Das Herz eines Ritters

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England im Jahre 1198: Sechs Heiratskandidatinnen warten darauf, von Geoffrey erwählt zu werden. Aber keine von ihnen will der kühne Ritter zum Altar führen. Sein Herz schlägt nur für die schöne Catherine - die allerdings weder adelig noch vermögend ist und als Braut für den künftigen Comte de Langier nicht standesgemäß wäre. Doch für ihre Liebe ist Geoffrey bereit, alles aufs Spiel zu setzen - sogar sein Leben …


  • Erscheinungstag 15.03.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733758752
  • Seitenanzahl 224
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Lincolnshire, England

August 1198

Das Blut von sechs jungen Adelsdamen würde an ihren Händen kleben. Was wäre es für eine sündhafte Freude, jeder von ihnen die Kehle zuzudrücken und sie dadurch zu Tode zu bringen! Wenn diese Gänschen nicht augenblicklich mit den geistlosen Bemerkungen aufhörten, die sie seit einer Stunde von sich gaben, sah Catherine de Severin sich genötigt, sie alle ins Jenseits zu befördern.

Sie zog ein besticktes Tuch aus dem Ärmel und betupfte ihre Stirn. Hitze bekam ihr nicht, und der Tag war nach dem Mittagsmahl heiß geworden. Sie hob das Haar von ihrem schweißbedeckten Nacken und versuchte sich unauffällig Kühlung zu verschaffen, bevor ihre Unpässlichkeit bemerkt wurde.

Zu spät.

„Catherine? Ist Euch nicht wohl?“, fragte leise Emalie Dumont, Countess of Harbridge und ihre Wohltäterin, und beugte sich herüber. Der Flüsterton konnte ihre Besorgnis nicht verbergen.

„Mir geht es gut, Mylady.“

Die Frauen vertrieben sich die Zeit, indem sie dem Earl und einigen seiner Gefolgsleuten beim Üben ihrer Kampfeskunst zusahen. Alle in der Burg wussten, dass der Schwager der Countess auf dem Weg hierher war, um Brautschau zu halten. Unter den jungen Damen herrschte eine aufgeregte Stimmung, denn es wurde erwartet, dass er eine von ihnen zur Gemahlin erwählte. Catherine hörte das empörte Zungenschnalzen, mit dem die kleine Gruppe der weiblichen Zuschauer die Auseinandersetzung der Männer auf dem Burghof kommentierte. Auch Lady Harbridge zeigte sich wenig von dem brutalen Geschehen angetan. Mit angewiderter Miene erhob sie sich und verlangte mit einer Handbewegung, dass die noch sitzenden Damen ihrem Beispiel folgten.

„Ich fürchte, die drückende Hitze heute ist zu viel für mich. Wir wollen einen kühleren Platz finden, wo wir beisammensitzen und ein erquickendes Getränk zu uns nehmen können.“

Den Anordnungen der Countess und Herrin dieser Burg hatte sich niemand zu widersetzen. Nicht aufzustehen wäre ein grobes Fehlverhalten gewesen. Catherine nahm ihr Tuch und erhob sich von ihrem Platz. Bevor die Burgherrin mit ihrem kleinen Gefolge den Hof verlassen konnte, schallte eine tiefe Stimme zu ihnen herüber.

„Mylady?“

Catherine verfolgte mit dem Blick, wie die Countess zur Absperrung schritt und ruhig mit ihrem Gemahl sprach. Immer, wenn sie im Gesicht des Earls diesen weichen Ausdruck der Liebe sah, gelang es ihr, weniger Hass für ihn zu empfinden, als er, wie sie sicher wusste, für sie fühlte. Ein Mann, der seine Frau liebte, wie es der Earl of Harbridge tat, konnte als Mensch nicht vollkommen schlecht sein. Dann sah Christian Dumont im Gespräch mit seiner Gemahlin auf, und in seinem Blick war wieder diese Kälte. Catherine wusste, Lady Harbridge hatte ihren Namen erwähnt.

Ihr Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Erneut glitt sein Blick über sie hinweg. Sie fühlte ein wachsendes Unbehagen. Wie sehr hatte sie darum gebetet, ihr Schicksal annehmen und verstehen zu können. Sie hatte Gott gebeten, dass er sie mit Dankbarkeit gegenüber dem Earl und seiner Großzügigkeit erfülle. Aber alles Bemühen war vergebens gewesen.

Ihre Schwächen und Ängste drohten sie immer wieder zu überwältigen. So viel Kraft sie auch aus dem durch langes Üben gewonnenen Vorrat an innerer Gelassenheit und Ruhe schöpfte, blieb sie doch gegenüber Fremden furchtsam und befangen. Sie fühlte sich gehemmt und unfähig, heiter und freimütig im höfischen Ton zu plaudern, also hielt sie sich ständig im Hintergrund. Ihr niedriger gesellschaftlicher Rang war für die Besucherinnen auf entsetzliche Weise offensichtlich. Ebenso der Umstand, dass sie allein war, ohne die für eine junge Frau im heiratsfähigen Alter so wichtige Unterstützung durch eine Familie.

Für einen Augenblick wurde der Drang nach einer Heimkehr ins Kloster beinahe übermächtig, am liebsten wäre sie augenblicklich dorthin zurück geflohen. Sie machte einen tiefen Atemzug und versuchte, einen klaren Kopf zu bekommen. Ihr die Hand entgegenstreckend, näherte sich die Countess. Catherine nahm die Hand und trat neben die Frau, die ihr alles gab, was sie selbst nicht besaß, und die dabei niemals Forderungen stellte.

„Mylord hat den Vorschlag gemacht, dass ich meine Gemächer aufsuche und bis zur Abendmahlzeit dort ruhe. Catherine, möchtet Ihr mich begleiten und Euer Gebetbuch mitbringen?“ Alle Anwesenden wussten, dass der Burgherr seine Gemahlin in ihre Gemächer befohlen hatte. Sobald Lady Harbridge den Kreis der Damen verlassen hatte, würde das Gerede beginnen.

„Natürlich, Mylady.“

„Ich fürchte, dieses Kind macht mich empfindlich gegen die Hitze. Mylord sorgt sich und möchte nicht, dass ich bei diesem Wetter zu lange im Freien bin.“ Ihr Flüstern war laut genug, um von allen Umstehenden gehört zu werden.

Catherine wusste genau, welche Absicht die Countess verfolgte. Gern hätte sie ihren Rocksaum geküsst, um dafür zu danken. Doch dadurch würde die Wohltat, die sie ihr erwies, an Wirkung verlieren. Durch ihren Hinweis, wieder guter Hoffnung zu sein und einen weiteren Erben für ihren Gemahl zu erwarten, lenkte Lady Harbridge die Aufmerksamkeit auf sich selbst.

Die Gruppe im Hintergrund verfiel in Schweigen. Catherine hingegen konnte die unausgesprochenen neugierigen Fragen und Gedanken beinahe hören. In etwas mehr als drei Ehejahren würde dies die dritte Niederkunft der Countess sein. Catherine wusste, alle diese jungen Frauen, die in der Hoffnung hergekommen waren, vom Bruder des Earls ausgewählt zu werden, fragten sich nun, ob der junge Dumont gleichermaßen fordernd war, wenn es um den Vollzug der Ehe ging. Und ob sie ähnlich fruchtbar sein würden.

Sie kamen zum Wohnbau. Catherine wurde von der Countess beiseitegenommen, während die anderen Damen die Große Halle betraten. Lady Harbridge, die vollkommene Gastgeberin, verfügte über genügend Dienstboten, die nur darauf warteten, ihre Gäste mit allem zu versorgen, was diese wünschten.

Catherine folgte der Countess die Stufen in einem der Türme hinauf. Sie erreichten die Gemächer des Earls und seiner Gemahlin. Aber die Countess ging weiter. Sie führte Catherine durch eine Tür und weiter nach oben, über noch eine Treppe, bis sie bei den Zinnen ins Freie kamen. Sie waren auf der Mauer angelangt, die den gesamten Burgbezirk umschloss. Von hier aus konnte Catherine das Land sehen, das zu Greystone Castle gehörte. Nach Osten ging der Blick fast bis zum Meer. Mit geschlossenen Augen und das Gesicht der kräftigen Brise zugewandt, die ihnen entgegenwehte, stand die Countess an ihrer Seite.

„Könnte ich meine Tage hier oben im Wind verbringen, liebe Catherine, ich würde nicht zögern, es zu tun.“

„Ja, Mylady. Hier oben ist die Luft angenehmer als unten auf dem heißen stickigen Burghof.“ Catherine erinnerte sich an das Gerede über die viele Zeit, die die Harbridges hier oben auf den Wehrgängen verbringen würden, und eine heiße Röte überzog ihre Wangen. Unter den Burgbewohnern, die ihre Zeit mit solchen Geschichten vertaten, erzählte man sich sogar, das Kind, das die Countess erwartete, sei während einer stürmischen Frühlingsnacht auf diesen Mauern gezeugt worden.

„Sie können grausam sein, Catherine. Ich rate Euch dringend, nehmt Euch nicht zu Herzen, wie sie reden.“

„Ja, Mylady.“ Was sonst konnte sie sagen?

„Geoffrey sollte heute gegen Abend eintreffen. Wie immer wird er erfreut sein, Euch zu sehen.“

„Ich freue mich auch, ihn wiederzusehen, Mylady.“

Lady Harbridge schenkte ihr einen merkwürdigen Blick und tätschelte dann ihre Hand. „Catherine, Ihr könnt Euch diesen Tag nach Belieben vertreiben. Ich werde nun tatsächlich meine Gemächer aufsuchen.“

„Wie Ihr wünscht, Mylady.“

„Dieses Kind macht mich müde und hungrig zugleich, und ich kämpfe mit mir, welchem Bedürfnis ich zuerst nachgeben soll“, sagte die Countess. Catherine versuchte noch immer zu ergründen, was der Blick von Lady Harbridge zu bedeuten hatte, als diese fortfuhr: „Wollt Ihr Alice für mich suchen und sie mit Speisen und Getränken zu mir schicken?“ Catherine nickte. „Eine Woche lang die Gesellschaft dieser hohlköpfigen Gänse und ihrer Mütter zu ertragen“, sprach die Countess weiter, „wird eine schwere Prüfung werden. Daher ruht auch Ihr Euch aus und bereitet Euch vor.“

Catherine lachte mit der Countess über die Bemerkung. Emalie Dumont sprach genau das aus, was sie über die Besucherinnen dachte. Catherine knickste und wollte gehen. Aber die Countess war noch nicht fertig. Sie hatte etwas zu sagen.

„Geoffrey wird sich freuen, Euch hier zu sehen.“

Geoffrey wird sich freuen, Euch hier zu sehen.

Die Worte der Countess wirbelten in ihrem Kopf durcheinander, als Catherine in der kühlen Stille der aus Stein erbauten Kapelle saß. Innerhalb von Greystone Castle war dieser Ort ihre sichere Zuflucht. Nur wenige Burgbewohner pflegten eine besondere Verbindung zu den himmlischen Dingen. Meist hatte sie den ruhigen Raum für sich allein. Sogar Pater Elwood war im Augenblick nicht da.

Catherine zog sich ihren Umhang fester um die Schultern und begann im hinteren Kirchenschiff auf und ab zu gehen. Sie hatte die Ehe nie als denkbare Möglichkeit für ihr zukünftiges Leben betrachtet. Aber für Geoffrey war sie eine zwingende Notwendigkeit. Sowohl in England als auch auf der anderen Seite des Kanals, im Poitou und in Anjou, standen er und sein Bruder vor der Aufgabe, ihre zahlreichen Ländereien und die damit verbundenen Adelstitel zu sichern.

Catherine wusste, dass der König von Frankreich sein Hoheitsgebiet zu erweitern suchte und dabei das Reich der Plantagenets bedrängte. Den Besitzungen der Dumonts kam durch ihre Lage in Grenzgebieten bei diesem Machtkampf eine wichtige Bedeutung zu. Nur durch die Ehe mit einer geeigneten Braut aus dem Hochadel und die Geburt eines Erben würden sich die Spannungen mildern lassen. Der gegenwärtige Earl hatte beide Aufgaben bereits angemessen erfüllt. Die Tatsache, dass Geoffrey auf dem Kontinent alle Besitzungen und Titel des Earls erben sollte, war nur wenigen bekannt.

Catherine hatte während ihrer Aufenthalte in Greystone von diesen ungewöhnlichen Vereinbarungen zwischen den Dumont-Brüdern und König Richard gehört und auch im Kloster einiges darüber erfahren. Gewöhnlich konnte ein zweitgeborener Sohn nicht erwarten, dass er Liegenschaften und Familientitel erhielt. Geoffrey war eine Ausnahme. Bei seiner Eheschließung – für die er die Zustimmung seines Bruders benötigte – würde er die Oberherrschaft über Château d’Azure und alle umliegenden Gebiete erhalten. Und er würde zum Comte de Langier ernannt.

Wären diesen „hohlköpfigen Gänsen“, wie die Countess sie nannte, sein tatsächlicher Wert bekannt, hätten sie ihm schon länger nachgestellt. Aber der Earl bewahrte Stillschweigen über diese Abmachungen; und er hatte auch Geoffrey dazu verpflichtet. Bis zu diesem Zeitpunkt. Catherine wartete sehnsüchtig auf Geoffreys Ankunft, damit sie endlich die Gelegenheit bekam, mit ihm zu sprechen, und herausfinden konnte, welche Ereignisse eine Eheschließung plötzlich notwendig gemacht hatten.

Geoffrey. Ihr bester Freund. Der in Kürze ein verheirateter Mann war. Beinahe ein Jahr lang waren sie sich nicht begegnet. Allerdings hatte Geoffrey ihr regelmäßig geschrieben und in seinen Briefen über den Fortschritt der Arbeiten berichtet, die er auf den zahlreichen Gütern der Dumonts beaufsichtigte. Als Catherine ihn zum letzten Mal gesehen hatte, wirkte er auf erschreckende Weise gereift. Wie stattlich und hochgewachsen er mittlerweile sein würde, konnte sie nur ahnen.

Sie holte tief Luft und mühte sich, die unabänderliche Wahrheit anzuerkennen. Ihr Herz wurde schwer. Sie wusste, bei diesem Aufenthalt sah sie ihn zum letzten Mal. Sobald seine Vermählung beschlossen war, würde sie sich auf die Gelübde vorbereiten.

2. KAPITEL

Die kleine Reitergruppe erreichte den Hügelkamm. Geoffrey befahl zu halten. Dies war sein Lieblingsplatz, um Rast zu machen und auf Greystone Castle zu blicken, wie es inmitten aus seinen Ländereien emporragte. Der Hochsommer lag über England. Felder, Wiesen und Wälder standen in voller Pracht. Geoffrey nahm seinen Helm ab und genoss den Anblick, wohl wissend, dass er die Gelegenheit dazu für viele Monate zum letzten Mal haben würde.

„Eure Ländereien sind nicht weniger reich, Mylord.“

Geoffrey wandte sich um und sah den Sprecher an. Er bemerkte den selbstgewissen Ausdruck im Gesicht des Mannes. War sein Freund Albert nicht nur der zukünftige Verwalter seiner Besitztümer, sondern las er jetzt auch seine Gedanken?

Oui, Albert. Das sind sie wohl. Oder sollen wir sagen, sie werden es sein, sobald sie in meinen Besitz übergegangen sind?“

Albert nickte und bediente ihn mit Speisen und Getränken. Geoffrey wusste, der erbliche Adelstitel und viele Liegenschaften der Dumonts würden ihm gehören, sobald er seine Angelegenheiten in Greystone erledigt hatte. Noch immer unsicher, ob er tatsächlich glauben durfte, dass ein nachgeborener Sohn zu dieser Höhe aufsteigen konnte, schüttelte er den Kopf. Andererseits war in den vergangenen vier Jahren nichts so gekommen, wie es der normale Lauf der Dinge hätte erwarten lassen.

„Noch eine Aufgabe, die vor Euch liegt, Mylord. Und die Erfüllung wird nicht allzu abscheulich sein, oder?“

Geoffrey lächelte gequält. Ein Hindernis stand zwischen ihm und allen Gütern, die er erringen sollte. Seine Heirat. Es würde eine Ehe sein, die er mit dem Einverständnis seines Bruders einging. Nach der Vermählung würde er Herr über alle versprochenen Reichtümer sein.

„Nicht allzu abscheulich, Albert. Und eine Notwendigkeit.“

„Ich bin sicher, Euer Bruder wird Euch helfen, eine kluge Wahl zu treffen.“

Der leicht anzügliche Seitenblick, mit dem Albert ihn bedachte, gab den Worten eine wenig beruhigende Bedeutung. Was seine Liebschaften mit Frauen anging, hier in England und in seiner Heimat auf dem Kontinent, war Geoffreys bewegte Vergangenheit wohlbekannt. Sein Bruder würde versuchen, eine Braut für ihn zu finden, die ihm nicht nur an Titeln und Landbesitz ebenbürtig war, sondern auch Geist und Temperament besaß. Zumindest war das zu hoffen.

„Dann lasst uns weiterreiten, auf dass ich mich in mein Schicksal ergebe, bevor mir der Mut abhandenkommt.“

In heiterer Stimmung gaben die Männer ihren Reittieren die Sporen und galoppierten die Hügel entlang. Sie folgten ihrem Anführer durch die Toranlagen von Greystone und die Stufen hinauf zur Wohnburg. Die Nachricht ihrer Ankunft hatte sich schon verbreitet. Oben auf der Außentreppe stand sein Bruder und erwartete ihn.

„Mylord!“, rief Geoffrey, saß ab und sprang die Stufen hinauf.

„Bruder!“, antwortete Christian und hieß ihn mit ausgebreiteten Armen willkommen.

Auf ihre gewohnt raue Art begrüßten sie sich stürmisch. Geoffrey spürte sofort, dass die Zuneigung zwischen ihnen nicht nachgelassen hatte. Erst, als sie die sanfte, aber nachdrückliche Stimme der Countess hörten, lösten sie sich voneinander.

„Geoffrey! Wie schön, Euch wieder einmal bei uns zu haben“, rief sie. Seine Schwägerin wirkte noch kleiner und zierlicher, als er sie in Erinnerung hatte, aber sie war eine beeindruckende Erscheinung. „Und Ihr seid noch mehr gewachsen, seit ich Euch zum letzten Mal sah.“ Sich über Rang und Etikette hinwegsetzend, schlang sie die Arme um ihn. Ihre Wiedersehensfreude erwärmte sein Herz.

„Countess, Ihr seht wohl und gesund aus.“ Er erwiderte die Umarmung und machte einen Schritt zurück. Ihre Schwangerschaft war ihm bekannt. Aber er wusste nicht, ob die Nachricht schon offen unter den Burgbewohnern verbreitet war. Er würde einen ungestörten Augenblick abwarten und dann die beiden zu dem bevorstehenden freudigen Ereignis beglückwünschen.

„Als Eure Ankunft sich verzögerte, dachte ich bereits, Euch hätte der Mut verlassen und Ihr sähet Euch außerstande, die bevorstehende Aufgabe zu meistern“, erklärte Christian. Geoffrey lachte. Sein Bruder ahnte nicht, wie nah er mit dieser Bemerkung der Wahrheit kam.

„Und zum Versager werden, damit Ihr auf meine Kosten lachen könnt? Nein, ich enttäusche Euch nicht, nach den Mühen, die Ihr und Emalie um meinetwillen auf Euch genommen habt.“

„Dann kommt hinein. Erfrischt Euch und teilt mit uns das Mahl. Eure Aufgabe hat noch Zeit“, sagte Emalie und zog ihn durch das Tor der Wohnburg.

Geoffrey verharrte einen Augenblick, um sich zu vergewissern, ob jene Person auch anwesend war, die er außer der Familie vermisst hatte. Er warf einen Blick über den Burghof, konnte sie aber nicht entdecken. Da er keinen unaufmerksamen Eindruck erwecken wollte, wandte er sich wieder Emalie und Christian zu und betrat mit ihnen die Burg.

Geoffrey spürte, dass er seit seinem letzten Besuch deutlich erwachsener geworden war. Er betrachtete die Große Halle mit neuen Augen. In den Gesichtern der Dienstboten konnte er ihre Überraschung sehen, als sie ihn erkannten. Während er durch die Halle nach vorn zur Estrade schritt, begleiteten Blicke seinen Weg, die Wohlwollen und unverhüllte Bewunderung ausdrückten. Er schenkte einigen der Anwesenden ein Lächeln. Es drückte ehrliche Zuneigung aus. Diese Menschen hatten ihn begleitet, als er in den vergangenen Jahren hier heranwuchs. Ihm begegneten auch einladende Blicke von mehreren Mägden, die bei seiner Entwicklung vom Jüngling zum Mann nicht unbeteiligt gewesen waren. So verführerisch sie ihn auch ansahen, er durfte diesen Besuch nicht nutzen, um seine Leidenschaften auszuleben. Nicht, wenn innerhalb der Burgmauern sechs Ehekandidatinnen mit ihren Müttern darauf warteten, dass er seine Brautwahl traf.

Zwar wurde von einer Ehefrau erwartet, dass sie sich im Bett willig zeigte. Und wenn ihr Gemahl auch außerehelich nach Befriedigung seiner Bedürfnisse strebte, hatte sie das stumm zu ertragen. Aber Geoffrey hatte nicht die Absicht, vor einer Schar unberührter Mädchen mit früheren Liebschaften aufzufallen. Sein Bruder betonte oft, Verschwiegenheit sei der höchste Wert, der einen Ritter und Ehrenmann auszeichne.

Doch mit jedem schweifenden Blick durch die Halle wuchs Geoffreys Enttäuschung. In ihren Briefen hatte Catherine versprochen, dass sie hier sein würde. Nun sah er sie nirgends. Dabei waren die Gespräche mit ihr sein größtes Vergnügen. Vor allem während dieses Aufenthaltes in Greystone, bei dem er zu einer Entscheidung kommen musste, brauchte er sie. Catherine sollte ihm helfen, mit ihrer ruhigen Klugheit und ihrem sanften Wesen. Er fragte sich, wie sie die Nachricht seiner bevorstehenden Vermählung wohl aufgenommen haben mochte. Catherine war vernünftig genug, um zu verstehen, dass die Wege, die vor ihnen lagen, in verschiedene Richtungen führten; zumindest an unterschiedliche Orte. Christian hatte ihm von der Mitgift berichtet, die für sie bereitlag. Sie würde also heiraten können. Geoffrey wusste, wie entschlossen sie dem Schicksal gegenübertrat. Zweifellos würde Catherine rasch einen angemessenen Gemahl finden, und mit weniger Aufwand, als bei seiner Brautwahl betrieben wurde.

Er erreichte seinen Platz an der erhöhten Tafel, ohne Catherine unter den in der Halle versammelten Menschen entdeckt zu haben. Tief ein- und ausatmend sammelte Geoffrey seine Kräfte. Er würde sie brauchen, falls das ausgelassene Lachen von Emalie, das er eben gehört hatte, ein Vorzeichen war. Der Abend schien aufregend zu werden.

„Seid Ihr nach dem Ritt genügend erholt, sodass wir beginnen können?“, fragte sein Bruder und gab dem Gesinde ein Zeichen, die Speisen und Getränke aufzutragen.

„Bei aller Ehrerbietung, die ich der Countess für ihre Bemühungen schulde, fürchte ich, dass ich niemals ausreichend erholt sein werde, um dieser Aufgabe gewachsen zu sein.“ Geoffrey lächelte Christian bitter an. Aber er wusste auch, hinter allem, was Christian tat, stand die ehrliche Sorge um das Wohl seines jüngeren Bruders. Nachdem Geoffrey sich an den gereichten Speisen bedient hatte, wischte er sich mit dem Leinentuch, das den Tisch bedeckte, die Finger ab. Seine Gedanken gingen zu dem Teil des Abends, der nun folgen würde. Das schmackhafte Mahl, das er eben gegessen hatte, wurde zur schweren Last in seinem Magen.

Er musste sich als vollendeter Edelmann zeigen und seine Brautwahl treffen. Vor ihm saßen die vornehmsten Familien aus England, Frankreich und den Gebieten der Plantagenets. Und alle, Eltern und Töchter, sahen ihn erwartungsvoll an. Manche Blicke zeigten einen unverhüllt hungrigen Ausdruck, und es war kein Hunger, der mit Essen zu stillen wäre …

„Meine Gemahlin Emalie hat sich überlegt, dass wir gewissen Regeln folgen sollten. Denn es wäre beschämend, wenn gleich zu Beginn Eurer Brautbeschau die Würde der Beteiligten oder die Rücksicht auf den Stand zu kurz käme.“ Christian lächelte. Doch in seinem Blick lag eine beunruhigende Selbstgefälligkeit.

„Gewiss, Mylord. Ich teile diese Ansicht“, versicherte Geoffrey mit einer Stimme, die vor Sarkasmus troff. „Wer ist der Ranghöchste unter Euren Gästen?“

Christian glitt mit dem Blick über die anwesenden Gäste. Dann nickte er. „Der Duke dort.“

„Seid Ihr zufrieden, wenn ich mich für heute Abend diesen Herrschaften widme, Mylady?“ Geoffrey sah zu Emalie, die besorgt aussah.

„Ja. Unsere Gäste sind eine ganze Woche bei uns. In solch wichtigen Dingen sollte man niemals überstürzt handeln.“ Ihr Stirnrunzeln wurde noch ausgeprägter. „Für den morgigen Tag habe ich verschiedene Lustbarkeiten vorgesehen, bei denen Ihr, lieber Schwager, Eure Geschicklichkeit und Eure Talente beweisen könnt.“

Geoffrey verschluckte sich an seinem Wein. Christians herzhaftes Schulterklopfen half kaum, ihm wieder Luft zu verschaffen. Sicher irrte er nicht, wenn er glaubte, dass sein Bruder und seine Schwägerin an andere Dinge dachten, wenn sie auf seine Geschicklichkeit und seine Talente anspielten?

„Ein Tanzvergnügen, Mylord.“ Emalie schenkte beiden Brüdern einen scharfen Blick. Christian zeigte eine noch zerknirschtere Miene als Geoffrey. „Und eine Jagd. Beides sind Tätigkeiten, die einen ganzen Mann erfordern.“

„Natürlich, Mylady. Ich dachte nur, Ihr meintet …“, begann er in neckischem Ton. „Ich weiß, was Ihr dachtet, Geoffrey. Diese Tätigkeiten sind für mich von keinerlei Bedeutung.“

„Emalie“, flüsterte Christian leise, damit niemand außer ihnen hörte, dass er sie vertraulich mit ihrem Namen ansprach. „Ich glaube, diese Tätigkeiten bedeuten dir in Wahrheit sehr viel.“

Geoffrey sah, wie sich Röte auf ihren Wangen ausbreitete, und er beobachtete, dass der Earl und die Countess ihren Wortwechsel noch fortsetzten. Emalie fächelte sich Kühlung zu, als wäre es plötzlich heiß in der Halle geworden. Dann lehnte sie sich zurück und trank einen Schluck aus ihrem Becher. Mit einem angedeuteten Kopfnicken gab sie mehreren Musikanten das Zeichen, sich neben der Estrade, auf der sie saßen, zu versammeln. Nun würde die Brautbeschau beginnen.

Geoffrey erhob sich, nachdem zuerst sein Bruder aufgestanden war. Der Earl bot der Countess den Arm. Seite an Seite schritten sie die Stufen hinunter. Geoffrey ging hinter ihnen. An einem der ersten Tische unterhalb der Empore blieben sie stehen. Ein älteres Paar erhob sich und begrüßte die Gastgeber. Die hübsche junge Frau blieb sitzen. Geoffrey konnte nicht viel von ihr erkennen, nur einen Teil des Gesichts und ihre Schultern. Allem Anschein nach zitterte sie. Sie hatte doch keine Angst vor ihm?

„Mylord, Mylady“, begann Christian. „Darf ich mir erlauben, Euch meinen Bruder Geoffrey vorzustellen?“

Geoffrey kannte seine Rolle und begrüßte den Duke und seine Gattin mit einer Verbeugung. Dann verneigte er sich lächelnd vor der Tochter, deren schon blasses Gesicht bleich wie ein Laken wurde. Kein vielversprechender Anfang. „Wollt Ihr mir die Ehre erweisen und mit mir tanzen?“ Er hatte das undeutliche Gefühl, dass sie ablehnen wollte. Aber ihr Vater schritt ein.

„Melissande. Du nimmst seine Einladung an.“

Sie erhob sich von der Bank, ein Muster an weiblicher Schönheit. Während sie anmutig voranschritt und sich einreihte zum Tanz, flutete bei jeder ihrer Bewegungen ihr langes Haar in Wellen über den Rücken. Geoffrey trug eine blaue und sandfarbene Tunika mit farblich passenden Beinkleidern. Auch ihr Kleid war sandfarben und blau. Sogar bei der Farbe ihrer Haare und ihrer Augen herrschte Übereinstimmung. Was die äußere Erscheinung anging, schienen sie ein gutes Paar zu sein. Zumindest würde er mit der hübschen Melissande keine schlechte Wahl treffen.

Während sie die Tanzfiguren ausführten, versuchte Geoffrey, ihren Blick einzufangen. Doch sie hielt die Augen ständig zu Boden gesenkt. Als er sie ansprach und sie in eine höfliche Unterhaltung zu verwickeln suchte, sah sie zur Seite, als hätte er kein Wort gesagt. Schließlich gab er auf. Er war sich der Belastung bewusst, unter der sie beide standen, und er konnte sich vorstellen, dass dieses arme Mädchen einfach überfordert war.

Sie beendeten den Tanz. Er führte Melissande zurück an den Tisch, wo sie von ihren Eltern und seinem Bruder erwartet wurden. Nachdem diese erste Probe hinter ihm lag, würden die folgenden Begegnungen einfacher verlaufen, hoffte er. Vielleicht waren die anderen Brautbewerberinnen weniger angespannt, nachdem diese Vorstellung ohne Zwischenfälle verlaufen war.

Geoffrey hatte beschlossen, besonders galant zu sein, als er sich nach dem Tanz von Melissande verabschiedete. Er fing ihren Blick auf und legte in den Ausdruck seiner Augen alle Wärme und Zuneigung, die er aufbringen konnte. Lady Melissandes Gesicht lief rot an, ihre Augen rollten nach oben, und mit einem dumpfen Geräusch sank sie vor ihm zu Boden. Dies war nicht die gewohnte Art, mit der junge Damen auf seinen männlichen Charme antworteten.

Was folgte, war Verwirrung. Der Duke und der Earl riefen Befehle an die Dienstboten, während die anderen Edelfräulein aufgeregt durcheinander redeten. Geoffrey hatte nur noch den Wunsch, die Große Halle so schnell wie möglich zu verlassen. Als er den Raum nach einem Fluchtweg absuchte, entdeckte er sie endlich.

Wie immer war Catherine darauf bedacht, dass sie mit dem Hintergrund verschmolz. Ihr Gewand war schlicht und zweckmäßig, kaum feiner gearbeitet als die Kleidung, die von den Mägden seines Bruders getragen wurden. Sie stand gegen eine Wand gelehnt, unmittelbar vor einem der Durchgänge, die zu den Treppen führten. Für einen kurzen Moment trafen sich ihre Blicke. Dann trat sie zurück und verschwand aus seinem Sichtfeld. Sie würde Abstand zu ihm wahren, solange er Zeit mit seiner Familie verbrachte. Aus früheren Erfahrungen wusste Geoffrey, dass Catherine sich sofort zurückzog, wenn sein Bruder nach seiner Anwesenheit verlangte. Sie ordnete ihre Wünsche grundsätzlich seinen Bedürfnissen unter.

Auch dafür liebte er sie.

Wie ein Donnerschlag durchfuhr ihn der Gedanke. Für einen Augenblick wurde ihm schwindlig, und er konnte nichts mehr sehen. Die Kraft und die Klarheit der Erkenntnis überwältigten ihn. Er liebte Catherine.

„Ist Euch ebenfalls unwohl?“, fragte die Duchess und tippte an seine Schulter. „Vielleicht war der Braten verdorben?“

Geoffrey schüttelte sich, um wieder zu sich zu kommen. „Nein, mir geht es gut. Ich bin nur besorgt um das Wohl unseres Gastes.“ Er sah zu der Menschenansammlung neben der noch immer reglos am Boden liegenden Lady Melissande.

Er hörte, wie seine Schwägerin verlangte, dass Platz gemacht wurde, und trat mit den anderen Umstehenden einige Schritte zurück. Auf dem Schlachtfeld konnte er kühl und besonnen bleiben. Beim Anblick einer Frau, die weinte oder in Ohnmacht fiel, versagte seine männliche Überlegenheit. Es war besser, wenn sich die Countess dieser Sache annahm. Und sie handelte. Sie beugte sich zu Melissande herunter und redete leise auf sie ein. Einen Augenblick später standen Emalie und Melissande wieder aufrecht.

„Ich fürchte, mein Magen war etwas verstimmt. Ich konnte heute noch nicht genug zu mir nehmen“, flüsterte Melissande schwach.

„Und dazu die Anstrengung des Tanzes, das war zu viel für Lady Melissande. Sie muss sich nur ausruhen und einige Happen essen. Dann wird sie bald wieder bei Kräften sein.“

Emalie tätschelte die Hand des Mädchens und übergab Melissande der Fürsorge ihrer Mutter. Die Duchess wirkte wenig erfreut, dass ihre Tochter für diesen Abend ihren Platz im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit verlieren würde.

Geoffrey versuchte, die Lage zu entspannen. Er hegte die Befürchtung, das Mädchen könnte für den Ohnmachtsanfall bestraft werden. Der Duke und die Duchess hatten die weite Reise nach Greystone unternommen, weil sie sich eine Verbindung zwischen ihm und Melissande erhofften. Sollte sie seine Gunst nicht gewinnen, ließen die Eltern das Mädchen vielleicht für den Misserfolg büßen. Menschen konnten sehr ungerecht sein.

„Mylady?“ Er lächelte und wartete auf Melissande, dass sie den Kopf hob und ihn ansah. „Wollt Ihr morgen mit mir das Frühstück einnehmen? Ich verspreche auch, dass um diese Stunde nicht getanzt wird!“

Er hatte das Richtige gesagt. Ihre Stirnfalten glätteten sich und Melissande beantwortete seine Einladung mit einem zitternden Lächeln. Er konnte nicht versprechen, dass sie die Braut seiner Wahl sein würde. Aber zumindest sollte sie Gelegenheit bekommen, sich von ihrer besten Seite zu zeigen.

Melissande knickste vor Geoffrey und den Umstehenden. „Mylord, es wird mir ein Vergnügen sein, mit Euch zu speisen.“

„Dann bis morgen.“ Geoffrey nickte und verfolgte, wie die junge Dame, ihre Eltern und mehrere Bedienstete aus der Halle gingen. Er spürte Christian und Emalie neben sich und wartete auf ihr Urteil.

„Zu verängstigt für meinen Geschmack“, sagte sein Bruder leise.

„Aber sie ist nett“, fügte Emalie hinzu.

„Warten wir ab, was der kommende Morgen bringt“, schlug Geoffrey vor. „Nun, Mylady. Ist noch eine Jungfrau, die Ihr mir opfern könnt, bevor dieser festliche Abend zu Ende geht?“

Er wusste nicht, ob er sie mit dieser Frage gekränkt hatte. Das leichte Zucken ihrer Mundwinkel verriet eher Belustigung.

„Kommt mit, Geoffrey. Wir wollen Euch nun Lady Marguerite vorstellen. Ihr Vater ist zwar nur ein Baron, aber er steht in hohem Ansehen, und sein Vermögen ist beträchtlich. Ich sehe keine Gefahr, dass Eure zukünftige Würde oder die Eures wichtigtuerischen Bruders durch eine Verbindung mit seiner Tochter verletzt werden könnten.“

Christian schnaubte. Geoffrey musste sich anstrengen, nicht das Gleiche zu tun. Emalie hatte seit der ersten Begegnung über Christians Hochmut geklagt. Es war offenkundig, dass sie deswegen noch immer mit ihm im Streit lag.

„Geht Ihr voran, Mylady. Wir wollen keine kostbare Zeit vergeuden.“

3. KAPITEL

Mondlicht strömte durch das winzige Fenster hoch in der Wand und erhellte die Mauernische. Von diesem Zufluchtsort zwischen Hintertreppe und Küche wusste fast niemand in der Burg. Aber Catherine suchte das kleine Gelass gern auf, wenn sie im Verlauf eines geschäftigen Tages für wenige Augenblicke allein sein wollte. Hier traf sie sich auch mit Geoffrey zum Gedankenaustausch, wenn sie beide zur gleichen Zeit in Greystone weilten. Geoffrey erzählte von seinem Leben, und sie sprach von ihrem, das so ganz anders war.

Sie musste sich an die Vorstellung gewöhnen, dass ihre Welten noch viel unterschiedlicher sein würden, sobald diese Woche zu Ende war. Catherine würde ein neues Leben beginnen, allein. Er würde in seiner Welt bleiben, mit einer Gemahlin an seiner Seite. Catherine seufzte. Sie wünschte sich so viele Dinge, die sie nicht haben konnte. Zu viele Dinge, die ihr nicht zustanden. Einen Mann, der niemals ihr gehören konnte.

Ihr Blick ging hinauf zu dem einfallenden Lichtstrahl und den darin wirbelnden Staubkörnern, und sie erlaubte sich einen Traum. Sie sah sich mit Geoffrey. Er tanzte mit ihr, wie er es mit den ersten beiden Brautbewerberinnen getan hatte. Vom Durchgang aus hatte sie ihn mit den jungen Frauen beobachtet. Von beiden Tänzen kannte sie die Schrittfolgen, aber sie war noch nie von einem Mann aufgefordert worden. Geoffrey wirkte sehr gereift seit ihrer letzten Begegnung. Er war gewachsen, sein blondes Haar trug er länger, und er hatte breite Schultern bekommen; auch seine Arme waren kräftiger geworden. Aus einem hübschen Jüngling war ein hinreißend gut aussehender Krieger geworden. Sie wandte sich zur Seite. Als hätten ihre Gedanken ihn erreicht, stand er plötzlich da und starrte sie an.

„Geoffrey.“

„Catherine.“

Kaum mehr als einen Meter von ihm getrennt, starrte auch sie ihn an und staunte erneut über die Veränderungen an ihm. Sie war nicht sicher, wer den ersten Schritt gemacht hatte. Plötzlich fand sie sich in seiner Umarmung wieder. Er umfing sie so fest, dass sie kaum noch atmen konnte. In ihren Augen brannten Tränen, und sie musste schlucken. Ihre Arme fanden den Weg um seine Taille, während sie betete, er möge sie nie wieder gehen lassen.

Wie lange sie in dieser Umarmung verharrten, wusste sie nicht. Aber ein eisiger Hauch drang an ihre Seele, und Catherine begriff, dass sie und Geoffrey nur noch diesen einen Moment der Nähe haben würden. Sie genoss ihn wie eine letzte Galgenfrist. So würden sie nie wieder beisammen sein.

Sie nahm die Hände von seinem Rücken, atmete tief ein und ließ die Luft ausströmen. Geoffrey musste ihren Rückzug gespürt haben. Er lockerte die Umarmung und ließ sie los. Nun trennte sie ein kleiner Abstand. Endlich gewann Catherine ihre Selbstbeherrschung zurück.

„Mylord, mir scheint, Ihr seid wohlauf“, sagte sie und legte so viel Ruhe in ihre Stimme, wie sie aufbringen konnte.

„Ach, Mylord heißt es nun? Ich dachte, wir seien Freunde.“ Seine Stimme war tiefer geworden. Ihr weicher dunkler Klang berührte sie und brachte Gefühle hervor, die sie sich lieber nicht gestatten wollte.

„Euer Rang ist wichtig, Mylord. Ihr dürft ihn nicht vergessen. Wer könnte besser geeignet sein, daran zu erinnern, als ein Mensch, der Euch freundlich gesonnen ist?“

„Bitte“, sagte er und legte ihre Hand in seine. „Für Förmlichkeiten und höfliche Distanz ist später genug Zeit. Können wir nicht einfach Geoffrey und Catherine füreinander sein, in diesen kurzen Augenblicken, die uns noch bleiben?“

Er wusste es. Wenn sein Besuch hier zu Ende war, würde alles, was sie miteinander teilten und was sie verband, der Vergangenheit angehören. Ihr Herz zog sich vor Schmerz zusammen. Doch sie schwor sich, von ihrer Traurigkeit würde er nichts erfahren.

„Natürlich, Geoffrey. Setzt Euch und erzählt mir von Eurer Reise nach England. Hattet Ihr eine ruhige Überfahrt?“ Catherine löste ihre Hand aus seinem Griff. Sie trat beiseite und machte ihm Platz, damit er sich auf der Steinbank in der engen Kammer niederlassen konnte. Früher hätten sie nebeneinander auf dieser Bank gesessen und sich unterhalten. Nun gehörte sie nicht mehr an seine Seite.

„Die Reise verlief gut, obwohl ich nicht ohne Bangigkeit daran denken konnte, wohin sie mich führte.“

„Ihr hattet Angst, hierherzukommen?“

„Nun, richtiger wäre, wenn ich sagte, dass Emalie und ihre Pläne der Grund für meine Besorgnis waren.“ Er machte eine Pause und lächelte sie an. „Sie ist verschlagener als mein Bruder.“

„Beide wollen für Euch nur das Beste, Geoffrey.“ Beinahe hätte sie die Hand ausgestreckt und seine Schulter berührt. Doch sie hielt die Bewegung zurück. Sie waren sich bereits zu nahe gekommen.

„Das weiß ich doch, Catherine. Sonst hätte ich in Château d’Azure die Zugbrücke hochgezogen und mich hinter den hohen Mauern verschanzt.“

Vor ihrem inneren Auge entstand ein Bild von Geoffrey, wie er sich in seiner Burg einschloss und nicht herauskommen wollte. Sie musste an den Jüngling denken, dessen Bekanntschaft sie bei ihrem ersten Besuch in Harbridge gemacht hatte. Oder waren sie sich begegnet, nachdem sie zum ersten Mal das Kloster verlassen und eine Einladung nach Greystone angenommen hatte, in diese große Burg, wo das Leben pulsierte? Sie hatte damals schreckliche Angst gehabt und wäre am liebsten sofort in die klösterliche Stille nach Lincoln zurückgekehrt. Geoffrey war es gewesen, der sie mit sanfter Freundlichkeit überreden konnte, dass sie für weitere Besuche herkam.

„Aber, Myl… Geoffrey, wann wärt Ihr je einer Herausforderung ausgewichen?“

Er rückte auf der Steinbank zur Seite, ihr ein Zeichen gebend, dass sie sich zu ihm setzen sollte. Ihr erster Gedanke war, sich zu weigern. Doch sie konnte dem Drang, ihm noch einmal nah zu sein, nicht widerstehen. Die Röcke eng um sich zusammenraffend, glitt sie dicht an der Wand entlang, um ihn nicht zu streifen.

„Mit meinem Besuch hier ändert sich alles, Catherine. Mein Leben, meine Pflichten. Sobald ich vermählt bin und die Titel angenommen habe, die mir bestimmt sind, trete ich in die Welt hinaus. Und mir ist bewusst, wie wichtig die Ländereien auf dem Kontinent sind, für die ich Verantwortung tragen werde.“ Er lehnte den Kopf nach hinten und seufzte. Es war ein dunkler Laut der Erschöpfung. „Das Land von Langier dient als ein Bollwerk, das uns schützen soll vor denen, die ihre Arme ausstrecken, um über ganz Frankreich und England zu herrschen. Ich bin nicht sicher, ob ich der Aufgabe gewachsen sein werde, diese Gebiete zu verteidigen und zu verwalten.“

Er hatte ihr sein tiefstes Geheimnis anvertraut. Nach außen hin, und sogar im Umgang mit seinem Bruder, zeigte er sich kühn und tapfer. Ihr hatte er seine innersten Ängste enthüllt. Sie musste auch ihm ein Geschenk machen.

„Seid Ihr dem Unterricht zur richtigen Verwaltung aufmerksam gefolgt, den Euer Bruder Euch erteilt hat?“

Er nickte.

„Und Ihr habt Euch mit weisen Männern umgeben, die Euch raten können?“

Wieder nickte er.

„Werdet Ihr Euch nicht wie ein Narr aufführen, sondern seid bereit, den Verstand und die Klugheit zu nutzen, die Euch von Gott gegeben sind?“ Die Worte brachten ihr ein Lächeln ein, und seine Stirnfalten glätteten sich.

„Dann bin ich sicher, dass Ihr das Vertrauen verdient, welches Euer Bruder in Euch setzt. Leichtfertig vergibt der Earl sein Vertrauen nicht. Er würde diesen Schritt niemals tun, hielte er Euch für unfähig, diese Verantwortung zu tragen.“ Nun lachte Geoffrey laut. „Findet Ihr mich spaßig?“

„Man könnte meinen, dass Ihr meinen Bruder gut kennt. Er hat beinahe die gleichen Worte gebraucht, als er mit mir sprach.“

„Es macht mich froh, dass Ihr ihm von Euren Sorgen erzählt habt und dass er versucht hat, Euch zu beruhigen, in Bezug auf Eure Fähigkeiten und Eure Eignung.“ Sie wählte die Worte sorgfältig, um zu verbergen, wie ihre Gefühle für den Earl tatsächlich waren. Offenbar gelang ihr das mit weniger Erfolg, als sie gehofft hatte.

Geoffrey streckte den Arm aus und nahm wieder ihre Hand. Dieses Mal verschränkte er seine Finger mit den ihren. „Ich weiß nicht, woher dieses Missfallen kommt, das Ihr ihm entgegenbringt und mit dem er Euch begegnet. Aber die Mühe, die Ihr beide aufwendet, um in meiner Anwesenheit unbefangen zu wirken, rührt mich an.“

Catherine fiel nichts ein, was sie darauf antworten konnte. Sie spürte, dass dies ein Moment der Geständnisse war. Aber was sollte sie offenbaren? Die Wahrheiten, die sie mitzuteilen hatte, würden das Verhältnis zwischen ihnen noch schwieriger machen, als es ohnehin schon war.

Er stand auf und zog sie mit sich hoch, ohne ihre Hand loszulassen. Mit seiner anderen Hand schob er die Haarsträhnen aus ihrem Gesicht, die sich nie in den ordentlich geflochtenen Zopf einfügen wollten. Ihr Atem stockte, und sie spürte die Hitze auf der Haut, die er berührt hatte.

„Es ist spät. Ihr solltet Euch zur Ruhe begeben. Ich weiß, die Countess wird Euch morgen wieder sehr in Anspruch nehmen.“

„Ja, Ihr habt recht. In letzter Zeit ermattet sie rasch. Ich bin froh, ihr meinen Beistand zu geben, wann immer ich kann.“

„Wollt Ihr auch mir eine Hilfe sein?“

„In allem, Geoffrey. Nur, was könnte ich für Euch tun?“

Er zögerte, als suchte er noch nach Worten, in die er seine Bitte kleiden konnte. Handelte es sich um ein unehrenhaftes Verlangen? Nein, das war nicht möglich! Etwas, das ein Wagnis bedeutete? In Gefahr würde er sie nie bringen.

„Wollt Ihr mich beraten, was die Frauen betrifft, unter denen ich meine Brautwahl treffen soll?“

Sie sollte ihm bei der Wahl seiner Gemahlin helfen? Ihr Atem stockte. Sie fühlte einen Schmerz, als würde ihr Herz von einem Dolch durchgestoßen. Konnte sie das tun, ihm helfen, die Frau zu finden, die seinen Namen tragen würde, die seine Kinder gebären und vielleicht sogar seine Liebe besitzen würde? Die Frau, die als Comtesse an seiner Seite leben würde? Sie wusste, sie selbst könnte niemals diesen Platz einnehmen. Aber war sie in der Lage, ihm beizustehen, wenn er diese Frau bestimmte?

„Ihr erbittet viel von mir, Geoffrey.“

„Catherine, diese Bitte kann ich nur an einen Menschen richten, der mir freundlich gesonnen ist. Dem ich mit meinem Leben vertraue.“ Er hob ihr Kinn, damit sie seinem Blick nicht auswich. Seine Augen waren dunkel. „Ich weiß, es ist eine Zumutung, wenn ich Euch bitte. Aber ich tue es dennoch.“

„Ich bin bereit dazu“, sagte sie und wusste, dass sie sich eine unausführbare Aufgabe gestellt hatte.

Sie wollte ihre Finger aus der Verflechtung mit seinen lösen und sich rasch entfernen. Doch er hielt sie fest. Als er dann den Kopf nach vorn neigte, wünschte und fürchtete sie zugleich, was nun kam. Seine Lippen berührten zart ihren Mund. Wieder meinte sie, ihr Herz würde brechen. Kaum hatte sie die Wärme seiner Haut wahrgenommen, da entzog er sich wieder.

„Ihr verlasst Greystone nicht, ohne Abschied von mir zu nehmen? Versprecht Ihr das?“

Hatte er ihre Gedanken gelesen? Wenn sie ihm Lebewohl sagte, würde der Trennungsschmerz sie zerstören. Sie schüttelte den Kopf und war selbst nicht sicher, was die Geste bedeutete, Zustimmung oder Ablehnung.

„Versprecht Ihr das?“, beharrte er.

„Ich verspreche es“, antwortete sie.

Ein Geräusch draußen im Korridor ließ sie auseinanderfahren. War dort jemand? Catherine lauschte und hörte nichts mehr. Aber sie war aus ihrer Verwirrung und Benommenheit erwacht. Sie wusste, was sie hier taten, verstieß gegen die Regeln der Schicklichkeit, in wohlwollenden Worten ausgedrückt.

Catherine knickste vor Geoffrey. „Mylord, ich wünsche Euch noch einen guten Abend.“

„Bis morgen, Catherine“, entgegnete er und verbeugte sich höflich. Dann wandte er sich zum Gehen, ihr zuzwinkernd. Er war der Gleiche geblieben.

Im Mondschein hatte Catherine wie ein Engel ausgesehen. Als Geoffrey sie fand, wie sie dastand und hinauf in das helle Mondlicht schaute, wähnte sie sich unbeobachtet. War sie seit ihrem letzten gemeinsamen Aufenthalt in Greystone im Verhalten und im Äußeren verändert? Nein, wer sich geändert hatte, war er. Er sah diesen Ort und die Menschen, die hier lebten, mit anderen Augen.

Im vergangenen Jahr hatte er an seinem ersten Turnier teilgenommen und den Sieg davongetragen. Er hatte die Adelsfamilien kennengelernt, die seine Nachbarn sein würden, wenn er die Ländereien auf dem Kontinent übernahm. Sogar der Familie des französischen Königs war er vorgestellt worden. Und er hatte eine tiefe Enttäuschung erlebt, als er begriffen hatte, welche Pflichten ihm das Vermächtnis auferlegte. Der Erbe von Langier war in der Wahl seiner Gemahlin noch eingeschränkter, als es ein einfacher Ritter schon war.

Catherine, eine entfernte Cousine von Emalie, war Waise und nur mit einer kleinen Mitgift ausgestattet. Für Geoffrey Dumont, den jüngeren Bruder des Earl of Harbridge, der keine Ansprüche auf Titel und Ländereien hatte, mochte sie eine angemessene Braut gewesen sein. Als zukünftige Gemahlin des Comte de Langier kam sie jedoch nicht infrage. Keiner einflussreichen Familie angehörend, nur von geringem Stand, unvermögend und landlos, konnte Catherine nicht die Seine werden. Und darum, dass sie sich erniedrigte und ohne Eheversprechen zu ihm kam, würde er sie niemals bitten.

Das war ausgeschlossen, ganz gleich, wie sehr er sie begehrte. Und gleichgültig, wie groß seine Liebe zu ihr war. Dabei wusste er nicht einmal mit Gewissheit, dass sie seine Liebe auch erwiderte.

Was trieb ihn nur zu diesem Wahnsinn? Warum hatte er sie gebeten, ihm bei der Wahl seiner Braut behilflich zu sein? Warum ließ er zu, dass sie beide litten? Denn im Schmerz würde dieses Ansinnen enden.

Es war ihm unmöglich, Catherine einfach gehen zu lassen. Er wollte Zeit gewinnen, eine letzte Frist, die er mit ihr verbrachte, mit seiner großen Liebe. Anschließend verließ er England und führte seine Gemahlin heim, um sich mit ihr im Poitou niederzulassen. Das war die beste Lösung für alle Beteiligten. An diese erste Liebe würde er sich immer erinnern. Von seiner zukünftigen Gemahlin aber durfte er sich nicht mehr erwarten als Zuneigung. Tiefe Gefühle waren in einer Ehe, die aus politischen Gründen geschlossen wurde, ein zu seltenes Geschenk. Noch während er nachdachte, wurde ihm klar, wie heuchlerisch dieses Leben sein würde.

Nein, er wollte sich nicht selbst belügen. Er war entschlossen, Catherines Nähe zu suchen, wann immer er konnte. Und ihre Einwilligung, ihm bei der Brautwahl zu helfen, diente ihm als Vorwand, bei ihr zu sein, solange es irgendwie ging. Danach trennten sich ihre Wege. Die vor ihm liegende Woche mochte schwer werden, aber er stand sie durch. Er würde bei Catherine sein. Dieses Glück war jeden Schmerz wert.

Geoffrey durchquerte die Große Halle und ging in seine Gemächer.

„Sie lieben sich.“

„Das ändert nichts an den Entscheidungen, die getroffen werden müssen.“

Emalie holte seufzend Luft. Wie konnte ihr Gemahl so starrköpfig sein, vor allem nach den Prüfungen, die sie selbst durchlitten hatten? Sie stand mit ihm im Schatten einer Mauer und wandte sich zur Seite, um ihn anzusehen. Dabei überlegte sie, wie sie am besten vorging.

„Liebe bedeutet dir gar nichts?“ Noch immer hatte er diesen Charakterfehler. Manchmal musste sie ihn aus seinem Hochmut aufrütteln, damit er bereit war, auch den Wert der nicht greifbaren Dinge anzuerkennen, die ihn umgaben.

„Für deine Liebe habe ich alles getan. Das weißt du. Und Geoffrey wird es wie uns ergehen. Auch wir sind erst ein Liebespaar geworden, nachdem wir vermählt waren. Wenn sich mein Bruder bei dieser Brautbeschau unserer Führung anvertraut und eine gute Wahl trifft, wird die Liebe nicht auf sich warten lassen.“ Christian streckte ihr den Arm hin, und sie legte ihre Hand darauf.

Wieder seufzte sie. Wie konnte ein Mann, der so klug und mächtig war, ein solcher Narr sein? Sie hatte gleich zu Beginn gespürt, was geschehen würde, als Catherine zum ersten Mal aus dem Kloster zu Besuch auf die Burg gekommen war und dort mit Geoffrey zusammentraf. Sie waren zwei Hälften einer Seele, dazu bestimmt, eine Einheit zu bilden. Wie konnte ihr Gemahl blind dafür sein?

„Du bist so still, meine Gemahlin. Das lässt nichts Gutes ahnen, fürchte ich.“

„Sie war ein Opfer, wie viele andere, Christian. Willst du auch sie für seine Untaten verantwortlich machen?“

„Sie hat keine Familie …“, hob er an. Emalie wollte ihn belehren, doch sie sah seinen wachsenden Zorn.

„Sie hat keine Familie, ist ohne Vermögen und ohne gesellschaftliche Stellung. Sie ist keine angemessene Braut für meinen Bruder.“

Emalie setzte zu einer Antwort an, doch Christian brachte sie mit ausgestrecktem Zeigefinger zum Schweigen. „Ich warne dich, Gemahlin. Lasse dir nicht einfallen, dich hier einzumischen oder mir zu widersprechen. Ich habe meine Grenzen.“

Sie wandte den Blick von ihm ab und ließ sich ohne weitere Gegenrede zu ihren Gemächern führen. Dieses Mal hatte er gewonnen, doch das letzte Wort sprach sie. Catherine hatte viel gelitten und verdiente nicht, wegen ihres Bruders in Unehre gehalten zu werden. Auch der Umstand, dass sich seine Taten gegen Emalie selbst gerichtet hatten, änderte daran nichts.

An der Tür zu ihren eigenen Räumen blieb Emalie stehen und versperrte ihrem Gemahl den Weg ins Schlafgemach. Seine Verblüffung war deutlich erkennbar. Vielleicht dachte er noch einmal über die herzlosen Worte und seine harte Haltung nach.

„Auch nach drei gemeinsamen Jahren und vielen Fortschritten bist du noch immer ein stolzer selbstgefälliger Mensch.“

Sie zwang sich, nicht zu lachen, als sie seinen erstaunten Gesichtsausdruck sah, und warf die Tür hinter sich zu.

4. KAPITEL

Melissande.

Marguerite.

Mathilde.

Maude.

Melissande, Marguerite, Mathilde und Maude. Diese Reihe ließ Befürchtungen für den Verlauf der Brautbeschau in ihm aufkommen. Nur mit Mühe konnte er sich die einzelnen Namen merken und musste nun, nachdem er den jungen Frauen vorgestellt worden war, auch noch das jeweils passende Gesicht im Gedächtnis behalten.

Die Frauen, die nach Greystone geladen waren und in die engere Wahl kamen, trugen offenbar alle einen Namen mit M. Sogar er wusste, dass es nicht nur diesen Buchstaben im Alphabet gab. Gewiss hätte Emalie Bewerberinnen finden können, deren Vornamen mit unterschiedlichen Buchstaben begannen.

„Nein, Mylord. Bei meiner Suche nach möglichen Bräuten habe ich mich nicht auf diesen einen Buchstaben beschränkt. Das kommt Euch nur so vor.“

Verblüfft stellte er fest, dass er seine Beschwerde laut ausgesprochen hatte. Um Emalies Mundwinkel spielte ein schelmisches Lächeln, und in ihren Augen stand ein Glimmen. Dieser Ausdruck musste etwas zu bedeuten haben. Was hatte sie vor? Wollte sie ihn verwirren? Handelte sie aus Übermut?

„Ihr spracht von sechs Brautbewerberinnen. Zwei scheinen zu fehlen.“

Autor

Terri Brisbin
Das geschriebene Wort begleitet Terri Brisbin schon ihr ganzes Leben lang. So verfasste sie zunächst Gedichte und Kurzgeschichten, bis sie 1994 anfing Romane zu schreiben. Seit 1998 hat sie mehr als 18 historische und übersinnliche Romane veröffentlicht.
Wenn sie nicht gerade ihr Leben als Liebesromanautorin in New Jersey genießt, verbringt sie...
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