Baccara Exklusiv Band 244

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DARF EINE NANNY SEXY SEIN? von CATHLEEN GALITZ

Ihr erster Auftritt als Nanny ist eine Katastrophe! Trotzdem bekommt Heather den Job – der schnell zum Spiel mit dem Feuer wird. Denn je heftiger sie sich mit ihrem Boss Tobias Danforth um Erziehungsfragen streitet, desto stärker wird die gegenseitige Anziehungskraft …

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  • Erscheinungstag 06.04.2024
  • Bandnummer 244
  • ISBN / Artikelnummer 0858240244
  • Seitenanzahl 448

Leseprobe

Cathleen Galitz, Heidi Betts, Tracy Wolff

BACCARA EXKLUSIV BAND 244

1. KAPITEL

Heather Burroughs stand in der Tür zu dem riesigen Wohnzimmer ihres neuen Arbeitgebers und konnte nicht glauben, was sie sah.

Und nicht ertragen, was sie hörte.

Niemand hatte auf ihre hartnäckigen Versuche reagiert, sich an der Haustür bemerkbar zu machen, und so war sie einfach eingetreten und dem Klang der tiefen Stimme bis zu der Stelle gefolgt, an der sie jetzt stand. Starr vor Entsetzen. Dass diese Stimme zu einem besonders attraktiven Gesicht gehörte, half auch nicht, Heathers Befürchtung zu zerstreuen, von einem Unmenschen engagiert worden zu sein.

Ein Unmensch, der gerade versuchte, ein Kind mit einem Keks zu bestechen.

„Sag es, Dylan“, drängte der Mann und hielt dem Kind den Keks vor die Nase. In seiner Stimme schwang Ungeduld mit.

Er war so damit beschäftigt, dem Kleinkind seinen Willen aufzudrängen, dass er Heathers Anwesenheit gar nicht bemerkte. Der dreijährige kleine Engel streckte seine Patschhand nach dem Plätzchen aus. In dem Moment, als seine Finger die Leckerei berührten, wurde sie wieder weggezogen.

Tränen schimmerten in den Augen, die dieselbe Form und Farbe wie die seines Peinigers hatten. Dann liefen sie über die Pausbäckchen und bewirkten, dass der Unmensch leise fluchte.

„Komm schon, Dylan. Sag es doch!“

Heather wusste aus eigener Erfahrung, wie es sich anfühlte, wenn einem eine Belohnung vor der Nase baumelte und dann weggenommen wurde. Sie würde nicht untätig zusehen, wie ihr neuer Arbeitgeber ein so gemeines Spielchen mit seinem Sohn spielte – auch wenn es bedeutete, dass sie ihren Job bereits am ersten Arbeitstag wieder verlor.

Selbst wenn dieser Job sie finanziell unabhängig machen würde und dringend nötig war, vor einem möglichen Leben auf der Straße zu bewahren.

„Geben Sie mir den Keks!“

Ohne den verdutzten Blick des Mannes zu beachten, betrat Heather den Raum und schnappte sich den Keks. Sie ging in die Hocke, wischte dem kleinen Jungen die Tränen aus dem Gesicht und gab ihm das Plätzchen. Dylan stopfte es sich dankbar in den Mund, bevor sein Vater es ihm wieder abknöpfen konnte. Als er Heather mit seinem Schokolade verschmierten Mündchen anlächelte, hätte sie ihn am liebsten auf die Arme genommen und wäre mit ihm weggelaufen.

„Was glauben Sie eigentlich, wer Sie sind, junge Frau? Und was sollte das gerade?“, fragte Tobias Danforth.

Seine Jeans spannten über den muskulösen Schenkeln, als er sich zu seinen beachtlichen einen Meter fünfundachtzig aufrichtete. Er baute sich vor Heather auf, die kaum fünfzig Kilo wog. In ihren Tennisschuhen war sie um einen Kopf kleiner als er. Sie fühlte sich wie David, der Goliath gegenüberstand.

Ohne Steinschleuder.

Sie machte sich ihre Bühnenerfahrung zunutze und antwortete mit würdevoller Stimme, die über die Tatsache hinwegtäuschte, dass sie die Untergebene und er, technisch gesehen, ihr Chef war.

„Ich bin die Nanny, die Sie von der Arbeitsagentur angefordert haben, und ich lasse nicht zu, dass Sie den Jungen so behandeln. Falls es Ihnen nicht bewusst ist, Mr Danforth, Dylan ist ein Kind und kein Tier, das mit Leckerli trainiert wird.“

„Wie können Sie es wagen …“

„Ich wage es, weil ich mich um den Jungen sorge“, entgegnete sie und schob herausfordernd das Kinn vor.

Er schien sie mit dem Blick aus seinen stahlblauen Augen aufspießen zu wollen. Nichtsdestotrotz, wenn dieser Kerl glaubte, Heather Burroughs wäre feige, dann hatte er sich gewaltig getäuscht. Nachdem sie den Unterricht der unerbittlichsten Musiklehrer auf der ganzen Welt ertragen hatte, brauchte es mehr als eine imposante Gestalt, damit sie einen Rückzieher machte.

„Und Sie glauben, ich sorge mich nicht?“ Seine Stimme klang sarkastisch. Und so beißend wie der Blick, den er fest auf sie gerichtet hielt.

In seinen kalten Augen schimmerte eine Wildheit, die einen Wolf Schutz suchen ließe. Heather stemmte die Hände in die Hüften und ließ sich nicht beeindrucken. Auch wenn sie weiche Knie hatte. „Ich glaube, das Jugendamt würde Ihre Erziehungsmethoden genauso wenig billigen wie ich.“ Sie war froh, dass sie gelernt hatte, sich auch in Stresssituationen zu beherrschen – ihre Stimme zitterte nicht, obwohl Heather äußerst unwohl zumute war.

„Verschwinden Sie aus meinem Haus, Lady.“

Obwohl so leise ausgesprochen, dass das Kind zwischen ihnen nicht einmal mit der Wimper zuckte, trafen Heather die Worte wie Geschosse.

Warum sie nach fünfundzwanzig Jahren Duldsamkeit ihren eigenen Willen entdeckt hatte, war für sie ebenso ein Geheimnis wie für ihre Eltern. Sie wäre fast enterbt worden, weil sie plötzlich andere Vorstellungen von ihrem Leben entwickelt hatte, als ihre Eltern es sich gewünscht hätten.

Noch ungeübt darin, ihre Meinung zu äußern, fehlte Heather vor allem das rechte Maß an Besonnenheit. In ihrer Situation war es überaus unvernünftig, sich mit ihrem potenziellen zukünftigen Arbeitgeber anzulegen und für ihre Überzeugung den Job zu riskieren, auf den sie angewiesen war. Denn um keinen Preis der Welt würde sie klein beigeben und, wie ihr Vater es ausgedrückt hatte, „angekrochen kommen“, damit er sie wieder finanziell unterstützte.

Dennoch hatte sie absolut keine Lust, für einen Mann zu arbeiten, der genauso zu sein schien wie ihr strenger Vater. Ein Mann, der seinem Kind die Anerkennung verwehrte, solange es nicht die Leistung erbrachte, die er forderte.

Heather richtete sich auf und wandte sich in Richtung Tür. Sie rief sich tröstend in Erinnerung, dass über die Jahrhunderte viele berühmte Musiker Zeugnis dafür abgelegt hatten, dass Armut gut für die Kreativität war.

Eine leise Kinderstimme ließ sie innehalten.

„Teks!“

Tobias Danforths Gesicht könnte aus Wachs geformt sein, so wie das eine Wort seines Sohnes seine kantigen maskulinen Gesichtszüge neu gestaltete. Seine Augen, die eben noch so eisig waren wie das Wasser der Seen in Wyoming im Januar, schienen plötzlich aufzutauen und nahmen einen warmen und liebevollen Ausdruck an. Er ging auf die Knie, legte seinem Sohn die Hände auf die Schultern und sah ihn an. „Was hast du gerade gesagt?“

Wäre seine Berührung nicht so offenkundig liebevoll gewesen, hätte Heather zu dem Schluss kommen können, dass er eine Antwort aus dem Kind schütteln wollte.

Sie fragte sich, was für ein Vater das war, der die bemerkenswerten Versuche seines Kindes nicht verstand, ein Wort zu formen. Weil sie eine ganz trockene Kehle hatte, klangen ihre eigenen Worte ziemlich kratzig, als sie sich bemühte, den armen Mann aufzuklären. „Ich glaube, er hat Keks gesagt. Wenn Sie mich fragen, dann möchte er gern noch einen essen.“

„Meinetwegen kann er die ganze verdammte Tüte haben!“, jubelte Tobias zu ihrer Überraschung.

Er griff Dylan unter die Arme und wirbelte ihn durch die Luft. Die überschäumende Freude im Gesicht des Mannes ließ Heathers Puls erst schneller schlagen, dann rasen, und schließlich ganz aussetzen. Wenn sich hinter dem Unmenschen tatsächlich ein liebenswerter Mann versteckte, dann hoffte sie, dass er die Kunst der Wiederbelebung beherrschte.

Kreischend vor Freude wiederholte Dylan die Meisterleistung, die ihm so viel Begeisterung einbrachte. „Teks!“

Heather wurde warm ums Herz, als sie die Tränen sah, die in Tobias Danforths Augen glitzerten. Er setzte seinen Sohn auf den Boden und zerzauste ihm die Haare. Der Mann besaß angeblich Millionen und wurde von den Einheimischen als zurückgezogen lebender, geheimnisvoller Zeitgenosse wahrgenommen.

Jedem Außenseiter, der es sich leisten konnte, die Viehwirtschaft als Hobby zu betreiben, wurde von denen, die in diesem gnadenlosen Land geboren und aufgewachsen waren, mit Argwohn begegnet. Dass so ein Mann wegen einer kleinen Leistung seines Sohnes tatsächlich zu Tränen gerührt sein konnte, überraschte Heather.

Tobias hielt Wort und reichte Dylan die Tüte mit den Keksen.

Heathers Misstrauen ihrem neuen und schon wieder ehemaligen Arbeitgeber gegenüber löste sich in Luft auf, als der Junge die Arme um den Nacken seines Daddys schlang und dessen Gesicht mit schmatzenden Küssen bedeckte. Die Szene war so anders als alles, was sie aus ihrer Kindheit kannte, dass sie es bedauerte, nicht mehr die Gelegenheit zu bekommen, Vater und Sohn besser kennenzulernen.

Als sie gerade gehen wollte, hielt eine Stimme sie zurück.

„Und wohin wollen Sie jetzt?“, fragte Tobias Danforth mit seinem breiten Südstaatenakzent.

Heather drehte sich langsam um. Der Anblick des mit Schokolade verschmierten Gesichts des Mannes trug enorm dazu bei, die Spannung zu lösen. Der Hauch eines Lächelns ließ die kantigen Gesichtszüge weit weniger Furcht einflößend erscheinen als beim ersten Hinsehen.

„Sie haben mich gerade gefeuert“, erinnerte sie ihn leise.

Tobias zog ein sauberes weißes Taschentuch aus der Tasche und wischte sich übers Gesicht. „Dann betrachten Sie sich als wiedereingestellt.“

Heathers Herz machte einen Satz. Wenn es eine Chance gab, den Job doch noch zu bekommen, dann sollte sie jetzt besser lächeln und sich versöhnlich zeigen. Abgesehen davon, dass sie ihre Eltern nicht um Geld bitten wollte, wäre es so gut wie unmöglich, eine Stelle zu finden, die ihren Bedürfnissen besser entsprach als diese.

Außerdem hatte sie sich sofort zu dem Kind hingezogen gefühlt, das sie beaufsichtigen sollte. Sie streckte eine Hand aus und nahm Tobias das Taschentuch aus der Hand. „Darf ich?“, sagte sie und wischte kurzerhand einen Krümel aus seinem Schnurrbart.

Was als freundliche Geste gemeint war, wurde plötzlich sehr vertraulich, als sie einander tief in die Augen sahen. Ein Schauer lief Heather über den Rücken, ihr wurde abwechselnd heiß und kalt, und sie spürte ein beunruhigendes Kribbeln im Bauch. Ein verräterisches Zittern ließ das Taschentuch in ihrer Hand wie eine weiße Fahne flattern.

Normalerweise mochte sie glatt rasierte Männer, aber als sie den Mund unter dem gepflegten Schnurrbart betrachtete, glaubte sie nicht, dass es viel Überzeugungskraft brauchte, damit sie ihre Meinung änderte.

Bist du denn total verrückt geworden? fragte sie sich.

Auf gar keinen Fall würde sie sich auf etwas einlassen, das ihr nicht guttäte. Sie war froh, dass sie das Ende ihrer letzten Beziehung inzwischen einigermaßen verarbeitet hatte. Fieberhaft suchte sie nach den passenden Worten, um wieder zu einem professionellen Umgang mit Tobias Danforth zu finden. An ein romantisches Abenteuer mit ihrem Arbeitgeber zu denken, egal, wie attraktiv und charmant er war, bedeutete, einen emotionalen Selbstmord zu riskieren.

„Wir sollten die Einstellungsmodalitäten besprechen, bevor ich Ihre Bedingungen akzeptiere – vor allem, wenn sie diese Erziehungsmaßnahmen beinhalten, die Sie, wie ich gerade gesehen habe, bei Ihrem Sohn anwenden.“

Tobias ergriff ihre Hand. Heather hatte bei der Berührung das Gefühl, als würde ein elektrischer Schlag durch ihren Körper schießen. Sie schnappte nach Luft. Sofort ließ er ihre Hand los. Das Taschentuch flatterte zwischen ihnen zu Boden.

„Ich versichere Ihnen, Miss Burroughs, ich habe nicht die Absicht, Sie als meine Angestellte in irgendeiner Weise zu kompromittieren, falls Sie sich darüber Sorgen machen. Auch wenn ich im Moment vielleicht einen gestressten Eindruck mache, bin ich in der Lage, mich selbst zu versorgen. Vielmehr bin auf der Suche nach jemandem, der sich um Dylan kümmert – und auch regelmäßig mit ihm die Übungen macht, die die Sprachtherapeutin vorgeschlagen hat, und die Sie gerade so unhöflich unterbrochen haben.“

Jetzt war es an Heather, ein verblüfftes Gesicht zu machen. Es wäre ihr nie in den Sinn gekommen, dass das Verhalten seinem Sohn gegenüber Teil einer Therapie gewesen sein könnte. Das allein reichte aus, ihr bewusst zu machen, wie unzulänglich ihre Qualitäten als Nanny waren. Wenn sie jemals als Lehrerin arbeiten wollte, dann musste sie aufhören, voreilige Schlüsse zu ziehen und ihr eigenes Kindheitstrauma auf andere Menschen zu übertragen.

„Es t… tut mir leid“, stammelte sie und hätte Einiges dafür gegeben, noch einmal ganz von vorn beginnen dürfen.

Tobias fuhr sich durch die Haare, die eine interessante Farbe hatten. Am Ansatz dunkel, die Spitzen von der Sonne aufgehellt. Er könnte einen Haarschnitt gebrauchen, dachte Heather und wünschte sich auf einmal, mit den Fingern durch seine Haare fahren zu dürfen.

„Das muss es nicht. In den fünf Minuten, die Sie jetzt hier sind, hatten Sie bei Dylan mehr Erfolg als ich während der ganzen Zeit, seit seine Mutter uns verlassen hat“, gestand er.

Verbitterung schwang in seinen Worten mit, und er wirkte auf einmal müde.

Heather fragte sich, was mit Dylans Mutter geschehen war. War sie einfach gegangen, weil sie mit dem Leben auf einer abgeschiedenen Farm, Meilen vom nächsten Nachbarn entfernt, nicht zurechtgekommen war? Lag es an ihrem Ehemann?

Hatte sie sich von ihm getrennt, weil sie sich genauso manipuliert fühlte wie ein Kind, das sich nach einem Plätzchen streckte und es nur bekommen konnte, wenn es eine bestimmte Aufgabe erfüllte?

Welche Gründe auch immer die Frau gehabt hatte, Heather empfand für jedes Kind Mitleid, das von seiner Mutter im Stich gelassen worden war. Seit sie von ihren Eltern fortgeschickt worden war unter dem Vorwand, ihr künstlerisches Talent müsse gefördert werden, verstand sie, wie schrecklich es sich anfühlte, gerade von den Menschen verlassen zu werden, die beteuerten, einen am meisten zu lieben. Und wie verzweifelt man sich bemühte, ihre Anerkennung zu bekommen.

Tobias’ Worte holten Heather aus der Vergangenheit in eine Gegenwart, die von Minute zu Minute komplizierter wurde.

„Für den Fall, dass die Agentur diesen Job falsch beschrieben hat, Miss Burroughs, Dylan ist entwicklungsverzögert.“

Die letzten zwei Worte schienen Tobias fast im Hals stecken zu bleiben. Obwohl Heather ihn am liebsten mit einem beruhigenden Tätscheln zum Weitersprechen ermuntert hätte, unterließ sie es, ihn noch einmal zu berühren. Ihr war klar geworden, dass der Pferdefuß bei diesem Job nicht die Arbeit mit einem Kind sein würde, das in seiner Entwicklung zurückgeblieben war, sondern auf engem Raum mit einem Mann zusammenzuwohnen, dessen Gegenwart sie vollkommen durcheinanderbrachte.

Ihre Liebe zu Josef hatte sie die Liebe zur Musik gekostet. Und sie wollte sich nicht mehr verlieben, wollte nicht den letzten Rest ihrer Selbstachtung opfern, der ihr noch geblieben war.

Tobias räusperte sich. „Sie sind mir nachdrücklich empfohlen worden. Ich habe gehofft, dass Sie und Dylan sich vielleicht aufgrund Ihres gemeinsamen Talents gut verstehen würden.“

Er deutete auf den Flügel am anderen Ende des Raumes. Die Sonne fiel auf die schwarz glänzende Oberfläche. Der Anblick löste in Heather so zwiespältige Gefühle aus, dass sie Halt suchend nach der Rückenlehne eines Stuhls griff. Einerseits sehnte sie sich danach, ihre Finger über die Tasten gleiten zu lassen. Andererseits hatte sie mit diesem Teil ihres Lebens für immer abgeschlossen.

„In Ihrem Lebenslauf steht, dass Sie eine versierte Musikerin sind. Dylan ist auf dem Gebiet begabt. Mit seinen drei Jahren kann er ohne Unterricht schon kleine Melodien auf dem Klavier spielen.“

Die väterliche Brust schwoll vor Stolz förmlich an. Eine Brust, die ohnehin so breit war, dass sie eine Frau verführte, mit den Händen darüber zu streichen und auszuprobieren, ob sie ihre Finger miteinander verflechten konnte, wenn sie die Arme um ihn schlang. Heather sah ihn herausfordernd an.

„Ich hoffe, Sie spielen nicht mit dem Gedanken, ihn auf eine entsprechende Schule zu schicken, wie meine Eltern es mit mir getan haben. Obwohl ich doppelt so alt war wie Dylan, bin ich mit dem ungeheuren Leistungsdruck nicht fertig geworden.“

Tobias machte vor Überraschung große Augen. Er schüttelte energisch den Kopf. „Nein, ich habe nicht die Absicht, meinen Jungen irgendwohin zu geben. Seine Mutter hat sich durch das Familienleben vielleicht eingeengt gefühlt, aber ich absolut nicht. Was auch immer Sie über meine Erziehungsmethoden denken mögen, ich liebe meinen Sohn, und ich werde alles tun, ihm dabei zu helfen, seine Sprache wiederzufinden. Selbst wenn ich ihn dazu mit einem Keks bestechen muss, wie mir die Sprachtherapeutin empfohlen hat.“

Obwohl Heather bei dem indirekten Tadel errötete, wollte sie dennoch klarstellen, dass sie trotz seiner Erläuterung nicht von seinen Erziehungsmethoden überzeugt war. „Solange Sie nicht von mir verlangen, dass ich ebenfalls mit diesen Methoden arbeite, verspreche ich, alles in meiner Macht Stehende zu tun, um Sie zu unterstützen.“

„In Ordnung, Miss Burroughs. Alles, worauf ich hoffe, ist, dass Sie die richtigen Tasten anschlagen und meinem Sohn helfen, aus seinem Schneckenhaus herauszukommen.“

Heather verstand, dass seine Worte symbolisch gemeint waren, und wählte ihre mit derselben Sorgfalt. Gut gemeint oder nicht, sie würde ein Kind nie dazu zwingen, Leistung zu erbringen, so wie ihre Eltern es getan hatten. Ungewollt hatten sie damit das Talent, das Gott ihr geschenkt hatte, zu einem Fluch werden lassen.

„Ich werde Dylans musikalisches Talent sehr gern fördern – solange er es möchte.“

Tobias wirkte erleichtert. Ermutigt. „Gut, dann wäre das geklärt. Was sonst noch zu Ihren Aufgaben gehört, ist zweitrangig. In erster Linie kümmern Sie sich um Dylan. Ich erwarte zwar auch, dass Sie kochen und putzen, aber ich bin in der Hinsicht nicht besonders pingelig, wenn Sie das beruhigt.“

Heather glaubte nicht, dass sie für einen Mann, der so attraktiv wie ein Schauspieler und reich wie Krösus war, entspannt würde arbeiten können. Schon jetzt spielten ihre Hormone verrückt. Energisch rief sie sich zur Ordnung, schließlich galt es ja, diesen Job zu bekommen, damit sie endlich ihr eigenes Geld verdienen konnte. Allerdings würde sie um keinen Preis der Welt zu Kreuze kriechen, damit dieser Mr Danforth sie engagierte.

Gleichzeitig war sie sich sehr wohl darüber bewusst, dass sie sich nicht in der Position befand, Bedingungen zu stellen, und beschloss, für sich zu behalten, dass ihre Kochkünste fast genauso übersichtlich waren wie ihr Erfahrungsschatz mit Kindern.

„Es wird Zeit, dass wir uns endlich miteinander bekannt machen“, sagte er und reichte ihr die Hand. „Ich bin Toby. So werde ich lieber genannt als Mr Danforth oder Tobias.“

Als sie seine Hand ergriff, durchströmte eine Wärme ihren Körper. Sie versuchte, das Prickeln zu ignorieren, und dachte einen Moment darüber nach, wie außergewöhnlich es war, dass ein so einflussreicher Mann wie Tobias Danforth von seiner Angestellten mit seinem Spitznamen angesprochen werden wollte.

Das gefiel ihr fast so gut wie die Tatsache, dass seine Hände durch die harte Arbeit rau geworden waren. Josefs Hände waren so weich und zart wie die eines Kindes gewesen, und auch wenn er Heather immer liebevoll gestreichelt hatte, hatte ihr unter seinen kraftlosen Berührungen etwas gefehlt.

„Dylan haben Sie bereits kennengelernt“, fuhr er fort.

Als der Junge seinen Namen hörte, ließ er die Kekstüte fallen und streckte die Arme nach Heather aus. Sie nahm den klebrigen Kleinen, der nach Schokolade und Babyshampoo roch, ohne zu zögern, in den Arm.

Dylan schlang ihr die Arme um den Nacken und drückte sich an sie. Der Kuss, den er auf ihre linke Wange schmatzte, hinterließ nicht nur Spuren auf ihrer Haut, sondern auch in ihrem Herzen.

Das Strahlen in Tobys Augen enthielt nicht die leiseste Spur von Eifersucht. „Es sieht nach Liebe auf den ersten Blick aus.“

Unwillkürlich zuckte Heather zusammen. Dieselben Worte hatte ihr Vater auch gebraucht, als er sie Josef vorgestellt hatte. Die Beziehung hatte katastrophal geendet, und Heather verspürte nicht den geringsten Wunsch, sich jemals wieder einer emotionalen Zerreißprobe auszusetzen. Sie musste aufpassen, dass sie sich nicht zu sehr auf Dylan oder seinen Vater einließ. Der Job war nichts weiter als eine Möglichkeit, genug Geld zu verdienen, um auf eigenen Füßen stehen zu können und nie wieder abhängig von einem Mann zu sein. Einschließlich ihres Vaters.

Und ihres ersten und einzigen Liebhabers.

Es war kein Wunder, dass die beiden Männer in ihrer Erinnerung so stark miteinander verbunden waren. Als Josef sich von ihr getrennt hatte, hatten sich auch zeitgleich ihre Eltern von ihr abgewandt. Sie hatten sie zwar nicht enterbt, aber beschlossen, ihre Tochter nicht länger finanziell zu unterstützen. Offenbar waren sie der Meinung, sie auf diese Weise umstimmen zu können – was aber niemals geschehen würde.

Heather wollte Lehrerin werden, und um dieses Ziel zu erreichen, musste sie es schaffen, auf eigenen Beinen zu stehen. Es war also zwingend notwendig, Gefühl und Verstand voneinander zu trennen.

Zum ersten Mal in ihrem Leben würde Heather jeden Cent umdrehen müssen. Glücklicherweise war Toby Danforth offenbar ein großzügiger Mann, zumindest dem Lohn nach zu urteilen, den er für die Stelle veranschlagt hatte. Auch wenn alle ihre Warnglocken schrillten, durfte sie darauf keine Rücksicht nehmen, wenn sie die Situation als Ganzes betrachtete. Egal, was ihre innere Stimme ihr riet, Heather konnte es sich nicht leisten, auf diesen Job zu verzichten.

„Wann soll ich anfangen?“ Ein entschlossenes Lächeln umspielte ihre Lippen.

„So schnell wie möglich.“ Toby deutete entschuldigend auf das Chaos um ihn herum. „Ich weiß nicht, ob die Agentur es Ihnen gesagt hat, aber meine Haushälterin hat sich aus gesundheitlichen Gründen vor zwei Wochen zur Ruhe gesetzt. Um ehrlich zu sein, stecke ich ziemlich in der Klemme. Eine Ranch läuft nicht von allein, und da ich mich in den letzten Wochen hauptsächlich um Dylan gekümmert habe, bin ich mit meiner Arbeit weit im Rückstand.“

Er wirkte in diesem Moment so überfordert, so unglaublich verletzlich, dass Heather unwillkürlich Mitleid mit ihm empfand. Ganz abgesehen davon, dass sie diesem süßen kleinen Jungen genauso wenig den Rücken kehren konnte, wie sie einen Fremden blutend auf der Straße liegen lassen könnte. Sie erkannte, wie schwer es für einen stolzen Mann wie Toby sein musste, um ihre Hilfe zu bitten.

Die Angestellte der Arbeitsagentur hatte ihr hinter vorgehaltener Hand zugeflüstert, dass das Kind sich zu sprechen weigerte, seit die Mutter die Familie verlassen hatte. Heather fragte sich, ob unter einem Dach drei kranke Herzen gleichzeitig heilen könnten, beschloss dann aber, dass sie keine andere Wahl hatte, als den Job anzunehmen.

„Mein Gepäck ist im Kofferraum. Wenn Sie jetzt so freundlich wären, mir mein Zimmer zu zeigen, dann könnte ich auspacken und sofort mit der Arbeit beginnen.“

Die Erleichterung, die Toby ins Gesicht geschrieben stand, war so ehrlich, dass Heather wieder ganz nervös wurde. Sie hoffte, dass er sie im Überschwang der Gefühle nicht durch die Luft wirbeln würde, wie er es mit Dylan getan hatte. Ihr war sowieso schon ganz schwindlig, sodass sie kaum noch klar denken konnte. Tobys nächste Äußerung machte es nicht besser.

„Ich habe vor, mit Dylan in den nächsten Tagen zu einer Art Familientreffen zu fahren, und ich würde mich freuen, wenn Sie uns begleiten könnten. Wenn Sie keine entsprechende Kleidung dabei haben, können wir am Wochenende noch welche holen.“

Heather schüttelte den Kopf, um ihre Gedanken zu ordnen. Wie sollte sie das alles auf einmal verarbeiten? Sie war innerhalb von fünfzehn Minuten gefeuert und wieder eingestellt und nun auch noch zu einem Familientreffen eingeladen worden.

„Das wird nicht nötig sein“, sagte sie und bemühte sich, ihm nicht zu zeigen, wie aufgeregt sie bei der Vorstellung war, das Wochenende mit ihr fremden Menschen zu verbringen. „Ich habe zwar nicht viel eingepackt, aber es sollte für jede Gelegenheit etwas dabei sein. Keine Sorge, ich bekomme das schon hin.“

Solange ich dafür nicht in ein Flugzeug steigen muss, fügte sie in Gedanken hinzu. Sie litt unter Flugangst, seit sie als Kind nahezu ununterbrochen im Flugzeug gesessen hatte, um von einem Auftritt zum nächsten zu gelangen. Wann immer es möglich war, reiste Heather mit Bahn oder Bus.

Die Anspannung in Tobys Gesicht wich einem strahlenden Lächeln. Gern würde Heather die Furcht vor dem ersten Arbeitstag für die Schmetterlinge verantwortlich machen, die bei diesem Lächeln in ihrem Bauch aufzuflattern schienen. Und nicht das plötzliche Gefühl der Zuneigung, das sie verspürte, wenn sie ihren neuen Arbeitgeber ansah.

„Das freut mich zu hören. Ich schlage vor, Sie packen etwas Leichtes für die Reise ein. Meine Schwester hat gesagt, dass es in Savannah für diese Jahreszeit ungewöhnlich warm ist. Habe ich schon erwähnt, dass wir bereits am Montag fliegen?“

Heather fiel vor Überraschung die Kinnlade hinunter, als Dylan begeistert in die Hände klatschte.

2. KAPITEL

Die neue Nanny legte ein so dominantes Verhalten an den Tag, dass Toby schon fast das Gefühl hatte, er arbeitete für sie statt umgekehrt. Allerdings war er bereit, ihr dieses Benehmen zu verzeihen, solange sie freundlich und lieb zu Dylan war. Alles war entschuldbar. Jugend und mangelnde Erfahrung, Augen so grau und launenhaft wie heranziehende Sturmwolken, eine Figur zum Anbeißen und verführerische Lippen, missbilligend aufeinandergepresst, als sie voreilig den Schluss zog, er würde Dylan mit dem verdammten Keks ärgern.

Entschuldbar und leider auch entzückend!

Dylan war Fremden gegenüber normalerweise eher zurückhaltend. Die Tatsache, dass er in Heathers Gegenwart das erste Wort gesprochen hatte, seit Sheila die Familie verlassen hatte, war mehr als Grund genug für Toby, den missglückten Auftakt ihrer Zusammenarbeit zu vergessen.

Seit die liebe Mrs Cremins einen Herzanfall erlitten hatte, hatte er verzweifelt nach einem geeigneten Ersatz gesucht – nach jemandem, der bereit war, an einem der verlassensten Orte der Welt zu leben, wie Sheila immer behauptet hatte.

Nach der Erfahrung mit seiner Exfrau zweifelte Toby ernsthaft daran, eine wunderschöne junge Frau wie Heather lange an diesem einsamen Flecken halten zu können. Er hoffte nur, dass Dylan noch nicht zu sehr an ihr hing, wenn sie, genau wie damals Sheila, ihre Sachen packte und sich aufmachte in ein aufregenderes Leben.

Toby selbst liebte die Einsamkeit und die Schönheit der Double D Ranch. Es war die Erfüllung seines lang gehegten Traums, sich von der politisch engagierten und manchmal gestörten Familie zu lösen, um mit seinem Sohn ein eigenes Leben zu führen. Ein Traum, der auf dem amerikanischen Ideal basierte, mit den eigenen Händen etwas zu schaffen.

Die Danforths hatten in dem alten Süden so tiefe Wurzeln, dass Tobys Entscheidung, sich in Wyoming niederzulassen, zunächst als Affront gegen die glorreiche Erinnerung an die Konföderation an sich gewertet wurde. Tobys Vorhaben, etwas zu machen, was sich völlig dem Einfluss seiner Familie entzog, war gleichbedeutend mit der Emanzipationsproklamation, mit der die Regierung von Abraham Lincoln die Abschaffung der Sklaverei erklärte und somit eine ganze Nation befreite.

Am Fuß des herrlichen Skigebiets Snowy Range gelegen, entsprach die Double D Ranch Tobys Vorstellung vom Himmel auf Erden. Er glaubte daran, dass ein Mensch unter dem endlos weiten, wolkenlosen Himmel über Wyoming klar denken und vernünftig handeln konnte. So ein Land verwies Technologie und Politik in ihre Schranken.

Die Bewohner wurden herausgefordert, auf den Verstand und den guten Willen der Nachbarn zu bauen. Auf Menschen, die noch auf harte Arbeit setzten und nicht auf schwankende Märkte, die von Gaunern und Verbrechern beherrscht wurden, die es irgendwie schafften, ihre Villen zu schützen, während ihre kleinen dummen Anleger gezwungen wurden, Bankrott anzumelden.

Es war schwer zu erklären, warum Toby sich vom Leben im kultivierten Luxus des Südstaatenadels eingeengt gefühlt hatte. Nicht, dass er seine Familie nicht liebte, aber er hatte sich manchmal wie ein Außenseiter in dem Haus gefühlt, in dem er aufgewachsen war.

Seit er als kleiner Junge den ersten Cowboyfilm gesehen hatte, wusste er, welche Art von Leben er führen wollte. Und zu diesem Leben gehörten keine feudalen Golfplätze und keine eleganten Events, die eine dunkle Krawatte erforderten, die nur dem einen Zweck dienten, einen Mann zu erdrosseln, damit irgendeine Südstaatenschönheit ihn am Schlips überall hinziehen konnte, wohin sie gerade wollte.

Auch wenn Toby vor vier Jahren darauf gebrannt hatte, Savannah zu verlassen, so war es ihm trotzdem wichtig, engen Kontakt zur Familie zu halten – schon wegen Dylan. Er war seinem Vater sehr verbunden und würde alles tun, worum Harold Danforth ihn bat – sogar nach Hause kommen, um einen Onkel zu unterstützen, den er nie besonders gemocht hatte, und steife offizielle Veranstaltungen über sich ergehen zu lassen, die er aus tiefstem Herzen missbilligte.

Abraham Danforth kandidierte für das politische Amt des Senators. Auf Uncle Abes Geheiß hin hatte Tobys Vater seine Kinder zu einer opulenten Veranstaltung auf Crofthaven anlässlich des amerikanischen Unabhängigkeitstages zusammengetrommelt.

Crofthaven, das feudale Anwesen der Danforths, war seit über einem Jahrhundert im Besitz der Familie und der ideale Ort für ein spontanes Zusammentreffen der Familie. Ganz abgesehen davon, dass es eine wundervolle Kulisse abgab, um die Wahlkampagne eines Mannes zu starten, der in Tobys Augen mehr an sich selbst als an seiner Familie interessiert war.

Toby empfand keine Eifersucht auf den wohlhabenderen Zweig der Familie. Nach dem Tod seiner Frau vor einigen Jahren hatte Abraham Danforth seine Kinder auf exklusive Internate geschickt. Und während er damit beschäftigt war, sich selbst einen Namen zu machen, hatte er sich auch in der Zeit der Schulferien nicht um seine Kinder gekümmert.

Tobys Cousins und Cousinen hatten die Ferien im Haus von Tobys Eltern verbracht und dort glückliche Zeiten verlebt und Harold irgendwann als Ersatzvater betrachtet.

Toby hatte kein Problem damit, seinen Vater mit seinen Cousins und Cousinen zu teilen, die für ihn wie Brüder und Schwestern waren. Der freundliche und liebenswerte Harold Danforth war der Typ Mann, dem kleine Jungen nacheiferten und den kleine Mädchen heiraten wollten. Das war nur einer der Gründe, weshalb Toby großen Wert darauf legte, dass sein Sohn seinen Großvater besser kennenlernte. Er hoffte, dass Dylan im Kreis der großen Familie etwas aus sich herauskam.

Weiß der Himmel, wenn die Danforths zusammenkamen, wurde immer viel erzählt und gelacht und über Gott und die Welt debattiert. Toby wusste, dass seine Familie alles tun würde, damit Dylan sich wie zu Hause fühlte und aus seinem Schneckenhaus herauskam. Dass Heather sie begleitete, würde dem Jungen zusätzliche Sicherheit geben – seinen Schwestern aber leider auch Raum schaffen für ihre unseligen Versuche, Toby zu verkuppeln.

Trotz seiner wiederholten Einwände, dass er kein Interesse an einer Beziehung, geschweige denn an einer neuen Ehe hatte, zweifelte er nicht daran, dass Imogene dafür gesorgt hatte, dass alle verfügbaren Südstaatenschönheiten für ihn Spalier standen, wenn er in Savannah ankam.

Sosehr er es zu schätzen wusste, dass sie nur sein Glück im Sinn hatte, wünschte er dennoch, seine Familie würde akzeptieren, dass er seinen Sohn so erzog, wie er es für angebracht hielt – als alleinerziehender Vater, der nicht den zusätzlichen Druck brauchte, zu einer der einflussreichsten Familien in Georgia zu gehören.

Toby wusste, dass er Heather mit dieser Reise überrumpelt hatte. Er hoffte jedoch, das großzügige Gehalt würde helfen, ihre möglichen Bedenken zu zerstreuen, ihn zu begleiten. Ihre bestürzte Reaktion auf seine Einladung war ihm nicht entgangen, und er fragte sich, ob sie eine Aversion gegen das Fliegen hatte – oder ihr einfach die Vorstellung nicht gefiel, mit ihm Zeit zu verbringen.

Wenn er Sheila als Maß der Dinge nahm, wohl eher Letzteres. Dieses Problem schienen Frauen allgemein mit ihm zu haben.

Heather Burroughs war sicherlich nicht der großmütterliche Typ wie Mrs Cremins. Sie war eine schüchterne Musikerin, deren Anwesenheit leicht zu übersehen war. Ein Mann konnte dem anderen Geschlecht gegenüber so viel Desinteresse heucheln, wie er wollte, aber wenn der Körper anders reagierte, dann hatte Toby keine Chance, sich einzureden, dass er keine Frau brauchte. Und seiner Schwester Genie erst recht nicht.

Schon bei dem Gedanken, wie Heather wie ein kleiner Tornado in sein Wohnzimmer gewirbelt kam, pochte sein Herz wie verrückt. In ihren Tennisschuhen und den verwaschenen Jeans, die blonden Haare locker auf die Schultern fallend, wirkte sie eher wie eine Rock-’n’-Roll-Musikerin, die ihm die Gitarre über den Kopf schlagen wollte, als eine Klassikpianistin, die, wie er geglaubt hatte, von Natur aus kultiviert und reserviert war. Er hatte das Feuer in ihren grauen Augen gesehen und fragte sich, ob der richtige Mann ihren Körper in Flammen setzen konnte.

Toby gefiel überhaupt nicht, in welche Richtung seine Gedanken wanderten. Die dünn besiedelte Region des Westens war nicht gerade für übermäßige Toleranz seiner Bewohner bekannt, und Toby wollte diese hübsche junge Lady nicht dem Gerede aussetzen.

Mit einem alleinstehenden Mann in einer verlassenen Gegend unter einem Dach zu wohnen, konnte nicht gut für den Ruf einer jungen Frau sein. Auch nicht für seine eigene Reputation in einer Gemeinde, die zu seiner Heimat geworden war.

Und für die Libido eines Mannes schon gar nicht.

Vor allem dann nicht, wenn der Mann nachts so einsam war, dass er lieber seinen Sohn in den Schlaf wiegte und dabei selbst einschlief, als sich mit den Dämonen auseinanderzusetzen, die ihn in seinem leeren Schlafzimmer quälten.

Die dringende Notwendigkeit, jemanden zu engagieren, der Mrs Cremins ersetzte, verdrängte Tobys schlechte Stimmung. Die Möglichkeit, dass Heather seinen Sohn zum Sprechen brachte, erfüllte ihn mit einer Hoffnung, die es in seinem Leben nicht mehr gegeben hatte, seit Sheila gegangen war.

Vielleicht war es einfach Zufall, dass Dylan gerade in dem Moment das erste Mal wieder sprach, als Heather eintraf. Oder war das bedeutsame Ereignis ihr zu verdanken? Er war bereit, auf Heathers Bedürfnisse einzugehen, wenn sie sich als Wunderheilerin erwies.

Die Zeit würde es zeigen.

„Freut mich, dich kennenzulernen, Dylan.“

Heather reichte dem kleinen Jungen die Hand, der mit einem skeptischen Blick zu ihr aufsah. Toby hatte sie allein gelassen, um sich um dringende Angelegenheiten auf der Ranch zu kümmern. Da er Dylan offensichtlich nur ungern in der Obhut einer Fremden ließ, versprach er, rechtzeitig zum Dinner zurück zu sein. Ein Abendessen, das Heather vermutlich zubereiten musste, nachdem sie ihre Sachen ausgepackt hatte.

„Du kannst mich Heather nennen“, sagte sie zu dem Jungen. „Oder auch anders, wenn du möchtest.“

Sie schüttelte ihm die kleine Hand wie einem Erwachsenen. Als die Frau bei der Arbeitsagentur von Dylans verzögerter Entwicklung sprach, hatte es geklungen, als wäre der Junge geistig behindert. Nachdem sie Dylan nun kennengelernt hatte, war Heather überzeugt, dass der Junge absolut nicht behindert war. Sie konnte sehen, dass es hinter seinen strahlend blauen Augen arbeitete.

„Was geht in deinem Kopf vor?“ Sie ging in die Hocke und legte einen Finger an seine Stirn.

Clever, wie er war, machte Dylan die Geste nach und tippte vorsichtig gegen Heathers Stirn.

„Was ich denke?“, sagte sie für ihn. „Oh, ich denke, dass wir beide uns sehr ähnlich sind und deshalb hervorragend miteinander auskommen werden.“

Heather ließ sich nicht durch seinen ernsten Gesichtsausdruck davon abhalten, weiter bei dem Thema zu bleiben. Dylans besondere Bedürfnisse hatten sie eher gereizt, den Job anzunehmen, als dass sie sie abgeschreckt hätten.

Nachdem sie die Entscheidung getroffen hatte, ihre musikalische Laufbahn zu beenden und eine neue Karriere im pädagogischen Bereich zu beginnen, wollte sie ihre Eignung erst einmal in der Praxis testen, bevor sie Geld in ein Studium steckte, das ihre Eltern als den „größten Fehler ihres Lebens“ bezeichneten.

Heather hoffte allerdings, dass kein Professor verlangen würde, diese erniedrigenden Erziehungsmethoden einzusetzen, die die Sprachtherapeutin Dylans Vater angeraten hatte. Heather war sicher, dass diese Methode genauso kontraproduktiv war wie der harte Unterricht, den ihre Lehrer den Schülern „zu ihrem Besten“ erteilt hatten.

Die Erinnerungen an ihre schwierige Kindheit kehrten zurück und erdrückten sie beinahe. Sie war musikalisch talentiert und litt unter den hohen Erwartungen der Erwachsenen und einem strapaziösen Unterrichtsprogramm. Dazwischen lagen anspruchsvolle Auftritte, die bei ihr grundsätzlich das Gefühl hinterließen, gerade mal so eben gut genug zu sein.

Sie wurde mehr für das Prestige und das mögliche Einkommen geschätzt, das sie eines Tages für ihre ehrgeizigen Eltern erzielen würde, als dafür, dass sie ein Mensch mit eigener Persönlichkeit war.

Und deshalb wurde Heather im zarten Alter von sieben Jahren auf ein exklusives Konservatorium geschickt.

Hunderte von Meilen von zu Hause entfernt, wuchs sie unter ständigem Druck und ohne Rücksicht auf ihr seelisches Wohlbefinden auf. Mit siebzehn hatte sie die vielen Konzerte und Talentshows satt …

„Noch einmal …“, forderte Mr Marion über seine eulenhafte Brille hinweg, die seinen missbilligenden, finsteren Blick noch intensivierte. „Und lass das schreckliche Schniefen. Du bist doch kein Gassenkind. Deine Eltern bezahlen mir viel Geld, damit ich dir Disziplin beibringe. Mit deinen Tränen erreichst du bei mir gar nichts. Du spielst das Stück so lange, bis du es richtig beherrschst. Bis es perfekt ist …“

„Keine Sorge, Dylan. Ich werde dich nicht zwingen zu sprechen, wenn du es nicht willst“, sagte sie lächelnd. Es wäre viel einfacher, die Grundlagen der Haushaltsführung und des Kochens zu lernen, ohne dass eine kleine Plappertasche ihre ganze Aufmerksamkeit verlangte.

„Ich bin auch eher ein stiller Mensch. Das haben wir gemeinsam. Weißt du, ich war nicht viel älter als du, als ich von meinen Eltern getrennt wurde. Und immer, wenn ich einsam war, dann habe ich die Musik für mich sprechen lassen.“

Daraufhin neigte Dylan den Kopf und zeigte das erste Mal Interesse an dem, was sie sagte. Er deutete auf den Flügel.

„Willst du mir etwas vorspielen?“, fragte Heather.

Er reagierte, indem er einen der Holzklötze auf den Boden fallen ließ, mit denen er lustlos einen Turm gebaut hatte. Heather nahm den Klotz und setzte ihn auf den schiefen Turm.

Nicht der Hauch eines Lächelns umspielte Dylans Mund, als der Turm umfiel und die Klötze sich in alle Richtungen verteilten.

„So viel zum Schiefen Turm von Pisa.“

Seufzend erhob sie sich und näherte sich dem Flügel mit einem Selbstvertrauen, das über ihre wahren Gefühle hinwegtäuschte. Da sie Musik mit gebrochenem Herzen verknüpfte, fiel es ihr schwer, den Deckel zu heben und die Hand über die Tasten gleiten zu lassen.

Sie spielte ein paar Tonleitern und war nicht überrascht, dass der Flügel perfekt gestimmt war.

„Peter, Peter, pumpkin eater, had a wife and couldn’t keep her.“ Das Kinderlied, das sie auf den polierten Tasten spielte, war allgemein bekannt.

„Put her in a pumpkin shell and there he kept her very well.“

Dylan vergaß seine Holzklötze und näherte sich zögernd dem Flügel. Er setzte sich neben Heather auf die Klavierbank und klimperte die letzten drei Töne des Liedchens.

Lachend bemerkte sie: „Es klingt genauso wie deine Holzklötze, wenn sie auf den Boden fallen, nicht wahr?“

Das Glitzern in seinen blauen Augen gab den Impuls für die Wahl des nächsten Liedes.

„Twinkle, twinkle, little star …“

Es war so lange her, dass ihr die Musik etwas anderes als Kummer und Leid bedeutet hatte, dass Heather überrascht war, wie sie sich in diesen fröhlichen Liedern verlieren konnte, die von einem Menschen nichts weiter verlangten, als Freude am Klavierspiel. Sie fragte sich, ob sie Dylan mit dem „Flohwalzer“ dazu bringen konnte, vierhändig mit ihr zu spielen.

Voller Freude, das erste zarte Band mit Dylan geknüpft zu haben, hoffte sie, dass sein Vater nichts dagegen einzuwenden hatte, wenn ihr Abendessen aus einem Käsebrot und einer Tomatensuppe aus der Dose bestand.

Toby kam durch die Haustür. Bei dem Klang der Musik blieb er abrupt stehen. Es war lange her, dass er solche fröhlichen Klänge in diesem Haus gehört hatte. Sosehr er den Duft von Mrs Cremins wunderbarem Essen am Ende eines langen Tages vermisste, die heitere Atmosphäre, die ihm entgegenschlug, bedeutete ihm viel mehr.

Er folgte den Geräuschen und kam in den Genuss eines kleinen Spontankonzerts im Wohnzimmer.

Den Rücken zur Tür gewandt, bemerkten weder Heather noch Dylan Tobys Anwesenheit. Daher hatte Toby die ideale Gelegenheit, das Zusammenwirken der beiden unbemerkt zu beobachten. Warum jemand mit einer so himmlischen Stimme, wie Heather sie besaß, als Nanny arbeiten wollte, war ihm unbegreiflich. Doch Toby dachte nicht länger über die Frage nach. Wenn Gott ihm einen Engel schicken wollte, warum sollte er dann das Gottesgeschenk zurückweisen?

Dylan war zwar nicht gerade gesprächig, aber er wirkte so lebendig, wie Toby ihn schon lange nicht mehr gesehen hatte. Heather verfuhr immer nach dem gleichen Muster. Sie schlug die ersten Töne eines einfachen Liedes an, und sein Sohn spielte die Melodie weiter. Die bedrückende Atmosphäre, die seit Sheilas Auszug in dem Haus geherrscht hatte, war wie weggeblasen.

Die Tatsache, dass im Haus Chaos herrschte und das Essen nicht auf dem Tisch stand, konnte Tobys aufkommenden Optimismus nicht dämpfen. Ein leerer Magen war nichts gegen die ständige Sorge, dass die Scheidung seinem kleinen Jungen dauerhaft geschadet haben könnte.

„Daddy ist zurück“, verkündete er laut.

Dylan sprang von der Klavierbank und flog in die Arme seines Vaters. Eine so wilde und herzliche Begrüßung war Heather völlig fremd, und sie beobachtete fasziniert die Szene. Der Anblick dieses großen Mannes, der sein Kind in die Luft warf und wieder auffing und fest an die Brust drückte, versetzte ihr einen Stich. Wenn ihr Vater sie auf ähnliche Weise begrüßt hätte, als sie in dem Alter war, wäre sie wahrscheinlich voller Panik in ihr Zimmer geflohen.

Heathers Scheu Toby gegenüber war teils darauf zurückzuführen, dass es ihr immer noch peinlich war, voreilig zu dem Schluss gekommen zu sein, dieser Mann wäre ein Unmensch, während es doch so offensichtlich war, dass sein kleiner Sohn ihn anhimmelte. Teils beruhte sie auch auf dem Wunsch, ihrem neuen Chef gefühlsmäßig nicht näherzukommen, als nötig war, um ihren Job zu behalten.

Da sie gerade von jemandem verlassen worden war, dem sie in erster Linie als Mentor vertraut hatte und erst dann als Liebhaber, wollte Heather nicht riskieren, sich wieder zu verlieben.

Nur dass Toby Danforth auf den ersten Blick genau das Gegenteil von Josef Sengele schien, bedeutete nicht, dass es keine Ähnlichkeit zwischen ihnen gab. Heather wusste aus Erfahrung, dass Männern grundsätzlich nicht zu trauen war. Durchsetzungsstarke Männer wie ihr Vater und Josef manipulierten sehr geschickt diejenigen Menschen, die sie zu lieben behaupteten. Und Tobias Danforth erweckte den Eindruck, einer der willensstärksten Persönlichkeiten auf dem Planeten zu sein.

Der einzige Unterschied war, dass weder Josef noch ihr Vater so offen ihre Zuneigung zeigten, wie Toby es tat. Das sprach für ihn.

In der Annahme, dass das Foto in dem silbernen Rahmen auf dem Klavier Dylans Mutter zeigte, wunderte Heather sich, dass Toby nicht alles beseitigt hatte, was an seine Exfrau erinnerte. Die hübsche Frau in dem Silberrahmen hatte Heather den ganzen Nachmittag vorwurfsvoll angeschaut. Dylans Blick hatte immer wieder das schöne Gesicht gesucht.

Heather nahm daher an, dass Toby das Foto nicht entfernt hatte, weil Dylan Trost in ihm fand. „Ich verspreche, dass ich mich morgen um den Haushalt kümmere“, sagte sie schuldbewusst zu ihrem Arbeitgeber.

„Schon gut“, erwiderte Toby. „Ich finde es viel wichtiger, dass Sie sich mit Dylan beschäftigen. Was halten Sie davon, wenn ich ein Fertiggericht aus dem Gefrierschrank in die Mikrowelle stelle und wir es uns dann vor dem Fernseher gemütlich machen?“

Heather wusste nicht, was sie sagen sollte. Die Einladung klang verführerisch.

Und gefährlich.

Außerdem hatte sie Hunger. Auf viel mehr, als der Mann anbot. Es gab keine wirkliche Erklärung dafür, warum sie das Gefühl hatte, sie sollte besser weglaufen. Abgesehen davon, dass der Mann etwas an sich hatte, das diese Stressreaktion in ihr auslöste. Angriff oder Flucht. Ihr gefiel gar nicht, was die Tatsache, dass ihr Körper zu Letzterem neigte, über ihren Charakter aussagte. Oder dass es angesichts ihres Jobs genauso unmöglich sein würde, Toby aus dem Weg zu gehen, wie sich zu beherrschen, wenn er in der Nähe war.

Heathers Magen meldete sich vernehmlich.

„Das wäre wunderbar“, sagte sie in einem Tonfall, der nichts von den verwirrenden Gefühlen verriet, die in ihr wüteten.

3. KAPITEL

„Du schaffst es“, sagte Heather sich immer wieder, als sie aus dem winzigen Fenster des Flugzeuges starrte, das auf die Starterlaubnis wartete, um sie dann direkt in das Herz des Südens und zu Tobys Familie zu bringen.

Du schaffst es. Dieses Mantra hatte ihr über die Jahre bei unzähligen Konzerten und Wettbewerben geholfen. Sie umklammerte die kleine Tasche auf ihrem Schoß und versuchte, ihre wahnsinnige Flugangst zu verbergen. Wenn sie bedachte, wie wunderbar es ihr in den vergangenen Tagen gelungen war, diese Angst vor ihrem Arbeitgeber geheim zu halten, dann müsste es jetzt ein Kinderspiel sein.

Dass aber der Flieger, in dem sie saß, ein Kleinflugzeug war, trug nicht dazu bei, ihre Nerven zu beruhigen. Als Toby ihr sagte, dass sein Onkel seinen Privatjet schicken würde, hatte Heather sich etwas anderes vorgestellt, als diese einmotorige Cessna, die unter ihr eher wie ein Motorrad brummte als wie ein Transportmittel, das dafür konzipiert war, vom Boden abzuheben.

„Alles okay?“, fragte Toby.

Er langte über das, was nur mit großer Übertreibung als Gang bezeichnet werden konnte, und nahm ihre Hand. Ihre Haut war kalt und feucht. „Gibt es irgendetwas, was ich Ihnen zur Beruhigung holen kann?“, erkundigte er sich mitfühlend.

„Es ist alles in Ordnung“, sagte Heather mit zusammengebissenen Zähnen.

Ihr Magen drehte sich, als sich der Propeller zu drehen begann. Sie hielt sich den Mund zu. Zwar war sie daran gewöhnt, mit der Angst vor einem Auftritt umzugehen und ihr Lampenfieber in den Griff zu bekommen, doch ihr graute vor dem Gedanken, sich neben einem Mann, der solche rührende Besorgnis zeigte, in eine Tüte übergeben zu müssen. Vor einem Konzert hatte sie zumindest die Möglichkeit gehabt, diskret zu verschwinden.

Tobys Stimme klang liebevoll. „Warum haben Sie mir nicht gesagt, dass Sie unter Flugangst leiden?“

Gute Frage. Aus genau demselben Grund, aus dem sie ihm nicht sagen konnte, dass sie Angst vor den Gefühlen hatte, die das Zusammenleben mit ihm in ihr wachrüttelte. Sie würde mit seiner engsten Familie zusammentreffen.

Sie, die Nanny seines Sohnes. Eine Angestellte, eine Außenstehende. Sie fühlte sich wie ein hungriges Kind, das die Nase an das Schaufenster eines Süßwarengeschäfts drückte, aber keinen Cent in der Tasche hatte. Da sie das aber nicht zugeben wollte, sagte sie nur zu ihrer Entschuldigung: „Ich schaffe es schon. Es gehört zu dem Job. Das war mir klar, als ich ihn angenommen habe.“

Sie warf Dylan über Tobys breite Schulter hinweg einen tapferen Blick zu. Doch er blieb an dem Kind hängen, dessen Kopf über das Reisekeyboard gesenkt war, das sein Vater mitgenommen hatte, um ihn zu beschäftigen. Selbst der dreijährige Junge hatte nicht solche Probleme mit dem Fliegen wie sie. Sie ärgerte sich, dass sie Toby hatte merken lassen, wie nervös sie wirklich war. Aber er musste nur in ihre Augen blicken, und schon wusste er, wie es um sie stand.

„Ich bin gleich zurück“, sagte er.

Heather zwang sich, seine Hand loszulassen, als er aufstand. Sie war dankbar, dass er sie nicht mit Plattitüden wie „es gibt nichts, wovor Sie Angst haben müssen“, zu beruhigen versuchte. Ihr Vater hatte ihr damit die Angst vor der Dunkelheit nehmen wollen, als sie noch klein war. Und Josef, wenn sie auf ihren Auftritt in einem Haus voller Kritiker wartete.

Und bevor er ihr die Unschuld nahm.

Lügen. Alles Lügen.

Heather war doppelt dankbar, als Toby einen Moment später wie versprochen zurückkehrte. Und nicht mit dem herablassenden Spruch auf den Lippen, dass das Fliegen sicherer war als Autofahren, sondern mit einem Drink in der Hand.

„Ich hoffe, Sie mögen Whiskey.“ Er reichte ihr ein hohes Glas. „Sie scheinen mir eher der Typ zu sein, der einen Longdrink mit Cocktailschirmchen und Kirsche vorzieht. Aber da ich kein großer Barmixer bin, ist dies das Beste, was ich noch hinbekommen konnte, bevor der Pilot gleich das Zeichen zum Anschnallen gibt.“

Was Heather betraf, so waren einige Anweisungen überflüssig. Sie hatte sich im selben Moment angeschnallt, als sie sich hinsetzte – und jedes Wort auf der Karte mit den Sicherheitshinweisen gelesen, die in dem Netz am Sitz vor ihr steckte. Nur für den Fall, dass es plötzlich einen Ozean zwischen Wyoming und Georgia gab, war sie darauf vorbereitet, ihr Sitzkissen als Rettungsschwimmkörper zu benutzen.

Zaghaft probierte sie einen Schluck. Wie vermutet, war der Drink sehr stark. „Ich hoffe, Ihre Familie nimmt es mir nicht übel, wenn ich bei unserer Ankunft nicht mehr stehen kann“, sagte sie und verschluckte sich beinahe.

Sein Lächeln darauf genügte, um die klirrenden Eiswürfel in ihrem Glas zum Schmelzen zu bringen. Heather war sich nicht sicher, ob ihre verrückt spielenden Hormone oder der Alkohol schuld daran waren, dass ihr plötzlich warm wurde.

„Keine Sorge“, beruhigte Toby sie. „Soweit ich weiß, ist das Hauptthema des Wahlkampfs meines Onkels nicht Abstinenz. Was auch gut ist, angesichts seiner eigenen Vergangenheit.“

Heather zog eine sorgfältig gezupfte Augenbraue hoch.

„Meine Familie ist nicht ohne Fehl und Tadel“, warnte er.

„Wessen ist das schon?“

Das kleine Flugzeug rollte über die lange Startbahn, und Heather trank zur Beruhigung noch einen Schluck. Auch wenn sie nichts auf Klatsch gab, so war sie doch neugierig. Die Tratschtanten verbanden Toby mit einer märchenhaften Villa, die im letzten Sommer in einem Hochglanzmagazin abgebildet worden war.

Vieles, was im Zusammenhang mit dem Artikel geredet wurde, war kleinlich und missgünstig. Wahrscheinlich musste eine bekannte Familie wie die Danforths damit leben, dass jeder kleine Vorfall in der Presse aufgebauscht wurde. Sie fragte sich, ob Toby aus dem Grund diese räumliche Distanz geschaffen hatte.

„Wie ist Ihre Familie?“, fragte Toby.

Da Heather nicht wusste, ob er die Frage aus reiner Höflichkeit stellte oder ob er sie von dem bevorstehenden Abheben ablenken wollte, antwortete sie kurz angebunden. „Ruhig.“

Sie kniff die Augen zu, als der Motor lauter brummte und der Flieger über die Startbahn rollte, und hoffte, dass Toby sich über ihre Schroffheit nicht ärgerte. Sie hoben in die Luft ab, ihr Magen machte einen Satz und landete irgendwo zwischen ihrem Kopf und ihrem Herz. Winzige Schweißperlen glitzerten über ihrer Oberlippe.

„Trinken Sie noch einen Schluck“, sagte Toby und drückte bei seinen Werken ihre Hand.

Seine Stimme war weitaus beruhigender als der Whiskey.

Leider wirkte die Berührung dem beruhigenden Effekt entgegen. Sie deutete eine Intimität an, die zwischen Arbeitgeber und Angestellter absolut nicht angebracht war. Heather rief sich in Erinnerung, dass sie als Nanny für Dylan angestellt worden war und nicht, um sich dummen romantischen Fantasien hinzugeben, die zu nichts führten.

Egal, wie gern Heather Tobys Hand loslassen wollte, sie konnte es genauso wenig, wie sie es schaffte, ihren schnellen Pulsschlag zu beruhigen. In einem kleinen Flugzeug wie diesem spürte man jede noch so schwache Turbulenz. Und der Blick aus dem Fenster intensivierte das aufkommende Schwindelgefühl. Die Landschaft unter ihr, ausgedörrt durch die Trockenheit, könnte genauso gut die Oberfläche des Mondes sein, so wenig Trost brachte ihr der vertraute Anblick.

„Drehen Sie sich um“, sagte Toby.

„Was?“

Er berührte ihren Nacken mit der freien Hand.

Sie zuckte zusammen und zog die verspannten Schultern hoch, als er begann, die Muskeln zu kneten.

„Lassen Sie sich massieren. Glauben Sie mir, das hilft Ihnen, sich zu entspannen.“

Heather wollte protestieren. Doch seine geschickten Hände an ihrer Haut zu fühlen, war einfach himmlisch und zu schön, um darauf zu verzichten. Nicht einmal aus Stolz. Toby ließ ihre Hand los und begann mit der richtigen Massage.

Heather stieß einen langen Seufzer aus und spürte, wie sich jeder Muskel in ihrem Körper entspannte. Plötzlich war es gar nicht mehr so beängstigend, hoch über dem Boden durch die Luft zu fliegen. Sie schmiegte sich gegen seine Hände und schloss die Augen. „Das tut wirklich gut“, gestand sie.

Dylan lachte fröhlich, als das Flugzeug in eine Turbulenz geriet. Offensichtlich teilte er ihre Aversion gegen das Fliegen nicht. Toby stimmte in das Lachen seines Sohnes ein. Dylan hatte zwar seit dem Tag, als Heather ins Haus gekommen war, nicht wieder gesprochen, aber sein Lachen war definitiv ein Schritt in die richtige Richtung.

„Ich fürchte, der einzig ruhige Mensch, den Sie in meiner Familie finden werden, ist Dylan“, sagte Toby. „Und mit Ihrer Hilfe sind wir, denke ich, auf dem besten Weg, das zu ändern.“

Toby hatte recht. Eine kleine Heerschar wartete auf dem Flugplatz von Savannah, um sie zu begrüßen. Einerseits war Heather froh, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Andererseits – die vielen Menschen, die sie mit fröhlichem Geschrei und Umarmungen willkommen hießen, waren fast genauso erdrückend wie die Schwüle und der starke Duft teurer Parfums. Sie hatte weiche Knie, teils von dem Wundergetränk, das Toby für sie gemixt hatte, und teils von dem Gefühl, erstickt zu werden.

Dylan klammerte sich an ihrem Bein fest, während Toby nach ihrem Ellenbogen griff. Heather fühlte sich wie ein Knallbonbon, der auseinandergerissen wurde. Umringt von einem Pulk der schönsten Menschen, die sie je gesehen hatte, nahm sie Dylan auf den Arm. Er umschlang ihren Hals, als wäre sie seine Lebensretterin.

„Und dieser kleine Engel muss mein Neffe sein“, gurrte eine sanfte Südstaatenstimme.

Diese Stimme gehörte einer atemberaubenden blonden Schönheit. Die Frau streckte die Arme nach Dylan aus. Das musste Tobys Schwester sein. Ihre Augen hatten dieselbe Form und waren so lebendig wie seine – und in ihrer Tiefe schimmerte dasselbe Einfühlungsvermögen. Heather hielt den Atem an, als Dylan zögerte. Der Junge war ihr schon so sehr ans Herz gewachsen, dass sie nicht wollte, dass ihn jemand zu sehr bedrängte.

Als er sich seiner Tante Imogene zuneigte, hörte Heather, dass Toby im selben Moment den Atem ausstieß wie sie. Die Anspannung in ihren Schultern kehrte überraschend heftig zurück. Es lag nicht daran, dass irgendjemand ihr das Gefühl gab, unwillkommen zu sein, sondern eher daran, dass zu viele Danforths da waren, um sich direkt alle Namen zu merken.

„Ich möchte Ihnen meine Schwester Imogene und meinen Bruder Jacob vorstellen. Seine Frau Larissa. Mein Cousin Reid, seine Frau Tina.“

Tobys Schwester warf ihm einen scharfen Blick zu und korrigierte ihn, kaum dass ihr Name über seine Lippen gekommen war. „Als mich das letzte Mal jemand in dieser Familie Imogene genannt hat, hat er noch meinen zweiten Namen und meinen Nachnamen benutzt. Ich glaube, es war ein Code, der signalisierte, dass ich in Schwierigkeiten steckte. Meistens wegen irgendetwas, was mein störrischer großer Bruder angestellt hatte.“

Toby schloss lachend seine charmante Schwester und seinen Sohn in die Arme. Sein Lachen ging Heather unter die Haut. Sie stellte sich vor, dass sich dieses herzliche Lachen mit dem vieler anderer Danforths vermischte, bis sich die Dachbalken in dem herrschaftlichen Haus bogen, dem viele Artikel in Magazinen über den Lifestyle der Reichen und Berühmten gewidmet waren.

Heathers erster Eindruck war, dass diese angesehene Familie weit weniger spießig wirkte, als sie erwartet hatte. Das hob ihre Stimmung, machte aber auch ihre Stellung als Dylans Nanny komplizierter.

Da sie nur eine Angestellte war, sollte sie mehr Abstand wahren.

Nachdem Toby ihr die Erwachsenen vorgestellt hatte, begrüßte er die Kinder, die mitgekommen waren, um die Flugzeuge starten und landen zu sehen und auch, um Toby zu Hause willkommen zu heißen. Er nahm jedes Kind auf den Arm und versprach ihnen ein Geschenk, sobald er ausgepackt hatte. Nachdem sie ihr Gepäck geholt hatten, stiegen sie in die wartende Limousine.

Heather stieß einen tiefen Atemzug aus und begrüßte die plötzliche Stille.

„Nach Crofthaven“, sagte Toby dem Fahrer.

Weitere Anweisungen zu dem Sitz der Familie waren nicht nötig. Dort würde der Rest der Familie mit Kind und Kegel versammelt sein, wie Toby vermutete. Entweder übersah er absichtlich die Panik in Heathers Gesicht, oder sie war ihm entgangen, weil er über Dylan nachdachte.

„Es hat mich überrascht, dass er so schnell zu Genie gegangen ist“, gestand er.

„Und dass er bei ihr bleiben und mit ihr zurückfahren wollte“, fügte Heather hinzu. „Ihre Schwester scheint sehr nett zu sein.“

„Ja, das ist sie“, bestätigte Toby mit dem typischen Stolz eines großen Bruders. „Eigentlich mag ich meine ganze Familie. Das Schlimmste daran, dass ich so weit weg wohne, ist, dass ich die Familienfeiern verpasse.“ Grinsend fügte er hinzu: „Vielleicht ist es aber auch das Beste.“

Als Heather ihm einen fragenden, Unverständnis ausdrückenden Blick zuwarf, beeilte er sich zu erklären: „Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich liebe meine Familie. Ich bin nur nicht der Typ, der gern auf diese offiziellen Veranstaltungen in eleganter Abendgarderobe geht. So wie die große Party, die Uncle Abe am Unabhängigkeitstag gibt, um seinen politischen Wahlkampf zu starten.“ Er machte eine kleine Pause.

„Ich wäre nicht nach Hause gekommen, wenn mein Vater mich nicht ausdrücklich darum gebeten hätte. Die Vorstellung dieses Mannes über die Pflichten einer Familie macht an der Landesgrenze nicht halt. Und Uncle Abes auch nicht – deshalb hat er seinen Privatjet geschickt – auch wenn ich fürchte, dass sein Motiv weniger selbstlos als das meines Vaters ist.“

Heather nickte voller Mitgefühl. Sie hatte mehr als genug an solchen Veranstaltungen teilgenommen, wie Toby sie beschrieb, ganz zu schweigen von dem ungebührlichen Einfluss ihrer Familie auf ihr Leben. „Wie haben Sie es geschafft, eigene Wege zu gehen, ohne die Familienbande ganz zu durchtrennen?“, fragte sie.

Es war das erste Mal in den drei Tagen, die sie jetzt für Toby arbeitete, dass sie mit ihm allein war, denn sie hatte alles in ihrer Macht Stehende getan, um solche Situationen zu vermeiden. Auch wenn ihre Hormone in Tobys Nähe sofort verrückt spielten, war es weniger schwierig, als sie sich vorgestellt hatte.

Wie bei dem Abendessen vor dem Fernseher an ihrem ersten Abend war es sogar erstaunlich angenehm. Wenn sie nicht aufpasste, könnte sie schnell das Gefühl haben, wirklich zu Tobys Familie zu gehören. Sie fühlte sich gleichzeitig geschmeichelt und verwirrt, dass ihr Chef sie eher wie eine Freundin als wie eine Angestellte behandelte.

„Meine Familie akzeptiert mich so, wie ich bin. Glücklicherweise meint sie nicht, mich verändern zu müssen. Sie holt mich nur ab und zu nach Hause und erinnert mich daran, dass ich einer von ihnen bin.“

„Das muss sehr schön sein“, sagte Heather. Der sehnsüchtige Klang ihrer Stimme verriet den Schmerz über ihre familiäre Situation.

„Auf jeden Fall lerne ich den Wert einer Familie immer wieder zu schätzen, wenn ich hierher komme. Auch für Dylan ist es gut. Ein Kind muss wissen, dass es Teil eines Baumes mit Wurzeln ist, bildlich gesprochen, und nicht nur irgendein Samenkorn, das über den Kontinent geblasen wurde.“

Heather ging die Bemerkung zu Herzen. Genauso fühlte sie sich. Wie ein Samenkorn, das vom Wind irgendwohin getragen wurde. Sie beneidete Toby um die Möglichkeit, sein eigenes Leben zu führen, ohne fürchten zu müssen, enterbt zu werden. Dylan konnte sich glücklich schätzen, in diese Familie hineingeboren zu sein.

Neugierig starrte sie aus dem Fenster. Sie war das erste Mal in Savannah. Es war eine zauberhafte, elegante Stadt, die immer altmodischer wurde, je weiter sie sich vom Flughafen entfernten. Die Luft duftete nach Magnolienblüten, die so groß waren wie die offene Hand eines Mannes.

Die üppige Landschaft des Südens stand in krassem Gegensatz zu den offenen Flächen in Wyoming. Sie fuhren den Savannah River entlang, der sich durch die Stadt schlängelte. Er erinnerte Heather an eine vornehme Lady, die keine Eile hatte, ihr Ziel zu erreichen, sondern die Reise an sich genoss. Sie erreichten den Teil der Stadt mit den großen Plantagen.

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Autor

Cathleen Galitz
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