Cora Collection Band 65

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URLAUBSFLIRT FÜR FORTGESCHRITTENE von ALLY BLAKE
Die Wassertropfen glitzern auf seiner Haut, sein Körper ist durchtrainiert, und sein Lächeln umwerfend. Avery glaubt zu träumen, als der sexy Surfer sie aus der wilden Brandung rettet. Dabei hat sie sich geschworen, sich in diesem Urlaub nicht zu verlieben. Doch sie begegnet Jonah North immer wieder …

DIE BRAUT DES SCHEICHS von PENNY JORDAN
Xenia ist fassungslos. Sie soll Scheich Rashid heiraten! Ihr Plan: eine Affäre mit Playboy Blaize vortäuschen und ihren Ruf ruinieren. Schnell kommt sie dem attraktiven Surflehrer näher. Doch nach einer leidenschaftlichen Nacht macht Xenia eine schockierende Entdeckung …

TRAUMURLAUB MIT SÜßEN FOLGEN von VICTORIA PADE
Für den Surfer Andrew Hanson ist die Welt sein Zuhause! Ständig unterwegs, trifft er auf Tahiti die atemberaubende Delia. Sie könnte sein Leben von Grund auf ändern. Aber ihm ist nur eine Nacht mit ihr vergönnt. Dann verschwindet sie – mitsamt ihrem süßen Geheimnis …


  • Erscheinungstag 12.05.2023
  • Bandnummer 65
  • ISBN / Artikelnummer 0815230065
  • Seitenanzahl 400

Leseprobe

Abby Blake, Penny Jordan, Victoria Pade

CORA COLLECTION BAND 65

1. KAPITEL

Avery Shaw spürte kaum, wie die sanfte Meeresbrise ihr das hellblonde Haar ins Gesicht wehte und die durchsichtigen Schichten ihres Kleides flattern ließ. Mit großen Augen stand sie vor der Fassade des Tropicana Nights Resort und schwelgte in warmen, schemenhaften, glücklichen Erinnerungen.

Sie hob die Hand, um ihre Augen vor der flirrenden aus-tralischen Sommersonne zu schützen und nahm den Anblick in sich auf. Die Hotelanlage war größer, als sie es in Erinnerung hatte, und beeindruckender. Ein großer weißer Kolonialbau aus einer anderen Zeit, den es an den wunderschönen Strand von Crescent Cove verschlagen hatte. Der Garten war inzwischen ziemlich verwildert, die Fassade ein wenig heruntergekommen. Aber kein Wunder nach zehn Jahren.

Die Dinge änderten sich. Avery war auch keine sechzehn mehr wie damals, als sie hier einen unbeschwerten Sommer verbracht hatte.

Ein lautes Klappern und Rattern holte Avery zurück in die Gegenwart. Auf dem geschwungenen Gehweg unter ihr zischte eine Horde gebräunter Jungs in Shorts auf ihren Skateboards Richtung Strand. Und manche Dinge ändern sich nie.

Den Geschmack von Salz und Meer auf den Lippen polterte Avery samt Louis-Vuitton-Gepäck die breite Eingangstreppe hinauf und in die Lobby. Die zwei Stockwerke hohe Decke wurde von Säulen aus falschem Marmor getragen. Gemütliche Klubsessel, gigantische Teppiche, Topfpalmen und ein Fußboden aus wunderschönen, sandfarbenen Mosaikfliesen verliehen der Lobby ihren Charme. Und neben dem Bogengang zum Restaurant verkündete eine altmodische Tafel: Gratis-Hauptgericht im Capricorn Café für jeden Gast mit Augenklappe!

Ihr Lachen hallte von den Wänden wider, denn die Lobby war leer. Merkwürdig für ein Strandhotel mitten im Sommer. Aber wahrscheinlich waren alle am Pool. Oder hielten Siesta. Und nach dem ganzen Stress in Manhattan genoss Avery die Ruhe.

Weiter drinnen zeichnete sich der lange Empfangstresen aus Kalkstein ab, in dessen Seiten Wellen gemeißelt waren. Dahinter stand eine junge Frau mit dunkelrotem Haar, das sie zu einem glatten Pferdeschwanz gebunden hatte. Das Namensschild mit Tropicana-Nights-Logo hing etwas schief an ihrem ausgeblichenen gelb-blauen Hawaii-Kostüm im Stil der Siebzigerjahre.

„Ahoi!“, empfing sie die Frau, auf deren Namensschild Isis stand. Und als sie Averys Blick auf den ausgestopften Papagei auf ihrer Schulter bemerkte, kraulte sie diesen unterm Kinn. „Diese Woche ist unser Motto Piraten und Papageien.“

„Verstehe“, sagte Avery. Jetzt ergab auch die Sache mit der Augenklappe einen Sinn. „Ich bin Avery Shaw. Claudia Davis erwartet mich.“

„Yo ho ho und ’ne Buddel voll Rum… Die Amerikanerin!“

„So ist es!“ Die Begeisterung des Mädchens war ansteckend, Jetlag hin oder her.

„Claude ist schon ganz aus dem Häuschen. Ich musste stündlich die Qantas-Website checken, um ganz sicherzugehen, dass Sie wohlbehalten landen.“

„Typisch“, meinte Avery und fühlte sich gleich viel besser.

Mit ihren langen, türkisfarbenen Fingernägeln klopfte Isis an das Schlüsselbrett. „Tja, Claude könnte überall sein. Seit ihre Eltern sich aus dem Staub gemacht haben, geht es hier drunter und drüber.“

Aus dem Staub gemacht? War das Australisch für in Rente gehen? Als Avery angerufen hatte, klang Claude, als würde sie sich freuen, das Hotel zu übernehmen, das sich seit über zwanzig Jahren in Familienbesitz befand. Sie hatte Ideen! Geniale Ideen! Die Gäste würden in Scharen kommen, wie seit Jahren nicht!

Nach einem Blick in die immer noch leere Lobby kam Avery zu dem Schluss, dass die Ideen wohl noch in der Planung waren. „Soll ich warten?“

„Oh nein“, sagte Isis und klopfte erneut an das Schlüsselbrett, „da können Sie lange warten. Gehen Sie nur auf Ihr Zimmer. Dort erwarten Sie ein paar Köstlichkeiten. Ein Mitarbeiter wird Ihnen den Weg zeigen.“

Avery sah über ihre Schulter und musste unwillkürlich an die gut gemeinten Ratschläge ihrer Freundinnen denken, sich in Australien einen heißen, durchtrainierten, jungen Kofferträger zu angeln.

Der Junge, der auf sie zukam, konnte keinen Tag älter als siebzehn sein. Aber dieser Typ mit seinem leuchtend roten Haar, einer ganzen Galaxis Sommersprossen und hängenden Schultern in Hawaiihemd, der einen schwarzen Piratenhut trug, war wahrscheinlich nicht ganz das, woran ihre Freundinnen gedacht hatten.

„Cyrus“, sagte Isis, einen drohenden Unterton in der Stimme.

Cyrus blieb stehen und blickte auf. Dann grinste er, und es war unverkennbar, dass er und Isis verwandt waren.

„Das ist Mrs. Shaw“, erklärte Isis, „Claudias Freundin.“

„Danke, Cyrus“, sagte Avery und hievte ihr Gepäck auf den goldenen Kofferwagen neben der Rezeption, da Cyrus sich nicht rührte, sondern sie nur mit offenem Mund anstarrte.

„Hättest du wohl die Güte, Mrs. Shaw zur Tiki-Suite begleiten?“, bat Isis schnippisch.

Averys Gepäck schwankte bedenklich, als Cyrus den Kofferwagen ans andere Ende der Lobby schob.

„Sie sind die Frau aus New York“, sagte er.

„Ich bin die Frau aus New York“, bestätigte Avery, die sich beeilen musste, um Schritt zu halten.

„Wie haben Sie Claude kennengelernt? Sie fährt doch nie irgendwohin“, sagte Cyrus, der plötzlich stehen blieb und ihr fast den Arm ins Gesicht schlug. Zu spät begriff sie, dass er ein paar alte Damen vorbeiließ, die alle dieselben grauen Frisuren und knallorangen Sarongs trugen.

Avery schlüpfte unter Cyrus’ Arm hindurch. „Claude war schon überall. Das weiß ich, weil wir zusammen dort waren. Die schönsten Reisen waren die nach Italien … Marokko. Besonders gut erinnere ich mich noch an eine Nacht auf den Malediven. Aber kennengelernt haben wir uns, als ich mit meiner Familie vor ungefähr zehn Jahren hier Urlaub gemacht habe.“

Nicht vor ungefähr zehn Jahren. Vor genau zehn Jahren. Fast auf den Tag.

„Na, kommen Sie, Cyrus“, sagte Avery und schüttelte das beklemmende Gefühl ab, das sich in ihrer Brust breitmachte. Sie hakte Cyrus unter und zog ihn weiter. „Zeigen Sie mir mein Zimmer.“

Der Junge wäre fast über seine großen Füße gestolpert.

Eine falsche Abzweigung und ein großzügiges Trinkgeld später hatte sie die ganz in weiß gehaltene Tiki-Suite endlich für sich allein. Und tatsächlich warteten dort einige Köstlichkeiten auf sie: ein Korb mit Pfirsichen, Pflaumen und Nektarinen, eine Schachtel Pralinen und eine große Flasche Rosé-Champagner.

Doch zuerst kickte Avery ihre Schuhe weg und trat auf die Terrasse, um die Meeresluft und den Duft der Zitronenbäume einzuatmen, die an ihr kleines Gartenstück grenzten. Sie hob das Gesicht zur Sonne, die hier irgendwie heißer brannte als zu Hause.

Es war dieselbe Suite, die sie vor zehn Jahren mit ihrer Familie bewohnt hatte. Ihre Mutter hatte einen Riesenaufstand gemacht, als sie feststellte, dass es hier nicht ganz so glamourös war, wie sie es sich vorgestellt hatte, aber da hatte Avery bereits Claude kennengelernt und ihre Eltern angefleht zu bleiben. Ausnahmsweise hatte ihr Vater ein Machtwort gesprochen, und Avery erlebte einen magischen, unvergesslichen Sommer.

Den letzten unkomplizierten, wunderbaren, unschuldigen Sommer ihres Lebens.

Den letzten vor der Scheidung ihrer Eltern.

Jener Scheidung, die ihre Mutter jetzt mit einer großen Jubi-läumsparty feiern wollte. Avery sah sich nach der Umhängetasche um, die sie auf dem Bett abgestellt hatte, und ihr brach der kalte Schweiß aus.

Sie musste zu Hause anrufen, ihrer Mutter sagen, dass sie sicher gelandet war. Obwohl sie wahrscheinlich kaum zu Wort kommen würde, während ihre Mutter sie mit Einzelheiten zu Dekoration (blutrot), Gästeliste (exklusiv, aber umfangreich) und Live-Unterhaltung (strippende Männer) vollquatschte. Nein, nein, NEIN!

Avery schrieb eine SMS.

Bin gelandet! Sonne scheint. Strand sieht herrlich aus. Ruf dich an, wenn Jetlag nachlässt. Mach dich auf wilde Geschichten von Hinterhof-Tattoos, Kneipentouren, Killerspinnen und Nacktbaden gefasst. Hoffe, Ähnliches auch von dir zu hören. Ave xxx

Dann schaltete sie ihr Handy aus und warf es aufs Bett.

Weil sie fürchtete, dass sie es nicht schaffen würde, ihr Telefon ausgestellt zu lassen, wenn sie hier im Zimmer auf Claude wartete, zog sie einen Badeanzug an, cremte sich ausgiebig mit Sonnencreme ein, schnappte sich ein Handtuch und ging den Pazifik bestaunen.

Während sie durch das Hotel schlenderte und jedem einzelnen von Claudes – ja, Claudes! – rotgesichtigen Gästen zunickte, dachte Avery an ihre überstürzte Entscheidung, hierherzukommen, nachdem ihre Mutter zum ersten Mal die geplante Scheidungsparty erwähnt hatte.

Und jetzt war sie hier, warme Erinnerungen im Herzen, und fragte sich, warum sie nicht schon viel früher daran gedacht hatte zurückzukehren. An den Ausgangpunkt.

Denn so fühlte es sich an. Als würde sie die nächsten paar Wochen nicht nur mit ihrer besten Freundin abhängen – oder sich einen knackigen Surfer angeln, um sich abzulenken – sondern als wäre das hier ihre Chance, wieder die zu werden, die sie war, bevor ihre Familie nach Manhattan zurückgeflogen war und alles den Bach runterging. Bevor ihr Leben ein endloses Hin und Her zwischen beiden Elternteilen wurde. Ein Balanceakt.

Nie wieder hatte sie sich so behütet gefühlt, so sicher, so glücklich wie in jenem Sommer.

Das erste Bier.

Das erste Lagerfeuer am Strand.

Der erste Schwarm …

Abrupt blieb Avery stehen.

War besagter Schwarm denn nicht auch in Crescent Cove?

Claude hatte ihn erwähnt. Okay, genau genommen hatte sie über ihn hergezogen und gemeint, er sei nur hier, bis sie entschieden hatten, was aus dem Hotel werden sollte, nachdem ihre jeweiligen Eltern sich zur Ruhe gesetzt und ihnen die Verantwortung überlassen hatten. Aber das war Claudes Problem.

Avery hatte nur gute Erinnerungen an ihn. Und im Moment war er hier. Und sie war hier. Es wäre schön, ihn wiederzusehen. Eine willkommene Ablenkung von ihrem turbulenten Familienleben in New York.

Jonah North schwamm mit kräftigen Zügen und genoss das erfrischende Meereswasser auf seiner von der Sonne erhitzten Haut. Als er den perfekten Platz gefunden hatte, stemmte er sich mit den Armen rittlings auf sein Surfboard. Er fuhr sich mit den Händen übers Gesicht, schüttelte sich das Wasser aus dem Haar und nahm die Aussicht in sich auf.

Der Ort Crescent Cove lag hinter einer Doppelreihe Palmen, die den Strand säumten, nach dem der Ort benannt war. Durch die Lücken sah man Pastellfarben aufblitzen – Hotelanlagen, Ferienunterkünfte, kleine Läden und vereinzelt Häuser von Einheimischen. Über ihm nur der Himmel, hinter und unter ihm das endlose Blau des Pazifiks. Das Paradies.

Es war schon ziemlich spät am Morgen fürs Paddeln. Zum Surfen hätte er die Küste runterfahren müssen, wo keine Korallen die Brandung bremsten, doch dazu hatte er keine Zeit gehabt. Die Wahrheit war: Er hatte nie Zeit dazu. Was für den Sohn eines Hummerfischers, der schwimmen konnte, bevor er laufen gelernt hatte, eine Schande war.

Immerhin war er jetzt hier.

Jonah schloss die Augen, neigte das Gesicht zur Sonne, sog ihre Lebenskraft in sich auf. Es war ganz still, bis auf das Geräusch seines Atems, das sanfte Schlagen der Wellen gegen seine Oberschenkel, einen Schrei …

Er riss die Augen auf, lauschte angestrengt und ließ den Blick über das gekräuselte Wasser zwischen sich und dem Strand gleiten.

Da. Ein Rufen. Keine Möwe. Keine Musik, die aus einem der Hotels herüberwehte. Ein Hilferuf.

Jeder Muskel angespannt, alle Sinne in Alarmbereitschaft, wartete er, den Blick dorthin gerichtet, von wo der Schrei gekommen war. Was konnte der Grund sein? Quallen? Nein, der Strand war um diese Jahreszeit durch ein Quallennetz geschützt.

Und dann sah er sie.

Eine Hand.

Schon lag Jonah auf dem Bauch und ruderte drauflos. Zwischendurch blickte er immer wieder auf, um zu sehen, ob noch jemand anderes zu Hilfe kam. Doch die gelben und roten Fahnen, die den von Rettungsschwimmern bewachten Strand markierten, waren weiter weg. Dieser Strandabschnitt war leer, bis auf den großen braun-weiß gefleckten Hund, der auf Jonahs Rückkehr wartete.

Jonah hielt den Blick geradeaus gerichtet und kalkulierte Entfernung und Strömungen mit jedem zurückgelegten Meter neu. Er war praktisch auf dem Wasser geboren und kannte sich damit aus. Doch er wusste auch, das Meer konnte grausam sein.

Zweifellos gehörte die Hand einem Touristen.

Das Adrenalin schoss durch seinen Körper, als er die Frau zum Greifen nah vor sich erblickte. Innerhalb weniger Sekunden hatte er sie aus dem Wasser gezogen.

Ihr Haar war so lang, dass es wie ein Seidenvorhang herunterhing, und so blond, dass es mit dem Strand im Hintergrund verschmolz. Ihre Haut war so hell, dass er von ihren schlanken Gliedmaßen fast geblendet wurde. Und sie hatte derart viel Sonnencreme aufgetragen, dass sie glitschig war wie ein Fisch und er sie kaum zu fassen bekam.

Und zwar schon, bevor sie anfing sich zu wehren. „Nein!“, prustete sie.

„Verdammt, Mädchen“, schimpfte Jonah mit zusammengebissenen Zähnen. „Ich versuche, dich zu retten, aber das geht nur, wenn du aufhörst, dagegen anzukämpfen.“

Die Frau hielt kurz inne, um ihm einen vernichtenden Blick zuzuwerfen. „Ich bin eine ausgezeichnete Schwimmerin“, krächzte sie. „Ich war an der Bryn Mawr im College-Team.“

Amerikanerin also, dachte Jonah, als er ihren kultivierten Akzent hörte.

„Wer’s glaubt, wird selig“, murmelte er.

Ihr Blick war tödlich. Und ihre Augen … Ein sündiges Grün, und nur das eine hatte einen braunen Klecks.

Und während er zurückstarrte, entglitt ihm ihre Hand. Zum Glück war sie schlau genug, sich am spitzen Ende seines Boards festzuhalten.

„Schätzchen“, brummte er, mit seiner Geduld fast am Ende, „ich verstehe, dass es dir peinlich ist. Aber würdest du lieber ertrinken?“

Bei dem Wort „Schätzchen“ blitzten ihre faszinierenden Augen auf. Nicht, dass es ihn kümmerte. Je eher er sie an Land brachte und wieder seinen eigenen Angelegenheiten nachgehen konnte, desto besser.

Sie schüttelte den Kopf.

„Gut. Also, bei drei stemmst du dich hoch.“ Doch als sie das Gesicht verzog und ihre helle Haut noch blasser wurde, begriff er, was los war. „Krampf?“

Sie biss sich auf die Unterlippe, was so viel wie Ja bedeutete.

Verdammt. Jonah umklammerte das Board mit den Beinen, hakte seine Ellbogen unter ihre Arme und hievte sie hoch.

Sie landete ungeschickt, ein Knäuel aus schlaksigen Gliedmaßen und Meerwasser. Nur dank seiner Erfahrung und Kraft schaffte Jonah es, sie auf seinen Schoß zu ziehen und ihre Arme um seinen Hals zu legen. Sie klammerte sich an ihm fest, während die Wellen, die sie verursacht hatten, sich langsam beruhigten.

Jonah fragte sich, wie lange es wohl dauern würde, bis ihr auffiel, dass sie, Haut an Haut, schlüpfrig und salzig, rittlings auf ihm saß. Denn er selbst konnte an nichts anderes mehr denken, vor allem, als sie sich mit einem Arm an seiner Schulter abstützte, den anderen an seinem Nacken, ihr Bein zur Seite streckte und den Fuß beugte, um den Krampf zu lösen, die Augen genüsslich geschlossen.

Er hätte sich räuspern sollen oder sie in eine weniger kompromittierende Position bringen, doch solange sie die Augen geschlossen hielt, konnte er sie endlich in Ruhe ansehen. Hübsches Näschen, lange geschwungene Wimpern, die vom Salzwasser zusammenklebten, ein Mund wie ein Versprechen. Wenigstens war es eine schöne Frau, die ihn beim Surfen gestört hatte …

Aber eine Touristin.

Und obwohl nicht nur er, sondern die ganze Bucht von Touristen lebte, hielt er nicht allzu viel von ihnen.

„Alles okay?“, fragte Jonah.

Sie nickte. Mit flackernden Lidern sah sie ihn an und begriff endlich, dass sie ihn umschlungen hielt wie Seetang.

Die grünen Augen blitzten, der braune Fleck seltsam ungerührt. Dann schluckte sie und ließ den Blick an seiner nackten Brust nach unten gleiten. Beim Anblick ihrer vereinten Körper zuckte sie und sandte einen heißen Blitz durch seinen Körper.

„Darf ich …?“, fragte sie und versuchte, sich zu befreien.

Zähneknirschend brummte er eine Antwort. Im Grunde hatte er nichts dagegen, eine Frau im Arm zu halten. Aber hier draußen … Und dann noch eine Touristin mit Krämpfen. Außerdem war sie ganz schön patzig. Haut und Knochen. Und auf dem besten Wege, einen fetten Sonnenbrand zu bekommen. Sowieso gar nicht sein Typ.

„Das ist ja ganz nett“, sagte er betont gelangweilt, „aber könnten wir allmählich mal an Land?“

Ganz nett? Sie kommen wohl nicht oft raus, oder?“

Da hatte sie nicht ganz unrecht.

Und damit hob sie ein Bein, streifte mit dem Fuß seinen nackten Bauch und stellte ihn knapp vor seinem besten Stück aufs Board. Er rutschte ein Stück zurück und atmete tief durch. Und endlich blickten sie beide in dieselbe Richtung.

Aber das war auch nicht viel besser, denn als sich die Touristin vorbeugte, um sich am Rand des Surfboards festzuhalten, wusste er nicht mehr, wohin mit seinen Händen.

Vor allem, weil die Frau statt eines Bikinis etwas trug, das aussah wie die Spitzenuntersetzer im Haus seiner Großmutter.

„Hast du deinen Bikini verloren?“

Erschrocken sah sie an sich herunter, dann atmete sie erleichtert auf. „Nein, ich bin salonfähig.“

„Bist du sicher?“

Der nachsichtige Blick, den sie ihm über die Schulter zuwarf, der Sturm, der sich darin zusammenbraute, machte sich in seinen unteren Regionen bemerkbar.

„Dann schlage ich vor, wir paddeln los.“

Mit einem letzten mitleidigen Blick, der ihm verriet, für wie primitiv sie ihn hielt, drehte sie sich wieder um.

Jonah brauchte einen Moment, um sich zu sammeln. Er kannte diesen Blick. Ihn hatte schon einmal eine Frau so angesehen. Interessanterweise auch so ein Großstadtmädchen, und er fragte sich, ob es dort Kurse dafür gab – Wie ich einem Mann das Gefühl gebe, nichts wert zu sein.

Doch das hatte bei ihm schon damals nicht funktioniert. Die Leute von hier hatten ein dickes Fell. Er wollte dieses Prachtstück nur so schnell wie möglich loswerden.

„Leg dich hin“, brummte er, dann legte er sich neben sie.

„Kommt nicht infrage“, rief sie und stieß ihm den rechten Ellbogen in die Seite.

„Hör auf damit“, befahl Jonah. „Sonst gehen wir beide unter. Und diesmal kannst du dich selbst retten.“

Sie funkelte ihn böse an.

„Also“, sagte er gedehnt, „bist du ein braves Mädchen und lässt dich von mir sicher an Land bringen oder bist du lebensmüde?“

Als sie endlich antwortete, vibrierte ihre Stimme in seiner Brust. „Demut oder Tod?“

Er spürte, wie sich sein Mund gegen seinen Willen zu einem Lächeln verzog. Ihr Lächeln blitzte völlig unerwartet auf, wie Sonnenschein an einem bewölkten Tag.

„Schätzchen“, meinte er, „du bist nicht mehr in Kansas.“

Sie zog eine Augenbraue hoch und ließ den Blick zu seinem Mund wandern, bevor sie ihm wieder in die Augen sah. „New York. Ich bin aus New York, wo es leider nicht genug Männer mit deinem Charme gibt.“

Ganz schön frech. Da saß sie, tropfnass und blass und vor Schreck ein wenig zitternd, und wurde frech. Das nötigte ihm Respekt ab. Und deshalb wurde es höchste Zeit, sie endgültig loszuwerden.

Jonah hielt sich fest und strampelte auf kürzestem Weg zum Strand.

Er bemühte sich nach Kräften, den warmen, weichen Frauenkörper unter sich zu ignorieren.

Kaum waren sie nah genug am Strand, setzte er seine Füße auf den Boden und schob das Board ins Flache.

Er wollte ihr helfen aufzustehen, doch sie zog den Arm weg. Wollte keine Hilfe. Jedenfalls nicht seine.

Hull stand auf, als sie sich näherten, schüttelte sich den Sand aus dem gefleckten Fell und setzte sich wieder hin. Er traute Fremden ebenso wenig wie Jonah. Kluger Hund.

„Nächstes Mal bade lieber im Pool. Da gibt es rund um die Uhr einen Rettungsschwimmer. Soll ich dich zum Tropicana zurückbringen?“ Wahrscheinlich sollte er Claudia vor dieser Frau warnen.

„Woher kennst du mein Hotel?“, fragte besagte Frau.

Er deutete auf das Tropicana-Nights-Logo auf dem Handtuch, in das sie sich gewickelt hatte.

„Ach so“, sagte sie und wurde rot. „Natürlich. Tut mir leid. Ich wollte damit nicht andeuten …“

„Doch, wolltest du.“

Sie holte tief Luft und sah ihn unter langen Wimpern hindurch an. „Stimmt, du hast recht.“ Sie zuckte mit den Schultern, eine unerwartet bescheidene Geste. Dann sagte sie: „Aber ich kann allein gehen. Trotzdem danke für die andere Sache. Ich bin wirklich eine gute Schwimmerin, aber ich … Danke. Denke ich.“

„Gern geschehen. Denke ich.“

Für einen kurzen Augenblick blitzte wieder dieses Lächeln auf. Dann wurde sie plötzlich ganz grün im Gesicht, ihr sündiger Blick versank in seinem, sie sagte: „Luke?“ und verlor das Bewusstsein.

Jonah fing sie auf. Er hielt sie in den Armen, ließ sie auf den Sand sinken und fühlte an ihrem Hals nach ihrem Puls, der stark und regelmäßig schlug. Nicht so schlimm. Eine Mischung aus Hitzschlag und zu viel verschlucktem Meerwasser. Auch wenn sie behauptete, eine gute Schwimmerin zu sein, ein Fitness-Junkie war sie ganz offensichtlich nicht. Selbst bewusstlos war sie federleicht. Ihre Haut war warm und weich, ihre leicht geöffneten Lippen verlockend.

Er ohrfeigte sie. Sanft.

Dann etwas kräftiger.

Doch sie lag einfach da, engelsgleich. Eigentlich gefiel sie ihm so besser.

Luke, hatte sie gesagt. Er kannte einen Luke. Hatte einen Freund namens Luke. Aber der ähnelte ihm nicht. Jonahs Haar war dunkler, lockiger. Seine Augen waren grau, Lukes waren … er wusste es nicht. Und während Luke bei der erstbesten Gelegenheit aus Crescent Cove abgehauen war und nur zurückkam, wenn es nicht anders ging, würde Jonah um keinen Preis von hier weggehen. Nie wieder.

Offenbar wollte das Universum ihm etwas mitteilen, und er hatte gelernt, darauf zu hören: Wenn ein Sturm aufzieht: schwimm an Land. Wenn eine Frau sich in den Kopf gesetzt hat, dich zu verlassen: lauf ihr nicht nach. Wenn du im Fischrestaurant der einheimischen Dreadlock-Army isst: meide die Austern.

Doch er hatte keine Ahnung, was ihm das Universum mit der bewusstlosen Amerikanerin in seinen Armen sagte wollte.

Avery hatte Kopfschmerzen. Solche Kopfschmerzen, dass sie die Augen am liebsten geschlossen gelassen hätte.

„So ist es gut, Mädchen“, drang eine Stimme in ihr Unterbewusstsein. Eine tiefe, männliche Stimme.

Für einen kurzen Augenblick hoffte sie, sich auf einem Liegestuhl wiederzufinden, über ihr ein attraktiver Kellner mit Piña Colada und Kokosöl auf einem Tablett, seine dunklen Locken in der Sonne wie ein Heiligenschein …

„Komm schon, Schätzchen. Du schaffst es.“

Schätzchen? Australischer Akzent. Jetzt fiel ihr alles wieder ein.

Jetlag. Glühende Hitze. Ein erfrischendes Bad im Meer. Dann aus dem Nichts ein Krampf. In Panik versuchte sie, sich über Wasser zu halten. Eine Hand packte sie am Handgelenk. Und dann Augen, wunderschöne graue Augen.

Benommen schlug Avery ihre Augen auf.

„Braves Mädchen“, sagte die Stimme, und diesmal hatte sie ein Gesicht. Ein sehr männliches Gesicht – markantes Kinn mit Dreitagebart, ein Fächer kleiner Fältchen in den Winkeln grauer Augen unter dunklen Brauen und dichten Wimpern, ein verwegener Knick in der Nase.

Ein Kellner war er jedenfalls nicht. Und er betrachtete sie mit seinen quecksilberfarbenen Augen, als wäre sie aus den Tiefen des Meeres angespültes Strandgut. Trotzdem prickelte ihre Haut unter seinem Blick.

Wer war er dann?

Luke? Der Name hallte wie ein Echo in ihrem Kopf nach, und ihr Herzschlag beschleunigte sich. Konnte er es sein?

Aber nein. Von Claude wusste sie, dass Luke schon seit einer Weile in London lebte und in der Werbung arbeitete. Wenn der Typ hier in einem Büro arbeitete, würde sie einen Besen fressen.

Sie versuchte, sich aufzusetzen, doch ihr wurde sofort wieder schwindelig.

„Leg dich wieder hin“, fuhr der Mann sie an. „Sonst wird dir noch schlecht.“

Obwohl der Gedanke, noch ein wenig liegen zu bleiben, durchaus reizvoll war, tickte sie anders. Seit sie sechzehn war, sorgte sie für sich selbst.

„Ich glaube, es geht wieder“, sagte sie.

„Soll ich jemandem Bescheid geben?“, fragte er. „Jemandem aus dem Hotel? Luke?“

Sie zuckte zusammen. Also kannte er Luke? Woher wusste er, dass sie ihn kannte? Oh mein Gott. Bevor sie umgekippt war, hatte sie Lukes Namen gerufen.

Schamesröte im Gesicht, befreite sie sich aus seinen Armen, kam taumelnd auf die Füße, suchte ihre Sachen zusammen und wich mit weichen Knien zurück.

„Es geht mir gut.“ Sie strich sich die feuchten Strähnen aus dem Gesicht. „Danke noch mal. Tut mir leid, dass ich dich beim Surfen oder was auch immer gestört habe.“

Der schöne Fremde stand auf und legte eine Hand an das Surfboard, das er in den Sand gesteckt hatte. „Ich bin ein großer Junge. Ich werde es verkraften.“

Oh ja, das bist du, sagte eine kecke kleine Stimme in ihrem Kopf. Aber besonders nett bist du nicht. Und da fiel es ihr wieder ein. Sie hatte eine Art Erleuchtung gehabt, bevor sie schwimmen gegangen war. Dass sie etwas Nettes, Unkompliziertes, Erbauliches in ihrem Leben brauchte, einen Gegenpol zu dem Horror, den ihre Mutter am anderen Ende der Welt plante.

„Pass auf dich auf, kleine Meerjungfrau“, verabschiedete er sich und trat einen Schritt zurück, sodass das goldene Sonnenlicht sich in seinen Locken verfing und auf seine gebräunte nackte Brust fiel.

„Du auch“, gab sie aufgeräumt zurück. „Und ich heiße übrigens Avery. Avery Shaw.“

„Gut zu wissen“, sagte er. Dann lächelte er. Und es war ein ganz besonderes Lächeln – ein bisschen schief und sexy und betörend. Allerdings erreichte es nicht ganz seine Augen, wie Avery ein wenig enttäuscht feststellte. Die kleinen Augenfältchen waren so vielversprechend …

Dann drehte er sich um und ging, das Surfboard unter den Arm geklemmt. Und wie aus dem Nichts schloss sich ihm ein großer Hund an – zottelig, fleckig und mit großen, treuen Augen, die sie kurz ansahen, bevor er sich wieder seinem Herrchen zuwandte.

Nein, das war definitiv nicht Luke. Luke Hargreaves war größer gewesen, sein Haar heller, seine Augen ein sanftes Braun. Und in jenem Sommer vor langer, langer Zeit, bevor ihre Welt zerbrochen war, hatte sie sich bei ihm sicher gefühlt. Bis heute spürte Avery heraufziehendes Unheil auf der Haut so wie andere Leute aufkommendes Unwetter in ihren arthritischen Knien, und in der Nähe des schönen Surfers von eben fühlte sie sich, als hätte sie Nesselsucht.

Avery blinzelte, als ihr auffiel, dass sie den beiden hinterherstarrte, dann wandte sie sich ab und lief den Strand entlang Richtung Straße und Hotel.

„Avery!“

Sie blickte auf und sah eine auffällige, vertraute Blondine, die ihr vom Eingang des Tropicana zuwinkte: dunkelblauer Rock, grelles blau-gelbes Hawaiihemd, ein altmodisches Klemmbrett im Arm. Claudia. Was für ein erfreulicher Anblick für ihr verletztes Ego und …

Averys Beine versagten ihr mitten auf der Straße den Dienst. Denn dort, direkt hinter Claudia und mit seinem Smartphone beschäftigt, stand Luke Hargreaves – groß, schlank, attraktiv auf die glatt rasierte Großstadt-Art, und in einem Anzug. Armani, wie sie sogar aus zehn Metern Entfernung erkannte. Doch im Gegensatz zu eben am Strand verspürte sie bei seinem Anblick nicht das geringste Prickeln auf der Haut.

Die Erleichterung zauberte ein strahlendes Lächeln auf Averys Gesicht.

2. KAPITEL

Ein Auto hupte laut und Avery kam wieder zu sich. Mit rotem Kopf und wackeligen Knien stolperte sie über die Straße.

Sie wünschte, ihr Auftritt wäre eleganter gewesen, doch da sie in der letzten halben Stunde fast ertrunken, ohnmächtig und in den Armen eines mit Testosteron vollgetankten Surfers aufgewacht war, konnte sie froh sein, dass sie überhaupt aufrecht stand.

Sie ging über die Wiese zum Eingang des Hotels, wo Claudia sie mit Küssen, Umarmungen und erleichtertem Geplapper überhäufte. Als Avery sich endlich befreien konnte, wich sie lachend zurück. Im Vergleich zu dem stilvoll unterkühlten Mr. Hargreaves wirkte Claudia mit ihren strahlend blauen Augen und ihrem knallbunten Hemd wie rosa Zuckerwatte.

„Was ist passiert?“, fragte Claudia. Kein Hallo, kein „Wie war dein Flug?“ So ging wahre Freundschaft: Man machte einfach dort weiter, wo man aufgehört hatte.

„Nur ein kurzes erfrischendes Bad im Meer!“

Avery warf Luke einen vielsagenden Blick zu. Claudia verschränkte die Arme und ignorierte den Mann hinter sich demonstrativ. Avery zog die Augenbrauen hoch. Claudia verzog den Mund.

Auch wenn sie auf verschiedenen Kontinenten lebten, verstanden sie sich dank Skype, E-Mail und diversen gemeinsamen Reisen ohne große Worte.

Schließlich wandte Claudia sich an Luke und sagte naserümpfend: „Luke, du erinnerst dich an Avery Shaw.“

Luke blickte auf, als er seinen Namen hörte. Avery hielt den Atem an. Luke blinzelte nur ratlos.

Claudia verdrehte die Augen: „Meine Freundin Avery. Die Shaws habe hier vor ungefähr zehn Jahren Urlaub gemacht.“

Immer noch nichts.

„Sie hatten einen ganzen Sommer die Tiki-Suite gebucht.“

„Ach ja“, sagte er und endlich flackerte ein vages Wiedererkennen in seinen hübschen, ernsten, braunen Augen auf. „Die Amerikaner.“

Claudia reagierte gereizt. Irgendetwas, das er gesagt hatte, oder die Art, wie er es gesagt hatte, verstimmte sie. Dabei war sie sonst nicht leicht aus der Fassung zu bringen.

Avery störte es nicht, dass er so ernst wirkte. Lieber ernst als Nesselsucht. Doch in Gedanken kehrte sie ständig zu dem Gefühl zurück, das der Surfer in ihr ausgelöst hatte, als seine Beinhaare die Innenseite ihrer Oberschenkel streiften. Als er sie mit rauen Händen gepackt hatte, seine Finger auf ihrem Bauch, seine Daumen an ihren Hüftknochen. Diese kühlen grauen Augen, die einfach durch sie hindurchschauten …

Avery wartete, bis sie Lukes – wenn auch nicht ungeteilte – Aufmerksamkeit hatte, um schweres Geschütz aufzufahren: ein Lächeln, das ihre Eltern so viel gekostet hatte wie ein Kleinwagen. „Schön, dich wiederzusehen, Luke. Hoffentlich finden wir bald mal Zeit, über alte Zeiten zu reden.“

„Ich mache Feierabend, Luke“, sagte Claude, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen. „Wir reden ein anderes Mal weiter.“

„Bald“, sagte er, einen scharfen Unterton in der Stimme.

Claude machte eine wegwerfende Handbewegung und half Avery, ihre Sachen die Stufen zum Hotel hinaufzutragen.

„Bist du sicher?“, fragte Avery. „Du hast bestimmt viel zu tun, und ich will nicht im Weg sein. Ich kann dir behilflich sein! Egal wobei. Ich stehe ganz zu deiner Verfügung.“

„Entspann dich, Polly“, sagte Claude und benutzte den Spitznamen, den sie Avery gegeben hatte. „Du bist mir nie im Weg.“

„Na gut, Julie“, gab Avery zurück. Claudes Spitzname entstammte einer alten Begeisterung für Love Boat, die Avery nie nachvollziehen konnte.

Als Cyrus – der verträumt auf dem Empfangstresen gelehnt und in die Ferne gestarrt hatte – sie kommen sah, richtete er sich so plötzlich auf, dass ihm sein Piratenhut über die Augen rutschte.

„Willkommen in Crescent Cove“, sagte Claudia und bedachte Cyrus, der sich nun eilig entfernte, mit einem missbilligenden Blick. „Wo die Hitze die Hormone benebelt.“

„Ist das euer Werbeslogan?“, fragte Avery lachend. „Steht der in eurem Prospekt?“

„Bedauerlicherweise nicht. Glaubst du, er funktioniert? Als Marketingstrategie?“ Claudia sah sie so erwartungsvoll an, dass sie nicht sicher war, ob ihre Freundin scherzte.

Avery, die PR-Beraterin war und sich darauf verstand, die Dinge schönzureden, drückte Claudias Arm. „Schaden kann es jedenfalls nicht.“

Sie erreichten die Tiki-Suite, und Claudia warf Averys Sachen auf einen weißen Korbstuhl in der Ecke, ohne zu bemerken, dass eimerweise Sand auf den Boden rieselte. „Und nun zu dem erfrischenden Bad, du heiße Braut. Was ist da draußen passiert?“

„Du solltest den anderen sehen“, murmelte Avery, bevor sie sich bäuchlings aufs Bett fallen ließ.

Claudia ließ sich neben sie fallen. Dann drehte sie sich auf die Seite, stützte das Kinn in die Handfläche und ließ die Augenbrauen tanzen, während sie Avery musterte. „Welcher andere?“

Avery verzog das Gesicht. Dann drehte sie sich auf den Rücken und starrte an die Decke. „Ich hatte einen Wadenkrampf, und ein Typ auf einem Surfboard hat mich aus dem Meer gezogen. Aber das wäre gar nicht nötig gewesen. Ich bin eine sehr gute Schwimmerin.“

Claudia ließ sich auf den Rücken fallen und lachte schallend. „Und ich musste mich stattdessen den ganzen Vormittag von Luke vollquatschen lassen! Wer war der Typ?“

Avery öffnete den Mund, um darauf zu antworten, doch dann fiel ihr ein, dass sie seinen Namen nicht wusste. „Ich habe keine Ahnung.“

„Ich kenne hier jeden. Wie sah er aus?“

Avery versuchte ein Schulterzucken, doch in Wahrheit hätte sie wahrscheinlich jedes einzelne Fältchen rund um seine tiefgrauen Augen beschreiben können. Und da sie wusste, dass Claudia keine Ruhe geben würde, sagte sie: „Groß. Braun gebrannt. Dunkle Locken. Ein ziemlicher Pin-up-Boy.“

Claudia schwieg so lange, dass Avery aufsah – und sofort wünschte, sie hätte es nicht getan. Denn das Lächeln in den Augen ihrer Freundin machte ihre Hoffnung zunichte, dass dieses Gespräch vorbei war.

„Graues Surfboard mit einer großen Palme drauf? Riesiger Hund im Schlepptau?“

Verdammt. „Genau der.“

Claudes Lächeln wurde breiter. „Tja, meine Süße, du hattest das Vergnügen mit Jonah North. Ein Prachtexemplar der männlichen Spezies. Und der hat dich gerettet? Dich buchstäblich aus dem Wasser gezogen? Mit bloßen Händen? Wie war das so?“

Avery schlug die Hände vors Gesicht, um zu verbergen, dass sie bei der Erinnerung daran errötete. „Total peinlich. Er hat mich Schätzchen genannt. Das machen Männer nur, wenn sie sich so wenig für dich interessieren, dass sie nicht mal nach deinem Namen fragen.“

„Tja. Ich kann mich nicht einmal erinnern, wann mich zuletzt ein Mann Schätzchen genannt hat. Raoul hat mich immer Zuckerschnute genannt.“

„Raoul?“

„Der Tanzlehrer, mit dem ich vor Ewigkeiten mal zusammen war.“

„Na ja, Zuckerschnute ist doch süß. Zuckersüß, sozusagen.“

In Wahrheit liebte Avery Kosenamen. Seit dem Tag, als ihre Eltern ihr erzählt hatten, dass sie sich scheiden ließen, sog sie jede Zuneigungsbekundung in sich auf wie ein Schwamm. Gefall ich dir? Liebst du mich? Verlass mich nicht!

Vielleicht bedeutete ihre negative Reaktion auf diesen Barbaren ja, dass sie endlich darüber hinweg war? „Wie auch immer, jedenfalls hat der Typ genervt.“

„Ich kenne viele Frauen, die ihr Bikinihöschen dafür geben würden, von Jonah North gerettet zu werden.“

„Bist du eine von ihnen?“

Claude blinzelte, dann lachte sie schallend und ließ sich wieder aufs Bett zurückfallen.

„Heißt das nein?“

Claudia lachte noch heftiger.

„Was ist daran so lustig.“ Echt. Denn auch wenn der Typ nervte, war er doch ziemlich sexy. Apropos Hormone …

Claudia riss sich zusammen, dann zuckte sie die Schultern. „Abgesehen davon, dass Jonah seit einigen Jahren den Griesgram spielt? Er ist hier geboren und aufgewachsen, genau wie ich. Weißt du, wie das ist, wenn man jemanden schon ewig kennt?“

„Klar. In meinen Kreisen landet letztlich jeder bei jemandem, den er schon ewig kennt.“

Claudias Augen weiteten sich. „Das ist …“

„Praktisch?“

„Eigentlich wollte ich sagen ‚frustrierend‘, aber praktisch stimmt auch.“

„Park Avenue eben. Familienbande. Man kennt sich. Finanzen gesichert. So wie du bei Luke gelandet bist. So bleibt das Hotel in der Familie.“

Claudia verzog das Gesicht. „Nein. Sag das nicht … Aber genau das meine ich. Egal, ich will nicht über Luke reden. Ich kann ihn im Moment nicht besonders gut leiden.“

„Ich verstehe nicht, warum. Er macht einen netten Eindruck“, meinte Avery.

Claudia warf ihr einen Blick zu, der besagte, dass sie den Mann am liebsten einsperren und den Schlüssel wegwerfen würde. Aber vorher würde sie ihn noch mit Blütenstaub tunken und einen Schwarm Bienen auf ihn hetzen. Zwar sah sie aus, als könnte sie kein Wässerchen trüben, aber Claude hatte auch eine dunkle Seite. Und die kam manchmal zum Vorschein, vor allem, wenn Menschen, die sie liebte, in Gefahr waren. Während Avery ihre empfindliche Seite gut unter Verschluss hielt, und zwar seit etwa zehn Jahren.

„Hast du übrigens etwas dagegen, wenn ich ihn ein bisschen besser kennenlerne, während ich hier bin?“

„Jonah? Ganz im Gegenteil! Früher war er so ein cooler Typ. Aber neuerdings ist er furchtbar düster. Lacht höchstens bei drei von zehn Witzen. Rüttle ihn ein bisschen auf, da haben wir alle etwas davon.“

„Eigentlich“, sagte Avery und räusperte sich, „meinte ich Luke.“

Claude riss die Augen auf. „Hargreaves?“

Ja, Hargreaves.“

Claude dachte einen Augenblick darüber nach. Ein paar Augenblicke. So lange, dass Avery sich zu fragen begann, ob Claudes Ärger über Luke nicht einen ganz anderen Grund hatte. In dem Fall würde sie natürlich zurückrudern!

Claude beruhigte sie. „Dir ist schon klar, dass er einen Stock im Allerwertesten hat?“

„Sagst du.“ Avery lachte. „Ich fand ihn ganz …“

Nett? Na gut. Du hast meinen Segen. Schnapp ihn dir, wenn er dir gefällt. Aber tu dir nicht weh. An dem Stock. In seinem …“

„Ja, danke. Schon kapiert.“

„Du kannst sie sogar beide haben, wenn du willst. Weder Jonah North noch Luke Hargreaves sind mein Typ, so viel ist sicher.“

Avery schluckte. „Und was ist dein Typ, Miss Claudia?“

Claudia legte eine Hand an die Brust und starrte an die Decke. „Ein Mann, der mich in dreißig Jahren noch so ansieht wie mein Dad meine Mum. Der mich eines Tages ansieht und sagt: ‚Du hast hart genug gearbeitet, Liebling, lass uns ein Wohnmobil kaufen und durchs Land reisen.‘ Der mich ansieht, als wäre ich sein Ein und Alles. Kitschig, oder?“

Avery starrte auch an die Decke, entdeckte einen Wasserfleck und beschloss, ihn zu ignorieren. „Und wie. Wo wir schon dabei sind, könntest du mir bitte auch so einen besorgen?“

„Wir im Tropicana Nights sind stets bemüht, unsere Gäste zufriedenzustellen. Aber jetzt“, sagte Claudia, setzte sich auf und griff nach dem Telefon, „ist es an der Zeit, mir zu verraten, warum du wirklich hier bist.“

Dann hielt sie einen Zeigefinger hoch, als jemand am anderen Ende der Leitung antwortete. Und während Claudia etwas zu essen, eine Massage und ein Getränk namens Flaming Flamingo bestellte, fragte Avery sich, wo sie anfangen sollte.

Claudia kannte ihre Familiengeschichte.

Wusste, dass Avery ihren Vater seit der Scheidung nur selten sah. Meistens nur einmal in Monat zu einem Mittagessen, das sie selbst vorschlug. Und zum Glück liebten sie beide Baseball, sonst wären diese Treffen ziemlich einsilbig verlaufen. Go Yanks!

Was ihre Mutter anging – die entwickelte so einen Hass auf Averys Vater, nachdem er sie verlassen hatte, dass Avery kaum wagte, ihn in ihrer Gegenwart zu erwähnen.

Um den letzten Schein einer intakten Familie zu wahren, blieb Avery nichts anderes übrig, als die perfekte Park-Avenue-Tochter zu spielen.

Bis zu dem Moment, als ihre Mutter ihr von der Scheidungsparty erzählt hatte. Die ausgerechnet Avery planen sollte! Nachdem sie zehn Jahre lang gute Miene zum bösen Spiel gemacht und sich auf Zehenspitzen zwischen den Fronten ihrer wenig diplomatischen Eltern bewegt hatte, war Miss Park Avenue endlich der Kragen geplatzt.

Dir ist der Kragen geplatzt?“, fragte Claude ungläubig, als Avery davon erzählte. „Wie hat Caroline reagiert, als du Nein gesagt hast?“

Okay, hier wurde es kompliziert. Ihre Erinnerung war verzerrt. Es hatte sie solche Anstrengung gekostet, eine Beziehung zu ihrem unterkühlten Vater aufrechtzuerhalten. Doch ihre Mutter ging einfach davon aus, dass sie begeistert wäre, die Party für sie auszurichten.

„Ich habe nicht direkt Nein gesagt.“

„Avery“, stöhnte Claude.

Avery kniff die Augen zusammen und gestand: „Ich habe ihr gesagt, ich könne ihr nicht helfen, weil ich ein Sabbatical mache.“

„Ein Sabbatical. Und das hat sie dir abgekauft?“

„Als ich ihr die Flugdaten gezeigt habe, die ich mir schnell ausgedruckt hatte, schon. Dann musste ich dich nur noch anrufen und die Flüge buchen. Und meine Kunden informieren, dass ich im Moment keine Aufträge annehme. Und meine Wohnung verrammeln und Gas und Wasser abstellen. Und voilà!“

„Voilà!“, wiederholte Claudia. „Um Himmels willen, Süße! Du musst irgendwann lernen, auch mal Nein zu sagen!“

Avery tat entrüstet, obwohl sie und Claude im Laufe der Jahre schon x-mal darüber diskutiert hatten.

„Und wir fangen gleich damit an“, schlug Claude vor. „Sprich mir nach – Nein.

„Nein“, wiederholte Avery.

„Braves Mädchen! Zehnmal morgens, zehnmal vor dem Schlafengehen. Übung macht den Meister.“

Avery nickte, versprach es und fragte sich, warum sie nicht erwähnt hatte, dass es ihr überhaupt nicht schwergefallen war, zu Jonah North Nein zu sagen. Und dass es sich gut angefühlt hatte, Nein zu ihm zu sagen. Richtig gut. Also konnte sie es. Die Fähigkeit, Nein zu sagen, schlummerte irgendwo tief in ihrem Innern und wartete nur auf den richtigen Moment, um hervorzukommen.

Aber Claude hatte ja recht. Sie hätte ihrer Mutter die Wahrheit sagen sollen. Nun, wenn man bedachte, dass die meisten der zehn giftigsten Schlangen der Welt hier beheimatet waren, war dies wohl der richtige Ort, um sich ein dickeres Fell zuzulegen.

Das Charter-North-Ausflugsboot war auf dem Weg nach Green Island. Im Maschinenraum sah alles tipptopp aus, deshalb stieg Jonah die Kajütenleiter hinauf zum Oberdeck. Die Crew war es gewohnt, dass er unangekündigt auftauchte, das tat er ständig. Was nützte eine Bootsflotte, die den eigenen Namen trug, wenn sie nicht seinen Standards entsprach. Außerdem war schon sein Vater Schiffer gewesen, und er wusste, dass zusätzliche Hilfe immer willkommen war.

Doch sobald er den klimatisierten Salon betrat, zerstreute sich das Personal. Ihm fiel ein Mädchen auf – der frisch gestärkte Kragen ihres Charter-North-Polohemds ließ vermuten, dass sie neu war – das nicht ganz so flink war wie die anderen. Mit einem leisen Aufschrei verfiel sie in blinden Aktionismus und fing an, die silbernen Geländer mit ihren sandfarbenen Shorts zu polieren. Seltsam. Aber fleißig.

Und so schlenderte er durch die Gänge. Die Passagierliste sah aus wie immer – Meeresbiologen, die das Riff erforschten, Pendler, die auf Green Island arbeiteten, eine Gruppe Mädchen, die aussahen, als wären sie in der Nacht zuvor die letzten Gäste in einer der Strandbars gewesen, ein Kleinkind mit brauner Papiertüte unter dem Kinn.

Sein Blick fiel auf eine Gruppe schlaksiger braun gebrannter Jungs mit Surfboards auf dem Schoß, die aus dem Fenster sahen, als könnten sie es kaum erwarten, endlich an Land zu kommen. Jonah nannte diese Jungs, die zum Leben nichts als das Meer und frische Luft brauchten, heimlich die Dreadlock-Army. Vor langer, langer Zeit hatte er selbst dazugehört.

Heute dagegen war er seit fünf Uhr wach. War schon fünf Kilometer gejoggt. Die halbe Stunde zum Charter-North-Hauptquartier in Port Douglas gefahren. Hatte E-Mails gecheckt, das Handbuch mit den neuen Sicherheitsvorschriften gelesen, für das er ein kleines Vermögen ausgegeben hatte, den Kauf eines neuen Ausflugsbootes abgeschlossen, das er in Florida entdeckt hatte. Keine Zeit, auch nur den großen Zeh ins Meer zu stecken.

Während der Kapitän über Lautsprecher für die Ausflugsziele und Vergnügungen an Land Werbung machte, setzte Jonah seine Sonnenbrille auf und betrat das Achterdeck.

Einige Passagiere genossen dort die frische Luft und lachten, wenn sie von der Gischt geduscht wurden. Er konnte es ihnen nicht verdenken, es war ein herrlicher Tag.

Wer von Queensland schwärmte, dachte an Crescent Cove. Das Korallenmeer war immer warm, ein leichter Südwind sorgte für sanfte Wellen. Der Himmel war eine blaue Kuppel mit vereinzelten weißen Streifen am Horizont. Und gleich erreichten sie die Ausläufer des Great Barrier Reef, ein wahres Wunder der Natur.

Er konnte sich glücklich schätzen, hier geboren worden zu sein. Und er konnte sich noch glücklicher schätzen, dass er noch immer hier war. Er nahm den Himmel, die salzige Luft, die Sonne in sich auf. Auf das Surfen konnte er verzichten. Doch er durfte diesen wunderbaren Ort nie wieder als selbstverständlich hinnehmen.

Er nickte dem Personal auf dem Deck zu und wollte schon wieder hineingehen, als ihm etwas ins Auge sprang. Nicht etwas, jemand – und zwar die Meerjungfrau, die er vor dem Ertrinken gerettet hatte.

Sie hob die Hand, um ihre Augen vor der Sonne zu schützten, und blickte auf Crescent Cove zurück. Sie hatte schöne Hände. Zart. Die Fingernägel hatten dieselbe Farbe wie ihr Kleid – ein langes, flatterndes knalloranges Etwas – und ihr Haar war zu einer komplizierten Frisur hochgesteckt, als reiste sie an die französische Riviera und nicht auf eine kleine Insel am Rande des Pazifiks.

Jonah betrachtete seine eigenen Hände, die alles andere als zart waren. Kräftig, braun gebrannt, mit einigen Blessuren und Motoröl unter den Fingernägeln. Er rieb sich das Kinn. Wie lang war es her, dass er sich rasiert hatte? Drei Tage? Vier?

Er schob die Hände tief in die Taschen seiner knielangen Shorts. Was kümmerte es ihn überhaupt?

Bedauerlicherweise hatte sie ihn inzwischen entdeckt und blickte ihn vorwurfsvoll an.

Vor Schreck stockte ihm der Atem. Und dann verengte sich ihr Blick, als hätte er irgendwas falsch gemacht.

Dann stieß das Boot auf eine Welle, der Bug hob sich und landete mit einem Bums wieder im Wasser.

Aufgeregte Schreie hallten durch die Kabine, und seine Meerjungfrau verlor den Halt und drohte über Bord zu gehen.

Von da an geschah alles in Zeitlupe – Jonah sprang über eine Bank, landete mit seinen Segelschuhen auf dem glatten Deck und schlitterte auf sie zu. Er packte ihre Hand und zog sie in seine Arme.

Sie klammerte sich an sein Hemd, und er konnte ihre Fingernägel durch den Stoff spüren. Er sog scharf die Luft ein, und sie hob den Blick. Diese seltsamen, verschiedenfarbigen Augen in dem ansonsten so ebenmäßigen Gesicht.

„Jetzt mal im Ernst“, brummte er. „Allmählich habe ich das Gefühl, du machst das extra.“

Sie schubste ihn. Ganz schön viel Kraft in diesen schlanken Armen. „Bild dir bloß nichts ein“, schimpfte sie. Dann raffte sie ihr durchnässtes Kleid und bedachte ihn mit einem tödlichen Blick. „Dank dir bin ich klitschnass!“

„Wenn du nicht aufpasst, Prinzessin, zeig ich dir, was klitschnass bedeutet.“

Sie öffnete den Mund … doch es kam nichts heraus. Stattdessen zeichneten sich zwei rote runde Flecken auf ihren Wangen ab. Sie zog einen Schmollmund und funkelte ihn an. „Wenn du das nächste Mal den Helden spielst, versuch doch, deinem Opfer nicht den Arm auszureißen.“

Sie rieb sich über ihren Arm, um ihren Standpunkt zu betonen, und lenkte seine Aufmerksamkeit auf ihre Gänsehaut – bei über dreißig Grad. Jonah kannte nur einen anderen Grund, warum eine Frau in den Armen eines Mannes Gänsehaut bekam …

Um seine Theorie zu belegen, beugte Jonah sich ein paar Zentimeter näher, hörte, wie sie die Luft einsog, sah, wie sich ihre Augen weiteten, wie sie erneut errötete. Miss Yankee Doodle war wohl doch nicht ganz so immun gegen seinen Charme, wie sie vorgab.

Sie schluckte und schubste ihn erneut, diesmal weniger grob. „Ach, warum spielst du zur Abwechslung nicht mal woanders den Helden?“

„Du scheinst die Einzige zu sein, die es nötig hat, gerettet zu werden.“ Dass sie die Einzige war, die den Helden in ihm weckte, behielt er lieber für sich.

Ja, er wusste, was die Leute redeten, seit er zurückgekommen war – dass sie ihn als unzähmbar, als Eigenbrötler bezeichneten. Doch in Wahrheit hatte er schon als Kind die Menschen, denen er vertraute, an einer Hand abzählen können. Jetzt war er froh über diesen Instinkt. Dadurch verringerten sich die Chancen, dass er den Fehler wiederholte, dem falschen Menschen zu vertrauen.

Doch diese Frau übte einen besonderen Zauber auf ihn aus, und es bedurfte einer dritten Person, um ihn von ihr loszureißen.

„Mr. North?“

Jonah drehte sich um und sah einen seiner Angestellten in der Tür stehen. Er knetete seine Hände und schluckte schwer, als fürchtete er, man würde ihm den Kopf abreißen, weil er seinen Boss gestört hatte.

„Sir“, sagte der Junge, „wir haben einen Code Grün.“

„Okay.“ Na toll. Vor der Abfahrt hatte er die Crew angewiesen, ihn zu informieren, wenn es irgendwelche Unregelmäßigkeiten gab, weil er sich ein Bild von der Umsetzung der neuen Bestimmungen machen wollte. Code Grün war eine beschönigende Umschreibung dafür, dass ein Passagier seekrank war.

„Ich komme sofort.“

Der Junge verschwand so schnell, als hätte er sich in Luft aufgelöst.

Jonah wandte sich wieder Avery zu, die unverwandt auf seine Brust starrte.

„In zwanzig Minuten sind wir da, Avery“, sagte er.

Sie blinzelte, blickte auf, errötete schon wieder. Er hatte nie auf Mädchen gestanden, die rot wurden, doch es stand ihr. Netter Kontrast zu ihrer scharfen Zunge.

„Du solltest aus der Sonne gehen. Trink etwas. Drinnen gibt es Sonnencreme. Egal, was du tust, halte Abstand zum Wasser. Ich bin nicht immer in der Nähe, um dich zu retten.“

Ohne eine Antwort abzuwarten, ging Jonah in den Salon.

Knapp zwanzig Minuten später tauchte Green Island am Horizont auf: ein kleines, waldgrünes Atoll mit einem kleinen Steg, der ins Meer ragte. Dort legten sie an, und die Passagiere stiegen aus, manche mit Schnorcheln bewaffnet, um mit tropischen Fischen zu schwimmen, andere steuerten gleich die Strandbars an.

Aus dem Augenwinkel sah er etwas Oranges aufblitzen, und als er sich umdrehte, entdeckte er Avery, ihr Gesicht jetzt durch einen riesigen Sonnenhut geschützt. Als sie ihr langes Kleid raffte und die Landungsbrücke betrat, verfing sich ihr Schuh und sie stolperte. Jonah musste sich zusammenreißen, sie nicht aufzufangen. Erhobenen Hauptes schritt sie über den Steg, an dessen Ende alle möglichen Abenteuer auf sie warteten.

Abenteuer … und Gefahren.

„Avery!“, rief er.

Überrascht drehte sie sich um. „Ja, Jonah?“

Sie kannte seinen Namen. Ein wohliges Gefühl der Genugtuung durchfuhr ihn – dann fiel ihm der Code Grün wieder ein. „Pass auf dich auf.“

Sie blinzelte, ihre seltsamen Augen weiteten sich und ihr weicher Blick weckte in ihm den Drang, den Mond anzuheulen.

„Lass dich nicht fressen!“, fügte er hinzu.

Ganz kurz sah sie aus, als wollte sie etwas wenig Damenhaftes erwidern, doch dann schien ihr einzufallen, dass sie Publikum hatten, und sie setzte ein zuckersüßes Lächeln auf. „Oh, lass dich nicht fressen. Danke für den Rat. Ich werde ihn beherzigen.“

Und er musste laut lachen.

Avery drehte sich um und verschwand in der Menge.

Jonah erinnerte sich daran, dass sie er sie trotz ihrer aufgeworfenen Lippen, ihrer faszinierenden Augen und der erotischen Anziehung, die sie auf ihn ausübte, nicht besonders mochte.

Denn er hatte schon einmal eine Frau wie sie gekannt.

Bevor er begriff, warum er sich von Rachel angezogen fühlte wie eine Motte vom Licht, war es schon zu spät. Trotz ihrer Beteuerungen, dass sie dringend eine Veränderung brauchte, war sie immer das Großstadtkind geblieben, das nicht hierher passte. Er hatte sie nicht aufhalten können. Und er war ihr gefolgt. Bis er eines Tages einsam und unglücklich in Sydney aufgewacht war und begriff, was er für sie aufgegeben hatte und dass er sie sowieso längst verloren hatte.

Nach Crescent Cove zurückzukehren, war ihm nach dieser Demütigung nicht leichtgefallen. Zurückzukehren und feststellen zu müssen, dass er selbst nicht mehr recht hierher passte. Er musste von vorn anfangen, sich selbst neu erfinden. Es kam ihm vor, als forderte die Bucht ein Opfer von ihm, damit er sie nie wieder als selbstverständlich hinnehmen würde.

Also, selbst wenn Avery Shaw ihm schöne Augen machte, war er dagegen immun.

Denn diesmal war er auf der Hut.

3. KAPITEL

Jonah hatte nicht nach Avery Ausschau gehalten, ganz im Gegenteil.

Er fand sie trotzdem, am Strand. Ihr großer Hut war so nass, dass er ihr auf die Schultern hing. Zur Hälfte steckte sie in einem Neoprenanzug, der gegen ihre Beine schlackerte, während sie auf und ab hüpfte und auf ihre Haut schlug, als wollte sie einen Schwarm Bienen verscheuchen.

Jonah beschleunigte seinen Schritt.

„Avery“, rief er, als er nah genug war, „was zum Teufel ist denn jetzt schon wieder los?“

Sie blickte nicht einmal auf, sondern wand sich weiter, sodass er durch den silbernen Badeanzug, aus dem große Stücke Lycra rausgeschnitten schienen, immer wieder nackte Haut aufblitzen sah.

„Mich hat was gestochen“, kreischte sie und riss ihn aus seiner Trance. „Irgendwas hat mich erwischt. Eine Würfelqualle. Oder eine Seeblase. Oder ein Steinfisch. Ich hab im Flugzeug was darüber gelesen. Irgendetwas davon hat mich gestochen. Es brennt. Überall.

„Seeblasen gibt es so weit nördlich nicht, der Anzug schützt vor Quallen und die Schwimmflossen vor Steinfischen.“

Avery hüpfte von einem Fuß auf den anderen, als tanzte sie auf glühenden Kohlen. „Was ist es dann?“

Jonah nahm sich vor, ein ernstes Wörtchen mit Claudia zu reden. Im Hotel gab es doch immer irgendein verrücktes Motto mit Spielen und Ähnlichem. Es musste doch möglich sein, diese Frau so zu beschäftigen, dass er ihr nicht ständig in die Arme lief.

Doch fürs Erste blieb Jonah nichts anderes übrig, als sie zu untersuchen. Er fuhr mit den Händen an ihren Armen entlang, bemüht, die Wirkung, die das auf ihn hatte, zu ignorieren.

Er drehte sie um, ließ den Blick über ihren Rücken gleiten, hob ihr langes Haar und verscheuchte die Bilder aus seinem Kopf, die ihn heimsuchten. Dann nahm er ihr Kinn und drehte es so, dass er ihr Gesicht unter dem albernen Hut sehen konnte. Ihr ziemlich rotes Gesicht.

„Mensch, Mädchen“, brummte er und zog seine Hand abrupt weg. „Du hast einen Sonnenbrand.“

Ihre seltsamen Augen weiteten sich. „Sei nicht albern.“

Er nahm ihr den Hut ab, um sicherzugehen, und sie fasste sich mit einem Aufschrei an den Kopf. Jonah verdrehte die Augen und setzte ihr den Hut wieder auf. „Hast du nichts gegen Sonnenbrand dabei?“ Sonnencreme vielleicht?

Er warf einen Blick auf ihre silberne Tasche, deren Inhalt bereits im weißen Sand ausgekippt war. Offensichtlich hatte sie selbst schon nach einem Mittel gesucht. Einem Mittel gegen Steinfisch. Er verkniff sich ein Lächeln.

„Wag es ja nicht, mich auszulachen!“

Das brachte ihn nur noch mehr zum Lachen.

„Erzähl mir nicht, du warst an der Brown Mare Sonnenschutzexpertin.“

„Bryn Mawr“, verbesserte sie ihn. Und, hey, war das etwa ein Lächeln, das in ihrem Gesicht aufblitzte? Ein Lächeln, das heller strahlte als die Sonne?

Jonah deutete mit dem Kinn zum Anleger. „Wir haben Aloe Vera an Bord. Das hilft ein bisschen. Wenigstens bis die Haut anfängt sich zu pellen.“

„Ich pelle nicht.“

„Du wirst pellen, Prinzessin. Große hässliche Streifen toter Haut werden sich von deinem Körper ablösen.“

Vor sich hin fluchend stopfte sie ihre Sachen zurück in die Tasche – darunter auch ein Buch mit Eselsohren, eine schicke Wasserflasche und, jawohl, Sonnencreme.

Er nahm ihr die Sonnencreme aus der Hand und las das Etikett. „Amerikanisch“, murmelte er.

„Verzeihung!“

„Ihr habt andere Sonnenschutzfaktoren als wir. Für deine Haut ist das viel zu niedrig.“

„Was soll mit meiner Haut nicht in Ordnung sein?“, fragte sie, die Arme weit ausgestreckt, und bot ihm einen erstklassigen Blick auf ihre makellose Haut, auf ihre schönen geraden Schultern, die schlanke Taille, die perfekt geformten Hüften. Ihren Hintern kannte er schon von der Rettungsaktion auf dem Surfboard …

Jonah schloss für einen Augenblick die Augen und verfluchte sein Karma, weil es ihm Avery Shaw geschickt hatte.

„Mir ist sehr wohl bewusst, dass ich nicht so dunkle Haut habe wie ihr hier“, sagte sie. „Deshalb habe ich mir ja auch Sonnencreme von zu Hause mitgebracht. Unsere ist stärker als eure.“

„Anders herum, Schätzchen“, widersprach Jonah. „Australier können es besser.“

Sie hustete und prustete. Das war immerhin besser, als halbnackt vor ihm zu stehen und ihn unverblümt von Kopf bis Fuß mustern.

Dann ließ sie die Schultern hängen und machte sich wieder daran, ihre Tasche einzupacken, jetzt mit etwas weniger Eifer. Von ihrem Hut tropfte Meerwasser auf ihre rosa Haut, auf ihrem Arm war ein Ratscher, der desinfiziert werden musste, und ein paar ihrer Zehen waren offensichtlich mit Korallen aneinandergeraten, bevor ihr eingefallen war, die Schwimmflossen anzuziehen.

Unvermittelt warf sie die Tasche in den Sand, stemmte die Hände in die Hüften und sah ihm ins Gesicht. „In New York gibt es Taxifahrer, die noch nie von Hygienebestimmungen gehört haben. Ratten so groß wie Opossums. Giftige U-Bahn-Dämpfe, die man lieber nicht einatmen sollte. Man muss sich auskennen, um dort zu überleben. Aber das hier ist zu viel für mich.“

Nach einem Schluchzen fing sie an zu lachen. Und lachte und lachte. Ein Lachen am Rande der Hysterie, aber zum Glück kippte es nicht.

Jonah fuhr sich mit einer Hand über den Nacken und blickte zum Steg in der Ferne, wo sein Boot und das klare, blaue Meer warteten. Einfache, elementare Freuden. Dann sah er wieder zu der Touristin, deren Schicksal offenbar in seine Hände gelegt worden war, warum auch immer.

Egal, was er von Frauen wie ihr hielt, es ließ sich nicht bestreiten, dass sie sich Mühe gab. Und so beschloss er, ihr eine Chance zu geben.

„Na komm, Prinzessin“, sagte er und streckte eine Hand aus. „Ich glaube, du könntest einen Drink vertragen.“

Sie betrachtete seine sandige Hand und rümpfte die Nase. „Ich brauche keinen Drink.“

Obwohl er ahnte, dass er es bereuen würde, wischte Jonah den San...

Autor

Ally Blake
Ally Blake ist eine hoffnungslose Romantikerin. Kein Wunder, waren die Frauen in ihrer Familie doch schon immer begeisterte Leserinnen von Liebesromanen.

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