Der gewagte Antrag

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Auf der Reise zu seinem Landsitz von Banditen überfallen, findet sich Lord Halstead auf Gut Campions wieder - ohne Gedächtnis. Er erinnert sich nicht, wer er ist, und erkennt auch seine bezaubernde Gastgeberin Elinor, Countess of Malplaquet, nicht. Während er sich im winterlichen Yorkshire auf ihrem Gestüt nützlich macht, entbrennt er in heißer Liebe zu der schönen Lady. Und muss sich eingestehen, dass sie für ihn, den Fremden ohne Namen, völlig unerreichbar ist ...


  • Erscheinungstag 10.12.2012
  • ISBN / Artikelnummer 9783955760953
  • Seitenanzahl 192
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Paula Marshall

Winterträume voller Sehnsucht – Der gewagte Antrag

Roman

Gefährliche Reisen in das Land der Liebe!

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MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2012 by MIRA Taschenbuch
in der Harlequin Enterprises GmbH

Titel der englischen Originalausgabe:

My Lady Love

Copyright © 1993 by Paula Marshall

Übersetzung von Hartmut R. Zeidler

erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London

Published by arrangement with

HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln

Titelabbildung: Harlequin Enterprises S.A., Schweiz

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN eBook 978-3-95576-095-3

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund
www.readbox.net

1. KAPITEL

“Was war nur in dich gefahren, Charles?”, fragte Guy kopfschüttelnd. “Wie konntest du dich so aufführen? Ein solches Verhalten sieht dir doch überhaupt nicht ähnlich! Aber dein Benehmen bei Watier, noch dazu vor Trenchard, war wirklich der Gipfel! Hörst du mir eigentlich zu, Charles? Um vier Uhr nachmittags kannst du doch nicht immer noch betrunken sein!”

Charles Augustus Shadwell, Viscount Halstead, Erbe des dritten Earl of Clermont, einst Captain der Kavallerie unter Wellington und seit fünf Jahren außer Dienst, war bemüht, sich im Bett aufzurichten, doch vergebens. Alles drehte sich ihm vor den Augen; der Mund war ausgetrocknet, und im Magen hatte er ein abscheuliches Gefühl. “Musst du solchen Lärm machen?”, murmelte er und stöhnte laut.

“Lärm?”, wiederholte Guy indigniert. “Und ich habe stets von dir gedacht, du würdest nicht trinken, zumindest nicht seit deinem Eintritt in die Armee! Welcher Teufel hat dich gestern Abend geritten? Ganz London weiß bereits Bescheid, und Trenchard war, was dich nicht wundern darf, längst bei Vater und hat ihm alles brühwarm berichtet.”

“Was denn?”, brummte Charles, setzte sich seufzend auf und merkte, dass er sich nachts in trunkenem Zustand vollbekleidet hingelegt hatte. “Weshalb hältst du mir eigentlich eine Standpauke, Guy? Um Himmels willen, lass die Vorhänge zu, wenn dir noch ein Funke Zuneigung für mich geblieben ist! Im Dunklen geht es mir schon schlimm genug, doch im Hellen …”

“Ach, halt den Mund!”, herrschte Guy ihn an und zog mit einem Ruck die Portièren zurück. Bei Licht betrachtet, bot der stets von ihm verehrte Bruder in der unordentlichen, abstoßend fleckigen Kleidung einen jämmerlichen, bleichen und übernächtigten Anblick. Guy war zutiefst erschüttert und machte keinen Hehl aus seiner Meinung.

Charles versuchte, sich zu entsinnen, was er gesagt oder getan haben sollte, das den im Allgemeinen respektvollen Bruder so gegen ihn aufgebracht haben konnte. Er konnte sich nur erinnern, dass er am vergangenen Nachmittag wutschnaubend und außer sich vor Zorn Miss Mertons Haus verlassen hatte. Danach musste er sich sinnlos betrunken und etwas Furchtbares angestellt haben, das Guys Worten zufolge offenbar einen gewaltigen Aufruhr erzeugt hatte. Doch was das sein konnte, hatte er längst vergessen. Von dem Augenblick an, da die Tür zu Miss Mertons Salon mit lautem Knall hinter ihm zugefallen war, hatte er eine Gedächtnislücke, als sei nie etwas geschehen.

Von Charles enttäuscht, äußerte Guy mit bekümmerter Miene: “Vater will dich umgehend sehen. Du meine Güte, Charles! Warum musstest du das tun, ausgerechnet jetzt, da ihr wieder einigermaßen miteinander auskommt? Und was soll Miss Merton denken, wenn sie die Neuigkeit erfährt?”

“Ich gebe keinen Deut darum, was sie denkt!”, antwortete Charles schroff, stand auf und torkelte zum Pilasterspiegel. Was er sah, verursachte ihm Entsetzen. Die kurzen schwarzen Locken hingen ihm zerzaust in die Stirn; die Augen waren rotgerändert und blutunterlaufen, und das markante, jetzt eingefallen wirkende Gesicht hatte eine ungesunde, beinahe gelbliche Blässe. So, wie er sich im Moment präsentierte, musste er jeden abschrecken. Ihm konnte das nur recht sein, denn je mehr Frauen sich voll Grausen von ihm abwandten, desto wohler war ihm ums Herz. In den vergangenen Jahren hatte er viel zu sehr im Mittelpunkt ihres Interesses gestanden, und jede von ihnen war im Grunde ihres Herzens ein leichtfertiges Weib gewesen. Julia Merton war nur die letzte in dieser lange Reihe gewesen, so wahr Gott ihm helfe.

Guy hörte nicht auf, den Bruder mit Vorwürfen zu überschütten und im Zimmer auf und ab zu gehen.

“Sei endlich still!”, knurrte er barsch und wankte zum Toilettentisch. Er goss kaltes Wasser aus der Porzellankanne in die Waschschüssel und tauchte das Gesicht ein. Vielleicht half es, ihm einen klareren Kopf zu verschaffen, und außerdem entging er des Bruders ewigen Tiraden. Nach einem Moment straffte er sich, schüttelte sich die Nässe aus den Haaren und murrte: “Hab wenigstens die Güte, Guy, mir zu erklären, was ich gemacht habe oder angeblich gesagt haben soll!”

“Von angeblich kann nicht die Rede sein!”, erwiderte Guy erbost. “Ich weiß, wovon ich rede! Schließlich war ich ja da! Und wer, glaubst du, hat dich heimgebracht und Ulric Tallboys davon abgehalten, dich auf der Stelle umzubringen?”

“Meinen herzlichsten Dank!”, knurrte Charles, ergriff den Bruder bei den Schultern und schüttelte ihn kräftig. “Willst du mir jetzt endlich sagen, was ich getan haben soll? Oder muss ich dich so lange beuteln, bis dir die Worte von allein über die Lippen kommen? Ich möchte unverzüglich wissen, wessen ich beschuldigt werde.”

“Das weißt du wirklich nicht?”, wunderte Guy sich keuchend und war froh, dass Charles ihn losließ. “Gestern bist du bei Watier erschienen, warst bereits halbbetrunken und konntest dich kaum noch auf den Beinen halten. Du hast wie ein Verrückter gespielt, und dann …”

“Oje!”, stöhnte Charles auf und sank matt auf das Bett. “Das genügt, Guy. Leider erinnere ich mich nun an alles.”

“Puh, welche Erleichterung!”, murmelte Guy, ging zum Toilettentisch und goss Wasser in ein Glas. Er kehrte zum Bruder zurück, reichte es ihm und forderte ihn auf: “Hier, trink das! Danach wirst du dich wohler fühlen.”

“Nichts kann mir helfen, mich je wieder in Ordnung zu fühlen”, meinte Charles niedergeschlagen. Er bedauerte, dass er schuld war an Guys unübersehbarem Ärger. Mit neunzehn Jahren war der Bruder elf Jahre jünger als er und hatte stets bewundernd zu ihm aufgeschaut. Vielleicht lag es daran, dass sie beide im Äußeren und im Wesen so unterschiedlich waren. Er ähnelte seinem Vater, während Guy blond war, schlank und reichlich schüchtern.

“Ich werde deinem Kammerdiener läuten”, sagte Guy entschlossen. “Du solltest dich herrichten lassen, wenn du zu Vater willst. Im Augenblick siehst du furchtbar zerknittert und mitgenommen aus.”

Charles hatte nichts dagegen, dass der Bruder ihn kommandierte. Guy hatte ihn gern, immer seine Partie ergriffen und auch jetzt nur die besten Absichten.

Einige Zeit später stand er wartend im Gang vor den Gemächern des Vaters, dessen Sekretär ihm mit Leichenbittermiene mitgeteilt hatte, dass Seine Lordschaft noch beschäftigt sei, den Sohn jedoch in Kürze empfangen werde. Er war sicher, dass der Vater ihn absichtlich hinhielt. In Anbetracht dessen, was tags zuvor bei Watier geschehen war, hatte er wohl keine bessere Behandlung verdient. Als der Sekretär ihn schließlich in das Arbeitszimmer bat, war er nicht überrascht, den Vater in starrer Haltung vor dem Schreibtisch stehen zu sehen, hinter dem das wundervolle Porträt der verstorbenen Mutter an der Wand hing.

“Du weilst also wieder unter den Lebenden”, stellte George Shadwell, Earl of Clermont, in ironischem Ton fest. “Stimmt es, was ich von Trenchard gehört habe?”

“Da mir nicht geläufig ist, was er dir berichtet hat, finde ich deine Frage schwer zu beantworten.”

“Lass die Wortklauberei, Charles! Ich spreche von deinem gestrigen Besuch bei Watier. Du hast eine abscheuliche Wette abschlossen und dich über deren Anlass auch noch in der peinlichsten Weise lustig gemacht. Das ist wahrlich nicht das Benehmen, welches ich von meinem Sohn und Erben verlangen kann!”

Seit dem vergangenen Abend hatte Charles' Selbstvertrauen sehr gelitten. Daher unternahm er keinen Versuch, sich zu verteidigen, sondern erwiderte nur verbittert: “Ich habe nie aufgehört, den Tag zu verfluchen, an dem ich dein Erbe wurde. Gott weiß, wie hart ich mich bemüht habe, Fredericks Platz auszufüllen, doch dir kann ich nie etwas recht machen. In deinen Augen ist Frederick unvergleichlich.”

“Was du in der Tat nicht bist!”

Charles hatte den Eindruck, dass er sich nun doch etwas zur Wehr setzen müsse. “So, wie du mich siehst, wohl nicht”, entgegnete er kühl. “Aber Fredericks Tod hat mir nicht nur den Bruder genommen, dem ich in der Erbfolge keineswegs folgen wollte, sondern mich auch meiner Karriere in der Armee beraubt. Beim Militär habe ich mich sehr wohl gefühlt und hatte mir auch bereits einen Namen gemacht. Vergiss das bitte nicht!”

“Ach, was!”, sagte George schroff. “Mein Erbe konnte nicht bei der Kavallerie bleiben, und außerdem ist der Krieg vorbei. Du wurdest hier gebraucht, damit du lerntest, den Besitz vernünftig zu verwalten.”

“Darum habe ich mich nach Kräften bemüht”, erwiderte Charles fest. “In dieser Hinsicht hast du nicht den geringsten Grund zur Klage. Green hat dir gewiss nicht nur über meine Tüchtigkeit berichtet, sondern auch von den in Pinfold eingeführten Neuerungen. Indes, Frederick kann ich natürlich nicht ersetzen, und das ist der wahre Grund, warum es ständig Spannungen zwischen dir und mir gibt. Lediglich in der Zeit, als ich beim Militär war, hatten wir keinen Streit.”

George fand, dass sein Sohn nicht ganz unrecht hatte, ließ sich jedoch nicht anmerken, was er dachte. “Du warst immer ein ungebärdiger, wilder Junge, Charles”, äußerte er und zeigte offen seine Geringschätzung für den zweitältesten Sohn. “Und dann ist aus dir ein zügelloser, eigensinniger Mann geworden. Isabella hast du gegen meinen Willen geheiratet, und du weißt selbst, zu was das geführt hat. Deine …”

Charles spürte, dass ihm das Blut aus den Wangen wich.

“Erspar mir das”, unterbrach er den Vater. “Dafür habe ich wahrlich teuer genug bezahlt. In den fünf Jahren seit Fredericks Tod habe ich mich eines mustergültigen Lebenswandels befleißigt und mich ganz deinen Wünschen gefügt. Warum veranlasst dich der gestrige Zwischenfall, der erste Fauxpas nach so langer Zeit, mich heute so abzukanzeln? Ich bedauere ihn mehr als du.”

“Weil ich mit Sir Chesney Beaumont, dem Onkel der Dame, deren Namen du gestern in deinem trunkenen Zustand besudelt hast, über eine Ehe mit dir gesprochen habe und mit ihm einig geworden bin. Wir hatten vereinbart, dass er zu Lady Malplaquet nach Yorkshire fährt und ihr heute den Vorschlag unterbreitet, derweilen ich zum gleichen Zeitpunkt mit dir rede. Du hingegen warst nicht ansprechbar, da du deinen Rausch ausschlafen musstest.”

Zum ersten Male verlor Charles die Fassung. “Habe ich richtig gehört?”, fragte er entgeistert. “Du hast für mich eine Ehe mit der Countess of Malplaquet eingefädelt, ausgerechnet mit ihr, ohne mich vorher zu informieren? Du erwartest, dass ich sie heirate, nur weil du es so willst?”

“Ich sehe, es war ein Fehler”, gestand George frostig. “Ich bin davon ausgegangen, dass du dich wie Frederick verhalten hättest und meine Wünsche dir Befehl gewesen wären. Er hätte diese exzellente Partie nie ausgeschlagen. Durch die Trauung mit Lady Malplaquet wärest du zum reichsten Manne im Lande geworden.”

“Du machst es dir sehr einfach!”, entgegnete Charles erbost. “Eine Diskussion gibt es nicht. Entweder ich füge mich, oder ich falle in Ungnade, nicht wahr? Du wusstest doch, dass ich mich für Miss Merton interessierte und die Absicht hatte, mich mit ihr zu vermählen. Jedenfalls bis gestern.”

“Ach, für mich stand diese Verbindung nie zur Debatte”, erwiderte George achselzuckend. “Ich habe darin nur einen weiteren Beweis gesehen, dass du deine jugendlichen Torheiten noch immer nicht abgelegt hast. Du brauchst eine zuverlässige, solide Frau, die dich zur Vernunft bringt. Doch nun frage ich mich, was Lady Malplaquet wohl vom Heiratsantrag eines Mannes halten würde, der ihren Namen in einem Spielclub durch den Schmutz gezogen hat. Warum hast du ausgerechnet sie zur Zielscheibe deines Hohnes erkoren?”

Charles wusste nicht, was er antworten solle. Jedes Wort hätte die Sache gewiss nur noch schlimmer gemacht. Er war stets auf seine Selbstbeherrschung stolz gewesen und schämte sich nun des taktlosen Verhaltens, das er bei Watier an den Tag gelegt hatte. “Es heißt”, sagte er steif, “Lady Malplaquet sei eine alte Jungfer und ein Blaustrumpf, die ein Gesicht habe, das Pferde abschrecken könne. Außerdem soll sie so sittsam sein, dass vor ihrer Tugend jeder Mann zu Eis erstarrt. Ihr überaus tadelloser Ruf hat mich gestern dazu gebracht, meinen zu verlieren.”

“Allerdings!”, bestätigte George in kaltem Ton. “Trenchard hat mir berichtet, du habest eine ungeheure Summe … zwanzigtausend Pfund, wenn ich mich recht erinnere … darauf gewettet, dass keine Frau so anständig sein könne und selbst Lady Malplaquet, dieses deiner Meinung nach lächerliche Musterbeispiel an Sittenstrenge, sich deinen Wünschen fügen würde, solltest du sie in Versuchung bringen.”

Im Stillen schickte Charles ein Stoßgebet zum Himmel, Gott möge ihm das scheußliche Betragen vergeben. Wahrscheinlich war der Anlass die grausame Erkenntnis gewesen, dass ihn zum zweiten Male eine Frau, die ihn seiner Überzeugung nach liebte, betrogen hatte. Und dann hatte er in trunkenem Zustand mit anhören müssen, wie Bobus Beaumont, der Vetter der Countess of Malplaquet, ihre Vorzüge verherrlichte. Er entsann sich, dass er geäußert hatte, alle Frauen, selbst die hochstehendsten, seien leichtfertige Weiber.

“Du hast allen Grund, beschämt zu sein, Charles!”, fuhr George in abfälligem Ton fort und gab sich keine Mühe, die Verachtung zu verbergen, die er stets für den unwürdigen Nachfolger seines geliebten Frederick empfunden hatte.

In gleichem Maße wie die Nachwirkungen des nach jahrelanger Abstinenz allzu großen Alkoholgenusses am vergangenen Abend hatte Charles jetzt der abweisende Klang der Stimme des Vaters frösteln gemacht.

“Und nun hast du die Pflicht, die Dinge wieder in Ordnung zu bringen!”, sagte George herrisch. “Noch ist vielleicht nicht alles verloren. Ich werde meinen ganzen Einfluss einsetzen, um deine neueste Torheit zu vertuschen, noch ehe sie Lady Malplaquet zu Ohren gelangt. Du wirst umgehend zu ihr reisen und um ihre Hand anhalten. Ein in allen Ehren vorgebrachter Heiratsantrag wird gewiss dein widerwärtiges Betragen gutmachen.”

“Bist du nicht mehr ganz bei Trost?”, wunderte sich Charles und starrte verblüfft den Vater an. “Was sollte meinen Fauxpas je aus der Welt schaffen können? Im Übrigen habe ich nicht die Absicht, Lady Malplaquet um ihre Hand zu bitten. Ich will sie nicht zur Gattin, selbst wenn man sie mir auf einem silbernen Tablett servieren würde. Mehr noch, ich verspüre nicht den Wunsch, überhaupt noch einmal zu heiraten.”

“Du wirst tun, was ich anordne”, entgegnete der Earl schroff. “Oder ich enterbe dich. Wie du sehr wohl weißt, ist Clermont kein festvererbliches Grundeigentum. Nach Fredericks Tod habe ich ohnehin bereits mit dem Gedanken gespielt, dich zu übergehen und Guy an deine Stelle zu setzen. Ich habe es jedoch aus Ehrgefühl unterlassen. Solltest du dich mir jetzt widersetzen, dann werde ich …”

“Du bist nicht gezwungen, irgendetwas zu tun”, fiel Charles zornig dem Vater ins Wort. “Fünf Jahre lang habe ich wie ein Verrückter geschuftet, um das Durcheinander, das Frederick bei der Verwaltung von Clermont angerichtet hat, in Ordnung zu bringen. Das kann Green dir bestätigen. Früher wollte ich dir das nie sagen, doch unter diesen Umständen …” Angesichts der betroffenen Miene des Vaters hielt Charles inne. Er konnte ihm nicht die ganze Wahrheit über den verstorbenen Bruder erzählen. Das würde dem Vater das Herz brechen. “Tu, was du nicht lassen kannst”, fuhr er ruhiger fort. “Ich werde mich nach Glen Ruadh zurückziehen, das Mutter mir vererbt hat und das du mir nicht nehmen kannst. Mit Clermont kannst dann nach deinem Gutdünken verfahren.”

“Das kleine Gut in Schottland wird dir das verschwenderische Leben nicht finanzieren können, das du in London führst”, gab George dem Sohn kühl zu bedenken.

“Darauf lege ich es gar nicht an”, entgegnete Charles gereizt. “Du kennst mich nicht, Vater! Wahrscheinlich kehre ich zur Kavallerie zurück. In der Armee war ich wenigstens glücklich. Ich hätte den Dienst nie quittieren dürfen.”

“Solltest du diesen Raum verlassen, ohne dich meinen Lady Malplaquet betreffenden Wünschen zu fügen, kannst du dich meinetwegen zur Hölle scheren!”, erwiderte George barsch.

“Mit dem größten Vergnügen! Und da Lady Malplaquet dich offenbar so bezaubert hat, schlage ich vor, dass du sie zu deiner Gemahlin machst!” Brüsk drehte Charles sich um und stürmte aus dem Arbeitszimmer. Er hatte angenommen, dass durch seinen fünfjährigen hingebungsvollen Einsatz für den Besitz es dem Vater möglich gewesen war, den Verlust des ältesten Sohnes zu verwinden und sich mit Nachfolge des Zweitgeborenen abzufinden. Doch nun hatte er begriffen, dass er einem Irrtum erlegen war. Aufgrund seines unüberlegten gestrigen Benehmens hatte sich an der Einstellung des Vaters zu ihm nichts geändert. Er bedauerte nur, dass er unter den gegebenen Umständen auf Guys Gesellschaft würde verzichten müssen.

Guy erwartete ihn in der Halle und verlor die Farbe, als er Charles sah. “Oh, nein, Shad!”, sagte er bestürzt und benutzte vor Schreck den Kosenamen aus der Kindheit, mit dem er den Bruder schon lange nicht mehr angesprochen hatte. “Wie ich sehe, hast du dich hoffnungslos mit Vater entzweit!”

“Ja, so sehr, dass er mich enterbt hat. Er will, der Himmel möge es verhüten, dass ich die Countess of Malplaquet heirate. Ohne mich vorher zu Rate zu ziehen, hat er die Angelegenheit hinter meinen Rücken betrieben. Ich habe jedoch abgelehnt und mich entschlossen, sofort nach Schottland abzureisen und nie mehr herzukommen. Mit dir werde ich indes in Verbindung bleiben. Tu für Vater, was du kannst. Er lebt nicht in der Realität, sondern in einer Welt, wie er sie sich vorstellt. Zum anderen hängt Fredericks Schatten noch immer über mir.”

“Dann werde ich Vater die volle Wahrheit über unseren Bruder erzählen, da du dich dazu offenbar nicht überwinden konntest.”

“Das wirst du nicht!”, entgegnete Charles heftig und ergriff Guy bei den Schultern. “Für ihn wäre das ein furchtbarer Schlag, den er nie überstehen würde.”

“Hat er dir denn keinen versetzt, Shad?”, fragte Guy ärgerlich. “Hast du ihn immer noch gern, obgleich er dreißig Jahre lang an dir herumgenörgelt und dich schlecht behandelt hat? Hoffst du etwa, er würde dich doch noch ins Herz schließen? Unfassbar!”, fügte Guy kopfschüttelnd hinzu. “Dich mit Lady Malplaquet verheiraten zu wollen!”

“Nein, ich mache mir keine Illusionen mehr, dass er die Einstellung zu mir ändert”, sagte Charles bitter. “Ich hätte der Kavallerie nie den Rücken kehren sollen, doch ich war des Glaubens … Ach, zum Teufel mit meinen damaligen Ansichten! Die Geschichte ist ein für alle Mal vorbei, und das tut mir nicht einmal leid.” Charles wandte sich ab, ging die Treppe hinauf und rief nach seinem früheren Burschen und jetzigem Kammerdiener. Als Vinnie hastig herbeieilte, befahl er ihm, so schnell wie möglich seine Sachen für die Reise zu packen und ihn nach Glen Ruadh zu begleiten. Jahrelang hatte er versucht, mit seinem Vater ins reine zu kommen, doch nun waren seine Hoffnungen zu Asche zerfallen.

Elinor meinte, sich verhört zu haben, und schaute entgeistert den im Türkischen Salon vor ihr stehenden Bruder der Mutter an.

Schloss Campions lag am Rande der Moore von Yorkshire, war über dreihundert Jahre alt und beherrschte nicht nur die es umgebende Landschaft, sondern auch das Leben all derer, die in der Nähe wohnten. Der Salon, über dessen Kamin der Wahlspruch der Tallboys “Wie der Anfang, so das Ende” auf dem marmornen Wappen eingraviert war, wurde so genannt, weil ihn viele Kunstgegenstände schmückten, die ein früherer Earl of Malplaquet während seiner Zeit als Botschafter aus der Türkei mitgebracht hatte.

Manchmal war Elinor, durch Erbrecht Countess of Malplaquet, Viscountess Wroxton und Baroness Sheveborough, Herrin des Besitzes in Yorkshire und vieler anderer Anwesen, zudem in einem alle Vorstellungen übersteigenden Maße reich, der Meinung, sie sei das einzige, was im ganzen Haus nicht als Kunstwerk bezeichnet werden konnte. Sie fand sich nicht hübsch und trug meistens schlichte Kleider. Auch heute hatte sie sich für ein graues Gewand entschieden, dessen einziges modisches Zugeständnis ein kleiner Rüschenkragen war. Die Locken hatte sie sich zu einem einfachen Knoten frisieren lassen und auf jede Art von Schmuck verzichtet.

“Nein, nie und nimmer!”, antwortete sie nach einer Weile. “Und das ist mein letztes Wort in dieser Angelegenheit, Onkel Chesney!”

Er begriff ihren Starrsinn nicht und gab ihr zu bedenken: “Du solltest dir die Sache noch einmal gut überlegen. Wirklich!”

“Nein!”, wiederholte sie mit Nachdruck. “Ich denke nicht daran, sie noch einmal in Betracht zu ziehen. Ich habe nicht die Absicht zu heiraten, und schon gar nicht, das Angebot eines Mannes zu berücksichtigen, dessen Sohn mir nie begegnet ist und den ich auch nicht kennenlernen will.”

“Aber du musst dich vermählen, meine liebe Elinor”, wandte Chesney ein.

Sie war ein selbstbewusster, entschlossener Mensch, den selten etwas umstimmen konnte. “Ich muss?”, fragte sie und lächelte flüchtig. “Des Wortes müssen solltest du dich in Bezug auf mich enthalten.”

Ihr Lächeln nahm der Antwort die Schärfe, doch Chesney merkte, dass sie sich, wie immer, nicht beeinflussen ließ. “Also gut”, murmelte er gequält, “dann werde ich auf dieses Wort verzichten. Du bist jedoch siebenundzwanzig Jahre alt und brauchst einen Gatten, damit deine Güter und Titel einen Erben bekommen. Du willst doch gewiss nicht, dass alles an Ulric fällt.”

“Keinesfalls!”, erwiderte Elinor und dachte voll inneren Schauderns an ihren Cousin, der durch seinen verschwenderischen Lebenswandel bereits seinen Besitz an den Rand des Ruins gebracht hatte. Es war kaum auszudenken, was geschehen würde, konnte er die Hand auf ihr Vermögen legen.

“Was hält dich dann davon ab, mit jemandem die Ehe zu schließen?”, wunderte sich Chesney und fügte bekümmert hinzu: “Deine Besitztümer benötigen einen Herrn.”

“Ach, wirklich?”, fragte Elinor in ironischem Ton. “Hast du dich eigentlich schon einmal bei Henson erkundigt, wie es im Vergleich zu Großvaters Einnahmen um meine Einkünfte bestellt ist, seit ich nach seinem Tod die Zügel in die Hand genommen habe? Wenn seine Geschäftsführung ein Beispiel dafür ist, wie ein Mann sie betreibt, dann ziehe ich es vor, meine eigene Herrin zu sein.”

Darauf wusste Chesney nichts zu erwidern. Ihm war zu gut bekannt, dass die Güter um ein Zehnfaches ertragreicher geworden waren, seit seine Nichte im Alter von einundzwanzig Jahren geerbt und mithilfe des von ihr bestallten Verwalters die Kontrolle über ihre ausgedehnten Ländereien übernommen hatte. “Trotzdem bitte ich dich”, sagte er nach kurzer Pause eindringlich, “das Angebot des Earl of Clermont, seinen Sohn Charles, Viscount Halstead, zu heiraten, nochmals einer gründlicheren Prüfung zu unterziehen. Dieser Antrag ist wirklich sehr ehrenvoll für dich!”

“Und nur dazu gedacht, möglichst ehrenvoll an meinen Besitz zu gelangen”, entgegnete Elinor trocken. “Was ich über Halstead weiß, nimmt mich nicht für ihn ein. Er hat eine misslungene Ehe hinter sich, tötete den Liebhaber seiner Gattin im Duell, ist mit seinem Vater entzweit und …”

“Du bist nicht ganz auf dem laufenden”, unterbrach Chesney hastig. “Inzwischen hat er sich mit ihm versöhnt und lernt, die Geschäfte seines Vaters zu führen.”

“Dann ist es nicht nötig, dass er sich bei mir in der Administration mehr Routine verschafft”, erwiderte Elinor kühl. “Ein Mann wie er, der arrogant, reizbar und unbeherrscht sein soll, ist wahrlich nicht der Gatte, den ich mir wünsche. Ich danke dir, Onkel Chesney, für deine Bemühungen, aber meine Antwort auf dein Ansinnen lautet nach wie vor nein!”

“Empfange Halstead doch wenigstens einmal, wie sein Vater vorgeschlagen hat”, bat Chesney verzweifelt. “Entweder hier oder an einem anderen dir genehmen Ort. Nur, damit du siehst, ob ihr zusammenpasst.”

“Nirgendwo!”, weigerte Elinor sich erneut in keinen Widerspruch duldendem Ton. “Und dabei bleibt es! Halstead ist der letzte, mit dem ich verheiratet sein möchte. Ich würde ihn nicht nehmen, und brächte er ein komplettes Königreich in die Ehe ein. Nicht einmal dann, wenn er vor mir auf den Knien läge.”

Leise aufstöhnend, schüttelte Chesney fassungslos den Kopf.

“Gib doch zu, Onkel, dass der einzige Grund, warum jemand mich zur Gemahlin will, sein Wunsch ist, an mein Vermögen zu kommen”, fuhr Elinor unbeirrt fort. “Welcher Mann, der seine Sinne beisammen hat, würde eine hässliche alte Jungfer wie mich haben wollen? Du selbst hast mir mit deiner Argumentation bestätigt, dass ich recht habe. Du hast mir stets nur mit dem Hinweis zur Ehe geraten, ich hätte an das Wohl meiner Besitztümer und die Erbfolge zu denken.”

“Diese Bemerkung war unfair!”, warf Chesney rasch ein.

“Unfair?”, wiederholte Elinor, hob die Brauen und erblickte sich im gleichen Moment in dem herrlichen, über dem Kamin hängenden venezianischen Spiegel. Sie war tatsächlich keine schöne Frau. Das Gesicht war zu grobgeschnitten, zu kantig, und die Statur zu groß. Obendrein war sie viel zu langweilig gekleidet. Nur die grauen Augen und der Glanz der kastanienbraunen Locken milderten etwas die strenge Wirkung ihrer Erscheinung. “Weißt du, Onkel Chesney”, sagte sie und richtete wieder den Blick auf ihn, “mir ist seit Langem klar, dass ich nur eine Vernunftehe eingehen werde. Aber ich möchte zumindest die Möglichkeit haben, mir den Gatten auszusuchen.”

“Und wie willst du das?”, fragte Chesney, verärgert über die Starrköpfigkeit der Nichte. “Du hast ja ständig nur die Dienstboten um dich, dazu den alten Challenor, den noch älteren Payne und den nicht mehr jungen Henson, desweiteren die liebedienerischen Lakaien, angeführt von dem betagten Aisgill, der deine ganz besondere Wertschätzung genießt. Du lebst wie eine Einsiedlerin”, fügte Chesney hinzu und verzog abfällig die Lippen. “Wie willst du dir einen Gemahl suchen, wenn du nie in die Öffentlichkeit gehst oder gestattest, dass ein Verehrer dich hier aufsucht? Lass wenigstens Halstead herkommen und rede mit ihm. Vielleicht versteht ihr euch. Er war früher bei der Kavallerie und soll ein vernünftiger Mann sein, dessen Qualitäten nicht nur von seinem Vater unterschätzt werden.”

“Ich bin mit dem, was ich habe, zufrieden. Ich will keine Besucher, weder weibliche noch männliche. Du vergisst, dass Tante Annabelle bei mir lebt und ich genug damit zu tun habe, mich um den Besitz zu kümmern.” Elinor wandte sich ab, weil ihr unwillkürlich die Augen feucht wurden. Nach einer vergeblichen Londoner Saison vor neun Jahren und einem halben Dutzend abgewiesener Verehrer, deren heuchlerische Beweggründe sie tief verletzt hatten, war sie zu dem Entschluss gelangt, sich in die Abgeschiedenheit von Campions zurückzuziehen und nie mehr am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Sie war Waise, seit die Eltern vor Jahren bei einem Schiffsunglück ertrunken waren, und der Tod des Großvaters nach langer Krankheit hatte sie in dem Wunsch bestärkt, nie mehr nach London zu fahren. Annabelle Conybeare, ihre Tante und Gesellschafterin, hasste die Stadt ebenso wie sie. Nachdem sie beide die Vorteile des selbständigen Lebens in Yorkshire kennengelernt hatten, waren sie mit dem abgeschiedenen Dasein in Campions vollauf zufrieden.

“Du wirst deine Entscheidung bereuen, meine liebe Elinor”, äußerte Chesney verstimmt. “Ich glaube beinahe, es wäre besser für dich, Ulric zu heiraten, statt so wie du zu leben.”

“Du weißt, dass du das nicht wirklich so meinst”, erwiderte sie leichthin und drehte sich zu ihm um. “Gut, ich werde Halstead empfangen, sollte er mich aufsuchen. Aber ich warne dich! Es wird ihm nicht gefallen, was ich ihm zu sagen habe.” Verabschiedend reichte sie dem Onkel die Hand zum Kuss und wartete, bis er den Türkischen Salon verlassen hatte.

Dann begab sie sich zur Tante, berichtete ihr von dem Gespräch und musste zu ihrem Erstaunen feststellen, dass Annabelle nicht wie sonst für sie Partei ergriff.

Autor

Paula Marshall

Als Bibliothekarin hatte Paula Marshall ihr Leben lang mit Büchern zu tun. Doch sie kam erst relativ spät dazu, ihren ersten eigenen Roman zu verfassen, bei dem ihre ausgezeichneten Geschichtskenntnisse ihr sehr hilfreich waren. Gemeinsam mit ihrem Mann hat sie fast die ganze Welt bereist. Ihr großes Hobby ist das...

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