Bestsellerautorin Sharon Kendrick - italienisches Verlangen

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FAHR MICH INS GLÜCK, GONDOLIERE!

Dieser blendend aussehende Mann - ganz tief berührt er Sabrina mit seinem Blick, als er sie nach einem Sturz aus der Gondel vor dem Schlimmsten bewahrt. Plötzlich scheint all ihre Traurigkeit verflogen. Der Schmerz über ihren Verlobten, den ihr ein tragischer Unfall nahm, vergessen. Sabrina ist wie berauscht: vom Zauber Venedigs und von Guy Masters, der sie zu einem exklusiven Candlelight-Dinner einlädt. Mit jeder Minute spürt sie es mehr - dieses Kribbeln im Bauch. Verliebt begleitet sie Guy in seine Suite. Doch am Morgen ist er verschwunden …

VERFÜHRUNG UNTERM SILBERMOND

Wie Feuer brennt das Verlangen in Raffaele de Feretti! Um jeden Preis will er die schöne Natasha erobern. Ihre Schönheit macht ihn schwach, und ihre Zurückhaltung ist für den erfolgsverwöhnten Millionär die größte Provokation! Aber wozu hat er schließlich die Mittel, um einer Frau die geheimsten Wünsche von den Augen abzulesen? Er lädt Natasha zu einem Luxuswochenende ins exotische Marrakesch ein, um sie unter dem silbernen Wüstenmond 1001 Nacht lang zu verwöhnen. Sie muss nur noch Ja sagen! Doch Natasha hat einen sehr guten Grund zu zögern. Und der heißt Sam …

MEIN GELIEBTER, MEIN PRINZ

Er ist ihr Held - ihr Retter aus höchster Not: Nico, ein blendend aussehender Italiener, hat Ella vor Schlimmem bewahrt. Doch sie empfindet nicht nur Dankbarkeit für den charmanten Mann und schwebt im siebten Himmel, als er sie voller Begehren küsst. Aber ihre süßen Tage der zärtlichen Leidenschaft enden jäh: Nico hat verschwiegen, wer er wirklich ist: ein Prinz, der schon bald in seinen Palast zurückkehren muss. Traurig reist Ella allein nach England zurück. War sie für Nico nur eine Gespielin auf Zeit?

DIE KRÖNUNG UNSERES GLÜCKS

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NUR EINE HEIMLICHE AFFÄRE

Ob London, Paris oder New York - in allen Metropolen dieser Welt hat Lucy aufregende Nächte in Guidos Armen erlebt. Für sie ist der Prinz von Mardivino ihr absoluter Traummann und der zärtlichste Liebhaber der Welt. Aber wie empfindet Guido für sie? Will er ihre leidenschaftliche Affäre wirklich nur geheimhalten, weil er befürchtet, dass sein Bruder, der Kronprinz, ihm die Beziehung zu einer Bürgerlichen verbietet? Wird Guido zu ihr stehen, wenn sie ihm beichtet, dass sie ein Kind von ihm erwartet?


  • Erscheinungstag 16.12.2015
  • ISBN / Artikelnummer 9783733773182
  • Seitenanzahl 800
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Sharon Kendrick

Bestsellerautorin Sharon Kendrick - italienisches Verlangen

Sharon Kendrick

Fahr mich ins Glück, Gondoliere!

IMPRESSUM

MODERN ROMANCE erscheint im CORA Verlag GmbH & Co. KG,
20350 Hamburg, Axel-Springer-Platz 1

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Brieffach 8500, 20350 Hamburg
Telefon: 040/347-25852
Fax: 040/347-25991

© 2001 by Sharon Kendrick
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V., Amsterdam

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe MODERN ROMANCE
Band 042009 2009 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg

Fotos: gettyimages

Veröffentlicht im ePub Format im 12/2010 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

eBook-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-86295-178-9

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Führung in Lesezirkeln nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte übernimmt der Verlag keine Haftung. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

 

1. KAPITEL

Sabrina traute ihren Augen nicht. Sie senkte den Blick und sah noch einmal hin. Nein, das musste eine Sinnestäuschung sein. So einen Mann gab es nicht.

Er stand am Ufer des Canal Grande, nah genug für sie, um seine klassischen Gesichtszüge zu erkennen, vor allem die hohen Wangenknochen und die ausgeprägte Nase. Der Mund wirkte fest und sinnlich zugleich. Ein Mund, der ohne Zweifel küssen konnte.

Nur wegen der Augen hätte man gezögert, das Gesicht schön zu nennen. Sie blickten zu kalt, um noch sympathisch zu wirken. Sogar aus einiger Entfernung schienen sie unheimlich zu funkeln, als strahlten sie eine dunkle, unbekannte Gefahr aus.

Gütiger Himmel, dachte Sabrina, was ist mit mir los? Sie ließ sich sonst nicht von Unbekannten verzaubern, erst recht nicht, wenn sie allein in einem fremden Land war. Mochte Venedig auch zu den bezauberndsten Orten der Welt zählen, sie war allein hier.

Ganz allein. Daran hatte sie sich immer noch nicht gewöhnt, und wieder bemächtigte sich ihrer das alte Schuldgefühl.

Trotzdem konnte sie den Blick nicht abwenden …

Guy stand am Canal Grande und spürte eine plötzliche, unerwartete Spannung. Jemand beobachtete ihn, und er kannte dieses Gefühl. Er ließ den Blick über die Wasserfläche gleiten und bemerkte eine Frau, die in einer Gondel auf ihn zukam.

Der blasse Schein der Märzsonne fiel auf ihr rotblondes Haar, das voll auf ihren Schultern lag. Ihre Glieder waren schlank und biegsam, die Haut fast durchsichtig zart. Sie muss Engländerin sein, durchfuhr es ihn in dem Moment, als sich ihre Blicke trafen. Sollte er ihr folgen? Sie in ein Café einladen? Ein kurzes Auflachen war die Antwort auf diese Frage.

Es war leichtsinnig, sich mit einer völlig Unbekannten einzulassen, und gerade Guy kannte die Folgen des Leichtsinns. War nicht sein ganzes Leben darüber hingegangen, die eine, aus Leichtsinn geborene Tat seines Vaters wiedergutzumachen? Es war ratsam, sich keinen allzu spontanen Regungen hinzugeben.

Entschlossen wandte er sich ab.

Was Sabrina empfand, glich körperlichem Schmerz. Sieh mich weiter an, versuchte sie, den Unbekannten zu beschwören, aber im selben Moment gab der Gondoliere der Gondel eine scharfe Wendung und lenkte dem Ufer zu. Der Unbekannte entschwand ihrem Blick.

Sabrina schob den Reiseführer in ihre Tasche und stand auf. Der Gondoliere stützte sie am Ellbogen, und sie nickte ihm zu, als würde sie jedes Wort von seinem überschnellen Italienisch verstehen. Dabei konnte sie sich nicht denken, was er ihr zu sagen hatte, denn die Fahrt war vor Antritt bezahlt worden.

Plötzlich ertönte hinter ihr ein Ruf, und sie erkannte an der tiefen, volltönenden Stimme, dass nur der Unbekannte mit dem dunklen Haar und den schiefergrauen Augen ihn ausgestoßen haben konnte. Instinktiv drehte sie sich um und wurde im selben Moment von einem Schwall eiskalten Wassers überschüttet.

Es drang ihr in die Augen, sodass sie vor Schreck die Handtasche fallen ließ. Der Gondoliere begann, laut zu schimpfen, und als sie den Blick wieder hob, erkannte sie ein kleines Motorboot, in dessen aufgewirbeltem Kielwasser die Gondel auf und ab schaukelte.

Und sie sah den Unbekannten. Er stand vor ihr am Ufer und streckte die Hand aus. Trotz seines zornigen Gesichtsausdrucks, ergriff sie die Hand und ließ sich ans Ufer helfen.

„Warum, zum Teufel, können die Leute nicht rücksichtsvoller fahren?“, fragte er und sah kurz dem Motorboot nach, ehe er seine Aufmerksamkeit Sabrina zuwandte, die in ihrer durchnässten Kleidung fröstelte. Ihr Gesicht war vor Schreck so blass geworden, dass es schimmerndem Alabaster glich. „Sie sind Engländerin, nicht wahr?“

Aus der Nähe wirkte er fast noch attraktiver. Atemberaubend attraktiv. Ein zweiter, nachhaltigerer Schauer überlief sie. „Ja“, antwortete sie zitternd. „Woran haben Sie das erkannt?“

Guy hielt ihre Hand, bis er überzeugt sein konnte, dass sie ihr Gleichgewicht wiedergefunden hatte. „Nur Engländerinnen haben so zarte Haut, so rotblondes Haar und so hellblaue Augen“, antwortete er und betrachtete sie noch aufmerksamer. „Sie sind bis auf die Haut durchnässt.“

Sabrina blickte an sich hinunter und stellte fest, dass der Unbekannte nicht übertrieb. Sie war durch und durch nass. Das schmutzige Lagunenwasser hatte ihr T-Shirt durchweicht, und ihre Brüste zeichneten sich deutlich unter dem Stoff ab und verrieten, dass sie fror.

„Und Sie frieren.“ Guy war ihrem Blick gefolgt. Beinahe hätte er einen anzüglichen Scherz über den Vorteil durchnässter T-Shirts gemacht, aber dann unterließ er es. Einer Fremden gegenüber waren solche Scherze unangebracht.

Plötzlich fiel Sabrina ein, was ihr fehlte. „Meine Handtasche!“, rief sie aus. „Ich habe sie fallen lassen.“

„Wo?“

„Von der Gondel ins Wasser. Mein Portemonnaie war darin.“

Guy beugte sich vor, aber das dunkle Wasser hatte die Tasche verschluckt.

„Nicht!“, rief Sabrina, denn sie hatte Angst, der Unbekannte könnte plötzlich verschwinden.

Er drehte sich mit einem überraschten Blick um. „Was nicht?“

„Versuchen Sie nicht, die Tasche wiederzufinden.“

„Glauben Sie, ich wollte in den Kanal springen, um nach Ihrer Tasche zu tauchen?“ Guy lächelte. „Ich bin kein Ritter aus dem Mittelalter, Prinzessin.“ Als er bemerkte, dass sich Sabrinas Lippen blau färbten, verschwand sein Lächeln. „Sie müssen die nassen Sachen ausziehen, ehe Sie sich eine Lungenentzündung holen.“

Die anspielungsreiche Bemerkung machte Sabrina um eine Antwort verlegen. Sie wollte etwas erwidern, unterließ es aber lieber.

Guy runzelte die Stirn. Hatte er das eben wirklich gesagt? Er hätte sich anders ausdrücken können. „Wo wohnen Sie?“

„Meilenweit entfernt.“

Natürlich. So nah an der Piazza di San Marco waren die Hotelpreise nur noch für Millionäre erschwinglich. Guy las die stumme Bitte in Sabrinas Augen und presste die Lippen zusammen. Warum hatte sie das nicht gesagt, bevor die Gondel weitergefahren war? Der Gondoliere hätte sie dann in ihr Hotel zurückbringen können. Das war nun seine Aufgabe.

Sein Auftrag in Venedig war erledigt. Er hatte für einen anspruchsvollen Kunden das Werk eines alten italienischen Meisters erworben – zu einem erstaunlich günstigen Preis. Der Kunde würde zufrieden sein. Anschließend hatte er sich einen Ruhetag gönnen wollen, ohne den Ritter in schimmernder Rüstung zu spielen. Doch Verantwortungsbewusstsein gehörte nun einmal zu seinem Wesen. Er betrachtete das blasse, herzförmige Gesicht und spürte einen Stich. Mein Gott, sie war schön!

„In diesem Zustand können Sie nicht nach Hause fahren. Möchten Sie sich in meinem Hotel umziehen? Es liegt gleich um die Ecke.“

„Ihr Hotel?“ Sabrina erinnerte sich mit schlechtem Gewissen daran, wie aufmerksam sie den Unbekannten von der Gondel aus beobachtet hatte. Sie war sicher gewesen, dass er sie nicht bemerkt hatte, aber wenn doch? Wenn er sie nun zu den Frauen zählte, die sich bei der erstbesten Gelegenheit ansprechen und zu einem Schäferstündchen mitnehmen ließen? „Ich kenne Sie nicht und pflege mich von fremden Männern nicht ins Hotel einladen zu lassen.“

Guy kniff die Augen zusammen. Er bot ihr eine Gefälligkeit an, und sie unterstellte ihm zweifelhafte Absichten. Unterstellte ihm, dass er keine Gelegenheit ausließe, sich einer Frau aufzudrängen.

Einen Moment lang war er versucht, sie einfach stehen zu lassen, aber dann meldete sich wieder sein Verantwortungsgefühl. „Vielleicht sollte ich mich erst einmal vorstellen“, sagte er, rang sich ein Lächeln ab und streckte die Hand aus. „Guy Masters.“

Sabrina zögerte kurz, dann nahm sie die Hand, die sich warm um ihre erstarrten Finger schloss. Dafür wirkte der Blick seiner grauen Augen umso kühler. „Sabrina Cooper.“

„Ich versichere Ihnen, dass Sie bei mir völlig sicher sind, Miss Cooper. Natürlich können Sie in diesem Zustand auch durch halb Venedig fahren, aber dann …“ Er zuckte die Schultern. „Es liegt bei Ihnen. Sie können mein Angebot annehmen oder ablehnen.“

Sabrina überlegte. Ein Mann, der so aussah wie Guy Masters, hatte es nicht nötig, um den heißen Brei herumzureden. „Warum sind Sie so …?“

„Hilfsbereit?“ Ein spöttischer Glanz erschien in seinen grauen Augen. Es belustigte Guy, dass Sabrina so lange zögerte. Das kam heute eher selten vor. „Weil Sie eine Landsmännin von mir sind und ich mich daher für Sie verantwortlich fühle. Sie frieren, sind durchnässt und haben Ihr Portemonnaie eingebüßt. Was schlagen Sie also vor? Soll ich mich ausziehen, um Sie mit meinem Hemd zu wärmen?“

„Nein.“ Sabrina erschrak, denn sie konnte sich nur zu gut vorstellen, wie er ohne das schneeweiße T-Shirt aussehen würde. „Das ist nicht nötig. Ich nehme Ihr Angebot an. Es ist sehr großzügig … vielen Dank.“

„Dann folgen Sie mir bitte.“

Sie gingen durch die engen, dunklen Straßen Venedigs, ständig begleitet von dem Geräusch plätschernden Wassers. Die nasse Kleidung klebte Sabrina unangenehm am Körper und machte ihr jeden Schritt schwer.

„Ich weiß gar nicht, wie ich meine Sachen trocknen soll“, sagte sie.

„Keine Sorge, man wird sich im Hotel darum kümmern“, beruhigte Guy sie. In Hotels wie dem „Palazzo Regina“ war so etwas kein Problem. Man versuchte dort, noch die ausgefallensten Wünsche der Gäste zu befriedigen. Was man bezahlte, bekam man auch, und je mehr es war, desto größeren Eindruck rief man hervor.

Sabrina bemerkte die neugierigen Blicke der Passanten, die vielleicht ihrem durchnässten Zustand, vielleicht aber auch ihrem attraktiven Begleiter galten. Seine Ausstrahlung war überwältigend männlich, jede Bewegung verriet innere Spannung und verhaltene Kraft. Es gelang Sabrina nicht, sich dieser Ausstrahlung zu entziehen, und sie hatte immer mehr das Gefühl, in Guy Masters’ Bann zu geraten.

„Wie viel Geld war in Ihrem Portemonnaie?“, erkundigte er sich.

„Nur wenig. Das meiste habe ich zusammen mit dem Flugticket im Hotelsafe hinterlegt.“

„Das war vernünftig. Stellen Sie sich vor, Sie hätten das Ticket bei sich gehabt.“

„Das stelle ich mir lieber nicht vor.“

Guy lächelte über die humorvolle Antwort. „Wir sind da“, verkündete er und blieb vor einer imposanten Fassade stehen.

Sabrina runzelte die Stirn. „Hier?“ Guy brauchte sich wirklich nicht zu verstecken, aber in Jeans und T-Shirt hatte er wie ein ganz gewöhnlicher Tourist auf sie gewirkt. Er musste sich irren. Dies war ein Museum oder ein Palast. Hier konnte er nicht wohnen.

„Warum nicht?“, fragte er mit einem teils überlegenen, teils spöttischen Blick. „Glauben Sie, ich finde nicht zu meinem Hotel zurück?“

Sabrina dachte an die winzige, versteckt liegende „Pensione“, in der sie ein Zimmer genommen hatte. „Es wirkt eher wie ein Palast als wie ein Hotel.“

„Es war einmal ein Palast.“ Guy betrachtete sie lächelnd und stellte erleichtert fest, dass ihr Gesicht beim Gehen wieder Farbe bekommen hatte. „Vor sehr langer Zeit.“

„In welchem Jahrhundert?“

„Im vierzehnten, ob Sie es glauben oder nicht.“

„Du meine Güte. Kann man den Aufenthalt hier überhaupt bezahlen?“

In Guy meldete sich das alte Misstrauen Frauen gegenüber, die ihn nach seinem Geld fragten. „Ich wohne glücklicherweise auf Geschäftskosten“, antwortete er. „Kommen Sie. Sie fangen schon wieder an zu zittern.“

Sobald sie die reich geschmückte Eingangshalle betraten, erhob sich gedämpftes Stimmengewirr. Einer der beiden Portiers, schön wie ein Gott, begrüßte Guy mit einem indiskreten Lächeln.

„Ich hoffe, Sie hatten einen angenehmen Vormittag, Sir?“

„Eher einen ereignisreichen“, antwortete Guy. „Bitte meinen Schlüssel, Luigi.“

„Selbstverständlich, Sir. Ich werde jemanden …“

„Bitte keine Begleitung, Luigi. Ich finde selbst hinauf.“

Im Lift, dessen eine Wand aus einem großen Spiegel bestand, erkannte Sabrina, wie nass sie wirklich war. Das Lagunenwasser musste weitaus schmutziger sein, als seine Farbe vermuten ließ, denn die Vorderseite ihres T-Shirts war mit winzigen Flecken bedeckt. Um die Brüste hatten sich zwei dunkle Kreise gebildet, die nicht nur den BH, sondern auch die Brustspitzen durchschimmern ließen.

Sabrina schämte sich, dass sie so stark auf einen ihr völlig unbekannten Mann reagierte, und kreuzte die Arme über der Brust. „Dieser Luigi hat mich ziemlich merkwürdig angesehen.“

Guy betrachtete ihr Spiegelbild. Der Grund für die schützende Bewegung war ihm nicht entgangen. „Nun, Sie müssen zugeben, dass Sie ziemlich … auffällig aussehen.“ Wie eine bezaubernde Nixe, die gerade dem Wasser entstiegen ist, setzte er für sich hinzu.

Sabrina nickte. „Auffällig nass.“

Wie sanft ihre Stimme klang! Der Lift hielt mit einem leisen Klingelton. „Hier ist meine Suite.“

Suite? Wieder fiel Sabrina ihre kleine „Pensione“, ein, in der nie jemand Dienst zu haben schien. Wie zum Beispiel gestern Abend, als nur noch braunes Wasser aus dem Hahn getröpfelt war. Mithilfe ihres Wörterbuchs hatte sie dem Besitzer eine Notiz geschrieben und ihn gebeten, sich am Morgen darum zu kümmern. Wenn sie nun so nach Hause gekommen wäre und festgestellt hätte, dass nichts geschehen war?

Zum Glück hatte sich der hilfsbereite Guy Masters ihrer angenommen. Ängstlich, aber auch neugierig sah sie zu, wie er die Tür zu seiner Suite aufschloss.

Sabrina hielt staunend den Atem an, als sie das große Wohnzimmer betrat. Sie hatte von solchen Räumen gehört, sie aber nie gesehen, und es war ihr, als käme sie in eine fremde Welt.

Jeder Laie konnte erkennen, dass die Möbel ausnahmslos wertvolle, wahrscheinlich unbezahlbare Antiquitäten waren. Durch die geschlossenen Jalousien fiel nur gedämpftes Licht herein, aber trotzdem ließ sich alles gut erkennen.

Seidenteppiche in leuchtenden Farben bedeckten den Marmorboden. Darauf standen Tische und Stühle mit zierlichen, kunstvoll geschnitzten Beinen sowie ein rotgold bezogenes Sofa mit gleichfarbigen Sesseln und üppig bestickten Kissen. Unter den zahlreichen Gemälden an den weinrot bespannten Wänden fiel das Ölporträt eines längst verstorbenen Dogen auf, hinter dem die Stadt Venedig zu erkennen war.

„Wie schön“, flüsterte Sabrina. „Wie wunderschön.“

Guy hatte sie heimlich beobachtet. Die offene Bewunderung, mit der sie alles betrachtete, ließ sie trotz ihrer nassen und verschmutzten Kleidung fast anmutig erscheinen.

„Nicht wahr?“, fragte er, ohne einen einzigen Blick auf den Dogen zu werfen. „Aber es fehlt das Licht.“

Er öffnete die Jalousien, und Sabrina ging zum Fenster, um den Blick auf den Canal Grande zu genießen. Etwas Schöneres ließ sich nicht denken, aber sie war nicht hergekommen, um die prächtige Einrichtung zu bewundern oder sich an dem Ausblick zu erfreuen.

„Wenn Sie mir jetzt bitte …“

Sie verstummte, denn Guy hatte sich zu ihr umgedreht. Er bemerkte die roten Flecken auf ihren Wangen, die sie einer blonden Porzellanpuppe ähnlich machten, und zeigte auf eine Tür. „Dort ist das Badezimmer. Lassen Sie sich beliebig viel Zeit, und werfen Sie die nassen Sachen heraus. Ich lasse sie abholen und zur Hotelwäscherei bringen.“

„Danke.“

Sabrina schloss die Badezimmertür hinter sich ab und zog sich rasch aus. Wie modrig die Sachen rochen! Jeans und T-Shirt landeten auf dem marmornen Fußboden, aber BH und Slip waren ebenfalls nass. Sollte sie es wagen …?

Ach was, da gab es nichts zu wagen. Sie konnte die nasse Unterwäsche nicht anbehalten, und der praktische Baumwollslip war kaum geeignet, Guy Masters zu unüberlegten Handlungen hinzureißen.

Sie raffte das Bündel zusammen und öffnete die Tür. „Guy?“

„Werfen Sie alles hin“, antwortete er.

Sabrina folgte der Aufforderung, schloss schnell wieder die Tür und drehte den Schlüssel um, ehe sie unter die Dusche trat.

Draußen hob Guy das Kleiderbündel auf, als wäre es ein Knäuel von Giftschlangen. Hatte Sabrina unbedingt alles ausziehen müssen? Und warum trug sie Unterwäsche, die einer metallenen Rüstung glich? Er kannte Sabrina Cooper nicht und würde sie nach dem heutigen Tag nie wieder sehen, aber eins stand fest. Sie war nicht nach Venedig gekommen, um sich verführen zu lassen.

Mit einem heimlichen Lächeln ging er zum Telefon und nahm den Hörer ab. „Pronto?“, fragte er aus Höflichkeit, um gleich darauf ins Englische zu wechseln, das fast vom ganzen Hotelpersonal beherrscht wurde. Er konnte sich auch auf Italienisch recht gut verständlich machen, aber mit der Unterwäsche einer fremden Frau durfte es möglichst keine Missverständnisse geben. „Wie lange brauchen Sie, um die Sachen zu waschen?“

„Etwa zwei Stunden, Sir“, lautete die Antwort.

Guy runzelte die Stirn. So lange? Was sollten sie anfangen, während Sabrinas Wäsche in der Maschine herumgewirbelt wurde? Seine Zeit war kostbar, besonders seine Freizeit. Er konnte sich tausend Dinge denken, die angenehmer waren, als eine Frau zu unterhalten, mit der ihn nur das gemeinsame Heimatland verband.

„Wie wäre es mit einer Stunde?“, fragte er. „Und könnten Sie Kaffee heraufschicken?“

Der Etagendiener brachte den Kaffee und nahm die schmutzige Wäsche mit. Wenig später hörte Guy, dass im Badezimmer die Dusche abgestellt wurde.

„Ich fürchte, Ihre Sachen werden frühestens in einer Stunde zurückgebracht!“, rief er durch die geschlossene Tür.

„Erst in einer Stunde?“ Sabrinas Herz begann, schneller zu klopfen. Was sollte sie bis dahin tun? In ein Handtuch gewickelt in diesem dunstigen Badezimmer bleiben?

Guy hörte die Enttäuschung in Sabrinas Stimme und hätte ihr gern gesagt, dass es ihm mindestens so unangenehm war, die nächste Stunde abzuwarten. Doch er hatte sie freiwillig hergebracht und konnte sich nicht nachträglich darüber beklagen.

„Ziehen Sie den Bademantel an, der hinter der Tür hängt“, riet er ihr. „Und im Wohnzimmer steht Kaffee bereit.“

Sabrina schnitt ein Gesicht und schlüpfte in den weichen, dicken Bademantel, der einen schwachen männlichen Duft verbreitete. Guy musste den Mantel vor ihr getragen haben, und er war darunter genauso nackt gewesen wie sie. Der leichte Moschusduft weckte ein starkes, sinnliches Verlangen in ihr, und sie fragte sich erschrocken, was mit ihr geschah.

Guy blickte rasch auf, als sie hereinkam, und er kniff seine grauen Augen zusammen. Vielleicht war es doch keine gute Idee gewesen, ihr den Bademantel anzubieten. Eine Frau in einem übergroßen Kleidungsstück eines Mannes wirkte ausgesprochen erotisch. Bei ihm bedeckte der Mantel gerade die Knie, aber der zarten, schlanken Sabrina reichte er fast bis an die Knöchel.

„Wie wäre es mit Kaffee?“, fragte er, um sich von dem Anblick abzulenken.

„Eine gute Idee.“

Sabrina hatte Mühe, sich ihre Befangenheit nicht anmerken zu lassen. Sie setzte sich auf das Sofa, das am anderen Ende des Zimmers stand, und versuchte, ruhig zu bleiben. Sie hatte absolut nichts zu befürchten. Die Situation mochte etwas ungewöhnlich sein, aber sie vertraute diesem Mann. Männer wie Guy Masters hatten es nicht nötig, sich fremden Frauen aufzudrängen, mochte in ihrem Blick auch deutliches Verlangen liegen.

Er schenkte zwei Tassen Kaffee ein und beschloss, das unbehagliche Schweigen zu brechen. „Sind Sie zum ersten Mal in Venedig?“

„Zum ersten Mal auf dem Kontinent“, gestand sie.

„Sie scherzen!“

Sabrina schüttelte den Kopf. „Oh nein. Ich habe England vorher noch nie verlassen.“ Michael hatte nicht viel mehr verdient als sie, und es war ihnen wichtiger erschienen, für ein Haus zu sparen, als weite Reisen zu machen. Wahrscheinlich würde Guy Masters das nicht verstehen.

„Sind Sie allein hier?“

„Ja.“

Guy betrachtete sie verwundert. „Ist das nicht etwas leichtsinnig?“ Sabrina sah auf ihre Hände mit der Tasse. „Ich habe bisher noch nie etwas Leichtsinniges getan.“

„Wirklich nie?“, fragte er lächelnd.

Sabrina setzte sich weiter zurück, bis sie mit dem Rücken die Sofalehne berührte. „Nein“, erwiderte sie ernst. „Das hat mich in dem Entschluss bestärkt, einmal den Versuch zu wagen.“

Guy trank etwas Kaffee. Wenn sie doch bloß aufhören würde, sich ständig zu bewegen. Schließlich hatte der Bademantel keine Knöpfe! Er trank wieder einen Schluck und sah dabei heimlich auf die Uhr. Noch eine Dreiviertelstunde – vielleicht etwas weniger, wenn er Glück hatte. In jedem Fall wurde seine Selbstbeherrschung auf eine harte Probe gestellt.

„Und warum gerade Venedig?“, fragte er eine Spur gereizter als vorher.

„Weil es eine der schönsten Städte der Welt ist, und weil ich …“

Ihr Zögern machte ihn neugierig. „Und weil Sie was?“

Und weil ich einfach wegmusste, hatte sie sagen wollen, aber darauf folgte regelmäßig die Frage nach dem Grund, und sie war es leid, die ganze traurige Geschichte zu erzählen und immer wieder zu durchleben. Sie war nach Venedig gekommen, um den Klauen des Todes zu entrinnen.

„Ich wollte endlich den Markusplatz kennenlernen“, fuhr sie fort und lächelte übertrieben fröhlich. „Seit Jahren habe ich davon geträumt … genauso wie von einer Fahrt in der Gondel.“

„Aber ohne ein Bad im Canal Grande.“

Sabrina musste lachen. „Allerdings. Das kam in meinem Traum nicht vor.“

Wie das Lachen ihr Gesicht verändert, dachte Guy. Als ob es von innen erleuchtet würde. „Wie lange bleiben Sie in Venedig?“

„Nur noch zwei Tage. Und Sie?“

Guy fühlte, wie eine Ader an seiner Schläfe zu pochen begann. Venedig wurde mit jeder Minute attraktiver – geradezu gefährlich attraktiv. „Ich auch“, antwortete er schnell und sah abermals auf die Uhr.

Das Zimmer schien plötzlich zu klein und unerlaubt intim zu sein. Verlegen rutschte Sabrina auf dem Sofa hin und her.

„Wie alt sind Sie?“, fragte Guy, als sie geistesabwesend die schlanken Beine übereinanderschlug.

Alt genug, um zu spüren, dass sie Guy Masters nicht gleichgültig war. Das sagte ihr der helle Glanz in seinen kühlen grauen Augen. „Siebenundzwanzig.“

„Sie sehen jünger aus.“

„Das höre ich öfter.“ Sabrina zog die Augenbrauen hoch.

„Und Sie?“

„Zweiunddreißig.“

„Sie sehen älter aus.“

Ihre Blicke trafen sich, und die Spannung im Zimmer wuchs. „Das weiß ich.“

Guys Gesicht fesselte Sabrinas ganze Aufmerksamkeit. Es war, als würde sie magisch davon angezogen. Ich werde dieses Gesicht nie vergessen, dachte sie und spürte eine plötzliche Traurigkeit. Nie in meinem Leben.

Schweigend tranken sie den Kaffee, bis leise an die Tür geklopft wurde. Der Etagendiener brachte die Wäsche, und Guy reichte sie an Sabrina weiter. „Alles erledigt“, sagte er dabei lächelnd.

Sabrina errötete, denn seine Hand hatte kurz auf der frisch gebügelten Unterwäsche geruht. „Ich werde mich gleich umziehen.“

Duftig und schimmernd tauchte sie wenig später aus dem Badezimmer auf. Guy wusste nicht, was die Wäscherei mit ihren Sachen gemacht hatte, aber sie wirkten wie neu. Sabrinas rotblondes Haar, das inzwischen getrocknet war, fiel ihr weich auf die Schultern.

„Nehmen Sie das“, sagte er und zog einige Geldscheine aus der Hosentasche.

„Wozu?“, fragte sie und sah ihn beinahe ängstlich an.

„Sie haben Ihr Portemonnaie verloren. Wie wollen Sie ohne Geld in Ihr Hotel kommen?“

„Ich kann kein Geld von Ihnen annehmen.“

„Dann betrachten Sie es als geliehen. Geben Sie es mir morgen zurück, wenn Sie möchten.“

Sabrina schob die Scheine vorsichtig in die Gesäßtasche ihrer Jeans. „Einverstanden. Vielen Dank.“

Guy begleitete sie im Lift bis zur Halle hinunter. Er war fest überzeugt, dass er sie nicht wiedersehen würde. Der Gedanke schmerzte ihn so sehr, dass er sich darüber wunderte.

2. KAPITEL

Fröhlich und beschwingten Schritts verließ Sabrina am nächsten Morgen die „Pensione“. Es war vielleicht etwas übertrieben, aber sie freute sich darauf, Guy das Geld zurückzubringen. Ab und zu lächelte sie vor sich hin, und auf ihren Wangen lag ein rosiger Schimmer. Das hellblaue Baumwollkleid, das sie mit Bedacht gewählt hatte, passte genau zu ihren blauen Augen, und die offenen Sandaletten ließen ihre Beine schlanker und länger erscheinen.

Nicht, dass Guy Masters ihr besondere Aufmerksamkeit schenken würde! Vermutlich war er gar nicht in seinem Hotel. Dann würde sie den Umschlag mit dem Geld am Empfang abgeben und ihre Stadtbesichtigung fortsetzen.

Rechts und links von ihr reckten sich die hohen Renaissancefassaden in den blauen Himmel, und auf den Kanälen, die ganz Venedig durchzogen, glitzerte die Morgensonne. Eine erwartungsvolle Stimmung lag über der Stadt, die sich Sabrina immer mehr mitteilte, je näher sie dem „Palazzo Regina“ kam.

Der Portier mit dem göttlich schönen Gesicht erkannte sie sofort und griff zum Telefon, während sie noch durch die Halle ging. Als sie das Empfangspult erreichte, legte er gerade den Hörer auf und begrüßte sie mit einem höflichen Lächeln.

Buon giorno, Signorina Cooper.“

Sabrina sah ihn überrascht an. „Sie kennen meinen Namen?“

Sein Lächeln wurde breiter. „Aber natürlich. Signor Masters hat mich gebeten, ihn sofort von Ihrem Kommen zu unterrichten“, antwortete er.

Also hatte er nicht erwartet, dass sie einfach mit seinem Geld verschwinden würde. Das war doch wenigstens etwas! Rasch nahm sie den Umschlag aus ihrer Tasche. „Darf ich das für ihn dalassen? Ich kann nicht bleiben und …“

„Wollen Sie etwa vor mir weglaufen, Miss Cooper?“, erklang es in diesem Moment hinter ihr, und als sie sich umdrehte, sah sie in zwei kühl blickende schiefergraue Augen. Damit war es allerdings um sie geschehen.

„Hallo, Guy“, sagte sie verlegen.

„Hallo, Sabrina“, antwortete er und betrachtete sie mit sichtlichem Vergnügen. Es hatte sich gelohnt, das blaue Kleid anzuziehen.

„Ich bringe Ihnen das Geld zurück.“ Sie hielt den Umschlag hoch.

„Das sehe ich.“

„Noch einmal vielen Dank für Ihren gestrigen Beistand. Ich weiß nicht, was ich ohne Sie getan hätte.“ Sie zögerte und atmete tief ein. „Dann werde ich jetzt besser …“

Guy ließ sie nicht ausreden und legte leicht die Hand auf ihren bloßen Arm. Die Geste wirkte absichtslos, fast unschuldig, aber Sabrina reagierte mit allen Sinnen darauf.

„Wollen Sie mich etwa schon verlassen? Das Wetter ist schön, und wir sind beide allein. Warum sehen wir uns die Stadt nicht gemeinsam an?“

„Gemeinsam?“

Guy zögerte, um ihr Gelegenheit zu geben, seinen Vorschlag abzulehnen. „Oder sind Sie lieber allein?“

Nein, Sabrina war nicht nach Venedig gekommen, um allein zu sein. Sie war hier, um Abstand zu gewinnen und die quälenden Erinnerungen loszuwerden. Beides würde in Guys Gesellschaft leichter sein.

„Nicht unbedingt.“

Guy hatte Mühe, bei der spröden Antwort nicht laut aufzulachen. Gehörte dieses widersprüchliche Verhalten zu den Tricks der reizenden Miss Cooper? Versuchte sie die Verheißung, die in ihren leuchtenden Augen lag, durch schroffe Antworten zu widerlegen? Verwirrend, dachte Guy, den Frauen kaum noch aus der Fassung bringen konnten. Ausgesprochen verwirrend.

„Bedeutet das ja oder nein?“

Es bedeutet, dass ich nicht weiß, ob ich klug handle, dachte Sabrina und lächelte. „Es bedeutet ja.“

„Dann müssen Sie mir sagen, was Sie schon gesehen haben und wo Sie den Lunch einnehmen möchten.“

„Ich war in der Basilica di San Marco, im Palazzo Ducale und in der Ca’ d’Oro“, zählte Sabrina auf. „Weiter bin ich noch nicht gekommen, und bezüglich des Essens … Ehrlich gesagt, bin ich da überfragt.“ Sie reiste mit wenig Geld und hatte den Lunch bisher immer ausgelassen.

Guy bemerkte die leichten Schatten auf Sabrinas Wangen und fragte sich, ob sie in letzter Zeit genug gegessen hatte. „Dann wollen wir keine Zeit verlieren und das restliche Venedig unsicher machen“, sagte er freundlich.

Doch Sabrina hatte kaum Augen für ihre Umgebung, als sie mit Guy in den Sonnenschein hinaustrat. Gestern hatte Venedig noch wie eine Märchenstadt auf sie gewirkt, aber heute konnte sie nur an den Mann denken, der neben ihr ging.

Zum Glück war sie gut genug vorbereitet, um wenigstens einen Eindruck von dem zu bekommen, was sie sah. Sie hatte jedes verfügbare Buch über Venedig gelesen, und wie sich herausstellte, waren Guys Kenntnisse ihren ebenbürtig.

„Wissen Sie, was der Humorist Robert Benchley nach Hause telegrafierte, als er nach Venedig kam?“, fragte er einmal. „‚Alle Straßen unter Wasser. Was soll ich tun?‘“

Sie lachten beide, und Guys Blick kam Sabrina plötzlich wärmer vor. „Nein, das kannte ich nicht, aber wissen Sie, was Truman Capote über Venedig gesagt hat? Es sei, als würde man eine Schachtel Likörpralinen auf einmal essen.“

„Tatsächlich?“

Sabrinas rasche Auffassungsgabe gefiel Guy. Er stellte fest, dass sie ähnlich wie er dachte und ihre Kenntnisse verrieten, dass sie viel las. Es fehlte ihnen nie an Gesprächsstoff, und nur Themen persönlicher Natur wurden ausgespart. Warum auch nicht? Anonymität bedeutete Freiheit. Die Menschen neigten dazu, sich nach dem zu beurteilen, was sie voneinander wussten, und damit den spontanen Eindruck zu zerstören.

Als die Glocke von San Marco zwei Mal schlug, sah Guy auf seine Uhr. „Wir sollten uns einen Platz zum Essen suchen, ehe es zu spät ist.“

Sabrina schüttelte den Kopf. „Ich bin nicht hungrig.“

„Sind Sie so dünn, weil Sie regelmäßig den Lunch auslassen?“

„Danke, sehr schmeichelhaft.“

„Ich beklage mich nicht“, beteuerte Guy mit einem langen, prüfenden Blick. „Ihre Beine sind bewundernswert schlank. Ich vermute, dass Sie dafür einiges tun müssen, wie andere Frauen auch.“

Sabrina schwieg und betrachtete ihre Fußnägel, die sie erst nach längerem Zögern wieder mit Rosa lackiert hatte. Sie wollte sich damit beweisen, dass kleine, alltägliche Gewohnheiten helfen konnten, zu einem normalen Leben zurückzukehren.

„Was ist los, Sabrina?“, fragte Guy sanft. „Das sollte ein Kompliment sein. Habe ich Sie gekränkt oder verlegen gemacht?“

Sabrina hob den Kopf. Eine bessere Gelegenheit konnte sie nicht finden, um zu erklären, dass sie nach Michaels Tod so stark abgenommen hatte. Doch damit würde sie in die Rolle der vereinsamten Verlobten zurückfallen, die sie nicht länger spielen wollte. Sie wollte ihr Leben wieder genießen. Sie wollte die Sonne auf ihrem Gesicht spüren und an dem Blick ihres Begleiters erkennen, dass sie ihm gefiel. Sie wollte endlich wieder leben und sich nicht mehr halb tot fühlen.

Sie verdrängte die finsteren Gedanken und rang sich ein Lächeln ab, das überraschend natürlich ausfiel. „Ich bitte Sie, Guy. Welche Frau wäre gekränkt, weil man sie dünn nennt?“

„Vermutlich keine.“

Sabrinas Lächeln bezauberte Guy. Als ob die Sonne hinter Wolken hervorkommt, dachte er und merkte, dass er ebenfalls keinen Hunger hatte, jedenfalls nicht auf gewöhnliche Kost.

„Wie wäre es mit einem der vielen Cafés?“, fragte er und umschrieb mit einer Armbewegung die weitläufige Piazza di San Marco. „Wie es scheint, genügt uns beiden eine Tasse Kaffee, und es ist warm genug, um draußen zu sitzen.“

Sie fanden einen freien Tisch und bestellten zum Kaffee zartes Blätterteiggebäck. Es gehörte zu den berühmten venezianischen Spezialitäten, aber Guy konnte ihm wenig Geschmack abgewinnen. Auch Sabrina ließ ihr Stück nach den ersten beiden Bissen liegen.

„Es muss die Hitze sein“, erklärte sie, als sie seinen fragenden Blick bemerkte.

„Natürlich, die Hitze.“ Er ging auf die Ausrede ein, obwohl er genau wusste, dass ihre Appetitlosigkeit andere Gründe hatte.

Nachdem Guy bezahlt hatte, setzte er den Stadtrundgang wie ein gelernter Führer fort. Er gönnte Sabrina nirgendwo Ruhe, und sie fragte sich, was ihn zu diesem mitleidlosen Tempo veranlasste.

Auf der Ponte dei Sospiri blieben sie eine Weile stehen und sahen in das dunkle Wasser hinunter.

„Seltsam, daran zu denken, wie viele Touristen hier schon gestanden haben und von dieser Märchenstadt verzaubert worden sind“, meinte Sabrina versonnen.

„So, wie sie jetzt uns beide verzaubert?“, fragte Guy.

„Ja.“ Es rührte Sabrina tief, dass er sie so gut verstand. „Genau das meine ich.“

Sie begehrt mich, dachte er, genauso, wie ich sie begehre. „Werden Sie heute Abend mit mir essen, Sabrina?“

Sie nahm sich nicht die Zeit, über eine Antwort nachzudenken, und es war ihr egal, ob sie es ihm zu leicht machte. „Das wissen Sie doch, Guy.“

Er nickte und fühlte, wie die Erwartung seinen Puls beschleunigte. „Sagen Sie mir, wo Sie wohnen, dann hole ich Sie um acht Uhr ab.“

„Das ist nicht nötig.“

Ihr Widerstand steigerte sein fast schon qualvolles Verlangen. „Ich bestehe darauf.“

Sabrinas Stolz war nicht so leicht zu besiegen. Der „Palazzo Regina“ hatte ihr gezeigt, in welchen Verhältnissen Guy lebte. Wenn er ihre bescheidene „Pensione“ zu sehen bekam, wurde allzu deutlich, wie groß der Unterschied zwischen ihnen war. Sie hatten den Tag als gleichberechtigte Partner verbracht, und es lag ihr daran, dass es so blieb.

„Wir treffen uns auf der Piazza. Ich bin eine unabhängige Frau, Guy. Vergessen Sie das nicht.“

„Manchmal wünscht sich ein Mann keine unabhängige Frau“, platzte er heraus. Hatte er das wirklich gesagt? Er konnte es selbst kaum glauben. „Sind Sie immer so hartnäckig?“

Guys Ungeduld gab Sabrina ein köstliches Gefühl des Triumphs. Sie betrat einen Weg, auf dem es kein Zurück gab, aber das war ihr gerade recht. Sie war wieder frei, die verlassene Sabrina mit gebrochenem Herzen gab es nicht mehr. Jetzt und hier stand sie an der Schwelle zu einem neuen Leben, einem Leben voll Zauber und Magie.

„Nur, wenn es nötig ist“, antwortete sie lächelnd.

Guy schwieg lange, ehe er sich zu einer Antwort entschloss. „Ich bin es gewohnt, meinen Willen durchzusetzen.“

„Das merkt man Ihnen an.“

Sabrina blickte auf die sonnengebräunte Hand, die Guy ihr in der Erregung auf den Arm gelegt hatte, und erreichte damit, dass er sie wegzog. Was hatte ihn bloß zu der unüberlegten Geste veranlasst? Er galt als ein Mann, der sich unter allen Umständen in der Gewalt hatte.

„War ich sehr anmaßend?“, fragte er und dachte daran, wie weich sich ihre Haut anfühlte.

„Nur ein bisschen.“ Sie hatten die Brücke verlassen und ein Wassertaxi herangewinkt. Sabrina stieg ein, nannte dem Fahrer das Ziel und winkte Guy zum Abschied zu. „Also um acht Uhr … auf der Piazza.“

Sabrina kam zwanzig Minuten zu spät. Guy hatte noch nie auf eine Frau warten müssen und schwankte zwischen Unmut und Neugierde. Er sah zum hundertsten Mal auf die Uhr und begann sich zu fragen, ob er vielleicht versetzt worden sei.

Dann sah er Sabrina über die Piazza kommen – in einem engen silbergrauen Kleid mit einer silberdurchwirkten Stola um die zarten Schultern. In den extrem hohen Riemchensandaletten wirkten ihre Beine betörend lang.

Sabrina bemerkte Guy sofort, als hätte sie nur Augen für ihn gehabt. Er trug einen hellgrauen Anzug, der seine kräftige Figur deutlich betonte. Auf den ersten Blick wirkte er ruhig und gelassen, aber als Sabrina näher kam, spürte sie eine starke innere Anspannung, die ihn gefährlich und unberechenbar machte.

Mehr als einmal hatte sie mit dem Gedanken gespielt, die Verabredung abzusagen. Zu leicht konnte etwas daraus entstehen, das sie nicht gewollt hatte und dem sie vielleicht nicht gewachsen war. Doch sobald sie nach dem Hörer griff, um die Nummer von Guys Hotel zu wählen, wurde sie wieder unsicher.

Irgendetwas trieb sie vorwärts, über das sie sich keine Rechenschaft geben konnte. Vielleicht war es nur die Erinnerung an ihre erste Begegnung, an den tiefen Eindruck, den er vom Ufer aus auf sie gemacht hatte. Die Welt hatte dadurch neuen Glanz erhalten, und wenn sie ihn nie wieder sah, würde dieser Glanz erlöschen.

Guy lächelte, als sie auf ihn zukam, aber er ging ihr nicht entgegen. Er wollte sie beobachten, sich an den fließenden Bewegungen ihres Körpers erfreuen, die seine Fantasie anregten. Komm zu mir, dachte er immer wieder. Komm zu mir.

„Buona sera“, begrüßte Sabrina ihn etwas atemlos. Seine grauen Augen wirkten dunkler als sonst, tief und verheißungsvoll.

Buona sera, Sabrina.“ Kein Wort der Entschuldigung für ihr Zuspätkommen. Keine Ausflüchte, keine läppischen Erklärungen. Diese Unbefangenheit verstärkte Guys Verlangen nach ihr und rief seine verborgensten Instinkte wach. „Wo möchten Sie essen?“

Guy wirkte heute Abend anders, das entging Sabrina nicht. In seinem Verhalten lag eine versteckte Drohung, aber anstatt sich zu fürchten, empfand sie einen prickelnden Reiz. „Sie kennen Venedig besser als ich. Wählen Sie das Restaurant.“

„Einverstanden.“

Sie mussten nicht weit gehen, um das Lokal seiner Wahl zu erreichen. Es war klein und intim, ohne bedrückend zu wirken, und lag in unmittelbarer Nähe des „Palazzo Regina“. Guy fragte sich, ob Sabrina das bemerkt hatte, aber sie sagte nichts, und so blieb die Frage offen.

Erst als sie in der abgedunkelten Nische saßen, die Guy extra vorbestellt hatte, ließ seine Anspannung nach. Sabrina war bei ihm, schöner denn je. Sie hatte ihr Haar zurückgekämmt und mit einer großen Spange zusammengefasst. Weich und schimmernd fiel es ihr über den Rücken.

„Sie sehen bezaubernd aus“, sagte er fast andächtig.

„Oh, vielen Dank.“ Es fiel Sabrina nicht ein, Guys Kompliment für Schmeichelei zu halten. Wenn er sie ansah, fühlte sie sich schön.

„Ich dachte schon, Sie würden nicht kommen.“ Warum hatte er das gesagt? Seit seiner harten Kindheit bemühte er sich, nie eine Schwäche oder Empfindlichkeit zu verraten.

„Ich habe es mir auch ernsthaft überlegt.“ Warum gestand sie das so offen ein? Wenn Guy jetzt nach dem Grund für ihr Zögern fragte, musste sie zugeben, dass der ungewisse Ausgang des Abends ihr Angst gemacht hatte.

„Und was gab den Ausschlag?“

„Mein Appetit.“

Guy lachte noch, als der Ober die Speisekarten brachte. Sabrina nahm ihre mit unsicheren Händen auf und hoffte, dass Guy es nicht bemerkte.

Er bemerkte es und sah darin einen zusätzlichen Beweis für ihre starke Erregung. Ihre Sinnlichkeit war geweckt, das erkannte er an der zarten Tönung ihrer Wangen und dem fiebrigen Glanz der blauen Augen. Ihre Lippen wirkten voller und öffneten sich bereitwilliger, die Brustspitzen zeichneten sich überdeutlich unter dem dünnen Kleid ab.

„Soll ich für Sie bestellen?“, fragte Guy, als Sabrina wahllos in der Karte blätterte.

„Ja, bitte.“ Sie nahm das Angebot dankbar an, obwohl sie normalerweise gegen eine solche Bevormundung protestiert hätte.

Guy überflog die Angebote. Persönlich hätte er sich mit Austern und dunklen, saftigen Kirschen begnügt, aber so deutlich wollte er nicht zeigen, wie es um ihn stand. Zum Glück verbarg das schwere weiße Tischtuch den Beweis seines Verlangens. Er konnte sich nicht erinnern, jemals durch eine Frau so erregt worden zu sein, ohne sie berührt zu haben.

Er bestellte Fischsuppe, „Brodetto di pesce“, und als Hauptgang geschnetzelte Kalbsleber, „Fegato alla veneziana“. Die Wahl des Nachtisches ließ er offen. Er hatte in dieser Hinsicht seine besonderen Vorstellungen.

Auf Guys Wunsch brachte der Ober eine Flasche trockenen Weißwein, aber Sabrina war nicht nach Alkohol zumute.

„Ich brauche keinen Wein“, erklärte sie.

„Ich auch nicht.“ Guy lächelte und goss die Gläser nur halb voll.

Sabrina kostete etwas von dem herben Wein. Sie fühlte sich plötzlich befangen und wagte nicht, Guy anzusehen. Die Sprache seiner Augen war zu deutlich, und sie fürchtete, sich ebenso zu verraten.

„Wir waren jetzt fast den ganzen Tag zusammen“, meinte er nach längerem Schweigen, „und ich weiß nicht das Geringste über Sie. Ich bin es nicht gewohnt, dass Frauen mir gegenüber so zurückhaltend sind.“

Sabrina stellte ihr Glas hin. Jetzt kam es doch, das Austauschen persönlicher Informationen, um „sich besser kennenzulernen“. Sie wollte nicht über sich sprechen. Die Tragödie, die hinter ihr lag, hatte sie nachhaltig verändert, und jede Erwähnung war ihr unerträglich. Die Menschen verhielten sich anders, wenn sie mehr über einen wussten, und Guy sollte sich nicht anders verhalten.

„Was möchten Sie denn wissen?“, fragte sie betont locker.

Guy stutzte. Normalerweise sprachen Frauen gern über sich selbst, und wenn sie einmal angefangen hatten, konnten sie nicht mehr aufhören. „Dies soll keine Fragestunde werden“, beruhigte er Sabrina, aber sein Ton verriet, dass er sie necken wollte. „Verbergen Sie irgendein dunkles Geheimnis vor mir? Sind Sie im alltäglichen Leben etwa Bauchtänzerin?“

Die unmögliche Frage löste etwas von der Spannung, und Sabrina konnte wieder lächeln. „Viel schlimmer“, antwortete sie. „Ich arbeite in einer Buchhandlung.“

„In einer Buchhandlung?“, wiederholte er beinahe betroffen.

„Ganz recht.“ Sabrina zögerte nicht, ihm die Bauchtänzerin heimzuzahlen. „Wir verkaufen diese zweifelhaften Bücher, die erst aufgeschnitten werden müssen, bevor man sie …“

Guy winkte lächelnd ab. „Und warum arbeiten Sie in einer Buchhandlung?“

„Aus den üblichen Gründen. Ich liebe Bücher, ich bin romantisch, ich bevorzuge schlecht bezahlte Berufe … Wollen Sie noch mehr hören?“

„Die ganze Nacht lang“, sagte er leise, und gleich darauf brachte der Ober die Fischsuppe.

Guy sah geistesabwesend auf seinen Teller. Schade, dass er Sabrina nicht schon länger kannte. Schade, dass sie noch nicht seine Geliebte war. Dann hätte er sie aufgefordert, das Essen stehen zu lassen und ihm gleich in sein Hotel zu folgen.

„Und wo liegt diese Buchhandlung?“

„In Salisbury, direkt neben der Kathedrale. Kennen Sie die Stadt?“

„Nein, ich bin nie dort gewesen.“

Sabrina betrachtete die kleine Vertiefung auf Guys Oberlippe und ertappte sich bei dem Wunsch, sie mit der Zungenspitze zu berühren. „Und Sie? Wo wohnen Sie, und was ist Ihr Beruf? Es muss ein Beruf sein, mit dem man viel Geld verdient, wenn Ihre Firma Ihnen ein so teures Hotel bezahlt.“

Guy zögerte mit der Antwort. Menschen, die eine solche Meinung hatten, machten sich meist nicht klar, dass diese Berufe auch ihre Schattenseiten hatten. In einer Welt, in der Geld mehr zählte als alle traditionellen Werte, musste man seinen Reichtum verschweigen, wenn man nicht falsch eingeschätzt werden wollte. Nicht, dass er Sabrina zu dieser Kategorie zählte, aber sie sollte nicht ihre Unbefangenheit verlieren, die ihn so bezauberte.

„Ich bin nur ein gewöhnlicher Geschäftsmann“, antwortete er ausweichend.

„Und was tut ein gewöhnlicher Geschäftsmann?“

Guy lächelte und füllte Sabrinas Glas nach. „Von allem ein bisschen. Ich kaufe und verkaufe. Grundstücke, Kunstgemälde, Antiquitäten … manchmal Häuser und sogar Autos. Alles ziemlich langweilige Dinge.“ Sein Ton ließ erkennen, wie wenig ihn das Thema interessierte. „Wollen Sie nicht aufessen?“

„Ich bin fertig.“

Guy winkte dem Ober, und die Teller wurden weggenommen. Weder Sabrina noch Guy hatten viel Suppe gegessen.

Beim Hauptgang erging es ihnen nicht anders. Sie kämpften mit jedem Bissen, als wäre es ihre Henkersmahlzeit. Die Kalbsleber war meisterlich zubereitet, aber weder Sabrina noch Guy schmeckten etwas davon.

Sabrina wunderte sich, dass ihre frühere Befangenheit restlos verschwunden war. Obwohl die sinnliche Spannung zwischen ihr und Guy kaum noch zunehmen konnte, kam ihr alles natürlich und richtig vor. Sie brauchte diese Spannung, denn sie gab ihr das Gefühl, lebendig zu sein.

Nach wenigen Bissen legte sie das Besteck hin, und Guy folgte ihrem Beispiel. „Soll ich um die Rechnung bitten?“, fragte er.

Es fiel Sabrina schwer, normal zu antworten, denn sie wusste, was die Frage zu bedeuten hatte. „Möchten Sie keinen Nachtisch oder Kaffee?“

Guy spürte, dass er gewonnen hatte. „Wir könnten das Restaurant wechseln“, schlug er vor.

„Ja“, stimmte Sabrina zu und wunderte sich, dass sie weder ängstlich noch empört reagierte, wie die gesellschaftlichen Regeln es eigentlich verlangten. „Ich glaube, das könnten wir.“

Sie erlaubte ihm, ihr die Stola umzulegen, und ließ sich in die sternenklare Nacht hinausführen. „Sie frieren“, sagte er und strich ihr über die Wange. „Schon wieder.“

„Ja.“

„Hier, nehmen Sie das.“ Guy zog sein Jackett aus und legte es ihr um die Schultern. Es war so weit, dass sie fast darin verschwand.

„Jetzt werden Sie frieren.“

„Dann muss ich mich wärmen.“ Er nahm Sabrina in die Arme und küsste sie.

Wie von selbst gaben ihre Lippen unter der sanften Berührung nach. Ihr war, als hauchte Guy ihr seinen Atem ein, als schenkte er ihrem erstarrten Körper neue Wärme und pulsierendes Leben. Sie missachtete alle Vernunft und überhörte die Stimme ihres Gewissens. Wer hätte sich gegen so etwas wehren können?

„Oh Guy“, flüsterte sie, aber es klang wie eine Bitte. „Guy.“

„Ja“, stöhnte er in übermächtigem Verlangen. „Ja, Sabrina.“ Er zog sie näher, bis sie sich berührten und Sabrina seine Erregung spürte. Einen Moment verharrte er so, dann löste er sich von ihr und schöpfte tief Atem. „Wir vergessen, wo wir sind. Ich habe mich meiner Leidenschaft noch nie so öffentlich hingegeben.“

Sabrina spürte weder Furcht noch Scham. Sie hatte nur den überwältigenden Wunsch, bei Guy zu sein. „Ich auch nicht.“

Guy zwang sich, die Frage zu stellen, die jetzt die schwerste für ihn war. „Soll ich dich in dein Hotel bringen, oder möchtest du …“

„Was?“, fragte sie leise, als er nicht weitersprach.

„Oder möchtest du mit mir kommen? Wir haben noch keinen Nachtisch und keinen Kaffee gehabt. Was meinst du, Prinzessin?“

„Ja“, flüsterte sie. „Ich komme mit dir.“

3. KAPITEL

Guy nahm Sabrina an der Hand und führte sie durch die dunklen Straßen. Sie folgte ihm willenlos und wäre bis ans Ende der Welt gegangen, wenn er es von ihr verlangt hätte.

Erst als sie sich wieder in der Suite befanden, wo der gedämpfte Schein der Lampen wie mildes Mondlicht auf Sabrinas erhitztes Gesicht fiel, kam ihr eine Ahnung von dem, was sie heraufbeschworen hatte.

Nicht weiter, mahnte eine innere Stimme. Noch ist es Zeit, umzukehren. Doch je länger sie sich von Guys dunklen Augen gefangen nehmen ließ, desto leiser wurde die Stimme.

Durch Michael hatte sie gelernt, dass nichts im Leben sicher war. Sein Tod hatte ihr schlagartig klargemacht, wie verletzlich das Leben war. Sie konnte diesen Raum jetzt verlassen und dafür sorgen, dass sie Guy Masters niemals wiedersah. Das konnte sie, aber dann würde sie nie die Wonne seiner Küsse und den Zauber seiner Umarmung spüren.

Guy löste ihr die Spange und schob die Hände in ihr Haar. „Sieh, wie es glänzt“, flüsterte er dabei. „Wie flüssiges rotes Gold. Und deine Augen strahlen wie heller Aquamarin.“

Sabrina war noch nie durch Worte verführt worden und spürte zum ersten Mal ihre betörende Macht. „Oh Guy“, wisperte sie.

In seinen Augen glühte ein verzehrendes Feuer. „Ich möchte dich ausziehen“, bat er. „Ich möchte sehen, wie deine helle Haut im Mondlicht schimmert.“

Er tastete nach dem Reißverschluss ihres Kleides, und Sabrina fühlte, wie es langsam zu Boden glitt. Sie trug heute andere Unterwäsche, was Guy sofort bemerkte. „Du bringst mich um den Verstand, Prinzessin“, brachte er stöhnend hervor. „Hast du das für mich angezogen?“

„Ja“, gestand sie leise.

„Welch ein berückend schöner Anblick.“ Guy strich über den zarten, hauchdünnen Stoff, durch den er Sabrinas Haut zu spüren glaubte. „Etwas so Schönes habe ich noch nie gesehen.“

Seine leidenschaftlichen Worte ließen Sabrina erröten. Die seidene Unterwäsche gehörte zu ihrer Aussteuer. Sie hatte sie für die Hochzeitsreise gekauft, zu der es nie gekommen war.

Ihre Mutter hatte sie überredet, die Wäsche nach Venedig mitzunehmen. „Hübsche Unterwäsche gibt einer Frau Sicherheit“, hatte sie erklärt. „Außerdem ist es jammerschade, sie unbenutzt im Schrank liegen zu lassen.“

Um einen Streit zu vermeiden, hatte Sabrina nachgegeben und die Wäsche ganz unten in ihren Koffer gelegt. Sie war entschlossen gewesen, sie nicht zu tragen, aber heute hatte sie instinktiv danach gegriffen. Vielleicht hatte sie geahnt, welches Entzücken sie Guy damit bereiten würde.

Er führte sie in das angrenzende Schlafzimmer, wo ein Himmelbett mit seidenem Baldachin stand. Zwei Nachttischlampen verbreiteten sanftes Licht. „Leg dich schon hin“, sagte er. „Ich will mich erst ausziehen.“

Sabrina schlüpfte unter die kühle Bettdecke. Sie beobachtete, wie Guy sein Hemd aufknöpfte, und griff sich reflexartig an den Hals. Dabei berührte sie die dünne Goldkette, an der ein Ring befestigt war.

Ihr Verlobungsring!

Als Guy sich bückte, um seine Schuhe auszuziehen, glitt Sabrina tiefer unter die Decke und löste heimlich die Kette. Sie wollte sie neben das Bett legen, aber Guy richtete sich wieder auf und bemerkte, dass sie bis zum Kinn unter der Decke lag.

Vielleicht war sie doch altmodischer, als es den Anschein gehabt hatte, denn er schloss daraus, dass sie sich aus Schüchternheit vor ihm verbarg. „Du bist süß“, sagte er lächelnd. „Sehr, sehr süß.“

Sabrina sah ihm weiter wie gebannt zu. Sein kräftiger, männlicher Körper hätte ihr Angst machen können, aber sie spürte nur die erregende Kraft, die von ihm ausging.

Guys Hemd fiel auf den Teppich, und er ließ es achtlos liegen. Als er nach seinem Gürtel griff, um auch die Hose auszuziehen, nutzte Sabrina den Augenblick und ließ die Kette mit dem Ring fallen. Wie eine kleine goldene Schlange glitt sie zu Boden.

Guy behielt seinen schwarzen Slip an. Er kam zum Bett und sah unerwartet zärtlich auf Sabrina hinunter. „Du bist scheu“, stellte er fest.

„Ein bisschen“, antwortete sie wahrheitsgemäß.

„Das gefällt mir.“

„Wirklich?“

Er nickte. „Mir gefällt alles an dir. Dein goldglänzendes Haar, deine zarte Haut …“ Er hob die Bettdecke und legte sich neben Sabrina. „Komm“, sagte er und nahm sie in die Arme.

Ihre Körper fanden zueinander. „Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll“, meinte Guy scherzhaft und küsste Sabrinas Brustspitzen. „Wie heißt es doch? Wer die Wahl hat, hat die Qual.“

„Guy“, flüsterte sie und sah ihn mit großen Augen an.

„Soll ich dich zuerst küssen?“ Er schien nachzudenken. „Ja, vielleicht.“ Er hauchte ihr einen Kuss auf die Lippen. „Oder soll ich dich hier berühren?“ Seine Finger streiften ihre Brüste. „Das gefällt dir, nicht wahr?“

Ein leiser, sehnsüchtiger Laut gab ihm Antwort.

„Oder hier?“ Er ließ seine Hand zwischen ihre Schenkel gleiten und bewegte sie hin und her, bis Sabrina lustvoll stöhnte. „Das gefällt dir auch, nicht wahr?“

Sabrina war zu keiner Antwort mehr fähig. Guy sah ihr in die Augen. Beinahe hätte er seinem Verlangen nachgegeben, aber er bezwang sich und küsste ihre Nasenspitze.

„Wenn ich es mir recht überlege, haben wir doch noch die ganze Nacht.“

Guy erwachte am frühen Morgen und blinzelte zu den Fenstern hinüber. Die Jalousien waren nicht geschlossen, und er konnte sehen, wie die ersten Sonnenstrahlen den Tag erhellten.

Er versuchte, sich nicht zu bewegen. Neben ihm schlief Sabrina, ihre Arme lagen entspannt auf der zerdrückten Bettdecke. Er wollte sie nicht aufwecken. Nicht nur, weil sie erst vor wenigen Stunden ermattet eingeschlafen waren, sondern auch, weil er das Geschehene überdenken musste.

Sabrina und er hatten sich die ganze Nacht geliebt und dabei nichts versäumt, was ihnen die Lust eingegeben hatte. Als sollte die Welt untergehen. Als wäre ihnen nur diese eine Nacht geschenkt, um alle sinnlichen Freuden auszukosten, die ein Mann und eine Frau sich bereiten konnten.

Guys Herz begann, schneller zu schlagen, und seine Erregung kehrte zurück. Am liebsten hätte er Sabrina geweckt, aber dann würde alles von vorn anfangen, und mit dem Nachdenken war es vorbei.

Wenn er ehrlich war, begriff er sich selbst nicht mehr. So etwas hatte er noch nie getan. Er hatte die Nacht mit einer unbekannten Frau verbracht. Mit einer schönen, intelligenten und faszinierenden Frau, aber mit einer unbekannten.

Guy betrachtete den Himmel, der inzwischen die Farbe reifer Aprikosen angenommen hatte. Er war alt und erfahren genug, um zu wissen, dass er in der letzten Nacht etwas Einzigartiges erlebt hatte. Er war frei, völlig gelöst und enthemmt gewesen. Er hatte es genossen und sehnte sich danach, alles zu wiederholen, aber er machte sich auch schwere Vorwürfe.

„Hm.“ Sabrina streckte sich schläfrig unter der Decke.

Guy drehte sich zu ihr um. „Gleichfalls hm“, antwortete er und spürte, wie sich die Lust von Neuem in ihm regte.

Sabrina öffnete die Augen. Ein Blick in Guys Gesicht genügte, um verführerische Erinnerungen wachzurufen, aber im Licht des Tages mischte sich diese Erinnerung mit Zweifeln. Sie hatte sich Guy rückhaltlos hingegeben. Wie würde es jetzt weitergehen?

„Wie viel Uhr ist es?“, fragte sie unsicher.

„Noch sehr früh.“ Er beugte sich über sie. „Ist das alles, was du zu sagen hast?“

Seine wärmende Nähe vertrieb alle Zweifel. „Das kommt darauf an.“ Sabrina ließ die Hand über seine Brust gleiten und spielte mit den festen Brustwarzen, die in dunkles Haar eingebettet waren. Guy stöhnte auf und küsste sie. Er schob eine Hand unter die Decke und suchte Sabrinas empfindsamste Stelle, die er warm und bereit fand.

„Bist du morgens immer so willfährig?“, fragte er und legte sich auf sie.

Sabrina fühlte sein Drängen und gab augenblicklich nach. Er hatte ihr in der letzten Nacht ein neues Leben geschenkt und sie frei und glücklich gemacht. Alles, was sie getan hatten, war gut und richtig gewesen. Sabrina hatte nicht geahnt, dass die Liebe so frei und schön sein konnte und so viele wunderbare Möglichkeiten einschloss.

Guy drang kraftvoll in sie ein und begann, sich zu bewegen. Sabrina glaubte, vor Lust zu vergehen. Schon nach wenigen Stößen fühlte sie die Erleichterung kommen. Welle auf Welle flutete über sie hinweg und ließ sie glücklich und erschöpft zurück.

Guy ertrug es ebenfalls nicht länger. Die Erleichterung kam so schnell und intensiv, dass er glaubte, etwas Ähnliches noch nie erlebt zu haben. Doch auf die Erleichterung folgte eine seltsame Leere, als hätte Sabrina ihm etwas weggenommen, das er ihr nicht hatte geben wollen.

Langsam löste er sich von ihr. Sabrina beobachtete ihn, auf ihrem Gesicht lag ein verwunderter, fast träumerischer Ausdruck.

„Schlaf jetzt“, sagte er leise und küsste sie. „Schlaf, Prinzessin.“

Erst als ihre Atemzüge ruhig und gleichmäßig geworden waren, verließ er geräuschlos das Bett.

Als Sabrina zum zweiten Mal erwachte, war das Bett neben ihr leer. Sie blickte sich im Zimmer um und lauschte auf Geräusche aus dem Badezimmer, aber nichts war zu hören.

Sie richtete sich auf und reckte die Arme. Von Guys Kleidung war nichts zu sehen. Sie rieb sich die Augen und sah auf die Armbanduhr, die sie irgendwann abgenommen und auf den Nachttisch gelegt hatte. Zehn nach sieben … also noch sehr früh. Wo mochte Guy sein?

Sie stand auf und ging ins Badezimmer, wo sie alles vorfand, was sie brauchte, sogar eine in Cellophan verpackte Zahnbürste. Als sie wieder ins Schlafzimmer kam, klingelte nebenan das Telefon.

Sie ging hinüber und nahm lächelnd den Hörer ab. „Guy?“, fragte sie leise und zärtlich.

Doch es war nicht Guy, sondern eine Frau mit heiser, misstrauisch klingender Stimme.

„Wer ist dort bitte?“

Sabrina überlegte, ob sie ihren Namen nennen sollte, und entschied sich dagegen. „Eine Freundin von Guy“, antwortete sie stattdessen.

„Eine Freundin?“ Die Stimme wurde schärfer. „Und wo ist … Guy?“

„Er muss ausgegangen sein.“

„Wohin?“ Das klang ungeduldig, fast schroff.

Plötzlich reichte es Sabrina. Die Frau behandelte sie wie ein Zimmermädchen! „Wer ist denn am Apparat?“, fragte sie zuckersüß.

„Ich spreche im Auftrag von Prinz Raschid“, lautete die herablassende Antwort. „Seine Hoheit möchte wissen, ob es Mr. Masters gelungen ist, das Gemälde zu erwerben, das ihm so am Herzen lag.“

Sabrina ließ beinahe den Hörer fallen. „Ich habe keine Ahnung, wo Mr. Masters hingegangen ist“, sagte sie stockend. Was hatte das zu bedeuten? Guy machte Geschäfte mit orientalischen Prinzen? „Es tut mir leid.“

„Seine Hoheit bezahlt Mr. Masters eine extrem hohe Kommissionsgebühr und kann erwarten, dass er dafür jederzeit verfügbar ist“, fuhr die Stimme schneidend fort. „Es wird Seine Hoheit sehr interessieren, dass Mr. Masters diese Kommission aufs Spiel setzt, indem er in Venedig Liebesabenteuer sucht, anstatt den übernommenen Auftrag zu erfüllen.“

Sabrina atmete tief ein. Der Kunde war immer im Recht, das wusste sie aus eigener Erfahrung. „Können Sie sich nicht an jemand anders wenden, der über den Ankauf des Bildes Bescheid weiß?“, fragte sie.

Kurzes Schweigen folgte. „Seine Hoheit verhandelt nur mit dem Geschäftsinhaber und nicht mit irgendwelchen Angestellten“, erklärte die Frau dann und hängte ein.

Geschäftsinhaber? Sabrina legte den Hörer auf und ging zu dem kleinen Sekretär am Fenster, auf dem verschiedene Papiere lagen. Sie brauchte nicht lange, um zu finden, was sie suchte: einen Bogen mit dem Briefkopf „Guy Masters – Exklusiver Kunsthandel“. Als Adresse war eine Straße genannt, die zu den berühmtesten und teuersten von ganz London zählte.

Sabrina wurde erst schwindlig und dann übel. Guy hatte sie angelogen. Es war keine welterschütternde Lüge, aber doch eine Lüge. Was hatte er ihr sonst noch vorgemacht? All die Dinge, die er gesagt hatte, die Andeutungen …

Sie lief ins Schlafzimmer und suchte schnell ihre Kleidungsstücke zusammen. Was hatte er gesagt, als sie ungläubig vor der Hotelfassade stehen geblieben war? „Ich wohne glücklicherweise auf Geschäftskosten.“ Also auf eigene Geschäftskosten!

Das war alles Absicht gewesen. Guy hatte seinen Reichtum und seinen geschäftlichen Einfluss absichtlich heruntergespielt, aber warum? Fürchtete er, dass sie sich an ihn hängen würde, wenn sie erfuhr, dass er reich war? Hatte er sich deswegen heute Morgen aus dem Staub gemacht, obwohl er wissen musste, wie verletzt sie dadurch sein würde?

Sie hatte gerade ihre Unterwäsche angezogen, als das Telefon erneut klingelte. Ohne zu überlegen, nahm sie den Hörer ab. „Ja?“

„Signor Masters, bitte“, sagte ein Mann mit italienischem Akzent. Sabrina seufzte. Wie bekannt ihr das vorkam! „Er ist nicht da“, erwiderte sie.

„Könnten Sie ihm eine Nachricht hinterlassen?“

Sabrina zögerte, aber ihre Neugier siegte. „Gern.“

„Hier ist der Kundendienst vom Flughafen Venedig. Mr. Masters bat darum, dass wir die Buchung für seinen heutigen Nachmittagsflug nach London bestätigen. Das Wassertaxi ist für halb drei bestellt.“

Ein Flug nach London? Heute Nachmittag? Sabrina kämpfte um ihre Fassung. „Ich werde es ihm sagen“, erklärte sie wie betäubt und legte den Hörer auf.

Dieser Schuft! Dieser gemeine, hinterhältige Betrüger! Wie viele Lügen würde sie noch entdecken? Guy hatte behauptet, er würde noch zwei Tage in Venedig bleiben. Wahrscheinlich war es von Anfang an seine Absicht gewesen, sie ins Bett zu bekommen und dann abzureisen. Nun, da hatte sie ihm mit ihrer Bereitwilligkeit viel Zeit erspart!

Sabrina spürte ein würgendes Gefühl im Magen, als ihr klar wurde, was geschehen war. Sie hatte mit einem Betrüger geschlafen. Es war eine wunderbare, wahrscheinlich einmalige Nacht gewesen, aber Guy hatte es nicht fertig gebracht, ihr danach wieder zu begegnen. So viel bedeutete sie ihm also – oder vielmehr so wenig. Wahrscheinlich musste sie ihm noch dankbar sein, dass er sie nicht einfach vor die Tür gesetzt hatte.

Sabrina streifte das silbergraue Kleid über und schlüpfte in ihre Schuhe. Ein rascher Blick durch das kostbar eingerichtete Zimmer bewies ihr, wie wenig sie hierherpasste. Dies war nicht ihre Welt, und Guy Masters war nicht der richtige Mann für sie. Verschwinde von hier, Sabrina, solange du noch etwas Stolz besitzt!

Nachdem sie sich flüchtig das Haar gekämmt hatte, verließ sie die Suite und fuhr mit dem Lift nach unten. Von einer Marmorsäule aus konnte sie die Halle gut überblicken und entdeckte zu ihrem Entsetzen Guy. Er saß lässig auf einem der zierlichen Rokokosofas und telefonierte mit seinem Handy.

Der typische Geschäftsmann, dachte Sabrina – Meilen entfernt, Welten entfernt, durch Welten getrennt. Er hatte sich rasiert, einen dezenten grauen Anzug angezogen und sein Haar, das sie während der Nacht so rastlos zerwühlt hatte, sorgfältig gekämmt. Nein, er sah nicht wie ein Mann aus, der eine heiße, stürmische Liebesnacht hinter sich hatte.

Sabrina wartete, bis er sich umdrehte und bei einem Pagen Kaffee bestellte. Mit einem letzten Blick auf sein klassisch schönes Profil, das sie nie vergessen würde, stahl sie sich aus dem Hotel.

Guy öffnete die Tür zu seiner Suite und fragte sich, ob Sabrina noch im Bett lag. Er würde sich nicht wieder zu ihr legen, denn nach der letzten Nacht galt es, vernünftig zu sein.

Die Tür zum Schlafzimmer stand offen, und er trat leise neben das Bett. Es war leer.

„Sabrina?“, rief er mit gedämpfter Stimme. „Bist du im Badezimmer?“

Keine Antwort. Sie war nicht mehr da.

Er schlug die Bettdecke zurück, als könnte sie sich darunter verbergen, aber er suchte vergeblich. Sie war fort, endgültig fort. Außer der Erinnerung war ihm nichts geblieben.

Ein bitteres Lächeln trat auf sein Gesicht, während er langsam umherging. Kleid, Wäsche, Strümpfe, Schuhe … alles war verschwunden, als hätte er Sabrinas Anwesenheit nur geträumt.

Mit letzter Hoffnung suchte er nach einem Abschiedsgruß, obwohl die Vernunft ihm sagte, dass sie keinen geschrieben hatte. Zuerst bemerkte er die schmale Goldkette nicht, die neben dem Bett auf dem Teppich lag, aber dann erkannte er, dass Sabrina doch etwas zurückgelassen hatte.

Er bückte sich und hob die Kette auf. Nachdenklich betrachtete er den Ring, der daran befestigt war, und plötzlich wurde ihm alles klar. Er verbarg die Kette tief in seiner Hosentasche und verließ schnell das Zimmer.

4. KAPITEL

Die altmodische Glocke gab einen scheppernden Laut von sich, als Sabrina die Buchhandlung betrat. Da es wieder einmal regnete, war kein Kunde da, nur ein freundlich aussehender Mann mit Brille, der lächelte, als er sie erkannte.

„Sabrina! Willkommen zu Hause.“

Sabrina versuchte, sich ein Lächeln abzuringen, aber es gelang ihr nur halb. „Danke, Paul.“ Sie zog ihren Regenmantel aus und schüttelte die Tropfen ab. „Es ist schön, wieder zu Hause zu sein.“

„Wie war Venedig?“

Sabrina wandte sich schnell ab und hängte den Mantel auf den Garderobenständer. Paul Bailey durfte nicht merken, dass sie sich schon bei dem Wort Venedig insgeheim verkrampfte und ein starres, maskenhaftes Gesicht bekam. Wie war es möglich, sich so schmerzlich nach einem Mann zu sehnen, den sie kaum kannte? Nach einem Mann, der ihr seinen Körper, aber nicht sein Vertrauen geschenkt hatte?

Als sie sich wieder umdrehte, lag ein träumerischer, etwas wehmütiger Ausdruck auf ihrem Gesicht.

„Venedig? Oh, es …“ Sie verstummte, denn zwei spöttisch blickende graue Augen und ein harter, muskulöser Körper tauchten vor ihrem geistigen Auge auf. „Es war schön.“

„Nur schön?“, wiederholte Paul mit gerunzelter Stirn. „Venedig war immer dein Traumziel, und du nennst es schön? Was ist passiert, Sabrina? Hast du deine anschauliche Sprache verloren?“

„Reisen ist anstrengend, Paul“, verteidigte sie sich. „Ich war noch bei meiner Tante in Schottland und bin einfach etwas erschöpft.“ Sie setzte sich an ihren Schreibtisch und fing an, die Morgenpost durchzusehen.

„Ja“, stimmte Paul zögernd zu. „Du siehst tatsächlich blass aus. Wie wäre es mit Kaffee?“

„Eine gute Idee. Ich werde einen aufbrühen.“

Paul schüttelte den Kopf. „Überlass das mir. Du siehst nicht nur blass, sondern mitgenommen aus. Ich bringe dir etwas, das dir wieder auf die Beine hilft.“

„Danke, Paul.“

Sabrina warf ein leeres Kuvert in den Papierkorb und blickte sich um. Kaum zu glauben, dass sie überhaupt weg gewesen war. Alles sah aus, wie sie es verlassen hatte. Nichts hatte sich verändert.

Nur sie. Sabrina öffnete gedankenverloren den nächsten Umschlag. Die wenigen Tage in Venedig hatten genügt, ihr über sich selbst die Augen zu öffnen, und was dabei herausgekommen war, gefiel ihr gar nicht.

Es ließ sich nicht leugnen, sie gehörte zu den Frauen, die sich mit einem fast unbekannten Mann in eine leidenschaftliche Affäre einlassen konnten, um sich anschließend hoffnungslos nach ihm zu verzehren. Nein, das konnte ihr wirklich nicht gefallen.

Paul kam mit einem Tablett zurück, auf dem zwei Becher mit dampfendem Kaffee und ein Teller mit Schokoladenkeksen standen.

Sabrina schüttelte den Kopf. „Iss du die Kekse, Paul. Ich bin nicht hungrig.“

Paul machte ein besorgtes Gesicht. „Hattest du nicht vor, in Italien mindestens zwei Kilo zuzunehmen? Stattdessen kommst du noch dünner und abgehärmter zurück. Du kannst nicht bis an dein Lebensende um Michael trauern, Sabrina. Das hätte er nicht gewollt.“

Sabrina griff schnell nach ihrem Kaffeebecher. Paul konnte nicht ahnen, wie wenig sie in Venedig um Michael getrauert hatte! „Wie ging das Geschäft?“, fragte sie, um ihn abzulenken.

Paul zuckte die Schultern. „So lala. Im März ist wenig los, aber bald kommt Ostern. Dabei fällt mir ein … Gestern rief ein Mann an und fragte nach einer seltenen Erstausgabe.“

Sabrina nippte an ihrem Kaffee. „Ach ja?“

„Du musst ihn schon einmal bedient haben, denn er fragte nach dir. Ich sagte ihm, dass du ab heute wieder da sein würdest.“

Sabrina nickte und wandte sich wieder ihrer Arbeit zu. Die tägliche Routine würde ihr helfen, Venedig zu vergessen und die ganze Affäre als Erfahrung abzutun. Viele Menschen erlebten Ferienromanzen, die unglücklich endeten. Das Leben ging trotzdem weiter.

Sie schrieb gerade einige überfällige Bestellungen aus, als die Türglocke sie aufhorchen ließ.

„Ja, bitte?“, fragte sie nach wie vor geistesabwesend, beendete schwungvoll ihre Unterschrift und sah auf.

Nein, das konnte nicht sein. Sie schloss die Augen und öffnete sie wieder. Sie hatte sich nicht geirrt. Es war Guy Masters, aber ihre erste Freude verwandelte sich schnell in Abwehr.

„Hallo, Guy“, begrüßte sie ihn so gefasst wie möglich. Nur gut, dass Paul gerade im Lagerraum zu tun hatte. „Das nenne ich eine Überraschung.“

„Tatsächlich?“ Guy kam langsam näher und blieb vor dem Schreibtisch stehen. „Dann kennst du mich noch?“ Er lächelte scheinheilig. „Da bin ich aber froh.“

Sabrina errötete bei diesen unmissverständlichen Worten. „Natürlich kenne ich dich noch. Ich … Wir …“

„Haben eine leidenschaftliche Liebesnacht erlebt, bevor du am nächsten Morgen verschwunden bist“, ergänzte er spöttisch.

„Du bist verschwunden“, widersprach sie hitzig. „Und sprich gefälligst leiser!“

„Sonst?“

„Sonst lasse ich dich hinauswerfen.“

Die Tür zum Lagerraum stand offen, und Guy hatte Paul längst bemerkt. „Ach wirklich?“, fragte er mit hochgezogenen Brauen.

Sabrina wusste, worauf Guy anspielte. Paul war etwa im gleichen Alter und kein Schwächling, aber bei einem Kampf musste er unweigerlich verlieren. Natürlich wollte sie das nicht zugeben. Guy hatte kein Recht, einfach hier hereinzuplatzen und sie zu bedrohen.

„Ja, wirklich.“

Guy sah sie durchdringend an. „Bist du wenigstens bereit, mit mir zu sprechen?“

„Ich habe zu tun. Das dürfte dir nicht entgangen sein.“

„Wann machst du Mittagspause?“

„Gar nicht.“

„Ah!“ Guy nickte. „Ist das Geschäftsvorschrift?“

„Nein, ich faste freiwillig.“

„Dann solltest du diese Gewohnheit ändern“, erklärte er mit einer Überlegenheit, die Sabrina bis aufs Blut reizte. „Und zwar schnell.“

Sabrina dachte krampfhaft nach. Was konnte schlimmstenfalls passieren, wenn sie sich bereit erklärte, Guy zum Essen zu treffen? Sie hatte ihr ganzes Leben in dieser Stadt verbracht und fühlte sich hier zu Hause. Die Frau, der er in Venedig begegnet war, gab es nicht mehr. Es sei denn, er legte es darauf an – und das war leicht vorstellbar –, sie wieder zu dem willenlosen Geschöpf zu machen, das sie in seinen Armen gewesen war.

„Wenn ich mittags etwas esse, dann hier“, erklärte sie feindselig.

„Gut, dann warte ich.“ Guy schien nachzudenken und fuhr lauter fort: „Wenn du mir inzwischen das Regal mit den erotischen Büchern zeigen würdest …“

„Wage es nicht …“

„Kann ich helfen, Sabrina?“ Paul kam aus dem Lagerraum und sah unschlüssig auf den großen, breitschultrigen Mann, der sich vor dem Schreibtisch seiner Mitarbeiterin aufgebaut hatte.

Sabrina warf Guy einen beschwörenden Blick zu, aber er verzog keine Miene. Es war sinnlos, sich etwas vorzumachen. Er würde erst gehen, wenn er seinen Willen durchgesetzt hatte.

„Guy Masters“, stellte sie trocken vor. „Ein Freund von mir. Er ist zufällig in der Stadt und …“

„Wollte Sabrina zum Essen einladen.“ Guy lächelte Paul liebenswürdig an. „Leider …“

„Wir essen normalerweise nur ein Sandwich“, unterbrach Paul ihn schnell, „aber natürlich darf Sabrina Sie begleiten. Die Abwechslung wird ihr guttun.“

Sabrina schüttelte unwillig den Kopf. Erst Guy und jetzt Paul! Was fiel den beiden ein, ihren geregelten Tagesablauf so durcheinanderzubringen? „Vielen Dank, Paul, aber ich habe zugesagt, Guy nach … Geschäftsschluss zu treffen.“ Es fiel ihr ungeheuer schwer, dieses Zugeständnis zu machen.

„Ganz recht.“ Guy warf ihr einen warnenden Blick zu und ging zur Tür. „Ich habe Sabrina zum Essen eingeladen.“

Wenn er das dachte, hatte er sich geirrt. „Nur zu einem Drink, Guy. Meine Mutter erwartet mich zum Abendessen.“

„Deine Mutter?“ Guy stutzte. Wohnte Sabrina etwa noch zu Hause?

Sie fühlte seine Enttäuschung und kostete den Augenblick des Triumphs voll aus. Was hatte er erwartet? Eine Wiederholung der „Nacht in Venedig“?

„Ja“, erklärte sie mit dem unschuldigsten Gesicht von der Welt. „Ich wohne bei meiner Mutter.“

„Wann hörst du hier auf?“

„Um halb sechs.“

„Ich werde auf dich warten.“

Guy nickte Paul zu und verließ den Buchladen. Äußerlich bewahrte er Haltung, aber innerlich tobte es in ihm. Er hätte Sabrina vergessen sollen, das hatte er sich während des Rückflugs von Venedig immer wieder gesagt. Sie brachte Unruhe in sein Leben, und das passte ihm nicht. Warum machte er nicht einfach Schluss und kehrte ihr den Rücken?

Weil du dir Gedanken machst, antwortete ihm eine innere Stimme, und weil du auf einige Fragen ehrliche Antworten erwartest.

Trotzdem, er hätte ihr die Kette mit dem Ring einfach zuschicken sollen, mit einer kurzen, spöttischen Botschaft. „Danke für die nette Erinnerung.“

Mehr nicht. Damit wäre er die ganze Sache los gewesen.

Guy schlenderte ziellos durch Salisbury. Wenn der Regen zu heftig wurde, stellte er sich unter, aber er war doch ziemlich durchnässt, als er fünf Minuten vor halb sechs wieder vor „Wells’ Bookstore“ stand.

Sabrina sah ihn vor dem Schaufenster auf und ab gehen. In seinem tiefschwarzen Haar glitzerten die Regentropfen wie Perlen, sein Gesicht war nass, der Mantel durchweicht. Nein, es konnte nicht schwer sein, sich in ihn zu verlieben. Alle Frauen mussten sich in ihn verlieben, und dieses Schicksal wollte sie nicht teilen. Geh weg, Guy Masters, flehte sie stumm. Geh weg, und lass mir meine Ruhe.

Paul war ihrem Blick gefolgt. „Dein Freund ist da“, sagte er. „Du solltest dich fertig machen.“

Sabrina sah ihn unglücklich an. „Ich weiß, was du denkst.“

Paul zuckte die Schultern. „Ich habe heute Morgen zwar gesagt, dass du nicht ewig um Michael trauern darfst, aber ist das nicht ein bisschen plötzlich?“

Sabrina versuchte umsonst, ihr Gewissen zu beruhigen. „Er ist nur ein Freund, Paul.“

„Wie auch immer …“ Paul lächelte verlegen. „Es geht mich nichts an, Sabrina. Versprich mir nur, vorsichtig zu sein.“

„Das tue ich.“ Sabrina nahm ihren Mantel vom Ständer und zog ihn an. „Bis morgen, Paul.“

Sie öffnete die Tür und trat auf die Straße hinaus. Guy lächelte nicht zur Begrüßung. Sein Blick war kalt, die Lippen hatte er zusammengepresst. Ein kurzer Abend, dachte sie. Danach wirst du ihn nie wieder sehen. Er hat dich belogen. Denk

daran.

„Wo möchtest du hingehen?“, fragte sie.

„Du bist hier zu Hause“, antwortete er schroff. „Woher soll ich das wissen?“

„Ich habe gemeint, ob du lieber Kaffee oder einen Drink möchtest.“

Guy fiel ein, dass Sabrina in Venedig kaum Wein getrunken hatte, aber er brauchte heute etwas Kräftiges. „Einen Drink“, erklärte er.

Ich kann auch einen gebrauchen, dachte Sabrina, während sie Guy über einen kopfsteingepflasterten Hof zu einem von Salisburys ältesten Pubs führte. Es gab zwei Kamine in der Schankstube, und in beiden loderte ein Holzfeuer.

Sabrina empfand die Luft als erstickend warm. „Such einen Tisch aus“, forderte Guy sie auf. „Ich besorge die Getränke. Was möchtest du trinken?“

Trotz der Wärme fühlte sich Sabrina innerlich wie erstarrt. „Brandy, bitte.“

Sie wählte einen Einzeltisch, denn das Gespräch, das sie und Guy führen würden, war kaum für fremde Ohren bestimmt. Sie zog ihren Mantel aus und setzte sich hin – sehr aufrecht und mit zusammengedrückten Knien, als käme sie gerade vom Anstandsunterricht.

Guy brachte zwei doppelte Brandys und setzte sich ihr gegenüber. Als sich ihre Beine zufällig berührten, fuhr Sabrina zurück.

„So schüchtern, Sabrina? Magst du es nicht, wenn ich dich berühre?“ Er hob sein Glas zu einem spöttischen Toast. „Heißt das nicht, die Käfigtür schließen, nachdem der Vogel ausgeflogen ist? In meinem Bett warst du nicht so empfindlich.“

Sabrina trank einen kräftigen Schluck Brandy. Er brannte angenehm in der Kehle und trieb ihr das Blut in die Wangen. „Bist du mit mir hierhergekommen, um mich zu beleidigen?“, fragte sie scharf. „Ist das deine Absicht, Guy?“

Er schüttelte den Kopf, trank ebenfalls einen Schluck und betrachtete sie ausdruckslos über den Rand seines Glases hinweg. „Nein.“

Sabrina stellte ihr Glas hin. Sie hatte den Tag über nichts gegessen, und der starke Alkohol setzte ihr zu. „Was dann?“

Guy griff in seine Hosentasche und zog etwas heraus. „Erkennst du das?“, fragte er und legte die Goldkette mit dem Ring mitten auf den Tisch.

Sabrina senkte schuldbewusst den Kopf. „Kränke mich nicht noch mehr, indem du solche Fragen stellst“, bat sie heiser. „Natürlich erkenne ich die Kette. Sie gehört mir, das weißt du genau. Ich habe sie in deinem Schlafzimmer liegen lassen.“

„Warum hast du sie vor mir versteckt?“

Sabrina wollte leugnen, aber die Worte erstarben ihr auf den Lippen. Sie konnte Guy nichts vormachen, dazu war er viel zu intelligent. Sie saß in der Falle und reagierte so, wie alle Menschen reagierten, die in die Enge getrieben wurden. Sie ging zum Angriff über.

„Du hast mich ebenfalls belogen.“

Guy sah sie überrascht an. „Womit?“

„Du hast mir weisgemacht, du seist Firmenangestellter. Dabei bist du selbstständig.“

Er nickte, ohne von dem Vorwurf sonderlich beeindruckt zu sein. „Ich habe von deinem Gespräch mit Prinz Raschids Vertreterin gehört.“

„Sie behandelte mich von oben herab. Es war beleidigend!“ Guy verzog leicht die Lippen. „Das kann ich mir vorstellen.“

„Sie war eifersüchtig“, fuhr Sabrina fort, denn ihr wurde plötzlich klar, warum sich die Frau so unhöflich verhalten hatte. „Eifersüchtig darauf, dass ich in deinem Schlafzimmer war.“

Guy ließ Sabrina nicht aus den Augen. „Stimmt genau.“

„Dann hast du auch mit ihr geschlafen?“

„Das geht dich nichts an“, antwortete er schroff, besann sich aber anders, als er Sabrinas entsetzten Blick bemerkte. „Natürlich habe ich es nicht getan. Sie ist eine Geschäftspartnerin, der ich vielleicht fünf- oder sechsmal begegnet bin.“

„Mir bist du nur einmal begegnet.“

„Das ist etwas völlig anderes.“

„Warum hast du mir dann verschwiegen, dass du ein bekannter und reicher Kunsthändler bist?“

Guy schwieg eine Weile, ehe er die Frage beantwortete. „Ich wollte sicher sein, dass du an mir und nicht an meinem Geld interessiert warst.“

„Als ob ich nach Venedig gefahren wäre, um mir einen reichen Mann zu angeln!“, fuhr Sabrina auf. „Auch über den Zeitpunkt deiner Abreise hast du mich belogen.“

Guy zog spöttisch die Brauen hoch. „Ach ja?“

„Das weißt du doch genau! Du sagtest, du würdest noch einige Tage bleiben, und dann wurde dein Rückflug für denselben Nachmittag bestätigt.“

Guy begann, ungeduldig zu werden. „Also wirklich, Sabrina. Man kann Flüge umbuchen, das müsstest auch du wissen.“

„Und wenn man es nicht kann?“

„Dann kauft man ein neues Ticket. Eine zu rechtfertigende Ausgabe, wenn man die Umstände bedenkt.“

Mehr als an den Worten erkannte Sabrina an Guys sarkastischem Ton, welche Meinung er inzwischen von ihr hatte. „Und welche Umstände meinst du?“, fragte sie betroffen. „Sex mit einer fremden Frau?“

Guy musste gegen seinen Willen lächeln. Sabrinas Kampfgeist imponierte ihm und war ihm bedeutend lieber als der trostlose Ausdruck, der eben noch auf ihrem Gesicht gelegen hatte.

„Du warst selbst dabei, Sabrina, und musst wissen, ob man es so nennen kann.“

„Ja, es war Sex“, gab sie bitter zu. Guy verachtete sie so sehr, dass er sich nicht mal die Mühe machte, ein schonenderes Wort dafür zu finden.

„Du hast mir immer noch nicht gesagt, warum du die Kette mit dem Ring vor mir versteckt hast“, erinnerte er sie.

Sabrina trank ihren Brandy aus und blickte starr in das leere Glas. „Kann ich noch einen Drink bekommen?“, fragte sie unsicher.

„Nein, das kannst du nicht!“ Guy betrachtete ihren gesenkten Kopf. „Noch einmal, Sabrina. Warum hast du den Ring vor mir versteckt?“

„Das weiß ich nicht.“

„Oh, du weißt es ganz genau.“ Guy atmete tief ein. „Ist es dein Verlobungsring?“

„Ja“, gab sie nach kurzem Zögern zu. „Wahrscheinlich hast du das vermutet.“

Guy verspürte plötzlich Eifersucht und dazu einen Zorn, der ihm selbst unerklärlich war. „Ja“, sagte er mühsam beherrscht.

Etwas in seiner Stimme machte Sabrina stutzig, aber sie wollte nicht fragen, was in ihm vorging. Nur ihr Blick blieb weiter auf ihn gerichtet.

„Jetzt verstehe ich“, fuhr er fort und schob die Kette mit einer heftigen Bewegung über den Tisch. „Du musst dich um Kopf und Kragen geredet haben, um den Verlust zu erklären.“

Sabrina verstand ihn immer weniger. „Um Kopf und Kragen?“, wiederholte sie verwirrt.

Guy lehnte sich zurück, als könnte er ihre Nähe nicht mehr ertragen. „Allerdings. Ich weiß, wie unabhängig du bist, das hast du, weiß Gott, bewiesen. Aber was hat dein Verlobter zu deinem kleinen Seitensprung gesagt? Ich wette, er war nicht sehr begeistert. Oder war es ihm vielleicht egal? Manche Partner nehmen es nicht so genau.“ Guy senkte die Stimme zu einem vertraulichen, fast anzüglichen Flüstern. „Sie tauschen gegenseitig ihre Erlebnisse aus, das steigert ihre Erregung.“

Alles Blut wich aus Sabrinas Gesicht. Sie ahnte, was Guy meinte, und hätte den Pub auf der Stelle verlassen, wenn ihre Beine nicht so schwer gewesen wären.

„Wie kannst du es wagen!“, stieß sie mit heiserer Stimme hervor.

„Fragst du das im Ernst?“ Guy fuhr sich durchs feuchte Haar und beugte sich unvermittelt vor. „Dann will ich dir die verdiente Antwort geben. Wenn man so mit einer Frau zusammen war wie ich mit dir, ist es ziemlich enttäuschend, später herauszufinden, dass zu Hause ein braver Verlobter wartet.“

„Guy, bitte …“

„Vielleicht langweilt er dich inzwischen? Oder wolltest du jemanden haben, der ein bisschen besser … drauf ist?“

Guy drückte sich absichtlich zweideutig aus, und ein kurzer Blick zwischen seine Beine ließ keinen Zweifel daran, was er meinte. „War es so?“, fragte er unbarmherzig. „Warst du auf jemanden aus, der mehr bieten konnte als dein kleiner Freund aus der Nachbarschaft?“

Sabrina schüttelte nur den Kopf. Sie fühlte sich zu beschmutzt, um sprechen zu können, aber Guy schien gar keine Antwort zu erwarten.

„Was hast du ihm denn erzählt?“, fuhr er unerbittlich fort. „Hast du ihm alles, was ich mit dir gemacht habe, ausführlich geschildert? Oder das, was du mit mir gemacht hast? Heraus damit, Sabrina. Was hast du ihm erzählt?“

Die Brutalität, mit der Guy seine Fragen stellte, gab Sabrina ihre Kraft zurück. Es gab nur eine Antwort – sie musste ihn so verletzen, wie er sie verletzt hatte.

„Gar nichts!“, stieß sie verzweifelt hervor. „Ich habe ihm gar nichts erzählt! Ich konnte es nicht, denn er ist tot. Hörst du, Guy? Tot, tot, tot!“

Funken schienen plötzlich vor ihren Augen zu tanzen, wuchsen zu bunten, schillernden Lichtgarben, und dann wurde es schwarz um sie.

5. KAPITEL

Guy erkannte die untrüglichen Zeichen der nahenden Ohnmacht und fing Sabrina auf, ehe sie von ihrem Stuhl glitt und zu Boden sank. Während er sie in seinem linken Arm hielt, öffnete er mit der rechten Hand ihre Bluse und massierte ihr den Nacken, bis sie langsam wieder zu sich kam.

„Guy …“

„Sag jetzt nichts“, unterbrach er sie und überdachte krampfhaft, was er gerade gehört hatte. Ein toter Verlobter! Warum, um alles in der Welt, hatte sie ihm das nicht früher erzählt?

Sabrina war immer noch schwindlig. Sie öffnete vorsichtig die Augen und nahm wie durch einen Nebel wahr, dass sie den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit bildete. Der Gedanke war ihr unerträglich. Sie musste weg von hier, und zwar schnell. Doch es war angenehm, von Guy massiert zu werden. Sehr angenehm. Sie versuchte, seine Hand abzuschütteln, aber er nahm sie nur fester in den Arm.

„Keine Angst“, sagte er dabei leise. „Ich tue dir nicht weh.“

Wie hätte er ihr noch mehr wehtun können? Was hätte er sagen können, um sie tiefer zu verletzen? Sabrina fühlte, wie ihr Tränen über die Wangen liefen. Heißes Schluchzen drang aus ihrer Kehle, und wie aus weiter Ferne hörte sie Guy mit jemandem sprechen. Er beugte ihren Kopf weiter zurück, dann wurden ihre Schläfen mit einem feuchten Tuch gekühlt.

Als sie zum zweiten Mal die Augen öffnete, sah sie direkt in Guys besorgtes Gesicht. „Es geht mir gut“, versuchte sie, ihn zu beruhigen.

„Nein, es geht dir nicht gut“, widersprach er und beugte sich tiefer zu ihr hinunter. „Soll ich dich nach Hause bringen?“

In diesem Zustand? Ihre Mutter würde außer sich sein, und das wollte Sabrina ihr nach allem, was sie während der letzten Monate durchgemacht hatte, nicht zumuten.

„Können wir noch etwas hierbleiben?“, fragte sie schwach.

Guy ließ den Blick rasch über die anderen Gäste schweifen, die sie mehr oder weniger offen beobachteten. „Etwas mehr Diskretion wäre wünschenswert“, meinte er. „Oben gibt es einige Zimmer. Wir könnten eins davon benutzen … zumindest, bis es dir besser geht.“

Sabrina sah ihn fassungslos an. Glaubte er etwa, dass sie jetzt, in dieser Situation …?

„Ah, ich verstehe.“ Guy lachte resigniert. „Schätzt du mich so ein, Sabrina? Hältst du mich für so sexbesessen, dass ich mir jede nächstbeste Frau zu Willen mache, auch wenn sie nur halb bei Bewusstsein ist?“

„Das habe ich nicht gesagt.“

„Weil es nicht nötig war. Dein Gesicht sprach deutlich genug. Aber keine Sorge, Prinzessin. Das ist nicht mein Stil.“

Sabrina richtete sich auf. „Ich möchte nicht länger hierbleiben.“

„Dann komm mit nach oben.“ Guy legte den Arm um sie und half ihr auf die Füße.

Die Versuchung, sich in Guys Armen auszuruhen, war groß, aber Sabrina schob ihn von sich. „Ich schaffe es schon.“

Es war Guy anzusehen, dass er ihr nicht glaubte, aber er schwieg und hielt sich nur dicht hinter ihr, um sie notfalls stützen zu können.

Sabrina zog sich mühsam am Treppengeländer hoch und war froh, als sie oben waren und Guy die Tür zu einem der Zimmer öffnete. Mit einem Seufzer der Erleichterung ließ sie sich auf das Bett sinken, auf dem eine blumengemusterte Chintzdecke lag.

Guy stand vor Sabrina und sah auf sie hinunter. Sein Gesicht war ausdruckslos, als müsste er erst mit sich ins Reine kommen. „Warum bist du ohnmächtig geworden?“, fragte er endlich.

„Ja, warum wohl?“ Sabrina schüttelte unwillig den Kopf. „Hast du nicht Dinge zu mir gesagt, die jeder Frau so zusetzen würden?“

„Harte Worte genügen im Allgemeinen nicht, um bei einer jungen, gesunden Frau eine Ohnmacht herbeizuführen“, widersprach Guy. „Bist du etwa schwanger?“

Sein Ton verriet deutlich, was er von dieser Möglichkeit hielt. Sabrina hätte ihm am liebsten nicht geantwortet, aber nach ihrer gemeinsamen Nacht hatte er ein Recht darauf.

„Nein, ich bin nicht schwanger“, erklärte sie. „Und ehe du fragst … Ich hatte es auch nicht darauf abgesehen. Außerdem haben wir Verhütungsmittel benutzt, wenn ich dich daran erinnern darf.“

Guy ließ sich nur ungern daran erinnern, aber er hatte selbst mit dem Thema angefangen. Sabrinas Worte riefen ihm fast zu deutlich ins Gedächtnis, wie viel erotischer Reiz in der Art und Weise gelegen hatte, mit der sie ihm die lästigen Kondome übergestreift hatte.

„Verhütungsmittel können versagen“, antwortete er schroff. „Das weiß jeder.“

Sabrina sah ihn an. Mit der zunehmenden Empörung kehrten auch ihre Lebensgeister zurück. „Daran hättest du rechtzeitig denken können!“

„Ja, vielleicht“, gab er zu. „Wahrscheinlich konnte ich nicht klar genug denken.“

„Und wenn ich jetzt sagen würde, dass ich schwanger bin?“, fragte sie herausfordernd. „Wie würdest du darauf reagieren?“

Ein kalter Blick traf sie. „Ich bin in der Lage, für ein Kind zu sorgen.“

„Materiell, wenn ich dich richtig verstehe. Gefühlsmäßig sicher nicht.“

„Wie auch immer, du bist nicht schwanger. Wir führen eine sinnlose Diskussion.“

Sabrina musste ihm Recht geben, aber es quälte sie trotzdem, dass sie beide nicht genug aufgepasst hatten. „Wir hätten uns nicht dümmer und leichtsinniger verhalten können“, sagte sie nachdrücklich.

Guy war nicht ihrer Meinung, behielt das aber für sich. „Was kann deine Ohnmacht veranlasst haben, wenn du nicht schwanger bist?“, forschte er weiter. „Hast du in letzter Zeit genug gegessen?“

„Nein“, gab sie nach kurzem Zögern zu. „Nicht wirklich.“

„Seit wann nicht?“

„Liegt das nicht auf der Hand? Seit Michaels Tod.“

Wieder wurde Guy von Eifersucht gepackt, obwohl er sich selbst sagte, wie unberechtigt das war. „Und wie lange ist das her?“

Sabrina hätte ihm die Wahrheit lieber verschwiegen, aber das wäre sinnlos gewesen. „Vier Monate.“

Längeres Schweigen folgte. „Vier Monate?“, wiederholte Guy dann ungläubig.

„Ganz recht. Wahrscheinlich bist du jetzt schockiert?“

Er begann zu lachen, höhnisch und wegwerfend. „Ich habe mich in letzter Zeit eher selbst schockiert.“

Vier Monate! Das ließ alles in gänzlich anderem Licht erscheinen. Darum hatte Sabrina so frei und rückhaltlos auf ihn reagiert. War er nur ein Ersatz für den Toten gewesen? Ein warmer, lebendiger Körper, der sie an das erinnerte, was sie verloren hatte?

„Du hast es ziemlich eilig gehabt, meinst du nicht?“, fragte er spöttisch.

„Sprichst du jetzt das Verdammungsurteil?“

„Es war nur eine Feststellung.“ Guy studierte eine einfach gerahmte Jagdszene und widerstand nur mit Mühe der Versuchung, mit der Faust gegen die geblümte Tapete zu schlagen. Als er sich wieder umdrehte, lag ein lauernder Ausdruck in seinen Augen. „Warum hast du mir nicht früher davon erzählt?“

In Sabrinas Augen traten Tränen. „Warum wohl nicht?“, fragte sie, ohne lange nachzudenken.

„Weil ich dann nicht mit dir geschlafen hätte“, antwortete er. „Auch wenn es mir unendlich schwergefallen wäre … ich hätte eine so tief verletzte Frau nicht zu einer solchen Nacht verführt. Aber du hast mich begehrt, nicht wahr? So sehr, dass du bereit warst, jedes Risiko einzugehen. Deshalb hast du mir nichts erzählt.“

Sabrina schüttelte den Kopf. „Wir wollten es beide, Guy … du so sehr wie ich. Du kannst mir nachträglich nicht die ganze Schuld zuschieben.“

„Ja, wir wollten es beide.“ Guy sah, wie sich ihre Wangen röteten, und wiederholte: „Wir sehnten uns verzweifelt danach. Doch warum? Warum haben wir so völlig ohne Sinn und Verstand gehandelt?“

„Wir fühlten uns zueinander hingezogen.“ Sabrina wusste, dass es weit mehr gewesen war. Sie dachte an die Fahrt in der Gondel und den tiefen, fast magischen Eindruck, den Guy beim ersten Anblick auf sie gemacht hatte. Als hätte sie ihn ihr Leben lang gekannt. Als gehörte er von Anbeginn zu ihrem Leben dazu. „Ich nehme an, dass dir das häufiger passiert.“

Guy schüttelte heftig den Kopf. „Das stimmt nicht, und genau darum geht es mir.“ Er betrachtete ihr ungläubiges Gesicht. „Gewiss, Frauen machen es mir im Allgemeinen leicht, aber normalerweise lässt mich das kalt. Ich nutze nicht die erstbeste Gelegenheit … nicht mehr, seit ich ein Teenager war.“

Die Worte trafen Sabrina bis ins Herz. „Ich kann mich nicht erinnern, es dir … leicht gemacht zu haben“, sagte sie leise. „In meiner Erinnerung war es umgekehrt.“

„Wir wussten beide, was wir taten, Sabrina. Willst du das jetzt leugnen?“

Nein, das wollte sie nicht. Schweigend blickte sie auf ihre Hände, die verschlungen in ihrem Schoß lagen.

„Ich warte auf eine Antwort, Prinzessin.“

„Soll das eine Drohung sein?“

„Durchaus nicht, aber du kannst dich von dem, was geschehen ist, nicht freisprechen. Es hält uns weiter in seinem Bann.“

„Können wir es nicht vergangen sein lassen und für immer vergessen?“, fragte Sabrina unglücklich.

„Nein, das können wir nicht. Du schuldest mir eine Erklärung.“

„Ich schulde dir gar nichts!“

„Warum bist du am nächsten Morgen einfach verschwunden?“ Die Frage quälte Guy am meisten.

„Warum wohl?“ Sabrina hatte nicht vergessen, wie glücklich und erfüllt sie in seinem Bett aufgewacht war. „Weil mir plötzlich bewusst wurde, was ich getan hatte. Außerdem hattest du mich belogen. Wie konnte ich dir da noch trauen?“

„Wäre es nicht vernünftiger gewesen, sich vorher darüber Gedanken zu machen?“, fragte Guy. „Ich habe dich nicht gezwungen, mit mir zu gehen, und du warst auch nicht betrunken.“

Sabrina schwieg, denn sie sah keine Möglichkeit, die Vorwürfe zu entkräften.

„Was war ich also für dich? Ein brauchbarer Ersatz? Hast du die Augen geschlossen und an Michael gedacht?“ Er bemerkte, dass Sabrina zusammenzuckte, ließ sich dadurch aber nicht abhalten weiterzusprechen. „Du wärst mit jedem Mann zufrieden gewesen, nicht wahr? Der Zufall führte mich dir über den Weg, und ich traf den richtigen Ton.“

„Glaubst du das wirklich?“, fragte Sabrina und sah ihn traurig an.

„Ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll. Ich war noch nie in einer ähnlichen Situation, und dafür bin ich nachträglich dankbar.“ Guy betrachtete Sabrina, die immer noch sehr blass war. „Du siehst schlimm aus“, sagte er unwillig.

„Vielen Dank.“ Sie richtete sich höher auf und atmete tief ein. „Dabei fühle ich mich schon viel besser.“

„Davon sieht man nichts. Ich werde unten anrufen und um eine Suppe bitten. So kannst du nicht nach Hause gehen.“

„Guy, bitte nicht!“

„Bitte doch.“ Er sprach kurz mit dem Wirt, und nach der Schnelligkeit zu urteilen, mit der Suppe und Sandwiches gebracht wurden, hatte alles schon bereitgestanden.

Sabrina fühlte sich viel zu schwach, um zu essen, aber Guys strenges Gesicht ließ vermuten, dass er sie eigenhändig füttern würde, wenn sie sich weigerte, wenigstens etwas Suppe zu kosten.

Schon nach den ersten Löffeln ging es leichter, und als die Schale leer war, hatten Sabrinas Wangen wieder etwas Farbe angenommen. Sie aß sogar noch ein Sandwich, und Guy hatte den Eindruck, dass sie es ohne Widerwillen tat. Sie spürt wieder, wie angenehm es ist, seinen Hunger zu stillen, dachte er zufrieden.

„Bist du nicht hungrig?“, fragte sie zwischen zwei Bissen.

Er schüttelte den Kopf. „Nein. Außerdem wird es Zeit, dass ich dich nach Hause bringe.“

„Warum rufst du nicht einfach ein Taxi?“, fragte Sabrina. Sie wollte nicht, dass er mitkam und noch mehr von ihrem Leben Besitz ergriff. Sie hätte ihm in Venedig ihre Telefonnummer geben und in ihre Pension zurückkehren sollen. Stattdessen war sie ihrem Verlangen gefolgt und hatte alles verdorben. Ein Mann musste eine Frau verachten, die sich gleich so hemmungslos hingab. „Ich kann allein nach Hause fahren.“

„Ich begleite dich“, wiederholte er in einem Ton, der keinen Widerspruch zuließ. „Das hat nichts mit Unabhängigkeit oder Stolz zu tun. Du bist nicht kräftig genug, um …“

„Doch, das bin ich!“

„Nein, das bist du nicht. Wir können die ganze Nacht hierbleiben und diskutieren, was aber nichts daran ändern wird, dass ich dich nach Hause bringe.“

Sabrina sah so unschlüssig und hilflos aus, dass Guy nicht widerstehen konnte und ihr eine Haarsträhne aus der Stirn strich. Und für einen Moment verschwand der harte Ausdruck aus seinem Gesicht. Fast hatte Sabrina den Eindruck, dass er sie küssen würde, aber er richtete sich auf und ging zur Tür.

„Es wird Zeit, dass wir von hier wegkommen.“

Sabrina musste sich hinsetzen, während Guy mit dem Wirt verhandelte, und dann verließen sie den Pub. Draußen stand kein Taxi bereit, sondern eine dunkle Limousine, wie Sabrina sie noch nie in den Straßen von Salisbury gesehen hatte. Derartige Autos mochten in Guys Welt passen, aber nicht in ihre.

„Wohin fahren wir?“, fragte der Chauffeur, nachdem Guy sich hinten neben Sabrina gesetzt und ihren Sicherheitsgurt geschlossen hatte. Die Rolle des Schutzengels schien ihm weiter zu gefallen.

„Wilton Street“, antwortete sie leise.

Der Chauffeur drehte sich halb um und sah sie ungläubig an. „Wilton Street? Sind Sie sicher?“

„Natürlich ist sie sicher!“, fuhr Guy ihn an und ließ die gläserne Trennscheibe nach oben gleiten.

Sabrina fühlte sich merkwürdig leer, als die Limousine in die enge Sackgasse einbog, in der die Häuser kleinen, einheitlichen Kästen glichen. Ein verstohlener Blick in Guys Gesicht machte ihr klar, dass sie ihn nach diesem Abend nicht wiedersehen würde. Vielleicht war es am besten so. Sie passten nicht zueinander. Sie kamen nicht von verschiedenen Sternen, sondern von verschiedenen Galaxien.

Der Chauffeur ließ die Trennscheibe herunter und fragte: „Welche Nummer, Miss?“

„Nummer drei“, antwortete sie heiser.

Die Limousine hielt vor einem der unscheinbaren kleinen Häuser. „Warum weinst du?“, fragte Guy, der Sabrinas Niedergeschlagenheit bemerkt hatte.

„Ich … weine gar nicht.“ Sie nahm das frische weiße Taschentuch, das er ihr hinhielt, und barg das Gesicht darin.

„Warum weinst du?“, wiederholte er. „Weil ich so heftig gewesen bin?“

Sabrina schüttelte den Kopf und versuchte, das Schluchzen zu unterdrücken. Wie hätte sie ihm sagen können, dass sie ohne Grund weinte? Dass die Tränen vielleicht Michael, vielleicht aber auch ihr selbst galten? Oder einer wunderbaren Beziehung mit Guy, die von Anfang an unter einem schlechten Stern gestanden hatte?

Guy wartete, bis ihr Schluchzen nachließ, und stieg dann aus, um ihr die Tür zu öffnen. „Warten Sie hier auf mich“, befahl er dem Chauffeur.

Er führte Sabrina durch den winzigen Vorgarten und klingelte an der Tür. Sekunden später wurde sie geöffnet, von einer Frau, die unverkennbar Sabrinas Mutter war. Sie hatte die gleichen hellblauen Augen, und das blonde Haar zeigte kaum Spuren von Grau. So wird Sabrina aussehen, wenn sie fünfzig ist, dachte Guy.

Mrs. Coopers Augen wurden noch größer, als sie das bleiche, tränennasse Gesicht ihrer Tochter bemerkte. „Sabrina!“, rief sie. „Was hast du, Darling?“ Ein abschätzender Blick glitt über Guy. „Wer sind Sie? Was ist meiner Tochter zugestoßen?“

„Nichts, was Ihnen Sorgen machen müsste, Mrs. Cooper“, antwortete Guy ruhig. Sabrina hatte sich inzwischen von ihm losgemacht und auf die unterste Treppenstufe gesetzt. „Sie ist etwas durcheinander … kein Wunder unter den gegebenen Umständen.“

Mrs. Cooper nickte. „Dann hat sie Ihnen von Michael erzählt?“

Wieder löste der Name heftige Eifersucht aus. „Ja.“

Sabrina fragte sich, warum die anderen so sprachen, als wäre sie nicht da. Warum brachte ihre Mutter Guy nicht mehr Misstrauen entgegen? Warum sah sie ihn an, als hätte sie ihn sehnsüchtig erwartet?

„Ich heiße Guy Masters“, fuhr er fort. „Sabrina und ich haben uns in Venedig kennengelernt.“ Er zog eine Visitenkarte aus der Tasche und reichte sie Mrs. Cooper. „Würden Sie die morgen früh Ihrer Tochter geben?“

Mrs. Cooper nickte, und Guy trat dicht an Sabrina heran. „Ruf mich an, wenn du sprechen möchtest.“

Sekunden später war er fort, und der winzige Flur kam Sabrina kalt und leer vor.

„Willst du mir nicht erzählen, was passiert ist, Darling?“, fragte Mrs. Cooper, nachdem sie die Tür geschlossen hatte.

Sabrina schüttelte müde den Kopf. „Es ist zu kompliziert, um es zu erklären, aber es geht mir gut.“

„Bist du sicher?“

Sabrina stand langsam auf. „Ganz sicher.“

Mrs. Cooper sah nachdenklich auf die geschlossene Haustür. „Ein rücksichtsvoller Mann, dein Guy Masters. Wirst du ihn anrufen?“

„Nein.“ Ein flüchtiges Lächeln glitt über Sabrinas Gesicht. Rücksichtsvoll? Sie hätte Guy Masters mit tausend Begriffen beschreiben können, aber „rücksichtsvoll“ war nicht dabei.

6. KAPITEL

„Ruf mich an, wenn du sprechen möchtest.“ Das waren Guys letzte Worte gewesen, vor gut einer Woche.

Sabrina öffnete die Augen und betrachtete die weiße Zimmerdecke. Welche Frau hätte gern zugegeben, dass sie sich nach einer Aussprache sehnte, aber nicht wusste, was sie sagen sollte? „Hallo, Guy … ich bin’s, Sabrina. Erinnerst du dich noch an mich? Wir haben in Venedig eine aufregende Nacht verbracht.“

Und was sollte dann kommen? Nein, es war sinnlos, ihn anzurufen. Ihr blieb nichts anderes übrig, als jeden einzelnen Tag, so gut es eben ging, zu überstehen.

„Sabrina?“

Sie drehte sich auf die Seite und sah gähnend auf den Wecker. Fast zehn Uhr. Sie mochte es, sonntags lange zu schlafen.

„Ja, Mum?“

„Du hast Besuch, Darling.“

Sabrina kannte ihre Mutter zu gut, um zu überhören, dass ihre Stimme irgendwie anders klang. Schlagartig setzte sie sich auf, wobei sie sich fast in dem überweiten Minniemaus-Nachthemd verfing.

„Wer ist es?“, fragte sie heiser.

„Es ist Guy.“

Sabrina blieb fast das Herz stehen. „Guy … Masters?“

„Wie viele Guys kennst du denn?“, fragte in diesem Moment eine ihr allzu bekannte Stimme.

„Ich liege noch im Bett!“, rief sie hinunter und versuchte, die aufsteigende Panik zu unterdrücken.

„Das macht nichts. Ich warte.“

Sabrina wusste, dass sie Guy nicht ausweichen konnte, selbst wenn sie es gewollt hätte. Doch sie wollte es nicht, und das war das eigentlich Beunruhigende an der Sache.

Sabrina duschte und zog sich rasch an. Es wäre ungeschickt gewesen, ein zu auffälliges Kleid zu wählen, aber sie wollte auch nicht wie Aschenputtel vor Guy erscheinen. Auch wenn er sich nur erkundigen wollte, wie es ihr ginge – er sollte daran erinnert werden, dass sie ihm einmal gefallen hatte.

Sie wählte das weiche Wollkleid, das sie beim Winterschlussverkauf entdeckt hatte. Es passte farblich genau zu ihren Augen, und sie konnte die kniehohen Lederstiefel dazu tragen, die nicht mehr neu waren, aber ihren sündhaft hohen Preis immer noch rechtfertigten.

Sabrina betrachtete sich kurz im Spiegel und ging dann langsam die Treppe hinunter. Würde sie noch etwas für Guy empfinden, oder würde er ihr gleichgültig sein? Die Frage erledigte sich, sobald sie das Wohnzimmer betrat. Ein Blick genügte, und sie stand wieder ganz in seinem Bann.

Sie dachte an Venedig, wo Guys fast klassische Schönheit sie schon einmal bezaubert hatte. Er trug ausgeblichene Jeans, die seinen flachen Bauch, die schmalen Hüften und die langen, muskulösen Beine betonten, und dazu einen grauen Kaschmirpullover – eine Nuance dunkler als seine Augen. Über der Stuhllehne hing eine schwarze Lederjacke.

Nichts konnte die sinnliche Ausstrahlung dämpfen, die Sabrina sofort wieder gefangen nahm, aber sie war nicht bereit, sich das anmerken zu lassen.

„Hallo, Guy“, begrüßte sie ihn betont zurückhaltend.

„Hallo, Sabrina.“ Wieder fiel ihm auf, wie zart ihre Haut war. Eigentlich war er gegen seinen Willen hier, aber alle Versuche, Sabrina zu vergessen, hatten nichts genützt. Er musste einfach wissen, ob sie gesund war. „Wie geht es dir?“

„Besser“, antwortete sie wahrheitsgemäß. „Viel besser.“

Sie sahen sich an, als begegneten sie sich zum ersten Mal. Oder doch beinahe, dachte Sabrina, denn sie wusste schon zu viel von ihm. Sogar die kleine gezackte Narbe an seinem Hals erkannte sie unter dem offenen Hemdkragen. Sie hatte ihre Zungenspitze darüber gleiten lassen und beobachtet, wie lustvoll er darauf reagiert hatte.

„Möchtest du Kaffee oder sonst etwas?“

Guy konnte den Blick nicht von ihren vollen Lippen und den großen hellblauen Augen abwenden. „Nein, danke. Soll ich dir sagen, was ich wirklich will? Draußen steht mein Auto. Ich dachte, du könntest mir vielleicht die Stadt zeigen. Wir parken im Zentrum und gehen dann zu Fuß.“

Sabrina sah ihre Mutter an. Mrs. Cooper war die umgänglichste Person von der Welt, aber in einem so kleinen – nein, winzigen Haus mussten sich Gastgeberin und Gast unwohl fühlen.

„Ich hole meinen Mantel“, erklärte sie.

„Vergiss den Schal nicht“, mahnte ihre Mutter. „Draußen scheint zwar die Sonne, aber der Wind ist kalt.“

Guy half ihr in den Mantel, der mit einem kleinen Kragen aus Kunstpelz besetzt war. Sabrina ließ ihr offenes Haar darüber fallen, was elegant und kindlich zugleich wirkte.

„Wo steht dein Auto?“, fragte sie, als sie draußen waren.

„Ein Stück die Straße hinunter.“ Guy wollte nicht sagen, dass es schwierig gewesen wäre, in der engen Sackgasse zu wenden.

„Hoffentlich ist es nicht wieder die Limousine?“

Guy hörte den leichten Spott heraus und lächelte beschämt. „Nein, nicht die Limousine. Der Wirt des Pubs hatte sie bestellt. Er nahm wohl an, dass ich dieses Statussymbol brauchte. Persönlich hätte ich einen bescheideneren Abgang gewählt.“

„Es war immerhin beeindruckend.“ Sie erreichten die Straßenecke, wo ein etwas kleinerer, aber genauso luxuriöser Wagen stand. „Meine Mutter behauptet, die Nachbarn hätten sie immer wieder nach dem ungewöhnlichen Besucher gefragt.“

„Und, was hat sie geantwortet?“, fragte Guy, während er aufschloss.

„Dass ein Freund da gewesen sei.“

„Ein Freund?“ Guy öffnete Sabrina mit einem spöttischen Blick die Tür.

„Was hätte sie denn sagen sollen? Ein Liebhaber ihrer Tochter?“

„Das wäre sehr viel zutreffender gewesen, meinst du nicht?“

„Nicht mehr, Guy. Das alles ist jetzt Vergangenheit.“

Sabrina sank auf den weichen Ledersitz und streckte die langen Beine aus. Es wäre ihr lieber gewesen, ihre Mutter hätte von einem „Bekannten“ gesprochen, aber letzten Endes stimmten beide Begriffe nicht. Weder einen Bekannten noch einen Freund kannte man so intim, wie sie Guy Masters kannte.

Sabrina sah starr geradeaus, während sie in die City fuhren und dort parkten. Es war düster auf dem niedrigen Parkdeck, und Guys Gesicht lag halb im Schatten, nachdem sie ausgestiegen waren.

„Du fragst gar nicht, warum ich gekommen bin“, sagte er plötzlich.

„Vielleicht fürchte ich mich vor der Antwort.“ Sabrina rückte ihren Mantelkragen zurecht. „Also, warum bist du gekommen?“

„Das ist es ja gerade.“ Er schloss erst die eine und dann die andere Autotür ab. „Ich weiß es selber nicht.“

Sie verließen das Parkhaus und gingen direkt zur Kathedrale, deren Turm die Silhouette der Stadt beherrschte. „Möchtest du hineingehen?“, fragte Sabrina.

Guy sah sie leicht ungeduldig an. „Das kannst du dir doch denken, oder?“

Ja, sie hatte es sich gedacht. Sie spürte auch, dass Guy heute keinen Rundgang durch die Stadt machen wollte. Seine steife Körperhaltung verriet äußerste Abwehr.

Sie gingen durch die riesige leere Kirche und blieben vor dem Altar stehen. Guy betrachtete ihn lange, und dabei schien sich sein Gesicht in Stein zu verwandeln. Er empfand tiefen Schmerz.

Draußen erfasste sie ein heftiger Windstoß, der Sabrinas Haar durcheinanderwirbelte. „Ich fahre dich nach Hause“, erklärte Guy unvermittelt.

Sabrina unterdrückte ihre Enttäuschung. „Wie du möchtest.“

Am Anfang der Sackgasse hielt Guy an und stellte den Motor ab. „Was geschah mit Michael?“, fragte er und sah Sabrina forschend ins Gesicht. „Wie ist er gestorben?“

„Es war ein Autounfall“, antwortete sie nach längerem Schweigen. „Er wollte den Abend auswärts verbringen, und ich war dagegen. Wir hatten wenig Geld und mussten sparen. Michael versuchte, mich umzustimmen, aber ich gab nicht nach. Da warf er mir vor …“ Es fiel Sabrina schwer, weiterzusprechen, aber sie zwang sich dazu. „Er warf mir vor, ich könnte mich niemals vergessen.“

„Niemals vergessen?“, wiederholte Guy mit leisem Spott. „Tatsächlich?“

Sabrina nahm ihm den Spott nicht übel, denn sie hatte sich bei ihm, weiß Gott, anders verhalten. „Es ist seltsam, aber ich bin wirklich lieber beherrscht … jedenfalls normalerweise.“

„Mir geht es genauso.“ Ein unausgesprochener Vorwurf klang in den Worten mit. „Vielleicht reizen wir gegenseitig das Schlechteste in uns heraus.“

Und das Beste, dachte Sabrina. Das Allerbeste.

„Wir zankten uns“, erzählte sie traurig weiter. „So heftig, dass Michael wütend aus dem Haus stürmte. Unmittelbar darauf geschah der Unfall. Er war sofort tot.“

Guy nickte. „Ich verstehe. Du trägst nicht nur das Leid, sondern du gibst dir auch die Schuld.“

„Wenn ich etwas nachgiebiger gewesen wäre“, klagte Sabrina. „Wenn ich mit ihm gegangen wäre … Ich glaube, dann wäre der Unfall nicht passiert.“

„Wahrscheinlich nicht“, stimmte Guy zu. „Ich weiß jetzt wenigstens, welche Last du mit dir herumträgst. Aber wie ist es mit uns beiden? Du schläfst mit mir und entwickelst anschließend Schuldgefühle. Ist das vielleicht schon zur Gewohnheit geworden?“

Sabrina löste zornig ihren Sicherheitsgurt. „Das muss ich mir nicht anhören!“

„Die Wahrheit sollte man sich immer anhören“, widersprach Guy, und etwas in seiner Stimme ließ Sabrina aufhorchen.

„Glaubst du etwa, ich brauche diese Schuldgefühle?“, fragte sie heftig. „Soll ich so kurz nach Michaels Tod mit einem fremden Mann schlafen und anschließend stolz darauf sein?“

„Immer langsam“, versuchte Guy, sie zu beruhigen. „Haben wir das Bedauern nicht hinter uns?“

„Wir?“ Sabrina sah ihn unsicher an. „Dann bedauerst du auch, was geschehen ist?“

„Was meinst du?“

„Ich meine gar nichts.“ Sie senkte niedergeschlagen den Blick. „Ich weiß zu wenig über dich.“

„Oh, du weißt eine ganze Menge“, korrigierte er sie. „Schön, du kennst weder meine Wohnung noch meine Familie noch meinen Arbeitsplatz, aber das alles ist unwichtig. Du hast meine intimste Seite kennengelernt.“ Es klang, als würde Guy dieses Bekenntnis schwerfallen. „Vor dir habe ich mich völlig bloßgestellt.“

„So, wie vor all den andern Frauen, mit denen du geschlafen hast?“

Guy schüttelte den Kopf. „Nein, Sabrina. So etwas hatte ich noch nie erlebt. Genau wie du bleibe ich lieber beherrscht, und das kann man von dieser Nacht wirklich nicht sagen.“

Sabrina erinnerte sich plötzlich an den Besuch der Kathedrale. „Guy?“, fragte sie vorsichtig.

„Ja?“

„An wen hast du in der Kathedrale gedacht?“

Guy zögerte. Normalerweise wäre er einer so persönlichen Frage ausgewichen, doch er hatte Sabrina auch nicht geschont. „Ich dachte an meinen Vater“, antwortete er widerstrebend.

„Er starb vor langer Zeit, aber wir sind nicht hier, um über mich zu sprechen.“

Sabrina war enttäuscht. „Offensichtlich nicht.“

„Du musst lernen, alles, was geschehen ist, anzunehmen. Deinen Streit mit Michael, seinen Tod und unsere Liebesnacht. Nichts von dem kannst du ungeschehen machen, also finde dich endlich damit ab. Wichtig ist nur, welche Konsequenzen du daraus ziehst.“

„Das weiß ich eben nicht“, gab sie unglücklich zu.

Guy betrachtete sie kurz und kam zu einer Entscheidung. „Ich lade dich zum Essen ein.“

Sabrina schüttelte den Kopf, obwohl sie die Einladung gern angenommen hätte. „Das geht nicht. Sonntags esse ich immer mit meiner Mutter.“

„Dann nehmen wir sie mit.“

„Ist das dein Ernst?“

„Mein völliger Ernst. Es sei denn, sie hungert lieber … wie ihre Tochter.“

Sabrina war ebenso überrascht wie erfreut. Michael hätte niemals einen solchen Vorschlag gemacht. Für ihn waren Eltern lästige Autoritätspersonen gewesen, die es darauf anlegten, ihren Kindern jeden Spaß zu verderben.

„Mum wird begeistert sein“, erwiderte sie ehrlich überzeugt.

„Dann wollen wir ihr Bescheid sagen.“

Mrs. Cooper nahm die Einladung genauso begeistert an wie ihre Tochter, besonders als Guy ein Restaurant am anderen Ende der Stadt vorschlug, das sie nur aus Erzählungen kannte.

„Da können wir unmöglich essen“, protestierte sie trotzdem. „Die Preise sollen unerschwinglich sein.“

„Vielleicht hoch, aber nicht unerschwinglich“, erklärte Guy geduldig.

„Außerdem werden wir keinen Tisch bekommen“, wandte Sabrina ein.

Guys Augen begannen zu leuchten. „Wollen wir wetten?“

Natürlich bekamen sie einen Tisch. Wie hatte Sabrina je daran zweifeln können? Männer wie Guy Masters bekamen immer einen.

Sabrina bemühte sich, Krabbensalat und Hummer wenigstens mit einem Anschein von Appetit zu essen, aber Guy saß ihr gegenüber und lenkte sie immer wieder ab. Sein ausdrucksvolles Gesicht, das dunkle, bläulich schimmernde Haar – nur gut, dass Sabrinas Mutter so zwanglos mit ihm plauderte und nicht ahnte, welchen Zauber er auf ihre Tochter ausübte.

Es dauerte nicht lange, bis er bemerkte, dass sie sich kaum an der Unterhaltung beteiligte. „Du bist sehr still, Sabrina“, meinte er.

„Erst seit dem schrecklichen Ereignis“, antwortete Mrs. Cooper an ihrer Stelle. „Es geht dir immer noch nah, nicht wahr, Darling?“

Sabrina warf ihr einen warnenden Blick zu. „Ich fürchte, das interessiert Guy nicht besonders, Mum.“

Mrs. Cooper wollte das Thema nicht so schnell fallen lassen. „Natürlich tut es mir auch sehr leid, dass Michael tot ist, aber Sabrina hat es viel schwerer getroffen.“

Sabrina wagte nicht, Guy anzusehen. Sein Blick würde voller Verachtung sein, denn trauernde Menschen verhielten sich anders, als sie es getan hatte.

„Ich weiß selbst, wie das ist“, fuhr Mrs. Cooper fort und strich Sabrina tröstend über den Kopf. „Nachdem mein Mann mich verlassen hatte, galt ich überall nur noch als geschiedene Frau und nicht mehr als Maureen Cooper.“

Guy nickte. Sabrina hatte also auch keinen Vater mehr.

„Niemand macht sich die Mühe, das arme Kind über ihren Kummer hinwegzutrösten. Hinzu kommt, dass sie hier aufgewachsen ist. Jeder kennt sie, und jeder kannte Michael. Sie müsste einmal fort von hier … irgendwo neu anfangen. Deshalb habe ich sie auch überredet, nach Venedig zu fahren. Es war immer ihr Traumziel, aber sie kam noch blasser und abgehärmter zurück.“

„Bist du endlich fertig, Mum?“, mischte sich Sabrina gequält ein.

Mrs. Cooper wollte antworten, aber Guy kam ihr zuvor. „Könntest du nicht für eine Weile von hier fortgehen?“, fragte er nachdenklich.

„Und wohin?“ Sie sah ihn misstrauisch an. Flucht war keine Lösung, jedenfalls nicht, wenn sie an Venedig dachte.

„Wie wäre es mit London? Den meisten gefällt die Stadt.“

„London ist teuer“, wandte Sabrina ein, „und ich verdiene nicht viel. Außerdem sehne ich mich nicht nach einer Stadt, in der ich niemanden kenne.“

„Du kennst mich, Sabrina, und könntest jederzeit bei mir wohnen.“

Einige Sekunden saß Sabrina wie erstarrt da, dann sah sie Guy ungläubig an. „Was hast du gesagt?“

„Ich habe eine Etagenwohnung, die für mich allein viel zu groß ist. Es steht dir frei, sie mit mir zu teilen.“

Sabrina stellte sich vor, was das praktisch bedeuten würde. Ihr Herz begann, heftig zu klopfen, aber dann verblasste der schöne Traum, und an seine Stelle trat die graue Wirklichkeit.

„Das ist eine verrückte Idee“, erklärte sie abweisend. „Ich habe dort keinen Job.“

Guy zuckte die Schultern. „Dann such dir einen.“

„Ganz so einfach ist es nicht“, mischte sich Mrs. Cooper behutsam ein.

Sabrina wusste, dass „Wells’ Bookstore“ auch in London mit einer Filiale vertreten war, aber aus Pietät pflichtete sie ihrer Mutter bei. „Nein, wirklich nicht.“

Mrs. Cooper stand mit strahlendem Lächeln auf. „Würdet ihr mich für einen Moment entschuldigen? Ich bin gleich wieder da.“

Guy erhob sich, bis Mrs. Cooper den Raum verlassen hatte. Seine Manieren waren wirklich untadelig. Nachdem er sich wieder hingesetzt hatte, sah Sabrina ihn offen an und sagte: „Das ist wirklich nett von dir, Guy, aber du weißt genau, dass ich dein Angebot nicht annehmen kann.“

„So? Weiß ich das?“

Sabrina runzelte die Stirn. „Sei bitte nicht so begriffsstutzig!“

„Dann sag doch freiheraus, was du meinst, und drück dich nicht so verschwommen aus.“

Das passte zu Guy, aber er konnte nicht ernsthaft erwarten, dass sie ihm die entscheidenden Gründe für ihr Zögern nannte. Oder vielleicht doch? Nach seinem beharrlichen Schweigen zu urteilen, war es tatsächlich so.

Sie erinnerte sich daran, dass es zwischen ihnen eigentlich keine Tabus mehr gab, und nahm all ihren Mut zusammen. „Wie kann ich bei dir wohnen, ohne zu wissen, ob wir …“ Sie zwang sich, seinem Blick standzuhalten. „Ob wir …“

„Du meine Güte!“, unterbrach er sie, als ihm klar wurde, was sie auszudrücken versuchte. „Glaubst du etwa, ich würde als Miete sexuelle Dienste von dir verlangen?“

„Das habe ich nicht gesagt!“

„Aber gemeint. Ist es nicht so?“

Sabrina schüttelte den Kopf, aber es wirkte nicht überzeugend.

Guy lehnte sich zurück und betrachtete sie nachdenklich. „Du hast mir gesagt, dass du im Grunde ein beherrschter Mensch bist. Hast du deshalb Angst, zu mir zu kommen? Fürchtest du, wieder die Beherrschung zu verlieren, wie es schon einmal der Fall war?“

Sabrina wollte sich nicht in die Enge treiben lassen. „Hältst du dich für so unwiderstehlich?“, fragte sie bissig.

„Das weiß ich nicht, aber vielleicht sollten wir es zusammen herausfinden. Womöglich brauchen wir beide diese Gelegenheit, um uns voneinander zu befreien.“

„Zu befreien?“, wiederholte Sabrina verwirrt. „Ganz recht. Wir könnten damit überzeugend beweisen, dass wir nicht völlig von unseren Hormonen abhängig sind.“

„Sehr vornehm ausgedrückt!“

„Die Wahrheit lässt sich nun einmal nicht vornehmer ausdrücken, Prinzessin.“

Sabrina schwieg eine Weile und fragte dann: „Du schlägst also eine platonische Beziehung vor?“

„Keineswegs.“ Guy schüttelte den Kopf. „Ich mache keinerlei Versprechungen.“

Sabrina begann, langsam zu verstehen, was er meinte. Zwei sexuell voneinander abhängige Menschen in einer Wohnung – da kam es am Ende darauf an, wer durchhielt und wer nicht. Ein Spiel um Charakterstärke und Selbstbeherrschung. Doch sie sagte nichts dazu, denn ihre Mutter kam an den Tisch zurück.

Auch während der Rückfahrt in die Wilton Street wurde das Thema nicht wieder aufgenommen. Guy verabschiedete sich von Mrs. Cooper und wandte sich dann an Sabrina. Sein Gesichtsausdruck war nicht zu deuten.

„Leb wohl, Prinzessin.“

„Leb wohl, Guy. Danke für die Einladung.“

Er lächelte flüchtig und stieg wieder in sein Auto. Sabrina und ihre Mutter blickten ihm nach.

„Wirst du seinen Vorschlag annehmen, Darling?“, fragte Mrs. Cooper, nachdem das Auto verschwunden war.

Sabrina hielt den Blick in eine unbestimmte Ferne gerichtet. „Ich weiß es nicht, Mum“, antwortete sie ehrlich. „Ich weiß es wirklich nicht.“

7. KAPITEL

Sabrina wählte die Nummer mit Herzklopfen, das sich noch erheblich steigerte, als sie die volle, tiefe Stimme erkannte. „Hier Guy Masters.“

Sie wollte sprechen, aber die Kehle war ihr wie zugeschnürt. „Guy Masters“, wiederholte die Stimme deutlich ungeduldig. „Ich bin es, Guy … Sabrina.“ Einige Sekunden vergingen, die ihr wie eine Ewigkeit vorkamen. „Sabrina Cooper. Erinnerst du dich? Wir sind uns in Venedig …“

„Oh ja, natürlich erinnere ich mich. Wie geht es dir, Sabrina?“ Einen Moment lang war sie versucht einzuhängen und den ganzen Wahnsinnsplan aufzugeben, aber dann wären alle Versuche, ihr bisheriges Leben zu ändern, vergeblich gewesen. Sie hatte Wochen dafür gebraucht und konnte nicht mehr zurück.

„Mein Gesuch um eine Versetzung ist bewilligt worden.“ Für den Fall, dass Guy seinen Vorschlag inzwischen vergessen hatte, fuhr sie schnell fort: „Von der Filiale von ‚Wells’ Bookstore‘. Ich kann dort sechs Wochen arbeiten.“

„Oh!“ Eine Pause folgte. „Das freut mich. Wann darf ich dich erwarten?“

Gott sei Dank, er hatte es nicht vergessen! „Ich kann nächsten Montag anfangen.“ Sabrina kreuzte die Finger ihrer linken Hand und schnitt sich im Spiegel ein Gesicht. „Wenn es dir recht ist, komme ich Sonntagnachmittag.“

„Diesen Sonntag?“

„Wenn das Schwierigkeiten macht …“

„Durchaus nicht.“ Guy schien kurz nachzudenken. „Nein, es dürfte keine Schwierigkeiten machen.“

Das klang nicht sehr überzeugend und auch nicht sehr erfreut. „Wirklich nicht?“, vergewisserte sie sich.

„Hast du etwas zum Schreiben? Ich erkläre dir, wie du zu mir kommst.“

Er nannte ihr seine Adresse in Knightsbridge und die nächste U-Bahn-Station. „Wann dürfen wir mit dir rechnen?“

„Wir?“, fragte Sabrina und fühlte, wie es ihr eiskalt über den Rücken lief.

„Ich habe einige Freunde zum Brunch eingeladen, aber wahrscheinlich bleiben sie nicht bis zum Tee.“

„Dann komme ich zum Tee“, erklärte Sabrina und hängte ein.

Sabrina drängte sich mit ihren beiden Koffern in den Zug nach London und dann in die Untergrundbahn, wo sie während der ganzen Fahrt stehen musste. Die halbe Stadt schien nach Knightsbridge und zu den großen Museen unterwegs zu sein.

Als sie endlich die exklusive Adresse erreichte, die Guy ihr genannt hatte, fühlte sie sich schmutzig und zerzaust, wie eine Katze, die man über Nacht draußen im Regen gelassen hatte.

Guys Etagenwohnung lag an einem ruhigen Platz, etwas entfernt von den belebteren Durchgangsstraßen. In der Mitte des Platzes befand sich ein von Gittern eingefasster Garten, der Sabrina so bezauberte, dass sie ihre Koffer absetzte und an das Gitter herantrat.

Mehrere Bäume zeigten ihr erstes Grün, die Vögel zwitscherten, und vom Rasen leuchteten die sonnengelben Kelche der Narzissen. Trotz ihrer inneren Unruhe erfasste Sabrina bei diesem Anblick ein Gefühl der Freiheit. Sie griff mit neuem Mut nach ihren Koffern, ging die Treppe zu Guys Haus hinauf und klingelte an der Tür.

Während sie wartete, sah sie auf die Uhr. Halb fünf, zweifellos die übliche Teezeit. Wenn ihre schlimmsten Befürchtungen nun wahr wurden und Guy ihr Kommen vergessen hatte? Was sollte sie tun, wenn er nicht zu Hause war?

Sie wollte gerade zum zweiten Mal klingeln, als die Tür geöffnet wurde und Guy vor ihr stand. Sein dunkles Haar war zerzaust, und er trug alte Jeans, deren oberste Knöpfe offen standen, sodass etwas dunkles Haar zu erkennen war. Dazu hatte er, offenbar genauso eilig, ein altes schwarzes T-Shirt übergestreift, das seine Brust fast zu eng umspannte. Er sah aus, wie sich Sabrina mit wachsendem Unbehagen eingestehen musste, als käme er direkt aus dem Bett.

Mit einem Blick, in dem sich Überraschung und Unsicherheit ausdrückten, sagte er: „Sabrina!“

„Sei ehrlich. Du hast vergessen, dass ich kommen wollte.“

„Unsinn. Ich habe es nicht vergessen.“ Guy sah verstohlen auf seine Uhr, die golden an seinem dunkel behaarten Handgelenk funkelte. Zum Teufel, ging die Uhr auch richtig? „Es ist später, als ich dachte. Komm herein. Wir beenden gerade den Brunch.“

„Um diese Zeit?“, fragte Sabrina.

„Warum nicht? Es ist Sonntag, da braucht man keine Termine einzuhalten.“

„Wenn du beschäftigt bist, kann ich gehen und später wiederkommen“, sagte Sabrina und merkte im selben Moment, wie albern das klang. Wo sollte sie in einer fremden Stadt bleiben, in der sie niemanden kannte?

Guy schien denselben Gedanken gehabt zu haben, denn er lächelte und nahm ihre Koffer. Sie sieht verfroren aus, ging es ihm dabei durch den Kopf. Immer, wenn sie sich begegneten, schien sie Schutz zu brauchen. Seinen Schutz.

„Komm herein“, forderte er sie auf. „Es ist kalt hier draußen.“

Sabrina fröstelte wirklich, aber der Grund war weniger die Kälte als das Wiedersehen mit Guy. Seit seinem Besuch in Salisbury waren nur wenige Wochen vergangen, aber ihr kam es wie ein ganzes langes Leben vor. Wie hatte sie vergessen können, welchen starken Eindruck er immer wieder auf sie machte?

Sie folgte ihm ins Haus, wo er die untere Etage bewohnte, über deren Weitläufigkeit und Helligkeit sie nur staunen konnte. Die Wände waren nicht tapeziert, sondern in kühlen Farben gestrichen, moderne Möbel und abstrakte Bilder, die woanders fremd gewirkt hätten, fügten sich zu einer perfekten Einrichtung.

„Ich zeige dir dein Zimmer später“, sagte Guy. „Begrüß erst die anderen.“

So, wie ich aussehe?, dachte Sabrina erschrocken. Sie strich schnell ihr windzerzaustes Haar glatt und folgte Guy zu einem Zimmer, aus dem ihnen Gläserklingen und leises Lachen entgegenscholl. Sie können mich nicht fressen, dachte sie und unterdrückte aufsteigende Angst. Es waren schließlich Guys Freunde.

Guy stellte die Koffer vor der Tür ab und drehte sich zu Sabrina um. Wie verwirrt und ängstlich sie aussah! Aber gleichzeitig war da etwas … Er spürte eine starke innere Erregung und öffnete rasch die Tür.

„Das ist Sabrina“, sagte er zu den drei Gästen, die sich gleichzeitig umdrehten. „Sabrina Cooper.“

Zwei von den Gästen waren Frauen, das bemerkte Sabrina auf den ersten Blick. Eine von ihnen, eine brünette Schönheit, lag auf einem limonengelben Sofa und lackierte sich die Fußnägel. Sie trug übertrieben enge Jeans und ein T-Shirt, das über dem Bauchnabel endete und eher einem Bustier glich.

„Das ist Jenna Jones“, stellte Guy sie unbefangen vor.

„Hi, Sabrina“, sagte Jenna mit einem trägen Lächeln und wandte sich wieder ihren Fußnägeln zu.

Auf dem Sofa gegenüber saß ein Mann, der Sabrina interessiert betrachtete. Zu seinen Füßen befand sich eine Blondine, ebenfalls in Jeans und T-Shirt und mit einem Sektglas in der Hand.

Autor

Sharon Kendrick
Fast ihr ganzes Leben lang hat sich Sharon Kendrick Geschichten ausgedacht. Ihr erstes Buch, das von eineiigen Zwillingen handelte, die böse Mächte in ihrem Internat bekämpften, schrieb sie mit elf Jahren! Allerdings wurde der Roman nie veröffentlicht, und das Manuskript existiert leider nicht mehr. Sharon träumte davon, Journalistin zu werden,...
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