Bianca Exklusiv Band 365

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FÜR IMMER WIR ZWEI von STELLA BAGWELL
Johnny Chino hat Bridget geliebt und liebt sie immer noch. Als er sie jetzt wiedersieht, würde er sie am liebsten in seine Arme ziehen und nie mehr loslassen. Doch er muss sich zurückhalten! Damals wie heute trennen sie Welten. Und er könnte Bridget nie bieten, was sie verdient …

EIN RENDEZVOUS MIT DEM BOSS von CINDY KIRK
Wird ein Traum wahr für Betsy? Ihr faszinierender Boss Ryan Harcourt, in den sie heimlich verliebt ist, will mit ihr ausgehen! Schon hofft sie, dass er ihre Gefühle erwidert, da macht Ryan ihr ein überraschendes Geständnis – und Betsy muss fürchten, dass er sie nur benutzt!

KÜCHE, KÜSSE, KARRIERE von VICTORIA PADE
„Nicht mit den Händen essen!“, ermahnt Lang Camden seinen Sohn verzweifelt. Doch Konditorin Heddy ist hingerissen von dem süßen Fratz – genau wie von dem attraktiven Vater und CEO, der ihr prompt ein verlockendes Angebot macht. Wird Heddy ihre Karriere aufs Spiel setzen – für die Liebe?


  • Erscheinungstag 18.08.2023
  • Bandnummer 365
  • ISBN / Artikelnummer 0852230365
  • Seitenanzahl 512

Leseprobe

Stella Bagwell, Cindy Kirk, Victoria Pade

BIANCA EXKLUSIV BAND 365

1. KAPITEL

Johnny. Johnny.

Unwillkürlich flüsterte Bridget Donovan den Namen des Mannes, den sie niemals hatte vergessen können, als sie in ihrem Jeep zu seinem Haus fuhr. An diesem Abend hatte sie seine Stimme zum ersten Mal seit fünf Jahren wieder gehört. Der Klang hatte sie ebenso tief getroffen, wie sie sein Anliegen besorgt hatte.

Kannst du zu mir kommen? Großmutter ist krank.

Plötzlich traten ihr Tränen in die Augen, und sie nahm alles nur noch verschwommen wahr. Sofort nahm sie den Fuß vom Gaspedal.

Obwohl sie beide im Süden von New Mexico lebten, war ihr Leben in vollkommen unterschiedlichen Bahnen verlaufen. Nach ihrer Trennung hatte sie nicht damit gerechnet, Johnny jemals wiederzusehen – obwohl sie insgeheim oft davon geträumt hatte. Dass er sich heute Abend an sie gewandt hatte, entsprang schierer Verzweiflung. Mit ihr hatte das nichts zu tun. Aber für sie machte das keinen Unterschied. Wichtig war nur, dass sie in wenigen Minuten dem Mann, den sie geliebt hatte wie keinen anderen, wieder gegenüberstehen würde.

Gedankenverloren hielt Johnny Chino sein Handy umklammert und starrte aus dem Fenster auf die unbefestigte Straße, die zu seinem Haus in den Bergen führte und sich in der Dunkelheit verlor. Er hatte ihn eine Menge Überwindung gekostet, diesen Anruf zu tätigen. Denn er hatte sich geschworen, ihre Nummer nie wieder zu wählen. Und jetzt wollte er aus irgendeinem Grund das Handy nicht in die Tasche zurückstecken. Stattdessen hielt er es fest, als könnte er damit auch ihre Stimme festhalten – oder die Person, der sie gehörte.

Der Gedanke war ebenso lächerlich wie die Träume und Hoffnungen, die er einmal für sie beide gehegt hatte. Deshalb kam er sich nun wie ein Narr vor, als er am Fenster stand und mit einer Mischung aus Erwartung und Angst darauf wartete, dass ihre Autoscheinwerfer endlich in der Dunkelheit auftauchten.

Sie kam nicht, um ihn zu sehen. Nein, diese Zeiten sind lange vorbei, rief er sich grimmig ins Gedächtnis. Sie war ihren Weg ohne ihn weitergegangen. Genau so, wie er es gewollt hatte.

Es war schon einige Jahre her, dass sie zuletzt über diese kurvenreiche und unebene Straße gefahren war, die mitten durch den Wald führte. Das Haus der Chinos lag auf einem Stück Land, das von Johnnys Großvater Charlie gerodet worden war. Als es im Licht der Autoscheinwerfer in Sicht kam, stellte sie fest, dass die Tanne vor der kleinen Veranda in den Himmel geschossen war. Sie hatte sie viel kleiner in Erinnerung.

Bridget stellte den Motor ab, griff zu ihrer Medizintasche, hörte Hundegebell und eine tiefe Stimme, die die Tiere zur Ordnung rief. Beim Blick aus dem Fenster sah sie Johnny mit langen, weit ausholenden Schritten näher kommen. Johnny. Ein Redbone Coonhound und ein schwarzer Collie liefen neben ihm her.

Bridget schluckte, nahm die Tasche in die eine Hand und öffnete mit der anderen die Wagentür. Noch ehe sie ausgestiegen war, stand Johnny bereits neben dem Jeep. Sie schaute in sein Gesicht, und plötzlich schien die Zeit stillzustehen. Ihr stockte der Atem, ihr Herzschlag setzte aus, und sie konnte ihn nur stumm anstarren.

Selbst im Halbdunkel erkannte sie, dass er immer noch so attraktiv war, wie sie ihn in Erinnerung hatte. Das lange schwarze Haar hatte er im Nacken mit einem rauen Stück Leder zusammengebunden. Die gebräunte Haut betonte seine hochliegenden Wangenknochen. Eine markant geschwungene Nase, volle sinnliche Lippen und dichte Brauen über dunklen Augen, mit denen er sie durchdringend musterte, vervollständigten das Bild.

Noch während Bridget angestrengt nach Worten suchte und befürchtete, sie wegen des Kloßes in ihrem Hals nicht aussprechen zu können, erlöste er sie von ihrer Qual.

„Großmutter weigert sich, das Bett zu verlassen“, erklärte er. „Ich mache mir große Sorgen.“

Beim Klang seiner Stimme wurde ihr ganz heiß. Sie kletterte aus ihrem Jeep, und sofort fasste Johnny sie am Ellbogen, damit sie auf dem unebenen Weg nicht ins Stolpern geriet. Zu dumm, dass sie heute Abend als Ärztin hierhergekommen war!

„Wie lange ist sie denn schon krank?“, erkundigte sie sich.

„Seit drei Tagen. Aber erst heute hat sie darum gebeten, dich anzurufen.“

Bei Johnnys Anruf hatte sie sich gefragt, warum er sich nicht an das Apache-Krankenhaus in Mescalero gewandt, sondern sie um Hilfe gebeten hatte. Es lag viel näher, und Stammesmitglieder wurden dort kostenlos behandelt. Bridget war allerdings nicht entgangen, dass es Naomis Wunsch und nicht Johnnys Vorschlag gewesen war, sie zu sehen. Lächerlich, dass sie darüber so etwas wie Enttäuschung empfand.

„Ich werde schauen, was ich tun kann“, versprach sie.

Schweigend legten sie den kurzen Weg zum Haus zurück. Er öffnete die Tür und ließ ihr den Vortritt in das kleine, gemütliche Wohnzimmer, das vom knisternden Kaminfeuer in goldfarbenes Licht getaucht wurde. Es war die einzige Lichtquelle im Raum.

„Sie liegt hinten im Schlafzimmer. Großvater ist bei ihr.“

Bridget folgte ihm in die schwach erleuchtete Küche. Der Geruch von gebratenem Speck hing noch in der Luft. Zur einen Seite ging ein schmaler Korridor ab, an dessen Ende sich das Schlafzimmer befand. Im Vergleich zu den anderen Räumen war es hier ungewöhnlich kühl und zugig. Erstaunt stellte sie fest, dass das Fenster einen Spalt offen stand.

„Warum habt ihr es denn hier so kalt?“, wollte sie von Johnny wissen.

Um seine Mundwinkel zuckte es. „Großmutter glaubt ganz fest an die heilende Kraft von frischer Luft.“

Bridget unterdrückte einen Seufzer. Das war nicht der richtige Moment, um die alte Frau umzustimmen.

„In der Zugluft sollte sie aber nicht liegen. Vielleicht bekommt sie es gar nicht mit, wenn du es schließt, während ich sie untersuche“, schlug Bridget so leise vor, dass nur er es hören konnte.

Er nickte unmerklich, und Bridget trat an das Doppelbett, an dessen Seite Johnnys Großvater Charlie Chino kerzengerade auf einem Holzstuhl saß. In seinem wettergegerbten Gesicht zeichnete sich die Sorge um seine Frau ab. Er blieb stumm, als Bridget näher kam.

Naomi lag auf der Seite, die Augen geschlossen. Ihr langes weißes Haar breitete sich wie ein Schleier über ihren mageren Schultern aus. In den vergangenen fünf Jahren war ihr Gesicht noch zerfurchter geworden. Bridget rechnete kurz nach und kam zu dem Ergebnis, dass Naomi mittlerweile Anfang neunzig sein musste.

Bridget beugte sich über das niedrige Bett und lauschte ihren rasselnden Atemzügen. Es klang nicht gut.

Sie legte die Hand auf Naomis Stirn. „Können Sie mich hören, Mrs. Chino? Naomi?“

Die dünnen Augenlider flatterten, ehe sie ein paar verschleierte braune Augen freigaben. Lange sahen sie Bridget an, bevor ein Funken des Erkennens sie bewegte.

„Bridget.“

Bridget war erleichtert, doch Naomis schwaches Flüstern trieb ihr Tränen in die Augen. Aber sie war Profi genug, um sich nichts anmerken zu lassen. Diese Frau hatte ihr einmal sehr viel bedeutet, und all die Jahre hatte Bridget nicht vergessen, wie vertraut ihr Verhältnis gewesen war.

„Ja, ich bin’s, Naomi. Ich will Ihnen helfen, wieder gesund zu werden. Einverstanden?“

Naomi zog eine knochige Hand unter der Bettdecke hervor und tastete nach Bridget. Ihr Griff war nicht so schwach, wie Bridget befürchtet hatte.

„Ja. Es wird mir wieder besser gehen.“

Bridget richtete sich auf, um ihre Tasche zu holen, und erschrak, als sie merkte, dass Johnny direkt hinter ihr stand. Sie hatte ihn noch beim Fenster vermutet. Aber er hatte schon immer die Fähigkeit besessen, sich geräuschlos zu bewegen.

Bridget zwang sich, ihm in die Augen zu schauen. „Hat sie Husten?“

„Ein bisschen.“

„Gibt es sonst irgendwelche Probleme, die ich kennen sollte?“

„Großmutter ist dreiundneunzig“, gab er zu bedenken, als beantwortete das ihre Frage.

„Klar. Nimmt sie irgendwelche Medikamente?“

Johnny wechselte einen Blick mit seinem Großvater und sprach mit ihm in seiner Sprache. Der alte Mann schüttelte nur den Kopf.

„Nein“, übersetzte Johnny überflüssigerweise.

„Gut.“ Bridget begann mit ihren Untersuchungen. Sie maß den Blutdruck, nahm den Puls und setzte das Stethoskop an. Beim Einatmen war ein rasselndes Geräusch in Naomis Lungen zu hören. Ihr Herzschlag war ziemlich schwach, und sie hatte erhöhte Temperatur. Das alles deutete auf eine beginnende Lungenentzündung hin.

Am liebsten hätte Bridget Naomi in ein Krankenhaus eingewiesen. Aber da sie sich schon Johnnys Vorschlag widersetzt hatte, glaubte sie nicht, dass Naomi auf ihren Ratschlag hören würde. Also holte Bridget eine Flasche aus ihrem Arztkoffer und zog eine Spritze auf.

„Was hat sie denn?“, wollte Johnny wissen.

Während sie Naomi untersucht hatte, war Bridget sich seiner Anwesenheit mehr bewusst gewesen, als ihr lieb war. Er hatte jede ihrer Bewegungen mit Argusaugen beobachtet. Wollte er sichergehen, dass sie seine Großmutter so rücksichtsvoll wie möglich behandelte? Oder sehnte er sich noch immer nach ihr – genau so, wie Bridget sich all die Jahre nach ihm gesehnt hatte? Darüber will ich jetzt lieber nicht nachdenken, sagte sie sich.

„Sieht nach schwerer Grippe aus, mit Tendenz zur Lungenentzündung. Warst du in letzter Zeit krank? Dein Großvater? Hatte sie Kontakt mit jemandem, der erkältet war?“

„Nein. Vergangene Woche hat sie auf dem Bauernmarkt gearbeitet – hat ihrer Freundin beim Kürbisverkauf geholfen. Vielleicht hat sie sich dort etwas eingefangen.“

Bridget nickte und verkniff sich die Frage, ob die Chinos gegen Grippe geimpft waren. Sie lebten immer noch wie vor fünfzig Jahren. Gesundheitsvorsorge gehörte nicht zu den Prioritäten in ihrem Leben.

Nachdem Bridget ihr die Spritze mit den Antibiotika in die Hüfte gesetzt hatte, stopfte sie die Decke unter Naomis Körper und warf Johnny einen Blick zu. „Ist das Wasserglas auf dem Nachttisch von deiner Großmutter? Sie muss ein paar Tabletten schlucken.“

„Ja. Ich hole frisches Wasser“, erbot er sich.

Nach einer Minute kehrte er mit dem gefüllten Glas zurück. Bridget hob Naomis Kopf und hielt ihr das Glas an die Lippen. Die Tabletten sollten fiebersenkend und schleimlösend wirken.

„Damit wird es Ihnen bald besser gehen, Naomi.“

Vorsichtig bettete sie das weiße Haupt der Frau auf das Kissen. Naomi nickte schläfrig. Bridget verließ das Zimmer und bedeutete Johnny, ihr ins Nebenzimmer zu folgen. Der besorgte Blick, mit dem er seine Großmutter bedachte, versetzte ihr einen Stich ins Herz. Schließlich war Naomi die einzige Mutter, die er jemals gehabt hatte.

„Im Krankenhaus wäre sie besser aufgehoben, Johnny. Warum will sie nicht ins Apache-Krankenhaus in Mescalero gehen?“

„Sie möchte in ihrem eigenen Bett sterben“, antwortete er düster. „Sie lässt nicht jeden an sich heran.“

Bridget stieß einen tiefen Seufzer aus. Das Apache-Krankenhaus hatte einen ausgezeichneten Ruf. Warum sollte Naomi sich den Diensten ihres eigenen Stammes verweigern? Leider hatte sie noch nie viel von den „modernen“ Behandlungsmethoden gehalten. Doch warum hatte sie sich dann von Bridget untersuchen lassen?

„Schön, dass sie mir so sehr vertraut, dass ich sie behandeln darf.“

Er betrachtete sie mit seinen dunklen Augen, und obwohl sie die Erinnerungen nicht zulassen wollte, musste sie auf einmal daran denken, wie er mit den Händen durch ihre kupferroten Locken gefahren war und sie leidenschaftlich geküsst hatte. Kein Mann hatte sie jemals so angefasst. Und sie bezweifelte, dass ein anderer es noch einmal so tun würde.

„Wird sie wieder gesund werden?“

Unwillkürlich musste sie blinzeln, als Johnny sie mit seiner Frage aus ihren sinnlichen Träumen riss. „Ich denke schon. Aber in dem Alter weiß man nie.“ Obwohl es im Haus kühl war, wurden Bridgets Wangen ganz heiß. „Können … können wir das Gespräch in der Küche fortführen? Ein Kaffee wäre jetzt nicht schlecht.“

Er ließ sie vorgehen Richtung Küche. Bridget straffte die Schultern und zwängte sich im schmalen Flur an ihm vorbei.

Ein kleiner Kiefernholztisch mit zwei passenden Stühlen, die deutliche Gebrauchsspuren aufwiesen, nahm eine ganze Wand der Küche ein. Eine nackte Glühbirne über der Spüle war die einzige Lichtquelle. Bridget knöpfte den Mantel auf. Sofort war er hinter ihr und half ihr beim Ausziehen.

„Danke“, murmelte sie.

Während sie sich auf einen Stuhl sinken ließ, hängte er den Mantel an einen Garderobenständer neben der Haustür, an dem bereits eine Jeansjacke mit Schaffellkragen hing. Zurück in der Küche, trat er an den Gasherd und entzündete eine Flamme, auf der eine Kaffeekanne stand. „Der Kaffee ist vom Mittagessen übrig geblieben. Ziemlich stark.“

„Prima. Stark kann ich gut gebrauchen.“

Als er sich wieder zu ihr umdrehte, fragte sie sich unwillkürlich, wie sie in ihrem smaragdgrünen trägerlosen Plisseekleid wohl auf ihn wirken mochte. Sie war direkt von Conalls Hochzeitsempfang zu ihm gefahren, ohne sich vorher umzuziehen. Zu allem Überfluss trug sie auch noch Brillanten an einer Kette, an den Ohren und im Haar; und ihre hochhackigen Schuhe passten farblich zu ihrem Kleid. Sie musste ihm vorkommen wie von einem anderen Stern, und es widerstrebte ihr, dass dieses unverhoffte Wiedersehen sie in einem Licht erscheinen ließ, das nichts mit ihrem Alltag zu tun hatte.

Als er schwieg, fühlte sie sich zu einer Erklärung genötigt. „Ich … Als du angerufen hast, war ich gerade auf der Hochzeitsfeier meines Bruders Conall. Ich wollte keine Zeit verlieren und habe mich nicht umgezogen. Deshalb habe ich … das hier noch an.“

„Tut mir leid, wenn ich dir den Abend verdorben habe. Das war nicht meine Absicht.“

Er war von brutaler Ehrlichkeit. Wahrscheinlich wäre es ihm leichter gefallen, eine Rolle Stacheldraht zu essen, als sie um Hilfe zu bitten. Nicht, dass er sie nicht mochte oder vielleicht sogar einen Groll auf sie hegte. Das Ende ihrer Beziehung war sehr viel komplizierter gewesen. Sie hatten sich nicht gestritten, hatten einander keine bösen Worte an den Kopf geworfen. Sie hatten sich genauso getrennt, wie sie zueinandergefunden hatten: mit Liebe.

„Ich habe mich nicht beklagt“, verteidigte sie sich. „Es war nur eine Erklärung.“

„Nicht nötig.“

Er konzentrierte sich wieder auf die Kaffeekanne, während Bridget die Augen schloss. Natürlich war sie ihm keine Erklärung schuldig. Was sie trug oder womit sie beschäftigt war, war ausschließlich ihre Sache.

Johnny nahm zwei Tassen aus dem Schrank, füllte sie mit der schwarzen, intensiv duftenden Flüssigkeit und trug sie an den Tisch. Aus dem Kühlschrank holte er eine Dose Milch.

Als er sie vor sie hinstellte, lächelte sie flüchtig. „Danke, dass du dich daran erinnerst.“

Johnny hätte ihr erzählen können, dass die Milch nicht das Einzige war, an das er sich im Zusammenhang mit ihr erinnerte. Die Erinnerungen waren geradezu wie eine Welle über ihn hereingebrochen, als sie vor ihm stand. Lieber hätte er sich ein Taschenmesser in die Brust gerammt, als sie anzurufen. Aber sie war die einzige Ärztin, die seine Großmutter akzeptierte. Und da Naomis Zustand von Tag zu Tag schlimmer zu werden schien, war ihm keine andere Wahl geblieben, als Bridget um Hilfe zu bitten. Als er sie nun saß, fühlte er sich ganz krank vor lauter Gewissensbissen – und vor Begierde.

In den vergangenen Jahren hatte er es ganz gut geschafft, ihr aus dem Weg zu gehen. Einladungen gemeinsamer Freunde und Bekannte hatte er regelmäßig abgelehnt, weil er sie möglicherweise dort getroffen hätte. Im Übrigen ging er nur selten aus, und auch sonst gab es kaum Berührungspunkte zwischen ihm und den Kreisen, in denen die wohlhabenden Donovans zu verkehren pflegten.

Er zog einen Stuhl unter dem Tisch hervor und setzte sich Bridget gegenüber. „Was kann ich für Großmutter tun?“

Sie goss ein wenig Milch in ihren Kaffee und rührte ihn mit dem Löffel um, den er in ihre Tasse gestellt hatte. „Sieh zu, dass es im Zimmer wärmer wird und dass sie möglichst viel trinkt. Hühnerbrühe, Fruchtsäfte, meinetwegen auch Kraftdrinks. Sie hat in letzter Zeit weder viel getrunken noch gegessen, stimmt’s?“

„Mhm. Nur ein bisschen Ziegenmilch. Das war alles, was sie wollte.“ Johnnys Blick blieb auf Bridgets schönem Gesicht haften. Sie sah noch immer atemberaubend aus. Ihre Augen waren grün wie eine Bergwiese, mit schmalen halbmondförmigen Brauen und langen Wimpern, im Ton ein wenig dunkler als ihr kupferfarbenes Haar. Auf ihre helle Gesichtshaut hatten sich ein paar blasse Sommersprossen verirrt; die meisten saßen auf ihrer Stupsnase. Volle, himbeerfarbene Lippen mit nach oben zeigenden, stets zum Lächeln bereiten Mundwinkeln vervollständigten das Bild.

Die Lippen, die Sommersprossen, die seidenweiche Haut – das alles hatte Johnny mit seinem Mund berührt. Daran musste er jetzt denken. Aber auch: Nicht oft genug. Bei Weitem nicht oft genug.

„Das ist auch in Ordnung“, sagte Bridget gerade. „Alles ist gut, was ihr Flüssigkeit zuführt und sie stärkt. Trotzdem muss sie noch ein paar Medikamente mehr nehmen. Morgen früh besorge ich die und bringe sie vorbei.“

Er zuckte zusammen, denn er war nicht darauf vorbereitet, sie nach dem heutigen Abend noch einmal wiederzusehen. Sie sollte seine Großmutter untersuchen und ihr Medizin verschreiben. Er wusste nicht, ob er es ertragen konnte, sie öfter um sich zu haben.

Hier geht es nicht um deine Gefühle, Johnny. Sondern um deine kranke Großmutter und das, was gut für sie ist!

„Schreib das Rezept auf; ich besorg die Medikamente dann“, erbot er sich.

Sie schüttelte den Kopf. „Das wäre doch reine Zeitverschwendung für dich. Ich muss sowieso noch mal kommen.“

„Warum?“

Sie zog die Augenbrauen hoch. Offenbar fand sie seine Frage dumm. Vielleicht war sie das auch. Aber ihre Nähe setzte ihm einfach zu sehr zu. Wie lange konnte er das noch ertragen, ohne …?

„Ich glaube, du verstehst den Ernst der Lage nicht“, unterbrach sie seine Gedanken. „Deine Großmutter braucht regelmäßige Infusionen, und sie muss kontrolliert werden. Außerdem muss ich sichergehen, dass ihre Lunge über Nacht nicht schlimmer geworden ist.“

Sie klang jetzt sehr sachlich, und darüber war er froh. Ihr Tonfall vertrieb seine letzten Erinnerungen an jene Tage, als der sanfte Klang ihrer Stimme ihn mal erregt und mal besänftigt hatte.

Er holte tief Luft. „Und was ist, wenn es schlimmer wird?“

Sie rieb sich über die Stirn. „Genau das will ich ja verhindern. Falls sich ihr Zustand aber verschlimmert, wirst du oder dein Großvater sie davon überzeugen müssen, dass es das Beste für sie ist, ins Krankenhaus zu gehen.“

Großmutter ist schon ein Dickkopf, dachte Johnny. Sie hatte ihre eigenen festen Vorstellungen vom Leben und davon, wie sie es leben wollte. Wenn sie davon überzeugt war, dass der große Manitu sie zu sich rief, würde sie ihren irdischen Überlebenskampf aufgeben.

„Meine Großeltern haben nicht viel Geld. Aber was auch immer du in Rechnung stellst – ich werde dafür sorgen, dass du bezahlt wirst.“

Fast empört stellte sie ihre Tasse auf den Tisch. „Ich bin nicht wegen des Geldes hier“, antwortete sie steif. „Bestimmt nicht deswegen.“

„Ich erwarte keinen Gefallen von dir.“

„Nein.“ Sie klang traurig. „Du hast nie etwas von mir erwartet, stimmt’s?“

Plötzlich hatte er einen Kloß im Hals. Er schluckte hart. „Ich habe schon genug von dir bekommen, Bridget.“

Statt zu antworten, streckte sie den Arm aus und legte die Hand auf seine. Ihre Berührung machte seltsame Dinge mit ihm. Auf einmal schien es im Zimmer dunkler zu werden, und er hatte Schmetterlinge im Bauch. Am liebsten hätte er ihre Hand genommen und an seine Lippen gedrückt. Wäre um den Tisch herumgegangen, hätte sie vom Stuhl gezogen und ganz fest in die Arme genommen.

Aber das ließ er besser sein. Sie war ein Luxus, den er sich ohnehin nicht leisten konnte. Eine Sünde, die er nicht begehen durfte. Nicht noch einmal. Sie lebte in ihrer eigenen Welt. Nicht in seiner. Aber er brüskierte sie nicht, indem er ihr seine Hand entzog. Stattdessen genoss er die süße Qual, bis sie sich räusperte und ihrerseits die Hand zurückzog.

Er vermied es, ihr in die Augen zu schauen, während sie ihre Tasse leerte und sich erhob.

„Mehr kann ich im Moment nicht tun“, sagte sie. „Aber morgen früh bringe ich die Medikamente vorbei, die sie braucht.“

„Okay. Ich begleite dich zum Wagen.“

„Nicht nötig.“

„Die Hunde kennen dich nicht“, wandte er ein.

Im Hinausgehen meinte sie: „Wenn ich Naomi wieder auf die Füße gebracht habe, werden mir die Hunde aus der Hand fressen.“

Und was werde ich tun? überlegte Johnny. Vergessen, dass ich ein Ehrenmann bin? Vergessen, dass ich mir geschworen habe, sie nie wieder zu berühren? Zum Wohle seiner Großmutter würde er seine Gefühle ignorieren und Bridget höflich, aber zurückhaltend begegnen.

Doch als er sie nun zu ihrem Wagen begleitete, spürte er, dass es mit seiner Zurückhaltung nicht weit her war. Am liebsten hätte er sie in die Arme genommen und geküsst, an einen dunklen, einsamen Ort getragen und sie so leidenschaftlich geliebt, als hätten sie sich nie getrennt.

Zurückhaltung? Um Himmels willen, es müsste schon ein Wunder geschehen, wenn er sich bei ihr zurückhalten sollte. Aber er musste es tun, denn als er sie zum ersten Mal hatte gehen lassen, war ihm fast das Herz gebrochen. Und das wollte er nicht noch einmal erleben … Deshalb musste er sich nun zusammenreißen, auch wenn es ihn seine ganze Kraft kostete. Sie ein zweites Mal zu verlieren würde ihn vollkommen zerstören.

2. KAPITEL

„Bridget? Bist du da?“

Wie durch einen Nebel hörte Bridget die Stimme ihrer Schwester. Sie öffnete die Augen und blinzelte in das Licht der Morgensonne, die in ihr Büro schien.

Langsam setzte sie sich auf und stellte die Füße auf den Boden. „Komm rein“, rief sie schlaftrunken.

Während sie sich noch die Haare aus dem Gesicht strich, kam Maura mit einem Becher dampfenden Kaffees herein. Ihre ältere Schwester trug grellbunte Gummihandschuhe und ein breites Lächeln im Gesicht, als hätte ihr die Feier, die bis in den frühen Morgen gegangen war, überhaupt nichts ausgemacht.

Bridget staunte oft darüber, dass Maura immer noch so jung und wunderschön aussah und voller Elan war. Sie arbeitete als Stationsschwester in derselben Klinik wie Bridget. Neben der Arbeit kümmerte Maura sich hingebungsvoll um Quint, ihren Mann, und ihre zwei Jungen, Riley und Clancy, beide noch keine drei Jahre alt.

„Himmel, du siehst ja schrecklich aus!“, rief Maura. „Trink mal einen Kaffee. In einer Stunde kommen die ersten Patienten.“

Stöhnend fuhr Bridget sich mit den Händen durchs Gesicht. „Ist Janna schon hier?“

„Gerade gekommen. Warum?“

„Ich muss ein paar Termine verschieben. Sag ihr bitte, dass ich mich heute Nachmittag um die dringendsten Fälle kümmern werde. Die anderen Patienten müssen über die Woche verteilt werden.“

„Was ist denn passiert?“

Sie erhob sich von der Couch, nahm ihrer Schwester den Becher aus der Hand und trank ein paar Schlucke, ehe sie antwortete. „Ein Notfall. Johnny Chinos Großmutter ist sehr krank. Ich muss gleich zurück ins Reservat, um nach ihr zu schauen.“

Maura runzelte die Stirn. „Warst du deswegen gestern Abend auf einmal verschwunden? Brady hat uns erzählt, dass du einen Anruf bekommen hast, aber er wusste nicht von wem.“

„Das stimmt.“

„Aber warum hat man dich gerufen? Im Reservat gibt es doch ein Krankenhaus.“

Bridget vermied es, ihrer Schwester ins Gesicht zu sehen, als sie antwortete. Maura wusste nicht, dass sie eine Affäre mit Johnny Chino gehabt hatte – ebenso wenig wie der Rest der Familie.

„Naomi Chino ist dreiundneunzig Jahre alt und weigert sich, ins Krankenhaus zu gehen. Sie … hat nach mir gefragt. Da konnte ich natürlich nicht Nein sagen.“

„Hm. Vermutlich solltest du dich geehrt fühlen, dass sie dich wollte anstatt eines Arztes von ihrem eigenen Stamm. Aber wieso? Bist du ihr schon mal begegnet?“

„Vor ein paar Jahren.“ Bridget zog die Haarnadeln aus ihrer Frisur, sodass ihr die roten Locken über die Schultern fielen. „Ich bin auf einigen Veranstaltungen im Reservat gewesen … und da haben wir ein paarmal miteinander geredet. Vermutlich ist sie aber auf mich gekommen, weil Brady schon ewig mit Johnny befreundet ist.“

„Richtig. Die zwei sind ja wie Brüder, seit sie im Kindergarten waren.“

Bridget lächelte verstohlen. Es war ihr unmöglich, sich Johnny als Fünfjährigen vorzustellen. Für sie war er immer der große, dunkelhäutige Krieger gewesen; ein Mann, der ihr Herz schneller schlagen ließ und für unruhige Träume sorgte. Maura wäre schockiert, wenn sie das wüsste, dachte Bridget. Was würde ihre Schwester denken, wenn sie ihr gestand, dass sie den Apachen geliebt hatte – und immer noch liebte? Das hatte sie sich oft gefragt – aber niemals ausgesprochen.

„Was fehlt Mrs. Chino denn?“

Bridget ging zu ihrem Schreibtisch und suchte in einer Schublade nach einer Bürste. „Sie hat Anzeichen für eine schwere Grippe und beginnende Lungenentzündung.“ Sie fand die Bürste und fuhr sich damit durchs Haar. „Wie war die Party denn noch so? Conall und Vanessa scheinen sehr glücklich zu sein, findest du nicht auch?“

„Sie leuchten wie zwei Neonröhren“, stimmte Maura ihr zu. „Alle schienen sich sehr amüsiert zu haben.“

„Wenigstens konnte ich ein paar Stunden mitfeiern.“ Bridget band ihr Haar zu einem Knoten und steckte eine Nadel hinein. „Ich springe jetzt mal unter die Dusche. Sagst du Janna Bescheid?“

„Ja, klar.“

Maura verschwand, und Bridget duschte rasch in dem kleinen Badezimmer, das die Klinik ihrer Abteilung zur Verfügung stellte. Sie trocknete sich ab und schlüpfte in eine graue Hose, einen schwarzen Rollkragenpullover und Stiefel. Im Hinausgehen griff sie nach ihrer roten Wolljacke und verließ das Krankenhaus durch den Hinterausgang.

Die Medikamente für Naomi hatte sie aus Klinikbeständen in ihre Tasche gepackt, sodass sie auf dem Weg zum Reservat nicht an einer Apotheke vorbeifahren musste. Sollte Johnny fragen, warum die Arzneimittel kostenlos waren, würde sie ihm sagen, dass es sich um unverkäufliche Probepackungen handelte. Johnnys Großeltern waren stolze Menschen, die nichts geschenkt haben wollten.

Während der Fahrt überlegte Bridget, welche Therapie für Naomi die Beste wäre, doch immer wieder schweiften ihre Gedanken zu Johnny – zumal ihr sein Gesicht seit dem Aufwachen nicht mehr aus dem Sinn ging.

In den vergangenen Jahren hatte sie nur sporadisch von ihm gehört – meistens durch ihren Bruder Brady. Obwohl sie gerne mehr von ihm erfahren hätte, hütete sie sich, ihn auszufragen. Johnny hatte nicht gewollt, dass irgendjemand über ihre kurze Affäre Bescheid wusste – am allerwenigsten ihr Bruder, und sie hatte seinen Wunsch respektiert. Manchmal hätte sie sich allerdings gern ihrer Mutter, ihren Schwestern oder sogar ihrer Großmutter anvertraut. Vielleicht wären sie schockiert gewesen zu erfahren, dass sie einen Mann liebte, der so ganz anders war als ihre Familie, aber sie hätten sie niemals deswegen verurteilt.

Doch selbst wenn sie darüber geredet hätte – an ihren Problemen hätte es nichts geändert. Deshalb hatte sie fünf Jahre lang gehofft, einem Mann zu begegnen, der die Erinnerung an Johnny auslöschen konnte. Bis jetzt war das noch nicht geschehen. Abgesehen davon rechnete sie auch nicht wirklich damit. Eine Kerzenflamme konnte es niemals mit einem lodernden Feuer aufnehmen.

Als sie vor dem Haus der Chinos parkte, kamen ihr die Hunde entgegengelaufen – dieses Mal mit freudigem Gebell und wedelnden Schwänzen.

Bridget wartete nicht, bis Johnny auf der Terrasse auftauchte. Sofort schnappte sie sich ihren Arztkoffer und eilte zum Haus. Sie wollte gerade an das Fliegengitter klopfen, als die Haustür geöffnet wurde und Charlie Chino vor ihr stand.

„Guten Morgen, Mr Chino.“

Er bedeutete ihr einzutreten. Sie wartete, bis er die Fliegengitter und Tür geschlossen hatte. Charlie Chino war ein hochgewachsener, würdevoller Mann, der sein langes graues Haar zu einem Zopf geflochten hatte. Seit ihrer letzten Begegnung schien er keinen Tag gealtert zu sein.

„Naomi ist wach“, sagte er.

„Sie hat schon nach Ihnen gefragt. Es gab Verhaltensregeln für Ärzte.“ Sie sollten ihren Patienten gegenüber keine Gefühle entwickeln. Aber dass Naomi sich nach ihr erkundigt hatte, versetzte ihr einen Stich ins Herz. „Ich habe ein paar Medikamente mitgebracht.“

Anstatt sie sofort ins Schlafzimmer zu bitten, schaute er sie mit seinem faltigen Gesicht an. „Seitdem Sie hier waren, möchte Naomi wieder gesund werden. Vorher war es ihr egal. Dafür möchte ich Ihnen danken.“

Bridget ergriff seine Hand. „Ich freue mich, wenn ich helfen kann, Mr. Chino. Naomi hat mir immer sehr viel bedeutet. Genau wie Sie. Ich tue alles, was in meiner Macht steht, um sie wieder gesund zu machen.“

Dass Johnny ihr ebenso viel bedeutete, verschwieg sie ihm. Aber wahrscheinlich wusste der alte Mann das ohnehin. Vermutlich hatte er ihr am Abend zuvor ansehen können, was sie für seinen Enkel empfand.

Charlie nickte und bedeutete ihr, ihm zu folgen. Auf dem Weg durch die Küche stellte Bridget zufrieden fest, dass das Haus wärmer war als vergangene Nacht. Johnny hatte ihren Ratschlag also befolgt.

Auf dem Tisch, an dem sie und Johnny Kaffee getrunken hatten, standen die Überreste des Frühstücks. Es erinnerte sie daran, dass sie seit dem Aufwachen noch nichts gegessen hatte.

Wo mag Johnny bloß sein? fragte sie sich. Als ob Charlie Gedanken lesen könnte, sagte er: „Johnny ist in den Supermarkt nach Mescalero gefahren. Er muss gleich zurück sein.“

„Ich fahre erst, wenn ich mit ihm gesprochen habe“, versicherte sie dem alten Mann.

Im Schlafzimmer knipste Bridget die Nachttischlampe an und holte ihre Utensilien aus dem Koffer. Während sie die Blutdruckmanschette um Naomis Arm band, stellte sie erleichtert fest, dass die Augen der alten Frau klarer blickten als in der Nacht zuvor.

„Wie fühlen Sie sich, Naomi?“, fragte Bridget.

Naomi nickte schwach. Bridget kontrollierte den Blutdruck, ehe sie fortfuhr. „Haben Sie Schmerzen?“

Naomi legte die Hand auf ihre Brust und fuhr zum Magen hinunter.

„Haben Sie seit gestern Nacht etwas gegessen oder getrunken?“

„Cider. Und ein bisschen Ziegenmilch.“

Bridget lächelte die Frau an. „Besser als nichts. Sie sollten aber auch etwas essen. Versuchen Sie’s wenigstens.“

Naomi seufzte müde. „Ich versuch’s.“

Bridget maß die Temperatur ihrer Patientin und hörte ihre Lunge ab. Das Ergebnis war kaum anders als beim letzten Mal, aber wahrscheinlich musste Naomi erst ihre Arznei nehmen, bevor sich ihr Zustand verbesserte.

„Ich muss Ihnen jetzt eine Kanüle legen“, erklärte Bridget. Fast rechnete sie damit, dass Naomi sich dagegen sträubte. Umso überraschter war sie, als sie sofort zustimmte.

„Meine Haut ist zäh, Bridget“, warnte sie. „Aber Sie können es ja versuchen.“

Bridget entdeckte einen Haken über dem Bett, an den sie den Infusionsbeutel hängte. „Das könnte jetzt ein bisschen wehtun“, warnte sie, als sie die Kanüle legte. Glücklicherweise hatte sie keine Probleme, eine Vene zu finden, und befestigte die Kanüle mit einem Pflaster.

Bridget musste daran denken, wie Naomi noch vor wenigen Jahren ausgesehen hatte: Ihr volles rundes Gesicht, kräftige Hände und eine glatte Haut hatten gezeigt, dass sie kraftvoll und gesund gewesen war. Mit dreiundvierzig hatte sie ihre Tochter Scarlett bekommen – ein unbezähmbares Kind und ein noch wilderer Teenager. Scarlett hatte den falschen Freundeskreis, war ein paarmal mit dem Gesetz in Konflikt geraten und musste sogar für einige Zeit ins Gefängnis. Dort war ihr Sohn Johnny zur Welt gekommen. Doch mit der Verantwortung für ein Kind war sie vollkommen überfordert. Sie überließ das Baby ihren Eltern und zog nach New Mexico. Vier Jahre später erhielten die Großeltern die Nachricht, dass sie bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen war.

Bridget kannte die Geschichte; Naomi hatte sie ihr zu Beginn ihrer Bekanntschaft erzählt. Aber nicht nur deshalb war ihr die Frau ans Herz gewachsen. Zwischen den beiden herrschte trotz des enormen Altersunterschieds viel Sympathie und Verständnis.

„Bridget, ist irgendetwas nicht in Ordnung?“

Naomis Frage riss sie aus ihren melancholischen Gedanken. Sie zwang sich zu einem Lächeln. „Nein. Alles bestens. Warum fragen Sie?“

„Sie sehen so traurig aus. Steht es so schlimm um mich?“

Vorsichtig bettete Bridget Naomis Hand auf die Decke. „Um Himmels willen, nein! Ich war nur gerade in Gedanken versunken. Über all das, was ich heute noch zu tun habe. Mit Ihnen hat das nichts zu tun. Ich verspreche Ihnen, dass Sie bald wieder auf den Beinen sein werden.“ Aufmerksam betrachtete sie die Frau. „Sie wollen doch wieder gesund werden, oder?“

Naomi schnitt eine Grimasse. „Warum sollte ich das nicht werden wollen?“

Bridget ließ sie nicht aus den Augen. „Ich weiß nicht. Manche Leute verlieren den Lebensmut, wenn sie alt werden. Sie werden zu träge, um zu kämpfen. So dürfen Sie niemals werden.“

Die Frau versuchte ein verächtliches Schnauben und bekam einen Hustenanfall. Als sie wieder zu Atem kam, antwortete sie: „Ich habe für so manche Sache gekämpft. Und ich werde jetzt nicht damit aufhören.“

„Das ist gut“, bestärkte Bridget sie. Nachdem sie ihr erklärt hatte, wie sie ihre verschiedenen Medikamente einzunehmen hatte, riet sie Naomi, ein wenig zu schlafen. Dann wandte sie sich an Charlie, der wie am Abend zuvor auf dem Stuhl Platz genommen hatte und seine Frau nicht aus den Augen ließ. Er wirkte müde und besorgt, aber Bridget beschloss, ihn nicht darauf anzusprechen.

„Ihre Frau sollte ein bisschen schlafen, Mr. Chino. Ich hoffe, dass die Medizin ihr hilft.“

„Das hoffe ich auch“, seufzte er.

Während sie noch die langsam tröpfelnde Infusion betrachtete, hörte sie Geräusche aus der Küche. Sofort begann ihr Herz schneller zu schlagen. Sie beschloss, den Stier bei den Hörnern zu packen.

Als sie die Küche betrat, stellte er gerade eine Tüte mit Lebensmitteln auf die Arbeitsfläche. Er wandte sich zu ihr um, und einen Moment lang sahen sie einander nur schweigend an. Sie betrachtete sein tiefschwarzes Haar, die breiten Schultern und die langen schlanken Beine, die in einer abgewetzten Jeans steckten.

„Guten Morgen“, begrüßte sie ihn.

„Guten Morgen“, echote er.

Sie trat näher und sah ihm zu, wie er eine Flasche Orangensaft, mehrere Energydrinks, Dosensuppen und ein Brot auspackte.

„Wenn du mir gesagt hättest, dass du einkaufen musst, hätte ich dir die Sachen doch mitbringen können“, meinte sie.

„Das kann ich nicht von dir verlangen.“

Sie gehörte nicht zu seiner Welt, und er war nicht bereit, ihr Zutritt zu gewähren. Nach allem, was zwischen ihnen gewesen war, hätte sie seine Einstellung kennen müssen. Dennoch war sie verletzt.

„Nur ja keine Gefälligkeiten annehmen“, murmelte sie. Er musterte sie mit einem scharfen Blick, und sie seufzte frustriert. „Entschuldige. Ich habe noch nicht gefrühstückt. Ich bin ein bisschen gereizt.“

„Wie geht es Großmutter?“

„Da sich ihr Zustand nicht verschlechtert hat, würde ich sagen, sie hält sich ganz gut. Ich habe ihr eine Infusion gelegt und verschiedene andere Medikamente gegeben. Die Infusion wird ein paar Stunden brauchen, bis sie durchgelaufen ist. Ich warte so lange hier.“

Seine Wangenmuskeln verspannten sich. Offenbar passte es ihm nicht, dass sie so lange blieb. Aber er musste sich wohl oder übel damit abfinden.

„Setz dich hin“, sagte er mit einem Blick auf die Lebensmittel. „Ich mache dir was zu essen.“

Sie wollte ihm keine Umstände bereiten. Er sollte nichts für sie tun. Nein. Das stimmte nicht. Eigentlich sollte er alles für sie tun. Zum Beispiel sie in den Arm nehmen und ihr sagen, wie sehr er sie liebte, brauchte und begehrte. Aber da das niemals geschehen würde, musste sie sich wohl mit einem Frühstück begnügen.

„Aber gern.“

Er räumte die Lebensmittel weg, und Bridget versuchte sich zu entspannen. Was ihr in Johnnys Gegenwart gar nicht so leicht fiel. Sie betrachtete seinen Rücken und erinnerte sich an alte Zeiten.

Er war noch männlicher geworden. Muskulöser an Armen und Beinen, breitere, kräftigere Schultern. Perfekt geschnittenes Gesicht, ein feuriger Blick. Ob er wusste, welche Wirkung er auf Frauen ausübte? Selbst wenn er es wusste, hätte er es niemals ausgenutzt. Dazu war er einfach nicht der Typ. Er war weder eitel noch eingebildet. Genau das war es wohl, was sie so attraktiv an ihm gefunden hatte. Und immer noch fand.

Der Kaffee tropfte durch den Filter. Das Aroma vermischte sich mit dem würzigen Duft gebratener Chorizo, und Bridgets Magen begann vernehmlich zu knurren. Am liebsten hätte sie sich sofort eine Tasse Kaffee eingegossen, aber sie wartete, bis er sie bediente.

Er stellte den Gasherd aus, leerte den Inhalt der Pfanne auf einen Teller und stellte ihn zusammen mit einer Tasse Kaffee vor sie auf den Tisch. „Es ist nicht viel, aber besser als nichts.“

„Es ist mehr als genug“, widersprach sie. „Vielen Dank.“

Während er sich selbst eine Tasse Kaffee eingoss, machte Bridget sich über ihr Essen her – Chorizo mit Rühreiern, eingerollt in Tortilla.

„Ich hätte frühstücken sollen, ehe ich hierhergekommen bin“, meinte sie zwischen zwei Bissen. „Aber ich wollte keine Zeit verlieren.“

Der Kaffee war glühend heiß und sehr stark. Vorsichtig nahm sie einen Schluck. Allmählich ließ ihre Müdigkeit nach.

Er setzte sich ihr gegenüber, ohne sie anzuschauen. Stattdessen sah er aus dem Fenster. In gewisser Weise empfand sie es als Erleichterung, nicht beobachtet zu werden. Dennoch irritierte es sie ein wenig, dass er ihren Blick mied.

„Wie ist es denn mit deinem Krankenhausdienst?“, fragte er schließlich. „Machst du um diese Zeit immer Hausbesuche?“

Bridget schaute auf ihre Armbanduhr. „Für gewöhnlich schon. Es sei denn, wir haben einen Notfall in der Klinik. Aber wenn ich nicht da bin, gibt es ja noch die Kollegen. Die Patienten, die ich heute Morgen nicht behandeln kann, kommen zu einem späteren Termin dran. Die dringenden Fälle behandle ich natürlich – notfalls auch am Abend.“

Er verzog die Mundwinkel. Offenbar behagte es ihm nicht, dass sie wegen seiner Familie solche Umstände auf sich nahm. Oder vielleicht empfand er es als unangenehm, dass sie noch immer bereit war, etwas für ihn zu tun.

„Musst du heute Abend noch mal nach Großmutter sehen?“, wollte er wissen.

„Das hängt von dir ab.“

Verblüfft sah er sie an. „Was soll das heißen?“

„Ich rufe dich am Nachmittag an, und du erzählst mir, wie es ihr geht. Aber die reine Wahrheit, verstanden?“

Seine Gesichtszüge wurden hart. „Ich habe dir immer die Wahrheit gesagt. Warum sollte ich es jetzt nicht auch tun?“

Sie sah ihm in die Augen und stellte die Tasse auf den Tisch. „Weil ich glaube, dass du alles tust, um mich von hier fernzuhalten – von dir fernzuhalten.“

Er schlug die Augen nieder. „Nicht, wenn es um meine Großmutter geht“, erwiderte er beiläufig. „Ich möchte, dass sie wieder gesund wird. Meine Gefühle dir gegenüber spielen da keine Rolle.“

Unvermittelt dachte Bridget, sie müsste an den Emotionen, die sich seit der vergangenen Nacht nach ihrem Wiedersehen in ihr aufgestaut hatten, ersticken. „Ich wusste nicht, dass du mir gegenüber noch Gefühle hast“, erwiderte sie mit gepresster Stimme.

„Bridget …“, begann er warnend.

„Du brauchst nicht sauer zu werden, Johnny. Ich verstehe, dass du nicht über uns reden willst.“

Er presste die Lippen zusammen. Dann sagte er: „Es gibt kein uns. Das hat es nie gegeben.“

Bridget überlegte, was sie anstellen musste, um seine wahren Gedanken hinter der düsteren Miene freizulegen.

„Vor einer Sekunde hast du noch gesagt, dass du mich niemals anlügen würdest“, klagte sie. „Aber genau das tust du jetzt.“

Seine Nasenflügel bebten. „Ich lüge nicht. Ja, wir waren zusammen. Aber nicht so wie in der Märchenwelt, wie du sie gerne gehabt hättest.“

Sie griff über den Tisch und umklammerte seine Handgelenke. Überrascht schaute er sie an.

„Ich kann nicht für dich sprechen, Johnny. Aber ich hatte nicht das Gefühl, dass wir uns etwas vorgemacht haben, als wir zusammen waren. Wie du mich berührt, geküsst und geliebt hast … das hat sich sehr real angefühlt.“

Sein Gesicht blieb eine starre Maske, aber in seinen Augen sah sie ein Flackern, an dem sie erkannte, dass ihre Worte ihn getroffen hatten. Vielleicht sogar verletzt.

Hoffentlich nicht das Letztere. Sie wollte diesen Mann nicht verletzen. Am liebsten hätte sie ihn bei den Schultern gepackt und das Geständnis aus ihm herausgeschüttelt, dass die Trennung und der Kontaktabbruch Fehler gewesen waren.

„Warum tust du das?“, platzte es aus ihm heraus. „Es ist fünf Jahre her. Und damals hat es auch aufgehört.“

„Nicht für mich.“

Er presste die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. Ihre Finger umklammerten sein Handgelenk noch fester.

„Närrin“, murmelte er.

Abrupt zog sie die Hand zurück und erhob sich so schnell, dass ihr schwindlig wurde. Sofort war Johnny neben ihr und legte den Arm um ihre Schultern.

„Bemüh dich nicht“, stieß sie hervor. „Ich komme schon klar.“

„Du bist erschöpft.“

„Kein Problem.“

Das Problem bist du.

Eine Weile schwiegen sie beide. Schließlich wanderte sein Blick zu ihren Lippen.

„Weißt du überhaupt, was du mir damit antust?“

Obwohl er fast wisperte, hörte sie die Angst und das Begehren in seiner Stimme.

„Ja“, antwortete sie unverblümt.

Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte sie, dass er seinen Arm fallen lassen und beiseitetreten würde. Doch dann entrang sich ein leises Stöhnen seiner Kehle, und im nächsten Moment spürte sie seine Lippen auf ihrem Mund, und sein warmer Atem fächelte über ihre Wangen.

Eine Woge der Lust brach unvermittelt über sie herein, sodass sie nur noch „Johnny“ flüstern konnte.

Sein Name klang wie ein leiser Seufzer, ein Echo aus ihrer Vergangenheit, und dann trafen sich ihre Lippen wieder, begierig und leidenschaftlich, und ihre Zungen spielten miteinander. Bridget genoss seine ungestüme, fordernde Art, seine dominante Männlichkeit.

Unversehens füllten sich die Jahre der Leere und ungestillten Sehnsüchte. Sie schmiegte sich näher an ihn und schlang die Arme um seinen Hals. Doch gerade, als sie sich von der Leidenschaft forttragen lassen wollte, als die Flamme zwischen ihren Beinen ihren ganzen Körper in Brand zu setzen drohte, löste er sich von ihr und trat einen Schritt zurück.

Mit einem vorwurfsvollen Blick fragte er sie heiser: „Bist du jetzt glücklich? Zu wissen, dass du immer noch Macht über mich hast?“

Verdattert schaute sie ihn an. „Macht?“, flüsterte sie ungläubig. „Glaubst du wirklich, dass es darum geht?“

„Wie soll ich es denn sonst beschreiben? Du bist hergekommen, um mich zu reizen.“

Fast schnappte sie nach Luft. „Ich bin nicht hergekommen, um dich zu reizen. Du hast mich gebeten zu kommen. Schon vergessen?“

Abgesehen von einem Zucken in seinem Wangenmuskel blieb sein Gesicht eine steinerne Maske. „Nein, habe ich nicht. Und ich bereue es auch schon.“

Seine Antwort war wie ein Schlag in die Magengrube, und sie spürte den Schmerz noch, nachdem er auf dem Absatz kehrtgemacht und die Küche verlassen hatte.

Kurz darauf hörte sie, wie die Haustür ins Schloss fiel. Das Echo klang ihr dumpf in den Ohren nach.

Ihn reizen? Ja, vielleicht hatte sie das insgeheim gewollt. Vielleicht hatte sie ausprobieren wollen, ob da noch ein Funke zwischen ihnen glomm – ein Rest des Begehrens aus ihrer gemeinsamen Vergangenheit.

Benommen fuhr sie sich über die geschwollenen Lippen. Sein leidenschaftlicher Kuss hatte ihr die Antwort gegeben. In fünf Jahren hatte sich nichts geändert. Vielleicht begehrte er sie immer noch, aber er wollte sie nicht haben.

Wie konnte sie den Abgrund zwischen ihnen beiden überwinden? Bridget hatte keine Ahnung. Doch einer Sache war sie sich sicher: Inzwischen war sie älter und klüger und viel stärker als die Frau, die er vor fünf Jahren weggeschickt hatte. Dieses Mal würde er merken, dass es nicht mehr so leicht war, sie aus seinem Leben auszuschließen.

3. KAPITEL

Hals über Kopf hatte Johnny das Haus verlassen und war, verfolgt von Rowdy, einem seiner Hunde, in den Wald gejoggt. Schwer atmend blieb er auf einer Anhöhe stehen. Jetzt erst merkte er, dass er keine Jacke angezogen hatte. Aber ihm war ohnehin warm – nicht nur vom Laufen, sondern auch von Bridgets Kuss.

Verdammt! Wie hatte er sich nur so idiotisch verhalten können? Er war ja geradezu Wachs in ihren Händen! Dabei hatte er gehofft, dass das Feuer mit den Jahren Glut oder besser noch Asche geworden war.

So konnte man sich täuschen!

Was musste sie von ihm denken? Dass er sie immer noch liebte und begehrte?

Himmel, Johnny, das wusste sie doch schon. Dafür hättest du sie nicht wieder in den Arm nehmen und küssen müssen.

Ratlos fuhr er sich mit den Händen durchs Gesicht. Vielleicht musste er so alt werden wie sein Großvater, um sich Bridget aus dem Kopf schlagen zu können. Dann würde sein Körper endlich nicht mehr auf ihre Reize reagieren.

Dabei hatte er niemals vorgehabt, sich mit ihr einzulassen. Obwohl er als Kind mit Brady Donovan befreundet gewesen war, hatte er sich niemals dessen gesellschaftlichen Kreisen zugehörig gefühlt. Und nie wäre ihm der Gedanke gekommen, Bridget zu verführen. Abgesehen davon hatte er kaum ein Wort mit ihr gewechselt.

Sie gehörte zu jenen Personen, von denen arme Apachen nur träumen konnten. Und Johnny war niemals ein Träumer gewesen. Selbst als Teenager hatte er gewusst, was er vom Leben erwarten konnte. Bridget gehörte nicht dazu.

Doch dann, nach seinem Armeedienst, war er ihr am See begegnet, in dem er und Brady oft schwimmen gewesen waren. Bridget hatte sich in eine Hütte am Ufer zurückgezogen, um sich vom Examensstress zu erholen. Sie hatte ihn auf einen Kaffee eingeladen. Zuerst hatte Johnny daran gedacht, so schnell wie möglich zu verschwinden, und sich sogar dafür entschuldigt, dass er sie gestört hatte, aber sie hatte die Hand auf seinen Arm gelegt und ihn zum Bleiben überredet.

Dreißig Minuten war er ganz bezaubert von ihrem Lächeln, von ihrer sanften Stimme und dem Funkeln in ihren grünen Augen. Und nachdem die Sonne untergegangen war und Dunkelheit sich über die Wälder gelegt hatte, hatte sie ihn eingeladen, die Nacht mit ihr in der Hütte zu verbringen.

Johnny hatte nicht im Traum daran gedacht, mit ihr zu schlafen, aber sie hatte es ebenso sehr gewollt wie insgeheim auch er selbst. Daher hatte er sich auch nicht lange gewehrt, als es dazu gekommen war.

Nach drei Tagen waren sie wieder nach Hause gefahren, jeder zu sich, aber sie waren auf den Geschmack gekommen, und kurz darauf hatte Bridget ihn im Reservat besucht. Die beginnende heiße Liebesaffäre änderte Johnnys Leben von Grund auf. Er fing an, von einem Leben außerhalb des Reservats zu träumen. Ihre Liebe half ihm, die schrecklichen Ereignisse seines Militärdienstes – er war im Irak gewesen – zu vergessen. Und dank ihrer Liebe hatte er es geschafft, die Traumata in den Griff zu bekommen, die er von der Front mit nach Hause gebracht hatte. Er war ein ausgelaugter Soldat gewesen, und die Beziehung mit Bridget bedeutete für ihn auch eine Rückkehr in eine friedliche Welt. Er begann sogar über die Möglichkeiten eines gemeinsamen Lebens nachzudenken. Er hatte sogar schon überlegt, ihr einen Heiratsantrag zu machen und sie zu bitten, ihrer Familie von ihrer Beziehung zu erzählen, als ihm ein sogenannter Freund einen gewaltigen Strich durch die Rechnung machte.

Für Johnny war George Barefoot nie mehr als ein flüchtiger Bekannter gewesen, obwohl er im Reservat lebte, mit Scarlett, Johnnys Mutter, in die Highschool gegangen war und behauptete, einer ihrer engsten Freunde gewesen zu sein. Viele hielten ihn für faul und nur darauf erpicht, möglichst schnell und ohne großen Aufwand an Geld zu kommen. Johnny war dem Mann am liebsten aus dem Weg gegangen. Eines Tages hatte er ihn in Mescalero getroffen, und ehe er wusste, wie ihm geschah, hatte George ihn in eine Bar geschleppt.

Bei einem Bier hatte George ihm dann mitgeteilt, dass es da etwas in der Familie des reichen Mädchens gab, das er, Johnny, wissen müsste. Johnny hatte eigentlich gar keine Lust, sich Geschichten über die Donovans anzuhören. Das meiste basierte ohnehin nur auf Gerüchte, aber dann brachte George plötzlich Scarletts Namen in die Unterhaltung, und Johnny spitzte die Ohren.

Als Johnny nach dreißig Minuten die Bar verließ, war ihm total übel – was nicht an dem billigen Bier lag. Er hatte Georges unerhörte Geschichte erst gar nicht glauben wollen. Doch dann hatte er seinen Großvater zur Rede gestellt. Da spätestens war die ganze Wahrheit ans Licht gekommen. Zögernd hatte ihm sein Großvater erzählt, dass Scarlett für die Donovans gearbeitet hatte – die Ställe ausgemistet und andere Farmarbeiten erledigt –, als sie mit Johnny schwanger wurde. Im Laufe der Schwangerschaft hatte sie ihr Kind Doyle und Fiona zur Adoption angeboten. Sie wollte, dass die Donovans Johnny wie ihren eigenen Sohn großzogen! Ihre Großeltern fanden die Vorstellung äußerst demütigend und verlangten von Scarlett, sich den Gedanken aus dem Kopf zu schlagen. Scarlett war wütend – und machte tatsächlich die Donovans dafür verantwortlich, dass sie ihren Plan nicht umsetzen konnte. Sie kündigte ihre Stelle und ging sogar so weit, aus lauter Rache bei Nacht und Nebel auf die Farm zurückzukehren und einen Stall in Brand zu setzen, in denen die wertvollen Zuchtstuten standen. Glücklicherweise hatte Doyle das Feuer entdeckt und einen größeren Schaden verhindern können. Aber für Johnny war der Name Chino für immer geschändet – vor allem im Zusammenhang mit den Donovans. Im Nachhinein war ihm klar, dass Scarlett gar nicht die Erlaubnis ihrer Eltern gebraucht hatte, um ihren Sohn in andere Hände zu geben – schließlich war sie volljährig. Aber die Donovans hatten die Adoption ohnehin abgelehnt. Und wenn sie Johnny schon nicht als süßes Baby in ihrer Familie haben wollten, wie wahrscheinlich wäre es dann, dass sie ihn jetzt willkommen hießen?

Nach dem Gespräch mit George hatte Johnny die Beziehung mit Bridget sofort beendet. Sie war aus allen Wolken gefallen, denn die Gründe, die er ihr genannt hatte, waren so wirr und unlogisch gewesen, dass sie seine Motive für sein Verhalten überhaupt nicht verstand. Sie und ihre Geschwister wussten offenbar nicht das Geringste von der Geschichte zwischen ihren Eltern und seiner Mutter, und Johnny fand es zu demütigend, mit ihr darüber zu reden. Er hatte George sogar mit Prügeln gedroht, sollte er irgendjemandem etwas davon erzählen.

Bridget gegenüber hatte er behauptet, sie beide seien zu unterschiedlich, um jemals miteinander glücklich werden zu können. Sie hatte das Argument jedoch nicht gelten lassen. Er hatte doch von Anfang an gewusst, dass sie aus unterschiedlichen Welten kamen. Was also war anders geworden? Die Antwort auf diese Frage war er ihr schuldig geblieben. Schließlich konnte er ihr schlecht erzählen, dass ihre Eltern ihn schon einmal abgelehnt hatten. Also hatte er sich von ihr getrennt, obwohl sie beteuert hatte, ihn immer zu lieben.

Und nun, fünf Jahre später, musste Johnny zu seinem Entsetzen feststellen, dass er noch immer nicht über die Sache hinweg war. Er liebte und begehrte Bridget nach wie vor – und hatte sich eingeredet, genau das Richtige getan zu haben, als er mit ihr Schluss gemacht hatte. Dass es das Beste für beide gewesen war.

Sein Lügengebäude stand kurz vorm Zusammenbrechen!

Eine kalte Schnauze an seiner Hand riss ihn aus seinen Gedanken und in die Gegenwart zurück. Es war Daisy, die schwarze Colliehündin, die ihm gefolgt war.

„Such Rowdy“, befahl er Daisy. „Wir müssen zurück nach Hause.“

Der Hund schien ihn zu verstehen. Daisy verschwand im Unterholz, und als Johnny sich erhob, hörte er sie bellen. An ihrem Tonfall erkannte er, dass sie ihren Kumpel aufgestöbert hatte. Kurz darauf tauchten die beiden Hunde auf, und zu dritt traten sie den Rückweg an.

Auf halber Strecke klingelte das Handy in seiner Tasche. Stirnrunzelnd zog er das Telefon hervor und schaute aufs Display. Die Nummer war vom Brown Bear, einer Kneipe in Mescalero. Er klappte das Handy auf und hielt es sich ans Ohr.

„Hallo?“

Am anderen Ende meldete sich eine vertraute Stimme. „Johnny, ich bin’s, Rosalinda. Hier sind ein paar Männer, die einen Jagdführer suchen. Ich habe ihnen von dir erzählt, aber deine Nummer noch nicht weitergegeben. Wegen deiner kranken Großmutter wollte ich zuerst mit dir reden.“

„Danke, Rosalinda. Du solltest ihnen besser jemand anders besorgen. Ich kann meine Großeltern im Moment nicht alleinlassen – auch wenn es nur für kurze Zeit ist.“

„Verstehe. Geht’s ihr denn schon besser?“

„So lala.“

„Sag mir Bescheid, wenn ich dir irgendwie helfen kann.“ Sie verabschiedete sich von ihm und beendete das Gespräch.

Nachdenklich steckte Johnny das Handy wieder in die Tasche seiner Jeans und setzte seinen Weg fort. Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte er sich über den Job gefreut. Nicht, dass er diese Hobbyjäger und Freizeitangler sonderlich schätzte. Die meisten Städter hatten keine Ahnung, was sie in der Wildnis erwartete, und stellten sich ziemlich ungeschickt an. Aber da sein Großvater nur eine kleine Rente bezog, konnte Johnny jeden Nebenverdienst gut gebrauchen, um die Haushaltskasse aufzustocken.

Warum gehst du nicht zur Polizei? Leute wie dich können sie dort immer gebrauchen. Du wärst ein guter Sheriff.

Verächtlich verzog Johnny die Lippen, als er an die Worte seines Freundes Brady dachte. Er war nicht der Typ, sich mit Betrunkenen und Dieben und Schlägern auseinanderzusetzen. Dafür fehlten ihm Geduld – und das Verständnis für die menschliche Natur.

Er holte tief Luft und lief weiter. Höchste Zeit, nach Hause zurückzugehen.

Bridget saß im Wohnzimmer der Chinos und telefonierte mit ihrem Krankenhaus, als die Haustür aufging und Johnny eintrat. Er warf ihr nur einen kurzen Blick zu, ehe er weiterlief.

„Das ist prima, Janna. Sobald ich komme, fange ich mit meiner Visite an. Ja, in etwa einer Stunde. Halb sieben oder sieben. Bis später.“

Sie erhob sich, schob das Handy in die Tasche ihrer grauen Hose und ging nach Naomi schauen. Johnny stand neben dem Bett seiner Großmutter. Der liebevolle Blick, mit dem er die alte Frau betrachtete, stand in krassem Gegensatz zu dem, den er Bridget beim Eintreten zugeworfen hatte. Was sie jedoch nicht weiter überraschte. Sie hatte schon immer den Eindruck gehabt, dass er sich dafür hasste, sie zu lieben und zu begehren.

Sie trat an die andere Seite des Bettes. „Ich werde Sie jetzt vom Schlauch befreien, Naomi“, sagte sie, während sie den Infusionsbeutel vom Haken nahm.

„Ist das alles?“, fragte Naomi mit leiser Stimme.

„Für heute ja. Morgen brauchen Sie allerdings noch eine weitere Infusion. Die Kanüle lasse ich im Arm, damit ich Sie morgen nicht schon wieder stechen muss“, erklärte sie. „Sollten Sie Schmerzen bekommen, sagen Sie Johnny Bescheid, ja?“

Naomi nickte und blickte ihren Enkel aus verschleierten Augen an. Statt einer Antwort legte er ihr eine Hand aufs Haar.

Bridget packte ihren Arztkoffer und gab ihrer Patientin letzte Anweisungen für die Medikamente, die sie später am Abend nehmen musste.

„Wann kommen Sie wieder?“, wollte Naomi wissen.

„Morgen. Es sei denn, Sie brauchen mich schon früher.“ Sie legte die Hand auf Naomis Schulter und drückte sie sanft. „Meine Nummer liegt auf Ihrem Nachttisch. Falls irgendetwas sein sollte, kann Johnny mich anrufen. Jederzeit.“

Die alte Frau lächelte schwach. Es ging ihr also tatsächlich schon ein wenig besser.

„Vielen Dank.“

Bridget vergaß ihre professionelle Distanz. Sie beugte sich über die Frau und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. „Es wird Ihnen bald wieder besser gehen“, versprach sie.

Nachdem sie sich von ihr verabschiedet hatte, bedeutete sie Johnny, ihr nach draußen zu folgen. Im Flur bemühte sie sich um einen sachlichen Tonfall, als sie ihn anwies: „Ihre Medikamente stehen auf dem Nachttisch. Sorg dafür, dass sie viel trinkt. Wenn sie ins Bad will, muss einer von euch beiden ihr dabei helfen. Sie ist zu schwach, um allein zu gehen. Und falls etwas ist, ruft mich an. Meine Nummer liegt neben den Medikamenten.“

Mit unbeweglicher Miene schaute er sie an. „Es tut mir leid, dass dein Zeitplan jetzt durcheinanderkommt.“

„Kein Problem. Daran bin ich schließlich gewöhnt. Das gehört zu meinem Beruf. So, ich muss los. Man erwartet mich in der Klinik.“

Ohne auf eine Antwort zu warten, drängte sie sich an ihm vorbei.

„Es … es tut mir leid, was ich in der Küche zu dir gesagt habe. Es war nicht richtig.“ Seine Stimme klang leise und gepresst.

Bridget blieb stehen. „Nein. Das war es nicht“, bestätigte sie.

Er schloss die Augen. Am liebsten hätte Bridget ihre Arzttasche abgestellt und ihn in die Arme genommen.

„Die letzten beiden Tage waren ziemlich anstrengend für mich“, gestand er ihr.

„Ist doch klar. Du liebst deine Großmutter und willst sie nicht verlieren.“

Er sah sie mit einem Blick an, der sie mitten ins Herz traf. „Ich rede von dir“, meinte er beiläufig. „Dass du wieder hier bist. Dass ich dich angefasst habe.“

„Oh“, entgegnete sie leise. Sie musste hart schlucken. „Dann sei froh, dass du nur zwei Tage leiden musstest, Johnny. Bei mir waren es fünf Jahre.“

Ohne auf seine Antwort zu warten, verließ sie das Haus und schlug die Tür hinter sich zu.

Spät am Abend parkte Bridget ihren Jeep vor der Donovan-Ranch. Es war schon nach zehn und sie todmüde. Ihr anstrengender Dienst hatte vor knapp einer Stunde geendet. Sie griff nach hinten und nahm ihren Arztkoffer und ihre Jacke von der Rückbank.

Nach ihrer Visite im Sierra General Hospital hatte sie noch einmal bei den Chinos angerufen und sich nach Naomis Zustand erkundigt. Charlie war ans Telefon gegangen und hatte ihr erzählt, dass Naomi friedlich schlief.

Seufzend ging sie den Weg zum Haus hinauf. Sie hatte das Eingangsportal fast erreicht, als sie Motorengeräusch hörte. Mit einem Blick über die Schulter sah sie Bradys schwarzen Sheriffwagen, den er in der Einfahrt abstellte.

„Bist du auch gerade erst nach Hause gekommen?“, fragte er, als er sie eingeholt hatte und mit einem Kuss auf die Wange begrüßte.

„Zum ersten Mal seit Conalls Hochzeitsparty“, erwiderte sie.

Er legte den Arm um ihre Schultern. „Ich weiß, warum ich nicht Arzt geworden bin“, meinte er.

„Als Hüter des Gesetzes hast du ja einen viel angenehmeren Beruf“, spottete sie. „Du wirst nicht nur rund um die Uhr aus dem Bett geklingelt wie ich, sondern hast zusätzlich noch die Chance, Verkehrsunfälle aufzunehmen, Verbrecher zu jagen und niedergeschossen zu werden. Beneidenswert.“

„Ich wette, dass du öfter zu Notfällen gerufen wirst, Brita.“

Sie wartete, bis er die schwere Holztür aufgeschlossen hatte. „Da magst du recht haben.“ Vor etwa einem Jahr war Brady zum Untersheriff von Lincoln County befördert worden. Mit dem höheren Rang hatte er auch mehr Verantwortung und mehr Arbeit übernommen.

Bis auf einige Stehlampen in der Empfangshalle war es im Haus stockdunkel.

„Wo sind denn alle?“, wunderte Brady sich. „Warum begrüßt uns keiner?“ Er schaute über die breit geschwungene Treppe hinauf, die zu den Schlafzimmern führte.

„Sie sind vernünftig. Alle liegen schon im Bett. Und das werde ich gleich auch tun“, verkündete Bridget.

Sie wollte die Treppe hinaufgehen, aber Brady legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Hast du schon zu Abend gegessen?“

Bridget lächelte müde. „Zu Abend gegessen? Ich habe noch nicht mal zu Mittag gegessen. Das hole ich morgen nach.“

„He, Schwesterherz, ich bin zwar kein Arzt, aber trotzdem weiß ich, dass man manchmal etwas essen muss, um bei Kräften zu bleiben. Komm schon. Ich habe auch noch nichts gegessen. Schauen wir doch mal in der Küche nach, ob wir noch etwas finden.“

Zu müde, um zu protestieren, ließ Bridget sich von ihrem Bruder in die große Küche ziehen. Abgesehen von einer Lampe über dem Herd war der Raum in Dunkelheit geta...

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Stella Bagwell
Eigentlich ist Stella Bagwell gelernte Friseurin, tragischerweise entwickelte sie aber eine Haarspray-Allergie. Schlecht für sie, gut für ihre Leserinnen. Denn so verfolgte Stella ihr kreatives Talent in eine andere Richtung weiter und begann mit viel Enthusiasmus, Romane zu schreiben. Was ganz bescheiden auf einer alten Schreibmaschine begann, entwickelte sich auch...
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Cindy Kirk
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Victoria Pade

Victoria Pade ist Autorin zahlreicher zeitgenössischer Romane aber auch historische und Krimi-Geschichten entflossen ihrer Feder. Dabei lief ihre Karriere zunächst gar nicht so gut an. Als sie das College verließ und ihre erste Tochter bekam, machte sie auch die ersten schriftstellerischen Gehversuche, doch es sollte sieben Jahre dauern, bis ihr...

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