Ehemann für eine Nacht?

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"Die Braut ist schon verheiratet. Mit mir." Belinda will ihrem Bräutigam gerade das Ja-Wort geben, als die allzu vertraute Stimme durch die Kirche tönt. Colin Granville, der Erzfeind ihrer Familie! Vor zwei Jahren hatte sie den attraktiven Adeligen Hals über Kopf in Las Vegas geheiratet - um keinen unehelichen Sex mit ihm zu haben. Und die heiße Hochzeitsnacht hätte sie um nichts in der Welt verpassen wollen! Doch erst jetzt erfährt Belinda, dass die Ehe nicht tags darauf annulliert wurde. Und das ist nicht die einzige Überraschung, die Colin für sie hat …


  • Erscheinungstag 15.01.2013
  • Bandnummer 1750
  • ISBN / Artikelnummer 9783954464838
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Falls einer der Anwesenden berechtigte Gründe vorbringen kann, warum das Brautpaar nicht rechtmäßig zu Mann und Frau erklärt werden sollte, so möge er jetzt sprechen oder für immer schweigen.“

Belinda lächelte Bischof Newbury an.

Der Geistliche erwiderte ihr Lächeln und wollte gerade mit der Trauung fortfahren … als er den Blick über Belindas Schulter hinweg Richtung Kirchenbänke schweifen ließ.

Da hörte Belinda es auch. Die Schritte kamen näher.

Nein … es konnte nicht sein.

„Ich habe einen berechtigten Einwand.“

Belinda stockte der Atem. Sie schloss die Augen.

Sie kannte diese Stimme, die klar und deutlich, aber dennoch leicht spöttisch klang, nur zu gut. Tausendfach hatte sie sie in ihren Träumen gehört … in ihren geheimsten Fantasien – solche, die sie beim Aufwachen heftig erröten ließen. Und wenn nicht im Traum, dann hatte sie sie zufällig auf einer gesellschaftlichen Veranstaltung oder in dem einen oder anderen Fernsehinterview gehört.

Unter den Hochzeitsgästen entstand Unruhe. Todd an ihrer Seite erstarrte. Bischof Newbury wirkte verunsichert.

Langsam drehte Belinda sich um. Todd tat es ihr gleich.

Obwohl sie wusste, was – nein, wer – sie erwartete, riss sie die Augen auf, als sie dem Mann in die Augen sah, der der erbitterte Feind aller Wentworths war: Colin Granville, Marquess of Easterbridge, Erbe der Familie, die mit ihrer eigenen seit Jahrhunderten zerstritten war … der Mann, der ihr demütigendstes Geheimnis kannte.

Als sich ihre Blicke trafen, überkamen Belinda Sehnsucht und Angst zugleich. Selbst durch ihren Schleier erkannte sie die Herausforderung und den Besitzanspruch, die in Colins Blick lagen.

Obwohl er nicht neben ihr vor dem Altar stand, schien er sie zu überragen. Seine Miene wirkte hart und kompromisslos. Nur dank seiner ebenmäßigen Züge und edlen Nase sah er nicht direkt mürrisch aus.

Sein Haar war genauso dunkelbraun, wie sie es in Erinnerung hatte, und nur ein paar Nuancen dunkler als ihr eigenes kastanienbraunes. Seine dunklen Augen wirkten unergründlich.

Belinda reckte das Kinn und hielt seinem herausfordernden Blick stand.

Wie platzt man in eine Trauung? Anscheinend genügen ein dunkelblauer Geschäftsanzug und eine kanariengelbe Krawatte. Vermutlich sollte sie froh sein, dass er sich wenigstens für einen Anzug entschieden hatte.

Allerdings hatte sie den Immobilienmogul Colin nie in etwas anderem als einem schicken Anzug gesehen, der jedoch seine durchtrainierte Figur keineswegs verbarg. Na ja, abgesehen von jener einen Nacht …

„Was hat das zu bedeuten, Easterbridge?“, verlangte ihr Onkel Hugh zu wissen, während er sich von seinem Platz in der ersten Reihe erhob.

Jemand sollte die Ehre der Wentworths verteidigen, fand Belinda, und Onkel Hugh – das Oberhaupt der Familie – war dafür genau der Richtige.

Belindas Blick glitt über die anwesenden Mitglieder der New Yorker und Londoner High Society. Ihre Familie schien entsetzt zu sein, andere Gäste schien das sich abzeichnende Drama dagegen zu faszinieren.

Ihre Brautjungfern und Trauzeugen fühlten sich offensichtlich unbehaglich, selbst ihre sonst so selbstbewusste Freundin Tamara Kincaid.

Ihre andere enge Freundin und Hochzeitsplanerin, Pia Lumley, die an der Seite stand, war blass geworden.

„Ich würde sagen, Easterbridge“, ergriff Todd verärgert das Wort, „Sie sind heute nicht eingeladen.“

Colin ließ den Blick von der Braut zu deren Zukünftigem wandern. „Eingeladen oder nicht, ich wage zu behaupten, dass meine Stellung in Belindas Leben mich ermächtigt, bei dieser Trauung ein Wörtchen mitzureden.“

Belinda war sich der Hunderte von Augenpaaren, die das Spektakel vor dem Altar interessiert verfolgten, nur allzu deutlich bewusst.

Irritiert runzelte Bischof Newbury die Stirn und räusperte sich dann. „Also, so wie es aussieht, bin ich gezwungen zu fragen, was ich bisher noch nie fragen musste.“ Er hielt einen Moment inne. „Welchen Einwand haben Sie gegen diese Ehe?“

Colin Granville, Marquess of Easterbridge, sah der Braut fest in die Augen.

„Belinda ist bereits verheiratet – mit mir.“

Während die Worte von den Wänden der Kirche widerhallten, waren ringsum überraschte Laute zu hören. Hinter Belinda begann der Geistliche zu husten. Neben ihr versteifte sich Todd.

Belinda kniff die Augen zusammen. Der spöttische Ausdruck in Colins Miene entging ihr nicht.

„Ich fürchte, da irrst du dich“, erklärte Belinda und hoffte dabei inständig, verhindern zu können, dass das Ganze noch schlimmer wurde.

Denn sie hatte recht. Sie waren zwar einmal kurz verheiratet gewesen, aber das war vorbei.

Colin beeindruckte das nicht. „Waren wir beide vor zwei Jahren etwa nicht in einer Hochzeitskapelle in Las Vegas?“

Den versammelten Hochzeitsgästen verschlug es offenbar den Atem.

Belinda wurde flau im Magen. Ihr Gesicht glühte auf einmal.

Sie verkniff sich eine Antwort – denn was hätte sie schon sagen können, was das Ganze nicht noch schlimmer machte? Ich bin sicher, meine kurze und geheime Ehe mit dem Marquess of Easterbridge wurde annulliert?

Niemand sollte etwas von ihrer spontanen und überstürzten Heirat wissen.

Deshalb musste sie dieses Fiasko an einem weniger öffentlichen Ort zu Ende bringen. „Wollen wir diese Angelegenheit nicht lieber unter vier Augen klären?“

Ohne eine Antwort abzuwarten und so würdig wie möglich, hob sie den Rock ihres Hochzeitskleides an und eilte hoch erhobenen Hauptes die Stufen vor dem Altar hinunter. Dabei war sie sorgfältig darauf bedacht, jeden Blickkontakt mit den Hochzeitsgästen zu vermeiden.

Durch die bunten Kirchenfenster schien die Sonne, denn es war ein wunderbarer Junitag. Doch Belinda war klar, dass ihr Hochzeitstag ruiniert war, und zwar von dem Mann, den sie gemäß ihrer Familientradition am allermeisten auf der Welt hassen sollte. Wenn sie bisher nicht klug genug gewesen war, ihn verachtenswert zu finden – besonders in jener einen Nacht –, dann war sie es jetzt mit Sicherheit.

Als sie am Marquess vorbeieilte, drehte er sich um und folgte ihr durch den Mittelgang der Kirche zu einer Seitentür, die auf einen Flur mit mehreren Türen führte. Hinter Colin hörte Belinda auch Todd, ihren Bräutigam.

Zudem vernahm sie lauteres Getuschel und Gemurmel aus der Kirche, da das Brautpaar ja nun nicht mehr anwesend war. Sie konnte nur hoffen, dass Pia in der Lage sein würde, die Gäste zu beschwichtigen. Bischof Newbury, so konnte sie ebenfalls hören, erklärte den Hochzeitsgästen gerade, dass es eine unerwartete Verzögerung gab.

Belinda öffnete eine der Türen und fand sich in einem leer stehenden Raum wieder, der vermutlich für Vorbereitungen kirchlicher Veranstaltungen genutzt wurde.

Ihr Bräutigam und ihr angeblicher Ehemann folgten ihr in das Zimmer. Colin schloss die Tür hinter ihnen.

Belinda warf den Schleier zurück und fuhr zu Easterbridge herum. „Wie konntest du es wagen!“

Sie stand dicht vor Colin, und ihr Herz klopfte zum Zerspringen. Bis jetzt war dieser Mann die Verkörperung ihres größten Geheimnisses und größten Vergehens gewesen. Sie hatte versucht, ihn zu meiden oder zu ignorieren, aber an diesem Tag konnte sie unmöglich vor ihm davonlaufen.

Entrüstung war nicht nur die logische, sondern auch die einfachste Reaktion.

„Sie sollten lieber einen guten Grund für Ihr Verhalten haben, Easterbridge“, sagte Todd mit ernster Miene. „Welchen Beweis könnten Sie wohl haben, um unsere Hochzeit mit solchen Lügen zu ruinieren?“

Colin blieb gelassen. „Eine Heiratsurkunde.“

„Ich weiß nicht, was das soll, Easterbridge“, erwiderte Todd, „aber Ihre Späßchen sind hier wirklich fehl am Platz.“

Colin sah Belinda nur an und zog eine Braue hoch.

„Unsere Ehe wurde annulliert“, platzte sie heraus. „Sie hat nie existiert!“

Todd wirkte niedergeschlagen. „Dann ist es also wahr? Du bist mit Easterbridge verheiratet?“

„Wir waren verheiratet. Und das auch nur für ein paar Stunden, vor Jahren. Es hat nichts zu bedeuten.“

„Stunden?“, wiederholte Colin. „Wie viele Stunden haben zwei Jahre? Nach meiner Rechnung siebzehntausendvierhundertzweiundsiebzig.“

Belinda verabscheute Colins Rechenkünste. Idiotischerweise war sie an den Spieltischen hingerissen davon gewesen – von ihm –, ehe sie in Las Vegas überstürzt geheiratet hatten. Aber wie konnte es sein, dass sie die letzten beiden Jahre verheiratet gewesen waren? Sie hatte die Papiere unterschrieben, die ihre Ehe für null und nichtig erklärt hatten.

„Du hättest die Unterlagen für eine Annullierung erhalten müssen.“

„Die Annullierung wurde nie rechtskräftig“, erwiderte Colin ruhig. „Ergo sind wir noch immer verheiratet.“

Entsetzt riss sie die Augen auf. Sie war stolz darauf, dass sie nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen war. Schließlich war sie in ihrer Position als Kunstsachverständige im bekannten Auktionshaus Lansing’s schon mit so manchem unbequemen Kunden fertiggeworden. Aber der Marquess hatte eine unvergleichliche Art, sie zu nerven.

„Was meinst du mit nicht rechtskräftig? Ich weiß genau, dass ich die Annullierungspapiere unterschrieben habe.“ Plötzlich kam ihr ein Verdacht. „Es sei denn, du hast absichtlich missverstanden, was ich unterzeichnet habe.“

„Ganz so dramatisch ist es nicht. Eine Annullierung ist komplizierter, als einfach nur ein Dokument zu unterschreiben. In unserem Fall wurde der Antrag nicht korrekt zur Prüfung vor Gericht eingereicht – ein wichtiger letzter Schritt.“

„Und wessen Schuld war das?“

Colin schaute ihr in die Augen. „Die Angelegenheit wurde übersehen.“

„Natürlich“, stieß sie hervor. „Und du hast bis heute gewartet, um mir das zu sagen?“

Colin zuckte mit den Schultern. „Bis jetzt war es kein Thema.“

Seine Gelassenheit machte sie sprachlos. War das seine Rache, weil sie ihn im Stich gelassen hatte?

„Ich glaube das alles nicht.“ Todd war genauso perplex wie sie selbst.

Sie hatte damals beschlossen, die Annullierung der Ehe mit Colin ohne rechtlichen Beistand durchzuziehen, obwohl sie sich nur oberflächlich im Familienrecht auskannte. Niemand – nicht einmal ein Anwalt – hatte etwas von ihrer unglaublichen Fehlentscheidung wissen sollen.

Jetzt bereute sie den Entschluss, sich keinen Anwalt genommen zu haben. Denn sie hatte sich eindeutig einen weiteren Fehler geleistet. Sie hatte nicht nur versäumt, sich zu vergewissern, dass ihr Annullierungsantrag korrekt zum Abschluss gebracht wurde – weil sie die ganze bedauerliche Episode in Las Vegas so schnell wie möglich hatte vergessen wollen –, sie hatte auch darauf vertraut, dass Colin den Antrag bei Gericht einreichte.

Colin betrachtete sie eingehend. „Sehr hübsch. Ein Riesenunterschied zu dem roten Paillettenensemble, das du bei unserer Trauung anhattest.“

„Rot ist genau passend, wenn man den Teufel heiratet, meinst du nicht auch?“

„Du hast dich damals nicht so verhalten, als wäre ich der Teufel“, erwiderte er, und seine Stimme klang samtweich. „Vielmehr erinnere ich mich …“

„Ich war nicht ich selbst“, fuhr sie ihn an.

Ich hatte den Verstand verloren. War Unzurechnungsfähigkeit nicht praktisch überall ein guter Grund für die Annullierung einer Ehe?

„Verrückt? Versuchst du jetzt schon, ein wasserdichtes Alibi gegen Bigamie zu konstruieren?“

„Ich habe keine Bigamie begangen.“

„Nur weil ich rechtzeitig eingegriffen habe.“

Der Mann konnte einen wirklich auf die Palme bringen. „Rechtzeitig? Nach deiner Berechnung sind wir seit zwei Jahren verheiratet.“

Colin nickte zustimmend. „So ist es.“

Sie fasste es nicht, dass er so unverfroren war. Aber vermutlich fand Colin, dass er als ihr Ehemann eine Vorrangstellung gegenüber Todd habe. Und irgendwie schien es tatsächlich so zu sein. Selbst körperlich war Colin beeindruckender. Er war zwar genauso groß wie Todd, hatte aber eine athletischere Figur.

Es war schrecklich, dass Colin noch immer eine derart starke Wirkung auf sie ausübte. Daher wollte sie die Situation umgehend klären, soweit sie es vermochte.

„Seit wann weißt du, dass wir noch verheiratet sind?“

„Spielt das eine Rolle? Hauptsache, ich bin ich gerade noch rechtzeitig gekommen.“

Seine ausweichende Antwort kam ihr spanisch vor. Er hat eine Szene machen wollen.

Trotzdem ließ er sich nichts anmerken.

„Du wirst von meinem Anwalt hören.“

„Ich freue mich darauf.“

„Wir werden eine Annullierung bekommen.“

„Heute jedoch nicht. Nicht einmal der Staat Nevada arbeitet derart schnell.“

Da hatte er wohl recht. Ihre Hochzeit mit Todd war gründlich ruiniert.

Wütend sah sie ihn an. „Es gibt gute Gründe“, beharrte sie. „Ich muss eindeutig verrückt gewesen sein, als ich dich geheiratet habe.“

„Wir haben uns auf mangelnde Zurechnungsfähigkeit wegen eines Schwipses geeinigt, wie du dich erinnern wirst.“

„Ja, deines Schwipses!“ Seine anhaltende Gelassenheit ärgerte sie.

„In gegenseitigem Einvernehmen, aufgrund einer besseren Alternative.“

„Betrug sollte als Annullierungsgrund ausgereicht haben“, erwiderte sie steif. „In jener Nacht in Las Vegas hast du mir ein vollkommen falsches Bild deines Charakters gegeben, und nach dem heutigen Tag würde mir niemand widersprechen. Diese letzte Intrige der Granvilles ist reif für die Geschichtsbücher.“

Er zog eine Braue hoch. „Intrige?“

„Ja. Auf meiner Hochzeit mit der Neuigkeit aufzutauchen, dass du versäumt hast, den Antrag auf die Annullierung unserer Ehe einzureichen.“

„Kein Grund, meine Vorfahren in Sippenhaft zu nehmen.“

„Doch. Schließlich sind deine Vorfahren schuld, dass wir uns in diesem Schlamassel befinden. Sie sind der Grund, weshalb …“ Belinda zeigte Richtung Kirchenschiff. „… die Hochzeitsgäste dort geradezu elektrisiert von der Neuigkeit waren, dass eine Wentworth einen Granville geheiratet hat. Was sollen wir jetzt tun?“

„Verheiratet bleiben?“, schlug Colin spöttisch vor.

„Nie und nimmer!“

Belinda wollte den Nebenraum gerade verlassen, als Onkel Hugh und Bischof Newbury hereinstürzten.

Im Hinausgehen hörte sie ihren Onkel sagen: „Ich hoffe, Sie haben eine gute Erklärung, Easterbridge, auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, was für eine!“

Anscheinend war die Hölle in den geheiligten Hallen losgebrochen.

Rache.

Ein unschönes Wort.

Rache deutete auf persönliche Feindschaft hin. Vielmehr, überlegte Colin, sind die Wentworths und die Granvilles ja seit Generationen hintereinander her.

Vielleicht wären die Begriffe Fehde oder Vendetta angebrachter.

Seine Beziehung zu Belinda war auf intime Art und Weise mit der Wentworth-Granville-Fehde verknüpft. Wegen dieser Fehde hatte seine und Belindas Leidenschaft füreinander in Las Vegas den Reiz des Verbotenen gehabt. Und deswegen hatte Belinda ihn am Morgen danach auch sitzen lassen.

Seitdem war er fest entschlossen, alles zu tun, damit Belinda zugab, dass es heftig zwischen ihnen knisterte – auch wenn er ein Granville war. Zu seinem Plan gehörten komplizierte Schachzüge, um die Wentworths ein für alle Mal zu bezwingen und damit die Wentworth-Granville-Fehde zu beenden.

Colin genoss die Aussicht aus den deckenhohen Fenstern seiner Maisonette-Wohnung im dreißigsten Stock, während er auf den Besuch wartete, der unvermeidlich aufkreuzen würde. Das Time Warner Center am Columbus Circle bot betuchten Ausländern, die in New York eine Bleibe suchten, Privatsphäre und Luxus zugleich.

Er schob die Hände in die Hosentaschen und betrachtete die Baumwipfel des Central Parks in der Ferne. Weil Sonntag war, war er leger gekleidet. Es war ein wunderschöner sonniger Tag, genau wie tags zuvor.

Allerdings hätte am vergangenen Tag beinah die Hochzeit seiner Frau stattgefunden.

In ihrem Hochzeitskleid hatte Belinda wie ein Engel ausgesehen, obwohl ihre Miene ganz und gar nichts Engelhaftes an sich gehabt hatte, als sie ihn zur Rede gestellt hatte. Vielmehr wirkte Belinda hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, ihn genüsslich zu erwürgen, und der Schmach, sterben zu wollen.

Colin musste lächeln, als ihm eine bestimmte Erinnerung kam. Unter Belindas einnehmendem Äußeren schlummerte eine leidenschaftliche Natur, und das zog ihn zu ihr hin. Er wollte die glatte Politur wegwischen, damit die wundervolle, natürliche Frau darunter zum Vorschein kam.

Wenn er nach seinem gestrigen Eindruck ging, hatte Belinda sich in den vergangenen zwei Jahren nicht sehr verändert. Ihre Leidenschaft war genauso groß – zumindest in seiner Nähe. Ihr ehemaliger Verlobter schien nicht das gleiche Feuer in ihr zu entfachen. An Dillinghams Seite war sie kühl und beherrscht gewesen, hübsch, aber distanziert. Erst als er, Colin, die Trauung unterbrochen hatte, war es mit ihrer Porzellanpüppchen-Fassade vorbei gewesen.

Ihr prächtiges dunkles Haar war aufgesteckt gewesen, sodass ihr atemberaubendes Gesicht, ihre schönen haselnussbraunen Augen, ihre edle Nase und vollen Lippen bestens zur Geltung gekommen waren. Das elfenbeinfarbene Brautkleid hatte ihre Kurven betont, und nur wegen der kurzen Spitzenärmel und des Spitzeneinsatzes über dem Dekolleté hatte es nicht unangebracht sexy gewirkt.

Colin biss die Zähne zusammen. Belinda hatte hinreißend ausgesehen, genau wie bei ihrer beider Hochzeit. Doch als sie ihn geheiratet hatte, war sie aufgeregt und voller Erwartung gewesen. Ihre Augen hatten geleuchtet, und ihre sündhaft vollen Lippen hatte ein strahlendes Lächeln umspielt. Sie hatte rein gar nichts von der gestelzten Arroganz der Wentworths an sich gehabt, sondern nur diese fantastische Mischung aus Leidenschaft und Sinnlichkeit ausgestrahlt. Ihre Unnahbarkeit war erst am nächsten Morgen zum Vorschein gekommen. Doch selbst jetzt war Colin froh, dass er Belinda noch immer aus der Reserve zu locken vermochte.

Nach ihrer Konfrontation im Nebenraum der Kirche war Belinda verschwunden. Es hätte Colin nicht überrascht, wenn sie mit einem Taxi direkt zu ihrem Anwalt gefahren wäre. Sein spöttischer Vorschlag, verheiratet zu bleiben, hatte bei seiner Frau offenbar das Fass zum Überlaufen gebracht.

Der Hochzeitsempfang hatte trotz allem stattgefunden. Belindas Hochzeitsplanerin und Freundin, Pia Lumley, hatte auf Wunsch der Familie Wentworth dafür gesorgt. Bedauerlicherweise hatte jedoch keine der drei Hauptpersonen – die Braut, deren Mann oder der Bräutigam – daran teilgenommen.

Nachdenklich betrachtete Colin die herrliche Aussicht, die sich ihm aus seinen Fenstern bot.

Die Feindschaft zwischen den Wentworths und Granvilles war tief. Die beiden Familien waren seit Langem Landbesitzer in der englischen Grafschaft Berkshire, Nachbarn und – das war das Entscheidende – Rivalen. Angefangen bei Streitigkeiten wegen bestimmter Grundstücksgrenzen über Beschuldigungen, politischen Verrat betrieben zu haben, bis hin zur schändlichen Verführung weiblicher Verwandter, war das Zerwürfnis der Familien mittlerweile legendär.

Colin, der gegenwärtige Träger des Titels der Familie Granville, hatte natürlich der endlosen Geschichte ein passendes Kapitel hinzugefügt, indem er in Las Vegas überstürzt eine Ehe mit Belinda Wentworth eingegangen war.

Seit Jahren hatte er Belinda faszinierend gefunden und war neugierig auf sie gewesen. Als sich ihm die Chance geboten hatte, sie näher kennenzulernen, hatte er sie ergriffen – zunächst auf der Cocktailparty eines Freundes in Vegas und bald danach in einem Spielkasino.

Als die Nacht im Bellagio-Kasino zu Ende ging, war ihm klar, dass er Belinda begehrte wie noch keine Frau vor ihr. Sie hatte etwas Besonderes an sich.

Sie war eine Schönheit und ihm in intellektueller Hinsicht mehr als ebenbürtig. Und doch hatte sie es geschafft, ihn völlig fassungslos zu machen, als sie ihm am Ende des Abends eröffnete, ohne Heiratsurkunde nicht mit ihm schlafen zu können.

Natürlich hatte er dieser Herausforderung nicht widerstehen können. Vielleicht hatte ihn seine Glückssträhne an den Spieltischen glauben lassen, er könne gewinnen, egal, wie die Chancen standen. Er war gewillt gewesen, es für eine Nacht im Bett mit Belinda zu riskieren.

Und sie hatte ihn nicht enttäuscht.

Die Erinnerung an die Nacht vor über zwei Jahren ließ ihn erschauern.

Und am Vortag hatte er den Überraschungseffekt zu seinem Vorteil genutzt, als er in Belindas Trauung geplatzt war. Erst kürzlich hatte er erfahren, dass sie heiraten wollte, und vermutet, dass höchstens ein öffentlicher Eklat sie von ihren Hochzeitsplänen abbringen würde. Wenn er sie vorher informiert hätte, hätte sie ihn womöglich zu überreden versucht, die Annullierung rechtskräftig werden zu lassen.

Todd Dillingham, der viel auf Status und Etikette gab, würde eine öffentliche Blamage wie die vom Vortag nicht verzeihen können. Zumindest rechnete Colin fest damit.

Als es an seiner Wohnungstür klingelte, wandte er sich vom Fenster ab. Genau zur rechten Zeit.

„Colin“, ließ seine Mutter sich vernehmen, während sie in die Wohnung eilte, „mir ist ein unglaubliches Gerücht zu Ohren gekommen. Du musst es sofort dementieren.“

Colin folgte ihr. „Wenn es unglaublich ist, warum willst du dann ein Dementi?“

Der Hang seiner Mutter, alles zu dramatisieren, überraschte ihn immer wieder. Zum Glück lebte er mittlerweile zumeist in sicherem Abstand zu ihr, da sie ihre Wohnung in London als ihren festen Wohnsitz ansah. Andererseits war es sein Pech, dass ihre Reise nach New York, um Freunde zu besuchen, zufällig mit Belindas Hochzeit zusammenfiel. Sicher genoss es seine jüngere Schwester Sophie, dass ihre Mutter vorübergehend nicht in London weilte.

Seine Mutter warf ihm einen säuerlichen Blick zu. „Du solltest darüber lieber keine Scherze machen.“

„Oh, hab ich das?“

„Colin! Der Familienname wird besudelt.“ Sie stellte ihre Chanel-Tasche ab und nahm in einem Sessel im Wohnzimmer Platz, nachdem die Haushälterin ihr den Mantel abgenommen hatte. „Ich verlange Antworten.“

„Selbstverständlich.“ Mit verschränkten Armen blieb Colin stehen.

Seine Mutter wirkte in seiner modernen Einrichtung irgendwie fehl am Platz. Er war es eher gewohnt, sie in einem traditionellen englischen Wohnzimmer zu sehen, und sie war mit Sicherheit an eine ganze Schar von Bediensteten gewöhnt.

Schließlich räusperte Colin sich. „Um welches Gerücht handelt es sich genau?“

„Als ob du das nicht wüsstest!“

Da er schwieg, seufzte seine Mutter resigniert.

„Ich habe das schrecklichste Gerede gehört, dass du die Hochzeit der kleinen Wentworth gestört hast. Schlimmer noch, du hast anscheinend erklärt, mit ihr verheiratet zu sein.“ Sie hielt die Hand hoch. „Natürlich bin ich der alten Klatschbase sofort ins Wort gefallen. Ich habe ihr gesagt, dass du niemals auf einer Hochzeit der Wentworths erscheinen würdest. Daher kannst du auch gar nicht behauptet haben …“

„Wer hat dir denn dieses Märchen erzählt?“

Seine Mutter machte eine wegwerfende Handbewegung. „Eine Leserin von Mrs Jane Hollings, die eine Kolumne für irgendeine Zeitung schreibt.“

„Den New York Intelligencer.“

„Ja, ich glaube, so heißt das Blatt. Sie arbeitet für den Earl of Melton. Was hat Melton bloß bewogen, ein solches Schmutzblatt zu kaufen?“

„Ich glaube, dieses Klatschblatt wirft einen beachtlichen Profit ab, besonders online.“

Seine Mutter schniefte. „Es ist der Niedergang der Aristokratie, wenn sogar ein Earl Geschäftsmann wird.“

Nach einem kurzen Moment des Schweigens fuhr sie fort: „Du kannst doch unmöglich uneingeladen auf der Hochzeit der Wentworths erschienen sein.“

„Natürlich nicht.“

Seine Mutter entspannte sich.

„Auf Belinda Wentworths eigentlicher Hochzeit vor zwei Jahren war ich allerdings dabei – als ihr Bräutigam.“

Seine Mutter erstarrte.

„Meine Position eines Marquess, dem jahrhundertelange Inzucht zugeschrieben wird“, fuhr Colin spöttisch fort, „hat mich gezwungen, eine Straftat zu verhindern, als das in meiner Macht stand, nämlich als ich von Belindas Absicht erfuhr, erneut zu heiraten.“

Seine Mutter sog scharf den Atem ein. „Willst du damit sagen, dass mir als Marchioness von Easterbridge eine Wentworth nachfolgt?“

„Genau das will ich damit sagen.“

Seine Mutter sah aus, als würde sie gleich in Ohnmacht fallen. Die Nachricht schien sie mit der Wucht eines Tornados zu treffen.

„Ich nehme nicht an, dass sie in dieser Kapelle in Las Vegas ihren Namen in Granville geändert hat?“

Colin schüttelte den Kopf.

Seine Mutter erschauderte. „Belinda Wentworth, Marchioness von Easterbridge? Mir wird schwindelig bei diesem Gedanken.“

„Keine Sorge. Ich glaube nicht, dass Belinda den Titel verwendet hat oder beabsichtigt, das zu tun.“

Falls Belinda den Titel jedoch annahm, dann wäre seine Mutter gezwungen, sich Dowager Marchioness von Easterbridge zu nennen, um Verwechslungen zu vermeiden. Das würde das Ganze vermutlich noch schlimmer machen.

Der Verzweiflung nah, schüttelte seine Mutter den Kopf. „Was, um alles in der Welt, hat dich überhaupt dazu gebracht, eine Wentworth zu heiraten?“

Colin hob die Schultern. „Ich könnte mir vorstellen, dass du die Antwort unter der Vielzahl von Gründen findest, aus denen andere Leute heiraten.“ Er war nicht gewillt, seiner Mutter allzu viel über sein Privatleben preiszugeben. Er würde den Teufel tun, über Leidenschaft zu reden. „Warum habt du und Vater geheiratet?“

Seine Mutter presste die Lippen aufeinander.

Er hatte gewusst, dass diese Frage seine Mutter zum Schweigen bringen würde. Zumindest einer der Gründe für die Heirat seiner Eltern war, dass sie den gleichen gesellschaftlichen Status hatten. Soweit ihm bekannt war, hatten sie keine schlechte Ehe geführt, bis sein Vater fünf Jahre zuvor einem Schlaganfall erlegen war, aber es war eine ordentliche und passende Heirat gewesen.

„Du wirst doch sicher nicht verheiratet bleiben wollen.“

„Keine Angst. Es würde mich nicht wundern, wenn Belinda gerade ihren Anwalt konsultiert, während wir uns hier unterhalten.“

Colin überlegte, was seine Mutter wohl sagen würde, wenn sie wüsste, dass Belinda ihre Ehe beenden wollte, er jedoch nicht.

Zumindest noch nicht – nicht bevor er sein Ziel erreicht hatte.

Eigentlich müsste er seinen Anwalt anrufen, um zu hören, wie die Verhandlungen bezüglich der entsprechenden Immobilie liefen.

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