Bianca Exklusiv Band 374

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DAS FÜNFTE RENDEZVOUS von NANCY ROBARDS THOMPSON

„Fünf Dates, dann habe ich die perfekte Frau für dich.“ Anna ist es leid, dass ihr bester Freund Jake immer auf denselben Frauentyp reinfällt – und jedes Mal enttäuscht wird. Er soll endlich glücklich werden! Aber Anna übersieht, dass nur eine die Wahre für ihn ist: sie selbst …

MIT DIR WILL ICH ES WAGEN … von LAURIE PAIGE

Dass er Roni nach ihrem Reitunfall umsorgt, ist Ehrensache für FBI-Agent Adam. Aber er muss sich vor ihren sinnlichen Reizen hüten! Denn so sehr er die zierliche Computerexpertin auch insgeheim begehrt, Adam kann keine ernsthafte Beziehung eingehen – sein Job ist viel zu riskant … 

HOFFNUNG AUF EIN ZWEITES GLÜCK? von AMY WOODS

Vor Jahren hat sie ihn einmal geküsst! Jetzt steht Katie wieder vor Ryan Ford wie ein verliebter Teenager. Und als der attraktive Architekt sie bei Mondschein in die Arme nimmt, dreht sich Katies Welt vor Glück … bis sie erfährt: Ryan ist schuld daran, dass ihr gekündigt wurde!


  • Erscheinungstag 27.04.2024
  • Bandnummer 374
  • ISBN / Artikelnummer 0852240374
  • Seitenanzahl 448

Leseprobe

Nancy Robards Thompson, Laurie Paige, Amy Woods

BIANCA EXKLUSIV BAND 374

1. KAPITEL

Anna Adams parkte ihren gelben VW-Käfer in der Einfahrt zu Jake Lennox’ Haus. Dann schnappte sie sich ihren MP3-Player, schaute nach, ob das Gerät aufgeladen war, und stieg aus dem Wagen.

Immerhin hatte sie einen wichtigen Einsatz vor sich, und dabei spielte Musik – und vor allem die richtige Songauswahl – eine entscheidende Rolle. Sie wollte ihren allerbesten Freund Jake aus seinem Unglück erlösen … oder zumindest dafür sorgen, dass er nicht völlig in seinem Leid ertrank.

Jakes Freundin Dorenda hatte ihm gerade den Laufpass gegeben. Dieses Gerücht hatte sich heute Morgen wie ein Lauffeuer im Celebration Memorial Hospital verbreitet, dem Krankenhaus, in dem Anna und Jake beide arbeiteten. Normalerweise wäre Anna ziemlich angefressen gewesen, weil sie erst durch den Klatsch und Tratsch im Schwesternzimmer davon erfahren hatte. Aber in diesem Fall war das durchaus nachvollziehbar: Die Schwester einer Hilfskrankenpflegerin war gut mit Dorenda befreundet, und als besagte Hilfskrankenpflegerin frühmorgens um sieben ins Krankenhaus gekommen war, war sie sofort mit den Neuigkeiten rausgeplatzt.

Jake hatte sich dagegen den ganzen Tag über rargemacht. Mittags war er nicht wie sonst in die Cafeteria gekommen, und Anna hatte nach der Arbeit nur seinen Anrufbeantworter erreicht.

Kurz: Den ganzen Tag schon herrschte zwischen ihnen absolute Funkstille, und das fand Anna beunruhigend. Bisher war ihr nicht bewusst gewesen, dass diese Miss Texas ihm so schrecklich wichtig war. Miss Texas – so nannten Dorenda hier alle. Ob sie den Titel tatsächlich mal gewonnen hatte, wusste niemand. Vielleicht hatte man ihr den Spitznamen auch nur verpasst, weil sie eben eine große, schöne und immer toll zurechtgemachte Frau war, die man sich gut mit einer Krone auf dem Kopf vorstellen konnte. Wohingegen jemand wie Anna es gerade eben hinbekam, Wimperntusche und Lippenstift aufzutragen, bevor sie zur Arbeit im Krankenhaus ging.

Genaueres wusste Anna nicht über Dorenda. Wenn Dr. Jake Lennox eine neue Freundin hatte, verschwand er nämlich eine ganze Weile in der Versenkung. Jedenfalls hatte er Anna bisher keine der Frauen persönlich vorgestellt.

Obwohl sie sich nicht direkt freute, wenn mal wieder zwischen ihm und einer seiner Freundinnen Schluss war, genoss Anna es doch am meisten, wenn er gerade ungebunden war. Dann war er wieder ganz ihr guter, langjähriger Freund Jake, und sie verbrachten viel Zeit miteinander. Natürlich sahen sie sich auch sonst täglich, zumal sie beide in der texanischen Kleinstadt Celebration am örtlichen Krankenhaus arbeiteten. Alles in allem kam es Anna so vor, als wäre ihre Freundschaft viel intensiver und bedeutsamer als Jakes sämtliche Liebschaften mit den Schönheitsköniginnen dieser Welt.

Anna klopfte im von ihnen vereinbarten Rhythmus an Jakes Tür, dann ging sie einfach ins Haus. Das machten sie immer so. „Jake? Bist du da?“

Keine Reaktion. Aber das erstaunte sie nicht weiter, sie hatte eine ganz gute Ahnung, wo er gerade steckte. Also schloss sie die Tür wieder und ging in den Hintergarten, um dort dem Weg aus Rindenmulch bis zu dem kleinen See zu folgen, dem Highlight von Jakes Grundstück.

Wenn Jake sich in seiner Trauer wirklich hierhin zurückgezogen hatte, dann war Annas Einsatz bitter nötig. Dann verlangte es nach ihrem berühmten „Aufheiterungstanz“ – dieser Name hatte sich in den letzten Jahren für ihre Darbietung durchgesetzt. Immer wenn einer von ihnen den Blues hatte, war der andere gefragt. Der führte dann den dämlichsten Tanz auf, der ihm so einfiel – einfach um den anderen zum Lachen zu bringen. Und während die Umsetzung jedes Mal anders aussah, blieb das Lied immer gleich: „Don’t Worry, Be Happy“ von Bobby McFerrin.

Ursprünglich war Jake auf die Idee mit dem Aufheiterungstanz gekommen. Damals, zu Grundschulzeiten, war der Song gerade erst bekannt geworden. Puh, so lange war das schon her … Anna konnte inzwischen nicht mehr sagen, was sie damals so aufgewühlt hatte, dass Jake sich ihretwegen zum Affen gemacht hatte. Der Tanz war seitdem jedenfalls zu ihrem persönlichen Ritual geworden und es bis heute geblieben – obwohl sie mittlerweile beide über dreißig waren. Er gehörte einfach dazu, genau wie früher die gemeinsamen Silvesterfeiern ihrer Familien oder die alljährlichen Sommerfeste zum amerikanischen Nationalfeiertag.

In den letzten Jahren kam der Tanz meist dann zum Einsatz, wenn eine Beziehung in die Brüche gegangen war, wie heute – oder damals, als Annas Ehe gescheitert war. Da hatte Jake ihr im übertragenen Sinne das Leben gerettet. Für ihn dürfte das nichts Besonderes gewesen sein: Schließlich war er Arzt, da war ihm das Lebenretten wohl in Fleisch und Blut übergegangen.

Im Gegensatz zu Jake verhielt es sich mit Anna und der Liebe genau andersherum: Sie konnte damit inzwischen überhaupt nichts mehr anfangen. Gut, früher hatte sie noch an die eine große Liebe geglaubt und an die Versprechen, die sie und ihr Exmann Hal sich am Altar gegeben hatten: dass sie sich für immer die Treue halten wollten und zusammenbleiben wollten, „bis dass der Tod uns scheidet“.

Bis das Luftschloss, das sie sich gebaut hatte, vor ihren Augen zusammengebrochen war: Nach fast vierjähriger Ehe hatte sie herausgefunden, dass ihr Mann eine Affäre mit seiner Büroleiterin hatte.

In diesem Moment hatte Anna den Glauben an fast alles verloren, was ihr bisher heilig gewesen war. Nur einem Menschen hatte sie noch vertrauen können: ihrem langjährigen Freund Jake, der sie in ihrem Leben noch nie enttäuscht hatte.

Jake war ihr allererster Freund gewesen und hatte ihr ihren ersten Kuss gegeben. Und nachdem sie beide kurz danach festgestellt hatten, dass sie in einer Freundschaft viel besser aufgehoben waren als in einer Liebesbeziehung, war er trotzdem immer an ihrer Seite geblieben. Er hatte auch nie aufgehört, an sie zu glauben.

Nachdem ihr vor fast zwei Jahren klar geworden war, dass Hal sie betrogen hatte, wollte sie sich nur noch mit mehreren Literpackungen Eiscreme ins Bett zurückziehen. Das ließ Jake aber nicht durchgehen. Plötzlich stand er bei ihr in San Antonio, etwa vierhundertfünfzig Kilometer von seinem Wohnort entfernt, auf der Matte, um sie wieder aus dem emotionalen Sumpf zu ziehen. Als dann vor einem Monat ihre Scheidung rechtskräftig wurde, tauchte Jake erneut in San Antonio auf, packte alle ihre Sachen ein und nahm sie mit in ihre gemeinsame Heimatstadt Celebration. Dort half er ihr bei der Suche nach einem kleinen Mietshaus und sorgte dafür, dass sie als Krankenschwester am Celebration Memorial Hospital anfangen konnte.

Aber ganz am Anfang dieser vielen Hilfestellungen hatte natürlich der große Aufheiterungstanz gestanden: Der große, gut aussehende Vierunddreißigjährige hatte sich ihretwegen zu den Klängen von „Don’t Worry, Be Happy“ so albern verrenkt, dass es kaum noch zu toppen gewesen wäre. Dafür wollte Anna sich jetzt unbedingt revanchieren.

Der süßliche Duft der blühenden Gardenien vermischte sich in der feuchten Abendluft mit dem erdigen Geruch des Sees. Anna schlug eine Mücke weg, die sich bei ihr fürs Abendessen bedienen wollte.

Ihrem Instinkt nach saß Jake wahrscheinlich gerade mit einem Bier auf dem Steg und ließ die Füße im Wasser baumeln. Und damit behielt sie recht. Er saß mit dem Rücken zu ihr, sein dunkler Umriss zeichnete sich gegen die untergehende Sonne ab. Details konnte sie nicht erkennen, nur dass sein braunes Haar schon wieder ziemlich lang geworden war und etwas zerzaust aussah, als wäre er gerade mit der Hand durch es hindurchgefahren. Er trug Jeans und ein mintgrünes Polohemd. Die Luft war erfüllt von einem Grillenkonzert, und der Sonnenuntergang verwandelte den Himmel in ein atmosphärisches Gemälde mit einem Farbspiel aus Orange-, Pink- und Blautönen.

Offenbar hatte Jake sie nicht kommen hören. Das war auch gut so: Ein vernünftiger Aufheiterungstanz profitierte stark vom Überraschungsmoment.

Anna atmete mehrmals tief durch und ließ die Schultern kreisen. Dann stellte sie ihren MP3-Player auf höchste Lautstärke und drückte die Abspieltaste. Im nächsten Moment übertönte Bobby McFerrins Reggaemelodie das abendliche Grillenkonzert.

Abrupt drehte Jake ihr den Kopf zu, dann wandte er sich ganz zu ihr herum, um ihr seine volle Aufmerksamkeit zu schenken.

Und Anna legte mit dem Tanz los: Der erste Teil bestand aus einer Art Moonwalk … zumindest hoffte sie, dass sie gerade etwas Ähnliches zustande brachte. Zum Glück musste sie sich ja nicht selbst dabei zusehen, wie sie in ihrem etwas zu großen pinkfarbenen Schwesternkittel und den klobigen weißen Schnürschuhen über den Rasen rutschte.

Sobald sie sich zu Jake auf den Steg vorgetanzt hatte, wechselte sie ihr Programm und kombinierte ein paar roboterhafte Bewegungen mit Charleston-Elementen und irgendeiner … nun ja … originellen Eigenkreation.

Und während sie versuchte, ihn mit diesen gesammelten Peinlichkeiten zum Lachen zu bringen, verdrängte sie gleichzeitig das unangenehme Gefühl, dass ihm Dorenda möglicherweise wichtiger war als ihre vielen Vorgängerinnen.

Anfangs hatte Jake noch die Stirn gerunzelt, aber jetzt zeichnete sich allmählich ein schiefes Lächeln auf seinem Gesicht ab. Anna konnte praktisch mit ansehen, wie er dagegen ankämpfte – vergeblich, das sah sie sofort. Immerhin kannte sie ihn schon sehr lange und sehr gut.

Gerade wollte sie so richtig durchstarten und aus einer Art übertriebenem Laufschritt wieder zu ihren Roboter-Moves wechseln, da blieb sie mit dem Schuh an einer losen Holzplanke hängen und geriet ins Schwanken.

Wie in Zeitlupe nahm sie ihren Sturz in Richtung Steg wahr, und höchstwahrscheinlich wäre sie auch mit dem Gesicht aufgeschlagen … wenn Jake nicht sofort reagiert hätte. Also landete sie stattdessen weich in seinen kräftigen Armen und sah ihm dabei direkt in die unglaublich blauen Augen.

Anna duftete einfach wunderbar.

Am liebsten hätte Jake sie an sich gezogen, das Gesicht an ihrem Hals gerieben und tief ihren süßen natürlichen Geruch eingeatmet.

Aber das kam nicht infrage. Schon gar nicht, nachdem sie sich solche Mühe gegeben hatte, ihn aufzuheitern. Da traute er sich kaum, ihr zu sagen, dass das gar nicht wirklich nötig war. Gut, Dorenda hatte mit ihm Schluss gemacht, aber für ihn war das eher eine Erleichterung gewesen.

Bevor er sich zu irgendeiner Dummheit hinreißen ließ und sich selbst und Anna dadurch in Verlegenheit brachte, setzte er sie schnell wieder ab und ging einen Schritt zurück. „Na, das war ja sehr elegant“, bemerkte er. Vielleicht fand er mit einer Portion Humor schneller zu seinem inneren Gleichgewicht zurück …

„Du kennst mich doch, das Wort ‚Eleganz‘ wurde praktisch für mich erfunden“, erwiderte Anna. „Wie geht es dir denn jetzt, Jake? Alles in Ordnung so weit?“

Das lange rotbraune Haar fiel ihr wellig über die Schultern, ihr elfenbeinfarbenes Gesicht war praktisch ungeschminkt. Wenn sie ihn mit ihren blauen Augen so anblickte, wurde ihm ganz warm.

„Mir geht’s bestens“, sagte er. „Möchtest du auch ein Bier? Dann können wir auf deine neuste Choreografie anstoßen. Die war richtig gut.“

„Oh ja, gern, das kann ich jetzt gut gebrauchen. Danke.“

„Komm, wir gehen ins Haus, da habe ich die restlichen fünf Flaschen aus dem Sechserpack im Kühlschrank.“

Sie betrachtete ihn aufmerksam. „Na, ein Glück. Ich hatte befürchtet, dass du schon den ganzen Tag hier zu Hause sitzt und deinen Kummer im Bier ertränkst.“

„Wohl kaum, ich habe mich nämlich den ganzen Tag um meine Patienten gekümmert. Und bisher habe ich mir noch nie mitten in der Woche die Kante gegeben.“

Er und Anna arbeiteten zwar beide am Celebration Memorial Hospital, allerdings in unterschiedlichen Bereichen. Während Anna als Krankenschwester im dritten Stock auf der Entbindungsstation tätig war, versorgte er die Patienten in der medizinisch-chirurgischen Abteilung. Also liefen die beiden sich im Krankenhaus selten über den Weg – es sei denn, sie verabredeten sich vorher.

„Ich finde dich gerade ganz schön tapfer“, bemerkte sie.

„Wie bitte?“

„Na ja, wegen der Trennung. Wenn ich’s nicht besser wüsste, würde ich meinen, mit dir sei alles in Ordnung.“

„Sieht es etwa nicht so aus?“

„Doch, das habe ich ja gerade gesagt. Du wirkst ganz schön gefasst dafür, dass Miss Texas gerade aus deinem Leben verschwunden ist. Oh, entschuldige bitte, ich meinte natürlich Dorenda.“

Inzwischen waren sie beim Haus angekommen. Jake öffnete die Hintertür und ließ Anna den Vortritt. „Na ja, Dorenda ist eine tolle Frau, aber unsere Geschichte ist jetzt am Schluss angelangt. Ich vermisse sie zwar ein bisschen, aber das Leben geht weiter.“ Er zuckte mit den Schultern und folgte ihr ins Haus.

„Willst du damit sagen, dass du dich von ihr getrennt hast?“

Er warf ihr einen kurzen Schulterblick zu und ging weiter in Richtung Küche. „Nein, sie hat die Bombe platzen lassen. Aber ich war nicht völlig unvorbereitet, sie hatte mir vorher ein Ultimatum gestellt.“ Er zog ein Bier aus dem Kühlschrank und öffnete den Verschluss.

„Wie bitte?“, gab Anna zurück. „Wie lange wart ihr überhaupt zusammen?“

„Vier oder fünf Monate ungefähr.“

„Wirklich?“, hakte sie nach. „Ich meine, gut, ich bin ja selbst erst seit einem Monat wieder hier …“

Er nickte und goss das Bier langsam in ein Glas, damit sich eine entsprechende Schaumkrone bildete. „Gestern Nacht hat sie mir etwas von einem Fünfjahresplan erzählt, in dem eine Hochzeit, Kinder und ein größeres Haus vorkamen. Außerdem meinte sie immer wieder, sie müsste auch an ihre Zukunft denken und würde gern wissen, wie es mit uns weitergehen soll. Tja, was sollte ich da machen? Sie anlügen? Ich war schon gern mit ihr zusammen, aber heiraten wollte ich sie nicht.“ Er reichte Anna das Bier.

„Und warum nicht?“, hakte sie nach. „Sie ist doch wunderschön. Und ich dachte, du wärst völlig verrückt nach ihr.“

„Ja, sie war schon sehr nett. Hübsch war sie auch. Trotzdem wollte ich nicht für immer mit ihr zusammen sein. Mehr kann ich dazu nicht sagen.“

Anna trank einen Schluck Bier und kniff die Augen zusammen.

„Hey, was ist los? Stimmt mit dem Bier irgendwas nicht? Lass es einfach stehen, wenn es dir nicht schmeckt.“

Sie stellte das Glas auf die Arbeitsplatte. „Doch, es schmeckt sogar sehr gut. Aber jetzt möchte ich dir zwei Fragen stellen.“

„Na, dann mal los.“

„Erstens: Wenn diese Trennung für dich gar nicht so schlimm ist … warum musste ich dann diesen Tanz weitertanzen und mich bis auf die Knochen blamieren? Warum hast du mich nicht gestoppt?“

Er lachte laut auf. „Meinst du das ernst? So was Lustiges habe ich seit Monaten nicht mehr erlebt, da wäre ich schön blöd, deinen Auftritt abzubrechen. Außerdem hast du dich überhaupt nicht blamiert, ich fand dich hinreißend.“

Sie verdrehte erst die Augen, dann lächelte sie doch. „Schön, dass ich dich aufheitern konnte.“

„Und wie lautet deine zweite Frage?“, wollte er wissen.

Eine Weile betrachtete sie ihn nachdenklich. „Warum tust du das, Jake?“, fragte sie schließlich. „Warum lässt du dich immer mit dem gleichen Typ Frau ein? Ich meine das gar nicht abwertend, außerdem war ich die letzten zehn Jahre ja nicht hier, um mir wirklich ein Urteil darüber erlauben zu können, aber … Na ja, ich habe trotzdem den Eindruck, dass du dir immer die gleichen Frauen aussuchst und dich am Ende jedes Mal wunderst, warum es schon wieder so ausgegangen ist.“

Jake verschränkte die Arme. Am liebsten hätte er alles abgestritten, aber im Grunde wusste er, dass sie recht hatte. Also ging er stattdessen zum Gegenangriff über. „Ja, und du? Du triffst dich mit überhaupt niemandem.“

Sie seufzte. „Nun, ich bin ja auch erst seit einem Monat geschieden.“

„Gut, aber davor habt ihr schon zwei Jahre getrennt gelebt.“

„Im Moment geht es hier nicht um mich, sondern um dich“, gab sie zurück. „Was suchst du eigentlich?“

Er zuckte mit den Schultern. „Ich wünsche mir halt jemanden … für eine gewisse Zeit. Und wenn ich merke, dass die Beziehung sich abgenutzt hat, ziehe ich einen Schlussstrich. Oder ich lasse der Frau den Vortritt, wie heute bei Dorenda. Jedenfalls mache ich niemandem etwas vor.“

„Doch, das finde ich schon. Immerhin warst du vier oder fünf Monate mit Dorenda zusammen, das ist nicht gerade kurz. Und wenn man über dreißig ist, macht man sich schon mal weitergehende Gedanken.“

Jake ließ den Blick zum Fenster schweifen. Draußen verblassten die letzten Farbstreifen des Sonnenuntergangs, stattdessen breitete sich ein Nachtblau am Himmel aus. „Ich weiß nicht, worauf du hinauswillst, Anna.“

„Ich würde dich gern mal mit Frauen zusammenbringen, die nicht deinem bisherigen Beuteschema entsprechen. Wenn du mich lässt.“

„Was meinst du mit Beuteschema?“

„Na ja … bitte nicht missverstehen, aber vielleicht solltest du dich demnächst mal lieber mit etwas … bodenständigeren Frauen treffen als deinen bisherigen Schönheitsköniginnen.“

Jake trank den Rest seines Biers aus. „Bodenständig? Ich habe keine Ahnung, wo und wie ich solche Frauen kennenlernen soll.“

„Das ist mir schon klar. Darum schlage ich dir ja gerade vor, ein bisschen nachzuhelfen.“

„Ach, ich weiß nicht, Anna. Von Blind Dates halte ich nicht so viel.“ Er öffnete die Kühlschranktür und betrachtete den ziemlich dürftigen Inhalt.

„Wann hattest du denn zuletzt ein Blind Date?“

„Ich habe noch eine viel bessere Frage“, gab er zurück. „Wann hattest du zuletzt überhaupt mal ein Date?“ Er blickte über die Schulter zu ihr hinüber.

„Um mich geht es jetzt nicht.“

„Aber wieso denn nicht, wo wir doch gerade beim Thema sind? Deine Trennung von Hal ist inzwischen fast zwei Jahre her, da wird es höchste Zeit, dass du mal wieder unter Leute kommst, dich mal mit jemandem triffst.“

Sie stützte die Hände in die Hüften und blickte ihn mit ernster Miene an. „Das ist doch nur ein Ablenkungsmanöver. Ich bin mir nicht mal sicher, ob ich mich überhaupt mit irgendjemandem treffen will, während du daran offensichtlich deinen Spaß hast. Warum lässt du mich dir nicht ein bisschen bei der Vorauswahl helfen? Ich kenne dich inzwischen ziemlich gut und kann vielleicht dafür sorgen, dass deine nächste Beziehung etwas glücklicher verläuft als die letzten.“

„Willst du etwa behaupten, dass du mich mit einer Frau zusammenbringen kannst, die besser zu mir passt als mein übliches Beuteschema?“

Anna hob das Kinn. „Darauf kannst du wetten. Ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass ich dir deine Traumpartnerin vermitteln könnte, wenn du mich nur machen lässt.“

Er lachte leise. „Du bist ja ganz schön optimistisch, wie immer. Hast du Lust, hier zu essen? Ich kann uns schnell ein Omelett machen.“

„Gute Idee, ich habe richtig Hunger. Dabei können wir auch noch ausführlicher über unsere Wette reden. Aber erst mal helfe ich dir beim Essenmachen. Was soll ich tun?“

„Wenn du willst, kannst du schon mal Zwiebeln und Paprika schneiden.“ Er holte eine Plastikschüssel aus einem Schrank und schlug mehrere Eier hinein. „Sag mal, wann bist du eigentlich unter die Heiratsvermittler gegangen? Und wie kommst du darauf, dass du die passende Frau für mich finden kannst? Das versuche ich selbst ja schon seit Jahren – vergeblich.“

„Das kann ich dir sofort sagen: Erstens kenne ich dich sehr viel besser als du dich selbst, und zweitens suchst du dir immer die Falschen aus. Dein Blick ist da irgendwie … vernebelt. Meiner nicht.“

Vielleicht hatte sie sogar recht. Andererseits hatte er gerade erst eine Beziehung hinter sich und wollte sich nicht gleich in die nächste stürzen. Jedenfalls war ihm momentan überhaupt nicht nach einer festen Bindung, und heiraten wollte er grundsätzlich nicht. Gegen ein paar nette Dates hatte er allerdings nichts einzuwenden. Schlimmstenfalls vergeudete er damit nur seine Zeit. Und wenn er Anna damit glücklich machte … warum nicht? Das wäre es ihm wert, schließlich war sie ihm sehr wichtig.

Dass eine Ehe für ihn grundsätzlich nicht infrage kam, war Jake schon klar, seit er erwachsen geworden war. Durch eine Heirat legte man sich seiner Meinung nach unnötigerweise selbst Fesseln an. Damit zwang man zwei Menschen, die ursprünglich aus völlig freien Stücken zusammen waren, in eine vertragliche Verpflichtung. Genau das hatte er bei seinen Eltern hautnah miterlebt. Heute erinnerte er sich nur noch an die vielen lauten Auseinandersetzungen zwischen den beiden. Und daran, dass seine Mom irgendwann verschwunden war.

Jake sah Anna direkt in die Augen. „Okay, vielleicht lasse ich mich darauf ein“, begann er. „Aber nur unter einer Bedingung.“

„Nein, so funktioniert das nicht“, erwiderte sie. „Wennschon, dann bestimme ich die Regeln. Du musst mir vertrauen.“

Er goss einen Schluck Milch in die Schüssel mit den aufgeschlagenen Eiern, gab Salz und Pfeffer dazu und verquirlte alles. Eins war ihm klar: Anna und er hatten sich zwar bis vor einem Monat lange nicht mehr gesehen, trotzdem kannte sie ihn in- und auswendig. Bei dem Gedanken daran wurde ihm seltsam warm, und er versuchte gegen das ungewohnte Gefühl anzukämpfen, indem er noch heftiger in der Eiermischung rührte.

„Wart’s doch erst mal ab“, sagte er dann. „Meine Bedingung hat gar nichts mit mir zu tun, ich wollte dir einen gegenseitigen Deal vorschlagen. Wir sind doch beide Mitte Juli zu dieser Hochzeit eingeladen. Und mein Vorschlag sieht folgendermaßen aus: Du darfst mir gern eine Begleitung für die Feier organisieren … aber nur, wenn ich auch jemanden für dich aussuchen darf.“

Mitte Juli sollte die Tochter des Krankenhausdirektors Stanley Holbrook heiraten, und Holbrook richtete ihr eine große Feier aus, zu der die ganze Belegschaft eingeladen war.

Anna legte den Kopf schief und betrachtete Jake aus zusammengekniffenen Augen.

„Und, bist du einverstanden?“, hakte er nach.

Sie öffnete den Mund, schloss ihn dann aber gleich wieder und schüttelte den Kopf.

„Jetzt komm schon, Anna, das ist doch nur fair. Ich weiß ja, dass Hal dich verletzt hat. Aber du wolltest doch immer heiraten und Kinder haben. Und es gibt wirklich ein paar nette Männer da draußen, vielleicht kenne ich sogar ein oder zwei, die dich verdient hätten.“

Sie legte das Messer ab, mit dem sie gerade die Paprikaschoten klein gehackt hatte. „Die mich verdient hätten?“ Jetzt lächelte sie. „Das ist wirklich das Schönste, was ich seit Langem gehört habe.“

„Siehst du? Genau deswegen musst du nämlich mehr unter Leute gehen. Damit Männer häufiger die Gelegenheit haben, dir so schöne Dinge zu sagen.“

Anna schob die klein gehackten Paprikawürfel mit dem Messerrücken in eine Schüssel, dann trocknete sie sich die Hände ab. „Okay, einverstanden“, sagte sie. „Die Abmachung gilt bis zur Hochzeit von Holbrooks Tochter. Ich wette, dass ich es bis dahin schaffe, dich mit deiner Seelenverwandten zusammenzubringen, und dass dann deine Serienbeziehungen ein Ende haben.“

„Wie bitte? Heißt das, dass du mich gleich so richtig unter die Haube bringen willst?“

Anna zuckte mit den Schultern. „Lass dich doch einfach mal darauf ein.“

„Ja, aber nur, wenn ich dir auch jemanden aussuchen darf. In Ordnung?“

Sie nickte.

„Und worum wollen wir wetten?“

„Brauchen wir überhaupt einen Wetteinsatz?“

„Ja, das macht die Sache viel spannender. Aber wir müssen das jetzt noch nicht festlegen. Wir können ja erst mal sagen, dass derjenige, der dem anderen zuerst den passenden Partner vermittelt, gewinnt.“

Anna zog die Nase kraus. „So, wie ich dich kenne, lässt du bestimmt eine tolle Frau ziehen, nur um zu gewinnen.“

„Na und? Dann stellt sich doch sowieso die Frage, wer der eigentliche Sieger ist: derjenige, der die Wette gewinnt, oder derjenige, der seine große Liebe findet.“

„Für jemanden, der so einen schlechten Frauengeschmack hat wie du, ist das eine ganz schön tiefsinnige Erkenntnis“, gab Anna lächelnd zurück.

Immer wenn sie Jake so anlächelte, erfasste ihn ein wohliges Gefühl. Als wäre er endlich zu Hause angekommen. Einen Moment lang schwieg er und genoss einfach diesen Augenblick.

Dann nahm er ihre zarte warme Hand in seine und schüttelte sie. „Abgemacht – auf die große Liebe. Und auf die Seelenverwandtschaft.“

2. KAPITEL

Seelenverwandtschaft.

Als Jake das Wort ausgesprochen hatte, hatte sich ihr der Magen umgedreht – aber warum eigentlich? Schließlich war sie sich nicht mal sicher, was sie von dem Begriff hielt. Trotz allem, was sie mit Hal durchgemacht hatte, glaubte sie immer noch an die Liebe und auch an die Ehe, und irgendwann wollte sie sich durchaus auf einen zweiten Versuch einlassen. Den Glauben an so etwas wie Seelenverwandtschaft hatte sie aber verloren, seit ihre Ehe in die Brüche gegangen war.

„So, jetzt bin ich fertig mit dem Schneiden“, verkündete sie und stellte die Schüssel mit den Paprika- und Zwiebelwürfeln auf die Arbeitsplatte neben den Herd. Dort hatte Jake schon eine Pfanne vorbereitet, in der gerade ein Stück Butter schmolz. „Und was kann ich jetzt tun?“

„Setz dich einfach hierhin.“ Er wies mit dem Ellbogen auf einen kleinen Küchentisch, auf dem sich Post und Bücher türmten. „Da bist du nicht im Weg. Beim Omelettwenden brauche ich meine volle Konzentration.“

Anna nahm Platz und schaute sich dabei in dem großen Raum um, der aus einer Küchennische und einem Wohnbereich bestand. Auf dem plüschigen mehrteiligen Sofa häuften sich die alten Zeitungen, auf den Couchtischen war vor lauter Kaffeebechern, Zeitschriften und geöffneten Briefumschlägen kein Platz mehr frei. Und der dunkle Holzboden war mit Socken und Turnschuhen übersät. Es sah so aus, als hätte Jake seit einiger Zeit einfach alles stehen und liegen gelassen. „Oha“, bemerkte Anna. „Ich wusste gar nicht, dass du so schlampig bist.“

Jake folgte ihrem Blick. „Ich bin nicht schlampig, ich hatte in letzter Zeit nur viel zu tun. Außerdem hatte ich heute keinen Besuch erwartet.“

Schnell schob Anna das Chaos auf dem Küchentisch zu zwei ordentlichen Stapeln zusammen und brachte dabei zwei Tischsets zum Vorschein. Darauf legte sie das Besteck, das sie vorher noch schnell abwusch. In diesem Moment wurde ihr klar, dass sie heute zum ersten Mal seit ihrer Rückkehr nach Celebration gemeinsam bei ihm kochten. Überhaupt hatte sie ihn bisher nur selten bei ihm zu Hause besucht – bis vor Kurzem war Dorenda ja meistens da gewesen.

Nach dem Essen stellte Jake fest, dass seine Lebensmittelvorräte mehr oder weniger aufgebracht waren. Und da auch Anna noch ein paar Dinge einkaufen musste, fuhren sie zusammen zum Supermarkt.

„Gibt es eigentlich irgendwelche Ausschlusskriterien für dich?“, wollte sie wissen, während sie den Einkaufswagen den Gang entlangschoben.

„Was für Ausschlusskriterien?“

„Na ja, irgendeine Eigenschaft, die eine Frau auf keinen Fall haben darf, damit du überhaupt in Erwägung ziehst, etwas mit ihr anzufangen.“

Einige Sekunden lang dachte Jake nach. „Hm … also, sie sollte sich mit dem Gedanken anfreunden können, dass wir nie heiraten und auch keine Kinder bekommen werden. Ich will keine Frau in meinem Leben, die versucht, mich umzustimmen, das ist ein absolutes No-Go. Das war übrigens auch der Grund, warum die Sache mit Dorenda in die Binsen gegangen ist. Erst hat sie noch so getan, als wäre sie ein freiheitsliebender, unabhängiger Mensch. Aber dann hat sie mir plötzlich ihren Fünfjahresplan vorgesetzt und mir ein Ultimatum gestellt.“

Zum ersten Mal fühlte sich Anna mit Dorenda verbunden. Sie konnte ohne Weiteres nachvollziehen, dass die Frau sich mehr von Jake gewünscht hatte. Dass er wiederum dem gängigen Familienmodell so skeptisch gegenüberstand, lag wahrscheinlich an seiner Kindheit: Seine Mom hatte die Familie verlassen, als er gerade in der ersten Klasse gewesen war. Von da an hatte sich sein Vater um ihn und seine Brüder gekümmert. An einem langen Abend, kurz bevor Anna und Jake Celebration fürs College verlassen hatten, hatte Jake ihr erzählt, wie schwer diese Zeit damals für ihn und seine Brüder gewesen war.

„Und du?“, schaltete sich Jake ein. „Du wünschst dir einen humorvollen, liebevollen, zuverlässigen und intelligenten Familienmenschen, stimmt’s? Außerdem willst du auf keinen Fall einen Arzt, wegen Hal. Das hast du mir schon mal erzählt. Aber um mal positiv an die Sache heranzugehen: Was für einen Typ Mann suchst du? Wie soll er aussehen?“

Anna betrachtete eine Reihe Konservendosen mit schwarzen Bohnen. „Ich finde es nicht gut, wenn wir uns bei dieser Sache an Äußerlichkeiten festhalten“, gab sie zurück. „Das lenkt den Blick vom Wesentlichen ab.“

„Wie bitte? Soll ich gut aussehende Männer etwa von vornherein aussortieren?“

Sie hob eine Augenbraue, dann stellte sie zwei Dosen Bohnen in den Einkaufswagen. „Mich würde ja brennend interessieren, wann genau du einen Mann für gut aussehend hältst.“

Mürrisch erwiderte er ihren Blick. „Keine Ahnung. Wie heißt es doch gleich? Schönheit liegt im Auge des Betrachters. Und ich weiß wirklich nicht, was Frauen an Männern attraktiv finden.“

„Ganz ruhig, ich hab doch nur Spaß gemacht! Und du weißt genau, dass du mein absolutes Ideal bist. Aber wenn ich dich nicht haben kann, dann …“ Sie seufzte übertrieben und drückte seinen Arm, dann ging sie den Supermarktgang hinunter, um nach einer weiteren Position auf ihrer Einkaufsliste zu suchen.

Komisch, dachte Jake. Eben war es ihm fast so vorgekommen, als hätte ihre harmlose kleine Flirterei irgendetwas in ihm angestoßen. Aber das war natürlich vollkommen abwegig, immerhin kannten er und Anna sich schon ewig.

Er betrachtete sie aufmerksam, wie sie in ihrem Schwesternkittel dastand, der ein bisschen zu groß für ihre zierliche Figur war. Sie hatte sich die Handtasche einmal quer um den Körper geschlungen, sodass sich unter dem weiten pinkfarbenen Stoff hier und da ihre Kurven abzeichneten.

Aber wohin schaute er da eigentlich? Immerhin war das seine beste Freundin! Schnell wandte er den Blick ab und konzentrierte sich stattdessen auf das Nächste, was sich ihm anbot: schwarze Bohnen. Obwohl er keine Ahnung hatte, was er mit den Dingern anstellen sollte, stellte er zwei Dosen davon in den Einkaufswagen.

Immer wieder musste er an den Deal denken und daran, dass er demnächst ein Date für sie finden sollte. Und das durfte nicht irgendjemand sein. Die meisten seiner männlichen Bekannten kamen dafür schon mal nicht infrage, so anzüglich, wie sie immer über Frauen redeten. So etwas wollte er sich auf keinen Fall anhören müssen, wenn es um Anna ging.

„Entschuldigen Sie bitte“, sagte plötzlich jemand hinter ihm, und er fuhr herum. Vor ihm stand eine kleine ältere Dame mit silbernem Haar, die ihm ein Stück Papier hinhielt. „Ihre Frau hat eben ihren Einkaufszettel verloren.“ Mit dem Daumen wies sie in Annas Richtung.

Meine Frau?

Jake lächelte der Dame zu. Eigentlich wollte er sie darüber aufklären, dass Anna und er nicht verheiratet waren, doch die Worte blieben ihm im Hals stecken. Stattdessen streckte er einfach die Hand nach dem Zettel aus. „Vielen Dank, ich gebe ihn ihr gleich zurück.“

Aha, seine Frau also.

Er versuchte sich und Anna durch die Augen der älteren Dame zu sehen – als Ehepaar. Aber das ging nicht. Wie eben, als er ihren weiblichen Körper etwas zu intensiv betrachtet hatte, kam er sich dabei komisch vor, als würde er etwas Verbotenes tun. Dabei fühlte es sich nicht mal schlecht an, im Gegenteil. Gerade das war ja das Seltsame an der Sache.

Schnell verdrängte er die Gedanken an das Thema und ging den Gang hinunter zu ihr. „Hier, du hast deine Einkaufsliste verloren“, sagte er. „Eine nette ältere Frau hat ihn gefunden. Sie hat uns für ein Ehepaar gehalten.“

Anna runzelte die Stirn. „Wirklich? Und hast du sie aufgeklärt?“ Sie legte noch ein paar weitere Konserven in den Wagen, dann nahm sie ihm den Zettel aus der Hand.

„Nein. Ich brauche übrigens noch Brot. Wo finde ich das wohl?“

„Probier doch mal das hier an.“ Annas Schwester Emily reichte ihr ein blaues Sommerkleid in die Umkleidekabine. Vorn war es mit einem weißen indischen Motiv bedruckt. „Das könntest du gut zu deinem ersten Date anziehen.“

Anna hatte immer noch keine Ahnung, mit wem sie sich da eigentlich treffen sollte und wo, aber offenbar hatte Jake ihr ein Date für Mittwoch organisiert. Und weil sie für so eine Gelegenheit absolut nichts anzuziehen hatte, war sie mit ihrer Schwester zum Shoppen losgezogen.

Jetzt hielt sie sich das Kleid an den Körper, das Emily für sie ausgesucht hatte, und betrachtete sich im Spiegel. Das weiße Druckmuster vorn erinnerte sie ein bisschen an ein Henna-Tattoo, und insgesamt fand sie das Kleid zu ausgeflippt. „Ach, ich weiß nicht, der Ausschnitt ist mir ein bisschen zu tief …“

„Probier es einfach mal an, dann siehst du, ob es zu dir passt. So auf dem Bügel lässt sich das schwer beurteilen.“

Das ist etwa das gleiche Prinzip wie bei Männern, dachte Anna. Da wusste man auch nicht auf Anhieb, ob sie zu einem passten, man musste sie gewissermaßen auch erst mal … anprobieren. Natürlich nicht wortwörtlich.

Sie streifte sich das Kleid ab, das sie gerade anprobiert hatte, es war rot-gelb-blau geblümt und wirkte etwas altbacken – ein bisschen wie eine Kittelschürze.

„Wen hast du eigentlich für Jake ausgesucht?“, rief ihr Emily von der anderen Seite des Vorhangs zu.

„Die Frau heißt Cheryl Woodly. Sie ist selbstständige Ernährungsberaterin und berät vor allem junge Mütter. Ich habe sie im Krankenhaus kennengelernt.“

„Und wie ist sie so?“

Anna zog sich das Kleid über den Kopf. „Nett, klug und hübsch.“

„Und wodurch unterscheidet sie sich von Jakes bisherigen Freundinnen?“

„Das hab ich doch gerade gesagt: Sie ist nett und klug. Damit konnte Miss Texas leider nicht dienen.“

„Autsch. Das war jetzt aber nicht nett.“

„Wieso? Ich sage bloß die Wahrheit.“

„Und wann sind die zwei verabredet?“

„Am Freitag.“ Anna betrachtete sich im Spiegel. Sie zupfte am Ausschnitt des Kleides, das sie gerade übergezogen hatte, um nicht ganz so viel Dekolleté zu zeigen. Es sah zwar toll aus, aber passte irgendwie nicht zu ihr, fand sie.

„Hast du inzwischen eigentlich das Teil anprobiert, das ich dir eben reingereicht habe?“, erkundigte sich Emily gerade.

„Schon, aber … ich weiß nicht …“

„Komm doch mal raus, damit ich mir das ansehen kann.“

„Lieber nicht … man sieht ja kaum noch Kleid, vor lauter Ausschnitt …“ Anna drehte sich um und betrachtete die Rückenansicht. Zugegeben: Die war noch mal besonders pfiffig. Aber den Ausschnitt vorn fand sie viel zu tief.

„Jetzt will ich auch mal gucken.“ Emily steckte einfach den Kopf durch den Schlitz im Vorhang.

Sofort schlug sich Anna die Hand vor die Brust.

„Sieht doch toll aus!“, kommentierte Emily. „Die Farbe steht dir großartig, sie bringt deine Augen richtig zum Leuchten. Und jetzt nimm endlich die Hand weg.“ Sie schlug ihr sanft auf die Finger, bis Anna den Arm sinken ließ.

„Ich weiß gar nicht, was du hast“, sagte Emily. „Das Kleid betont deine schmale Taille, und das Dekolleté finde ich absolut vertretbar. Sexy, aber nicht zu tief. Das ist mal ganz was anderes als dieser Schwesternkittel, in dem du dich die ganze Zeit versteckst.“

„Darin verstecke ich mich nicht, das ist meine Arbeitsuniform.“ Erneut wandte sich Anna dem Spiegel zu und stemmte dabei die Hände in die Hüften.

Ihre Schwester verdrehte die Augen. „Ich finde, du kaufst dir jetzt dieses Kleid. Nicht unbedingt für irgendein Date, sondern in erster Linie für dich selbst.“

„Mal sehen. Jetzt ziehe ich mich erst mal wieder um.“

Sobald Emily sich zurückgezogen hatte, drehte Anna sich noch einmal um die eigene Achse. Das Kleid stand ihr wirklich sehr gut, mit seinem Sexy-Hippie-Look.

„Meinst du denn, dass Jake ein paar nette Männer für dich parat hat?“, rief Emily ihr durch den Vorhang zu.

„Keine Ahnung, wir haben uns ja erst vor ein paar Tagen darauf geeinigt.“ Sie zog sich das Kleid aus und hängte es zu einem hübschen roten Kleid mit einer Schleife vorn. Dann schlüpfte sie wieder in ihre Jeans und das schlichte weiße T-Shirt.

„Besonders begeistert klingst du nicht“, bemerkte Emily. „Willst du die Sache wirklich durchziehen?“

„Jetzt komme ich da nicht mehr raus, die erste Verabredung steht schon. Außerdem gilt unser Deal nur bis zu der Hochzeit im Juli, bis dahin kommen bestimmt nicht mal fünf Treffen zustande. Ich warte einfach mal ab, was passiert.“

Anna zog den Vorhang auf und betrachtete ihre Schwester, die ihr gerade einen seltsamen Blick zuwarf.

„Was ist denn?“ Anna suchte ihre Sachen zusammen und nahm dabei das rote und das blaue Kleid extra.

„Also, ehrlich gesagt …“, begann Emily, „… habe ich ja immer gedacht, dass ihr zwei irgendwann mal zusammenkommt. Du und Jake.“

Augenblicklich zog sich Anna der Magen zusammen. „Wie kommst du denn bitte darauf? Jake und ich sind einfach gut befreundet, mehr ist da nicht.“

„Na ja, ihr zwei wart doch schon immer unzertrennlich, in jeder Lebenslage. Ich kenne ihn immerhin auch, seit ich ein kleines Mädchen bin, aber in meiner Nähe treibt er sich eher selten herum. Denk doch mal darüber nach! Eure Freundschaft hat länger und besser gehalten als deine Ehe. Warum willst du ihn unbedingt mit einer anderen Frau zusammenbringen?“

„Jetzt hör aber auf, Emily. Das ist nicht fair.“ Anna wandte ihrer Schwester den Rücken zu.

„Warum denn nicht?“

Anna legte die beiden Kleider, die sie sich ausgesucht hatte, an der Kasse auf den Tresen und überreichte die anderen der Verkäuferin zum Weghängen.

Draußen knüpfte Emily sofort an die vorherige Unterhaltung an. „Und jetzt sag mir mal bitte, was an meiner Frage eben nicht fair war.“

„Du weißt genau, warum ich nichts mit Jake anfangen kann. Er ist mein bester Freund, das war er schon immer, und daraus wird auch nicht mehr.“

„Warum wirst du dann jetzt rot?“, hakte Emily nach.

Anna ging einfach weiter zum nächsten Schaufenster, das zu einer Eisenwarenhandlung gehörte. Dort betrachtete sie so konzentriert die Auslage, als suchte sie irgendwo zwischen dem Werkzeug, den Leitern und Laubbläsern die perfekten Schuhe zu ihren neuen Kleidern.

Dass Emily schon wieder hinter ihr stand, erkannte Anna sofort in der Glasscheibe. Ihr eigenes Spiegelbild mochte sie dabei nicht ansehen, dafür war sie gerade viel zu aufgewühlt. Warum eigentlich?

Emily legte ihr einen Arm um die Schulter. „Hey, tut mir leid, ich wollte dich nicht durcheinanderbringen. Jetzt bin ich selbst ganz verwirrt, eigentlich hatte ich das eben gar nicht so ernst gemeint. Und jetzt siehst du aus, als wärst du völlig durch den Wind.“

Anna fuhr sich durchs Haar. Sie begriff selbst nicht so ganz, was gerade in ihr vorging. „Ich weiß nicht, wahrscheinlich bin ich bloß gerade etwas überfordert, weil ich wieder von vorn anfangen muss mit der ganzen Daterei. Und dabei bin ich schon dreiunddreißig. Früher dachte ich immer, ich wäre in diesem Alter längst verheiratet und hätte eine Familie. Ich hätte nie gedacht, dass ich meine biologische Uhr mal so laut würde ticken hören. Sie kommt mir schon fast vor wie eine Zeitbombe.“

Schulter an Schulter standen die beiden Schwestern nebeneinander und blickten gemeinsam auf die Glasscheibe des Eisenwarenladens.

„Tja, damit ist Jake wohl aus dem Rennen“, bemerkte Emily. „Wir kennen ja seine Einstellung zum Thema ‚Ehe‘. Da kannst du dir also Zeit und Mühe sparen, auch wenn er hier der schärfste Mann weit und breit ist.“

Anna seufzte hörbar. „Eben, wir kennen beide seine Einstellung. Also tu mir bitte den Gefallen, und mach keine weiteren Anspielungen zu Jake und mir. Er ist einfach ein sehr guter Freund, mehr nicht. Okay?“

Jake hatte in seinem Leben schon viele kreative Absagen gehört, aber seine heutige Verabredung Cheryl Woodly war eine heiße Anwärterin auf den ersten Platz. Eine halbe Stunde, bevor er sie in Dallas abholen sollte, hatte sie ihn angerufen. Als Ausrede musste ihre Katze Foxy herhalten, die gerade eine Notoperation hinter sich hatte, sodass Cheryl sie nicht allein zu Hause lassen wollte.

Während er seinen uralten Sportwagen wendete und wieder in Richtung Celebration zurückfuhr, wurde ihm klar, dass er wegen der Absage überhaupt nicht enttäuscht war. Er sah es vielmehr als glückliche Fügung. Cheryl hatte halbherzig erwähnt, dass sie das Date ja auf einen anderen Tag verschieben könnten, und Jake hatte ein paar zustimmende Laute von sich gegeben und etwas davon gemurmelt, dass er sich nächste Woche noch mal bei ihr melden würde. Schließlich hatte er Foxy noch gute Besserung gewünscht, sich verabschiedet und dann erleichtert aufgeatmet.

Allerdings stellte sich immer noch die Frage, was er jetzt mit den beiden Eintrittskarten machen sollte, die er für das Jazz-Sommerfestival in Celebration besorgt hatte. Verfallen lassen wollte er sie nicht. Und so ergab es sich, dass er fünf Minuten später vor Annas Haustür parkte.

Sie wohnte in einem Bungalow, nur zwei Querstraßen von der Hauptgeschäftsstraße von Celebration entfernt. Jake hatte ihr bei der Suche nach einem passenden Haus geholfen, als sie nach ihrer Scheidung in ihre Heimatstadt zurückgekommen war.

Damals war an dem Haus noch einiges zu tun gewesen, und Anna hatte sich dem Projekt mit viel Liebe und Engagement gewidmet. Herausgekommen war ein hübsches und sehr individuelles kleines Haus, das perfekt zu Anna passte. Immer wenn Jake daran vorbeikam, musste er lächeln. Rechts und links von der Treppe, die zur Haustür führte, standen große Terrakottatöpfe mit roten und pinkfarbenen Blumen, die perfekt mit der in Blau- und Grüntönen gestrichenen Fassade harmonierten.

In der Auffahrt parkte Annas VW-Käfer, das Wohnzimmerfenster war sanft erleuchtet. Sehr gut, sie war also zu Hause.

Jake stieg aus und ging den gepflasterten Weg zum Eingang hinunter. Dort klopfte er im verabredeten Rhythmus an die Tür, damit sie wusste, dass er gleich zu ihr reinkommen würde. Wenn sie da war, war ihre Tür meist nicht abgeschlossen, aber er wollte Anna nicht in einem ungünstigen Moment überraschen.

Diesmal war die Eingangstür abgeschlossen, also ging Jake durch die Hintertür ins Haus. „Anna, bist du da? Ich bin’s!“

Er hörte einen erstickten Aufschrei, dann ging die Schlafzimmertür auf, und Anna schaute heraus. „Jake! Was machst du denn hier? Bist du nicht gerade mit Cheryl verabredet?“

Sie blieb hinter der Tür stehen und hielt sich irgendetwas vor die Brust, als wollte sie sich dahinter verstecken. Unten lugte ein Rockzipfel hervor. Hatte sie etwa gerade ein Kleid an? Das hatte er bei ihr schon lange nicht mehr erlebt.

„Cheryl hat mich versetzt“, erwiderte er knapp. „Und warum hast du dich so aufgehübscht? Sag bloß, du hast gleich ein Date.“

Jetzt kam Anna doch hinter der Tür hervor. „Was soll das heißen, sie hat dich versetzt? Meinst du das ernst?“

Oh, wow. Anna hatte ja wirklich ein Kleid an – und sah einfach umwerfend darin aus! Bisher war ihm nicht so richtig bewusst gewesen, was für eine tolle weibliche Figur sie hatte, er kannte sie ja fast nur in Jeans und T-Shirt oder eben im Schwesternkittel. Wenn er sie so betrachtete, wurde ihm ganz heiß, und das war ihm gar nicht geheuer.

Er musste sich dazu zwingen, ihr ins Gesicht zu schauen … oder eben auf die Füße. Die Zehennägel hatte sie in einem metallisch schillernden Blauton lackiert, der genau zum Kleid passte. Darüber dann ihre langen, schlanken, gebräunten Beine, von denen man für Annas Verhältnisse ganz schön viel zu sehen bekam. Komisch, dass sie ihren wunderschönen Körper sonst so verhüllt hielt. Warum eigentlich?

Weil sie eben Anna war.

Er räusperte sich. „Na ja, so richtig versetzt hat sie mich nicht. Aber sie hat mich angerufen, als ich schon auf dem Weg zu ihr war, und abgesagt, weil ihre Katze heute notoperiert wurde und sie sie nicht allein lassen wollte.“

Anna verzog das Gesicht und stemmte die Hände in die Hüften. Dadurch zog sie den ohnehin recht tiefen Ausschnitt noch ein Stück weiter nach unten, und der Stoff spannte sich über ihre vollen Brüste. Die Körperhaltung betonte auch ihre schmale Taille und die sanft gerundeten Hüften. Jake zwang sich dazu, den Kopf abzuwenden.

„Dann hast du dich also gar nicht rasiert, bevor du zu Cheryl gefahren bist? Wolltest du etwa besonders cool aussehen, oder warst du einfach nur zu faul?“

„Hey!“ Er fuhr sich über die Bartstoppeln. „Ich versuche einfach nur, cool auszusehen. Da stehen die Frauen doch drauf, oder etwa nicht?“

Sie zog eine Augenbraue hoch und lächelte. „Okay, damit liegst du nicht ganz falsch. Es sieht wirklich ziemlich … heiß aus.“

Er zuckte innerlich zusammen.

„Ich würde dich jedenfalls ziemlich heiß finden, wenn du nicht gerade … na ja, du wärst.“

„Was willst du denn damit sagen?“

Sie schenkte ihm ein herausforderndes Lächeln, das ihr ganzes Gesicht zum Strahlen brachte.

„Machst du dich etwa gerade über mich lustig?“

„Absolut. Das macht richtig Spaß. Ach, und übrigens habe ich ganz vergessen, dir zu erzählen, dass Cheryl unglaublich tierlieb ist. Dass sie heute lieber bei ihrer Katze bleiben will, überrascht mich gar nicht, aber sie hätte dir ruhig etwas früher Bescheid geben können.“

„Meinst du? Was hast du eigentlich heute Abend noch vor, dass du dich so chic gemacht hast?“

Anna errötete und verschränkte die Arme vor der Brust. Plötzlich wirkte sie wieder ganz verlegen … und genau das mochte er so an ihr.

„Ach, gar nichts weiter. Ich habe mir bloß ein paar neue Sachen gekauft und eben noch mal geschaut, was ich davon anziehen kann, wenn ich mich demnächst mit Joseph treffe. Er hat mir heute eine SMS geschickt und mich gefragt, ob ich nächsten Mittwoch schon etwas vorhabe. Wie findest du übrigens das Kleid hier? Emily hat mich dazu überredet, ich war mir erst nicht so sicher.“

Erneut legte sie die Hände auf die Hüften und warf sich in Pose, unter ihrem Arm baumelte noch das Preisschild. Am liebsten hätte er ihr nahegelegt, das Kleid gegen ein etwas braveres Modell einzutauschen oder jedenfalls gegen irgendetwas, worin sie nicht so umwerfend gut aussah.

„Dein Kleid … also … ich finde, es sieht toll aus“, brachte er schließlich hervor.

Vielleicht sogar ein bisschen zu toll für eine erste Verabredung mit jemandem wie Joseph Gardner. Jake kannte ihn aus dem College, die zwei hatten sich damals ein Zimmer geteilt. Inzwischen wohnte Joe in Dallas, also nicht weit von ihnen entfernt. Er war ein wirklich netter Mensch, deswegen hatte Jake ihn ja für Anna ausgesucht.

Aber warum reagierte er dann so komisch auf Annas Frage nach dem Kleid?

„Und wo du schon mal so chic angezogen bist, kannst du es auch gleich Probe tragen. Hast du Lust, heute Abend mit mir zum Jazzfestival zu kommen?“

Anna schüttelte langsam den Kopf. „Heute ist mir nicht danach, noch mal loszuziehen …“

„Du bist ganz schön langweilig, weißt du das?“ Er lächelte ihr zu, um ihr zu signalisieren, dass er nur Spaß machte. „Außerdem ist es irgendwie deine Schuld, dass ich jetzt auf dieser zweiten Eintrittskarte sitzen bleibe. Du hast mir ja diese Frau vorgeschlagen, die sich gar nicht mit mir treffen will.“

Sie legte den Kopf schief und lächelte. Ein Zeichen dafür, dass sie kurz davor war, es sich anders zu überlegen, das erkannte er sofort.

„Und wenn wir gleich losfahren, schaffen wir es sogar noch, kurz etwas zu essen zu holen und rechtzeitig zum ersten Auftritt beim Pavillon zu sein.“

„Okay, aber ich brauche noch ein paar Minuten, ich hatte mich nämlich schon abgeschminkt.“

Ihm war gar nicht aufgefallen, dass sie ungeschminkt war. In seinen Augen sah sie auch so perfekt aus mit ihrer ebenmäßigen Haut, den leicht geröteten Wangen und den rosigen Lippen. Das rotbraune Haar fiel ihr locker über die Schultern, das Kleid gab den Blick auf ihr wunderschönes Dekolleté preis.

„Du brauchst dich nicht zu schminken, du siehst auch so gut aus“, sagte er. „Außerdem bist du ja nur mit mir unterwegs.“

„Schon, aber auf dem Festival sind noch mehrere Hundert andere Menschen. Nicht dass die sich noch fragen, was du mit der unscheinbaren Frau an deiner Seite willst.“

Unscheinbar? Das meinte Anna doch wohl nicht ernst.

„Süße, man kann ja alles Mögliche über dich sagen, aber nicht, dass du unscheinbar bist.“

Anna verdrehte die Augen. „Jetzt übertreib mal nicht gleich, ich komm ja schon. Ich hole nur schnell meine Sandaletten, dann können wir los.“

Sie wandte sich um und ging zurück ins Schlafzimmer … und er ertappte sich dabei, dass er ihr dabei auf den sanft gerundeten Hintern sah.

Was war eigentlich los mit ihm?

3. KAPITEL

Als Anna von der Arbeit nach Hause gekommen war, hätte sie nie im Leben damit gerechnet, dass der Abend so weitergehen würde. Jetzt saß sie mitten in Celebration beim Jazzfestival auf einer rot karierten Wolldecke, winkte hier und da jemandem zu und unterhielt sich mit dem einen oder anderen. Und es ging ihr so richtig gut dabei.

Es war ein angenehmer Abend mit einer frischen Brise, die die Hitze des Spätjunitages vergessen ließ. Jake und sie hatten sich ein perfektes Plätzchen im Stadtpark gesucht, relativ nah an dem Pavillon, in dem die verschiedenen Bands spielten, aber immer noch so weit davon entfernt, dass sie sich während der Livemusik gut unterhalten konnten. Um sie herum saßen lauter unterschiedliche Menschen: jüngere und ältere Paare, Familien, auch Gruppen von Freunden. Sie unterhielten sich und lachten und hatten auch etwas zu essen und zu trinken dabei. Die gute Stimmung war ansteckend, in diesem Moment wollte Anna an keinem anderen Ort auf der ganzen Welt lieber sein als hier auf dieser Picknickdecke … während Jake ihnen gerade eine Flasche Wein und ein paar Snacks aus dem Catering-Zelt organisierte.

Fast hatte sie vergessen, wie es sich anfühlte, Teil einer Gemeinschaft zu sein. Als sie noch mit Hal in San Antonio gewohnt hatte, hatten sie dort ein völlig anderes Leben geführt. Schließlich war San Antonio eine Großstadt, und Hal war nicht besonders unternehmungslustig, Picknicks und Jazzfestivals interessierten ihn nicht. Stattdessen trieb er sich lieber auf dem Golfplatz herum oder traf sich mit seinen spießigen Kollegen und deren Frauen im Clubhaus zum Dinner. Einmal hatte Anna sogar versucht, sich an dem Gespräch zu beteiligen. Zu dem Zeitpunkt diskutierten sie gerade die Risikofaktoren, die bei der Geburt zu schweren Blutungen führen konnten, und immerhin war Anna ja Krankenschwester auf der Entbindungsstation. Aber die anderen Ärzte hatten sie komplett ignoriert.

Hinterher war Hal ziemlich wütend auf sie gewesen. Er hielt ihr vor, dass sie ihn bis auf die Knochen blamiert habe. Beim nächsten Mal solle sie sich doch bitte zurückhalten und sich lieber mit den anderen Frauen unterhalten. Dabei hatte sie absolut nichts mit ihnen gemeinsam. Im Gegensatz zu ihr waren die meisten von ihnen nicht berufstätig, dafür kannten sie sich umso besser mit Gucci, Prada und Louis Vuitton aus. Anna konnte mit diesen Modemarken nichts anfangen und wollte daran auch nichts ändern. Trotzdem musste sie sich dazusetzen und sich immer wieder das gleiche Gequassel darüber anhören, wer gerade wen beim Tennis im Country Club beleidigt und wer gerade eine Affäre mit einem verheirateten Mann angefangen hatte.

Für Anna interessierten sich die Frauen nie großartig … bis zum letzten Dinner. Da spürte sie von Anfang an, dass etwas in der Luft lag. Plötzlich zeigten die anderen Frauen nämlich ungewohnt starkes Interesse an ihr, fragten nach ihren Arbeitszeiten und ob sie auch manchmal Nachtschichten hätte oder am Wochenende eingesetzt würde. Außerdem wollten sie wissen, wie lange sie und Hal schon verheiratet waren.

Die vielen Fragen waren Anna ganz schön unheimlich. Und sie hatte das untrügliche Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Dass diese Frauen irgendetwas über sie wussten und jetzt wie ein Rudel Raubkatzen mit ihrer Beute spielten, bevor sie ihr den Todesstoß verpassten.

Auf dem Nachhauseweg versuchte sie noch, mit Hal darüber zu reden, aber der gab sich wie immer desinteressiert. Allmählich wurde aus ihrem unbestimmten Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte, nach und nach die schlimme Gewissheit, dass tatsächlich etwas Schlimmes passiert war und jeder außer ihr darüber Bescheid wusste. Und als sie eines Tages in Hals E-Mails nachschaute, gingen auch ihr die Augen auf: Das Postfach war voller anzüglicher Nachrichten von seiner Büroleiterin. Offenbar hatten sie sich schon mehrmals getroffen und kleine Liebesausflüge aus der Stadt heraus gemacht. Dabei hatte dieser Mistkerl sich offenbar so sicher gefühlt, dass er es nicht einmal für nötig befunden hatte, besagte E-Mails zu löschen.

Und vorher hatte Hal sie noch beschuldigt, dass zwischen ihr und Jake mehr lief als eine rein platonische Freundschaft.

Jetzt ließ Anna den Blick über die Menschenmenge auf dem Jazzfestival schweifen, bis sie Jake fand. Er kam gerade mit einer großen weißen Tüte in der einen und einer Flasche Wein in der anderen Hand auf sie zu. Schnell verdrängte sie die unangenehmen Erinnerungen an ihren Exmann. Diesen schönen Abend durfte er ihr nicht verderben!

Stattdessen betrachtete sie Jake. Er war ein wirklich gut aussehender Mann: groß und breitschultrig, mit dunklem Haar und tiefblauen Augen. Gleichzeitig war er ein wunderbarer, ehrlicher Mensch, und das fand sie noch viel wichtiger. Selbst wenn er eine Beziehung nach der anderen hatte, machte er grundsätzlich immer mit einer Frau Schluss, bevor er etwas mit der nächsten anfing. Von ihrem Exmann konnte sie das nicht behaupten.

In diesem Moment wurde ihr bewusst, wie glücklich sie sich im Vergleich zu Jakes zahlreichen Exfreundinnen schätzen konnte. Ihre Freundschaft war viel tiefer und stabiler als die meisten Liebesbeziehungen. Und sie würde alles dafür tun, dass es auch so blieb.

„Die hatten da so ein tolles Gericht mit Schleifennudeln, Hähnchen mit Rosmarin, Champignons und Spargel“, schwärmte Jake, als er sich neben sie auf die Decke setzte. „Ich habe uns eine Portion davon mitgebracht, außerdem noch etwas mit Tomatensoße. Dazu ein paar Salate und Fladenbrot. Außerdem gab es Tiramisu. Lass also gleich noch Platz für Dessert. Es sei denn, du willst keins, dann esse ich deins mit.“

„Wenn du das versuchst, beiße ich dir in den Arm.“

Vorsichtig holte sie die Behälter aus der Papiertüte und stellte sie auf der Decke ab. Währenddessen öffnete Jake den Rotwein und schenkte ihnen zwei Plastikbecher ein. Einen davon reichte er ihr, dann prostete er ihr mit seinem zu.

„Vielen Dank, dass du heute so spontan mitgekommen bist“, sagte er. „Es wäre sonst wirklich schade um die Eintrittskarten gewesen. Cheryl hat ja keine Ahnung, was sie hier verpasst.“

„Ach, die Arme“, meinte Anna. „Das heißt … ich kann verstehen, dass sie sich um ihre Katze kümmern will. Sie hätte dir bloß etwas früher absagen können.“

„Alles halb so wild.“ Jake verteilte gerade die Nudelgerichte auf zwei Teller. „Mit dir wird es wahrscheinlich sowieso viel schöner.“

„Gibst du ihr denn eine zweite Chance?“

Er zuckte mit den Schultern. „Wir haben kurz darüber gesprochen, uns ein andermal zu treffen, sie klang aber nicht besonders motiviert. Vielleicht hat sie inzwischen auch keine Lust mehr auf ein Date. Was auch okay wäre.“

„Die Frau, mit der du hier bist – ist das das Blind Date, von dem du mir erzählt hast?“, erkundigte sich Jakes Kollege Dylan Tyler, der gerade als Arzt am Celebration Memorial Hospital angefangen hatte. Anna war noch mal schnell zur Toilette verschwunden, bevor die Musik losging, da war Dylan kurz herübergekommen, um Jake zu begrüßen.

„Nein, das ist eine gute Freundin von mir, Anna Adams. Vielleicht kennst du sie aus dem Krankenhaus, sie arbeitet auch da – als Schwester auf der Entbindungsstation.“

„Nein, aber ich wundere mich gerade, wie ich sie übersehen konnte. Und du bist wirklich nicht auf einem Date mit ihr?“

Jake machte eine wegwerfende Handbewegung.

„Machst du uns dann vielleicht mal miteinander bekannt? Ich freue mich immer darüber, neue Leute kennenzulernen. Und Anna macht auf mich einen besonders netten Eindruck.“

Das glaube ich dir aufs Wort.

„Aber wenn du dich auch für sie interessierst, lasse ich dir natürlich den Vortritt“, fügte Dylan hinzu. „Das ist kein Problem.“

Nein, ich will bestimmt nichts von Anna, dachte Jake. Aber ich will auch nicht, dass sich jemand wie Dylan an Anna heranmacht.

Dylan Tyler war sicher ein guter Arzt und ein netter Mensch, aber für Jakes Geschmack war er viel zu überschwänglich in seiner Begeisterung für Anna. Außerdem fand Jake es viel besser, wenn sie ihre Dates nicht gerade aus dem Krankenhaus rekrutierten. Privates und Berufliches sollte man lieber trennen.

Und überhaupt: Hatte Anna ihm nicht zu verstehen gegeben, dass sie sich nie mehr auf einen Arzt einlassen wollte? Damit war Dr. Dylan Tyler definitiv aus dem Rennen.

„Schon gut, ich weiß Bescheid“, sagte der jetzt. „Hier ist sie auch schon wieder, deine gute Freundin. Dann lasse ich euch jetzt mal allein. Ihr könnt euch aber auch gern zu uns rübersetzen.“ Mit dem Kopf wies er auf eine Gruppe von mindestens fünfzehn Leuten, die einige Meter von Jakes und Annas Picknickdecke entfernt auf dem Rasen saßen. „Aber wenn ihr lieber unter euch sein wollt, wünsche ich euch noch viel Spaß bei eurem … netten Treffen, das natürlich überhaupt nichts mit einem Date zu tun hat.“ Dylan grinste und versetzte Jake einen leichten Knuff.

„Wer war das denn eben?“, erkundigte sich Anna und blickte Dylan hinterher, der immer noch zu ihnen herübersah – ganz schön dreist, fand Jake. Sie winkte dem anderen Mann zu, wohl um ihm zu signalisieren, dass sie ihn bemerkt hatte.

„Das ist unser neuer Arzt, Dylan Tyler. Er ist erst seit zehn Tagen bei uns im Krankenhaus. Dann seid ihr euch also noch nicht über den Weg gelaufen?“ Die Antwort kannte er längst, trotzdem war er gespannt auf ihre Reaktion.

„Nein, leider nicht. Er macht einen sympathischen Eindruck.“

Ein seltsames Gefühl breitete sich in Jake aus. Es fühlte sich ein bisschen an wie … Eifersucht? Aber das konnte nicht sein. „Du hattest doch mal gesagt, dass du dich nie wieder auf einen Arzt einlassen würdest.“

Endlich löste Anna den Blick von Dylan und schaute wieder zu Jake herüber. „Hm, das stimmt wohl. Vielleicht denke ich einfach noch mal neu über meine Ausschlusskriterien nach. Oder ich mache wenigstens mal eine Ausnahme. Ich meine, warum sollte ich mir nur wegen Hal etwas entgehen lassen?“

„Wie bitte? Machst du dir etwa ernsthaft Sorgen, dir diesen Typen entgehen zu lassen?“, wollte Jake wissen.

„Jetzt siehst du aus, als hättest du gerade in ein verfaultes Ei gebissen. Ist er so schlimm?“

Dylan Tyler war zwar alles andere als schlimm, aber trotzdem nicht gut genug für Anna, da war Jake sich sicher. „Du kannst nicht alle naselang deine Ausschlusskriterien ändern“, sagte er. „Wie soll ich dann wissen, mit wem ich dich zusammenbringen kann?“

Er ließ sich auf die Decke sinken. Anna ging ebenfalls in die Knie, um sich dann seitlich hinzusetzen und sich das Kleid über die Oberschenkel zu ziehen. Trotzdem konnte man immer noch ziemlich viel von ihren schönen schlanken Beinen sehen.

„Ich finde es aber unpraktisch, wenn unsere Ausschlusskriterien in Stein gemeißelt sind und wir sie nicht mehr ändern können. Was ist denn, wenn wir beim Daten über ein ganz neues No-Go stolpern, über das wir vorher noch nicht nachgedacht haben? Oder was ist, wenn wir feststellen, dass eins unserer bisherigen Ausschlusskriterien doch nicht so schlimm ist, wie wir dachten?“ Und schon wieder schaute sie in Dylan Tylers Richtung. Das machte ihn ganz verrückt.

„Möchtest du ihn denn kennenlernen? Dann mache ich euch gern miteinander bekannt.“ Seine Worte klangen sehr viel schärfer, als er sie hatte aussprechen wollen.

„Oh, da ist aber gerade jemand eingeschnappt.“ Anna betrachtete ihn verwundert.

„Ich habe mich bloß gefragt, wie ich je diese Wette gewinnen soll, wenn du nicht weißt, was du überhaupt willst“, gab er zurück und versuchte dabei möglichst locker und humorvoll zu klingen.

„Das wissen wir wohl beide nicht. Sonst würde es die Wette nicht geben.“

Damit hatte sie ihn kalt erwischt.

In diesem Moment betrat die erste Band die kleine Bühne im Pavillon. Sie spielten eine Mischung aus Reggae und Jazz und starteten mit einem bekannten Bob-Marley-Song. Die meisten Festivalbesucher sprangen sofort auf und bewegten sich sanft im Takt zur Musik, einige sangen sogar mit.

Autor

Nancy Robards Thompson
<p>Nancy Robards Thompson, die bereits mit vielen Preisen ausgezeichnet wurde, lebt in Florida. Aber ihre Fantasie lässt sie Reisen in alle Welt unternehmen – z. B. nach Frankreich, wo einige ihrer Romane spielen. Bevor sie anfing zu schreiben, hatte sie verschiedene Jobs beim Fernsehen, in der Modebranche und in der...
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