Baccara Exklusiv Band 131

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EINZIGE BEDINGUNG: LIEBE von RADLEY, TESSA
Warum lässt sie ihn allein? Jessica wusste doch, dass er sie nicht heiraten kann! Als Erbe eines Diamanten-Imperiums muss Ryan eine angemessene Frau wählen - das ist Jessica nicht. Jetzt ist sie fort, und Ryan merkt, dass Liebe keine Standesdünkel kennt …

DEINE BLAUEN AUGEN von MACALLISTER, HEATHER
Ein Blick von ihm und in ihrem Bauch flattern 1000 Schmetterlinge! Maggie erkennt sich nicht mehr wieder: Kyle Stuart hat sie verzaubert und weckt in ihr eine nie gekannte Leidenschaft. Wenn er nur nicht zu der Familie gehören würde, mit der ihre eigene verfeindet ist …

DIE SCHÖNE HIRA UND IHR VERFÜHRER von SINGH, NALINI
Eine Ehe, die auf Vernunft basiert, ist das Beste - davon ist Marc Bordeaux überzeugt. Es ist ihm egal, dass seine Braut ihm die kalte Schulter zeigt. Bis er sich Hals über Kopf in sie verliebt. Und nicht weiß, wie er die schöne Hira von seinen Gefühlen überzeugen kann …


  • Erscheinungstag 31.07.2015
  • Bandnummer 0131
  • ISBN / Artikelnummer 9783733721831
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Tessa Radley, Heather MacAllister, Nalini Singh

BACCARA EXKLUSIV BAND 131

TESSA RADLEY

Einzige Bedingung: Liebe

Ein letztes Mal wacht sie in seinem Bett auf, sieht ihn aus der Dusche kommen und verbrennt fast vor Sehnsucht. Jessica weiß, wenn sie an diesem Morgen geht, wird sie Ryan nie wiedersehen. Die Beziehung lief nach seinen Regeln: keine Ehe, keine Kinder. Die einzige Bedingung, die ihr wichtig war, hat Ryan nie erfüllt. Wahre Liebe will er ihr nicht geben …

HEATHER MACALLISTER

Deine blauen Augen

Wann werden sie ihn akzeptieren? So schwer hatte sich Kyle das Leben in der Kleinstadt nicht vorgestellt! Überall stößt er auf Ablehnung – bis er Maggie trifft: jung, sexy und Tochter der einflussreichsten Familie. Er verfällt ihr mit Haut und Haaren, sie ist seine Traumfrau! Doch wird ihre Liebe stark genug sein, um alle Widerstände zu überwinden?

NALINI SINGH

Die schöne Hira und ihr Verführer

Ins Bett mit einem Mann, der sie nicht liebt – niemals! Hira konnte sich nicht gegen die arrangierte Ehe mit Marc Bordeaux wehren, aber die Hochzeitsnacht wird anders ablaufen, als es sich ihr frischgebackener Ehemann vorstellt! Keinesfalls wird sie ihrem Verführer erliegen – auch wenn Hira dieses sinnliche Prickeln in seiner Nähe erstaunlich erregend findet ...

1. KAPITEL

„Aufwachen, Dornröschen. Es wird Zeit.“

Die Stimme war tief und zärtlich und schien ihr so vertraut. Jessica Cotter hob zögernd die Augenlider. Eine kräftige, warme Hand legte sich auf ihre Schulter und streichelte sie. Die Hand ihres Geliebten. Ihres Prinzen. Warum küsste er sie nicht wie im Märchen? Aber schon bei der Berührung seufzte sie zufrieden auf und kuschelte sich tiefer in die weiche Daunendecke.

„Aufstehen, Jess.“

Sie spürte, dass er sich vorbeugte, aber anstatt sie zu küssen, zog er ihr die Bettdecke weg. „Nein, ich will nicht“, stieß sie leise hervor und rollte sich zusammen.

Doch leider musste sie auch atmen, und so konnte sie nichts dagegen tun, dass sein spezieller männlicher Duft ihr in die Nase stieg. „Hm …“ Sie streckte sich lang aus und lächelte in Erinnerung an die letzte Nacht. Seine Hände waren überall gewesen, er hatte sie leidenschaftlich an sich gepresst … Und als er dann in sie eingedrungen war … Unwillkürlich hob sie die Hüften leicht an.

Doch sein Griff um ihre Schulter wurde fester, und er schüttelte sie leicht. „Steh auf, Jessica.“

Das klang ernst. Sie öffnete die Augen und brauchte ein paar Sekunden, bis sie wusste, worum es ging. Sie war in Ryan Blackstones Penthouse. Heute wurde sein Vater beerdigt.

Heute ist Howard Blackstones Beerdigung. Kein Wunder, dass Ryan nicht in Stimmung war …

„Du hast noch ein wenig Zeit“, unterbrach er sie in ihren Gedanken. „Aber ich muss mich beeilen und dusche deshalb auch als Erster.“

Jessica setzte sich auf und griff nach der Decke. Plötzlich kam es ihr unpassend vor, sich ihm nackt zu zeigen. Aber er hatte sich sowieso schon abgewandt und war ins Bad gegangen.

Irgendwie enttäuscht, ließ sie sich wieder in die Kissen zurückfallen. Sie hörte, wie Ryan die Dusche anstellte. Schnell blickte sie auf den Wecker, der auf dem Nachttisch stand. Himmel, es war schon viel später, als sie gedacht hatte. Sie hatte verschlafen.

Er auch.

Die Dusche wurde wieder abgedreht. Jessica rührte sich nicht. Sie wartete. Die Badezimmertür öffnete sich, und Ryan kam heraus, umhüllt von einer Dampfwolke. Er frottierte sich das dunkle Haar – und war vollkommen nackt.

Von seiner breiten Brust perlten noch die Wassertropfen, und die schmalen Hüften … Jessica wurde der Mund trocken. Er war entschieden der bestaussehende Mann, den sie je gesehen hatte, und ungeheuer sexy. Verstohlen beobachtete sie unter halb geschlossenen Lidern, wie er auf seine Armbanduhr sah, einen ungeduldigen Laut ausstieß und zu dem großen Wandschrank ging.

Sie schloss wieder die Augen. Wenn doch nur nicht alles so kompliziert wäre!

„Schläfst du etwa schon wieder?“ Obgleich er leicht genervt war, hatte seine Stimme diesen dunklen sexy Unterton, der nie ohne Wirkung auf sie blieb.

Schnell öffnete sie erneut die Augen. Er war bereits fertig angezogen und sah wie aus dem Ei gepellt aus in dem schwarzen Anzug und dem weißen Hemd. Während er sich einen Weg durch die Kleidung bahnte, die sie gestern in ihrer Hast hatten fallen lassen, stand Jessica unwillkürlich wieder die vergangene Nacht vor Augen. Offenbar sah Ryan ihr an, woran sie dachte, denn seine Gesichtszüge entspannten sich. Er beugte sich über sie und stützte sich neben ihrem Kopf ab. „Du bist die verführerischste Frau der Welt“, stieß er leise hervor.

„So leicht bist du zu verführen?“ Er roch so gut – frisch, herb und maskulin.

„Ich würde am liebsten den ganzen Tag hier bei dir bleiben.“

Oh ja. Aber heute musste so viel passieren. Erst die Beerdigung von Howard Blackstone. Dann würde das Testament verlesen werden. Und dann musste sie irgendwann unbedingt mit Ryan reden. Obwohl sie das alles sehr belastete, wollte sie ihn nicht gehen lassen. Nur noch ein Kuss, schwor sie sich. Sie legte ihm die Arme um den Nacken und zog Ryan an sich.

„He …“ Er landete neben ihr auf dem Bett, sodass sie ihm direkt in die Augen sehen konnte, deren jadegrüner Schimmer ihr Herz regelmäßig schneller schlagen ließ. Zärtlich strich sie ihm über die sonnengebräunte, glatt rasierte Wange. Wenn sie ihn nur nicht so sehr lieben würde!

Sein Blick war besorgt. „Du siehst erschöpft aus. Blass. Hast richtige Schatten unter den Augen. Ich hätte dich nicht so lange wach halten sollen.“

„Unsinn.“ Sie lächelte ihn beruhigend an, obgleich sie sich Sorgen um ihn machte. In den frühen Morgenstunden hatten sie sich noch geliebt, mit einer beinahe verzweifelten Leidenschaft. Ryan hatte noch nicht verwunden, was in den letzten Wochen geschehen war. Erst der Absturz des Jets, dann die quälend lange Suche nach den Vermissten, dann schließlich die Bergung des Vaters. Jessicas Verzweiflung hatte andere Gründe … Sie spürte, dass ihr die Zeit davonlief.

Unwiederbringlich.

Sie wechselte das Thema. „Triffst du dich vor der Beerdigung noch mal mit Ric?“

Ryan presste kurz die Lippen zusammen, als Jessica den Namen von Ric Perrini erwähnte, Interimsgeneraldirektor von Blackstone Diamonds und Verlobter seiner Schwester Kimberley. „Nein. Hinterher haben wir noch genug Zeit.“

„Auch für Kimberley ist das heute ein schwerer Tag“, sagte Jessica leise. Ryans Schwester hatte zehn Jahre bei Blackstones härtestem Konkurrenten Matt Hammond in Neuseeland gearbeitet und war erst nach dem Tod des Vaters wieder in die familieneigene Firma in Sydney zurückgekehrt.

„Ich weiß.“

Sei nett zu ihr, wollte Jessica sagen, aber sie hielt sich zurück. Ryan würde nie einen Rat von ihr annehmen. Denn schließlich war sie nur seine Geliebte und nicht seine Frau.

Nein, sie war noch nicht einmal seine Geliebte, sie war sein heimliches Verhältnis, von dem niemand etwas wissen durfte. Was die Leute wohl sagen würden, wenn sie erfuhren, dass die kühle Blondine, die das Blackstone’sche Juweliergeschäft in Sydney führte, nachts in den Armen des Juniorchefs lag?

Sie wären schockiert. Entsetzt. Jessica lächelte kurz. Ein Blackstone schlief mit einer Angestellten? Die Tochter eines einfachen Mechanikers war die Geliebte eines Millionärs?

Zärtlich strich Ryan ihr über den Kopf. „Weißt du, was ich jetzt am liebsten tun würde?“

Seine Stimme war sexy und liebevoll zugleich. Für einen kurzen Augenblick wünschte sich Jessica, dass sich die Erde auftäte und alles außerhalb dieser Mauern verschlänge, alle Blackstones, das Unternehmen, die Forderungen und Erwartungen der Öffentlichkeit. Nur sie beide würden übrig bleiben, Ryan und Jessica. Dann könnte sie sich in seine Arme kuscheln und für immer dort bleiben.

Wenn nur

„Was denn?“

„Ich möchte zu dir ins Bett kommen, dich küssen und das Leben feiern, anstatt zu einer Beerdigung gehen zu müssen.“ Er beugte sich vor und küsste sie.

Jessica stöhnte leise auf.

„Öffne dich mir, Liebste“, drängte er, „ich brauche dich so.“

Noch nie hatte er sich so verzweifelt angehört, und willig öffnete sie die Lippen. Sein Kuss war wild und leidenschaftlich, und sie presste sich an Ryan, als wollte sie ihn nie wieder loslassen.

Schließlich hob er den Kopf. Sein Atem ging schwer, und sein Blick drang ihr bis ins Herz. „Wie gern würde ich jetzt hier bei dir bleiben“, stieß er hervor.

Sie wusste, wie sehr er sich vor diesem Tag gefürchtet hatte. Denn die Beerdigung war der endgültige Beweis, dass sein Vater wirklich nicht mehr am Leben war und nie wiederkommen würde. Sie strich ihm über die Schultern. Wenn sie ihn doch nur von dem Schmerz und der Verzweiflung befreien könnte!

Er lächelte leicht. „Dein Körper reagiert so wunderbar auf meine Berührungen“, sagte Ryan leise. Er schob die Hand unter die Bettdecke. „Deine Brüste sind direkt etwas geschwollen. Letzte Nacht ist mir aufgefallen, wie prall sie sind.“

Ihr wurde eiskalt ums Herz. Schnell hielt sie seine Hand fest, mit der er ihr über den Bauch streichen wollte. Bisher hatte sie nicht feststellen können, dass ihr Körper sich irgendwie verändert hatte. „Dafür haben wir jetzt keine Zeit mehr“, sagte sie hastig. „Du solltest los, sonst kommst du noch zu spät.“

„Und du solltest auch aufstehen.“

„Das werde ich. Sowie du gegangen bist.“

Er beugte sich vor und küsste sie mit unendlicher Zärtlichkeit. „Ich danke dir für die letzte Nacht.“

Jessica zerriss es das Herz. Ryan konnte es nicht wissen, aber das war buchstäblich ihre letzte gemeinsame Nacht gewesen. Oder vielleicht doch nicht? Vielleicht konnte sie es ja noch eine Woche länger vor ihm verbergen?

Er stand auf und blickte auf sie herunter. „Komm nicht zu spät zur Beerdigung. Und tu nichts …“

„… wodurch die anderen merken, dass wir ein Verhältnis haben. Ich weiß. Keine Sorge.“ Das war bitter und tat weh. Besonders heute.

Er blickte sie verdutzt an. „Wie kommst du denn darauf? Ich wollte sagen, tu nichts, was mich ablenken könnte.“

„Bitte, geh, Ryan.“

Jessica blickte ihm hinterher, aber erst als sie hörte, wie sich die Fahrstuhltüren schlossen, stand sie auf.

Ihr Magen revoltierte. Sie rannte und erreichte gerade noch zur rechten Zeit das Bad. Danach wusch sie sich das Gesicht mit kaltem Wasser. Ihre Hände zitterten. Als sie den Kopf hob und sich im Spiegel sah, erschrak sie. Große braune Augen starrten sie aus einem wachsbleichen Gesicht an. Sie sah erschreckend aus, aber sie hielt dem eigenen Blick stand. Kein Selbstmitleid mehr, kein schlechtes Gewissen. Heute würde sie sich von ihm trennen. Sobald die Beerdigung vorbei war.

Und bevor jeder sehen konnte, was mit ihr los war.

Ryan stand auf den grob behauenen Steinstufen, die zu der alten Kapelle hinaufführten, wo sein Vater nun der ewigen Seligkeit übergeben werden sollte. Oder der Hölle, je nach Standpunkt des Betrachters.

Howard Blackstones Charakter ließ keine Kompromisse zu. Entweder man liebte oder man hasste ihn. Ryan hatte seinen Vater geliebt, aber ihre Beziehung war immer schwierig gewesen. Die Sonne brannte ihm auf den Rücken. Verstohlen öffnete er den obersten Hemdknopf und atmete tief durch.

Die Rosen auf dem Friedhof dufteten betörend und erinnerten ihn an Jessica. Wie verführerisch sie heute Morgen ausgesehen hatte, lang in seinem Bett ausgestreckt. Nur zu gern hätte er seinem Verlangen nachgegeben, auch um wenigstens für kurze Zeit zu vergessen, was der heutige Tag bringen würde. Wieder spürte er die Begierde, sie zu besitzen, diese Leidenschaft für sie, die ihn immer wieder verhexte.

Die Orgel ertönte. Ihm wurde das Herz schwer. Er wandte sich um und erblickte eine Gruppe dunkel gekleideter Männer, die um den Leichenwagen herumstanden. Außer Ric waren dieselben Personen wohl auch alle vor achtundzwanzig Jahren zur Beerdigung seiner Mutter da gewesen. Durch die Fenster des schwarzen Wagens konnte er den Sarg sehen, einen schweren Mahagonisarg mit Messingbeschlägen. Und darin lag sein Vater … Der Hals schnürte sich ihm zusammen.

„Ich glaube, wir sollten jetzt reingehen“, sagte eine leise Stimme hinter ihm, die Ryan dennoch wie ein spitzer Dolch traf. Wütend fuhr er herum. Sie gehörte Ric, dem Mann, den sein Vater ihm immer vorgezogen hatte.

„Vielleicht kannst du noch eine Minute warten, damit ich mich von meinem Vater verabschieden kann!“, herrschte er Ric an.

Beide Männer sahen sich an. Rics Blick wurde weich, aber das machte Ryan nur noch wütender. Mitleid konnte er nun wirklich nicht ertragen. Ric schien zu spüren, was in ihm vorging, denn seine Miene war jetzt kühl und unbeteiligt.

Ryan wandte sich ab. Die Orgelmusik wurde lauter, und er senkte den Kopf und sprach ein kurzes Gebet, bevor er an dem Wagen vorbeiging, um seinen Platz dahinter einzunehmen.

Da hielt Ric ihn kurz an der Schulter fest. „Kann ich dich kurz sprechen?“

Unwillig nickte Ryan. „Klar.“

Sie gingen ein paar Schritte zur Seite und blieben an einer hohen Hecke stehen. „Zunächst einmal: Glaub mir, dass ich aufrichtig mit dir fühle, was den Verlust deines Vaters betrifft.“

Misstrauisch sah Ryan ihn an. War Ric vielleicht deshalb so betroffen, weil er befürchtete, dass Howard sein Testament noch vor seinem Tod geändert hatte? Dass Ric nicht mehr die Aktienmehrheit erhalten würde, wie es das ursprüngliche Testament vorgesehen hatte? Weil seine Verlobte Kimberley möglicherweise überhaupt keine Anteile erben würde?

Ryan versuchte, Rics Gesichtsausdruck zu entschlüsseln, als er sagte: „Garth hat Kim erzählt, dass Howard sein Testament geändert hat.“ Garth Buick, einer von Howards ältesten Freunden und dazu noch sein Testamentsvollstrecker, war eine äußerst verlässliche Quelle.

Ric nickte. „Ja, er hat Kim gewarnt, nicht zu viel zu erwarten. Nicht nachdem sie zu Howards ärgstem Konkurrenten, dem House of Hammond, gewechselt hatte.“

Aus eigener Erfahrung konnte Ryan sich vorstellen, dass sich Vater dafür gerächt hatte. Vor zehn Jahren hatte Ric die Vertriebsabteilung übernommen, wodurch er nach Howard Blackstone der zweitmächtigste Mann im Unternehmen wurde. Ryan war daraufhin zu De Beers nach Südafrika gegangen, weil er die Degradierung nicht ertrug. Sein Vater war außer sich vor Zorn gewesen über dieses „Überlaufen zum Feind“, wie er es nannte.

Als Ryan schließlich, mittlerweile älter und reifer, in das väterliche Unternehmen zurückgekehrt war, hatte sein Vater ihn zwar wieder aufgenommen, allerdings mit einer Kälte, die ihm klarmachte, dass sein „Verrat“ nicht vergessen war. Der Vater hatte ihn dann zum Chef der Blackstone’schen Juweliergeschäfte gemacht, aber was in der Vergangenheit geschehen war, lag wie ein unüberwindbares Hindernis zwischen ihnen. Zwei Wochen vor Weihnachten hatte Ryan sich dann endlich ein Herz gefasst und einen stärkeren Einfluss in der Firma gefordert. Zu seiner Überraschung war der Vater darüber sogar erfreut gewesen.

Wenn Howard also tatsächlich ein neues Testament gemacht hatte, dann war es sehr gut möglich, dass Ryans Anteil an der Firma sich zulasten von Ric erhöht hatte.

Dadurch würde das schwierige Verhältnis zwischen ihm und Ric zwar nicht besser, aber wenn Ryan die Aktienmehrheit hielt, war das immerhin ein eindeutiges Zeichen für das Vertrauen seines Vaters zu ihm. Dadurch war er in einer stärkeren Position, und es bestand eher die Aussicht, dass er zum Vorstandsvorsitzenden des Unternehmens gewählt wurde. Die entscheidende Sitzung war für den kommenden Montagvormittag anberaumt worden.

Doch so weit waren sie noch nicht. Noch wussten sie nicht, was genau in dem neuen Testament stand. „Aber Kimberley wird doch sicher Mutters Schmuck und auch Anteile erben“, meinte Ryan. Wegen dieser Anteile hatte er schon einige schlaflose Nächte verbracht. Zusammen besaßen Ric und Kim eine beträchtliche Anzahl von Aktien und damit auch Stimmen. Ob er oder Ric Vorstandsvorsitzender wurde, hing davon ab, wie viele Aktien Kim erbte und wie sie sie bei der Wahl einsetzte.

„Das werden wir bald wissen.“ Ric blickte in Richtung der Kapelle und musterte Ryan dann mit zusammengezogenen Brauen. „Kim glaubt, dass Matt Hammond zur Trauerfeier gekommen ist. Auch wenn du und ich in vielem unterschiedlicher Meinung sind, es ist wichtig, dass wir ihm gegenüber geschlossen auftreten.“

„Kann sein.“ Ryan nickte widerstrebend. Seit seine Schwester wieder in Sydney war, hatte sie die PR-Abteilung des Unternehmens übernommen. Und es war im Wesentlichen ihr zu verdanken, dass der Kurs der Blackstone-Aktien nicht weiter in den Keller gerutscht war, sondern sich wieder gefestigt hatte. Dass Marise Hammond, die Frau von Matt Hammond und möglicherweise die letzte Geliebte von Howard Blackstone, mit ihm zusammen im Flugzeug abgestürzt war, hatte zu allen möglichen Spekulationen geführt. Und da Matt, der Chef des House of Hammond, Blackstone-Aktien aufgekauft hatte und man schon über eine feindliche Übernahme munkelte, musste die Geschäftsleitung von Blackstone Diamonds sich als besonders geschlossen präsentieren.

„Ja, Matt Hammond ist da, sitzt sogar in der ersten Reihe. Er wird sicher jedem Reporter, der es hören will, sagen, dass er da ist, um sicherzugehen, dass der ‚Kerl auch wirklich unter die Erde kommt‘.“ Ryan wusste, dass sein Vater viele Feinde hatte, und er war sicher, dass der Sohn des einzigen Bruders seiner Mutter dazugehörte.

Matt Hammond war ein Schuft, genauso wie dessen Vater Oliver. Und jetzt hatte er den Blackstones den Krieg erklärt. Ryan nickte grimmig. Okay, den konnte er haben. „Lass uns gehen.“

Der Sarg wurde aus dem Leichenwagen herausgerollt. Der Beerdigungsunternehmer, der nach alter Sitte Cut und Zylinder trug, legte das große Blumengesteck auf den Sarg, das Kimberley bestellt hatte und das aus Lilien und weißen Freesien bestand, den Lieblingsblumen der Mutter.

Als der Sarg an ihm vorbeirollte, nahm Ryan den Blumenduft wahr, und plötzlich erinnerte er sich an kurze Momente voll Sonnenschein und Gelächter. An Zeiten, in denen in seinem Elternhaus noch so etwas wie Glück geherrscht hatte. Aber das war schon lange vorbei.

Und jetzt lag das, was von seinem Vater übrig war, in diesem prachtvollen Sarg. Er konnte sich kaum vorstellen, dass er nie wieder die schroffe Stimme des Vaters hören würde. Dass er seinem Vater nie mehr würde beweisen können, dass er in der Lage war, die Firma zu leiten, und zwar mit dem gleichen Geschick und Erfolg, wie der Vater es getan hatte.

Die sechs Sargträger nahmen ihre Position ein. Ryan war vorn, Ric auf der anderen Seite. Hinter Ryan stand Garth Buick, hinter Ric Kane Blackstone. Die beiden älteren Brüder von Howard, Vincent und William, nahmen die beiden hinteren Plätze ein.

Ryan sah Onkel William bewusst nicht an. Vor zwei Monaten hatte der Onkel seine Anteile von zehn Prozent an Matt Hammond verkauft und hatte dadurch den Stein ins Rollen gebracht und die Spekulationen hervorgerufen. Er bückte sich und packte den Griff. „Also, los!“

Die sechs hoben den Sarg an. Ryan begegnete Rics ernstem Blick und bemühte sich, nicht zu zeigen, was in ihm vorging. Für ihn war es das Wichtigste auf der Welt, zu beweisen, dass er für die Position geeignet war, die sein Vater ihm nie zugetraut hatte, nämlich das Unternehmen zu führen.

Als sie die Kapelle betraten, schwoll der Orgelklang an. Ryan warf einen kurzen Blick auf die vordersten Reihen, konnte aber Matt Hammond nicht entdecken. Schnell sah er sich nach Jessicas blondem Schopf um, aber auch sie sah er nicht. Doch sicher war sie irgendwo. Kurz dachte er an die letzte Nacht und war plötzlich sehr viel ruhiger. Jessica war eine wunderbare Geliebte. Der Trost, den er in ihren Armen fand, würde ihn diesen Tag überstehen lassen.

Sie setzten den Sarg unter der Kanzel ab, auf der der Pfarrer schon wartete. Kimberley, die in der ersten Reihe saß, machte ihnen ein Zeichen, und Ric und Ryan setzten sich neben sie.

Wieder sah Ryan sich suchend um. Immer noch konnte er weder Matt noch Jessica sehen.

„Sie sitzt ganz hinten“, flüsterte Kim.

Scheinbar uninteressiert blickte Ryan sie an. „Wer?“

„Jessica.“ Kim sah ihn fragend an. „Nach ihr suchst du doch, oder?“

Ryan sagte nichts, sondern starrte stur geradeaus auf den Sarg. Glücklicherweise fing der Pfarrer jetzt an zu sprechen, und so brauchte Ryan nicht zu antworten.

Woher wusste Kim, dass er nach Jessica Ausschau hielt? Sicher, sie hatte immer eine gute Menschenkenntnis gehabt, aber er hatte doch nun wirklich alles getan, um die Affäre mit Jessica geheim zu halten.

Die Kapelle war bis auf den letzten Platz besetzt. Die Hitze wurde unerträglich. Jessica stand kurz vor einer Ohnmacht. Sie kniff die Augen zusammen, um der Übelkeit Herr zu werden, die wieder in ihr aufstieg. Und dabei hatte sie nur ein winziges Stück Toast gegessen.

„Liebes, was ist mit dir? Geht es dir nicht gut?“ Besorgt sah ihre Mutter sie an.

„Doch.“ Wieder überkam sie dieses Gefühl der Übelkeit. „Oder vielleicht auch nicht“, stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Ihre Mutter wusste nichts von der Schwangerschaft, und auf Howard Blackstones Beerdigung wollte sie sie nicht gerade damit überraschen.

Morgendliche Übelkeit, was für ein Unsinn. Es war bereits nach Mittag.

„Komm, ich geh mit dir raus.“

„Raus?“ Entsetzt blickte sie ihre Mutter an. „Du meinst, jetzt, mitten in der Trauerfeier?“ Bei dem Gedanken wurde ihr gleich wieder übel. Sie hatte sich extra mit den Eltern in die hinterste Reihe gesetzt, damit sie möglichst wenig auffielen, was sowieso nicht so einfach war, weil ihr Vater im Rollstuhl saß. Aber wenn sie jetzt die Kapelle verließen …

Ihre Mutter nickte. „Ja. Du musst unbedingt an die frische Luft. Du bist weiß wie ein Laken, Jessica.“

Eine Frau mit einem Hut, der aussah wie ein umgedrehter Blumentopf, blickte sich empört um. Jessica lächelte entschuldigend und legte der Mutter die Hand auf den Arm. „Keine Sorge, alles in Ordnung“, wisperte sie.

Sally Cotter war davon nicht überzeugt. „Wenn du meinst“, flüsterte sie und seufzte.

Der Blumentopf drehte sich wieder um.

Jessica schloss die Augen. Sie fühlte sich furchtbar elend. Als die Trauergemeinde endlich aufstand und die abschließende Hymne sang, war sie ungeheuer erleichtert. „Ich warte dann draußen auf euch“, sagte sie und erreichte als Erste die Tür. Draußen atmete sie erst einmal tief durch. Dann stürzte sie zur Toilette in dem kleinen Nebenraum der Kapelle. Nachdem sie sich das Gesicht kalt gewaschen hatte, fühlte sie sich etwas besser.

Ihr Arzt hatte ihr zwar Tabletten gegen die Übelkeit gegeben, aber Jessica hatte Hemmungen, sie zu nehmen. Das war vielleicht keine gute Idee gewesen, denn so war sie mitten während der Trauerfeier fast ohnmächtig geworden. Noch im Nachhinein zitterte sie vor Entsetzen. Was Ryan wohl gesagt hätte? Und an die Gerüchte, die sofort aufgekommen wären, mochte sie gar nicht denken. Schnell holte sie die kleine Schachtel aus der Tasche und nahm eine Tablette.

Als sie um die Ecke kam, sah sie, dass die Tür der Kapelle geöffnet war und die Menge herausströmte. Sie reckte den Hals und sah sich nach ihren Eltern um, aber sie konnte sie nirgends entdecken. Wahrscheinlich waren sie noch drinnen. Doch als sie die Stufen wieder hochstieg und sich zu ihrem alten Platz durchdrängen wollte, packte sie plötzlich jemand beim Arm und zog sie zur Seite.

Ryan.

„Jessica, ich habe dich gar nicht gesehen. Warst du die ganze Zeit draußen?“

„Nein, ich bin nur als Erste rausgestürzt. Ich musste dringend auf die Toilette.“

„Danke, dass du gekommen bist.“

„Aber das war doch selbstverständlich. Er war schließlich dein Vater.“

„Und dein Chef.“

„Nein, du bist doch mein Chef.“ Verlegen senkte sie den Blick.

„Sieh mich nicht so an.“ Er blickte sie verlangend an. „Kaum zu glauben, aber ich will dich. Sofort.“

„Ryan …“ Ihr wurde ganz heiß vor Erregung. Was für ein anderes Gefühl als die Übelkeit, die sie noch vor wenigen Minuten gequält hatte. „Was sollen die Leute denken …“

„Das ist mir im Augenblick vollkommen egal.“ Er griff nach ihrem Arm. „Jess …“

„Vorsicht!“ Entschlossen entzog sie ihm den Arm. „Man wird über uns reden. Und glaub mir, das ist dir dann sicher nicht egal.“

Bevor er etwas darauf erwidern konnte, war sie die Stufen hinaufgelaufen und in der Menge verschwunden.

Ryan steuerte seinen schwarzen BMW durch das Tor auf der Victoria Street auf den Rookwood Friedhof und folgte dabei dem Leichenwagen, der langsam die gewundenen Wege entlangfuhr, an den Gräbern vorbei. Sie erreichten den alten Teil des Friedhofs, durch den der Serpentine Kanal führte, der von saftigem Grün umgeben war. Als der große schwarze Wagen stoppte, hielt Ryan dicht hinter ihm.

Er stieg schnell aus und ging zu der Grube, die frisch neben einer Norfolktanne ausgehoben war. Sein Gesicht verriet keine Regung. Er hatte sich fest vorgenommen, sich nicht anmerken zu lassen, wie hart dieser Tag für ihn war.

Weiter hinten lag das Grab seines Großvaters Jeb, daneben das seiner Mutter. Erst jetzt bemerkte Ryan, dass Tante Sonya neben ihm stand und auf den Stein von Ursula Blackstone blickte, ihrer Schwester. Zärtlich legte Ryan der Tante den Arm um die Schultern.

„Ich komme manchmal hierher und kümmere mich um die Rosenstöcke, die Ursula für James gepflanzt hat“, sagte Sonya leise. „Sie war gewöhnlich jeden Sonntag hier. Und ich schaffe es höchstens alle paar Monate.“ Sonya schluckte. „Und nun ist auch Howard bei ihnen.“

Auf einer kleinen Plakette neben der Grabplatte seiner Mutter, von Rosenbüschen umgeben, stand: In Erinnerung an unseren vermissten Sohn James. Eines Tages sehen wir uns wieder. Aber die Eltern hatten ihren Erstgeborenen nie wiedergesehen, der als Zweijähriger gekidnappt worden war.

Sonya war Ryans Blick gefolgt. „Vielleicht sind die drei ja jetzt vereint“, murmelte sie.

„Vielleicht.“ Ryan musste daran denken, wie hartnäckig Howard sich geweigert hatte, sich mit James’ Tod abzufinden. Jahrelang hatte er Privatdetektive auf eine Spur angesetzt, die inzwischen schon eiskalt gewesen war. Vielleicht hatte Sonya recht, und sie fanden im Tod ihren Frieden.

Gemeinsam gingen sie zu der offenen Grube, und jetzt konnte Sonya die Tränen nicht länger zurückhalten. Ryan blickte sich hilflos um. Wo blieb denn bloß Kimberley? Doch statt der Schwester stand Matt Hammond nur wenige Meter entfernt und sah ihn scharf an. „Wer meiner Familie etwas antut, wird nicht so leicht davonkommen, das wirst du schon noch sehen“, stieß er zwischen zusammengepressten Zähnen hervor und trat dann auf die andere Seite des Grabes.

Ryan warf ihm einen zornigen Blick zu. Das hatte ihm noch gefehlt. Er fühlte, wie eine unbändige Wut in ihm aufstieg. Doch dann spürte er, dass Sonyas Schultern bebten, und war vorübergehend abgelenkt. „Beruhige dich“, flüsterte er und zog die Tante tröstend an sich.

Der Pfarrer fing an zu sprechen. Ryan schloss die Augen. Und dann hatte er plötzlich Erde in der Hand, stand an dem offenen Grab und ließ die Erde auf den Sarg herabrieseln.

Asche zu Asche.

Ryan schluckte. Ihm schnürte sich der Hals zusammen, als die Trauer und das Entsetzen über den Verlust des Vaters ihn ganz plötzlich überfielen. Irgendjemand griff nach seiner Hand. Kimberley. Er fuhr zusammen und trat zurück.

„Alles okay?“

Er nickte, entzog ihr die Hand und drängte sich durch die Menge, die das Grab umstand. Bloß weg von hier, irgendwohin, wo ihn keiner beobachtete und er in Ruhe trauern konnte.

Jessica.

Ob sie auch ans Grab gekommen war? Er drehte sich um und warf einen Blick über die Menge der Trauergäste. Dahinten, das war sie. Er erkannte ihre schmale Gestalt und das helle Haar. Sie war nicht allein, wie er eigentlich erwartet hatte. Aber sie stand auch nicht mit den anderen Angestellten zusammen, sondern neben einem älteren Paar. Der Mann saß in einem Rollstuhl, und die Frau kam Ryan irgendwie bekannt vor.

Dann fiel sein Blick wieder auf Jessica. Wie sehr sehnte er sich danach, mit ihr zusammen zu sein, ganz weit weg von diesem Friedhof und all den traurigen Erinnerungen, die damit verknüpft waren. Jetzt hatte auch Jessica ihn gesehen und hob kurz die Hand.

Er nickte ihr zu und lächelte leicht. Irgendwie fühlte er sich sofort getröstet. Als das abschließende Gebet gesprochen wurde, schloss er die Augen. Danach drehte er sich wieder nach ihr um und sah, dass sie den Rollstuhl in Richtung der parkenden Wagen schob.

Wollte sie etwa schon gehen?

Mit langen Schritten eilte Ryan hinter ihr her. „Jessica“, rief er halblaut, sowie er die Menge hinter sich gelassen hatte. Aber sie schien ihn nicht zu hören, denn sie wandte sich nicht um, sondern half dem Mann aus dem Rollstuhl ins Auto. Jetzt fing Ryan an zu laufen und erreichte sie, gerade als sie die Fahrertür öffnete.

Verwundert musterte Ryan den Wagen. Das war doch nicht Jessicas Toyota? „Du kommst nicht mehr mit nach Miramare?“, fragte er schnell.

Sie wich seinem Blick aus. „In deinem Elternhaus bin ich noch nie gewesen“, sagte sie leise. „Und dabei wird es wohl bleiben. Außerdem will ich meine Eltern nach Hause fahren.“

Ihre Eltern? „Willst du mich nicht vorstellen?“ Ryan duckte sich und blickte ins Auto.

„Mum, Dad, dies ist … Ryan Blackstone“, sagte sie mit merklichem Zögern, was Ryan seltsamerweise verärgerte.

„Und das sind meine Eltern, Sally und Peter Cotter.“

Mrs Cotter lächelte Ryan freundlich an. Mr Cotter dagegen blickte eher misstrauisch. Weshalb er wohl im Rollstuhl saß? Ob die Eltern wussten, dass Jessica und er ein Verhältnis hatten? Erst jetzt fiel ihm auf, dass er noch nie darüber nachgedacht hatte, ob und was sie ihnen über ihr Privatleben erzählte. Und auch nicht darüber, dass sie doch wahrscheinlich die Menschen, die ihr nahestanden, belügen musste.

Ihre Eltern zum Beispiel. Ihre Freunde.

Dieser Gedanke war ihm sehr unangenehm. Er hatte auf absoluter Geheimhaltung bestanden, ohne darüber nachzudenken, was das für Jessica bedeutete. Und warum? Weil er nicht wollte, dass alle Welt Bescheid wusste. Dass er nämlich mit einer seiner Angestellten schlief. Das war wirklich sehr unfair Jessica gegenüber.

Er richtete sich auf und trat ein paar Schritte zurück, wobei er Jessica mit sich zog. „Bitte, Jess, komm doch noch mit nach Miramare.“

„Ich glaube nicht …“

Plötzlich fühlte er sich fürchterlich einsam. „Aber ich möchte so gern, dass du kommst.“

Sie hob den Kopf und sah ihn mit großen Augen an. Sie schien verwirrt zu sein, aber da war noch etwas anderes in ihrem Blick, das er nicht gleich enträtseln konnte. „Du hast mich noch nie in dein Elternhaus mitgenommen. Warum denn dann jetzt? Die anderen Angestellten kommen doch bestimmt auch nicht.“

Er wusste nicht, was er darauf antworten sollte, nur dass er sie dabeihaben wollte. Selbst wenn sie auf der anderen Seite des Raumes stand, würde es ihn trösten, ihre dunkle weiche Stimme zu hören und ihre zierliche Gestalt zu sehen.

Immer noch blickte sie ihn fragend an. Also sah er sich kurz um und sagte dann leise: „Ich habe dir davon noch nichts erzählt, aber es gibt Gerüchte, dass mein Vater sein Testament geändert hat.“

„Na und?“ Sie zog kurz die Augenbrauen zusammen, aber dann bemerkte sie, wie ernst es ihm mit seiner Bitte war, und sie nickte. „Gut, aber ich will erst meine Eltern nach Hause fahren.“

„Jessica …“ Ihre Mutter steckte den Kopf zum Wagenfenster hinaus. „Wir können doch an dem Haus der Blackstones vorbeifahren. Ich fahre dann von dort aus nach Hause.“

„Ich möchte nicht, dass du fährst, Mum. Nicht heute.“ Jessica wechselte einen langen Blick mit ihrer Mutter.

Was bedeutete das? Ryan sah fragend zwischen beiden Frauen hin und her.

„Ich nehme mir ein Taxi, nachdem ich euch abgeliefert habe. Und nachher fahre ich mit einem Taxi nach Hause. Kein Problem.“ Jessica lächelte die Mutter beruhigend an.

„Was? Die ganze lange Strecke zurück in dein leeres Apartment in Chippendale?“

„Keine Sorge, ich bringe Ihre Tochter nach Hause … später“, warf Ryan schnell ein. Offenbar wussten die Eltern nicht, dass Jessica schon seit fast einem Jahr in seinem Penthouse wohnte. Sicher war es ihr sehr schwer geworden, diesen Schwindel so lange aufrechtzuerhalten. Da sie nur ihr Handy benutzte, hatte sie vor den Eltern gut verbergen können, dass sie nicht mehr in Chippendale wohnte. Allerdings besuchte sie die Eltern jedes Wochenende und hatte bestimmt ihre ganze Überzeugungskraft aufwenden müssen, um die Mutter von einem Gegenbesuch abzuhalten.

„Gut, dann wäre das ja geklärt. Bis später dann.“

Das war ja gerade noch mal gut gegangen. Ryan trat zurück und ließ Jessica einsteigen. Mit diesen Schwierigkeiten hatte er überhaupt nicht gerechnet.

2. KAPITEL

Ryan stürzte an Garth Buicks ausgestreckter Hand vorbei aus dem Arbeitszimmer seines Vaters und rannte blind vor Zorn den Flur hinunter. Ihm war, als wäre ihm der Boden unter den Füßen weggezogen worden. Vor ihm ging Matt Hammond mit langen Schritten, und es sah ganz so aus, als wäre auch er wütend und hätte nicht die Absicht, länger in dem Haus zu bleiben.

„Ryan.“ Kimberley kam hinter ihm her, und Ryan drehte sich zu ihr um. Sie war weiß wie die Wand und starrte ihn fassungslos an. Zum ersten Mal seit vielen Jahren griff er nach ihrer Hand und nahm sie in die Arme. Sie zitterte und war steif wie ein Brett. Schnell zog er sie in das Musikzimmer und schob die Tür mit dem Fuß zu.

„Dieser alte Schuft“, stieß Ryan verbittert hervor.

„Wie konnte er das tun? Wie konnte er mich vollständig enterben?“ Kim drückte das Gesicht gegen Ryans Jackettaufschläge. „Ich bin doch immerhin seine Tochter, verdammt noch mal!“

„Er hat deinen Anteil jemandem vermacht, der überhaupt nicht existiert! James ist tot!“ Ryan konnte nur den Kopf schütteln. Das war alles total verrückt und kaum zu erklären, da Howard Blackstone seinen Verstand immer glasklar beisammengehabt hatte.

Er war kaltherzig.

Und manipulierte gern.

Aber verrückt? Das war er nie gewesen.

Höchstens in einer Beziehung. Dass er nicht davon abzubringen war, sein ältester Sohn wäre noch immer am Leben. Irgendwo.

„Auf keinen Fall wird James in den nächsten sechs Monaten hier auftauchen und sein Erbe beanspruchen.“ Ryan drückte Kimberley tröstend an sich. James’ Geist verfolgte sie, seit er als Zweijähriger entführt worden war. Vielleicht sollten sie Verständnis dafür haben, dass der Vater dem toten Bruder Miramare hinterlassen hatte.

„Aber die Aktien gehen zu gleichen Teilen an dich und an Ric.“ Kimberley schluchzte kurz auf. „Ich bekomme nichts. Der Absatz in dem Testament ist klar und deutlich.“

Das bedeutete, dass Ric und Ryan die gleiche Anzahl Aktien halten würden. Dem Vater hatte es immer ein hämisches Vergnügen bereitet, die beiden gegeneinander auszuspielen.

„Dad hatte kein Recht, Mutters Schmuck Marise Hammond zu hinterlassen.“ Sofort hatte Ryan den kapriziösen Vamp vor Augen. Sie hatte, obgleich sie mit Matt Hammond, dem ärgsten Konkurrenten von Blackstone, verheiratet war, versucht, sich an ihn heranzumachen, wann immer sich eine Gelegenheit ergab. Doch er war stur geblieben, und so hatte sie sich einen dickeren Fisch geangelt, seinen Vater. Ihr hatte Howard den Schmuck vererbt – und nicht nur das, sondern auch noch eine siebenstellige Summe. Davon hatte sie jetzt allerdings nicht mehr viel, denn sie war mit Howard zusammen abgestürzt.

Und seine Schwester hatte nichts bekommen.

„Ich werde das Testament anfechten“, sagte Kimberley entschlossen. Ihre Stimme war härter als der funkelnde Diamant, den sie am Ringfinger trug. „Mein ganzes Leben habe ich um seine Anerkennung gekämpft. So lasse ich mich nicht abspeisen. Das lasse ich ihm nicht durchgehen.“

„Das wird nicht einfach sein.“ Ric stand in der Tür. „Im Testament steht klar und deutlich, dass er dich enterbt. Das war sein Wille kurz vor seinem Tod.“

Kim riss sich von Ryan los und warf sich in die Arme ihres Verlobten. „Oh Ric. Wenn er mich hart treffen wollte, dann ist ihm das perfekt gelungen.“

„Beruhige dich, Liebste. Er ist tot. Dein Vater kann dich nur treffen, wenn du es zulässt. Du schaffst dir dein eigenes Glück.“ Ric neigte den Kopf und küsste Kim liebevoll.

Plötzlich fühlte Ryan sich wie ein Außenseiter, der in der zärtlichen Einheit, die Schwester und Schwager bildeten, keinen Platz hatte. Leise ging er an ihnen vorbei den Flur entlang bis in die Eingangshalle.

Dort hatten sich dunkel gekleidete Männer in Gruppen zusammengefunden und sprachen ganz offensichtlich über den schockierenden Inhalt des Testaments. Denn als Ryan näher kam, verstummten sie und sahen ihn neugierig an. Er ließ sich nichts anmerken und nahm im Vorbeigehen freundlich lächelnd Beileidsbekundungen entgegen.

Das einzig Gute an dem Testament war die Tatsache, dass sein Vater ihn und Ric absolut gleichgestellt hatte. Dennoch, die Lücke, die James hinterlassen hatte, hatte er in den Augen des Vaters nie ausfüllen können. Das hätte Howard nicht deutlicher ausdrücken können.

Tief enttäuscht ließ Ryan den Kopf hängen, raffte sich dann aber wieder auf. Keiner brauchte zu wissen, wie es in ihm aussah. Er ging in den großen Salon, wo sich die Trauergemeinde versammelt hatte. Es duftete nach Kaffee. Ob Jessica schon gekommen war? Er ließ den Blick über die Menge schweifen, bis er einen hellblonden Schopf entdeckte. Als spürte sie seinen Blick, drehte Jessica sich um und sah ihn mit ihren großen braunen Augen zärtlich an.

Und zum ersten Mal an diesem Tag löste sich der harte Knoten in seiner Brust.

Als Jessica Ryans ernste und angespannte Miene sah, wurde ihr klar, wie sehr er litt. Der letzte Monat war schwer für ihn gewesen. Immerhin waren die Beerdigung und auch die Testamentseröffnung vorüber. Vielleicht wurde jetzt alles wieder etwas normaler für ihn.

Dann fiel ihr ein, was er über eine mögliche Testamentsänderung gesagt hatte.

Normaler? Vielleicht doch nicht.

Denn wenn sie seinen Gesichtsausdruck richtig deutete, als er auf sie zukam, dann war das Schlimmste eingetreten, was er sich hatte vorstellen können. Als er sie erreicht hatte, wandte sie sich zu ihm um. „Dann stimmen die Gerüchte also?“, flüsterte sie. „Howard hat sein Testament geändert?“

„Ja.“ Er fuhr sich wütend durch das schwarze Haar. „Er hat Kim enterbt.“

„Oh nein!“ Jessica schlug sich entsetzt die Hand auf den Mund. Sie hatte gehört, dass es Auseinandersetzungen zwischen Howard und seiner Tochter gegeben hatte. Aber inwiefern war Ryan betroffen? „Und sonst? Was steht sonst noch darin?“

Er lachte zynisch auf. „Mein Vater hat dreißig Prozent seiner Anteile meinem Bruder vermacht.“

„Deinem Bruder?“ Jessica sah ihn verblüfft an. „Aber dein Bruder ist doch …“

„Tot“, unterbrach Ryan sie. „Nur hat mein Vater das nie akzeptieren wollen. Er hat nie die Hoffnung aufgegeben, dass James doch eines Tages wieder auftauchen würde.“

„Und ist er aufgetaucht?“

„Nein. Aber Garth meinte, Dad sei geradezu euphorisch gewesen kurz vor seinem Tod. Er war sicher, eine neue Spur gefunden zu haben.“ Er schüttelte langsam den Kopf. „James ist vor zweiunddreißig Jahren verschwunden. Ich kann nur schwer glauben, dass Vater sich wieder von irgendeinem Scharlatan etwas einreden ließ, der ihm bestimmt nur Geld abnehmen wollte.“

Armer, liebster Ryan. Jessica kam ein wenig näher und hätte ihn am liebsten in die Arme genommen und getröstet.

Aber keiner durfte wissen, dass sie ein Verhältnis hatten.

Selbst heute nicht.

Irgendwie tat ihr auch Howard Blackstone leid, obwohl sie ihn immer verabscheut hatte. Wie schrecklich musste es sein, ein Kind zu verlieren, noch dazu auf diese Weise.

Schon der Gedanke, ihr ungeborenes Kind zu verlieren, war schwer zu ertragen. Wie waren Ursula und Howard nur damit fertig geworden? „Und was passiert jetzt?“, fragte sie und bemühte sich um einen nüchternen Tonfall. „Wenn kein Bruder da ist, der erben kann, wer bekommt dann die Anteile?“

Ryan lachte bitter auf. „In einem halben Jahr werden Ric und ich zu gleichen Teilen erben. Zusätzlich zu den dreißig Prozent, die uns sowieso nach dem neuen Testament zustehen.“

„Und das ist es dann, oder?“ Jessica betrachtete Ryans schöne männliche Gesichtszüge, die sie so sehr liebte. Diese jadegrünen Augen, die gerade Nase, der gut geschnittene Mund.

„Nein, ich glaube nicht, dass damit die Sache erledigt ist. Als James nicht wieder auftauchte, war nichts mehr so wie früher. Er war der Erstgeborene. Der Erbe“, erwiderte Ryan gepresst.

Sie begriff, was in ihm vorging. „Und du hast versucht, seinen Platz einzunehmen? Der Sohn zu sein, den dein Vater sich immer wünschte?“

Er warf ihr einen kurzen Blick von der Seite her zu. „Das konnte ich nie sein. Außerdem war ich nicht der Einzige, der sich um die Anerkennung des Vaters bemühte. Auch Kim sehnte sich danach. Wir waren beide sehr gut in der Schule. Ich spielte Kricket und Rugby und machte bei Triathlonausscheidungen mit. Ich tat alles, nur um …“ Er senkte den Kopf und seufzte leise. „Aber was soll’s? Mein Vater ist tot.“

Wahrscheinlich glaubt er, dass er nie die Erwartungen des Vaters erfüllt hat, dachte Jessica. Plötzlich verstand sie den Mann so viel besser, dessen Geliebte sie seit zwei Jahren war. Er hatte Seiten seines Charakters offenbart, die sie wahrscheinlich nie kennengelernt hätte, wenn das neue Testament nicht gewesen wäre.

War das vielleicht der Grund, warum er ihr seine Gefühle nicht offenbarte? Weil er befürchtete, dass niemand ihn lieben konnte?

„Aber immerhin hat mein Vater den Löwenanteil der Aktien nicht Ric vermacht“, sagte er, und in seiner Stimme schwang unüberhörbar eine gewisse Befriedigung mit.

Jessica wandte sich ab. Diese ständige Rivalität zwischen den beiden beschäftigte Ryan viel zu sehr, und das beunruhigte sie. „Da dein Vater nun nicht mehr ist, werdet ihr, du, Ric und Kim, wohl Blackstone Diamonds führen und …“

„Ric ist kein Blackstone“, fiel Ryan ihr ins Wort. „Ich bin der einzige überlebende Sohn. Unter meiner Führung sind die Gewinne der Vertriebsabteilung enorm gestiegen. Damit habe ich bewiesen, was ich kann. Also sollte ich auch das Unternehmen leiten. Mir steht der Posten des Vorstandsvorsitzenden zu.“

Jessica wollte etwas einwenden, war jedoch so erschrocken über die Härte und fehlende Einsicht von Ryan, dass sie schwieg. Was hätte es auch für einen Sinn? Ryan hatte nie auf sie gehört. Und er sah nicht so aus, als würde er jetzt damit anfangen.

Vorsichtig biss Jessica von dem Butterkeks ab, schluckte und wartete. Nichts geschah. Ihr Magen meldete sich nicht. Also aß sie noch ein Stück.

Ryan war vor wenigen Minuten mit Garth Buick auf die andere Seite des Raums gegangen und stand jetzt mit einer Gruppe schwarz gekleideter Männer zusammen. Verständlicherweise wollte er nicht zu lange mit ihr gesehen werden, um nicht irgendwelche Gerüchte aufkommen zu lassen.

Doch anstatt dadurch in ihrer Absicht bestärkt zu werden, ihn zu verlassen, wurde sie wieder schwankend. Sollte sie ihn wirklich noch an diesem Tag damit konfrontieren? An einem Tag, an dem er so viel hatte durchmachen müssen?

Vielleicht sollte sie noch eine Woche warten? Schließlich hatte sie den Abschied schon einmal aufgeschoben, als sein Vater mit dem Flugzeug abgestürzt war. Warum nicht noch einmal? Ryan verbrachte sowieso mehr Zeit im Büro als im Penthouse und würde sicher nichts merken.

Sie wandte sich ab. Ein paar Meter weiter stand Dani Hammond, Ryans Cousine, die dabei war, sich als Schmuckdesignerin einen Namen zu machen. Sollte sie sich ihr vorstellen? Jessica entschied sich dagegen. Die Beerdigung von Danis Onkel war vielleicht kein guter Anlass.

Jemand berührte ihren Arm, und Jessica fuhr herum.

„Jess?“

Es war Briana Davenport, eins der aktuellen Topmodels der australischen Modeszene, die auch für Blackstone Diamonds Werbung machte. Ihre Schwester Marise war mit Matt Hammond verheiratet gewesen und bei dem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen, zusammen mit Howard Blackstone, seinem Anwalt Ian Van Dyke, dem Piloten und dem Flugbegleiter. Eine fürchterliche Tragödie.

Briana sah bleich und elend aus. Unter den Augen lagen dunkle Schatten, und ihr schönes goldbraunes Haar hatte sie in einem festen Knoten zusammengefasst.

„Schätzchen, wie geht es dir?“, fragte Jessica. Briana war so etwas wie eine Freundin für sie. Sie hatten sich in der Firma kennengelernt und sich auf Anhieb gut verstanden. Da Briana als Model viel unterwegs war, hatten sie nicht oft Gelegenheit, sich zu treffen. Was Jessica nur recht sein konnte, weil sie so für Ryan Zeit hatte, ohne sich vor der Freundin rechtfertigen zu müssen.

Briana lächelte matt. „Zwei Beerdigungen in weniger als einem Monat, das ist etwas viel. Auch wenn Marise und ich uns nie sehr gut verstanden haben, so war sie doch meine Schwester. Und ich ertappe mich dabei, dass ich in den unmöglichsten Situationen plötzlich anfange zu weinen.“

„Das ist doch vollkommen verständlich.“ Jessica legte ihr tröstend die Hand auf den Arm. Glücklicherweise wusste Briana nicht, dass auch Jessica mit Howard hatte fliegen sollen. Auch sie wäre jetzt bereits beerdigt.

Sie hatte einfach nur Glück gehabt. Wenn Howard nicht so ein Ekel gewesen wäre, hätte sie ihn begleitet und wäre jetzt tot.

„Und weißt du, was das Schlimmste ist?“

Jessica schreckte aus ihren Gedanken hoch. „Was denn?“

„Die Leute sagen, dass Marise Howards Geliebte war. Ist das nicht widerlich? Er war immerhin mehr als dreißig Jahre älter als sie.“ Briana schniefte kurz und hatte Mühe, die Tränen zurückzuhalten.

„Lass sie doch reden.“ Jessica wusste, dass Howard hinter allen jungen Frauen her gewesen war. Aber das würde sie Briana nicht auf die Nase binden. „Das geht vorbei. Die Medien finden bald einen neuen Skandal, über den sie berichten können. Schließlich gibt es keine Beweise für diese Gerüchte.“

Briana runzelte die Stirn. „Ja, weißt du es denn nicht?“

„Was?“

„Hast du nichts von dem Testament gehört?“

„Was ist damit?“

„Marise hat eine astronomisch hohe Summe geerbt.“

Das hatte Ryan nicht erwähnt. Warum musste sie ihm bloß jede Information aus der Nase ziehen? War sie so unwichtig für ihn, dass er noch nicht einmal das mit ihr besprach, was sein Leben fundamental betraf?

Das bestätigte sie wieder einmal in ihrem Entschluss, sich von ihm zu trennen. Ihre Beziehung hatte keine Zukunft. Sie musste sie beenden. Je eher, desto besser.

„Marise ist auch als Erbin für Ursulas Schmuck eingesetzt worden. Aber natürlich ist das ganz egal, jetzt, wo sie tot ist.“ Brianas Augen füllten sich wieder mit Tränen.

Arme Kimberley. Der Schmuck ihrer eigenen Mutter sollte an eine Fremde gehen. Das war bitter. „Das wusste ich nicht.“

„Und für Blake, den Sohn von Marise, hat Howard einen Trust ausgesetzt. Kein Wunder, dass man bereits munkelt, mein Neffe sei Howards Sohn.“

„Du liebe Zeit! Wenn das wahr ist, wird Matt Hammond die Blackstones noch mehr hassen als jetzt schon. Dann wäre der Junge Ryans …“

„Kleiner Halbbruder.“ Briana nickte. „Es ist einfach entsetzlich. Was für ein gefundenes Fressen für die Presse, wenn das herauskommt.“

„Oh Gott!“ Jessica wusste, dass Briana recht hatte. „Arme Kimberley. Armer Ryan. Und vor allem auch armer Matt Hammond.“ Das Herz wurde ihr schwer. Wenn Marise ihn tatsächlich mit Howard betrogen hatte und Kimberley ihren Job bei Hammonds aufgab und in das väterliche Unternehmen zurückkehrte, war es verständlich, dass er verbittert war.

Briana trocknete sich die Tränen. „Pst!“, ermahnte sie Jessica dann, „da kommt Ryan.“ Sie zwang sich zu einem kurzen Lächeln und hielt dem angeheirateten Cousin die Wange hin. „Es tut mir so leid, Ryan.“

„Danke.“ Ryan vermied es, Jessica anzusehen. „Kann ich den Damen etwas zu trinken bestellen? Einen Kaffee vielleicht? Es gibt sogar Champagner. Offenbar haben manche Leute das Gefühl, den Tod meines Vaters feiern zu müssen.“

„Ich brauche unbedingt etwas Stärkeres, um meinen Kummer zu ertränken“, meinte Briana. Dann hielt sie sich die Hand vor den Mund und starrte Ryan entsetzt an. „Entschuldige, das habe ich nicht sagen wollen.“

„Das weiß ich doch, Briana. Jeder in meiner Nähe ist übervorsichtig, aus Angst, etwas Falsches zu sagen. Da tut es richtig gut, wenn jemand sich verspricht. Ich hole mir einen kleinen Sherry. Möchtest du auch einen?“

„Ja, danke.“

„Und Sie, Jessica? Was möchten Sie?“

Immerhin sah er sie jetzt an, wenn auch nur freundlich und distanziert. „Bitte einen Tee“, sagte sie und lächelte genauso höflich. Keiner konnte ahnen, was nachts in seinem Penthouse geschah.

„Tee? Bei dieser Hitze? Sind Sie sicher?“

„Absolut. Bitte mit Milch, aber ohne Zucker.“ Als ob er das nicht genau wüsste.

Beide Frauen sahen ihm hinterher. „Was für ein gut aussehender Mann“, seufzte Briana. „Seltsam, dass er nicht verheiratet ist oder wenigstens eine feste Freundin hat.“

Am liebsten hätte Jessica sich Briana anvertraut. Aber sie wusste, Ryan legte größten Wert darauf, dass keiner von ihrem Verhältnis erfuhr. Und immer, wenn Frauen von seinem Aussehen schwärmten und sich darüber unterhielten, ob er wohl eine Freundin habe oder gut im Bett sei, gab es ihr einen Stich. Dann ärgerte sie sich, dass er ihr das Versprechen abgenommen hatte. Aber sie war damals wie verzaubert gewesen und hatte gar nicht anders handeln können. Wie sonst in diesen Fällen versuchte sie Briana abzulenken. „Findest du, dass Blake Howard ähnlich sieht?“

Empört sah Briana sie an. „Sag bloß, du glaubst auch, dass …“

„Ich weiß nicht, was ich glauben soll.“ Ehrlichkeit war sicher die beste Taktik. „Bestimmt versuchen jetzt viele Leute, eine Ähnlichkeit zu entdecken. Da sollte man auf alles vorbereitet sein.“

„Wenn du meinst.“ Briana zog die hübsche Nase kraus. „Blake hat dunkles Haar und ein süßes Lächeln. Ich muss mir mal die Bilder ansehen. Leider sehe ich ihn ja nicht oft. Der arme Kleine. Er hat keine Mutter mehr. Vielleicht kann ich mich ein bisschen mehr um ihn kümmern. Ich sollte mal mit Matt sprechen.“

„Tu das.“ Doch Jessica musste immerzu an Ryan denken. Wenn es stimmte, was vorläufig nur Gerücht war, wie würde er mit dem Wissen umgehen, plötzlich einen Bruder zu haben? Noch war Blake ein Kind, aber Matt Hammond war sein Vormund. Und Matt hatte mehr als einmal betont, dass er die Blackstones vernichten wollte.

Ein Kellner kam mit dem Sherry und dem Tee.

„Sieh doch nur.“ Briana wies mit dem Kopf auf drei Frauen, die immer wieder zu ihnen herübersahen und dann die Köpfe zusammensteckten. „Sie sprechen über mich. Und über Marise. Widerlich.“

Jessica warf den Frauen einen scharfen Blick zu, die ihnen daraufhin den Rücken zuwandten. „Vielleicht bewundern sie dich nur, Schätzchen.“

„Nein, ich habe deutlich Marise’ Namen gehört.“

„Diese alten Klatschtanten!“ Jessica stellte die Teetasse auf einem kleinen Tischchen ab. „Ist denen nicht klar, was Marise’ Tod für dich bedeutet?“

„Leider haben wir uns nie so nahegestanden, wie ich es gern gehabt hätte“, meinte Briana traurig.

Jessica kannte Marise nicht persönlich. Aber sie hatte gehört, dass sie schon früher die Männer nur so vernascht hatte. Dann hatte sie Matt Hammond geheiratet. Und Blake war geboren worden. Allgemein war man der Ansicht, dass sie Matt mit der Schwangerschaft zur Ehe gezwungen hatte.

Jessica lief es eiskalt den Rücken hinunter, und unwillkürlich legte sie sich die Hand auf den Bauch. Hatte eine Ehe unter diesen Voraussetzungen überhaupt eine Chance? Vielleicht hatte Marise Matt tatsächlich hereingelegt. Vielleicht war sie bereits von Howard schwanger gewesen?

Briana war viel zu lieb und gutmütig, als dass sie sich an eine solche Frau anschließen könnte. „Vielleicht konnte Marise nicht besonders gut mit Frauen“, sagte sie vorsichtig.

„Offensichtlich auch nicht mit ihrer Schwester. Irgendwie habe ich sie nie verstanden.“ Briana sah sich verstohlen um, dann senkte sie die Stimme. „Als sie vor einiger Zeit wegen Mums Beerdigung hier war, fragte sie, ob sie etwas in meinen kleinen Safe in meinem Apartment legen könnte. Ich sagte Ja. Als ich später mal nachsah, fand ich ein paar Steine.“

„Was für Steine?“

„Keine Ahnung. Rosafarbene Steine. Sicher irgendwelche Edelsteine. Ich habe Matt gesagt, dass ich Schmuck von Marise hätte, und er meinte, ich sollte ihn behalten. Aber das kann ich doch nicht tun, Jessica.“ Briana sah die Freundin unschlüssig an. „Wenn Matt die Steine nicht will, müsste Blake sie bekommen. Vielleicht sind sie sehr wertvoll. Wenn es nun Diamanten sind?“

„Zeig sie doch einem Fachmann, und lass sie schätzen.“ Da die Menschentraube vor ihnen sich auflöste, konnte Jessica jetzt Ryan sehen, der mit seiner Schwester sprach. „Von Quinn Everard zum Beispiel, der hat einen ausgezeichneten Ruf, hat allerdings immer sehr viel zu tun. Aber auch Stan Brownlee in Manly ist ein guter Mann.“

„Gute Idee. Ich rufe dich in der kommenden Woche im Geschäft an. Dann kannst du mir ihre Telefonnummern durchgeben.“

„Mach ich gern.“ Wieder warf Jessica einen Blick auf Ryan und seine Schwester. Selbst auf die Entfernung wurde deutlich, wie sehr er an seiner Schwester hing und dass er sich Sorgen um sie machte. Wenn er doch nur halb so viel für mich empfinden würde, dachte Jessica. Auch wenn er sie begehrte und sie mit Geschenken und Schmuck verwöhnte, hatte sie nie den Eindruck, dass er sie wirklich brauchte und ohne sie nicht sein wollte. Ihr war nur zu deutlich bewusst, dass er eben ein Blackstone war … und sie nicht mehr als sein Verhältnis.

„Du hättest es sehr viel schlechter treffen können. Jessica ist doch sehr nett.“

Ryan erstarrte. Er hatte gehofft, dass die Bemerkung seiner Schwester vorhin in der Kapelle nur so dahingesagt war. Aber er hätte es besser wissen müssen. Wenn sie herausfand, dass er ein Verhältnis mit Jessica hatte, machte er eine schlechte Figur. Denn schließlich hatte er sich damals vor vielen Jahren sehr aufgeregt, dass sich seine Schwester mit Ric einließ, der doch schließlich nur ein Angestellter war.

Wie sollte er ihr erklären, dass die Sache mit Jessica irgendwie aus dem Ruder gelaufen war, dass er davon selbst überrascht worden war? Er wusste immer noch nicht, wie es dazu gekommen war, dass er plötzlich in Jessicas Bett landete. Es war auf einer der monatlichen Geschäftsreisen nach Adelaide gewesen. Er wusste nur, dass er von Jessica, die in dem Geschäft dort arbeitete, unglaublich angezogen wurde, dass er sie begehrte, wie er noch nie eine Frau begehrt hatte. So hatte er seine eiserne Regel durchbrochen, nie etwas mit einer Angestellten anzufangen. Nach einem Jahr hatte die Geschäftsführerin des Geschäfts in Sydney gekündigt, und er hatte Jessica überredet, diesen Posten zu übernehmen.

„Was meinst du damit?“

„Tu doch nicht so, Ryan! Ich bin es, Kimberley, deine Schwester, die hier vor dir steht. Mir kannst du nichts vormachen. Außerdem bist du alt genug, um zu heiraten und eine Familie zu gründen.“

„Wie kommst du auf die Idee, dass ich eine Frau wie Jessica will?“

„Ich weiß, dass da etwas ist zwischen euch. Keine Sorge, ich halte mich da vollkommen heraus. Aber sie ist intelligent und sehr hübsch. Und sie macht ihre Arbeit da in dem Laden ganz toll. Wenn du nicht aufpasst, sieht sie sich nach etwas anderem um.“

Als er sie wütend ansah, grinste Kimberley. „Ich will doch nur, dass du glücklich bist.“

„Ich will mich weder ernsthaft binden, noch sehne ich mich nach einer Familie.“

„Aha. Weiß Jessica das?“

„Ja!“

„Dann habt ihr also was miteinander!“

Sie hatte ihn reingelegt! „Du hältst dich wohl für besonders schlau! Seit du dich mit Ric verlobt hast, glaubst du, dass alle Welt es dir nachmachen sollte. Warum versuchst du nicht …“ Er sah sich verzweifelt nach einem Opfer um. „Briana oder Danielle oder vielleicht sogar Tante Sonya zu verkuppeln?“

„Okay, verstanden. Ich soll mich nicht in deine Angelegenheiten mischen. Dann bis demnächst, Bruderherz.“ Kimberley lächelte ihn noch einmal zuckersüß an und verschwand dann in der Menge.

Ryan sah ihr nachdenklich hinterher. Was hatte sie gesagt? Wenn du nicht aufpasst, sieht sie sich nach etwas anderem um. Aber warum denn? War Jessica unzufrieden mit der Situation? Sicher, sie hatte das letzte Weihnachtsfest mit ihm zusammen sein wollen und war enttäuscht gewesen, dass er die Feiertage ohne sie in dem familieneigenen Strandhaus an der Byron Bay verbringen wollte. Er hatte jedoch unbedingt in dieser Zeit mit Howard über seine Zukunft in der Firma sprechen wollen. Und so hatte sie die Tage bei ihren Eltern verbracht und war darüber nicht sehr glücklich gewesen. Im Januar dann, als sein Vater abgestürzt und Jessica nicht aufzufinden war, hatte Ryan plötzlich diesen quälenden Verdacht gehabt, dem er gar nicht näher auf den Grund gegangen war und über den er auch jetzt nicht nachdenken wollte.

Im letzten Monat schien sie ruhiger und besonnener geworden zu sein. Allerdings hatte Ryan so viel mit dem Tod des Vaters und dem darauffolgenden Absturz der Blackstone-Aktien zu tun, dass er Jessica wenig Aufmerksamkeit schenkte. Vielleicht hatte er sie wirklich vernachlässigt.

Aber sie hatte immer so viel Verständnis gezeigt.

Außerdem waren sie beide sehr an ihrer beruflichen Karriere interessiert. Das hatte ihn an Jessica immer beeindruckt. Sie klammerte nicht und stellte keine Forderungen. Sie war glücklich mit dem, was sie hatten, zumindest war er immer davon ausgegangen.

Bis Kim diese seltsame Bemerkung machte.

Wollte Jessica mehr? Und konnte er ihr mehr bieten? Nein. Er hatte sich nie nach einer Familie gesehnt.

Aber wenn Jessica unglücklich war?

Das wollte er nun wirklich nicht. Er mochte sie … sogar sehr. Vielleicht war es irgendwie unfair von ihm, von ihr zu verlangen, ihr Verhältnis absolut geheim zu halten. Ob sie glücklicher wäre, wenn es allgemein bekannt war? Das bedeutete natürlich nicht, dass er sie heiratete.

Wenn Jessica nicht bei Blackstone Diamonds angestellt wäre, wäre alles viel einfacher. Von Anfang an war ihm der Gedanke, es könnte herauskommen, dass er mit einer Angestellten ein Verhältnis hatte, ausgesprochen unbehaglich. Denn zu sehr hatte er immer unter den Gerüchten gelitten, die seinen Vater betrafen. Dass Howard mit all seinen Sekretärinnen geschlafen habe. Was wohl auch stimmte. Aber Jessica war keine Sekretärin, sondern Geschäftsführerin in dem besten Juweliergeschäft am Platze.

Er sah sich nach ihr um. Ein Kellner bot ihr ein Glas Champagner an, das sie mit einem freundlichen Lächeln ablehnte. Ryan konnte ihr wohl schlecht vorschlagen, bei Blackstone aufzuhören und sich woanders einen Job zu suchen, nur weil ihm unangenehm war, mit einer Angestellten zu schlafen. Schon das Gefühl, sie zu verlieren, war schwer zu ertragen.

Wenn allerdings schon seine Schwester herausgefunden hatte, dass da etwas zwischen ihm und Jessica war, würden es auch bald andere bemerken. Jessica war bei ihm eingezogen und hatte auf sein Drängen hin ihr Apartment untervermietet. Früher oder später würde alles herauskommen.

Was dann passierte, wusste er genau. Die Medien würden sich auf Jessica und ihn stürzen, und man würde die wildesten Vermutungen anstellen. Aber war es wirklich so wichtig, was die Leute über sie dachten?

Er konnte den Blick nicht von ihr lösen, wie sie dastand und sich mit der hübschen Briana unterhielt, die die Aufmerksamkeit aller anwesenden Männer auf sich zog. Aber Ryan hatte nur Augen für Jessica. Er durchquerte den Raum und hatte sie fast erreicht, als eine sehr gepflegte Hand mit endlos langen Fingernägeln ihn am Arm festhielt.

„Ryan, die Sache mit Ihrem Vater tut mir ja so leid.“ Kitty Lang, eine sehr erfolgreiche Maklerin, stellte sich direkt vor ihn hin und schüttelte leicht den Kopf, sodass ihre goldenen Ohrringe klimperten. „Er soll Marise Hammond ja ein Vermögen hinterlassen haben. Na ja, Howard hatte schon immer etwas für hübsche Frauen übrig.“ Sie lächelte vielsagend. „Sie hat früher doch für ihn gearbeitet, oder?“

Ryan musterte die Frau vor sich und verzog keine Miene. „Marise hat für Blackstone gearbeitet, allerdings in der Marketingabteilung“, sagte er scharf. Hatte Kitty nicht auch ein Verhältnis mit Howard gehabt? Ryan erinnerte sich an das Gerede, aber er hatte sich immer bemüht, dem keine Beachtung zu schenken.

„Je jünger, desto besser“, fuhr Kitty mit maliziösem Lächeln fort. „Und wenn sie im Unternehmen arbeiteten, war es besonders bequem.“

Ryan hätte sie am liebsten geohrfeigt, so sehr regte ihn Kittys Bösartigkeit auf. Aber er nahm sich zusammen und machte sich mit einem Ruck frei.

Doch Kitty war noch nicht fertig. „Ich würde mich nicht wundern, wenn Howard nicht sowieso kurz davor war, Marise abzuservieren, weil die kleine Blondine dahinten schon längst sein Bett anwärmte. Blonde Frauen mochte er besonders.“ Kitty fuhr sich mit der Hand durch die platinhellen Locken. „Sie arbeitet doch auch bei Blackstone, oder nicht?“

Heißer Zorn stieg in Howard auf. „Von wem sprechen Sie?“

„Na, von der Kleinen da drüben.“

„Welcher?“

„Die, die mit Briana zusammensteht.“

Jessica. „Was soll das? Jessica hat nie für meinen Vater gearbeitet.“

„Ich habe sie aber zusammen gesehen“, sagte Kitty triumphierend.

„Wo denn?“

„Ich flog mit einem Kunden wegen eines Grundstücks auf die Fidschis. Und auf dem Flughafen habe ich sie gesehen. Offenbar haben sie sich gestritten.“

„Und das ist alles? Daraus schließen Sie, die beiden hatten eine Affäre?“

„Sie hätten sie sehen sollen. Es war mehr ihre Körpersprache als das, was sie sagten. Das konnte ich sowieso nicht verstehen. Aber die junge Frau war sehr aufgebracht, und aus der Art, wie sie sich benahm, konnte man schließen, dass sie sich sehr gut … kannten.“

Ryan wusste genau, was Kitty meinte. Aber Jessica hatte mit seinem Vater doch kaum zu tun gehabt. Die paar Male, die er sie zusammen gesehen hatte, hatten die beiden kein Wort gewechselt. Jessica war immer sehr ruhig gewesen, wenn sein Vater anwesend war. Wahrscheinlich hatte er sie eingeschüchtert.

Dennoch, als Ryan herausfand, dass Jessica auf der Passagierliste des abgestürzten Flugzeugs stand, hatte er sich sehr gewundert, um es vorsichtig auszudrücken. Aber er hatte diese hässlichen Gefühle unterdrückt, denn er wollte Jessica nicht verdächtigen. Doch jetzt bei Kittys Worten kam alles wieder hoch. „Das bedeutet gar …“

„Oh doch“, unterbrach sie ihn schnell. „Es war nämlich genau an dem Abend, als Howard verschwand. Er nahm sie beim Ellbogen, sie versuchte, sich zu befreien, ging mit ihm dann aber an Bord.“

„Warum war sie dann nicht im Flugzeug, als es abstürzte?“ Er versuchte, gegen Kittys Verdächtigungen anzugehen, aber es fiel ihm schwer. Jessica war auf der Passagierliste gewesen. Als das Flugzeug nicht in Neuseeland ankam, hatte er versucht, Jessica auf ihrem Handy zu erreichen. Da sie sich nicht meldete, vermutete er das Schlimmste und wäre fast vor Angst gestorben. Doch als er nach Hause kam, saß sie vor dem Fernseher.

Kitty musste sich irren. Vielleicht log sie auch, aber warum? Sie wusste doch nichts von ihm und Jessica.

Er würde Jessica selbst fragen. Bestimmt gab es eine vernünftige Erklärung. Es musste einfach so sein. Alles andere wäre unerträglich.

Jessica goss sich gerade eine Tasse Tee ein, als er auf sie zutrat.

„Möchtest du auch einen Tee?“, fragte sie.

Ryan fiel auf, dass sie ihn dabei nicht ansah und ihm auch kein verstohlenes Lächeln zuwarf. Sie schien sich nur auf die Tasse zu konzentrieren. Irgendetwas stand zwischen ihnen. Seit wann? Er nahm sich vor, ihr in Zukunft mehr Wertschätzung zu zeigen. „Ich hole mir einen Kaffee.“ Er ging zu dem langen Tisch an der Seite, wo die Leute von der Catering-Firma gerade Kaffee ausschenkten.

„Wie kommen Sie dazu, so etwas zu behaupten!“

Das war Jessicas Stimme. Ryan drehte sich schnell um. Jessica stand da, die Hände auf die Hüften gestützt, und wirkte sehr wütend. „Das ist nur bösartiger Klatsch. Seien Sie vorsichtig, was Sie da sagen!“

Kitty war knallrot geworden und verschwand schnell in der Menge.

Weshalb war Jessica so wütend geworden? Ryan sah sie prüfend an. Aus sicherer Entfernung blickte Kitty zu ihnen hinüber, nickte Ryan zu und verzog jetzt die Lippen, als wollte sie sagen: „Sehen Sie? Habe ich es nicht gesagt?“

Wenn nun doch etwas dran war an dem, was Kitty behauptet hatte? War sie zufällig über die Wahrheit gestolpert? Hatte seine Geliebte ein Verhältnis mit seinem Vater gehabt?

Als sie später in dem weichen Ledersitz von Ryans BMW saß, lehnte Jessica den Kopf gegen die Nackenstütze und betrachtete das Profil des Geliebten. Ryan wirkte sehr angespannt. Er war ganz auf die Straße konzentriert, sein Gesicht war todernst.

Die Beerdigung war vorbei.

Jessica seufzte leise.

„Müde?“, fragte er.

„Ein bisschen.“ Das war untertrieben. Sie war total erschöpft und spürte ihre Füße kaum noch von dem langen Stehen. Ihr Rücken schmerzte, und ihr war leicht übel. Sie hatte Ryan schon gesagt, dass sie heute im Gästezimmer schlafen wollte, weil sie so müde war. Auch er tat das manchmal, wenn er spät nach Hause kam und sie nicht wecken wollte.

Sie musste endlich die Kraft aufbringen, die Beziehung zu beenden. Deshalb könnte sie es nicht ertragen, wenn er sie in dieser Nacht berührte. In der vorigen Nacht hatte sie, ohne dass er es wusste, von ihm Abschied genommen. Sie würden sich nie wieder lieben.

Nie wieder.

„Worüber hast du dich eigentlich mit meinem Vater gestritten an dem Tag, an dem er abstürzte?“

Seine kalte Stimme riss sie aus ihren traurigen Gedanken.

„Was hast du gesagt?“ Und sie hatte so sehr gehofft, dass er von diesem Zusammentreffen nie etwas erfahren würde.

„Du hast dich mit meinem Vater im Flughafen gestritten. Ich möchte wissen, worüber.“

Über dich.

Aber das würde sie ihm nicht sagen. Er würde ihr wahrscheinlich sowieso nicht glauben. Sie hatte Howard Blackstone immer verabscheut, aber sie wusste, dass Ryan ihn idealisierte. Er bewunderte ihn, wollte so sein wie sein Vater. Allerdings hatte Jessica oft den Verdacht, dass sich hinter Ryans Ehrgeiz auch die Sehnsucht verbarg, endlich vom Vater anerkannt zu werden.

„Es war eigentlich kein Streit. Wir haben uns unterhalten.“

„Die Person, die euch beobachtete, meinte, du hättest dich sehr aufgeregt, hättest sehr emotional reagiert, so als kanntet ihr euch ziemlich gut.“

Oh Gott. Darüber wollte sie mit ihm nun wirklich nicht reden. Nicht jetzt, so kurz nach der Beerdigung. Es war wichtig, dass Ryan seinen Vater in guter Erinnerung behielt. Ihre Meinung über den Mann würde ihm sehr wehtun, und was hätte das für einen Sinn?

„Wer hat dir das erzählt?“

„Das ist doch jetzt ganz egal.“ Er warf ihr einen scharfen Blick zu und konzentrierte sich dann wieder auf die Straße.

Das ist doch jetzt ganz egal. Jessica starrte aus dem Seitenfenster. Die letzten zwei Jahre hatte sie sich wohl ständig etwas vorgemacht. Sie hatte zwar nie damit gerechnet, dass Ryan sie heiratete, als sie vor einem Jahr zu ihm zog. Aber sie hatte doch gehofft, dass er sich in sie verlieben würde. Die Leidenschaft, die sie in den Armen des anderen fanden, war so stark, dass Jessica sicher war, die Liebe würde folgen.

Und sie liebte ihn. Nur deshalb hatte sie Ryans Drängen nachgegeben und sich für die Position der Geschäftsführerin in Sydney beworben. Obwohl ihr der Gedanke nicht angenehm war, dass sie den Job nur bekommen hatte, weil sie mit dem Chef schlief.

Sie war zu ihm gezogen, damit sie mehr Zeit füreinander hatten. Aber sie hatte nicht damit gerechnet, dass er so strikt darauf pochte, ihr Verhältnis geheim zu halten. Nie hatte er jemanden in sein Penthouse eingeladen, noch nicht einmal seine Schwester und noch viel weniger seinen Vater. Als sie ihn darauf ansprach, hatte er nur gemeint, er wollte mit ihr allein sein und seiner Familie würde er ja dauernd in der Firma begegnen. Er führte ein Leben, das nur am Rande mit ihr zu tun hatte. Denn er hatte seine Freunde, mit denen er sich regelmäßig traf, und seine gesellschaftlichen Verpflichtungen, zu denen er sie selbstverständlich nie mitnahm.

Das musste ein Ende haben. Vorsichtig berührte sie ihren Bauch. Hier ging es nicht mehr nur um sie, hier ging es auch um ihr Kind. Das Kind hatte es nicht verdient, am Rande von Ryan Blackstones Existenz eine untergeordnete Rolle zu spielen.

„Du hattest eine Affäre mit ihm.“

Jessica schrak zusammen und starrte Ryan an. „Wer hat eine Affäre?“

„Du!“, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Du hattest eine Affäre mit meinem Vater!“

3. KAPITEL

„Was?“

Schockiert blickte Jessica Ryan an. Ihr war, als sähe sie ihn zum ersten Mal, so fremd war er ihr auf einmal. „Glaubst du tatsächlich, dass ich mit deinem Vater geschlafen habe?“ Sie lachte ungläubig auf. Das war das Absurdeste, was sie je gehört hatte. „Das meinst du nicht ernst, oder?“

„Oh doch, das meine ich sogar sehr ernst.“ Er hielt vor einer Ampel und zog die Handbremse unnötig heftig an. Dann warf er Jessica einen wütenden Blick zu. Er hatte die Lippen zusammengepresst, die Augen waren dunkel und voller Misstrauen.

Jessica wurde das Herz schwer. Er glaubte es tatsächlich! Es war nicht irgendein übler Scherz.

Wie sollte sie darauf reagieren? Am liebsten hätte sie mit den Fäusten gegen seine Brust getrommelt, hätte geschrien und wäre dann aus dem Auto gesprungen. Aber sie unterdrückte diesen Impuls, denn Melodramatik war nicht ihr Stil. „Hast du dafür irgendeinen Beweis?“

„Das ist alles, was du dazu zu sagen hast?“

Jessica schwieg. Sie dachte nicht daran, sich gegen derartig idiotische Anschuldigungen zu verteidigen.

Keiner sprach ein Wort. Die Atmosphäre war eisig.

Die Ampel sprang auf Grün. Ryan fuhr an und hielt wenige Meter hinter der Kreuzung am Straßenrand an. Er stellte den Motor aus und drehte sich dann zu Jessica um. „Immerhin bin ich bereit, das, was ich gehört habe, anzuzweifeln.“

„Wie nett von dir“, erwiderte sie sarkastisch. Es war sonnenklar, dass das Misstrauen überwog. Dass er sie überhaupt verdächtigte, war so unfassbar und gleichzeitig so beleidigend, dass Jessica sich wie beschmutzt vorkam.

„Ich habe mir sogar einzureden versucht, dass Kitty mit diesen Behauptungen nur Unfrieden stiften wollte.“

„Kitty? Ach so, daher weht der Wind!“ Jessica war nicht überrascht. Kitty war eine stadtbekannte Klatschtante.

„War es denn nun ein Streit zwischen Liebenden, den Kitty beobachtet hat? Wollte mein Vater mit dir Schluss machen, um wieder etwas mit Marise anzufangen? Oder lief das schon immer nebenher, und du hattest es gerade herausgefunden?“

„Auf so etwas antworte ich nicht.“ Auf keinen Fall wollte sie ihm sagen, worum es in dem Streitgespräch gegangen war.

„Mehr fällt dir dazu nicht ein?“

Sie zuckte kurz mit den Schultern. „Du hast dich entschlossen, Kitty zu glauben. Was soll ich da noch sagen?“

„Sag mir, dass es nicht wahr ist.“ Dabei sah er sie böse an, und Jessica wusste, er würde alles, was sie zu ihrer Verteidigung vorbringen konnte, in der Luft zerreißen.

„Und was soll das bringen? Du hast ganz eindeutig kein Vertrauen zu mir. Das geht wahrscheinlich schon eine ganze Zeit so, denn sonst würde dir ein solcher Verdacht gar nicht kommen.“ Wie weh das tat! Sie konnte den Schmerz über seinen Verdacht beinah körperlich spüren.

„Dann sag mir wenigstens, dass nicht du es warst, die mit meinem Vater an dem Abend gesprochen hat.“

Sie schwieg.

Schwer atmete er aus. „Am Nachmittag vor dem Flugzeugabsturz solltest du mit einer Linienmaschine nach Auckland fliegen, um bei der Geschäftseröffnung dabei zu sein. Aber du bist nicht geflogen und hast mir nur gesagt, du hättest deine Meinung geändert. Dass du auf der Passagierliste von Vaters Chartermaschine standst, habe ich als Fehler angesehen, als Verwechslung bei der Buchung. Da die Maschine abstürzte, war ich einfach nur froh, dass du nicht an Bord gewesen warst. Aber jetzt glaube ich doch, dass du dich entschieden hattest, mit meinem Vater zu fliegen, und es dann aus irgendwelchen Gründen doch nicht getan hast.“

Sie schwieg und sah ihn nur traurig an. Sie hatte die Linienmaschine verpasst, und alle anderen Flüge waren ausgebucht gewesen. Sie hatte gehofft, noch irgendwo als Stand-by-Passagier mitzukommen, denn ein paar Stunden mit Howard Blackstone zusammen in einer kleinen Maschine zu sitzen war ihr wie ein Albtraum erschienen. Doch dann war ihr nichts anderes übrig geblieben. Aber als sie hörte, was Howard sagte, bevor er an Bord ging, hatte sie ihm Kontra geben müssen. Und nach dieser heftigen Auseinandersetzung wäre sie um alles Geld der Welt nicht mehr mit ihm zusammen geflogen.

Aber nun hatte sie keine Lust, sich dafür Ryan gegenüber zu verteidigen. Sollte er doch glauben, was er wollte, ihr war es egal. „Und deshalb bist du jetzt misstrauisch? Weil ich nicht geflogen bin? Das ist ja einfach lächerlich.“

Wütend zog er die dunklen Augenbrauen zusammen. „Nein, nicht deshalb. Eigentlich eher, weil du mir nie etwas davon erzählt hast.“

Jessica wandte sich brüsk ab und starrte aus dem Seitenfenster, ohne etwas zu sehen. Alles war so schnell gegangen. Erst hatten sie sich wegen der Weihnachtstage gestritten. Bei ihren Eltern dann hatte sie festgestellt, dass sie schwanger war. Plötzlich war ihr Leben vollkommen auf den Kopf gestellt, und sie musste ernsthaft überlegen, wie alles weitergehen sollte.

Keine Katzen, keine Kinder, keine Presse, kein Ehering.

Das waren seine Bedingungen gewesen. Nach den Weihnachtstagen wusste sie, was zu tun war. Sie musste mit ihm Schluss machen. Sie hatte vorgehabt, nach der Geschäftseröffnung in Auckland noch ein paar Tage Urlaub dranzuhängen, um Kraft zu tanken, bevor sie mit Ryan sprach. Aber dann war alles anders gekommen.

Sie war nicht nach Auckland geflogen.

Howards Flugzeug wurde als vermisst gemeldet.

Danach konnte sie ihren ursprünglichen Plan nicht mehr durchführen. Während der tagelangen Suche nach der Leiche seines Vaters hatte sie Ryan unmöglich verlassen können. Aber da sie wusste, dass er sich nicht binden wollte, konnte sie ihm auch nichts von dem Kind erzählen.

Doch jetzt musste und konnte sie mit ihm Schluss machen. Denn ihr war eins klar geworden: Ryan Blackstone brauchte niemanden, am allerwenigsten sie.

„He!“ Als sie aus dem Fahrstuhl traten, der zu seinem Penthouse führte, griff Ryan nach Jessicas Arm und drehte sie zu sich um. „Bitte, zieh dich nicht in dein Schneckenhaus zurück. Wir müssen uns unbedingt aussprechen.“ Im Grunde seines Herzens hoffte er immer noch, dass Kittys Verdächtigungen nicht zutrafen. Warum hätte Jessica sonst so empört reagiert?

Jessica gehörte zu ihm.

Das musste sie doch wissen!

Sie war seine Frau, das machte vor allem sein Körper ihm unmissverständlich klar. Unwillkürlich streichelte er ihre glatte Haut am Ellbogen. Oh, wie er ihr leichtes und sehr weibliches Parfüm, das er jetzt geradezu überdeutlich wahrnahm, liebte! Es erregte ihn, und er wurde bereits hart … Sobald sie ihm eine befriedigende Erklärung gegeben hatte, würde er sie küssen und dann …

Und wenn sie die nicht hatte? Wenn sie wirklich ein Verhältnis mit seinem Vater gehabt hatte? Würde er ihr verzeihen können? Er tröstete sich damit, dass der fantastische Sex ihn entschädigen musste. Er würde sie in Zukunft sehr genau beobachten und sie sexuell so befriedigen, dass sie sich nicht mehr nach anderen Männern sehnte. Dass er so extrem auf den Verdacht reagiert hatte, war nur verletzte Eitelkeit gewesen. Sie hatte ihn betrogen, na und? Darüber würde er hinwegkommen. Er konnte ihr vergeben. Sofern ihr klar war, dass so etwas nie wieder passieren durfte.

„Sag mir die Wahrheit, Jessica. Danach können wir …“ Seine Stimme klang gelassen, doch innerlich war er aufgewühlt, und die unbändige Begierde, die er empfand, hatte eher etwas mit Rache als mit Zuneigung zu tun.

„Danach?“ Ihre Stimme war kalt, ihre Miene ausdruckslos. „Was meinst du damit? Glaubst du, dass ich Lust habe, mit dir zu schlafen, nachdem du mich beschuldigt hast, mit deinem Vater ein Verhältnis gehabt zu haben?“

„Nun reg dich doch nicht so auf!“ So hatte er sie noch nie erlebt. So hart. So empört. Wieder streichelte er sie.

Mit einem Ruck entzog Jessica ihm den Arm. „Lass das!“ Sie drehte sich abrupt um und ging schnell zu der Treppe, die in den ersten Stock des Penthouse führte.

„Was hast du vor?“

Autor

Heather Mac Allister
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