überrascht, während sie sich über das Fohlen beugte. Das bedeutete, dass er entweder spät in der Nacht noch im Stall gewesen war – oder dass er schon vor Sonnenaufgang aufgestanden war.

„Ja“, antwortete Clay knapp, und sie wandte ihren Blick vom Fohlen ab, um ihn anzusehen. Verlegen rieb er sich den Nacken. „Irgendwie konnte ich nicht schlafen, deswegen habe ich einen Rundgang zu den Tieren gemacht. Cassandra war das einzige menschliche Wesen, dem ich um drei Uhr früh über den Weg gelaufen bin.“

Er hatte also nachts mit Cassandra gesprochen, sich mit ihr über die Tiere unterhalten. Warum zum Teufel machte sie das eifersüchtig? Sie versuchte an ihren Drei-Punkte-Plan zu denken. Wie war noch der zweite Punkt? Je schneller, desto besser. Andererseits wollte sie auf keinen Fall pfuschen, sondern sie würde das Tier so gründlich wie möglich untersuchen.

Clay trat noch einen Schritt zurück, um ihr genug Raum für die Untersuchung zu geben und das Fohlen nicht nervös zu machen. Ja, mit der Psychologie von Tieren hatte er sich schon früher gut ausgekannt, bevor er Wildtierbiologie studierte.

Unwillkürlich rasten Hopes Gedanken zurück. Zurück zu der Zeit, bevor sie eine Affäre gehabt hatten. Jeden Sommer besuchte Clayton die Kingsland Ranch für einige Wochen. Sie hatte eigentlich in den Jahren kaum Notiz von ihm genommen, bis sie achtzehn wurde. Damals hatte sie einige Schafe, die sie aufgezogen hatte, für mehrere Wettbewerbe auf der jährlichen Landwirtschaftsausstellung angemeldet. Einer ihrer Schafböcke hatte beim wichtigsten Wettbewerb sogar den ersten Preis gewonnen, und Clay hatte in der Jury gesessen. Zwischen ihm und ihr gab es einen Altersunterschied von neun Jahren, deshalb verstand sie schon, dass er ihr nicht viel Aufmerksamkeit gewidmet hatte – mal davon abgesehen, dass er sie für den prächtigen Schafbock gelobt hatte.

Sie hingegen hatte sich urplötzlich in ihn verliebt, und nicht nur, weil sie schnell erkannte, welch glückliches Händchen er mit Tieren hatte.

„Wahrscheinlich hast du wegen der langen Anreise schlecht geschlafen“, sagte sie wie nebenbei zu Clay. „So eine weite Reise kann den Biorhythmus durcheinanderbringen.“

„Nein, ich glaube nicht, dass es damit was zu tun hat“, erwiderte Clay. „Ich glaube, es hängt eher damit zusammen, dass Levi mich so einspannen will, während ich hier bin. Ich soll die Ranch in der Zeit gewissermaßen kommissarisch leiten.“

„Ach, wirklich?“, fragte Hope verblüfft. Das interessierte sie nun doch, auch wenn sie mit einer Nachfrage gegen ihren Drei-Punkte-Plan verstieß. „Was hat das für einen Sinn, wenn er doch weißt, dass du nur für kurze Zeit hier bist? Braucht man nicht Wochen oder sogar Monate, um diesen Job richtig zu lernen?“

„Ich habe vor drei Jahren eine richtige Ausbildung zum Ranch-Manager gemacht“, erinnerte er sie. So, wie er das sagte, klang es, als würde er nicht gerne an diese Zeit in seinem Leben zurückdenken.

Es war die gleiche Zeit, in der sie beide eine Beziehung gehabt hatten.

Sie blickte zu Boden. „Ach ja, das hatte ich vergessen.“ Sie war damals so glücklich gewesen, nach Jahren des klammheimlichen Schwärmens endlich mit Clayton zusammen zu sein, dass sie allem, was sonst so in der Welt geschah, kaum Beachtung schenkte. Das hatte vielleicht an ihrer Jugend gelegen – oder an ihrem Gefühl, zum ersten Mal richtig verliebt zu sein. „Du hattest die Ausbildung gemacht, aber hattest noch nie die Gelegenheit, sie in der Praxis anzuwenden.“

Lag es möglicherweise daran, dass er die Sache mit ihr so schnell wie möglich beenden wollte?

Oder lag es doch an dem Streit, den er mit Duke Kingsley gehabt hatte? Sie hatte nur über andere von diesem Streit gehört; Clay selbst hatte ihr nie darüber berichtet, weil er gleich anschließend die Stadt verlassen hatte.

„Stimmt, in der Praxis habe ich mein Wissen bisher noch nicht angewendet“, bestätigte Clay. „Schätze, meine Halbbrüder denken, dass ich mich doch noch dazu entschließe, meinen Anteil am Kingsley-Erbe anzunehmen, wenn ich erst eine gewisse Zeit hier verbracht habe.“

Die ganze Stadt wusste, wie der alte Kingsley zwei seiner vier Söhne in seinem Testament brüskiert hatte. In Silent Spring war Duke aber auch schon vorher nicht gerade beliebt gewesen. Und es hatte seinem Ruf noch mehr geschadet, als bekannt wurde, dass er illegal gefährliche Kohlenasche auf seinem Land entsorgt hatte, was ein gravierendes Umweltschutzverbrechen war.

Aber drei von Dukes Söhnen hatten dann gemeinsam den Schaden beseitigt – sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinne. Und jetzt schienen sie das Bedürfnis zu haben, auch Dukes vierten Sohn wieder in ihre Gemeinschaft zu integrieren.

„Levi und Gavin wollen, dass du hierbleibst?“, fragte sie und versuchte bei dem Gedanken, dass Clay zurück in ihre Heimatstadt ziehen könnte, nicht in Panik zu geraten.

Clay lachte auf. „Ja, aber mach dir keine Sorgen, dazu wird es nicht kommen. Ich habe es ihnen schon gesagt: Auch die Tatsache, dass ich die Ranch eine Zeit lang leite, wird mich auf keinen Fall umstimmen.“

Wäre sie etwas mutiger, etwas risikofreudiger gewesen, hätte sie die Chance vielleicht genutzt, ihn zu fragen, warum er damals überhaupt so schnell verschwunden war. Aber so war sie nicht. Mit dieser Frage hätte sie ihm möglicherweise offenbart, wie sehr er sie durch sein Verschwinden verletzt hatte. Und das ließ ihr Stolz nicht zu.

„Und trotzdem hast du den Job angenommen?“, fragte sie.

Clay zuckte mit den Schultern, aber seine Mine verriet, dass er mit der Entscheidung selbst nicht im Reinen war.

„Ja, ich habe den Job angenommen, aber eigentlich nur Levi zuliebe. Er ist ja frisch verliebt, und wenn ich ihn bei der Leitung der Ranch entlaste, hat er mehr Zeit, sich um Kendra zu kümmern, während sie sich hier eingewöhnt.“ Er hielt kurz inne und lächelte. „Außerdem hält mich das in den fünf Wochen, die ich hier sein werde, beschäftigt.“

Sie hätte noch einen anderen Zeitvertreib für ihn und sich gewusst, einen heißen, sündigen, und bei dem Gedanken daran schlug ihr Herz schneller.

„Das ist ja richtig selbstlos von dir“, kommentierte sie schließlich. Sie untersuchte das Fohlen und anschließend auch die Stute, und alles schien in Ordnung zu sein.

Als sie ihre Gerätschaften zusammenpackte und den Stall wieder verlassen wollte, stellte er sich ihr in den Weg.

Erstaunt sah sie ihn an. Sie konnte nur hoffen, dass er nicht merkte, wie sehr seine Nähe sie erregte …

„Wir sollten noch über deinen Wohltätigkeits-Event reden, bevor du gehst“, sagte er ruhig.

Er klang geschäftsmäßig, fast unbeteiligt, während ihr Herz vor Erregung höher schlug.

„Das ist nicht nötig“, erwiderte sie. „Ich weiß es wirklich zu schätzen, dass du bei der Idee deiner Brüder mitmachst, das Spendenaufkommen zu verdoppeln. Aber die Gala und das ganze organisatorische Drumherum – das schaffe ich schon alleine.“

Er lachte auf. „Hope Alvarez schafft im Zweifelsfall alles alleine, das ist mir schon klar. Ich kenne dich doch. Aber so wie ich Levi und Gavin verstanden habe, möchten sie, dass wir bei der Gala eine größere Rolle spielen – nur damit wirklich genug Geld für die neue Klinik zusammenkommt.“

„Das habe ich anders verstanden“, erwiderte sie. „Sie haben mir das großzügige Angebot nur gemacht, weil sie der Meinung sind, ich hätte dem Fohlen – oder der Stute, oder beiden – das Leben gerettet und sie mir irgendwie danken wollen.“

Er nahm sie am Arm und zog sie ganz sanft mit sich. „Lass uns lieber weiter vorne reden“, flüsterte er. „Die Stute will sicher gleich das Fohlen säugen, und dafür brauchen die Tiere ihre Ruhe.“

In gebührender Entfernung blieben sie stehen. Clay musterte Hope und verschränkte die Arme vor der Brust. „Freut mich, dass du eine so hohe Meinung von meinen Brüdern hast. Aber falls es dir entgangen ist: Levi Kingsley hat immer, wirklich immer, zuallererst das Wohl der Kingsland Ranch im Auge. Sicher, er hat im Laufe der Zeit schon einigen Wohltätigkeits-Schnickschnack mitgemacht, aber das war immer auch aus Imagegründen.“ Er zuckte mit den Schultern. „Versteh mich nicht falsch, ich will damit nicht sagen, dass er kein guter Kerl ist. Aber auch er und die Kingsland Ranch ziehen ihre Vorteile daraus, wenn die Großtierklinik so schnell wie möglich fertig ist.“

Sie musste einsehen, dass Clay damit sogar recht hatte. Ja, für die unzähligen Tiere der großen Ranch brauchte Levi die Klinik mindestens ebenso nötig wie Hope, vielleicht sogar nötiger. Mit seinem messerscharfen Verstand hatte er das sofort erkannt, während Hope zuallererst immer an das Gute im Menschen glaubte. Nun kam sie sich naiv vor, gewissermaßen in ihrer Gutgläubigkeit ertappt …

Wie gut Clay sie doch kannte!

„Okay, indem Levi mir hilft, hilft er sich auch selber“, fasste sie zusammen. „Das habe ich ja jetzt verstanden.“ Sie wusste sehr wohl, dass sie als Tierärztin besser war als als Geschäftsfrau, aber mit ihrer zurzeit noch kleinen Praxis musste sie beides sein. „Was schlägst du jetzt vor? Wie soll ich dem Unternehmen Kingsland Ranch eine größere Rolle bei der Weihnachtsgala geben?“

Wenn sie ehrlich war, zerrten die Vorbereitungsarbeiten schon jetzt mächtig an ihren Nerven. Tagsüber belegte ihre Tierarztpraxis sie voll mit Beschlag, und die Abende gingen dann für die Eventplanung drauf. Zum Abschalten blieb da kaum Zeit …

„Ja, wie kann die Kingsland Ranch sich da am besten einbringen?“, sinnierte er und rieb sich das Kinn. „Um ehrlich zu sein, diese Frage war einer der zwei Gründe, die mich heute Nacht am Schlafen gehindert haben.“

„Ach, tatsächlich?“, fragte sie skeptisch. „Dabei ist das doch nicht dein Problem.“ Es ärgerte sie, dass sie in der Nacht heiße Sex-Träume über ihn gehabt hatte, während er über den Problemen von Spendengalas und Großtierkliniken Schlaf verloren hatte. „Wenn ich dich richtig verstanden hatte, willst du doch deinen Teil des Erbes gar nicht annehmen.“

Er sah sie nachdenklich an, und ihr war es fast, als ob er sie mit seinen Blicken berührte.

„Selbst wenn ich das materielle Angebot ablehne, will ich meine Brüder nicht brüskieren“, sagte er. „Im Gegenteil, ich bin ja hier, um mich mit ihnen zu versöhnen. Ich will unser Verhältnis ins Reine bringen, nachdem ich die Stadt vor drei Jahren so blitzartig verlassen habe.“

Ja, das große Thema, das wie ein Elefant im Raum stand. Genau deshalb hatte sie ja den näheren Kontakt zu ihm vermeiden wollen. Sie musste endlich mit der Vergangenheit abschließen. Mit ihrer gemeinsamen Vergangenheit.

„Hat das jetzt auch irgendwas damit zu tun, dass du heute Nacht nicht schlafen konntest?“

„Oh ja, absolut. Ich will meinen Brüdern meinen guten Willen zeigen, will ihnen helfen. Aber um das zu tun, muss ich leider auch etwas anderes tun, etwas, das dir ganz und gar nicht gefallen wird.“ Er kam ihr näher; es war zwar immer noch ein gebührender Abstand, doch ihr Herz schlug schneller.

„Und das wäre?“

„Ich müsste mit dir zusammenarbeiten, um die Spendengala so erfolgreich wie nur irgend möglich zu machen.“

Sie trat einen Schritt zurück. „Nein. Das willst du doch nicht wirklich. Genauso wenig wie ich.“

„Ich will das, was für die Kingsland Ranch am besten ist“, betonte er. Er redete jetzt mit ihr wie mit einem nervösen Pferd, das es zu beruhigen galt. „Ich will in den kommenden fünf Wochen so gut wie nur irgend möglich zum Wohle der Ranch arbeiten, damit ich Silent Spring anschließend mit gutem Gewissen verlassen kann. In der Gewissheit, dass ich mein Bestes getan habe, um mit meinen Halbbrüdern im Reinen zu sein.“

Er tat so vernünftig, so abgeklärt! Wie wäre es denn gewesen, wenn er versucht hätte, nicht nur mit seinen Brüdern, sondern auch mit ihr ins Reine zu kommen, nachdem er sie so schmählich verlassen hatte? Das kam ihm anscheinend nicht in den Sinn!

Aber sie wollte sich nicht aufregen. Sie wollte sich vor ihm keine Blöße geben, zumal sie vielleicht in den nächsten Wochen doch enger mit ihm zusammenarbeiten müssen würde.

Also zwang sie sich zu einem Lächeln. Wahrscheinlich wirkte es eher, als ob sie ihm die Zähne zeigte.

„Du könntest zum Beispiel die Briefmarken für die Einladungsschreiben anlecken“, sagte sie mit trockenem Humor, obwohl ihr eigentlich nicht nach Scherzen zumute war. „Aber vielleicht finden wir ja auch noch was anderes für dich. Ich arbeite immer abends an der Vorbereitung zur Gala, wenn ich mit meinen Tierarzt-Runden für den Tag durch bin. Wollen wir uns morgen Abend im Red Barn Roasters treffen?“

Das Red Barn Roasters war ein beliebter Coffeeshop in der Stadt. Wenn man sich so an einem gewissermaßen neutralen Ort traf, würde sie sich am besten unter Kontrolle halten können. Egal wie sie zu Clayton stand – auf keinen Fall durfte ihr Verhältnis zu ihm, ob gut oder schlecht, Auswirkungen auf ihr Verhältnis zu den übrigen Kingsleys haben. Sie waren wichtige Kunden für sie als Tierärztin. Clayton würde nicht lange hier sein, aber die Kingsland Ranch blieb, wo sie war. Die würde nicht umziehen.

„Red Barn Roasters?“, fragte er. „Gut, ist mir recht.“ Er reagierte, als wäre es die Einladung zu einem x-beliebigen Geschäftsessen, als wäre nie heiße Leidenschaft zwischen ihnen gewesen. „Schick mir am besten eine Textnachricht, wenn du mit deiner Arbeit fertig und auf dem Weg dorthin bist. Dann stoße ich dazu.“

Dann stoße ich dazu. Ob er ihr gegenüber wirklich so gleichgültig war oder ob er sich nur verstellte? Immerhin, so halb hatte er ja zugegeben, dass er auch wegen ihr, wegen der Zusammenarbeit mit ihr, nicht hatte schlafen können. Auf jeden Fall wollte sie es so sehen. Denn sie konnte und wollte einfach nicht glauben, dass ihre damalige Trennung ihn so gar nicht berührt hatte, dass sie ihn kein bisschen geschmerzt hatte!

„Okay, dann wäre das geklärt.“ Sie fragte ihn nicht, ob er noch ihre Handynummer hatte. Monatelang hatte sie darüber nachgegrübelt, ob er wohl ihre Nummer geblockt hatte, denn die Texte, die sie ihm geschickt hatte, waren stets unbeantwortet geblieben. Die Erinnerung an diese Zeit der Ungewissheit schmerzte sie – und erinnerte sie daran, dass es höchste Zeit war zu gehen. Sie wollte nicht, dass er ihr ansah, wie sehr er sie verletzt hatte. „Wir sehen uns dann morgen.“

Sie ging an ihm vorbei, verließ den Stall und setzte sich in ihrem Wagen ans Steuer. Während sie losfuhr, ließ sie eine Reihe von Flüchen los. Verdammt, verdammt, verdammt!

Worauf hatte sie sich da nur eingelassen?

Was war nur aus ihrem Drei-Punkte-Plan geworden?

Den Kontakt mit Clayton Reynolds auf ein Minimum reduzieren.

Sie lachte verbittert auf.

Tja, den Drei-Punkte-Plan konnte sie wohl zu den Akten legen. Wenn er mit ihr zusammen an den Vorbereitungen zur Wohltätigkeitsgala arbeitete, würden sie sich oft sehen, viel öfter, als es ihr lieb war!

Sie drückte aufs Gaspedal. Sie würde sich einen neuen Plan ausdenken müssen.

3. KAPITEL

Als Hope ihn am nächsten Tag um achtzehn Uhr immer noch nicht angeschrieben hatte, fuhr Clayton zu Levis Bar, dem Stockyard, um sich dort die Zeit zu vertreiben.

Den ganzen Tag über hatte er an Hope denken müssen; es war ihm schwergefallen, sich um die Buchführung der Ranch zu kümmern, wie er es eigentlich vorgehabt hatte. Jetzt, nachdem er den Papierkram beiseitegelegt hatte, musste er nur noch warten, bis Hope sich bei ihm meldete.

Er war gespannt darauf, die Bar zu sehen, die Levi gekauft hatte, nachdem er eine eigene Marke für alkoholische Getränke namens Gargoyle Kings kreiert hatte. Außerdem wollte er durch diesen Abstecher dem Haupthaus der Ranch entkommen, wo Levi sein Büro hatte.

Es war dasselbe Büro, in dem Clay einmal – kurzzeitig – mit seinem Vater zusammengearbeitet hatte. Damals, als er sich bemüht hatte, ein Teil der Kingsley-Familie zu werden.

Der Versuch damals in jenem verhängnisvollen Sommer war krachend gescheitert. Clay war mit seinem Vater in Streit geraten, worauf die Beziehung der beiden endgültig zerbrach.

Aber er wollte nicht mehr über diese ärgerlichen Vorfälle nachdenken. Er öffnete die Tür zur Bar; Wärme, Stimmengewirr und Musik begrüßten ihn. Ja, es war gemütlich hier; hier konnte man sich wohlfühlen.

Er sah sich noch um, als er plötzlich eine Stimme hörte: „Ich bin hier hinten, Bruderherz!“

Levi stand hinter einer altmodischen Kasse, dicht neben einer Tür, die wahrscheinlich in die Küche führte. Clay ging zu ihm hin. „Netten Laden hast du hier. Da kann ich gut verstehen, dass du einen Teil der Ranchleitung lieber abgeben möchtest.“

„Das ist nicht der Grund“, erwiderte Levi lächelnd. „Der Grund ist, dass du ganz einfach einen Anspruch auf Mitsprache und Mitleitung hast.“ Er winkte eine Kellnerin heran. „Was möchtest du trinken?“

„Ich nehme nur ein Mineralwasser“, sagte Clayton. „Ich warte auf eine Nachricht von Hope Alvarez. Wir wollen über die Gala für die Tierklinik sprechen.“

„Ich bin froh, dass du dich um die Sache kümmerst.“ Levi wies auf einen leeren Stuhl. „Setz dich doch und sag mir, was du vom Stockyard hältst. Schließlich bist du ja selber Barbesitzer …“

Clayton schüttelte den Kopf. Er wusste, sein Bruder spielte auf den Cyclone Shack an, die ziemlich schlichte Bar in Dutch Harbor in Alaska mit recht ruppigem Publikum. „Ich bin vielleicht noch in den Besitzerpapieren eingetragen, aber eigentlich hat McKenna den Laden schon vor anderthalb Jahren übernommen und führt ihn seitdem.“

Seine Stiefschwester war damals – gewissermaßen auf der Flucht vor Problemen – nach Alaska gekommen. Er hatte sie gerne aufgenommen, und sie hatte sich schnell in die Führung des Lokals eingearbeitet. Dadurch hatte er sich anderen Dingen widmen können, vor allem nachdem er erfahren hatte, dass Duke Kingsley gestorben war. Clay war klargewesen, dass seine Brüder nach ihm suchen würden. Dass er sich mit der Vergangenheit würde beschäftigen müssen.

Aber er hatte das so weit wie nur irgend möglich nach hinten verschoben. Zum Beispiel dadurch, dass er im abgelegenen Galbraith Lake einen Forschungsauftrag annahm, irgendwie hatte er sich nicht bereit gefühlt, sich mit den letzten Worten seines Vaters an ihn konfrontieren zu lassen. Um ehrlich zu sein, fühlte er sich dazu immer noch nicht bereit, und das war auch mit ein Grund, dass er sich entschlossen hatte, Hope bei der Arbeit für den Wohltätigkeits-Event zu unterstützen. Diese Frau hatte die Macht, ihn von den Grübeleien abzulenken. Weil er, sobald er ihr nahe kam, nur an sie denken konnte.

„Ich bin schon gespannt darauf, McKenna kennenzulernen“, sagte Levi. „Ich hätte nie gedacht, dass Quinton nach Alaska geht und dort auch bleibt. Aber er ist wirklich ein anderer Mensch geworden, seit er deine Stiefschwester kennengelernt hat.“

Claytons Miene verfinsterte sich einen Moment lang. Er dachte nur ungern an das letzte Treffen mit Levis echtem Bruder, während er und Levi ja nur Halbbrüder waren.

„Ich hoffe, er wird auch ein guter Vater“, murmelte er. Irgendwie fühlte er sich für seine Stiefschwester immer noch verantwortlich, auch wenn sie jetzt in einer Beziehung war. Auf jeden Fall wünschte er ihr nur das Beste.

„Ach, ich bin ganz sicher, dass er ein guter Vater wird“, versicherte Levi. „Wenn er und McKenna zu den Feiertagen hier in der Stadt eintreffen, können wir endlich besprechen, wie wir alle mit dem Erbe von Dad weiter verfahren …“

Auf solche Unterhaltungen hatte Clay überhaupt keine Lust. Entnervt nippte er an seinem Mineralwasser.

In diesem Moment vibrierte sein Handy. Das konnte eigentlich nur Hope sein. Er zog das Smartphone hervor und sah, dass es ein Anruf von ihr war, keine Textnachricht, wie er es eigentlich erwartet hatte. Er entschuldigte sich bei seinem Bruder und verzog sich in eine etwas ruhigere Ecke.

„Hallo, Hope. Schön, dass du dich meldest. Können wir uns jetzt treffen, bist du fertig mit deinem Tagewerk?“

„Nein, leider nicht.“ In ihrer Stimme klang Bedauern mit. „Ich werde unsere Verabredung leider nicht einhalten können. Tut mir wirklich leid, aber die Umstände …“

Unwillkürlich begann er sich Sorgen zu machen. Er wusste ja, die Arbeit mit Großtieren war nicht ganz ungefährlich. „Was ist denn los? Ich hoffe, mit dir ist alles in Ordnung?“

„Ja, ja, mir geht es gut. Aber die Frau von Sarge McMasters hat gerade angerufen. Auf ihrer Farm hat es einen Wolfsangriff gegeben. Eines ihrer Kälber wurde verletzt und muss behandelt werden.“ Ihre Stimme klang ruhig, aber Clay kannte sie gut genug, um zu merken, dass sie aufgewühlt war.

Die Sache mit den McMasters tat ihm leid. Aber er war erleichtert, dass es Hope gut ging. Und er musste sich eingestehen, dass er sich eigentlich ein wenig zu sehr sorgte um eine Frau, die er jahrelang nicht gesehen hatte …

Er konnte sich vorstellen, dass die McMasters vor Sorge außer sich waren. Er kannte die beiden älteren Herrschaften, die Milchkühe hielten, von seinen früheren Aufenthalten in Silent Spring. Sarge war ein wirklich netter Typ, der sich bereits seit Jahrzehnten mit großem Engagement um die Landjugend kümmerte.

„Haben sie gesagt, ob der Wolf noch in der Gegend herumstreunt?“ Clay blickte zu Levi hinüber und deutete mit seinem Finger zum Ausgang, um ihm zu signalisieren, dass er gehen musste. Er hatte das allergrößte Vertrauen in Hope, wusste, dass sie normalerweise auf sich selbst aufpassen konnte, aber diese Geschichte konnte gefährlich werden. Wenn das Raubtier sich noch in der Umgebung aufhielt … „Wissen sie überhaupt, ob es sich um einen einzelnen Wolf handelt oder um ein ganzes Rudel?“

„Genaueres weiß ich auch noch nicht“, sagte Hope. „Letitia war ziemlich durcheinander.“ Neben ihrer Stimme konnte Clay Fahrtgeräusche und eine Ansage des GPS-Systems hören. „Buster, der Hund von Sarge, scheint den Wolf vertrieben zu haben, das mutige Tier. Sarge hatte sein Gebell gehört, war zur Nordweide gelaufen, wo das Gebell herkam, und hatte dann gesehen, wie der Hund bei dem verletzten Kalb Wache hielt. Ich bin jetzt übrigens gleich da. Unser Treffen werden wir wie gesagt verschieben müssen.“

Clayton befand sich mittlerweile schon auf dem Parkplatz des Stockyard. Er bestieg seinen gemieteten SUV, legte das Smartphone auf die Ablage am Armaturenbrett und fuhr los. „Ich bin jetzt auch auf dem Weg zu den McMasters“, sagte er. „Dann können wir sehen, ob Sarge irgendwelche Hilfe braucht, um die Herde vor weiteren Angriffen zu schützen.“ Mit Wolfsrudeln hatte Clay wegen seines Alaskaaufenthalts genug Erfahrungen. Außerdem hatte er Sarge schon immer gemocht, vor allem wegen seiner Bemühungen um die Landjugend. Speziell für Einzelgänger und Außenseiter der Gesellschaft hatte der alte Herr immer ein Herz gehabt. Nicht zuletzt wegen Sarge hatte Clay sich in Silent Spring immer willkommen gefühlt, selbst wenn sein eigener Vater ihm abweisend gegenüberstand.

„Du kommst da wirklich hin? Das würdest du wirklich für die McMasters und mich tun?“ Hope klang überrascht, und das ärgerte ihn ein wenig. Es machte den Anschein, dass sie ihm keine selbstlosen Handlungsweisen zutraute.

„Klar mache ich das. Es ist die Nordweide, sagtest du?“

„Ja, ich hoffe, du findest einigermaßen gut hin. Wenn du auf der Vaughn Road entlangfährst, geht irgendwo nach links ein Feldweg ab. Den musst du nehmen. Und …“ – sie zögerte kurz – „… vielen Dank, Clay.“

Ihr Dank klang aufrichtig, und das versöhnte ihn wieder ein wenig mit ihr. Wahrscheinlich war sie wegen des Vorfalls ziemlich durcheinander.

Weshalb er auch so schnell wie möglich bei ihr sein wollte!

„Kein Problem, du brauchst dich nicht zu bedanken. Wir sehen uns dann ja gleich.“ Er drückte aufs Gaspedal.

Natürlich ging es ihm vor allem darum, den McMasters zu helfen, das versuchte er sich wenigstens einzureden. Was Hope betraf – die ging ihn doch eigentlich nicht mehr wirklich etwas an …

Wie Hope bei ihrer Untersuchung des Kalbs feststellen musste, war das Tier ernsthaft verletzt. Hätte es nicht unter Schock gestanden, hätte es wahrscheinlich laute Schmerzensschreie ausgestoßen. Sarge McMasters, seine Frau Letitia und ein Farmhelfer standen ratlos und betroffen in einigem Abstand daneben, an ihrer Seite der treue und mutige Hund Buster.

Plötzlich waren Motorengeräusche zu hören.

Clayton kam!

Hope fühlte sich erleichtert, ja, geradezu glücklich. Über sein Erscheinen, ganz unabhängig davon, was früher zwischen ihnen vorgefallen war.

„Ich hoffe, es ist euch recht, dass ich Clayton Reynolds gesagt habe, er könnte vorbeikommen“, sagte sie zu dem Ehepaar. „Er kennt sich gut mit Wölfen aus und kann euch vielleicht ein paar Tipps geben, wie ihr eure Tiere besser vor Angriffen schützt.“

„Das Wolfsproblem wird bald der Vergangenheit angehören“, erwiderte Letitia grimmig. „Wir stellen mit ein paar anderen Farmern und Ranchern eine Jagdgruppe zusammen, fast wie eine Bürgerwehr. Dann bleibt von diesen Bestien nichts mehr übrig.“

Hope wusste, in dieser emotionalen Situation hatte es wenig Zweck, mit...

Autor

Allison Leigh
<p>Allison Leigh war schon immer eine begeisterte Leserin und wollte bereits als kleines Mädchen Autorin werden. Sie verfasste ein Halloween-Stück, das ihre Abschlussklasse aufführte. Seitdem hat sich zwar ihr Geschmack etwas verändert, aber die Leidenschaft zum Schreiben verlor sie nie. Als ihr erster Roman von Silhouette Books veröffentlicht wurde, wurde...
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Robin Perini
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