Baccara Gold Band 20

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STÜRMISCHE LEIDENSCHAFT von TESSA RADLEY

Wie kann Mandy es wagen, auf seine Insel zu kommen! Vor drei Jahren hat sie ihn betrogen und Strathmos verlassen. Jetzt scheint seine Ex wie verwandelt - warmherzig und unwiderstehlich … Aber kann sie sich wirklich an nichts erinnern, wie sie behauptet?

NÄCHTE WIE FEUER, TAGE WIE EIS von MAUREEN CHILD

Julia ist schwanger! Obwohl Max an seiner Vaterschaft zweifelt, schlägt er eine Zweckehe vor, um einen Skandal zu vermeiden. Und auch wenn er Julia für eine Lügnerin hält, ist da immer noch diese ungeheure erotische Spannung zwischen ihnen …

DEIN BLICK IST WIE EIN SÜNDIGES VERSPRECHEN von ELIZABETH BEVARLY

Ava traut ihren Augen nicht: Der Mann an der Bar ist Peyton Moss. Nur einmal haben sie damals auf der Highschool ihrem Verlangen nachgegeben. Zu unterschiedlich waren ihre Welten. Jetzt überläuft Ava ein Schauer. Denn Peytons Blick ist wie ein einziges sündiges Versprechen …


  • Erscheinungstag 22.01.2021
  • Bandnummer 20
  • ISBN / Artikelnummer 9783751501361
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Tessa Radley, Maureen Child, Elizabeth Bevarly

BACCARA GOLD BAND 20

1. KAPITEL

Sie war zurückgekommen.

Jannis Apollonides zwang sich, den Schock zu überwinden, und ging über den hellen Sandstrand auf die Frau zu, die ihn einst betrogen hatte.

Seine Angestellten hatten also die Wahrheit gesagt. Seine ehemalige Geliebte war tatsächlich wieder aufgetaucht – hier an seinem Strand, auf seiner Insel. Sie bewunderte gerade einen der windschnittigen Katamarane und bemerkte nicht, wie Jannis sich ihr näherte. Er wollte umgehend herausfinden, weshalb sie sich entschlossen hatte, zurückzukehren.

„Was willst du hier?“ Jannis bemühte sich, seine Wut unter Kontrolle zu halten. „Ich hatte nicht erwartet, dich je wiederzusehen. Vor allen Dingen nicht hier auf Strathmos.“

Gemma wandte sich um und sah ihn aus weit geöffneten Augen erschrocken an. Die erste Novemberwoche war vorüber, und das Wetter auf Strathmos hatte sich abgekühlt. Die auffrischende Meeresbrise zauste Gemmas dunkelrote Locken. Sie wehten ihr ins Gesicht, sodass ihr einen Moment lang niemand ansah, was sie empfand. Als sie sich das Haar aus der Stirn strich, hatte Gemma ihr inneres Gleichgewicht wiedergefunden.

„Jannis.“ Ihre Stimme klang kühl und beherrscht. Die anfängliche Furcht war fort. „Wie geht es dir?“

„Lass das freundliche Getue. Wie kannst du es wagen, hier im ‚Palace of Poseidon‘ aufzutauchen?“ Sein Mund wirkte wie eine harte, schmale Linie. „Ich dachte, ich höre nicht recht, als man mir mitteilte, dass du im Electra-Theater auftrittst.“

Sie zuckte die Achseln. „Es ist ein freies Land. Ich kann arbeiten, wo ich will.“

„Überall, aber nicht auf Strathmos. Das hier ist meine Welt, und hier läuft es nach meinen Regeln.“ Die Insel war mehr als seine Welt: Sie war sein Zuhause. Er hatte das traumhafte Hotelresort nach seinen Vorstellungen gestaltet. An diesem Tag war er von einer Dienstreise zurückgekehrt. Und nun musste er erfahren, dass seine Exfreundin bereits seit über einer Woche hier arbeitete.

„Möchtest du, dass ich dich wegen unstatthafter Kündigung verklage?“ Ihre Haltung veränderte sich, sie wirkte selbstbewusst, fast herausfordernd.

Jannis hielt viel darauf, als fairer Arbeitgeber zu gelten. Einen Prozess konnte er nicht brauchen, vor allem, weil sie eine gute Chance hatte, ihn zu gewinnen.

Frustriert sah er sie an. Sie war in den Jahren, in denen er sie nicht gesehen hatte, noch schöner geworden. Ihr Haar war länger, fast wild, ihre Augen glänzten, und ihr Mund – er durfte gar nicht an die vollen roten Lippen denken. Hastig versuchte er, sich abzulenken, und ließ den Blick mit fast beleidigender Deutlichkeit über ihre schlanke Figur gleiten. „Sängerin ist ein Aufstieg, verglichen mit deinem früheren Job als Tänzerin.“

„Es ist drei Jahre her. Die Dinge ändern sich“, entgegnete sie.

„Ich habe mich nicht verändert.“ Er stemmte die Hände in die Hüften.

„Nein, das hast du absolut nicht“, stimmte sie zu.

Die Schärfe ihres Tons entging ihm nicht. „Was willst du, Gemma? Eine zweite Chance?“

Er konnte den Ausdruck ihres atemberaubend schönen Gesichts nicht deuten. Gemma lachte sarkastisch. „Eine zweite Chance? Mit dir? Du musst verrückt geworden sein!“

Es ärgerte ihn, weil er offenbar verlernt hatte, sie zu durchschauen. „Also, weshalb bist du hier?“

„Ich arbeite hier. Es ist ein freies Land.“ Sie wies auf das tiefblaue Ägäische Meer, das sich neben ihnen erstreckte, so weit das Auge reichte. „Dein Manager hat mir den Job gegeben, und die Gage war so gut, dass ich nicht Nein sagen konnte.“

„Aha. Geld.“

„Schau nicht auf Leute herab, die es brauchen“, fuhr sie ihn an. „Nur weil du eine Hotelkette geerbt hast, mit Luxuspalästen auf den wichtigsten griechischen Inseln, hast du noch lange nicht das Recht, mir Geldgier vorzuwerfen. Ich bestreite meinen Lebensunterhalt.“

Jannis fand, dass sie ziemlich angriffslustig geworden war, seit er sie das letzte Mal gesehen hatte – jenen Anblick würde er nie vergessen. „Ich habe hart gearbeitet, um eine Reihe kleiner Familienhotels in Weltklasse-Resorts zu verwandeln. Und du hast übrigens nie etwas dagegen gehabt, von meinem Reichtum zu profitieren.“

Kühl erwiderte sie: „Wenn die Boulevardpresse recht hat, fühlst du dich uns normalen Sterblichen so hoch überlegen, als würdest du den Olymp bewohnen.“

„Du solltest nicht alles glauben, was in der Klatschpresse steht“, bemerkte er scharf und dachte an die letzten Schlagzeilen, die nach seiner Trennung von Melina über ihn veröffentlicht worden waren.

„Wirklich?“ Sie sah ihn spöttisch an. „Bist du etwa nicht der Playboy, der dauernd in den Klatschspalten auftaucht? Schleppst du etwa nicht ein Filmsternchen oder Supermodel nach dem anderen ab?“

Wütend fixierte er sie mit Blicken. „Diese Frauen benutzen die Medien genau wie ich.“

„Ach, geht es also nur um Glamour? Um den Leuten ein Märchen über die Reichen und Schönen aufzutischen? Sonst um nichts?“

„Wieso interessiert dich das so sehr?“, hakte er nach. „Willst du vielleicht doch zurück in mein Bett?“

„Ich will dich nicht wiederhaben!“

Er lächelte zynisch. „Hat dir noch niemand gesagt, dass du nett zu deinem Chef sein solltest? Vor drei Jahren hättest du nie gewagt, so mit mir zu reden.“

„Vor drei Jahren war ich auch nichts weiter als eine dumme kleine Gans.“

Sie unterstrich ihre Worte mit einer heftigen Handbewegung, wobei ihr schmales Trägertop hochrutschte und den Blick auf ihre Taille freigab. Gemmas Haut war sanft gebräunt, und Jannis reagierte unweigerlich auf diesen Anblick.

„Du gibst aber zu, dass du interessiert bist?“ Er trat auf sie zu.

Ausweichend sah sie auf ihre Armbanduhr. „Alles, was ich zugebe, ist, dass du ein faszinierender Mann bist.“

Er lachte überrascht. „Du willst mich nicht wiederhaben, interessierst dich allerdings genug für mich, um zu gestehen, dass du mich faszinierend findest? Welche Botschaft soll ich dem entnehmen?“

Einen Moment lang wirkte sie unsicher. Jannis sah, wie sie kaum merklich erzitterte. „Ist dir kalt?“

„Nein.“ Sie rieb sich kurz die Oberarme und mied dabei seinen Blick.

Er berührte ihren Arm. Zärtlich. Nur mit einer Fingerspitze. „Und was hat das dann zu bedeuten, wenn dir nicht kalt ist?“

Sie schrak zurück. Ihre Blicke trafen sich. Er las in ihren Augen Verblüffung und noch etwas anderes. Eine starke Emotion. Angst?

Hastig trat sie zurück. „Entschuldige mich jetzt.“ Sie lächelte, aber dieses Lächeln erreichte ihre Augen nicht. „Ich muss los. Es ist Zeit, dass ich mich für die Show fertig mache. Vielleicht hast du ja Lust, ins Theater zu kommen“, fügte sie hinzu und wollte gehen. Schon hatte Jannis ihr eine Hand auf den Arm gelegt.

Als sie sich nun zu ihm umwandte, war er sicher, dass Angst, fast Panik in ihrem Blick lag. Er betrachtete Gemma aufmerksam, sah in ihre großen Augen, erkannte das Zucken ihrer schönen Lippen, sah die Schauer, die sie überliefen. Ihr Haar verströmte den Duft von salziger Seeluft.

Weshalb war sie hergekommen? Sie behauptete, das Geld zu brauchen. War das der einzige Grund? Log sie, wenn sie sagte, sie wolle die Affäre mit ihm nicht wieder aufnehmen?

„Lass mich gehen“, forderte sie tonlos und sah auf seine gebräunten Finger, mit denen er ihr Handgelenk eisern umfasste.

Sobald er die Hand zurückgezogen hatte, hörte er, wie Gemma tief durchatmete.

Der Wind spielte in ihren wilden Locken, während sie wieder auf ihre Uhr schaute und sich dann bückte, um die Sandalen aufzuheben, die im Sand lagen. „Ich nehme an, ich müsste jetzt sagen: nett, dich wiedergetroffen zu haben …“

„Aber das wäre eine Lüge.“

„Das habe ich nicht behauptet.“ Sie sah zu ihm auf. „Verdreh mir nicht die Worte im Mund.“

Ihr Mund. Er blickte auf ihre verführerischen Lippen – und nahm überrascht zur Kenntnis, dass er Gemma begehrte. Dieses untrügliche Verlangen verstörte ihn. Die Hände zu Fäusten geballt, stand er da und fragte sich, was das sollte. Wie konnte er Gemma Allen begehren, nach allem, was sie ihm angetan hatte?

Und dennoch. Wie hatte er jemals vergessen können, wie sexy sie war? Wie voll und rot ihre Lippen, wie sinnlich ihr wohlgeformter Körper, wie verlockend ihr rotes Haar? Hatte er wirklich geglaubt, das alles sei vorbei?

Doch zugeben wollte er es nicht. Sanft sagte er: „Von der Tänzerin zur Sängerin. Diese Verwandlung lasse ich mir nicht entgehen. Ich werde mir deine Show ansehen.“

Eine halbe Stunde später saß Gemma allein und nur mit einem Spitzenslip und einem schwarzseidenen Neckholder-BH bekleidet vor dem Spiegel in ihrer Garderobe, die sie mit Lucie LaVie, einer sympathischen Comedienne, teilte. Lucie unterhielt die Gäste der Bar, die neben dem Electra-Theater lag, mit Comedy und schrägen Liedern.

Gemma gestand sich ein, dass es ein Schock für sie gewesen war, Jannis so unerwartet am Strand zu begegnen. Sie hatte nicht gewusst, dass er wieder zurück war. Seit über einer Woche befand sie sich schon auf Strathmos und wartete auf ihn, die Begegnung halb fürchtend, halb herbeiwünschend. Deshalb war sie auf das Zusammentreffen vorbereitet gewesen.

Trotzdem hatte er sie kalt erwischt, in Shorts, ohne Make-up, barfuß, Sand an den Beinen. Was sie am allerwenigsten erwartet hatte, war diese seltsame Benommenheit, die sie in seiner Gegenwart umfing.

Seufzend sah sie in den Spiegel und fragte sich, was Jannis wohl von ihrer Verwandlung halten würde. Das Bühnen-Make-up verlieh ihrer Haut eine unnatürliche Perfektion und verdeckte die zarten Sommersprossen auf ihrer Nase und ihren Wangen. Der Eyeliner betonte ihre bernsteinfarbenen Augen, und der dunkelrote Lippenstift ließ ihre Lippen noch sinnlicher wirken.

Jannis mochte Frauen, die betörend schön und auffallend waren. Seine letzten Begleiterinnen waren alle entweder Schauspielerinnen oder berühmte Models gewesen. Boulevardartikeln hatte Gemma entnommen, dass Jannis offenbar nicht die Absicht hatte, solide zu werden. Sie betrachtete ihr Gesicht im Spiegel. Ja, sie war betörend schön und auffallend. Und Jannis würde sich nachher im Zuschauerraum aufhalten, wenn sie die Bühne betrat.

Ihr Plan musste …

Es klopfte an der Tür, und Gemma schrak nun aus ihren Grübeleien hoch. „Noch zehn Minuten bis zu deinem Auftritt, Gemma.“

„Bin gleich da“, rief sie zurück und strich sich mit den Fingern durchs Haar, um die roten Locken zu zähmen. Sie konnte sich nicht erinnern, wann ein Mann das zuletzt getan hatte. Jannis hatte schöne Hände. Sie sah noch genau seine langen, kräftigen Finger vor sich, wie er sie um ihr Handgelenk geschlossen hatte. Gemma fluchte leise.

In diesem Moment wurde die Tür aufgerissen. Jannis stürmte energiegeladen in die Garderobe.

„He, du darfst hier nicht rein!“, rief Gemma erschrocken und widerstand dem Impuls, die Brüste mit den Händen zu bedecken. Obwohl der schwarze Seiden-BH pure Reizwäsche war, verbarg er alle strategisch wichtigen Stellen.

Jannis schloss die Tür hinter sich und lehnte sich mit verschränkten Armen dagegen. „Hier gibt es nichts, was ich nicht schon mal gesehen hätte.“

Stimmt. Gemma schluckte und musterte ihn. Er sah umwerfend aus. Das weiße Dinnerjackett war zweifellos maßgeschneidert und saß perfekt. Sein Haar schimmerte wie antikes Gold, und seine blaugrünen Augen blitzten herausfordernd. Er wirkte selbstbewusst, reich, mächtig.

Und sie hatte sich vorgenommen, diesem Mann eine Lektion zu erteilen, die er niemals vergessen würde.

„Was willst du?“

„Lass uns nach der Show zusammen was trinken.“

Gemma unterdrückte das aufsteigende Triumphgefühl. Es war richtig gewesen, nach Strathmos zu kommen. Noch vor ein paar Jahren hätte Jannis sie mit seinem Aussehen und seiner überwältigenden Ausstrahlung beeindruckt. Inzwischen stand sie nicht mehr auf dominante Erfolgstypen.

Zu schnell durfte sie nicht nachgeben, weil sie ahnte, dass er sonst das Interesse verlor. Außerdem durfte sie keinen Augenblick lang vergessen, weshalb sie es tat.

„Findest du nicht, dass es angebracht wäre, draußen zu warten, bis ich angezogen bin?“ Gemma wartete einen Moment, dann fügte sie kokett hinzu: „Boss …“

Als Reaktion auf ihren herausfordernden Tonfall runzelte er die Stirn. Gemma verspürte eine tiefe Befriedigung. Klar, er war gewohnt, bewundert, wenn nicht sogar angebetet zu werden. Frauen verfielen ihm in Scharen. Aber sie nicht.

„Du …“ Er brach ab und atmete tief durch, ehe er sanft und mit gefährlichem Unterton fortfuhr: „Du solltest dir auf unsere ehemalige Beziehung nichts einbilden.“

„Das käme mir auch nie in den Sinn.“ Sie warf ihm über den Spiegel ein Lächeln zu. „Ich bin hergekommen, um im ‚Palace of Poseidon‘ zu singen.“

„Exakt.“ Er erwiderte ihr Lächeln nicht. Der Ausdruck seiner Augen war hart. „Oder hast du mich vorhin angelogen? Vielleicht hast du ja doch gehofft, ich lasse dich wieder in mein Bett.“

Zorn stieg in Gemma auf, doch sie zwang sich, Jannis gegenüber gelassen zu bleiben. Ruhig erwiderte sie: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass du das willst. Mir geht es genauso. Das habe ich dir bereits gesagt.“ Gemma versuchte, ihre Atmung zu kontrollieren. Sie musste sehr, sehr vorsichtig sein; ein falsches Wort oder eine falsche Geste konnten alles ruinieren.

„Ich bin davon ausgegangen, dass du jenen luxuriösen Lebensstil fortführen möchtest, an den du dich gewöhnt hattest.“

Du meine Güte, war dieser Mensch arrogant. Gemma versetzte dem Drehstuhl, auf dem sie saß, einen Schubs und wirbelte herum, um wütend zu Jannis aufzuschauen. Er war so groß, dass sie es fast als bedrohlich empfand. „Soll das heißen, du hältst mich für eine Schmarotzerin? Ich habe für dich gearbeitet.“

„Betrachtest du es als Arbeit, mit mir ins Bett zu gehen?“ Der Blick, mit dem er sie musterte, ließ sie erschauern. Plötzlich fühlte sie sich nackt. Und sie begriff, dass Jannis nicht den geringsten Respekt vor ihr hatte.

Noch einmal kämpfte sie gegen das Bedürfnis an, schützend die Hände vor die Brüste zu halten und sich zu vergewissern, dass die dünne Seide die Brustspitzen verbarg. Sich ihrer Blöße voll bewusst, stand Gemma auf und ging hinüber zu dem schmalen Kleiderschrank, in dem mehrere Bühnenkostüme hingen.

Sie nahm das Kleid, das sie an diesem Abend tragen wollte, vom Bügel. Jannis den Rücken zuwendend, schlüpfte sie in das enge rote Stretchteil, das mit auffallenden Rüschen verziert war. Die Rottöne hätten sich beißen können, doch interessanterweise harmonierten sie.

Im Raum herrschte eine angespannte Stille. Gemma wandte sich um. Als sie Jannis ins Gesicht sah, stockte ihr der Atem. Sie wurde sich bewusst, dass das Kleid wie eine zweite Haut saß. Der Ausschnitt war provozierend tief. Und sie war mit Jannis allein in diesem Raum.

Hastig sagte sie: „Meine Karriere war mir immer wichtig.“ Ruhm auch, gab sie im Stillen zu.

„Wenn du meinst.“ Er warf ihr einen Blick zu, den sie nicht deuten konnte. „Ich halte dagegen, dass sich das änderte, nachdem du hattest, was du wolltest.“

„Und was genau wollte ich deiner Meinung nach?“ Sofort wünschte sie, sie hätte diese Worte nicht ausgesprochen. Denn die angespannte Atmosphäre verstärkte sich augenblicklich. Gemma wollte seine Antwort gar nicht mehr hören.

Er lächelte zynisch. „Einen schwerreichen Mann, der dir alle Wünsche erfüllt. Eine goldene Kreditkarte. Kleider. Juwelen …“ Er schaute herausfordernd auf den goldenen Ring mit dem großen, raffiniert geschliffenen Topas, den sie am kleinen Finger der linken Hand trug. „Den hast du dir in Monaco ausgesucht. Erinnerst du dich?“

„Ich fürchte, nein“, gab sie zurück, zog ein paar lange schwarze Handschuhe aus der Schublade und streifte sie so elegant über, wie es nur nach langem Üben möglich war.

Von draußen ertönte die Stimme von Mark Lyme. Der Manager rief ihren Namen. Gemma ging zur Tür. „Ich muss zur Bühne“, sagte sie zu Jannis.

„Warte. Du rennst mir nicht einfach davon.“ Jannis streckte die Arme aus, sodass sie keine Chance hatte, den Raum zu verlassen. „Natürlich erinnerst du dich. Abends sind wir auf den Rosenball gegangen. Und hinterher wolltest du durch die Clubs ziehen. Du warst in Partylaune und hast mit jedem Mann geflirtet, der dir über den Weg lief.“

Geflirtet?, dachte sie und zögerte. Mit welchen Männern? „Nein …“

„Waren es so viele, dass du sie nicht mehr auseinanderhalten kannst?“, fragte er, seine Augen funkelten.

„Ich erinnere mich nicht …“

„Oh, bitte erzähl mir keine Märchen. Du trägst den Ring, den ich gekauft und bezahlt habe. Hast du so viele Juwelen von mir erhalten, dass du dich nicht mehr an jeden Anlass, an jeden Kauf erinnern kannst? Ich bin sicher, dass du genauso wenig die Zeit vergessen hast, die wir danach miteinander im Bett verbracht haben.“

Gemma spürte, wie sich ihr Magen zusammenzog. Draußen rief Mark erneut nach ihr. Sie drängte sich an Jannis vorbei und riss mit aller Kraft die Tür auf. „Du irrst dich“, sagte sie zu ihm. „Ich erinnere mich nicht. Weder an den Rosenball noch an dich noch an unsere gemeinsame Zeit. Ich habe mein Gedächtnis verloren.“

Gemma eilte auf die halb ausgeleuchtete Bühne und wartete auf den Spot, der sie ins Rampenlicht rücken würde. Sie hatte immer noch Jannis’ erstaunten Blick vor Augen, während sie, geblendet vom Scheinwerferlicht, ins Publikum sah. Sie musste sich konzentrieren und die verstörende Szene in der Garderobe vergessen.

Es wurde still im Saal, die Leute legten Messer und Gabel weg. Die meisten Gäste hatten ihr Dinner sowieso beendet. Es war Freitagabend, und die Tische waren voll besetzt. Gemma sammelte sich. Die Nebelmaschine sandte weiße Schwaden auf die Bühne, die ihre Beine sanft umwirbelten. Rote und blaue Scheinwerfer färbten den Nebel ein und schufen eine romantische Atmosphäre.

Sekundenlang verspürte sie das vertraute Lampenfieber, bevor sie ihr Selbstvertrauen zurückgewann und vortrat. Sie liebte die Bühne, hier war ihr Zuhause – jener Ort, an dem ihre Stimme, ihre Gedanken und ihr Körper eins wurden mit der Musik.

Gegen Ende des zweiten Liedes entdeckte sie Jannis im Saal. Er saß allein an einem Tisch, bequem an die Wand gelehnt, sein Arm lag auf der Stuhllehne. Sein Blick war undurchdringlich, während er Gemma beobachtete. Der Tisch vor ihm war leer.

Gemma verspürte ein flaues Gefühl im Magen, als sie daran dachte, dass er sie für später zu einem Drink eingeladen hatte. Sie meinte fast, seine Hand immer noch auf ihrem Arm zu spüren, und wäre darüber fast in Panik geraten.

Mit aller Gewalt verdrängte sie diese Gedanken und gab alles, um ihr Publikum mitzureißen. Nachdem der letzte, lang ausgehaltene Ton des Liedes verklungen war, trat einen Moment lang Stille ein, dann klatschten die Leute begeistert Beifall. Gemma warf ihrem Publikum ein paar Handküsse zu und verbeugte sich. Ihre unbändigen Locken fielen nach vorn. Sie richtete sich auf, strich sich das Haar aus dem Gesicht, und der Applaus wurde noch stärker. Die Leute pfiffen und forderten eine Zugabe.

„Also gut“, sagte sie lächelnd. „Ein letztes Lied, diesmal eine Komposition von Andrew Lloyd Webber. Es ist eines meiner Lieblingslieder.“ Das Rufen im Saal erstarb. „Ich singe es für alle, die einen Menschen geliebt und verloren haben.“

Sie sang „Memory“, und ihre klare, eindringliche Stimme erfüllte den Saal. Gemma meinte zu spüren, wie die Menschen den Atem anhielten. Als sie die letzte Zeile sang, ließ sie sie sanft verklingen.

Donnernder Applaus ertönte.

Gemma lächelte und winkte. Mit Blicken suchte sie Jannis, während die letzten Worte des Liedes in ihr nachklangen. Ein neuer Tag.

Ihre Blicke begegneten sich für einen langen Moment, und plötzlich verspürte Gemma eine so starke Anziehung, dass ihr Lächeln erstarb.

Denn für sie beide gab es keinen neuen Tag. Seine Vergangenheit stand wie eine unüberwindliche Barriere zwischen ihnen.

Gemma zitterte, als sie endlich in ihre Garderobe zurückkehrte. Sie fühlte sich, als hätte sie zwei Runden mit Rocky Balboa geboxt. Lucie war ebenfalls da. Sie lag gemütlich auf dem kleinen Sofa und war bereits umgezogen. Ihr ausgefallener Modestil passte zu ihren blonden Strubbelhaaren und den großen grünen Augen.

„Der Boss will dich sprechen“, verkündete sie und warf ein zusammengeknülltes Blatt Papier in den Abfalleimer.

Gemma setzte sich vor den Spiegel. „Mark?“

„Nein, der große Fisch. Jannis Apollonides.“ Lucie schaute neugierig zu Gemma hinüber. „Er erwartet dich nachher zu einem Drink an seinem Tisch. Du hast mir gar nichts von ihm erzählt.“

So leicht ließ Jannis sie offenbar nicht davonkommen. Nun, wahrscheinlich wollte er mehr erfahren, nachdem sie ihn mit einem Gedächtnisverlust konfrontiert hatte.

„Er hat mich auch erst kurz vor der Show gefragt“, erklärte Gemma, ohne zu gestehen, dass Jannis in ihrer Garderobe gewesen war. Glücklicherweise hatte bisher niemand auf die vergangene Affäre angespielt. Aber das konnte gut daran liegen, dass die meisten Angestellten noch keine zwei Jahre hier arbeiteten.

„Ehrlich gesagt bin ich viel zu müde, um mit Mr. Apollonides Small Talk zu machen“, murmelte Gemma. Ihre Müdigkeit war nicht körperlich, es war eine abgrundtiefe seelische Erschöpfung. Sie fühlte sich emotional ausgelaugt. Daher konnte sie Jannis jetzt nicht gegenübertreten.

Dass sie intensiv auf seine Berührungen reagierte, machte ihr Angst. Sich zu Jannis Apollonides hingezogen zu fühlen konnte Gemma überhaupt nicht gebrauchen. Sie benötigte Zeit, um mit dieser unerwarteten Komplikation fertigzuwerden. Wenn sie Jannis gegenübertrat, wollte sie es zu ihren Bedingungen tun und in einer Umgebung, in der sie sich sicher fühlte. Die schummrige Atmosphäre einer Lounge war absolut ungeeignet.

Als sie sah, wie Lucie sie ungläubig anstarrte, fügte Gemma hinzu: „Du kannst ihm mitteilen, dass ich für heute weg bin.“ Eine Zurückweisung würde Jannis nur guttun. Außerdem ging Gemma davon aus, dass es ihn nur noch begieriger machen würde, sie zu sehen.

„Du bist dumm, Gemma. Ich arbeite jetzt seit acht Monaten auf Strathmos, und er hat noch nie eine Angestellte zu einem Drink eingeladen. Da willst du ablehnen?“ Lucie sprang auf und begann, in dem kleinen Raum auf und ab zu gehen. „Ich verstehe dich nicht. Diesmal hat er auch keine seiner Freundinnen mitgebracht. Man munkelt, dass er sich von diesem Model getrennt hat. Warum versuchst du nicht dein Glück?“

Gemma antwortete nicht. Sie nahm eine Flasche mit Make-up-Entferner und Wattepads in die Hand und begann routiniert, sich abzuschminken. Jannis würde sicher bald hier auftauchen, um sie abzuholen. Und sie hatte keine Lust, ihm zu begegnen.

Nachdem sie vergeblich auf eine Antwort gewartet hatte, zuckte Lucie die Schultern und verließ die Garderobe. Dabei beschwerte sie sich leise über ihr Pech, nicht die Auserwählte zu sein.

Gemma jedoch wusste, dass Jannis’ Einladung nichts mit Glück zu tun hatte. Sein Verhalten am Strand hatte bewiesen, dass er alles andere als froh war, sie hier auf der Insel zu sehen.

Sie musste dieses Spiel sehr, sehr vorsichtig spielen. Seit einem Jahr versuchte sie schon, in seine Nähe zu gelangen. Unerwartet war die Sängerin, die ursprünglich für das Electra-Theater gebucht war, abgesprungen. Dadurch hatte Gemma ihre Chance erhalten. Ihrer Agentin war es gelungen, ihr den Job zu verschaffen.

Nun blieben noch achtzehn Tage, um die Wahrheit herauszufinden. Weniger als drei Wochen, um sich für das angetane Leid zu rächen. Dass Jannis sie mit einer harmlosen Berührung regelrecht in Flammen versetzen konnte, durfte Gemma nicht ablenken. Sie würde ihren Vergeltungsplan umsetzen.

2. KAPITEL

Gemma versetzte ihn!

Sie hatte sich noch nicht einmal die Mühe gemacht, es ihm selbst mitzuteilen, sondern jemanden geschickt, der die unwillkommene Botschaft überbrachte. Seit Jannis wusste, dass Gemma sich auf Strathmos befand, brodelte ein tiefer Zorn in ihm – der sich jetzt einen Weg an die Oberfläche bahnte.

Gemma behauptete, ihr Gedächtnis verloren zu haben. Wann und wie war das passiert? Und was hatte das alles mit ihm zu tun? Weshalb war sie nach Strathmos zurückgekehrt?

Wütend blickte Jannis hinüber zur Bühne, auf der Gemma vor einer Weile gestanden hatte. Er sah sie noch genau vor sich in dem eng anliegenden Kleid, das ihre aufregenden Kurven so provozierend betonte. Ärgerlich erkannte er, dass er nahezu ununterbrochen an Gemma dachte, seit er wieder auf der Insel war. Und jetzt hatte sie ihn bewusst vor den Kopf gestoßen.

Jannis stand auf und ließ die Flasche Bollinger achtlos stehen – die er nur bestellt hatte, weil Gemma schon immer gern Champagner getrunken hatte. Grimmig verließ er den Saal, um sich auf die Suche nach ihr zu begeben.

Sie war nicht in ihrer Garderobe; doch als er den Schrank kontrollierte, sah er das rote Kleid auf dem Bügel hängen. Offensichtlich war Gemma hier gewesen und hatte sich anschließend aus dem Staub gemacht.

Weder in den Bars noch in den Coffeeshops, die die Vergnügungsmeile des Resorts flankierten, fand er sie. Jannis hielt kaum inne, als Mark Lyme auf ihn zukam. Nachdem er kurz mit dem Manager gesprochen und die nächste potenzielle Krise abgewendet hatte, verließ Jannis den Boulevard.

Im Schein der Straßenlaternen hielt er auf der großen, gepflasterten Piazza nach Gemma Ausschau. Gerade wollte er hinüber zu dem Gebäude gehen, in dem die Angestellten wohnten, als er eine einsame Gestalt sah, die auf den verlassenen Strand zustrebte. Jannis zog die Schultern hoch, um sich gegen den aufkommenden Wind zu schützen, und eilte Gemma hinterher. Dass sie es war, bezweifelte er keine Sekunde lang. Mochte sie auch Jeans und einen weiten Pullover tragen – ihre wilden Locken verrieten sie.

Als er sie erreicht hatte, sagte er hinter ihr: „Wenn ich einer Angestellten einen Befehl gebe, erwarte ich, dass sie ihn befolgt.“ Obwohl er die Worte in sanftem Tonfall aussprach, konnte er seinen Zorn kaum verbergen.

Gemma zuckte zusammen und blieb stehen. Dann drehte sie sich langsam um. Im gedämpften Licht der Laternen auf der Promenade wirkten ihre Augen dunkelbraun. „Ich dachte, es wäre eine Einladung“, erwiderte sie leicht ironisch. „Eine, die ich übrigens nicht angenommen habe.“

„Aber du hast auch nicht abgelehnt.“

Sie überlegte nur kurz. „Nenn mir einen einzigen Grund, weshalb ich sie hätte annehmen sollen.“

Jannis war verblüfft. Normalerweise rissen sich Frauen geradezu darum, mit ihm auszugehen. Er brauchte sie in der Regel nicht einmal einzuladen. Sie kamen unangemeldet zu allen möglichen High-Society-Events, nur um ihn kennenzulernen. „Weil ich mit dir reden wollte.“

„Worüber?“

Ihm entging ihre Anspannung nicht. „Über deinen Gedächtnisverlust.“

„Das ist nicht wahr. Du hast mich eingeladen, bevor ich dir davon erzählt habe.“

Das stimmte. Was er tatsächlich wissen wollte, war, weshalb sie nach Strathmos zurückgekehrt war. Ihr schien es um etwas anderes als Geld zu gehen. Irgendwie musste es mit ihrem Gedächtnisverlust zusammenhängen. Nie hätte Jannis zugegeben, wie sehr es ihn ärgerte, dass sie sich nicht an ihn und die gemeinsame Zeit erinnerte. War es vielleicht ein Trick? Täuschte Gemma eine Amnesie vor, nur um nicht mit ihrem Betrug vor drei Jahren konfrontiert zu werden? Oder wollte sie sein Interesse etwa wiedergewinnen?

Aufgebracht fragte er: „Hast du wirklich vergessen, dass du auf dem Rosenball mit jedem Mann unter achtzig geflirtet hast? Hast du vergessen, wie es mit mir war? Mit uns?“

Sie schloss die Augen, genervt, weil er ihr nicht glaubte. „Ist das so schwierig zu begreifen? Ich leide an Gedächtnisverlust.“

„Wie praktisch.“

Gemma öffnete ihre Augen. Ihre Blicke trafen sich, und sie spürte, wie nervös ihr Magen darauf reagierte. Warum merkte Jannis nicht, wie schwer ihr das alles fiel? „Tatsache ist, dass ich mich an nichts von dem erinnere, was hier vor drei Jahren geschehen ist. Es ist einfach nur ein großes schwarzes Loch.“

„Das würde zumindest erklären, weshalb du den Nerv hast, hier noch mal aufzutauchen.“

Auf seine Bemerkung ging sie nicht ein. „Es fällt mir nicht leicht, hier zu sein. Aber ich muss herausfinden, wie mein Leben war, ehe … nun ja, bevor ich …“ Sie warf ihm einen Seitenblick zu. Jetzt wirkte Jannis nicht mehr wütend, nur noch misstrauisch. „Es ist wirklich merkwürdig. Ich erinnere mich an vieles, was geschehen ist, bevor ich dich kennenlernte. An fast alles, glaube ich. Und ich weiß, was ich danach getan habe. Nur die Zeit dazwischen, die fehlt.“

„Und wie ist es passiert? Bist du gestürzt? Hattest du eine Kopfverletzung? Was sagen die Ärzte über deine Aussichten, dein Gedächtnis wiederzuerlangen? Wirst du dich jemals wieder erinnern?“

„Das weiß ich nicht. Und ich möchte nicht darüber sprechen.“ Ihre Stimme klang dünn. Bestimmt merkte er, wie nervös und erschöpft sie war. „Es macht mir Angst.“

Jannis seufzte mitfühlend. „Das kann ich gut verstehen.“

Was ihr wirklich Angst machte, das war er. Selbst wenn er nett zu ihr war und ihr freundschaftlich die Hand reichte, fühlte sie, welche Kraft von diesem Mann ausging. Seine Aura hatte etwas fast Bedrohliches. Gemma erschauerte. Seine Fürsorglichkeit würde nicht lange anhalten. Nicht bei Jannis Apollonides. Nett und fürsorglich, das waren keine Eigenschaften, mit denen man ein Hotelimperium führte. Er war selbstbewusst, zielstrebig und rücksichtslos. Ein Mann, der hart arbeitete und immer aufs Ganze ging. Eine griechische Erfolgsstory.

Er sah ihr in die Augen. „Lass uns zusammen essen.“

Die unerwartete Einladung überraschte sie. Gemma biss sich auf die Unterlippe und tat, als würde sie nachdenken, obwohl sie wusste, dass ihr keine Wahl blieb.

„Fällt dir die Entscheidung so schwer? Hast du solche Angst vor mir?“ Er legte beide Hände auf ihre Schultern. Gemma spürte seine Wärme durch ihren Wollpullover hindurch.

„Ich habe keine Angst vor dir“, erwiderte sie und hoffte, dass es überzeugend klang.

Er verstärkte seinen Griff. „Beweise es mir, indem du mit mir essen gehst.“

Er fordert mich heraus, dachte sie. Wie kindisch. Sie straffte die Schultern, dennoch zog Jannis seine Hände nicht fort. Ein dunkler Schatten betonte sein markantes Kinn, sein Mund wirkte mit einem Mal viel weicher – sinnlich. Gemma fühlte seinen intensiven Blick. Die Art und Weise, wie ihr Körper auf die Nähe dieses Mannes reagierte, bewies ihr, dass Jannis ihr gefährlich werden konnte. Sie war noch nicht bereit, mit ihm allein zu sein, im Zentrum seiner Aufmerksamkeit.

Trotzdem hatte sie kaum eine Wahl. Denn es war die einzige Möglichkeit, herauszufinden, was geschehen war. „Nicht heute Abend. Es war ein langer Tag, und es ist schon spät.“

Er wollte etwas erwidern, als sein Handy klingelte. Jannis murmelte eine Entschuldigung und wandte sich ab, während er in rasender Geschwindigkeit griechisch sprach.

Gemma stellte ernüchtert fest, dass sie offenbar unwichtig geworden war. Sie hätte sich am liebsten geohrfeigt und wünschte, sie hätte seine Einladung sofort angenommen. Dass seine Nähe sie gleichzeitig erregte und beunruhigte, durfte keine Rolle spielen.

Jannis beendete das Gespräch und steckte das Handy wieder ein. „Morgen Abend?“, fragte er übergangslos.

Erleichtert sah sie ihn an. Sie hatte noch nicht verspielt. „Gut“, erwiderte sie etwas atemlos. „Ich gehe mit dir essen.“

„Also, wie haben wir uns kennengelernt?“ An diesem Abend saß Gemma mit Jannis an einem ruhigen Tisch im Restaurant „Golden Fleece“. Vor ihr stand ein bereits zur Hälfte geleerter Teller mit gegrillten Calamari und Zitronenvierteln.

„Beim Filmfest in Cannes.“ Jannis legte sein Messer weg, sein Teller war leer. „Ich dachte, du wärst eine Schauspielerin.“

Das erklärte einiges. Jannis war nie zuvor mit einer Tänzerin liiert gewesen.

„Oh. Und was geschah dann?“ Sie spießte einen Tintenfischring auf und schob ihn in den Mund.

„Du warst bildschön und unterhaltsam. Ich habe deine Gesellschaft genossen und dich eingeladen, mit mir ein Wochenende in ‚Poseidon’s Cavern‘ zu verbringen.“ Das war eine der berühmten Ferienanlagen, die er besaß. So viel wusste Gemma bereits. „Du hast die Einladung angenommen. Als geschäftliche Angelegenheiten mich nach Strathmos zurückriefen – dort ist ja mein Hauptwohnsitz –, bist du mitgekommen.“ Er lächelte, und wieder fiel Gemma auf, wie sinnlich sein Mund war.

Sie legte Messer und Gabel nebeneinander auf den Teller und fühlte sich unbehaglich bei dem Gedanken, wie leicht er Frauen an sich binden konnte. „Danach habe ich hier einen Job bekommen, nicht wahr?“

„Möchtest du ein Dessert?“

„Nein, danke.“

„Kaffee?“

Ungeduldig schüttelte sie den Kopf, weil sie endlich Antworten auf ihre Fragen wollte.

Er erhob sich, kam um den Tisch herum und legte seine Hände auf die Stuhllehne. Dabei beugte er sich vor und flüsterte Gemma ins Ohr: „Du fandest es viel aufregender, die Freundin vom Chef zu sein, als zu arbeiten.“ Seine Stimme hatte einen zynischen Unterton. „Du hast mich in dem Glauben gelassen, dass du eine Weile von der anstrengenden Arbeit als Schauspielerin ausspannen wolltest. Ich erfuhr erst einen Monat später, dass du eine Tänzerin warst.“

„Oh.“ Gemma ließ zu, dass er den Stuhl hervorzog, und stand auf. Sie warf Jannis einen verblüfften Blick zu. „Das heißt, ich wollte gar nicht abreisen?“

Er lächelte freudlos. „Warum auch? Du hattest doch alles, was du wolltest. Luxuriöse Apartments auf griechischen Inseln, kein Limit auf der Kreditkarte und guten Sex.“

Falls er das witzig fand – Gemma war das Lachen vergangen. Sie ging mit schnellen Schritten voraus und nahm den attraktiven Mann mit den langen dunklen Haaren nur flüchtig wahr, der ihr zuwinkte. Erst als sie das Restaurant verlassen hatten, beendete Gemma das Schweigen.

„Ich hatte also keinen Beruf mehr …“ Sie schrie vor Schreck leise auf, als Jannis sie plötzlich in die Nische hinter einer riesigen Statue des Hephaistos zog. An der bronzenen Hand der Götterstatue war eine Fackel befestigt, und die Flammen warfen zuckende Schatten auf die Wände. Gemma wollte protestieren, doch Jannis schnitt ihr das Wort ab.

„Falls du damit meinst, dass du nicht mehr halb nackt in irgendeiner Szenebar getanzt hast, dann stimme ich dir zu. Du hattest keinen Beruf mehr. Stattdessen hattest du mich.“ Im Schein der Fackel wirkte seine Miene hart und rücksichtslos. Gemma erkannte, weshalb die Leute ihn für einen außergewöhnlich erfolgreichen Geschäftsmann hielten und ihm so viel Respekt zollten. Sie durfte ihn nicht provozieren.

„Ich hatte dich.“ Sie bemühte sich, den Zorn zu unterdrücken. „Und was hast du für deine Investition bekommen?“

„Eine wunderschöne Frau in meinem Bett.“

„Ist dir nie in den Sinn gekommen, dass ich vielleicht mehr gewollt hätte?“

„Mehr?“

„Eine Karriere …“

Er lachte verächtlich. „Als meine Geliebte war dein Status wesentlich höher. Du hattest tolle Reisen, Zutritt zu High-Society-Partys. Weshalb hättest du arbeiten sollen? Glaub mir, es war besser so für dich.“

Gemma nahm an, dass er wirklich so dachte. Er entschied, und die Frau, die sich nicht fügen wollte, konnte ihre Koffer packen. „Hast du mich geliebt?“

„Dich geliebt?“, fragte er überrascht.

„Ja, hast du mich geliebt?“, wiederholte sie. „Da der Sex ja so toll war, könnte es doch sein, dass du mehr für mich empfunden hast.“

„Hör zu, Gemma, zwischen uns ging es nicht um Liebe. Wir waren zwei Erwachsene, die übereingekommen waren, eine schöne Zeit miteinander zu verbringen.“ Er hob die Hände. „Du meine Güte, wir waren wohl kaum wie Romeo und Julia.“

„Wenn wir Romeo und Julia gewesen wären, dann wärst du am Ende gestorben“, entgegnete sie.

„He“, erwiderte er irritiert, „weshalb regst du dich so auf? Alles, was ich damit sagen wollte, war, dass wir keine verliebten Teenies mehr waren.“

„Habe ich dich geliebt?“

Er lachte verblüfft. „Was hast du bloß immer mit dem Thema Liebe? Du hast mir niemals gesagt, dass du mich liebst. Aber Liebe war auch nicht das, was du wolltest. Ich übrigens auch nicht.“

Fieberhaft dachte sie nach. „Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass ich dieses Leben, das du beschreibst, geführt habe, ohne dich mehr als alles in der Welt zu lieben. Es wäre komplett gegen meine Überzeugungen gewesen.“

„Jedenfalls gab es keinerlei Anzeichen dafür, dass du mich liebst. Und wenn du jetzt daran glaubst, hast du dich gewaltig verändert.“

„Vielleicht habe ich das.“

„Gemma.“ Er streichelte ihren Arm. „Du solltest …“

„Was tue ich hier?“, flüsterte sie und schlug die Hände vors Gesicht. Dann fing sie sich und strich sich einige rote Haarsträhnen aus der Stirn.

„Du versuchst, dich zu erinnern. Vielleicht hilft dir das dabei“, murmelte er sanft und verführerisch.

Sie hob den Kopf. Jannis stand nah vor ihr. Im Schein der Fackeln glänzten seine Augen voller Begehren. Gemmas Herz klopfte plötzlich so laut, dass sie meinte, er könnte es in der Stille der Nacht hören.

„Ja?“ Der Klang ihrer Stimme kam ihr plötzlich fremd vor. Doch er verstand, dass ihr „Ja“ eine Frage und ein Eingeständnis zugleich war.

Als sein Mund ihre Lippen berührte, wusste sie, dass ihr Leben nie wieder so sein würde wie zuvor. Mochte sie sich ausgemalt haben, wie es sein würde, Jannis zu küssen – die Realität übertraf die Fantasie bei Weitem.

Es war, als entzündete er mit seinem Kuss ein unlöschbares Feuer in ihr. All ihre Sinne waren geschärft. Sobald sie seine Zunge spürte, gab Gemma sich ihm vorbehaltlos hin. Er küsste sie noch tiefer und verlangender, bis heiße Schauer durch ihren Körper rannen. Sie seufzte leise, als Jannis begann, ihre nackten Schultern zu streicheln.

Ihr Verlangen wuchs ins Unermessliche, und sie drängte sich an ihn, um seinen muskulösen Körper zu spüren. Dabei fühlte sie durch ihr dünnes Seidenkleid, wie erregt er war. Einerseits fühlte sie sich wie im Schock, weil sie erkannte, dass die Dinge völlig außer Kontrolle gerieten. Andererseits erfüllte es sie mit tiefer Befriedigung.

Egal was in der Vergangenheit geschehen war – Jannis begehrte sie. Jetzt.

Sie stöhnte unter seinen Küssen begehrlich auf und hörte, wie sich sein Atem beschleunigte. Mit forderndem Griff umfasste Jannis ihre Schultern und zog Gemma an sich.

Schwer atmend hob er den Kopf. „Erinnerst du dich daran?“

Wie benommen erwiderte sie seinen Blick und schüttelte traurig den Kopf.

Er trat einen Schritt zurück. Seine Hände zitterten. „Ich glaube, es ist Zeit, dass wir uns ein wenig abkühlen. Lass uns ins Kasino gehen. Das hat dir immer Spaß gemacht.“

„Na gut“, brachte sie heraus und folgte ihm, als er die Nische hinter der Götterstatue verließ. Gemma war schwindlig, und sie hatte noch nie im Leben weniger Lust auf Glücksspiele verspürt.

Sie passierten die breiten Flügeltüren und betraten den „Apollo-Club“ – das Kasino für die gehobene Klientel. Kristalllüster hingen von der Kuppeldecke, auf der Gemma Fresken erkannte, die mythische Tiere und Helden abbildeten. Das luxuriöse Ambiente verriet, dass hier nur mit sehr hohen Einsätzen gespielt wurde.

Jannis führte sie zu einem Roulettetisch, um den einige Männer im Smoking und zwei Frauen – die eine blond, die andere brünett – standen. Die Frauen trugen Abendkleider, dazu teuren Schmuck. Abgesehen von den Geräuschen aufeinanderfallender Chips herrschte gespannte Stille.

Leise forderte Jannis Chips an und legte ein Päckchen Banknoten auf den Tisch. Ein eleganter weiblicher Croupier in langem schwarzen Kleid schob ihm mehrere Stapel Chips zu. Allmählich begriff Gemma, dass er ein kleines Vermögen eintauschte, das sie nun setzen durfte. Ihr wurde übel bei dem Gedanken. „Ich kann nicht um so viel Geld spielen.“

Er sah sie überrascht an. „Das hat dich in der Vergangenheit doch nie gestört.“

„Was ist, wenn ich alles verliere?“

Gelassen zuckte er die Schultern. „Dann bekommst du die nächste Chance.“

Und was erwartete er dann dafür? Sex? Das war wohl zumindest das, was damals geschehen war. Sie erschrak.

„Nein!“ Fahrig schob sie die Chips weg. „Ich glaube, ich habe sowieso die Regeln vergessen.“

„Versuch es, nur so finden wir es heraus.“

„Ich möchte nicht, Jannis.“

Er blickte ihr tief in die Augen, und nach einem Moment sagte er: „Na gut. Dann schauen wir mal, ob wir deiner Erinnerung auf andere Weise auf die Sprünge helfen können. Behalte diese hier.“ Er nahm einen kleinen Stapel Chips. „Nur falls du später Lust bekommst.“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich möchte heute Abend nicht spielen.“

„Möchtest du einen Drink?“

Sie nickte, und ihre Blicke begegneten sich. Gemma konnte die feinen Lachfältchen in seinen Augenwinkeln sehen. Jannis hörte auf, die Chips zusammenzuschieben und hielt ihren Blick fest.

„Gemma?“

Sie zuckte zusammen und schaute zur Seite. Der Zauber des Moments war gebrochen. Irritiert suchte Gemma im Saal nach der Person, die ihren Namen gerufen hatte.

„Ich wusste, dass du es bist.“ Der Mann, der auf sie zustrebte, war braun gebrannt und hatte sein schwarzes kinnlanges Haar mit Gel gestylt. Gemma sah ihn fragend an. Sie wusste nicht, wer er war.

Die Blondine am Tisch war schneller. Sie stieß einen entzückten Schrei aus und hielt den Mann am Arm fest. Der Fremde küsste sie auf die Wange, während der wesentlich ältere Begleiter der Dame nicht besonders erfreut wirkte.

Fest umfasste Jannis Gemmas Ellbogen. „Hast du ihn etwa eingeladen?“, flüsterte er ihr ins Ohr.

„Ihn eingeladen?“ Sie drehte sich zu ihm um. „Wovon redest du? Ich kenne ihn doch nicht einmal.“

„Wirklich?“, fragte er und fing plötzlich an zu lachen. Gemma entging nicht, dass sein Blick dabei kühl blieb. „Ich glaube nicht, dass Jean-Paul sich freuen wird, da du ihn so schnell vergessen hast.“

„Wer ist er?“, flüsterte sie nervös.

„Jean-Paul Moreau.“ Erwartungsvoll musterte er ihr Gesicht. Zweifellos glaubte er, sie müsse den Namen kennen.

Seufzend hob Gemma die Schultern und ließ sie wieder fallen. „Und weiter?“

„Er war dein Liebhaber“, erklärte Jannis kalt. „Er ist der Mann, mit dem ich dich vor drei Jahren in meinem … in unserem Bett erwischt habe.“

3. KAPITEL

Gemma sah ihn verblüfft an.

Mit dieser schockierenden Antwort hatte sie niemals gerechnet. Jannis’ Miene verriet jedoch deutlich, wie sicher er sich seiner Sache war.

Sie überlegte, ob es tatsächlich wahr sein könnte. Nein, das konnte sie nicht glauben. Jannis musste sich geirrt haben.

Ehe sie etwas erwidern konnte, nahm sie den aufdringlichen Duft eines Aftershaves wahr. Jemand flüsterte in ihr Ohr: „Chérie, du bist noch schöner geworden.“ Dann küsste der Unbekannte sie auf die Wange.

„Hallo …“ Sie bemühte sich verzweifelt, sich an seinen Namen zu erinnern „Hallo … Jean-Paul.“

„Ich dachte schon, du würdest mich absichtlich ignorieren, Chérie. Du hast mich vorhin überhaupt nicht wahrgenommen. Jetzt bin ich froh, dass du dich an deinen alten Freund erinnerst.“

Jannis gab einen Laut des Unwillens von sich. Hastig warf Gemma ihm einen warnenden Blick zu. Sie wollte nicht, dass Jean-Paul von dem angeblichen Gedächtnisverlust erfuhr. Jedenfalls jetzt noch nicht.

Jenem Mann gegenüberzustehen, den Jannis für ihren Liebhaber hielt, irritierte Gemma aufs Äußerste. Ihre Vorbehalte Jannis gegenüber waren das eine – an seiner Aussage zu zweifeln etwas anderes. Er hatte in diesem Fall keinen Grund zu lügen. So schnell wie möglich musste Gemma mehr in Erfahrung bringen.

Großspurig zog Jean-Paul ein Bündel Banknoten aus der Innentasche seines Jacketts und wies den Croupier an, Chips auszugeben. Als sie vor ihm auf dem Tisch lagen, schob er Gemma einen Stapel hin. „Für dich, Chérie.“

Er lächelte sie derart anzüglich an, dass jeder die stumme Botschaft erkennen musste. Ich kenne dich gut, sehr, sehr gut – das schien Jean-Paul sagen zu wollen.

Sie spürte, wie Jannis sich in diesem Augenblick verspannte.

„Danke“, erwiderte sie kühl und wies auf die Chips, die Jannis gekauft hatte. „Ich habe genug, und außerdem wollten wir gerade gehen.“

Jean-Paul warf ihr einen wissenden Blick zu. Lächelnd beugte er sich zu ihr und flüsterte: „Chérie, du bist keine Frau, die jemals genug hätte. Hier …“ Er schob Gemma die Chips nachdrücklich hin. „Setz für mich.“

„Genug!“, mischte sich Jannis ein. Er legte einen Arm um Gemmas Taille und drückte sie. Mit einer Hand schob er die Chips zum Croupier. „Die Dame legt keinen Wert auf Ihre Chips.“

Sie spürte den Druck seiner Hand und erschauerte wohlig. Einerseits fühlte Gemma sich sicher, andererseits verstörte sie die Tatsache, wie viel Macht Jannis auf sie ausübte.

Jean-Paul kam näher. Ohne den Arm von Gemmas Taille zu lösen, trat Jannis dem anderen Mann entgegen. Beide starrten sich hasserfüllt an.

Doch Jean-Paul ließ sich auf keine Konfrontation ein. Er grinste. „Du weißt doch, Chérie“, wandte er sich an Gemma. „Apollonides liebt nur seine Arbeit. Er hat sich in den drei Jahren nicht im Geringsten geändert. Wirst du das aushalten? Oder brauchst du bald wieder einen Mann, der Zeit für dich hat, der dir was Nettes sagt …?“

„Das reicht!“, sagte Jannis scharf. Jean-Paul entging die Drohung nicht, augenblicklich trat er einen Schritt zurück. „Sie gehen zu weit, Moreau. Wenn ich Sie in Gemmas Nähe erwische, lasse ich Sie von der Insel werfen. Haben Sie mich verstanden?“

Jean-Paul zuckte nur die Achseln und lächelte. „Beruhigen Sie sich. Es bedeutet doch nichts – hat es nie.“ Sein Blick wirkte nun vorsichtig und leicht nervös.

Gemma hatte absolut keine Lust auf eine Szene. Inzwischen sahen die Leute bereits zu ihnen und tuschelten. Die beiden Frauen am Roulettetisch beobachteten sie unverhohlen, während der Croupier leicht hektisch um die Einsätze bat.

„Jannis …“

Sein Griff verstärkte sich, und ihr Protest erstarb. „Du wirst diesen Mann nicht ermutigen, Gemma. Und Sie, Moreau, werden sich von ihr fernhalten. Wie ich Ihnen bereits einmal sagte: Ich teile meine Frau nicht. Kapiert das endlich.“ Er ließ Gemma los, wandte sich erst Jean-Paul, dann ihr zu. „Beide!“

Dann nahm er mit rascher Bewegung seine Banknoten vom Spieltisch und nickte dem Croupier zu, ehe er zu Gemma sagte: „Komm, lass uns gehen.“

Ohne Jean-Paul einen weiteren Blick zu gönnen, ging Gemma. Jannis legte ihr besitzergreifend eine Hand auf die Schulter, während sie nach draußen eilten. Es fühlte sich an wie eine Warnung. Meine Frau, hatte Jannis gesagt. Ich teile meine Frau nicht. Bedeutete das, dass er sie immer noch als seine Geliebte betrachtete?

Ein intensives Gefühl, das sie nicht deuten konnte, durchflutete Gemma. Sie wusste nicht, wie Jannis seine Worte gemeint hatte. Nachdenklich schwieg sie, bis sie das Kasino verlassen hatten.

Die Nacht war sternenklar. Gemma bemühte sich, mit Jannis Schritt zu halten, als er einen von Laternen im viktorianischen Stil erleuchteten Weg einschlug. Deutlich spürte sie, dass er seinen Zorn kaum bezähmen konnte.

„Es tut mir leid“, sagte sie hastig. Ihre hohen Absätze klapperten auf den Terrakottafliesen.

Gleichmütig zuckte er die Schultern. „Früher oder später musste es ja dazu kommen. Und es wird sicher nicht lange dauern, bis der nächste deiner ehemaligen Liebhaber auftaucht.“

„Ich erinnere mich aber doch gar nicht an ihn.“

„Heißt das, du erinnerst dich auch nicht an all die anderen?“ Er warf ihr ein spöttisches Lächeln zu. „Die Ärmsten. Sie tun mir fast leid.“

Trotzdem musste er zugeben, dass es ihm eine tiefe Befriedigung verschaffte, dass sie den Franzosen nicht wiedererkannt hatte. Besonders nachdem …

„Ich wusste von dir und Jean-Paul, außerdem habe ich euch zusammen in meinem Bett erwischt“, erklärte er bitter. „Soll ich dir erzählen, was ich gesehen habe? Wie du auf ihm gesessen hast, wie du dich bewegt hast, wie sich deine Brüste bewegt haben? Deine Haut schimmerte zart und perlweiß …“

„Hör auf.“ Abrupt blieb sie stehen. „Ich will davon nichts hören.“ Den Blick gesenkt, schlang sie fröstelnd die Arme um sich, als ihr die kühle nächtliche Brise über die Haut strich.

„Wieso? Vielleicht hilft dir meine Beschreibung ja dabei, dich zu erinnern“, meinte Jannis bitter. Er wusste, dass er sie verletzte, doch genau das war seine Absicht. Er wollte sie demütigen, so wie sie es mit ihm getan hatte. „Wie viele andere Männer wie Jean-Paul gibt es in deinem Leben eigentlich noch? Männer, von denen ich nichts weiß? Männer, an die du dich nicht erinnerst?“

Gemma fröstelte erneut.

Wütend, weil sie nicht antwortete, insistierte er: „Sag es mir, Gemma. Wie viele waren es?“

„Ich weiß es nicht“, erwiderte sie kleinlaut.

„Sieh mich an.“ Er nahm sie bei den Schultern. Ihre Haut fühlte sich eiskalt an. Als er Gemma mit einer heftigen Bewegung zu sich umdrehte, verlor sie das Gleichgewicht und blickte ihn erschrocken suchend an.

„Vorsichtig!“ Er verstärkte seinen Griff und spürte gleichzeitig, wie zart ihre Haut war.

Sie wollte sich ihm entziehen, stolperte auf den hohen Absätzen und wäre fast gefallen, wenn er sie nicht festgehalten hätte. „Ist alles in Ordnung?“, fragte er.

„Nein, und daran bist du schuld“, entgegnete sie scharf und entwand sich seinem Griff. „Wenn du mich nicht gepackt hättest wie ein Neandertaler, wäre ich nicht fast hingefallen.“

„Neandertaler?“ Er wusste nicht, ob er beleidigt sein sollte oder amüsiert. „Neandertaler?“

Im ersten Augenblick wurde sie nervös, dann gewann ihr Zorn die Oberhand. Sie strich sich das Haar über die Schulter zurück und hob kampfeslustig das Kinn. „Genau. Neandertaler. Du weißt schon – ein primitiver, monströser Gorillatyp.“ Ihr Herz klopfte wie wild, aber sie hielt seinem Blick stand.

Einen Moment lang stand Jannis verblüfft da, bevor er Gemma rücksichtslos an sich drückte.

Sie schrie auf, doch es war zu spät. Jannis hielt sie fest und küsste sie erbarmungslos. Widerstrebend wehrte sie sich.

Langsam löste er den Mund von ihren Lippen. „Ich bin ein Gorilla, nicht wahr?“, fragte er rau.

Wie benommen schüttelte sie den Kopf. Schon näherte Jannis sich wieder ihrem Mund und nahm ihn leidenschaftlich in Besitz.

Während er den Kuss vertiefte, spürte Gemma ein heißes Verlangen in sich auflodern. Was um Himmels willen geschah hier?

Er zog sie noch fester an sich. Sie spürte seine Erregung, und das steigerte ihre Sehnsucht so sehr, dass sie sich ihm seufzend hingab und seine Küsse genussvoll erwiderte. Begierig drängte sie ihre Hüften an ihn.

Sie spürte seinen warmen Atem und seine Bewegungen, die ihr Begehren zusätzlich steigerten. Ihre Küsse wurden tiefer und stürmischer.

Verlangend drückte er sie gegen einen Baumstamm, so kraftvoll, dass kein Widerstand möglich gewesen wäre. Suchend schob er seine Hände in ihre dichten Locken. Und wieder nahm er ihren Mund in Besitz.

Ihre Brustspitzen wurden fest. Sobald er es spürte, küsste er sie wilder und bewegte sich herausfordernd. Ihre Lust wuchs unaufhörlich. Sie waren ganz allein hier draußen, Nacht umfing sie, und das Laternenlicht schien weit, weit weg.

Er zog sich nur kurz zurück und begann, die sinnlichen Konturen ihrer Lippen mit der Zunge nachzuzeichnen. Dabei umfasste er ihr Gesicht; seufzend forderte sie ihn zu immer neuen leidenschaftlichen Küssen auf. Seine Liebkosungen waren aufregend und frustrierend zugleich.

„Mehr“, forderte sie und schlang die Arme um ihn. Ihre Sehnsucht nach ihm wurde stärker.

Doch er berührte sie nicht, sondern küsste sie weiterhin wild und innig. Als er schließlich den Kopf hob, protestierte Gemma. Sie atmeten stoßweise und sahen sich in die Augen.

Geschickt löste er das Nackenband ihres schulterfreien Kleides und hakte den BH darunter auf. Mit einer Hand glitt er nun endlich unter den Stoff des Kleides und begann, Gemmas Brüste zu streicheln. Sie stöhnte leise und lehnte sich gegen den Baumstamm. Heißes Begehren durchströmte sie.

„Ah“, seufzte sie lustvoll. Und er erkannte ihren größten Wunsch und presste sich an sie.

Die Augen fest geschlossen, hob sie das Kinn. Ihre Erregung stieg, als er ihre aufgerichteten Brustknospen berührte. Lustvolle Schauer rannen durch ihren Körper und schienen sich an ihrer empfindsamsten Stelle zu konzentrieren. Es dauerte nicht lange, und sie keuchte sehnsüchtig auf. Wie im Fieber bewegten sie sich; hemmungslos nahm sie sich, was er ihr anbot, spürte ihn zwischen ihren Beinen und genoss es, seine Hände auf ihren Brüsten zu fühlen. Während sie dem Höhepunkt unaufhaltsam entgegentrieb, schob er seine Zunge zwischen ihre Lippen und öffnete ihren Mund für seine tiefen, erregenden Küsse.

Sie stöhnte, als die Wellen der Lust stiegen und sie mit sich rissen, bis sie in seinen Armen zu vergehen glaubte.

Wenige Augenblicke darauf lehnte sie keuchend an dem Baumstamm. Ihr war schwindlig, und ihr Puls raste. Die Knie drohten unter ihr nachzugeben, doch Jannis hielt sie. Bald beruhigte sich ihr Atem; daraufhin löste Jannis sich von ihr und sah sie mit undurchdringlicher Miene an.

„Vielleicht hilft dir das dabei, dich zu erinnern.“

Wütend stieß sie sich ab und bemühte sich hastig, ihr Kleid zu richten. Weil sie die BH-Träger nicht ertasten konnte, trat Jannis ungeduldig zu ihr, schloss ihren BH und knotete die Träger des Kleides wieder zusammen. Die Geste war so intim, dass Gemma es kaum ertrug. Sie suchte verzweifelt nach Worten, die die unbehagliche Stille durchbrechen könnten.

Was sollte sie zu einem Mann sagen, der ihr eine derart überwältigende Erfahrung beschert hatte – und das, ohne sie zu entkleiden, ohne …?

Sie erschauerte vor Scham.

Es half nichts, sich einzureden, dass sie Jannis verabscheute. Sie hatte sich ihm auf hemmungsloseste Weise hingegeben. Bei diesem Gedanken errötete Gemma tief. Obwohl er vollständig angezogen gewesen war, hatte er ihr mehr Lust verschafft als je ein Mann zuvor.

Am liebsten wäre sie davongerannt, ehe sie die Fassung verlor. „Ich finde allein nach Hause. Du brauchst mich nicht zu begleiten.“

„Ich bringe dich zu deinem Apartment“, erwiderte er kühl. „Je eher dein Vertrag endet und du Strathmos verlässt, umso besser für uns beide.“

„Morgen reise ich ab“, versprach sie impulsiv, aber Tränen brannten in ihren Augen. „Lass mich allein. Ich will deine Begleitung nicht.“

Sobald Gemma in ihrem kleinen Apartment angekommen war, stellte sie mit zitternden Händen den Wasserkocher an. Sie blinzelte heftig, um die aufsteigenden Tränen zurückzuhalten. Eine Tasse Kamillentee war jetzt genau das Richtige, um ihre Nerven zu beruhigen. Gemma war immer noch tief erschüttert. Was vor wenigen Minuten da draußen in der Nacht passiert war …

Sie durfte nicht bleiben.

Morgen früh, gleich mit der ersten Fähre, würde sie Strathmos verlassen. Selbst wenn das hieß, dass sie den Vertrag brach und ihre Reputation als Sängerin aufs Spiel setzte. Sie konnte einfach nicht bleiben.

Nie hätte sie gedacht, dass sie in Jannis’ Armen eine solche Erfüllung finden würde. Die Erinnerung daran, wie sich sein Körper angefühlt hatte, und seine Küsse, allein das erregte sie noch jetzt. Dabei wusste sie besser als jede andere, dass Jannis ein Playboy war.

Oh Gott, dachte sie verzweifelt. Wie konnte mir so etwas nur passieren? Mit den Fingern strich sie sich durch die dunkelroten Locken.

Es wurde Zeit, sich zusammenzureißen. Gemma bemühte sich, nüchtern zu analysieren, was da draußen in der sternklaren Nacht geschehen war. Na gut, sie hatte Jannis provoziert, und zwar mit Absicht. Allerdings hatte sie nicht erwartet, dass er so schnell reagieren würde.

Und sie hätte wissen müssen, dass der coole und erfahrene Jannis immer der bessere Spieler war. Sein erster Kuss und das, was daraus folgte, hatten Gemma überrumpelt.

Er war weitaus gefährlicher, als sie angenommen hatte.

Als das Wasser kochte, nahm sie eine große Tasse aus dem Wandschrank, tat einen Beutel Kamillentee hinein und brühte den Tee auf.

Seufzend überlegte sie, weshalb sie alles, was sie bisher erreicht hatte, in einem einzigen leidenschaftlichen Moment zunichtegemacht hatte. Was war nur in sie gefahren? Jannis reizte sie; seine bloße Gegenwart weckte in ihr den Impuls, zu zeigen, dass sie nicht die Frau war, für die er sie hielt.

Gemma hielt die Tasse mit beiden Händen und stützte die Ellbogen auf den Tresen. Dabei fiel ihr Blick auf ein gerahmtes Foto, das sie mitgebracht hatte.

Langsam stellte sie die Tasse ab und betrachtete die Aufnahme, die eine Familienidylle zeigte: ihre Mutter und ihr Vater vor einem blühenden Rosenstrauch, zwischen den Eltern die erwachsene Tochter, alle in die Kamera lächelnd. Gemma stiegen Tränen in die Augen. Sie sehnte sich danach, sich auf ihren gesunden Menschenverstand verlassen zu können, wie ihre Mutter es tat.

Rasch sah sie auf ihre Armbanduhr und rechnete nach. In Neuseeland war es jetzt Morgen. Kurz entschlossen nahm Gemma das tragbare Telefon aus der Halterung an der Wand und wählte die vertraute Nummer.

„Hallo?“

Es tat so gut, die Stimme ihrer Mutter zu hören. Gemma schluckte. „Ich bin’s, Mom.“

„Ich bin ja so froh, dass du anrufst, Sweetheart. Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht.“

„Ich hätte mich früher melden müssen“, gab Gemma zu. Sie wusste, dass ihre Eltern darauf gewartet hatten. „Es war aber wichtig, dass ich hergekommen bin.“

„Ja.“ Ihre Mutter klang leicht resigniert. „Hat es was genützt?“

Der Psychologe, der die Familie bei der Trauerarbeit begleitete, hatte Gemmas Wunsch gegen die Einwände der Familie verteidigt. Mit etwas abzuschließen geschah auf sehr unterschiedliche Weise. Und bei dieser Reise ging es Gemma letztendlich darum, etwas abzuschließen. „Ich weiß es nicht, Mom. Ich bin ganz verwirrt.“ Sie dachte an Jannis, seine Hände auf ihrer Haut, seine Küsse, und schluckte wieder. „Manchmal denke ich, ich werde verrückt.“

Morgen wäre alles vorüber. Sie würde abreisen und Jannis Apollonides nie wiedersehen. Es war das Beste so – selbst wenn es bedeutete, dass sie die Wahrheit niemals herausfinden würde. „Wie geht es Dad?“

„Gut.“

„Nein, ich meine, wie kommt er damit zurecht, dass ich nach Strathmos gefahren bin? Er war ziemlich aufgebracht, als ich ging.“

Ihre Mutter seufzte. „Er macht sich Sorgen. Und all die Erinnerungen an den Tod deiner Schwester kehren zurück. Er hat Angst um dich.“

„Sag ihm bitte, dass es mir gut geht. Und dass ich ihn lieb habe.“

„Ich denke, er hat das Schlimmste hinter sich. Du weißt ja, es war für ihn sehr schwer, nicht zu wissen, warum Mandy gestorben ist.“

„Doppelter Ärger, so hat Dad uns immer genannt.“ Gemma sah auf das Foto und suchte im Gesicht ihrer Zwillingsschwester nach einer Antwort. Mandy war einsam und unglücklich gestorben. Niemand wusste, weshalb. Nur Jannis konnte eine Antwort darauf geben.

Erst dann konnten ihr Vater und sie ein wenig Frieden finden. Ein Kapitel ihres Lebens abschließen. Das war das Wichtigste. Deshalb konnte sie Jannis nicht einfach davonkommen lassen. Sie spürte, wie Kälte in ihre Glieder kroch.

Sie durfte morgen nicht abreisen.

„Komm nach Hause, Sweetheart.“

„Ich kann nicht“, flüsterte sie. „Ich muss herausfinden, was mit Mandy passiert ist. Wir müssen es wissen. Vorher können wir doch nicht normal weiterleben.“

„Oh, Gemma. Deine Schwester würde nicht wollen, dass du leidest. Sie würde dich bitten, dich an die schönen Zeiten zu erinnern, die ihr zusammen hattet.“

„Ich weiß. Aber ich möchte verstehen, was mit ihr geschehen ist. Ich muss herausfinden, was dieser Kerl ihr angetan hat und weshalb sie gestorben ist. Du und Dad – ihr wollt es doch auch erfahren.“

„Das mag sein“, gab ihre Mutter zu. „Trotzdem wollen wir nicht, dass du dich in Gefahr begibst. Dieser Mann ist sehr reich und mächtig. Er kann dir wehtun.“

„Mom …“ Gemmas Gedanken schweiften ab. Sie erinnerte sich klar und deutlich an die Szene, die sich vor einer Stunde abgespielt hatte. Ja, Jannis konnte ihr wehtun, so wie er Mandy verletzt hatte. Doch das durften ihre Eltern nicht erfahren.

„Hast du mit ihm gesprochen? Was hat er denn gesagt?“

Gemma zögerte, bevor sie ausweichend antwortete: „Ich wollte erst herausfinden, was für ein Typ Mann er ist.“

„Und was für ein Typ Mann ist er?“

Herausfordernd, leidenschaftlich. „Das ist schwer zu erklären.“

„Gemma, sei vorsichtig.“ Ihre Mutter seufzte. „Du bist nicht Mandy. Sie war immer auf Abenteuer aus. Du bist die Vernünftigere.“

Das stimmte. Mandy war ein ungestümer und sehr spontaner Mensch gewesen. Zuletzt hatte sie den Pass ihrer Schwester und deren Kreditkarte genommen, sich als Gemma ausgegeben und war mit Jannis nach Strathmos gereist.

Was hier auf der Insel geschehen war, lag allerdings völlig im Dunkeln.

Gemma dachte an den Franzosen, der meinte, sie von früher zu kennen. Sein Tonfall war äußerst anzüglich gewesen. Kein Wunder, dass Jannis scharf reagiert hatte. Und danach …

Wieder spürte sie dieses vertraute Verlangen in sich aufsteigen, während sie daran dachte, wie sie Jannis geküsst hatte. Ob es ihr jemals gelingen würde, ihm die Lektion zu erteilen, die er verdiente?

Konnte sie ihm überhaupt in die Augen sehen, wenn sie ihm noch einmal gegenübertrat?

„Pass auf dich auf“, sagte ihre Mutter zum Abschied.

„Mache ich“, versprach Gemma. „Bis bald.“

Sie schloss die Augen. Was habe ich bloß getan? überlegte sie verzweifelt. Wie konnte ich mich ausgerechnet dem Mann an den Hals werfen, der das Leben meiner Schwester zerstört hat?

4. KAPITEL

Gemma schlief die ganze Nacht unruhig und wälzte sich im Bett. Mehrmals schrak sie aus einem Albtraum hoch. Sie träumte von ihrer Schwester, und auf verstörende Weise mischte sich jenes Gefühl der Leidenschaft in den Traum, das zwischen Gemma und Jannis aufgeflammt war. Erst gegen Morgengrauen, als Regen gegen die Fensterscheiben prasselte, fand sie ein paar Stunden Ruhe.

Als sie aufwachte, stand sie auf, ging zum Fenster und zog die Vorhänge zurück. Der Himmel war grau verhangen, die Sonne nur zu erahnen. Die Bäume bogen sich noch im Wind, immerhin regnete es nicht mehr. Da an diesem Morgen keine Proben stattfanden und die Vorstellung erst am Abend begann, beschloss Gemma, windsurfen zu gehen. Draußen auf dem Wasser war ihr gleichgültig, ob es regnete … Jedenfalls würde ihr Sport guttun und sie von den düsteren Gedanken an Mandy, Jean-Paul und Jannis ablenken.

Sie zog einen schwarzen, schulterfreien Badeanzug an, bevor sie bei der Rezeption anrief, um sicherzugehen, dass kein Sturm vorhergesagt war. Danach holte Gemma ihren Neoprenanzug aus dem Schrank, streifte ihn über und schlüpfte in ein Paar alte Turnschuhe. Hastig griff sie nach ein paar Bananen, einer Flasche Wasser und einem Handtuch und verließ im nächsten Augenblick das Apartment.

Der Strand lag völlig verlassen da. Zufrieden nahm Gemma wahr, dass die Wellen keine Schaumkronen trugen. Ein Windstoß zerzauste ihr Haar, als sie ein Surfbrett zum Wasser trug. Sie ließ es ins knöcheltiefe Wasser gleiten und wartete, beide Hände am Mast. Sobald die nächste Böe kam, hievte Gemma das Segel hoch und sprang auf das Surfbrett. Sie hielt die Balance, und los ging’s in Richtung offenes Meer.

Das Segel blähte sich, und sie gewann an Fahrt. Der Wind heulte und zerrte an ihrem Haar. Gemma genoss die Geschwindigkeit; und während sie immer schneller über die Wellen raste, vergaß sie den Regen und ihre Sorgen.

Hier war die Freiheit.

Etwa zwei Stunden später bemerkte Gemma einen anderen Windsurfer, der durch den Regenschleier auf sie zuhielt. Kurz entschlossen zog sie den Mast zurück, manövrierte das Surfbrett in den Wind, und versuchte, dem Neuling zu entkommen. Doch der andere Surfer holte auf. Anscheinend war er fest entschlossen, ihr Terrain zu erobern.

Nach einem Blick auf ihre Armbanduhr wusste Gemma, dass sie immer noch viel Zeit hatte, bis sie sich für die Show vorbereiten musste. Die Momente, in denen sie das Meer ganz für sich hatte, waren selten. Weshalb also klein beigeben und aufhören, nur weil sich jemand nicht an die Spielregeln hielt? Es gab genug Platz hier für sie beide. Wenn sie sich auf und davon machte, würde es der andere Surfer wahrscheinlich kapieren.

Das große schwarz-weiße Segel kam immer näher. Gemma warf dem Surfer – denn es war definitiv ein Mann – wütende Blicke zu. Dann erkannte sie plötzlich, wer er war.

Jannis.

Spontan entschied sie, ihn zu einem Wettrennen herauszufordern. Sie sah, dass er lachte. Offenbar durchschaute er ihre Absicht gleich.

Um einen Vorsprung zu gewinnen, konzentrierte Gemma sich und presste die Lippen aufeinander. Das Segel bauschte sich im Wind, und schon schoss sie vorwärts. Es war ein gutes Gefühl.

Aus dem Augenwinkel sah sie, dass Jannis die Herausforderung annahm. Er holte so schnell auf, dass Gemma fürchtete, sie würden zusammenstoßen. Mit einem Mal wurde sie nervös und hätte sogar um ein Haar die Kontrolle über ihr Surfbrett verloren. Da verlangsamte Jannis seine Fahrt und surfte gemütlich hinter ihr. Gemma erholte sich rasch von dem Schrecken, sodass sie bald wieder versuchte, Jannis hinter sich zu lassen. Ihr Herz klopfte wie wild. Hatte sie ihn abgehängt? Der Gedanke freute sie.

Jannis sah ihr nach und wusste nicht, ob er bewundernd durch die Zähne pfeifen sollte oder ihren Wagemut verrückt finden sollte. Sie segelte volle Fahrt voraus und wollte sich zweifellos so weit von ihm entfernen wie nur möglich. Er lenkte sein Surfbrett in ihre Richtung und nahm die Verfolgung auf.

Der Wind blies ihm ins Gesicht, als Jannis in Küstennähe über die Wellen schnellte. Ihm gelang es, genau die Strecke zu nehmen, die er einschlagen wollte. Und der Regen war ihm egal, solange er wusste, dass er Gemma einholen konnte.

Über die Schulter sah sie in seine Richtung. Er wurde sich bewusst, wie grimmig entschlossen Gemma weitersurfte. In diesem Moment begriff er, dass sie alles andere als eine Anfängerin war. Sie hatte vor, ihm ein echtes Rennen zu liefern.

Mit dem Wind jagte er sie, doch sie entkam ihm jedes Mal. Sie wollte gewinnen. Ihre roten Locken waren feucht vom Regen und wehten wie eine Kriegsflagge.

Jannis bewunderte Gemmas schlanke, durchtrainierte Figur. Sie schien vollkommen in ihrem Element zu sein. Und er begehrte sie wie nie zuvor. Sie wirkte frei und unabhängig, ganz anders als die Frau, die er zu kennen glaubte.

Stück für Stück arbeitete er sich voran, bis er sie schließlich überholt hatte. Dann drehte er den Kopf und warf ihr ein siegessicheres Lächeln zu – überzeugt, gewonnen zu haben.

Aber im nächsten Augenblick trat plötzlich Windstille ein. Der Regen ließ nach, und beide Surfbretter schaukelten nur noch auf den Wellen. Jannis riss sich zusammen, um nicht laut zu fluchen, denn einen klaren Sieger gab es nun nicht. Er setzte sich breitbeinig auf das Brett und sah, dass Gemma bereits in Richtung Strand paddelte.

Er beeilte sich, um vor ihr dort zu sein. Gemma jedoch gönnte ihm keinen Blick.

Sobald sie das flache Wasser erreicht hatte, stieg Gemma von ihrem Surfbrett und zog es hinter sich her. Sie war sich nur zu bewusst, dass Jannis ihr folgte.

Sie spürte, wie ihr Herz aufgeregt klopfte. Und das hatte nichts mit dem Rennen zu tun. Die Erinnerung an den vergangenen Abend hielt Gemma in Atem. Sie hatte keine Ahnung, wie sie Jannis gegenübertreten sollte.

Der Angestellte, der für die Surfbretter zuständig war, eilte auf sie zu, um ihr das Brett abzunehmen. Sie lächelte ihn nur flüchtig an, bevor sie nach dem Handtuch und dem Proviant griff, den sie dort liegen gelassen hatte. Gemma ließ sich auf eine Bank sinken und trank einen großen Schluck aus ihrer Wasserflasche. Ihr Puls raste, als sie Jannis auf sich zukommen sah.

Neben ihr blieb er stehen. Sie ignorierte ihn bewusst. Hastig trank sie einen weiteren Schluck Wasser, doch ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt.

„Du hast mir nie erzählt, dass du windsurfen kannst.“

Er zog den Reißverschluss seines Neoprenanzugs auf. In der Stille kam Gemma das Geräusch laut vor. Sie sah aus dem Augenwinkel, wie Jannis sich aus dem eng anliegenden Schutzanzug schälte. Darunter trug er Surfershorts, die tief auf der Hüfte saßen. Obwohl Gemma sich bemühte, nicht zu genau hinzusehen, stellte sie fest, dass Jannis braun gebrannt und durchtrainiert war. Anscheinend trieb er regelmäßig Sport.

Während sie den Blick abwandte, zuckte sie die Schultern. „Keine Ahnung, weshalb ich es dir nicht gesagt habe. Ich dachte wahrscheinlich, ich hätte es erwähnt.“ Offenbar hatte Mandy ihm nichts von den Surfstunden erzählt, die ihre Eltern ihnen in Buckland’s Beach ermöglicht hatten. Mandy hatte damals allerdings auch lieber mit den Jungs geflirtet, als Surfen zu lernen. Gemma räusperte sich und beschloss, Jannis abzulenken. „Du surfst gut. Da waren ein paar Manöver, die ich nicht beherrsche.“

Übergangslos wechselte er das Thema. „Also, wann reist du ab?“

Gemma atmete tief durch. „Ich reise nicht ab.“ Sie merkte, wie er sich sofort verspannte.

„Gestern Abend warst du entschlossen, abzureisen. Woher kommt der plötzliche Sinneswandel?“

Sein Tonfall war ruhig, doch Jannis’ Miene verriet, wie wütend er war. Gemma schlug den Blick nieder – nur um zu entdecken, dass seine Beine lang, muskulös und von der Sonne gebräunt waren. Sie errötete und sah schnell in Richtung Meer. In der Nähe dieses Mannes fühlte Gemma sich einfach nicht sicher. „Weil mein guter Ruf als Sängerin auf dem Spiel steht. Ich kann meinen Vertrag nicht einfach brechen, sonst engagiert mich nie wieder ein Veranstalter.“

„Ich würde schon dafür sorgen, dass es niemand erfährt.“

So sehr wünschte er sich, dass sie ging? Gemma schluckte und erwiderte schlicht: „Ich kann nicht abreisen. Ich brauche das Geld.“

„Aha, jetzt kommen wir zum Wesentlichen. Soll ich dir jetzt Geld anbieten, damit du verschwindest?“, fragte er kühl.

„Nein!“ Gemma musterte sein Gesicht zornentbrannt. „Ich habe einen Vertrag, und ich bekomme meine Gage, wenn ich ihn erfülle. Das ist Geld, das ich brauche.“

„Wofür?“ Jannis setzte sich neben sie auf die Bank und legte seinen Arm auf die Lehne, beinah berührte er dabei Gemmas Schulter.

Fieberhaft dachte sie darüber nach, was sie ihm antworten konnte. „Arztkosten“, sagte sie schließlich und bemühte sich, zu ignorieren, wie stark seine körperliche Nähe auf sie wirkte. „Wegen des Autounfalls.“ Sie schluckte erneut und blickte unverwandt hinaus aufs Meer.

„Der Unfall, der zu deinem Gedächtnisverlust geführt hat?“

Sie wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte, und schwieg. Sie war sich nur allzu bewusst, dass er auf eine Antwort wartete. Aber Jannis zu belügen gefiel Gemma weder, noch fiel es ihr leicht. Seltsam, nach allem, was er mir und meiner Familie angetan hat, dachte sie.

„Laut Zeugenaussage war es Fahrerflucht“, erklärte sie, bemüht, sich an die Story zu halten, die sie sich ursprünglich ausgedacht hatte. „Als ich im Krankenhaus zu mir kam, wusste ich immerhin noch, wer ich bin. Aber alles, was mit dieser Insel verbunden ist, war aus meinem Gedächtnis gelöscht.“

„Dann leidest du an retrograder Amnesie. Du hast alles vergessen, was direkt vor dem Unfall passiert ist.“

Retrograde Amnesie? dachte Gemma verblüfft. „Oh, ja.“ Sein Interesse verwirrte sie. Sie lächelte zögernd. „Hast du dich informiert?“

„Ein wenig. Hast du auch Dinge vergessen, die nach dem Unfall geschehen sind?“

Auf diese Frage war sie vorbereitet. „Ja. Ich erinnere mich daran, dass ich im Krankenhaus aufgewacht bin. Nur was direkt nach dem Unfall geschah, weiß ich nicht mehr. Die Ärzte haben gesagt, dass ich mich wahrscheinlich irgendwann wieder an die Geschehnisse vor dem Unfall erinnern kann. Bisher warte ich vergeblich darauf. Mehrere Wochen meines Lebens sind einfach wie ausgewischt.“

„Warst du verletzt?“ Sanft strich er über ihre Schulter. Gemma meinte, seine Körperwärme durch den Neoprenanzug hindurch zu spüren.

„Nein, ich habe Glück gehabt“, erwiderte sie mit rauer Stimme.

„Fahrerflucht ist ein Verbrechen“, sagte Jannis hart. „Hat die Polizei den Täter gefunden?“

„Nein.“ Sie fühlte sich zunehmend unwohl. Damit, dass Jannis sich Sorgen um sie machte, hatte sie nicht gerechnet. Nervös verschränkte sie die Arme vor der Brust. Jannis zu belügen fiel ihr immer schwerer. Doch dann erinnerte sie sich an Mandys Tod, an die Depressionen ihres Vaters und an die Tränen ihrer Mutter. Mit diesen Gedanken vertrieb Gemma die Gewissensbisse. „Verstehst du jetzt, weshalb ich Geld brauche?“

„Was wirst du tun, wenn dein Job hier beendet ist?“

„Meine Agentin wird mir ein neues Engagement beschaffen.“ Tatsächlich gab es bereits Angebote, doch Gemma hatte es nicht eilig. Zuerst musste sie hier auf Strathmos die Wahrheit über den Tod ihrer Schwester erfahren.

„Denk daran, dass wir deinen Vertrag am Electra-Theater nicht verlängern werden“, erklärte Jannis kurz angebunden. „Ich will nicht, dass du hier bist.“

Sie schluckte. Deutlicher konnte Jannis sich wohl kaum ausdrücken. Und ihr blieben keine drei Wochen mehr, um herauszufinden, was sie wissen wollte. „Ich verstehe.“

Zwei Tage vergingen, ohne dass sie Jannis sah. Am Mittwochmorgen sonnte Gemma sich neben dem beheizten Außenpool. Sie hatte gehört, dass Jannis ab und zu hier seine Bahnen schwamm, ehe die ersten Hotelgäste den Pool bevölkerten.

Hohe Glaswände schützten die Gäste auf der Terrasse vor dem unberechenbaren Herbstwind und gaben gleichzeitig den Blick auf die Ägäis frei. Im Zentrum des Swimmingpools befand sich auf einem Podest eine goldene Quadriga mit geflügelten Pferden. Das Wasser von drei Fontänen glitzerte im Licht. Durch halb geöffnete Lider betrachtete Gemma die Pracht und stellte sich den mythischen Sonnenwagen vor, gelenkt von Helios, dem altgriechischen Sonnengott.

Ein junger Kellner hatte ihr ein hohes Cocktailglas gebracht, das mit einem pinkfarbenen Sonnenschirmchen und ein paar Kirschen dekoriert war. Gemma nippte gerade an dem Getränk, als eine vertraute Stimme sie aus den Tagträumen riss.

„Hier versteckst du dich also.“

Gemma wünschte sofort, sie trüge mehr als den winzigen Bikini mit dem schmalen Bandana-Top. Sie nahm ihre Sonnenbrille nicht ab, als sie erwiderte: „Hast du nichts Wichtigeres zu tun, als nach mir zu suchen?“

Jannis winkte ab. „Du hast mir gesagt, dass du hier Geld verdienen willst, richtig?“

„Ja“, erwiderte sie zögernd und fragte sich, was dieser kühle Tonfall diesmal zu bedeuten hatte.

Er setzte sich auf die Sonnenliege neben ihrer. Nur der kleine Glastisch, auf dem der Drink stand, befand sich zwischen ihnen. Gemma fühlte sich in Jannis’ Nähe unsicher und war froh, dass er ihr wegen der Sonnenbrille nicht in die Augen sehen konnte.

„Ich habe gerade erfahren, dass du den Vertrag unterschrieben hast, obwohl wir dir weniger zahlen, als deine Agentin verlangt hat“, sagte er unnachgiebig. „Ich möchte wissen, weshalb. Vor ein paar Tagen hast du mir vorgejammert, wie hoch die Krankenhauskosten waren.“

Gespielt gleichgültig zuckte sie die Schultern. „Ganz einfach. Ich habe die niedrigere Gage akzeptiert, weil ich dringend einen Job brauchte. Engagements liegen nicht einfach so auf der Straße.“

Er sah sie misstrauisch an. „Du hast mir mal gesagt, dass es als Tänzerin verdammt einfach wäre, an Jobs zu kommen. Weshalb also Singen? Du hättest ja tanzen können.“

Sie unterdrückte den Impuls, zu schaudern. Was Mandy daran gefunden hatte, vor lauter gierigen Männerblicken zu tanzen, blieb Gemma immer noch ein Rätsel. Auch wenn die Bezahlung vorzüglich war, würde sie so etwas niemals tun. „Ich … ich tanze nicht mehr. Ich singe lieber.“ Das immerhin stimmte. „Als Sängerin kann ich sogar mehr verdienen, wenn ich an den richtigen Orten auftrete. Angebote kommen jetzt öfter als früher. Ich bin dabei, Karriere zu machen.“

„Was ist das hier?“

Erstaunt über seinen anklagenden Tonfall, sah sie Jannis ins Gesicht. Entgeistert fixierte er das Cocktailglas, das der Kellner ihr vorhin gebracht hatte.

Autor

Elizabeth Bevarly
Elizabeth Bevarly stammt aus Louisville, Kentucky, und machte dort auch an der Universität 1983 mit summa cum laude ihren Abschluss in Englisch. Obwohl sie niemals etwas anderes als Romanschriftstellerin werden wollte, jobbte sie in Kinos, Restaurants, Boutiquen und Kaufhäusern, bis ihre Karriere als Autorin so richtig in Schwung kam.

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