Bianca Extra Band 49

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WENN EIN BOSS SO ZÄRTLICH KÜSST von CHRISTYNE BUTLER
Katie genießt die Stunden der Leidenschaft - und ahnt nicht, dass ihr Traum am Morgen zerplatzen wird: Nolan will keine gemeinsame Zukunft. Sie muss ihn vergessen! Das würde ihr allerdings sehr viel leichter fallen, wenn ihr Liebhaber dieser Nacht nicht auch ihr Boss wäre …

SEHNSUCHT UNTER DEM STERNENZELT von CHRISTY JEFFRIES
Dieses Modepüppchen will in der Wildnis überleben? Niemals! Nur widerwillig gibt sich Alex mit Reporterin Charlotte ab - Stadt-Ladys sind nichts für ihn! Bis ein Sturm ihn zwingt, die Nacht mit ihr in einem Zelt zu verbringen und sie seine harte Schale einfach fortküsst …

EIN ÖLBARON UND HERZENSBRECHER von NANCY ROBARDS THOMPSON
Über Nacht von der reichen Tochter zur Arbeitslosen - doch Pepper gibt nicht auf! Sie nimmt einen Job bei Ölbaron Robert Macintyre an, fest entschlossen, in die Upper Class zurückzukehren. Doch der attraktive Robert und sein süßer Sohn machen ihr einen Strich durch die Rechnung …

VERLIEBT IN EIN COWGIRL von JOANNA SIMS
So sehr sie sich nach ihm verzehrt, er passt nicht zu ihr! Anwalt Nick ist ehrgeizig und mit seinem Beruf verheiratet. Für ein freiheitsliebendes Cowgirl sicher nicht der Richtige! Dallas darf ihrer Sehnsucht nicht nachgeben - diese Liebe würde mit zwei gebrochenen Herzen enden …


  • Erscheinungstag 26.09.2017
  • Bandnummer 0049
  • ISBN / Artikelnummer 9783733732967
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Christyne Butler, Christy Jeffries, Nancy Robards Thompson, Joanna Sims

BIANCA EXTRA, BAND 49

CHRISTYNE BUTLER

Wenn ein Boss so zärtlich küsst

Gefühle sind Illusion – das hat Nolan bitter erfahren! Katie muss akzeptieren, dass er nur eine Affäre sucht. Auch wenn er an nichts anderes mehr denken kann als an sie in seinen Armen …

CHRISTY JEFFRIES

Sehnsucht unter dem Sternenzelt

Extremsportler Alex ist äußerst attraktiv, doch absolut kein Daddy-Kandidat für ihre Töchter. Nein, wenn Charlottes Arbeit getan ist, wird sie in ihr Leben zurückkehren! Ganz egal, was ihr Herz sagt?

NANCY ROBARDS THOMPSON

Ein Ölbaron und Herzensbrecher

So süß, so sexy – und leider so gar keine Frau für ihn! Pepper fasziniert Robert Macintyre, doch er weiß, dass sie sich nach Luxus sehnt und nicht danach, bei ihm auf der Ranch zu blei-ben …

JOANNA SIMS

Verliebt in ein Cowgirl

Sie ist so ungezähmt wie ihre Pferde: Nick Brand ist hingeris-sen von Rodeo-Reiterin Dallas. Aber Nick wird eine renom-mierte Kanzlei übernehmen, und Dallas ist leider keine respek-table Anwaltsgattin …

1. KAPITEL

Freitagabend vor Halloween

Es wurde Zeit.

Katie Ledbetter schraubte den Deckel vom fast leeren Einweckglas, salutierte kurz und stürzte den letzten Schluck Tequila, Limettensaft, Curaçao und zerstoßenes Eis hinunter.

Wow, das brannte. Trotzdem – der Alkohol vertrieb die letzten Selbstvorwürfe, mit denen sie sich seit dem Spätsommer herumquälte.

Sie war jetzt wieder bereit für den achten Höllenkreis nach Dantes Göttlicher Komödie – auch bekannt unter der Bezeichnung Partnersuche. Zwei Monate waren jetzt vergangen – genug Zeit für ein Herz, um zu heilen, sogar für ein so ramponiertes Herz wie ihrs.

Und welcher Anlass eignete sich besser für diesen Zweck als eine Nacht, in der sich alle Menschen verkleideten und ihr wahres Ich verbargen?

Bei der jährlichen Halloweenparty im Blue Creek Saloon waren Täuschmanöver zumindest beabsichtigt. Heute Nacht durfte jeder sich als etwas anderes oder jemand anderes ausgeben, ob sexy oder witzig oder Superheld – sogar als glücklich.

Außerdem gab es da diesen schneidigen Piraten auf der anderen Seite des Saloons.

Er war Katie gleich nach ihrer Ankunft aufgefallen, auch wenn sie ihn nur flüchtig gesehen hatte. Seitdem bevölkerten noch weitere Piraten den Raum.

Doch dieser eine Freibeuter wirkte irgendwie anders.

Sogar auf die Entfernung konnte sie sein maskiertes Profil über dem hochgestellten Kragen seines Mantels und unter dem Dreispitz sein langes Haar erkennen. Der Säbelrassler wirkte allerdings ganz schön bedrückt, so, wie er in sein Bierglas starrte. Er kam ihr etwas einsam in dem Raum voller feierlustiger Menschen vor.

Tja, gleich und gleich gesellt sich eben gern und erkennt sich sofort.

„Du siehst total scharf in dem Outfit aus!“, sagte ihre Freundin Peggy Katz, die sich mit einem Drink in der Hand zu ihr stellte.

Katie, die gerade auf den Typen hatte zugehen wollen, schwankte für einen Moment auf ihren hohen Absätzen. Eine Menschentraube schob sich vor ihr Gesichtsfeld, sodass sie ihren Piraten nicht länger sehen konnte. Ihre Enttäuschung ignorierend, drehte sie sich um und stützte eine Hand in eine Hüfte. „Findest du?“

Sie hatte sich als Schurkin Harley Quinn aus dem Batman-Comic verkleidet und trug ein schwarz-rotes Korsett, Fischnetzhandschuhe und einen weiten Tüllrock. Eine blonde Perücke mit zwei Pferdeschwänzen verbarg ihr langes rotes Haar, und ihr weiß geschminktes Gesicht war mit einer schwarzen Maske bedeckt.

„Also, wenn dich noch ein Polizist, Cowboy oder Clown anmacht und mich ignoriert, dann nehme ich das persönlich.“

„Soll das ein Witz sein? Du bist eine tolle Hexe, sogar unter der verrückten orangefarbenen Perücke und dem schwarzen Umhang. Ist dir nicht zu warm darin?“

„Nein. Außerdem habe ich einiges zu verbergen. Meine Sanduhrfigur ähnelt nämlich eher diesem Einweckglas hier!“ Peggy schüttelte ihr fast leeres Glas. „Lust auf Nachschub?“

„Klar, warum nicht?“ Anders als ihrer Freundin war Katie schon ziemlich warm, aber vermutlich lag das eher an den vielen Menschen als am Alkohol, auch wenn sie ihren letzten Drink viel zu schnell geleert hatte. „Wie spät mag es wohl sein?“

Peggy zog ihr Handy aus ihrer Tasche. „Fast Mitternacht. Jetzt sag nicht, du willst schon gehen. Ich habe nur jedes zweite Wochenende die Chance, die Sau rauszulassen. Vorausgesetzt, Bruce lässt sich dazu herab, seine väterlichen Pflichten zu erfüllen.“

Dies hatte Peggys Exmann in den zwei Jahren seit ihrer Scheidung nicht oft getan, aber in letzter Zeit schien er es nachzuholen.

Katie und Peggy wollten nach der Party nebenan in der Pension übernachten, in der Peggys Schwester – sie arbeitete als Krankenschwester und weilte gerade in Brasilien – ein Zimmer gemietet hatte. Das hieß, sie konnten den Wagen stehen und die Margaritas fließen lassen.

Katie schüttelte den Kopf und reichte Peggy ihr Glas. „Ich halte durch, bis man uns rauswirft. Wir mischen uns unter die Leute und checken neue Männer, stimmt’s?“

„Hey, ich bin beim Baggern nur deine Komplizin – nicht dass du eine Wingwoman nötig hättest. Aber halt dich von den schlimmen Jungs fern.“

Katie lächelte verkrampft. „Spielverderberin.“

„Ich spreche aus Erfahrung!“

Diese Erfahrung teilte Katie. Sie war im Laufe der Jahre mit genug Typen zusammen gewesen, die zu wild gewesen waren, um von ihr gezähmt zu werden. Also hatte sie sich das letzte Mal jemanden mit einem Stern am Hemd und olivfarbenem Hut gesucht. Die Männer von den Wyoming Highway Patrols gehörten schließlich zu den Guten, oder?

„Geh schon, ich hol den nächsten Drink.“ Peggy drehte sich um. „Misch dich unter die Leute und sprich Männer an, was das Zeug hält. Ich finde dich schon.“

Katies Lächeln erlosch, als ihre Freundin in der Menge verschwand. Es war für sie kein Problem, sich unters Volk zu mischen, aber einen neuen Mann kennenzulernen, das war in Anbetracht der niedrigen Bevölkerungszahl in Destiny in Wyoming echt herausfordernd. Allerdings lagen die Städte Laramie und Cheyenne keine Fahrtstunde entfernt, und die Halloweenparty in Destiny hatte sich im Laufe der Jahre herumgesprochen.

Es würde sich hier doch wohl ein interessanter Mann auftreiben lassen, der … mehr wollte.

Obwohl Katie seit der siebten Schulklasse Beziehungen hatte, war ihr schon oft das Herz gebrochen worden. Trotzdem hoffte sie weiterhin, eines Tages jemanden zu finden, den sie liebte und der ihre Gefühle erwiderte.

Das letzte Mal war es ein stellvertretender Sheriff und alleinerziehender Vater gewesen. Genau das Richtige für sie.

Zumindest hatte sie das gedacht.

Sie hatte bei Jake alles richtig gemacht. Sie hatte drei Monate mit dem ersten Sex gewartet und noch ein paar Monate mit dem Kennenlernen seiner beiden niedlichen Töchter. Als er sie dann im Juni – kurz vor ihrem ersten Jahrestag – dazu überredet hatte, bei ihm einzuziehen, war sie davon ausgegangen, endlich am Ziel ihrer Träume zu sein. Sie hatte von einem Verlobungsring geträumt, einer Hochzeit, einem weiteren‒ gemeinsamen Kind …

In diesem Augenblick kehrte Peggy mit zwei Margaritas zurück. „Vergiss ihn. Und sag nicht, du weißt nicht, von wem ich spreche!“, fügte sie hinzu. „Ich sehe an deinem Blick, was in dir vorgeht.“

Katie trank einen großen Schluck vom Cocktail. „Ich habe nicht wirklich an ihn gedacht. Okay, du hast recht, aber bei meinem Pech mit Männern …“

„Du hast Glück mit Männern! Du hast nur noch niemanden gefunden, der das Gleiche will wie du.“

Katie schluckte. „Autsch.“

„Mir ging es vor ein paar Jahren genauso wie dir. Ich habe mir viel zu lange eingeredet, dass er sich ändern wird. Aber noch mal von vorn anfangen? Lieber nicht! Ich habe ja schon einen Mann und der reicht mir.“

Katie lächelte. Sie liebte Peggys achtjährigen Sohn mit dessen Zahnlücken, roten Locken und seiner Begeisterung für den Actionfilm Justice League über Comic-Superhelden. „Curtis ist toll, aber er zählt doch nicht.“

„Er ist das Einzige, was zählt!“

Katies Freundin hatte recht. Kinder hatten Vorrang, grundsätzlich.

Katie war so fest davon überzeugt gewesen, dass sie sich bereitwillig um Jakes drei- und fünfjährige Töchter gekümmert hatte, nachdem sie bei ihm eingezogen war. Wegen seiner Arbeitszeiten hatte sie die beiden Kinder abends oft betreut, bis er weit nach Mitternacht zurückgekehrt und nach einem gelegentlichen und, okay, ziemlich lustlosen Quickie eingeschlafen war.

Im Laufe der Zeit war alles zur Gewohnheit geworden, und Katie hatte sich eingeredet, dass das Leben nun einmal so sein musste, wenn man Kinder hatte. Von daher war sie fassungslos gewesen, als Jake ihr keine zwei Monate später mitgeteilt hatte, dass er zu seiner Doch-noch-nicht-ganz-Exfrau zurückkehren würde.

Das war Ende August passiert.

Inzwischen musste sie sich allerdings eingestehen, dass sie Jakes Töchter und deren Lachen und Zuneigung mehr vermisste als den Mann, der die Stadt verlassen hatte, kaum dass Katie in ihre Wohnung über einer leerstehenden Ladenfläche in der Stadt zurückgezogen war.

„Du hättest dir einen der Murphy-Brüder krallen sollen, als du noch die Chance dazu gehabt hattest!“, riss Peggy sie aus ihren Gedanken. „Als du dort angefangen hast, waren alle sechs noch Single.“

Katie ignorierte ihren sich beschleunigenden Herzschlag und gab ihre Standardantwort auf diese alte Leier. „Die Murphy-Brüder sind meine Vorgesetzten.“

„Nicht alle.“

„Doch, jeder hat einen Anteil an der Firma. Außerdem war Bryant schon mit Laurie zusammen, als ich vor fünf Jahren bei ihnen angefangen habe. Und Ric – na ja, der war doch gerade erst mit der Highschool fertig.“

„Als wärst du so viel älter gewesen. Du hattest gerade deinen Collegeabschluss in der Tasche.“

Das stimmte.

Katie war den Murphys bei einer Jobmesse begegnet. Nach nur einem Besuch im idyllischen Destiny und der Zentrale von Murphy Mountain Log Homes sowie im zweistöckigen Blockhaus auf der Ranch der Murphys hatte sie den Vertrag als Assistentin unterzeichnet.

Derjenige Bruder, mit dem sie das Vorstellungsgespräch gehabt hatte, war über eins achtzig groß und hatte traurige dunkle schokoladenbraune Augen – das hatte bei ihrer Entscheidung keine Rolle gespielt …

„Die Typen fallen um wie die Fliegen!“, fuhr Peggy fort. „Zwei sind schon verheiratet und kriegen bald Nachwuchs und zwei weitere haben Freundinnen in England. Bleiben also nur noch der in Übersee stationierte Ric und Nolan …“

„Spar dir die Leier, Peg, ich weiß besser als die meisten anderen, was im Leben der Murphys vor sich geht, trotz Destinys blühender Gerüchteküche.“

„Diese Gerüchteküche munkelt, dass der der einzige noch hier lebende Singlebruder nicht mehr mit der stellvertretenden Highschooldirektorin ausgeht“, flötete Peggy. „Verrätst du mir Näheres?“

Nein, das tat Katie nicht. Sie redete nicht gern über die Murphys. Schon gar nicht über Nolan.

Die sechs Brüder und deren Eltern – die Firmengründer – hatten Katie von Anfang an herzlich aufgenommen, auch wenn es Katie erst schwergefallen war zu glauben, dass die Zuneigung und Gastfreundschaft ehrlich gemeint waren. Die Murphys waren inzwischen fast so etwas wie eine Familie für sie geworden. Sie wollte das gute Verhältnis nicht leichtfertig aufs Spiel setzen.

„Warum ist heute eigentlich keiner von ihnen hier?“, fuhr Peggy fort.

Katie war froh über den Themenwechsel. „Den werdenden Müttern ging es nicht gut, also nehme ich an, dass ihre Männer bei ihnen zu Hause geblieben sind. Und Nolan ist auf Geschäftsreise, würde aber sowieso nicht kommen.“

„Ist er nicht …?“ Peggy verstummte und warf einen Blick auf ihr aufleuchtendes Handy. „Was zum … Das ist mein Ex! Ich wusste ja gleich, dass es zu schön ist, um wahr zu sein. Rühr dich nicht von der Stelle, ich bin sofort zurück.“

Katie schob sämtliche Gedanken an Nolan beiseite – etwas, worin sie langjährige Übung hatte. Um sich abzulenken, betrachtete sie die vielen selbst gemachten und die ebenso zahlreichen gekauften Kostüme.

Hm, vielleicht sah sie ihren Piraten ja wieder … Oh ja, da stand er!

Diesmal konnte sie ihn eingehender betrachten, auch wenn er ihr den Rücken zuwandte. Er hatte seinen Mantel ausgezogen, unter dem er ein weißes Hemd mit weiten Ärmeln und eine dunkle Weste trug. Der Hut war verschwunden, und sein langes Haar – vermutlich eine Perücke – fiel ihm auf die sexy breiten Schultern. Um den Kopf hatte er sich ein Seidentuch geschlungen.

Junge, Junge, der Freibeuter sieht aus wie direkt einem Dreimaster entsprungen.

Katie ließ den Blick zu seiner engen Kniebundhose und seinen hohen Stulpenstiefeln gleiten. Vom breiten Ledergürtel um seine feste Taille hing ein Schwert.

Hm, netter Anblick.

Der Möchtegern Captain drehte sich zu ihr um. Seine Maske war ähnlich groß wie ihre und bedeckte daher fast sein ganzes Gesicht. Katie konnte nur sein markantes Kinn und seine sexy Lippen mit einem kleinen Ziegenbärtchen darunter sehen.

Als ihre Blicke sich trafen, stockte Katie der Atem, und sie erschauerte. Wenn sie Peggy nicht versprochen hätte, sich nicht von der Stelle zu rühren, dann würde sie jetzt zu ihm gehen.

Aber vielleicht kam er ja zu ihr.

Sie hob eine Hand. Der Alkohol gab ihr den Mut, dem Piraten einen kleinen Wink zu geben, doch ein paar Nachtschwärmer versperrten ihr die Sicht. Als sie vorbeigegangen waren, war der Typ schon wieder verschwunden.

Verdammt!

Nolan Murphy beschloss aufzubrechen, sobald er sein letztes Bier ausgetrunken hatte. Er war müde, verschwitzt und genervt.

Und erstaunlich angetörnt.

Was für ein seltsamer Ausklang einer völlig verrückten Woche.

Im Blue Creek Saloon war es bullig heiß, weshalb Nolan seinen schweren Mantel ausgezogen und mehrere eiskalte Bier gekippt hatte. Letzteres auch, um zumindest für eine Weile seinen anstrengenden neuen Auftraggeber zu vergessen.

Das Projekt hätte eigentlich ein Selbstläufer werden sollen – eine Anlage mit Blockhäusern, ähnlich wie die Häuser seiner Familie auf der Ranch –, doch inzwischen war die Zusammenarbeit zur reinsten Hölle geworden. Nachdem Nolan vorhin von dem Kunden – ein Vater und seine drei anspruchsvollen erwachsenen Töchter – wieder einmal eine neue Liste mit Änderungen bekommen hatte, war er kurz entschlossen in Spokane in den Flieger gestiegen und nach Hause geflogen.

Er war nach dem Abendessen zu Hause angekommen und hatte seine Mutter nach Hause geschickt. Die hatte in seiner Abwesenheit auf seine drei Kinder aufgepasst. Doch anstatt sich einfach zu entspannen, hatte er sich von seinen Kindern dazu überreden lassen, sich ein albernes Kostüm anzuziehen und auf die jährliche Halloweenparty im Blue Creek Saloon zu gehen.

Gott sei Dank sah das Kostüm dank der Freundin seines Bruders einigermaßen passabel aus – die war Kostümdesignerin­ beim Film.

Aber der Eyeliner …

Als seine Tochter Abby darauf bestanden hatte, dass ein Pirat ohne Eyeliner kein echter Pirat war, hatte er sich von ihr das Zeug auftragen lassen – zumal es das erste Mal seit langer Zeit gewesen war, dass er und seine Sechzehnjährige sich unterhalten hatten, ohne sich zu streiten.

Die Zwillinge hatten sich ebenfalls eingeschaltet und ihn dazu überredet, sich seinen Vollbart abzurasieren und nur noch einen kleinen Ziegenbart und einen Backenbart stehen zu lassen.

Stolz auf ihr Werk hatten sie darauf bestanden, Selfies mit ihm zu knipsen, und drohten ihm im Scherz damit, die Fotos ins Netz zu stellen. Er hatte sie nur mit dem Angebot davon abbringen können, am Wochenende mit ihnen Schneemobil zu fahren – vorausgesetzt, die Wettervorhersage behielt recht. Abby, die bis Ende des Monats Stubenarrest hatte, würde er allerdings zu Hause lassen müssen.

Nolan trank einen Schluck Bier. Einerseits ließ er Abby nur ungern allein zurück, vor allem nach dem Mist, den sie letzten Monat gebaut hatte. Andererseits wollte er seine Eltern nicht schon wieder um Unterstützung bitten. Die beiden halfen ihm auch so schon mehr als genug. Eigentlich hatten sie sich inzwischen zur Ruhe setzen wollen, aber daraus wurde dank des turbulenten Liebeslebens der Brüder vorerst nichts. Alistair war wieder in die Firma eingestiegen und auch Nolan hatte mehr zu tun als je zuvor.

Seufzend trank Nolan sein Bier aus und stellte den leeren Krug auf einem Tisch ab. Er warf einen Blick auf sein Handy. Schon nach eins, und die Party war noch in vollem Gange. Es waren mehr Gäste von außerhalb gekommen als erwartet. Bisher war er nur wenigen Bekannten begegnet, die ihn jedoch nicht enttarnt hätten, wenn er ihnen nicht seine Identität verraten hätte.

Sein Kostüm schien verdammt überzeugend zu sein.

Er trank mehr oder weniger allein und wimmelte ab und zu mal eine Frau ab – natürlich ganz charmant und mit einem falschen Piratenakzent, der darauf schließen ließ, dass er zu viele Wiederholungen von Fluch der Karibik angeschaut hatte.

Und zu viel Bier intus hatte.

Nicht dass er etwas gegen Sex einzuwenden hätte. Seit seiner Scheidung vor fünf Jahren hatte er nicht gerade wie ein Mönch gelebt, aber anscheinend bekam er eine gewisse Rothaarige nicht mehr aus dem Kopf – noch ein weiterer täglicher Kampf, denn die Frau arbeitete für ihn. Für seine ganze Familie genauer gesagt, weshalb er seine Hände hübsch bei sich behalten musste. Er hatte gedacht, seine Gefühle für Katie im Griff zu haben, zumal deren letzte Beziehung endlich das Richtige gewesen zu sein schien, aber jetzt …

Nolan verdrängte diese Gedanken. Es hatte keinen Zweck, sich mit etwas zu befassen, das nur Ärger machen würde. Nicht nur ihnen, Katie und ihm, sondern auch einer Menge anderer Menschen. Wenn er …

Verdammt, schon wieder spukt sie mir im Kopf herum!

Er ballte eine Hand zur Faust und versuchte, sich auf die einzige Frau zu konzentrieren, die heute seine Aufmerksamkeit erregt hatte.

Bei deren Anblick hatte er überraschend eine Erektion bekommen.

Als er das unbestimmte Gefühl hatte, dass ihn jemand beobachtete, drehte er sich um und sah ausgerechnet sie.

Auf den ersten Blick hatte er sie für einen sexy Clown gehalten. Dann hatte er festgestellt, dass sie sich als Batman-Schurkin verkleidet hatte. Cool. In seiner Jugend hatte er immer die bösen Mädchen bevorzugt.

Er war schwer in Versuchung gekommen, auf sie zuzugehen – etwas, das ihm sonst gar nicht ähnlich sah. Als sie dann aus seinem Gesichtsfeld verschwunden war, hatte er beschlossen, sein Bier auszutrinken und zu gehen, bevor er womöglich noch irgendwelche Dummheiten machte.

Am besten rief er einen seiner Brüder an. Sich in diesem Zustand hinters Steuer zu setzen, wäre völlig verantwortungslos gewesen.

Er setzte sich seinen Dreispitz auf und bahnte sich seinen Weg durch die Menschenmenge am Rand der Tanzfläche.

„Da bist du ja, Schätzchen!“

Etwas Warmes mit sinnlichen Kurven, das sexy nach Vanille und Limette duftete, stieß mit voller Wucht gegen ihn. Instinktiv schlang Nolan seinen freien Arm um die schlanke Taille der Frau – vor allem, um zu verhindern, dass sie beide das Gleichgewicht verloren.

Zuerst nahm er an, dass sie ihn mit jemandem verwechselte, aber dann flüsterte sie ihm ins Ohr: „Bitte spielen Sie mit.“

Ihre Stimme klang irgendwie … seltsam vertraut. „Hey, kennen wir uns …?“

Die Blondine drückte ihn rasch an sich und drehte sich um, einen Arm um seine Taille geschlungen. „Siehst du!?“, sagte sie laut und mit einem nasalen Akzent. „Ich habe dir doch gesagt, dass ich mit meinem Freund hier bin. Also kannst du jetzt verschwinden!“

Nolan hatte keine Ahnung, was hier los war.

Der kostümierte Typ vor ihm sah mit seinem roten Haar und seinem gelben Jogginganzug wie ein derangierter Clown aus. Er beäugte die sich an Nolan hängende Schönheit aggressiv.

Nolan zog sie an sich und betrachtete sie etwas eingehender. Zu seiner Überraschung hielt er exakt die Lady im Arm, die ihn vorhin so taxiert hatte, die sexy Harley Quinn … mitsamt Brooklyn-Akzent, in dem eine Spur Angst mitschwang.

„Mein Captain und ich haben noch Pläne, also kannst du gehen“, lallte sie und wedelte mit einem leeren Einweckglas herum. „Kein Interesse.“

„Das war vor ein paar Minuten aber noch ganz anders!“, antwortete der Clown.

„N…nicht wirklich.“ Sie reichte das Glas an eine Kellnerin weiter. „Wollte mir nur die Zeit vertreiben.“

Der Typ machte ein finsteres Gesicht und ging einen Schritt auf sie zu. „Ich lass mich doch nicht von einer betrunkenen Schlampe an der Nase herumführen …“

„Das reicht, Kumpel!“, sagte Nolan mit einem falschen britischen Akzent und schob sich zwischen den Clown und die Lady. „Die Kleine ist schon vergeben. Also verzieh dich.“

„Und wenn nicht? Willst du mich dann zum Duell herausfordern, Captain Kangaroo?“

Das Schwert an Nolans Gürtel war zwar nur eine Requisite, konnte aber ganz schön Schaden anrichten. Trotzdem wollte Nolan sich nicht in einen Kampf verwickeln lassen.

Er hatte keine Ahnung, wer dieser Typ war. Er kam anscheinend nicht von hier. Die Frau vermutlich genauso wenig, aber es war offensichtlich, dass sie nichts mit diesem Clown zu tun haben wollte.

„Jetzt verschwinde schon endlich!“ Miss Quinn griff nach Nolans Weste und presste sich wieder an ihn … Das fühlte sich verdammt gut an. „Komm mit, Käpt’n Jack. Lass uns tanzen.“

Tanzen war das Letzte, wonach Nolan gerade zumute war – nach einer Schlägerei verlangte es ihn jedoch noch viel weniger. Er war einfach zu alt und ausgelaugt für solchen Blödsinn.

Also folgte er der schönen Unbekannten auf die Tanzfläche und beobachtete, wie der genervte Clown in der Menge verschwand. Jetzt wäre der passende Zeitpunkt, sich von dem beschwipsten und sehr sexy bösen Mädchen in seinen Armen zu verabschieden, aber aus irgendwelchen Gründen ließ ihn sein gesunder Menschenverstand im Stich.

Er schob es auf den Alkohol und zog Harley Quinn an sich.

2. KAPITEL

„Nicht gerade Sinatra, aber immerhin.“ Hingebungsvoll schmiegte Katie sich an den harten Körper des sexy Piraten. Hoffentlich klang sie immer noch wie die Schurkin aus Brooklyn, als die sie sich verkleidet hatte.

Dieser Typ hier war ihr im Grunde genauso fremd wie der Idiot von Clown gerade eben. Ihr Bauchgefühl sagte ihr zwar, dass sie dem Freibeuter vertrauen konnte, aber trotzdem …

„Halt dich fest, Seemann. Es könnte stürmisch werden.“

„Glaubst du nicht …“

Das Gefühl seiner warmen Arme um sich genießend, legte sie ihm eine Fingerspitze auf die Lippen. „Kein Gegrübel, kein Reden, keine Namen. Nur tanzen.“

Nolan verstummte und zog sie lächelnd an sich.

Zufrieden nahm sie ihre Hand weg und ließ sie über seinen weichen Ziegenbart und die in seinen Backenbart geflochtenen Perlen gleiten. Langsam strich sie ihm über den Adamsapfel und das Schlüsselbein, bevor sie die Hand auf seine Brust legte. Sie konnte seinen raschen Herzschlag spüren.

Sich in die Arme eines Fremden zu werfen, war zwar vermutlich keine gute Idee, aber der Idiot im Clownskostüm hatte sie einfach nicht in Ruhe gelassen. Dabei hatte sie noch nicht einmal mit ihm geflirtet.

Nachdem Peggy vor einer Stunde zu ihrem plötzlich erkrankten Sohn gefahren war, hatte Katie noch ein paar Margaritas gekippt und war gerade auf dem Weg nach draußen gewesen, als der Joker sich ihr in den Weg gestellt hatte.

Wer hätte gedacht, dass der einzige Typ, der heute ihre Aufmerksamkeit erregt hatte, genau dann auftauchen würde, wenn sie ihn am meisten brauchte?

Der Captain war groß gewachsen. Sie schmiegte eine Wange an seine weiche Lederweste und spürte seinen muskulösen Bizeps unter den langen Strähnen seiner eindrucksvollen Dreadlockperücke. Tief einatmend, genoss sie seinen frischen sauberen Geruch mit einem Hauch Aftershave.

Mm, dieser Duft kam ihr fast … vertraut vor. Aber das konnte ja nicht sein.

Als er sie noch enger an sich zog und ihr eine Hand auf den Rücken legte, erschauerte sie. Ihr Kopf war plötzlich wie leergefegt.

Langsam drehten sie sich zu dem ruhigen Countrysong im Kreis, genauso wie die anderen Paare um sie herum. Katie war schwindlig und müde, also schloss sie einfach die Augen und gab sich ganz dem Augenblick hin.

Oder vielmehr den starken Armen des Piraten.

Der Song war nur allzu schnell vorbei, doch die Band stimmte schon einen neuen an. Ihr Pirat machte keinerlei Anstalten, sie loszulassen, was ihr nur recht war. Weitere Songs kamen und gingen. Sie machte sich nicht die Mühe, die Stücke zu zählen.

Der Schlaf drohte sie zu überwältigen, als ein anderes Paar sie anrempelte. Katie und ihr Pirat kamen ins Straucheln, fingen sich jedoch gerade noch rechtzeitig. Bevor sie eine witzige Bemerkung machen konnte, fiel ihr der Loser-Clown am Rand der Tanzfläche auf, der sich suchend umsah.

Und er war nicht allein zurückgekommen.

Das Letzte, was sie wollte, war eine weitere Szene oder – schlimmer noch – eine Schlägerei mit Polizeieinsatz.

Sie schob den Piraten von sich weg, der sie sofort losließ und einen Schritt zurücktrat. Sofort sehnte Katie sich wieder nach seiner Umarmung. „Der Clown ist zurück!“ Sie nickte in die Richtung des Kerls. „Mitsamt Verstärkung. Komm, lass uns abhauen.“

Sie bahnte sich einen Weg über die Tanzfläche und war froh, dass ihr neuer Freund ihr bereitwillig folgte. Als sie sich wieder nach dem Clown umdrehte, stellte sie fest, dass er sie entdeckt hatte. Das ließ nichts Gutes ahnen!

Sie hob den Blick zu ihrem Retter. „Nimm den Hut ab, Käpt’n. Damit sieht dich nämlich jeder auf den ersten Blick.“

Der Pirat gehorchte grinsend, als mache ihm das kleine Abenteuer Spaß. „Warum hauen wir ab, Baby?“

„Ich will kein Blut auf meinem Kostüm.“ Es fiel ihr leicht, sein Lächeln zu erwidern. „Vor allem nicht deins.“

Er folgte ihrem Blick zu dem Joker, legte ihr eine Hand auf den Rücken und schob sie sanft durch die Menge. „Geh weiter, meine Schöne“, murmelte er ihr in ein Ohr, sein Atem heiß an ihrer Schläfe.

Katie gehorchte. Ihr gefiel sein Piratenslang, obwohl ihr bei dem schnellen Tempo wieder schwindlig wurde. Sie sah sich nach einem Türsteher um, konnte jedoch keinen sehen.

Was jetzt? Würden sich ihre Wege trennen? War der Pirat überhaupt in der Verfassung zu fahren? Sie wollte ihn nicht allein auf dem Parkplatz zurücklassen. Nicht, solange dieser Idiot und dessen Kumpels noch kampflustig herumlungerten.

„Mach dir doch nichts vor“, murmelte sie vor sich hin. „Du willst nur nicht, dass diese Nacht schon endet. Oder dass er geht.“

„Was hast du ge…?“

„Nichts, gar nichts!“, fiel Katie ihm hastig ins Wort und warf einen Blick über die Schulter. Ja, man war ihnen noch auf den Fersen.

Die kalte Nachtluft schlug ihnen wie eine Wand entgegen, als sie nach draußen kamen. Katie bereute sofort, dass sie wegen des kurzen Wegs zur Pension keine Jacke mitgenommen hatte.

Doch dann verschwanden der Wind und die Kälte in der Wärme kratzigen Wollstoffs. Der Pirat hatte ihr seinen Mantel um die Schultern gelegt. Wie süß von ihm! So etwas hatte sie noch nie erlebt. „Danke“, sagte sie lächelnd.

„Gern geschehen, Miss Quinn.“

Dann hatte er ihr Kostüm also erkannt! Ihre Freude darüber wurde rasch von den wütenden Rufen hinter ihnen gedämpft. Sie nahm den Piraten an einer Hand. „Folg mir.“

Sie zog ihn über den Parkplatz und bahnte sich einen Weg durch die kahle Hecke, welche die Bar von der Pension trennte. Es schneite leicht – genug, um ihre Fußabdrücke sichtbar zu machen, aber dies ließ sich eben nicht vermeiden.

Katies Atemzüge kondensierten in der Luft, als sie die Verandastufen zum Nebeneingang ihres Zimmers hoch eilte. Sie war froh, dass sie nicht das Foyer durchqueren mussten, um in ihr Zimmer zu gelangen.

Vor der Tür blieb sie stehen, den Piraten dicht auf den Fersen. Sie konnte ihre Verfolger nicht sehen, hörte aber deren Stimmen. Anscheinend hatten sie ihre Fußabdrücke entdeckt.

„Ich hoffe doch, du hast den verdammten Schlüss…“

Die heisere Stimme des Piraten verstummte, als Katie in ihren Push-up-BH griff und ein Schlüsselbund herausholte. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als ihr erster Versuch fehlschlug, die Tür aufzuschließen. Sie stieß einen sehr undamenhaften, aber perfekt zu Harley Quinn passenden Fluch aus.

„Gib her, ich mach das.“ Er griff nach dem Schlüsselbund und probierte einen Schlüssel aus. Nichts. Die Rufe ihrer Verfolger wurden lauter. „Welcher ist der Richtige?“

„Keine Ahnung.“ Katie stapfte nervös mit den Füßen. Ihre Zehen waren halb erfroren. „Diese Kerle sind total durchgeknallt! Und sie kommen näher! Beeil dich!“

Sie hätten in der Bar bleiben und die Idioten vom Sicherheitspersonal rauswerfen lassen sollen. Hier waren sie allein – schreckliche Vorstellung, wenn es ihretwegen zu einer Prügelei kommen sollte …

Ihr Pirat legte ihr einen Arm um die Taille und drängte sie zur Tür herein. In ihrem Zimmer der Pension war es so angenehm warm, dass Katie sofort aufhörte zu zittern. Sekunden später hörte sie ihre Verfolger auf der Veranda. Hatten die sie reinkommen sehen? Würden sie …

Fäuste hämmerten gegen die Tür und wütende Rufe ertönten.

Katie zuckte zusammen und klammerte sich am Hemd des Piraten fest.

Das Geräusch eines vorgeschobenen Riegels hallte im Raum wider. „Nur die Ruhe, Kleine. Die Deppen werden bald aufgeben“, flüsterte der Pirat ihr ins Ohr und festigte seinen Griff um ihre Taille. „Alles wird gut.“

Kurz darauf waren die Stimmen verhallt, und es wurde still – na ja, bis auf ihre beschleunigten Atemzüge. Der Pirat stand direkt neben ihr, und seine sich rasch hebende und senkende Brust strafte seine beruhigenden Worte Lügen.

Katie hob den Blick, weil sie plötzlich den verzweifelten Wunsch verspürte, ihn zu sehen, doch es war dunkel im Zimmer. Das einzige Licht kam von einem Nachtlicht an der gegenüberliegenden Wand, das er jedoch mit seinen breiten Schultern verschattete. Hinter seiner Perücke und seiner Maske konnte sie sein Gesicht kaum erkennen.

Sanft ließ sie eine Hand über seinen Backenbart gleiten und hörte ihn scharf einatmen. „Danke, Käpt’n“, flüsterte sie. „Dafür, dass Sie meinen Arsch gerettet haben …“

Sie verstummte, als sie ein leises Geräusch hörte – seinen zu Boden fallenden Dreispitz.

Er strich ihr den ihr in die Augen fallenden Pony ihrer Perücke aus dem Gesicht. Sie konnte die Hitze seiner Berührung durch ihre Maske spüren, als er einen Finger über ihre Schläfe bis hin zu ihrem Mund gleiten ließ.

Ihre Atemzüge beschleunigten sich, als er langsam mit einem Daumen ihre Unterlippe rieb. Begierde überwältigte sie. Wie ferngesteuert schoss ihre Zunge heraus und schnellte über seine Daumenspitze.

Ein Stöhnen erfüllte die Luft. Sein Stöhnen. Er zog sie eng an sich.

Sich an seinen breiten Schultern festklammernd, stellte sie sich auf die Zehenspitzen und hob das Gesicht, bis ihr Mund nur noch wenige Millimeter von seinen Lippen entfernt war. Er legte ihr eine Hand in den Nacken.

Die Luft knisterte nur so vor Erotik, bevor er die Lippen plötzlich hungrig auf ihren Mund presste. Sie neigte den Kopf, um ihm Spielraum zu geben, seinen Kuss zu vertiefen. Als sie seinen fordernden und leidenschaftlichen Kuss erwiderte, fühlte sie sich lebendiger als je zuvor in ihrem Leben.

Und diese Nähe …

Sein Mantel rutschte ihr von den Schultern. Sie fröstelte, doch ihr Pirat zog sie noch enger an sich und küsste sie, als wolle er nie wieder damit aufhören. Erst als sie irgendwann nach Luft schnappen mussten, lösten sie die Lippen voneinander. Der Pirat ließ den Mund über ihren Hals zu einem Ohr gleiten, während er ihren Po umfasste und sie eng an sich presste.

„Soll ich gehen?“, flüsterte er heiser. „Falls ja, dann sag es jetzt.“

Beim Klang seiner Stimme hatte sie plötzlich ein seltsames Gefühl. Kannte sie ihn … war er jemand, den sie …

Als er sie noch enger an sich zog und sie seine heißen Lippen auf ihrer nackten Haut spürte, konnte sie kaum noch klar denken. Halbherzige Bedenken erfüllten ihren Verstand. Das Zusammensein hier war völlig verrückt. Sie machte so etwas nicht mehr, war nicht mehr so leichtsinnig wie früher. Das hier, mit ihm … jetzt … heute Nacht war nicht das, wonach sie suchte.

Wollte sie es trotzdem?

Sie war innerlich hin- und hergerissen. Ja, es wäre das Vernünftigste, ihn zu bitten zu gehen. Zu ignorieren, dass alles in ihr sich förmlich nach ihm verzehrte.

Die Zeit mit diesem Mann hier war lustig, wild und wunderschön gewesen – besser als alles, was sie seit sehr langer Zeit erlebt hatte. Trotzdem wäre es leichtsinnig und falsch, mit ihm zu schlafen, und morgen früh würde sie es bestimmt bereuen. Aber wäre es nicht viel bedauerlicher, diese Chance nicht genutzt zu haben?

Sie hatte keine Ahnung und es war ihr auch egal.

Sie wollte das hier. Wollte ihn.

„Bleib“, hauchte sie, als er die Lippen wieder auf ihren Mund presste. „Bleib bei mir.“ Sie zog ihn am Hemd zu sich heran und dann spürte sie wieder seine Lippen.

Gierig ließen sie die Hände übereinander gleiten, zerrten sich die Kleidungsstücke vom Körper und taumelten eng umschlungen auf das breite Bett an der Wand zu. Nolans Schwert, Weste und Hemd waren schnell abgelegt. Rasch zog er sich seine Stiefel aus.

Er ging auf die Knie, streifte ihr das elastische Bündchen ihres Rocks über die Hüften und Beine und stand wieder auf, um ihr Korsett zu öffnen. Als sich die Bänder verhedderten, stieß er einen piratenhaften Fluch aus, doch dann klappte es endlich, und er bedeckte ihre freigelegte Haut mit Küssen.

Sie wollte ihre Perücke abnehmen, doch er hielt ihre Hände fest, um ihren Mund wieder zu küssen. Als sie zusammen aufs Bett fielen, war ihr Kopf wie leer gefegt. Sie hatte nur noch Sinn für die Lust und das Vergessen, die sie in jeder seiner Berührungen, Küsse und Umarmungen fand.

Irgendetwas war … nicht wirklich unangenehm, aber irgendwie bekam Nolan nur schlecht Luft. Er drehte den Kopf zur Seite, um freier atmen zu können. Als er sich über das Gesicht und den Hals strich, berührte er etwas glattes Seidiges, das sich wie eine Katze anfühlte.

Aber er hatte keine Katze.

Was zum Teufel war das?

Er brauchte einen Moment, bis die Erinnerungen zurückkehrten – das Piratenkostüm, die Perücke, die Party, der Alkohol.

Das Mädchen …

Fasziniert von ihrer Kühnheit in der Bar hatte er nur zu gern mit ihr getanzt und ihre Anschmiegsamkeit und ihre tollen Kurven genossen. Danach die Flucht vor den aggressiven Typen. Sie hatte ihn raus in die Kälte und in ein dunkles Zimmer in einer Pension geführt, wo er sie wieder in die Arme genommen hatte, und dann …

Ja … und dann.

Gequält die Augen schließend, griff er nach der Perücke und warf sie zu Boden. Vage erinnerte er sich daran, dass er Perücke und Maske irgendwann nachts abgenommen hatte.

Bei der ruckartigen Bewegung platzte ihm fast der Schädel, sodass er eine Weile reglos liegen blieb. Nur seine Augenlider bewegten sich, als er blinzelnd versuchte, seine Umgebung zu betrachten.

Er konnte sich noch an das dunkle Zimmer erinnern. Na ja, halbwegs. Als er ein Bein ausstreckte, spürte er das kühle Laken an seiner nackten Haut. Und dass er nicht allein im Bett lag.

Er zwang sich, sich aufzusetzen und hörte ein leises Stöhnen neben sich. Seine Bettgenossin drehte sich auf die Seite und nahm dabei fast die ganze Decke mit. Behutsam schwang er die Beine aus dem Bett und wartete darauf, dass das Zimmer aufhörte, sich um ihn zu drehen.

Er hielt die Luft an. Wachte sie auch gerade auf?

Nein, ihre leisen gleichmäßigen Atemzüge ließen darauf schließen, dass Miss Harley Quinn – alias wer auch immer – noch schlief.

Nolan hatte keine Ahnung, wer sie war. Gar nicht gut.

Seinen Namen hatte er ihr auch nicht genannt.

Verdammt, wie hatte das nur passieren können?

Lag es am Alkohol? An dem berauschenden Gefühl, wenigstens eine Nacht lang einmal in eine andere Rolle schlüpfen zu dürfen? An der Tatsache, dass er schon seit über einem Jahr keinen Sex mehr gehabt hatte?

Nolan hatte keine Ahnung, aber zumindest konnte er sich noch daran erinnern, dass er nüchtern genug gewesen war zu fragen, ob er wirklich willkommen war.

Und das war er gewesen.

Oh ja, sie hatte ihn genauso gewollt wie er sie.

Er sammelte seine verstreuten Kleidungsstücke vom Fußboden auf und ging ins Bad, um sich die Überreste seiner Schminke vom Gesicht zu waschen. Hastig zog er sich an und überprüfte, ob sich seine Brieftasche, seine Schlüssel und sein Handy noch in seinen Hosentaschen befanden. Ja, alles an seinem Platz.

Es war schon fast fünf. Höchste Zeit, um nach Hause zu fahren. Wenn die Kinder aufwachten und feststellten, dass er nicht da war, würden sie sofort Alarm schlagen.

Das hieß dann, dass seine Brüder einen Suchtrupp formieren würden. Nein danke!

Aber erst musste er etwas anderes erledigen.

Als er die Badezimmertür öffnete, fiel ihm ein, dass er schon seit seinem ersten Jahr auf dem College keinen peinlichen Morgen danach mehr erlebt hatte. Damals war er wenigstens Gentleman genug gewesen, das Mädchen zuerst nach ihrem Namen zu fragen.

Diese Zeiten waren anscheinend vorbei.

Das Badezimmerlicht fiel aufs Bett und erhellte die Kurven der jungen Dame. Bei ihrem Anblick blieb Nolan wie angewurzelt stehen.

Die Decke reichte ihr nur bis zur Hüfte, sodass der nackte Rest von ihr seinem Blick schutzlos preisgegeben war und er ihre winzige Taille und ihren glatten Rücken sehen konnte. Erst jetzt fiel ihm das Tattoo auf, das sich vertikal über ihre Wirbelsäule zog. Es endete – oder begann – mit gelben Blüten, doch er stand zu weit entfernt, um den Schriftzug lesen zu können.

Er kam sich vor wie ein Voyeur, aber daran ließ sich nichts ändern.

Genauso wenig wie an seiner heftigen Körperreaktion, als die Erinnerungen zurückkehrten.

Sein Blick fiel auf ihr volles rotes Haar, das bis auf eine gelockte Strähne nach vorn über eine Schulter fiel …

Moment mal, rotes Haar!? Letzte Nacht war sie doch noch blond gewesen!

Aber natürlich hatte es sich nur um eine Perücke gehandelt, ein Teil ihres Kostüms. Sie hatte die falschen Haare nachts abgenommen.

Seine Lenden verkrampften sich lustvoll, als ihm einfiel, wie weich und kühl sich ihr echtes Haar auf seiner Brust und seinem Bauch angefühlt hatte. Dieses tiefe Kastanienbraun auf ihrer hellen Haut …

Irgendwie kam ihm die Haarfarbe bekannt vor.

Nolan betrachtete die junge Frau ein zweites Mal von Kopf bis Fuß, bevor die Erkenntnis ihn mit voller Wucht überwältigte. Entsetzt schloss er die Augen und ließ sich gegen den Türrahmen sinken.

Nein, das konnte doch nicht wahr sein! Nie im Leben hatte er … hatten sie …

Ausgeschlossen!

Katie!?

Er zwang sich, ums Bett herumzugehen. Als er dabei über seine Stiefel stolperte, stieß er einen leisen Fluch aus, hob die Schuhe hoch und schlich auf Zehenspitzen weiter, bis er die Frau von vorne sah.

Sogar in dem schwach erleuchteten Zimmer hob ihr langes rotes Haar sich deutlich von ihrer hellen Haut und der weißen Decke ab. Ihre Maske war verschwunden.

Tja, die Frau, mit der er ein paar sehr intime Stunden verbracht hatte, war in der Tat Katie.

Seine Katie.

Ihre Katie.

Nolan ließ sich schwerfällig in einen Sessel fallen und starrte die junge Frau schockiert an. Als er die Augen schloss, kehrten die Erinnerungen zurück … wie er sie in den Armen gehalten, sie berührt und geküsst hatte … ihre Hände und ihre Lippen auf seinem Körper …

Er schlug die Augen wieder auf und senkte den Blick zu den Stiefeln in seiner Hand.

Na los, ich muss die Schuhe endlich anziehen. Ich muss hier raus!

Sein Magen verkrampfte sich schmerzhaft. Die Situation war katastrophal. Warum hatte er sie nicht nach ihrem …

Ruckartig hob er den Kopf, als er Katie schlaftrunken vor sich hinmurmeln hörte. Er ignorierte den stechenden Schmerz in seinem Kopf und wartete, bis sie wieder verstummte. Erleichtert atmete er auf.

Sie hatte die Augen noch geschlossen.

Sie sah wunderschön aus. So hatte er sie noch nie wahrgenommen.

Im Büro war sie immer wie aus dem Ei gepellt und trug hohe Absätze, auch mitten im Winter. Sogar wenn sie sich am Wochenende über den Weg liefen und sie Jeans und Pullover trug, wirkte sie immer total durchgestylt.

Doch jetzt, mit ihrem zerzausten Haar und dem Rest weißer Schminke im Gesicht, wirkte sie irgendwie … jünger, als sie war, nämlich ganze zehn Jahre jünger als er. Ein Grund mehr, warum er – abgesehen von der Tatsache, dass sie seine Angestellte war – bisher nie etwas mit ihr …

Verdammt, am liebsten würde er sofort wieder zu ihr ins Bett klettern.

Es wurde Zeit, dass er hier wegkam.

Um ihrer beider willen.

Er wollte ihre gute Arbeitsbeziehung nicht aufs Spiel setzen. Das Beste war, diese Nacht einfach zu vergessen. Wenn Katie irgendwann aufwachte und zu dem Schluss kam, dass der Typ, mit dem sie die Nacht verbracht hatte, einfach sang- und klanglos verschwunden war, umso besser.

Zumal es stimmte.

Er schlüpfte in seine Stiefel und suchte nach seinem Gürtel, seinem Schwert, seinem Hut, seiner Perücke und seinem Mantel. Als er gerade eine Hand zum Türgriff ausstreckte, hörte er plötzlich ihre Stimme hinter sich.

„Hm, ich hoffe doch, du willst uns einen Kaffee holen.“

Gequält schloss er die Augen.

„Ich will einen großen“, fuhr sie fort. „Entkoffeiniert mit mindestens vier Stück Zucker.“

Das war nichts Neues für ihn.

Tief Luft holend, drehte er sich wieder zu ihr um. „Ich weiß, wie du deinen Kaffee trinkst, aber ich …“

„Warte … was!?“ Ruckartig setzte sie sich auf und zog sich die Decke bis ans Kinn hoch. „Woher weißt du … Warum bist du … Oh mein Gott, Nolan! Was machst du denn hier?“

Schweigend wartete er darauf, dass bei ihr der Groschen fiel, als sie verwirrt die zerknüllte Decke und das leere Bett neben sich betrachtete. „Oh nein, das warst du? Aber wie …“ Sie stockte. „Haben wir …?“

Ja, wir haben. Drei Mal sogar. Das war Nolan seit seiner Collegezeit nicht mehr passiert. Er schickte ein stummes Dankgebet gen Himmel, dass er drei Kondome in seiner Brieftasche gehabt hatte. „Ja, die Indizien weisen darauf hin.“

„Aber du … du warst doch auf Geschäftsreise!?“

„Ich bin früher zurückgekommen.“

„Und da hast du beschlossen, zur Party zu gehen? Allein?“ Erschrocken schlug sie eine Hand vor den Mund. „Jetzt sag nicht, du warst mit …“

„Nein“, fiel er ihr hastig ins Wort. Er war nur ein paar Wochen mit der stellvertretenden Schuldirektorin zusammen gewesen … Daran war Katie nicht ganz unschuldig gewesen, aber das brauchte sie nicht zu wissen. „Ich war allein im Blue Creek Saloon … bis ich dir über den Weg lief.“

Sie ließ die Hand wieder sinken. „Du meinst, bis ich in dich hineinrannte. Buchstäblich.“

Er nickte wieder. Die dämlichen Perlen in seinem Backenbart klickten. Was würde er nicht für eine Rasierklinge geben! „Ja. Ich hatte keine Ahnung, wer du warst.“

„Und ich hatte keine Ahnung, wer du warst!“, rief sie. „Wie konnte das nur passieren? Wir arbeiten seit fünf Jahren fast täglich zusammen. Ich gehe bei dir und deinen Eltern ständig ein und aus. Himmel, wir sind praktisch …“

„Keine Ahnung“, fiel Nolan ihr ins Wort, um zu verhindern, dass sie das Wort Familie sagte. „Unsere Kostüme waren anscheinend sehr überzeugend – dein Akzent übrigens auch –, und was mich angeht, war eine Menge Alkohol im Spiel.“

„Ich habe auch zu viel getrunken, aber das ist keine Entschuldigung. Oh Gott, das ist alles meine Schuld!“ Entsetzt schüttelte Katie den Kopf. „Ich dachte, ich sei so weit. Ich dachte, ich brauche … ich hätte … ich kann es einfach nicht fassen …“

„Das ist nicht deine Schuld.“ Nolan ging auf sie zu, blieb jedoch stehen, als sie wieder den Blick zu ihm hob. „Ich war genauso daran beteiligt. Ich hätte letzte Nacht jederzeit gehen können.“

„Wann denn? Als ich dich auf die Tanzfläche gezerrt habe?“ Katie schnappte sich ein Kissen und presste es an die Brust. „Oder aus der Bar hinaus? Über den Parkplatz, bis ich dich allein in diesem Zimmer hatte?“

„Wir sind vor diesen Idioten geflohen!“

„Das war auch meine Schuld.“

„Hey, ich habe dich zuerst geküsst.“ Und er würde es am liebsten gleich wieder tun, jetzt sofort. Der Impuls, sie in die Arme zu nehmen, war so stark, dass er einen Schritt zurücktrat, um sich davon abzuhalten.

Wortlos sah sie ihn aus ihren schönen grünen Augen an. Ein unbehagliches Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus. Nolan fragte sich, was wohl gerade in ihrem hübschen Kopf vor sich ging, vor allem, als sie den Blick über ihn und sein zerknittertes Kostüm gleiten ließ.

Dachte sie auch an die letzte Nacht? Wusste sie noch, wie mühelos sie ihn von seinem Gürtel und seinem Schwert befreit hatte, bevor sie ihm das Hemd aufgeknöpft hatte? Wie er ungeschickt an den Bändern ihres Korsetts herumgefummelt und dabei ihre nackte, süß duftende Haut geküsst hatte …?

„Soll ich kündigen?“

Ihre Frage schockierte ihn. Wie kam sie nur darauf? „Was? Nein, natürlich nicht!“

„Und was schlägst du stattdessen vor?“

„Nichts.“ Diese Antwort kam trotz seiner verführerischen Fantasien wie aus der Pistole geschossen, also musste es die richtige Antwort sein. Ja, es war die einzige Option. „Wir werden das hier … für uns behalten. Wir erzählen einfach niemandem davon und machen … na ja, so weiter wie bisher.“

„Weiter wie bisher? Wir sollen so tun, als ob das hier …“, sie zeigte auf das leere Bett neben sich, „… nie passiert wäre?“

Ihre Frage versetzte ihm seltsamerweise einen schmerzhaften Stich, aber er nickte trotzdem. „Ganz genau. Je weniger Menschen davon wissen, desto besser.“

„Gestern war doch halb Destiny in der Bar.“ Seufzend stützte sie das Kinn aufs Kissen. „Bist du denn niemandem begegnet, den du kennst? Ich nämlich schon.“

„Aber nicht, als wir zusammen waren. Außerdem war ich nicht der Einzige, der als Pirat verkleidet war.“

„Was ist mit deinen Brüdern?“, fragte sie. „Weiß jemand von ihnen, dass du letzte Nacht auf der Party warst?“

„Nein, aber das wird sich bald ändern.“

„Warum?“

„Meine Kinder haben darauf bestanden, dass ich mal aus dem Haus komme und etwas Spaß habe. Und du kennst meine Familie. Da bleibt nichts lange geheim.“

„Jedenfalls wissen sie, dass ich hinwollte. Ich habe die ganze Woche über mein Kostüm gesprochen.“

Nolan fuhr sich mit einer Hand durchs Haar. Verdammt, war das alles kompliziert, vor allem, wenn man einen Kater hatte und dringend einen Kaffee gebrauchen konnte! „Wir müssen ja nicht so tun, als seien wir uns nie begegnet.“

„Du meinst, nur so, als hätten wir nie … du weißt schon.“

Das wusste er allerdings.

Er wusste auch, dass es Ärger geben würde, wenn sie nicht schleunigst die Reißleine zögen. Großen Ärger.

Er hatte auch so schon genug Probleme, bei der Arbeit und mit der sechzehnjährigen Abby. Und Katie war bestimmt noch nicht über diesen Idioten hinweg, mit dem sie bis Ende August zusammen gewesen war …

Moment mal! Ging es ihr letzte Nacht darum? Jemanden zu finden, mit dem sie …

Nolan verdrängte diesen Gedanken, bevor er sich einnisten konnte, und schob das plötzliche Brennen in seinem Hals auf den Alkohol. „Wir wollen ja schließlich keine Probleme verursachen … Es würde nichts Gutes dabei herauskommen, wenn wir …“

Verdammt, er drückte sich völlig falsch aus. Frustriert stöhnte er auf. „Es ist das Beste für uns beide, wenn wir die letzte Nacht für uns behalten, findest du nicht?“

Sie fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. Bei dem Anblick bekam er sofort wieder einen Steifen und hielt sich hastig seinen Mantel davor. Er musste hier weg, bevor er noch den ganzen Blödsinn vergaß, den er gerade von sich gegeben hatte und …

Sie senkte den Kopf und starrte auf das Bett. „Einverstanden.“

Anstatt erleichtert zu sein, fühlte er sich mies. Das ergab absolut keinen Sinn, denn er hatte ja bekommen, was er wollte. Und das hieß, dass er jetzt aufbrechen konnte. „Na dann … Wir sehen uns … äh, im Büro. Montag.“

„Ja.“

„Katie, es tut mir …“

Sie hob den Kopf und funkelte ihn wütend aus grünen Augen an. „Nicht! Mach es nicht noch schlimmer, als es ohnehin schon ist. Es ist schlimm genug, dass du dich heimlich verdrücken wolltest.“

Mist! Dann hatte sie es also gemerkt.

Er hatte ihr nicht einreden wollen, dass er ihre gemeinsame Nacht bereute. Wie auch, wenn er am liebsten wieder zu ihr ins Bett klettern würde? Er griff nach der Türklinke hinter sich. „Ich will nur nicht, dass du denkst … Ich habe nicht … Ich hatte nicht damit gerechnet, dass du es bist.“

Katie wandte den Blick ab und biss sich hart auf die Unterlippe. Sie schwieg so lange, dass er unschlüssig stehen blieb. Konnte er jetzt gehen oder nicht?

Schließlich hob sie wieder den Kopf und warf ihre schönen roten Locken über eine nackte Schulter. „Ist schon okay. Ich hatte auch nicht damit gerechnet, dass du es bist.“

3. KAPITEL

Rum passte zwar nicht zum heutigen Anlass, aber das war Nolan egal. Er brauchte dringend einen stärkeren Drink als Punsch oder Champagner.

Die halbe weibliche Einwohnerschaft Destinys schien sich an diesem kalten, aber sonnigen Novembertag im Haus der Murphys versammelt zu haben, darunter auch Katie. Von seiner Position an der Bar an der Rückseite des Wohnzimmers hatte Nolan sie während des traditionellen Rituals vor der Ankunft eines Babys gut im Blick.

Oder in diesem Fall der Ankunft zweier Babys.

Die doppelte Babyparty für Fay und Laurie, seine Schwägerinnen, war trotz des frisch gefallenen Schnees draußen gut besucht. Katie hatte bei den Vorbereitungen geholfen, nachdem seine Mutter letzte Woche auf einer gefrorenen Pfütze ausgerutscht war und sich den Arm gebrochen hatte. Doch Katie wäre sowieso anwesend gewesen, denn sie war mit Fay und Laurie befreundet wie mit sämtlichen Mitgliedern seiner Familie.

Genauso wie mit ihm.

Zumindest bis vor Kurzem.

Seitdem sie vor zwei Wochen aus Versehen miteinander geschlafen hatten, würdigte sie ihn jedoch kaum eines Blickes. Verdammt, sie sprach nur noch mit ihm, wenn es um die Arbeit ging, und sogar dann war sie so kurz angebunden wie möglich. Das war sehr ungewöhnlich, denn Katie redete gern und viel. Typisch für sie war zum Beispiel, sich oft zu wiederholen und denselben Sachverhalt unterschiedlich zu formulieren, um ihren Standpunkt klarzumachen.

Und das war auch nötig, weil er und seine Brüder immer eine Weile brauchten, bis sie einsahen, dass Katie recht hatte.

Deshalb machte ihr Schweigen Nolan umso schwerer zu schaffen. Vor allem heute. Sie hatte noch kein Wort mit ihm gewechselt. Er spielte mit dem Gedanken, sie zur Seite zu nehmen und sie zu fragen, wie lange sie ihn noch schmoren lassen wollte.

„Ich brauche dringend ein Bier“, riss Adams Stimme Nolan aus seinen trüben Gedanken. „Ah, wie ich sehe, greift der Captain gerade zu einer Buddel Rum!?“, fügte Adam anzüglich grinsend hinzu.

Nolan stellte die Flasche Rum wieder weg und nahm eine Dose kaltes Bier für seinen Bruder aus dem kleinen Kühlschrank unter dem Tresen. „Hör bloß auf, mich Captain zu nennen.“

„Hey, du sahst als Pirat überzeugender aus als dieser Johnny Sowieso. Bei den Fotos musstest du damit rechnen, dass der Spitzname eine Weile haften bleibt.“

Stimmt, weil seine Brüder schon dafür sorgen würden.

„Du hast mir noch gar nichts von der Halloweenparty erzählt. Wie war’s denn so?“

Nolan fügte einen Schuss Sprudel zu seinem Glas Rum hinzu. „Das habe ich doch schon gesagt. Die Feier war okay.“

„Das reicht mir aber nicht!“ Adam beugte sich vor und senkte vertraulich die Stimme. „Na los, spuck’s aus. Mit wem hast du die Nacht verbracht?“

Nolan trank einen Schluck, ohne eine Miene zu verziehen – Gott sei Dank war er ein ausgezeichneter Pokerspieler. „Wie kommst du darauf, dass ich die Nacht mit jemandem verbracht habe?“

„Nicht!?“

Nolan musste an die Übereinkunft denken, die er und Katie am Morgen danach getroffen hatten, aber da hatte sie sich auch noch nicht geweigert, ihm in die Augen zu sehen oder mit ihm zu reden. Vielleicht konnte er ja von Adam einen brüderlichen Rat bekommen und ihr Geheimnis trotzdem für sich behalten.

„Ja“, gestand er widerwillig. „Ich war mit jemandem zusammen.“

Adam nickte. „Das dachte ich mir schon.“

„Wieso?“

„Weil Fay mich nachts losgeschickt hat, um ihr Pfefferminzeis und Tortillachips zu holen.“ Abwehrend hob er eine Hand. „Frag mich lieber nicht. Ich habe deinen Truck auf dem Parkplatz des Blue Creek Saloons gesehen.“

„Und?“

„Und es war vier Uhr morgens. Du bist nicht so blöd, eine Frau mit nach Hause zu nehmen, wenn deine Kinder da sind. Wart ihr bei ihr?“

Nolan nickte. Katie hatte ihm inzwischen erklärt, wie sie zu dem Zimmer in der Blue Creek Pension gekommen war. Hätte sie ihn mit zu ihrer Wohnung genommen, hätte er sofort gewusst, wer sich hinter dem Harley-Quinn-Kostüm verbarg.

Hätte er trotzdem mit ihr geschlafen?

Sein Blick fiel wieder auf Katies geblümtes gelbes Kleid. Sie ging gerade mit einem Tablett Leckerbissen durch den Raum und war so hübsch wie ein sonniger Frühlingstag. Ihr hoher Pferdeschwanz wippte beim Gehen, und ihre Beine sahen in den gelben High Heels fantastisch aus.

Oh ja, sie stand auf High Heels.

„Hallo!?“ Adam klopfte auf den Holztresen. „Erde an Nolan?“

„Ja, ich höre dich.“ Nolan beobachtete, wie Katie einer Gruppe Frauen das Tablett anbot. Bei der Bewegung fiel ihr das rote Haar über eine Schulter – genau so wie in jener Nacht … nachdem sie die Perücke abgenommen hatte …

Nur dass es damals zu dunkel gewesen war, um ihre Haarfarbe zu erkennen.

„Ja, wir waren bei … ihr.“

„Wirst du sie wiedersehen?“

Nolan zögerte. Er überlegte, wie er am geschicktesten das Thema wechseln konnte, doch in seinem Kopf herrschte gähnende Leere, bis auf Katie. Sie beherrschte seine Gedanken schon seit zwei Wochen.

Das musste ein Ende haben! Er musste die Situation klären, am besten sofort. Allerdings durfte sein Bruder Adam nichts merken. Adam würde ihn entweder umbringen oder ihm zumindest die Eier abschneiden. Verdammt, er war echt am Arsch! „Ich will nicht darüber reden.“

„So leicht lasse ich dich nicht davonkommen. Na los, spuck’s aus, wer war sie?“

„Niemand.“

„Niemand von Bedeutung?“

Nolans Finger verkrampften sich um sein Glas. „Das habe ich nicht gesagt.“

„Dann bedeutet sie dir also etwas. Vielleicht kann ich dir ja helfen.“

Nolan sah seinen Bruder verwirrt an. „Helfen wobei?“

„Du bist in letzter Zeit total durch den Wind, und wenn deine Brüder dir nicht helfen, wer dann?“

„Ich bin nicht durch den Wind.“

„Oh doch, bist du. Sogar Dad ist das schon aufgefallen. Du blaffst uns entweder grundlos an oder du spielst die beleidigte Leberwurst, und zwar bei uns allen, sogar gegenüber …“

„Na schön!“ Nolan stürzte seinen Drink hinunter. Der Rum brannte ihm im Hals. „Es ist Katie.“

Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, hätte er sich am liebsten dafür geohrfeigt, zumal Adam ihn so verständnislos ansah, als habe er keine Ahnung, von wem er sprach. „Vergiss, was ich gesagt …“

„Katie“, wiederholte Adam. „Katie wer?“

In diesem Augenblick drehte sich ihr Gesprächsthema um und fing Nolans Blick auf.

Sie stand zu weit weg, um Nolans und Adams Gespräch zu folgen, und sah Nolan mit dem gleichen Gesichtsausdruck an, mit dem sie ihn seit jener Nacht taxierte. Kühl und professionell. Dies widersprach allerdings ihrer äußerst steifen Körperhaltung. Als jemand sie von der Seite ansprach, wandte sie den Blick wieder ab.

Adam schien allmählich zu dämmern, was los war. Ruckartig wandte er den Kopf zu den Frauen und zurück. „Moment mal. Du meinst …“ Er beugte sich vor und flüsterte: „Die Katie? Unsere Katie? Bist du verrückt geworden!?“

Ja, das war er. Vor allem, weil er nicht die Klappe gehalten hatte.

„Himmel, sie gehört praktisch zur Familie!“

„Sag das nicht.“

„Sie ist wie eine Schwes…“

„Ich wünschte wirklich, du würdest das nicht sagen“, schnitt Nolan ihm das Wort ab und unterdrückte das Verlangen nach einem weiteren Drink.

„Warum zum Teufel hast du dir ausgerechnet sie ausgesucht?“

„Ich habe sie mir nicht wirklich aus… Wir liefen uns irgendwie über den … Verdammt, sie trug ein Kostüm!“ Nolan stöhnte. „Genauso wie ich. Sie hatte getrunken und ich auch. Es war spät. Es war dunkel …“

„Erspar mir bitte die Details.“

„Ich hatte keine Ahnung und sie auch nicht. Erst am nächsten Morgen haben wir gemerkt, was passiert war.“

„Wie konntest du das nicht merken!?“, verlangte Adam zu wissen. „Na ja, das erklärt zumindest, warum du in letzter Zeit so viel bei dir zu Hause gearbeitet hast. Und warum unsere Büroleiterin stiller als sonst ist. Fay dachte schon, sie sei doch noch nicht über den Deputy Sheriff von den Wyoming Highway Patrols hinweg.“

„Die Trennung ist Monate her.“ Nolan gefiel die Vorstellung gar nicht, dass Katie ihrem Jake immer noch hinterhertrauerte. „Das ist längst überstanden.“

Adam ging nicht darauf ein. „Und was jetzt?“, fragte er.

„Nichts. Wir … wir haben beschlossen, einfach so weiterzumachen wie bisher.“

„Gut.“

Nolan gefiel das gefährliche Glitzern in Adams Augen gar nicht. „Gut!?“

„Sie hat in den letzten Monaten schon genug durchgemacht.“

„Das weiß ich. Was passiert ist, war ein …“ Fehler. Nolan brachte das Wort nicht über die Lippen. „Wir haben nicht damit gerechnet. Wir beide nicht. Klar ist uns die Situation ein bisschen unangenehm, aber das wird schon wieder. Es ist das Beste so.“

„Ist es das?“, fragte Adam. „Wenn sie Interesse an dir hat und du an ihr …“

„Das habe ich nicht. Nie gehabt“, schnitt Nolan ihm das Wort ab und ignorierte seinen sich beschleunigenden Herzschlag. Lüg-ner. Lüg-ner. Lüg-ner.

Seine Gefühle spielten hier keine Rolle. Das Letzte, was sie jetzt gebrauchen konnten, war ein Rückschlag für die Firma. „Katie war für mich immer … na ja, Katie.“

„Bis jetzt.“ Adam knallte seine Bierflasche auf den Tresen. „Du hast das geändert. Du hast alles verändert.“

„Aber nicht mit Absicht!“, protestierte Nolan.

„Tja, dann solltest du die Dinge lieber absichtlich mit ihr klären, bevor wir Katie noch verlieren!“

Nolan holte tief Luft. „Sie hat mir angeboten zu kündigen“, gestand er widerstrebend. „Am Morgen danach, aber ich habe ihr gesagt, dass sie das vergessen soll. Sie ist zu wertvoll für die Firma.“

„Allerdings!“

„Hör mal, weder sie noch ich wollen das Ganze unnötig aufbauschen. Sie wird stinksauer sein, wenn sie herausfindet, dass ich dir alles erzählt habe. Behalt es also für dich, okay?“

Adam nickte.

„Es wird eine Weile dauern, bis sich alles wieder normalisiert hat. Sorry, dass ich dir die Babyparty ruiniert habe.“

„Keine Sorge, so leicht lassen Fay und ich uns die Freude auf das Baby nicht vermiesen.“

Nolan lehnte sich gegen den Tresen. Er war erleichtert, endlich das Thema wechseln zu können. „Gut, dass ich meinen Beitrag schon geleistet habe, was Enkel angeht.“

Er war schon vor langer Zeit zu dem Schluss gekommen, dass die Ehe nichts für ihn war. Die unglücklichen Jahre mit seiner Exfrau in Boston waren ihm eine Lehre gewesen. Sie hätten nie heiraten dürfen, und vielleicht hätten sie es auch nie getan, wäre ihnen nicht die Schwangerschaft dazwischengekommen.

„Schmutzige Windeln und Fläschchen um drei Uhr morgens sind passé.“ Nolan grinste. „Ich habe mit meiner Arbeit schon genug um die Ohren und bin froh, dass meine Kinder längst aus dem Gröbsten raus sind. Happy Ends und Babys überlasse ich lieber euch.“

Katie biss sich hart auf die Unterlippe, als sie das Büro verließ, um zur Babyparty zurückzugehen. Sie hatte rasch ein paar Notizblöcke und Kugelschreiber geholt, um aufzuschreiben, wer den künftigen Müttern was geschenkt hatte.

Nolans so vertrautes Mantra Ich bin glücklich mit meinem Leben, so wie es ist hatte sie nicht wirklich überrascht. Im Laufe der letzten fünf Jahre hatte er immer wieder betont, wie glücklich er als Singlevater war.

Für ihn war alles in bester Ordnung.

Er war Geschäftsführer des Architekturbüros seiner Familie, hatte fünf Brüder, die er liebte und die zugleich seine besten Freunde waren, und war ein alleinerziehender Vater dreier toller Kinder.

Ein glücklicher Junggeselle.

Ihre langjährige heimliche Schwärmerei für den Typen würde daher zu nichts führen. Ganz egal, wie sehr sie sich zu Nolan hingezogen fühlte, und zwar von Anfang an – zwischen ihnen würde nie etwas laufen.

Na ja, zumindest nicht mehr als eine leidenschaftliche Nacht.

Ich muss endlich darüber hinwegkommen!

Ein weiterer vertrauter Satz, den sie sich in den letzten beiden Wochen immer wieder eingebläut hatte. Doch einfach so zur Tagesordnung überzugehen, fiel ihr schwerer als gedacht.

Nolan hatte an jenem Morgen das Zimmer in der Blue Creek Pension verlassen. Danach hatte sie aufgeräumt und war nach Hause gefahren – fest entschlossen, sich an ihre Abmachung zu halten und also dafür zu sorgen, dass alles beim Alten blieb – zwischen ihr und Nolan, zwischen ihr und allen Murphys, zwischen ihrer Person und ihrem Job, den sie so sehr liebte.

Tja, leichter gesagt als getan.

Okay, sie hatte eine Dummheit begangen. Sie war gedankenlos und leichtsinnig gewesen, aber hey, es war nicht das erste Mal, dass sie bei ihrer nie endenden Suche nach …

Nein, jetzt nicht das Wort mit L am Anfang …

Was in jener Nacht passiert war, hatte sich aus einer Mischung aus Lust, Alkohol und Dummheit heraus spontan ergeben. Sie konnte von Glück sagen, dass sie mit jemandem wie Nolan im Bett gelandet war. Zu hoffen, dass eine Nacht toller Sex zu mehr führen würde, wäre völlig verrückt. Nolan hatte keinen Zweifel an seinen Gefühlen gelassen. Sie beide würden ihr Leben weiterleben, als sei nie etwas passiert.

Mit diesen Gedanken im Hinterkopf müsste es ihr eigentlich leichtfallen, sich in einem Raum mit Nolan aufzuhalten, sich ganz freundlich zu geben und geschäftsmäßig zu bleiben. Im Büro klappte das ja auch einigermaßen, aber vermutlich vor allem deshalb, weil Nolan in letzter Zeit öfter bei sich zu Hause arbeitete statt im Haupthaus.

Als hätte er ihr nicht schon deutlich genug zu verstehen gegeben, dass er nichts von ihr wollte.

Katie verteilte die Notizblöcke und Stifte und arrangierte die ausgepackten Geschenke auf dem Esszimmertisch.

Peggy kam zu ihr, einen Babyschlafanzug mit aufgedruckten Welpen in einer Hand. „Mann, ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, dass Curtis auch mal so klein war!“

Katie lächelte. „Ich dachte, Curtis war nie richtig klein.“

„Stimmt.“ Peggy faltete den Schlafanzug zusammen. „Der Junge wog bei der Geburt mehr als fünf Kilo und hatte gleich eine Nummer größer. Er ist auch sonst ein harter Brocken.“

„Aber du liebst ihn.“

„Das tue ich. Sogar dann, wenn wir so wie letzte Woche mit Magen-Darm-Grippe flachliegen. Gott sei Dank ist das überstanden. Heute ist das erste Mal seit Halloween, dass wir aus dem Haus kommen.“

„Dir geht es wieder besser. Das freut mich!“

„Mich auch. Danke übrigens für das Essen, das du uns auf die Veranda gestellt hast.“ Peggy rückte ein Stück näher und senkte vertraulich die Stimme. „Wir hatten in letzter Zeit keine Gelegenheit zu reden, und das hier ist nicht gerade der ideale Ort für ein Gespräch unter Frauen – aber, geht es dir gut?“

Katie fing einen flauschigen Teddy auf, der fast vom Tisch gefallen wäre. „Klar. Warum fragst du?“

„Na ja, du wirkst etwas …“

„… gestresst? Hier war eine Menge zu tun.“ Katie zwang sich zu einem Lächeln. „Die arme Elise hat sich den Arm gebrochen, und ich bin für sie eingesprungen, um für heute alles vorzubereiten.“

„Die Murphys wissen das zu schätzen. Fay hat total von dir geschwärmt, als sie letzte Woche im Blumenladen vorbeikam.“ Peggy legte Katie eine Hand auf einen Arm. „Nein, ich will damit sagen, dass du ein bisschen traurig aussiehst.“

Traurig?“ Katie hielt den Blick gesenkt. „Echt?“

„Du hast doch auf der Halloweenparty gesagt, dass du bereit bist, jemand Neues kennenzulernen.“

„Aber?“

„Du hast in den letzten Monaten eine Menge durchgemacht.“ Peggy drückte ihr den Arm. „Vielleicht bist du ja doch noch nicht über Jake hinweg.“

Oh doch, das war sie. Mit einer Leichtigkeit, die sie nicht überraschte, weil ein anderer Mann jetzt ihre Gedanken beherrschte.

Ihre Gefühle für Nolan zu verdrängen, war ihr früher leichtgefallen – auch dank ihrer Beziehungen mit anderen Männern. Als das mit Jake ernst geworden war, hatte sie ihre Schwärmerei für ein gewisses Mitglied der Murphy-Familie für passé gehalten.

Aber dann … tja, dann.

Diesmal würde es etwas länger dauern, aber sie würde es schon irgendwie hinkriegen.

Schließlich blieb ihr nichts anderes übrig.

Und sie hatte weiß Gott genug Übung.

Sie musste an die Zukunft denken. Ihre Zukunft. Es wurde Zeit, nach vorn zu blicken, nicht zurück. Und sie hatte auch schon eine Idee …

„Es geht mir gut.“ Diesmal war ihr Lächeln aufrichtig. „Mehr als gut sogar.“

„Wie meinst du das?“

Katie schüttelte den Kopf. Sie wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Oder woher das warme Gefühl kam, das sie gerade durchströmte. „Keine Ahnung, aber es wird Zeit.“

„Zeit wofür? Du sprichst in Rätseln.“

Katie war froh, dass Peggy gebeten wurde, in der Küche zu helfen. Katie arrangierte die Geschenke weiter. Niedliche Schuhe, die in ihre Handfläche passten. Praktische Lätzchen und schöne handgefertigte Quilts und Decken. Strampelanzüge in allen Farben und Stilen. Fläschchen, Badezubehör.

Alles, was ein Neugeborenes brauchte.

Abgesehen von der bedingungslosen Liebe eines Elternteils.

Fay, die A. J. eine tolle Mutter war, freute sich sehr auf ein weiteres Baby. Und Laurie hatte Tränen in den Augen gehabt, als sie ihre Gefühle beim ersten Strampeln des Babys in ihrem Bauch zu schildern versucht hatte.

Die Verbindung und der Beschützerinstinkt dieser Frauen zu ihren Kindern waren schon jetzt stark ausgeprägt. Sie liebten ihre Ungeborenen zweifellos von ganzem Herzen.

Hatte ihre Mutter ihr gegenüber auch solche Gefühle gehabt?

Diese Frage hatte Katie sich im Laufe der Jahre oft gestellt.

Aber falls ja, wie hatte sie es fertiggebracht, eine Dreijährige an einem kalten Wintertag allein in einer Kirche zurückzulassen?

Katie würde so etwas nie tun. Sie hätte eine Lösung gefunden, ihr Kind zu behalten und die Familie zusammenzuhalten. Sie wäre betteln gegangen oder hätte gestohlen, wenn es hätte sein müssen. Nichts würde sie von einem Wesen trennen können, das zu ihr gehörte.

Seitdem sie verlassen worden war, empfand sie eine innere Leere, die bis heute darauf wartete, gefüllt zu werden.

Es wurde Zeit, das zu ändern.

Sie legte eine Hand auf den Bauch und versuchte, sich vorzustellen, wie sich ein wachsendes Leben in ihr wohl anfühlen würde – ein Leben, das für immer mit ihrem Leben verknüpft sein würde.

In diesem Augenblick entschied sich Katie.

Sie würde schwanger werden.

Ja, sie würde ein Baby bekommen!

4. KAPITEL

Junge, Junge, wenn ich meinen Traum wahrmachen möchte, auf unkonventionelle Weise ein Baby zu bekommen … Das wird anscheinend ganz schön schmerzlich für meinen Geldbeutel – und für mein Herz!

Katie aß ihr Mittagessen am Schreibtisch und sah sich dabei die Website einer bekannten Kinderwunschklinik in Denver an.

Nach der Babyparty hatte sie sich tagelang ausgemalt, wie es sich wohl anfühlen würde, schwanger zu sein. Als sie angefangen hatte, sich Vornamen zu überlegen, und das zweite Schlafzimmer ihrer Wohnung gedanklich als Kinderzimmer einzurichten, da hatte sie zu recherchieren begonnen.

Sie las sich gerade die Infos über Samenspender, Fruchtbarkeitskalender, künstliche Befruchtung versus intrauterine Befruchtung, über Kosten und Selbsthilfegruppen für alleinerziehende Mütter durch.

Alles faszinierte sie so. Und flößte ihr ziemlich viel Furcht ein. Quatsch, es war beängstigend!

Aber sie war bereit. Mehr als bereit sogar.

Sie blätterte ihren Kalender durch, um sich einen Überblick über ihren Zyklusverlauf des vergangenen Jahres zu verschaffen. Oh je, der Stress im letzten halben Jahr hatte ihre Periode ganz schön durcheinandergebracht, doch bei ihrem Appetit auf Schokolade und ihrer schlechten Laune müsste sie bald ihre Tage kriegen.

Sie klickte auf den Link zur Datenbank für Samenspender und war verblüfft über die Angaben. Es gab Kästchen, mit denen sie Merkmale wie Körpergröße und Körpergewicht, Farbe der Haare und Augen und Ethnie ankreuzen konnte, was sie nicht überraschte – im Gegensatz zu Hobbys, Lieblingsmusik, Familieneigenschaften, Religion und sogar Sternzeichen.

Himmel, sie würde mehr über den Vater ihres Babys wissen als über sich selbst!

Sie wusste so vieles nicht. Sie hatte keine Ahnung, was vor ihrem dritten Lebensjahr in ihrem Leben passiert war.

Ihr rotes Haar und ihre helle Haut ließen auf eine irische Abstammung schließen, aber was wusste sie schon? Und falls ja, war die Frage, ob sie diese Eigenschaften von ihrer Mutter oder ihrem Vater oder von beiden geerbt hatte. Hatte sie Geschwister? Manchmal glaubte sie, sich an Brüder zu erinnern, doch die Erinnerung war so vage, dass sie die Gedanken irgendwann als Wünsche abgetan hatte.

Das Schlimmste war jedoch die Gewissheit, niemals Antworten zu finden. Verlassen zu werden, war nicht das Gleiche, wie zur Adoption freigegeben zu werden. Es existierten keine Unterlagen, nur ein handgeschriebener Zettel, der bis auf ihren Namen, ihren Geburtstag und die Bitte, jemand möge sich um das kleine Mädchen kümmern, so gut wie unleserlich war.

Katie blinzelte gegen die Tränen in ihren Augen an und berührte reflexartig den Anhänger, den sie oft trug – ein Silberkreuz mit bunten Steinen an einer langen Kette. Sie hatte erst von der Kette erfahren, als sie mit achtzehn nach ihrer Akte gefragt hatte.

Abgesehen von dem Zettel stellte die Kette die einzige Verbindung zu ihrer Vergangenheit dar. In der Akte stand, dass sie die Kette getragen hatte, als man sie schlafend auf einer Kirchenbank in Boise gefunden hatte.

Hatte das Schmuckstück ihrer Mutter gehört? War es vielleicht ein Familienerbstück?

Sie verdrängte diese Gedanken und richtete die Aufmerksamkeit wieder auf die Liste mit den Infos auf der Website der Kinderwunschklinik. So, was für Eigenschaften wünschte sie sich vom Vater ihres Kindes?

Er sollte groß sein, mindestens einsachtzig. Sie stand auf große Männer. Außerdem sollte er breite Schultern haben und muskulös sein. Dunkles Haar, braune Augen. Intelligenz war sowieso Voraussetzung, Familienmensch und …

„Katie, ich störe dich nur ungern in deiner Mittagspause, aber ich brauche …“ Ihr stieg der Duft von Nolans Aftershave in die Nase, als er sich über sie beugte. „Was zum Teufel ist das?“

Hastig verkleinerte sie das Browserfenster und drehte sich auf ihrem Bürostuhl um.

Nolan stand so dicht vor ihr, dass sie mit den Knien seine Beine berührte und sich sein Sixpack auf Augenhöhe mit ihr befand.

Nicht dass sie seine Muskeln durch seinen jagdgrünen Pullover sehen konnte, aber sie konnte sich noch gut an den Anblick erinnern. Oh ja und an das Gefühl und den Geschmack seiner glatten festen Haut und seiner harten Muskeln …

Blinzelnd riss sie den Blick von seinem Bauch los und hob ihn zu Nolans Gesicht. „W…was machst du hier?“

Oh je, klang sie genauso atemlos, wie es sich anhörte?

„Ich arbeite hier.“

Nicht in den letzten zwei Tagen. Er hatte sich wieder einmal in seinem Homeoffice vergraben. So nahe war sie ihm nicht mehr gewesen, seitdem … na ja, seit jener Nacht eben. „Ich auch. Ich mache gerade Mittagspause.“

„Das habe ich mir schon gedacht.“ Sein Arm streifte sie an einer Schulter, als er sich vorbeugte, um nach der Computermaus zu greifen. „Und kreuzt Kästchen an für … Was ist das? Eine Dating-Website?“

Katie drehte ihren Stuhl wieder zurück. Den vertrauten Duft von Nolans Aftershave ignorierend, nahm sie ihm die Maus weg und schloss das Programm ganz. „Nicht wirklich.“

„Was genau war es dann …“ Nolan verstummte, ging um ihren Schreibtisch herum und sah sie schockiert an. „Moment mal, darüber stand … Samenbank? Du willst ein … ein … echt!?

Katie straffte die Schultern, schob ihren Stuhl zurück und stand auf, dankbar für ihre hohen Absätze, dank derer sie auf Augenhöhe mit Nolan war. „Ja, echt. Und das passende Wort ist Baby. So, du brauchst etwas?“

„Was … Wann hast du das beschlossen?“

„Das geht dich nichts an.“ Das traf nicht ganz zu, denn der Mann war immerhin ihr Chef, einer ihrer Chefs. Und eine Schwangerschaft würde sich auf ihren Job auswirken. „Zumindest im Moment nicht“, räumte sie ein. „Ich denke schon … eine ganze Weile darüber nach.“

„Seit wann? Schon vor Halloween?“

„Ja, ich wollte immer schon … Na ja, vielleicht nicht …“ Katie verstummte unter seinem durchdringenden Blick und warf einen Blick auf die offene Doppelglastür, die ihr Büro von den Büros der anderen trennte. Gott sei Dank schien gerade niemand da zu sein. Trotzdem nahm sie ein paar Akten von ihrem Schreibtisch und ging zum Eckschrank. „Warum fragst du?“

„Ging es dir etwa darum? In jener Nacht? Im Blue Creek Saloon?“

Was?“ Die Akten an sich gepresst wirbelte sie zu ihm herum. Seine Worte waren wie ein Schlag ins Gesicht. „Du glaubst, ich hätte es darauf angelegt, schwanger zu werden?“

Nolan, der ihr gefolgt war, blieb abrupt vor ihr stehen. Er öffnete den Mund, doch nichts kam heraus. „Das war eine blöde Bemerkung von mir“, sagte er schließlich lahm.

„Ach, wirklich? Ungeschützter Sex mit einem Fremden ist doch ein genialer Schachzug. Vor allem, wenn man nichts über diesen Mann weiß und er womöglich eines Tages involviert werden will. Toller Plan, Nolan. Warum bin ich nicht schon eher darauf gekommen?“

„Katie, es tut mir leid …“

„Meine Pläne haben absolut nichts damit zu tun, was … zwischen uns passiert ist“, schnitt sie ihm wütend das Wort ab. „Außerdem haben wir aufgepasst. Jedes Mal. Oder hast du das schon vergessen?“

Sein glühender Blick verriet ihr, dass er gar nichts vergessen hatte. Genauso wenig wie sie. Sie erinnerte sich nur allzu lebhaft daran. Diese Nacht verfolgte sie sogar bis in ihre Träume.

Katie schärfte sich ein, dass sie nie wieder über jene Nacht reden wollten, und schoss an Nolan vorbei zum Schrank mit dem Büromaterial. „Mach dir keine Gedanken. Alles ist gut.“

„Ich mache mir keine Gedanken.“ Er wich ihr nicht von der Seite. „Und es tut mir leid. Das war das Dümmste, was ich je gesagt habe.“

„Erstaunlicherweise stimme ich dir zu.“

„Aber überleg dir gut, was du tust. Ein Kind zu haben, ist der härteste Job auf der Welt, und dann auch noch allein? Freiwillig? Das ist der reinste Wahnsinn!“

Katie öffnete die Schranktür und legte die Akten auf eine Kommode in der Nähe. Sie hatte sie ganz vergessen abzulegen. „Ich kann dir versichern, dass ich noch nie vernünftiger entschieden habe.“

„Katie, du hast keine Ahnung, worauf du dich einlässt!“

„Wer tut das schon, bevor es so weit ist? Viele Frauen – Menschen – kriegen auf diese Art Kinder. Und du …“ Ihre Stimme drohte zu brechen, doch sie zwang sich weiterzureden. „Du scheinst als alleinerziehender Vater doch auch gut klarzukommen.“

„Weil mir nichts anderes übrig bleibt. Carry hat es einfach nicht gepackt, trotz Nanny und Haushälterin.“ Nolan seufzte frustriert. „Aber wir reden gerade nicht über mich.“

„Es gibt keinen Grund, über mich zu reden.“

„Das hier passt doch gar nicht zu dir.“

Katie wäre gern einen Schritt zurückgewichen, stand jedoch mit dem Rücken zu der Kommode. „Was soll das heißen?“

„Na ja, erstens … bist du erst siebenundzwanzig.“

„Zu jung oder zu alt?“

„Das ist nicht …“

„Ich bin gesund, halbwegs intelligent und habe einen tollen Job mit Sozialversicherung“, zählte sie auf. „Und noch dazu Ersparnisse. Viele Frauen haben weniger Startkapital, wenn sie Kinder kriegen.“

„Ein Baby braucht so viel mehr …“

„Glaubst du, das weiß ich nicht!?“, fiel sie ihm hitzig ins Wort. „Glaubst du, mir ist nicht bewusst, wie viel Liebe und Zuwendung ein Kind braucht?“

„Katie?“, hörten sie plötzlich eine männliche Stimme. „Bist du da?“

Katie sah Nolan erschrocken an, als sie Adams Stimme erkannte.

„Ach, da bist du … seid ihr ja.“ Adam lehnte sich stirnrunzelnd gegen die Tür. „Sorry. Störe ich gerade?“

„Nein, natürlich nicht.“ Sie nahm zwei Schachteln jener Bleistifte mit feinen Minen, die Nolan bevorzugte, und schob sie ihm in die Hände. „Hier, die wolltest du doch haben.“ Als Nolan ihre Hände festhielt, zog sie ihre Finger hastig weg. „Was kann ich für dich tun, Adam?“

„Ich muss mit euch beiden reden.“ Adam löste sich vom Türrahmen und kam näher, wobei er Nolan aus schmalen Augen fixierte. „Liam und ich haben gerade mit Ellsworth telefoniert.“

Nolan sah ihn verdutzt an. „Warum habt ihr mir nicht Bescheid gesagt?“

„Weil du nicht zu erreichen warst.“ Adam sah zwischen seinem Bruder und Katie hin und her. „Wo hast du gesteckt?“

„In meinem Arbeitszimmer zu Hause. Mit ausgeschaltetem Handy, um an Ellsworths Projekt zu arbeiten. Warum bist du nicht kurz vorbeigekommen?“

„Es ging alles ganz schnell. Ellsworth will, dass du nach Spokane zurückkommst. Noch heute Abend.“

„Was? Warum denn?“

„Er hat fünfhundert Hektar nordöstlich der Stadt gekauft und will die neue Wohnanlage dort statt in Montana bauen, da dort auch sein Firmensitz ist.“

„Na toll! Das wirft alle Pläne über den Haufen. Mal wieder.“ Nolan fuhr sich mit einer Hand durchs Haar. „Und das, wo ich gerade dachte, endlich alles im Griff zu haben.“

„Ja, es ist erstaunlich, wie schnell sich die Dinge ändern können.“

„Ich spreche von den Zeichnungen!“

„Ich auch!“ Adam verschränkte die Arme vor der Brust und richtete den Blick auf Katie. „Katie, du wirst für Nolan einen Flug und ein Hotelzimmer buchen müssen. Vielleicht muss er bis Anfang nächster Woche bleiben.“

„Natürlich.“ Katie ging zurück zu ihrem Schreibtisch, überrascht über die angespannte Atmosphäre zwischen den beiden Männern. Aber natürlich war das Ellsworth-Projekt ein Großauftrag. Es ging um sehr viel Geld. Nolan arbeitete schon seit Monaten an den Entwürfen.

„In Cheyenne geht heute kein Flieger mehr.“ Ihre Finger flogen über die Tastatur. „Du wirst nach Denver müssen. Ich kann dir eine Suite im Historical Davenport buchen“, fuhr sie fort. „Dann kannst du das separate Wohnzimmer für Meetings und Videokonferenzen nutzen.“

„Ich kann da nicht hin.“

Katies Finger erstarrten auf der Tastatur. Adam drehte sich zu Nolan um. „Warum nicht?“, fragten sie beide einstimmig.

„Wer passt so lange auf meine Kinder auf?“ Nolan hob abwehrend eine Hand, als Adam protestierend den Mund öffnete. „Mom hat große Schmerzen und Dad tut alles, um sie vom Arbeiten abzuhalten. Du und Bryant, ihr habt eure eigenen Familien.“ Er schüttelte den Kopf. „Außerdem hatte ich in letzter Zeit … Probleme mit Abby.“ Er seufzte. „Jungsgeschichten.“

Jungsgeschichten?“, wiederholte Adam.

„Ja. Sie hat sich mit einem Cowboy eingelassen.“

„Sie ist erst sechzehn.“

„Das weiß ich selbst. Ich habe ihr gesagt, dass ich strikt dagegen bin, aber das hält sie nicht davon ab … sich weiter mit dem Typen zu treffen.“

„Ich übernehme das“, platzte Katie zu ihrer eigenen und zur Überraschung ihrer Vorgesetzten heraus. Nolan begann zu protestieren, aber sie überging ihn einfach. „Ich kenne die Kinder und sie mich. Ich pack einfach ein paar Sachen und zieh bei euch ein.“

Adam und Nolan wechselten einen Blick, den Katie nicht deuten konnte. Schweigen breitete sich im Raum aus.

„Ich habe kein Gästezimmer“, sagte Nolan irgendwann.

„Aber ein Sofa in deinem Arbeitszimmer. Oder das Schlafsofa im Wohnzimmer. Es wird schon irgendwie gehen.“ Katie erwärmte sich immer mehr für die Idee. Das hier war ihre Chance zu beweisen, dass sie eine gute Mutter sein würde. Sie würde es schon irgendwie hinkriegen. Es machte bestimmt sogar Spaß.

„Ich werde die Kinder morgens wecken und dafür sorgen, dass sie zur Schule kommen, bevor ich ins Büro gehe. Danach mache ich ihnen das Abendessen, betreue ihre Hausaufgaben und schick sie ins Bett. So schwer kann das doch nicht sein.“

„Es sind drei.“

Sie verdrehte genervt die Augen. „Ich weiß, Nolan.“

Er ging einen Schritt auf sie zu. „Drei Teenager.“

„Ich war auch mal einer. Und wie jemand kürzlich betont hat, vor nicht allzu langer Zeit.“

„Du hast keine Ahnung, worauf du dich …“

„Katie, wir wissen dein Angebot zu schätzen, aber bist du sicher?“, fiel Adam seinem Bruder ins Wort. „Das hier gehört nicht zu deinem Job.“

„Ich möchte euch sehr gern helfen. Und sollte es Probleme geben, seid ihr anderen ja in der Nähe.“ Betont lässig zuckte sie die Achseln, obwohl sie innerlich total aufgeregt war. „Es ist ja nur für eine Woche oder so.“ Erwartungsvoll sah sie ihn an.

Nolan erwiderte ihren Blick. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, traute er ihr das Projekt nicht zu.

Ihr Magen verkrampfte sich schmerzlich. Anscheinend hatte sie Probleme, den Joghurt zu verdauen, den sie gerade gegessen hatte. Sekunden verstrichen.

Nolan seufzte erneut. „Na schön“, sagte er. „Wir versuchen es.“

Katie strahlte, bis ihr Adams seltsamer Blick auffiel, als er zwischen ihr und Nolan hin- und hersah. Doch bevor sie ihn darauf ansprechen konnte, klingelte sein Handy, und er verließ das Büro, um das Gespräch anzunehmen.

Wieder breitete sich ein Schweigen im Raum aus.

„Keine Sorge, ich schaff das sch…“

„Wir sollten noch ein paar Dinge besprechen …“, sagten sie beide gleichzeitig.

Und verstummten wieder.

„Geh doch schon mal packen“, schlug Katie vor. „Ich buche die Reise, hol ein paar Sachen von zu Hause, und dann treffen wir uns bei dir, um in Ruhe die Details zu besprechen.“

Nolan warf einen Blick auf seine Armbanduhr. „Ich muss den Kindern sagen, was los ist.“

„Natürlich. Aber der letzte Flieger geht erst um acht. Du hast noch Zeit.“

Unschlüssig sah er sie an.

„Nolan, mach dir keine Sorgen. Ich weiß, was ich tue, und wie schon gesagt, deine Familie wohnt gleich nebenan. Alles wird gut.“

„Wie war das Essen, Mr. Murphy?“

Nolan trat einen Schritt zurück, als der Hotelangestellte seinen noch halb vollen Teller abräumte. „Es war … gut.“

Gut.

Das schien das Wort des Tages zu sein.

Katie hatte ihm wieder und wieder versichert, dass alles gutgehen würde – von ihren Babyplänen bis hin zur Betreuung seiner Kinder.

Ja, alles war einfach nur … gut.

Abgesehen davon, dass das schlechte Wetter ihn zu einem früheren Aufbruch mit Bryants Hubschrauber gezwungen hatte als geplant, sodass er keine Chance mehr gehabt hatte, ausführlicher mit Katie zu reden. Oder die Kinder dazu hatte bewegen können aufzuräumen. Im Haus hatte es ausgesehen, als hätte eine Bombe eingeschlagen.

Anstatt zu arbeiten, stand Nolan am Fenster seines Hotelzimmers und betrachtete die Skyline von Spokane.

Katie ging ihm einfach nicht aus dem Kopf.

Und das nicht nur, weil sich die Kinder in ihrer Obhut befanden. Nein, es war ihr schockierender Plan, ein eigenes Kind zu bekommen, der ihm zu denken gab.

Und dann noch seine dämliche Bemerkung zu ihrer gemeinsamen Nacht …

Er hatte sich wie ein Idiot benommen, und das völlig grundlos.

Allerdings hatte er so etwas Ähnliches schon einmal erlebt. Seine Exfrau hatte nie offen zugegeben, vor all den Jahren absichtlich schwanger geworden zu sein, aber sie hatte im Laufe ihrer Ehe genug Andeutungen fallenlassen.

Nolan verdrängte die Erinnerungen, um sich auf seine Unterlagen zu konzentrieren, griff jedoch stattdessen nach seinem Handy.

Keine Nachrichten.

Er hatte allen nach seiner Ankunft am Flughafen Bescheid gegeben und die üblichen einsilbigen Antworten von den Kindern erhalten. Kein Wort von Katie.

Bei seinem Abschied hatte er Abby gebeten, Katie den Haushalt zu erklären. Ob sie das gemacht hatte? Die täglichen Aufgaben und wichtigsten Telefonnummern hingen am Kühlschrank. Aber irgendetwas Wichtiges hatte er vergessen … Verdammt, die Alarmanlage! Oder genauer gesagt den Code, den er neulich geändert hatte.

Er griff wieder nach seinem Handy. Es war fast dreiundzwanzig Uhr. Hoffentlich war Katie noch wach. Das hier hatte nicht bis morgen Zeit.

„Hallo?“, meldete sie sich atemlos.

Beim Klang ihrer Stimme blitzte ihr nackter Anblick im Bett vor Nolans innerem Auge auf. Sein Körper reagierte sofort. Gar nicht gut.

Er setzte sich aufs Bett und lehnte sich zurück. Nein, er konnte unmöglich im Liegen mit Katie reden. Das wäre ja wie Telefons…

„Nolan? Bist du noch dran?“

Er sprang auf und ging rastlos auf und ab. „Ja, sorry. Hoffentlich ist es nicht schon zu spät. Habe ich dich geweckt?“

„Nicht wirklich. Ich döse gerade ein bisschen im Wohnzimmer und … lese.“

Infos über Samenspender etwa? Diese Vorstellung kühlte ihn etwas ab, aber er verzichtete darauf zu fragen. „Ich hoffe, die Matratze ist nicht zu dünn. Ich wollte sie austauschen, bin aber noch nicht dazugekommen.“

„Na ja, ich liege nicht wirklich auf der Matratze. Nur auf dem Sofa.“

Nolan blieb stehen. „Was? Warum?“

„Ich habe es nicht geschafft, das Sofa auszuziehen.“

„Warum hast du nicht die Jungs um Hilfe gebeten?“

„Ich habe nicht daran gedacht, als sie vorhin nach oben gegangen sind. Sie schlafen schon. Es ist kein Problem, wirklich.“

„Doch, es ist eins. Ich verlange auch so schon genug von dir, da sollst du es zumindest bequem haben.“

„Ich habe es … Nolan, es geht mir …“

„… gut“, ergänzte er ihren Satz zur selben Zeit wie sie. „Das habe ich heute schon öfter von dir gehört.“

„Da wir gerade über heute reden …“ Sie zögerte einen Moment „Weißt du noch, worüber wir uns unterhalten haben, bevor Adam ins Büro kam …?“

„Ja.“

„Ich würde es vorziehen, wenn wir das für uns behielten. Zumindest vorläufig. Ich bin noch nicht so weit … na ja, um es an die große Glocke zu hängen.“

„Du wirst es nicht ewig geheim halten können.“

„Das ist mir bewusst. Aber ich muss noch ein paar Entscheidungen treffen, bevor ich den nächsten Schritt mache.“

Nolan wusste selbst nicht, warum ihm das Thema so unangenehm war. „Klar. Kein Problem.“

„Danke“, sagte sie hörbar erleichtert.

„Ich rufe übrigens an, weil ich vergessen habe, dir die Alarmanlage zu erklären.“

Autor

Nancy Robards Thompson
<p>Nancy Robards Thompson, die bereits mit vielen Preisen ausgezeichnet wurde, lebt in Florida. Aber ihre Fantasie lässt sie Reisen in alle Welt unternehmen – z. B. nach Frankreich, wo einige ihrer Romane spielen. Bevor sie anfing zu schreiben, hatte sie verschiedene Jobs beim Fernsehen, in der Modebranche und in der...
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Joanna Sims
<p>Joanna Sims brennt für moderne Romances und entwirft gerne Charaktere, die hart arbeiten, heimatverbunden und absolut treu sind. Die Autorin führt diese auf manchmal verschlungenen Pfaden verlässlich zum wohlverdienten Happy End. Besuchen Sie Joanna Sims auf ihrer Webseite www.joannasimsromance.com.</p>
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Christy Jeffries
<p>Christy Jeffries hat einen Abschluss der University of California in Irvine und der California Western School of Law. Das Pflegen von Gerichtsakten und die Arbeit als Gesetzeshüterin haben sich als perfekte Vorbereitung auf ihre Karriere als Autorin und Mutter erwiesen. Mit zwei Energiebündeln von Söhnen, der eigenwilligen Großmutter und einem...
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