Ein Highlander zum Verlieben - Der MacLerie-Clan (5in1)

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Terri Brisbins fünfteilige Highlander-Reihe um den MacLerie-Clan - jetzt erstmals in einem Band.

WIE ZÄHMT MAN EINEN HIGHLANDER?
Jocelyn würde es niemals wagen, ihren geliebten Ehemann Connor MacLerie zu betrügen. Aber sie kann nicht länger mit ansehen, wie rücksichtslos der mächtige Highlander Ehen unter den Clanmitgliedern arrangiert. Um ihn von der Bedeutung wahrer Liebe zu überzeugen, greift sie zu einer weiblichen List …

STÜRMISCHE NÄCHTE IN DEN HIGHLANDS
Willst du mich heiraten? Atemlos starrt Ciara in die Augen des Mannes, dem sie gerade ihr Herz zu Füßen gelegt hat. Schon als kleines Mädchen wusste sie, dass Travis MacLerie die Liebe ihres Lebens ist! Aber obwohl sie längst zu einer schönen jungen Lady erblüht ist, macht der kühne Krieger keine Anstalten, um sie zu werben. Glaubt er etwa, ihrer nicht würdig zu sein? Sie schluckt ihren Stolz und gesteht Travis ihre Gefühle. Er weist sie zärtlich, aber bestimmt ab, und die verzweifelte Ciara willigt in eine politische Zweckehe ein. Bloß weg von hier! Doch dann bittet der Laird ausgerechnet Travis, sie sicher zu ihrem künftigen Gatten zu bringen …

DER HIGHLANDER UND DIE WILDKATZE
Ihr Ende ist nah! Bewaffnete Reiter stürmen auf die schöne Lilidh MacLerie zu. Doch kein Schwert durchbohrt ihre zarte Kehle. Stattdessen verschleppt man sie als Geisel und stellt sie dem Anführer gegenüber, der sie mit hartem Gesichtsausdruck mustert. Und plötzlich fühlt die stolze Tochter der Highlands sich verhängnisvoll schwach. Denn sie kennt ihren Entführer! Dieser muskulöse schottische Laird ist Robert Matheson. Den ersten Kuss hat er ihr damals geraubt, hat in ihr das Feuer des Verlangens geweckt - bevor er ihr gnadenlos das Herz brach. Was ihr breitschultriger Feind jetzt mit ihr vorhat, wissen allein die Götter …

DER HIGHLANDER UND DIE STOLZE SCHÖNHEIT
Der Highlander Athdar MacCallum bringt Isobels junges Herz zum Erbeben! Aber sie gibt sich keinerlei Hoffnung hin. Niemals würde ihr gestrenger Vater einer Verbindung mit dem fremden Clan-Chef zustimmen. Trotzdem ist die temperamentvolle Schönheit wehrlos gegen die Gefühle, die der breitschultrige Hüne in ihr weckt. Sie sehnt sich so danach, in seinen Armen zu liegen. Und ihr heimlicher Wunsch wird erhört, als sie Athdar nach einem Skandal heiraten muss! Doch hat Isobel damit ihr Schicksal besiegelt? Denn es heißt, der Highlander sei verflucht: Jede Frau, die er liebt, findet ein tragisches Ende …

ENTEHRT VON EINEM HIGHLANDER
Schottland, 1370. "Hure! Ehebrecherin!" Seit Catriona in glühender Umarmung mit dem Highlander Aidan MacLerie erwischt wurde, spuckt man im Dorf vor ihr aus. Doch bevor ihr Mann Gowan davon erfährt, fällt er auf dem Schlachtfeld. Was soll nun aus Catriona werden? Aus ihrem Heim wird sie verbannt, ihr Ruf ist durch Aidans wilde Zärtlichkeit zerstört! Da macht ausgerechnet dieser schottische Draufgänger der schönen Witwe das Angebot, in seinen Clan zu ziehen. Will er sie endlich auf seinem Lager haben? Mehr als seine Hure kann Catriona niemals für ihn sein! Denn Aidan steht kurz vor der Hochzeit mit einer anderen …


  • Erscheinungstag 21.12.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783745752779
  • Seitenanzahl 730
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Terri Brisbin

Ein Highlander zum Verlieben - Der MacLerie-Clan (5in1)

1. KAPITEL

Broch Dubh Keep
Lairig Dubh, im Westen Schottlands
Sommer, im Jahre 1370

In Lairig Dubh treibt ein Dieb sein Unwesen.“

Connor MacLerie, Laird des Clans und Earl of Douran, untersuchte noch einmal die schwere Kassette. Das Schloss hielt, selbst wenn er daran zerrte, was bewies, dass er es verschlossen hatte. Die Abdrücke in der leichten Staubschicht zeigten ihm jedoch, dass es geöffnet worden war. Connor wandte sich an seine beiden Vertrauten; der eine, Duncan, wachte über das beträchtliche Vermögen des Clans, der andere, Rurik, war für dessen Sicherheit verantwortlich, im Krieg wie im Frieden. Beide Männer reagierten so, wie er es erwartet hatte.

„Hier? Vor unseren Augen?“, fragte Rurik ungläubig, während er näher trat und über Connors Schulter hinweg die Kassette betrachtete, in der sich sämtliche wichtigen Dokumente und Unterlagen befanden. Rurik war einer der wenigen Männer, neben denen Connor sich klein vorkam. „Nein, niemand betritt den Burgfried ohne meine Billigung.“

„Fehlt denn etwas?“ Duncan verschränkte die Arme vor der Brust. Praktisch veranlagt, wie er war, reckte er den Kopf und betrachtete gründlich das Schloss der Kassette. „Noch letzte Woche hatte ich einige Verträge durchgesehen.“

„Nicht dass ich wüsste, Duncan. Auch dieses Mal wurde nur alles durchwühlt, aber nichts herausgenommen.“ Er hatte sogar Jocelyn gefragt, ob Schlüssel von ihrem Bund fehlten, aber sie hatte es verneint.

Duncan schüttelte den Kopf. „Das ergibt keinen Sinn. Warum die Schatulle aufbrechen und riskieren, erwischt zu werden, wenn man gar nichts herausnimmt?“

„Vielleicht hat derjenige nicht gefunden, was er sucht?“, überlegte Rurik. „Das wievielte Mal war es jetzt schon?“

Connor bedeutete ihnen, ihm zurück in den Hauptraum seiner Gemächer zu folgen. Erst dann antwortete er.

„Zum ersten Mal habe ich es vor ein paar Monaten bemerkt. Da dachte ich noch, ich hätte selbst darin gekramt und es dann vergessen. Seitdem ist es vier weitere Male passiert, zuletzt erst vor wenigen Tagen.“

„Ein verdächtiger Zeitpunkt, wenn man bedenkt, dass zum morgigen Hochzeitsfest viele Besucher ins Dorf und die Burg kommen werden“, fügte Rurik stirnrunzelnd hinzu.

„Du musst nun besonders auf der Hut sein, Rurik. Diese Gemächer dürfen von niemandem betreten werden.“ Die Tür flog auf, und Jocelyn stand mit weit aufgerissenen Augen und völlig außer Atem vor ihnen.

Obwohl sie bereits seit zwei Jahrzehnten verheiratet waren, raubte sie ihm noch immer die Sinne. Nicht ein graues Haar fand sich in den kastanienbraunen Locken, und ihre grünen Augen sprühten noch immer voller Leben. Seine Kinder auszutragen hatte sie ein wenig fülliger werden lassen, doch wann immer er sie sah, regte sein Körper sich höchst lebhaft. Zwar fürchtete er, es könnte der Tag kommen, da sich das änderte, zu ihrer beider Freude war das aber bislang nicht geschehen. Sie hatte ihn schon gefragt, ob er bis ins hohe Alter so lüstern sein werde. So Gott wollte, würde er das … bei ihr.

„Jocelyn?“, fragte er. Sie schien erschrocken, die drei Männer hier zu sehen, und ihr schnell aufblitzendes Lächeln erreichte nicht ihre Augen. „Alles in Ordnung?“

„Ja, Connor“, stammelte sie. „Guten Tag, Duncan. Rurik.“ Sie nickten den beiden Männern zu. Trotz ihrer Worte wusste Connor, dass etwas nicht stimmte. Sie wich seinem Blick aus, blieb an der Tür stehen und wandte sich den beiden anderen Männern zu.

„Euer Onkel hat euch vorhin gesucht. War er inzwischen hier?“, fragte sie und wich immer noch seinem Blick aus.

„Nein, aber wir sind ohnehin auf dem Weg zu ihm.“ Duncan und Rurik begriffen, dass ihr Gespräch beendet war, und gingen hinaus.

„Wolltest du sonst etwas?“, fragte Connor hoffnungsvoll, als sie in den Raum trat und sich umsah. Sein Körper sehnte sich nach erfreulicheren Unternehmungen.

„Nein, nur das.“ Jocelyn wandte sich wieder zur Tür.

Es war ganz offensichtlich, dass etwas nicht stimmte.

Seine Ehefrau hatte seine einladenden Worte bisher nie missverstanden und nur in äußerst seltenen Fällen abgelehnt. Heute allerdings hatte sie es nicht einmal bemerkt, oder sie wich ihm aus. Ehe sie hinausgehen konnte, fasste er sie bei der Hand und zog sie zu sich heran. Sein Mund traf auf ihren, er drängte mit der Zunge zwischen ihre Lippen, um sie zu kosten. Einen Augenblick später ergab sie sich, erwiderte seine Küsse und schmiegte sich an ihn, als er die Arme um sie schlang.

Ihre Lippen waren heiß, ihre Küsse wurden leidenschaftlicher und ihr Körper schmolz dahin. Wie immer, wenn er bei ihr war, loderte Verlangen in ihm auf. Er fuhr mit den Händen durch ihr Haar und nahm ihren Mund ganz und gar in seinen Besitz.

Sie schmeckte nach Gewürzen und Honig. Vielleicht hatte sie von den süßen Leckereien gekostet, die die Köchin für die morgige Hochzeit vorbereitet hatte. Nichts aber war aufreizender als der Geschmack ihrer Haut. Er ließ seine Lippen von ihrem Mund hinab zu ihrem Hals gleiten, zog dann eine Spur aus heißen Küssen zu der einen Stelle hinter ihrem Ohr. Wenn er sie dort liebkoste, erbebte sie stets und stöhnte leise auf, ein Laut, der sein Blut in Wallung brachte.

Er umschloss ihre Brüste, wollte die üppige Fülle genießen, die harten Knospen drücken und reiben, ihr abermals diesen Laut entlocken …

„Connor!“, erklang draußen Ruriks Stimme, und er hörte ihn die Treppe hinaufhasten.

Gefangen in der Glut des Augenblicks und seiner Liebe zu Jocelyn hätte Connor fast zugelassen, dass Rurik Zeuge ihrer leidenschaftlichen Umarmung wurde … und Duncan … und Hamish … und mehrere andere Männer, die alle gerade hineinkamen. Jocelyn zupfte ihr Kleid zurecht, strich sich durch die Haare und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, ehe sie sich diesem unwillkommenen Ansturm zuwandte. Diese letzte Geste, wie ihre Zungenspitze über die von seinen Küssen geschwollenen Lippen glitt, ließ Connor noch härter werden.

Er würde sie alle umbringen, wenn sie nicht einen guten Grund hatten, zu diesem unpassenden Zeitpunkt in seine Gemächer zu stürmen! Es musste schon ein Heer vor den Toren stehen, um diese Störung zu rechtfertigen. Noch ehe er ihre Hand ergreifen und sie bitten konnte zu bleiben, war Jocelyn schon an den Männern vorbei nach draußen gehuscht.

Fast hätte ein dummer Fehler alles ruiniert, dachte sie, während sie sich fluchtartig davonmachte. Sie lächelte den Männern auf der Treppe kurz zu, sprach kein Wort und verlangsamte auch nicht ihren Schritt auf dem Weg hinab in die große Halle. Die morgige Hochzeit würde, so hoffte sie, der erste von vielen Erfolgen. Und sie durfte diese Erfolge nicht gefährden, indem sie zu überstürzt handelte. Als sie ihr eigenes Gemach erreichte, schloss sie die Tür und sah sich einer ihrer Mitverschwörerinnen gegenüber.

„Hast du sie gefunden?“, fragte Margriet, Ruriks Frau.

Kopfschüttelnd ließ Jocelyn sich auf einem Sessel vor der Feuerstelle nieder. „Connor war da.“ Ihr Herz raste noch immer von seinem kurzen, aber hungrigen Überfall.

Margriet nahm auf dem Sessel neben ihr Platz. „Er hat dich erwischt?“

„Er war bereits im Raum, als ich kam, ich hatte gar keine Gelegenheit, nachzusehen.“ Ihr Mann bewahrte alle wichtigen Dokumente in der Kassette im gemeinsamen Schlafgemach auf. Auch die Schriftstücke, die sie unbedingt noch vor der Hochzeit einsehen musste.

„Vielleicht nach dem Abendessen? Er wird mit seinen Gästen beschäftigt sein.“

Als Gemahlin des Lairds und Countess of Douran musste sie an der Seite ihres Gatten bleiben, bis dieser sich zurückzog. Da sie wusste, wie sehr er es genoss, zu feiern und sich mit seinen Gästen, die aus allen Teilen Schottlands stammten, zu unterhalten, war ihr klar, dass es sehr spät werden würde.

Zu spät.

„Ich lasse mir etwas einfallen“, versprach sie.

Connor MacLerie war ein harter Mann, unbarmherzig würde ihn manch einer nennen. Lange Jahre hatte man ihn die Bestie der Highlands genannt. Ihre Ehe hatte ihn verändert, aber nicht so sehr, als dass er seinen Gefühlen stattgegeben hätte, wenn es darum ging, die Angelegenheiten des Clans zu regeln. Entscheidungen wurden getroffen und Bündnisse geschlossen, um das Beste für den Clan zu erreichen, ohne die Wünsche und Bedürfnisse derer zu berücksichtigen, die sich in seiner Obhut befanden … und unter seiner Führung.

Nicht einmal meine, dachte Jocelyn und seufzte.

Manchmal hörte er auf ihren Rat, aber sie wünschte, er würde ihren Vorschlägen mehr Beachtung schenken. Besonders bei Ehever­trägen.

Da er nach Sitte und Gesetz das Recht hatte, Ehen für die zu arrangieren, die unter seinem Schutz standen, betrachtete Connor es als unnötig, jemand anderen als die Väter der betroffenen jungen Männer oder Frauen in seine Pläne einzubeziehen. So hielt man es nun einmal seit jeher. Da sie selbst jedoch von den MacLeries praktisch als Braut erworben worden war, kannte sie die Schwierigkeiten, die derartige Arrangements für die Frauen mit sich brachten.

Nachdem sie bei einigen dieser Bündnisse Bedenken geäußert und er diese ignoriert hatte, obwohl ihre Argumente stichhaltig gewesen waren, war Jocelyn klar geworden, dass es nichts brachte, ihn direkt mit ihren Bedenken zu konfrontieren.

Daher nun diese weibliche Verschwörung.

Aber ohne die Schriftstücke, die Connor in der Schatulle aufbewahrte, würde sie für die morgige Hochzeit nicht vorbereitet sein. Sie hatte keine Möglichkeit gehabt, den Ehevertrag zu prüfen, der Connors Nichte mit dem Erben des Nachbarclans vermählen sollte. Oder um herauszufinden, ob noch weitere Eheschließungen geplant waren.

Auch hatte Jocelyn nicht sehen können, ob ihr Mann die Hand ihrer Tochter längst jemandem versprochen hatte. Sie erschauerte und fing Margriets besorgten Blick auf.

Obwohl Margriets Töchter weder Titel noch Landbesitz erbten, galten sie als gute Partien wegen der Beziehungen ihres Vaters zum Earl of Orkney und dem Familienvermögen, das ihnen zufiel. Margriet war ebenfalls als Braut verkauft worden, auch wenn sie in ihrem Ehemann ihre große Liebe gefunden hatte. So teilte sie die Sorgen Jocelyns über die Zukunft ihrer Töchter. Also hatte sie zugestimmt, sie in ihren Bestrebungen zu unterstützen.

Ebenso Duncans Frau Marian, die auch eine Tochter im heiratsfähigen Alter hatte. Und da ihre und Connors eigene Tochter Lilidh sich ihrem fünfzehnten Geburtstag näherte, wurde die Angelegenheit immer prekärer – es war bald an der Zeit, sie zu verloben, und Jocelyn sorgte sich um das Schicksal ihrer Ältesten.

Der Steward ließ nach ihr schicken mit der Bitte, ihn bei den Vorbereitungen für das Fest zu unterstützen. So verging der Rest des Tages wie im Flug, ohne dass Jocelyn Zeit hatte, sich zu überlegen, wie sie an die Aufzeichnungen des Clans kommen könnte. Je später es wurde und je näher der Abend rückte, desto unbehaglicher wurde ihr.

Nie während der zwei Jahrzehnte ihrer Ehe hatte sie Connor belogen oder in die Irre geführt, sodass ihr das, was sie nun vorhatte, auch wenn es zum Besten anderer war, schwer auf der Seele lag. Sollte sie es ihm erzählen? Würde er sie anhören, oder würde er ihr Tun schlichtweg auf ihr zu weiches Herz schieben? Noch schlimmer, würde er annehmen, dass sie seinen Entscheidungen nicht vertraute?

Als sie endlich alles Nötige erledigt hatte und die Treppen zu ihren Gemächern hinaufstieg, fragte sie sich, ob sie wirklich das Richtige tat.

2. KAPITEL

Ein Kratzen auf dem Steinboden riss Connor aus dem Schlaf. Er griff nach dem Schwert, das immer neben seinem Bett lag, und tastete mit einer Hand nach Jocelyn, um sie schützend an sich zu ziehen. Doch ihre Seite war leer. Er sprang vom Lager und näherte sich, das Schwert erhoben, dem Geräusch.

Er hörte sie atmen, ehe er sie sah. Sie trat aus dem Schatten des Alkovens auf ihn zu.

„Jocelyn? Was tust du?“ Er steckte das Schwert zurück in die Scheide und nahm eine Kerze, die er an der Glut des Ofenfeuers entzündete.

„Ich konnte nicht schlafen“, sagte sie, ihr Nachtgewand enger um sich ziehend. „Da wollte ich ein wenig herumspazieren, aber es sind zu viele Besucher in der Burg.“ Sie warf einen Blick zurück in die dunkle Ecke. „Also beschloss ich, mich dorthin zu setzen, um deinen Schlaf nicht zu stören.“

Etwas stimmte nicht.

Er trat näher und sah den Stuhl, den sie über den Boden gezogen hatte – das Schaben der Beine hatte ihn geweckt – und die Schatulle, keine drei Fuß davon entfernt. Eine neue Kerze lag bereit.

„Was ist los, Jocelyn?“ Er betrachtete ihr Gesicht im flackernden Licht seiner Kerze, trat näher und nahm ihre Hand. „Bedrückt dich etwas?“

Sie sah aus, als wolle sie antworten, schüttelte dann aber den Kopf.

„Ist etwas mit den Kleinen?“, fragte er weiter und suchte in ihrer Miene nach Anzeichen, dass er recht hatte. Sie mochte vielleicht glauben, sie könnte ihn täuschen, doch er konnte in ihren Gesichtszügen lesen wie in einem Buch.

Ihre Sprösslinge waren längst nicht mehr klein, doch untereinander pflegten sie sie immer noch „die Kleinen“ zu nennen. Er glaubte, dass Jocelyn bereits den Tag fürchtete, an dem sie ihre Eltern verlassen und eigene Familien gründen würden. Darüber wollte er nicht mit ihr streiten, denn er wusste, dass sie ein weiches Herz hatte, wenn es um ihre Kinder ging. Darum schob er es auch auf, mit ihr über seinen Plan zu sprechen, Adhamh, ihren jüngsten Sohn, zu den Robertsons, ihren Verbündeten und Marians Familie, in Dunalastair zu schicken, damit er dort aufwuchs. Er hatte Angst, es werde ihr das Herz brechen.

„Es ist alles gut, Connor“, sagte sie und lächelte ihn an. „Ehrlich.“

Sie ging zu ihm, sah an ihm hinab und machte ihm bewusst, dass er ganz nackt vor ihr stand. Er machte einen Schritt zurück, aber sie folgte ihm und legte ihm eine Hand auf die Brust. „Ich mache mir Gedanken, ob morgen alles gut gehen wird.“ Aufreizend ließ sie die Finger über seine Brustwarzen gleiten, und er sog scharf die Luft ein.

„Ich mache mir Sorgen um Ailsa und Angus und darum, ob ihre Hochzeit ohne Zwischenfälle verlaufen wird.“

„Du meinst, im Gegensatz zu unserer eigenen?“, fragte er in dem Versuch, die Stimmung zu lockern. Vermutlich sorgte sie sich, ob die Vorbereitungen ausreichten, um ihn als Laird und Earl im rechten Licht dastehen zu lassen. Seit dem Tag ihrer Hochzeit standen für Jocelyn seine Belange stets an erster Stelle, und so schien es auch jetzt zu sein.

„Unsere ging gut aus“, versicherte sie ihm, während sie mit den Fingerspitzen noch immer seine Haut reizte und dabei vorgab, es ganz unbewusst zu tun. Unter der Berührung prickelte seine Haut, und er wurde hart.

„Wenn du es ‚gut ausgehen‘ nennst, dass du einschliefst und dann, als ich endlich mit dir das Bett teilte, den Namen eines anderen Mannes riefst …“

Er lachte, als er ihr empörtes Gesicht sah, bis auch sie sich wieder an jene Nacht erinnerte.

Als er das erste Mal sein Recht als Ehemann einforderte, hatte sie in der Tat den Namen eines anderen gerufen – den Namen des jungen Mannes, den sie geliebt, den er aber an Brautgeld überboten hatte. Doch sie hatten ihr gemeinsames Glück gefunden, und nicht ein Mal während ihrer Ehe hatte er ihre Treue angezweifelt. Konnte es sein, dass dieses Glück vorbei war? War das der Grund für ihre betrübte Miene?

Wieder sah er in ihre Augen und suchte nach dem wahren Grund für ihr seltsames Verhalten … Zumindest versuchte er es, denn als ihre Hand über seinen Bauch strich, dann immer weiter hinab und ihn schließlich ganz umfasste, konnte er nicht viel mehr tun, als zu fühlen.

Er war zu keinem vernünftigen Gedanke fähig, als sie ihn streichelte und massierte, bis er noch härter wurde. Eben wollten ihn erneut Bedenken überkommen, da fuhr sie sich mit der Zunge über die Lippen und kniete sich vor ihn, um ihn nicht nur mit der Hand zu erregen. Er schob seine Finger in ihr Haar, während sie ihn kostete, leckte und dann ganz in den Mund nahm.

Das brachte nur sie fertig – sie verwandelte ihn von einem Mann, der sein eigenes und Hunderte andere Leben beherrschte, in ein gieriges Raubtier, das nur einen Gedanken hatte – sich Jocelyn zu eigen zu machen. Tat sie das hier etwa mit Absicht, um ihn von seinen Fragen abzulenken? Einen Augenblick später hatte er auch diesen Gedanken vergessen.

Heiß schoss ihm das Blut durch die Adern, während sie ihn zur Raserei trieb. Connor atmete langsam, zwang sich, die Hände von ihr zu nehmen, doch dann konnte er nicht mehr an sich halten. Er packte sie bei den Schultern, zog sie hoch zu sich, bis er ihren Mund mit seinem erobern konnte. Dieses Mal ließ sie sich in seine Umarmung fallen, umschlang ihn mit den Beinen und rieb ihre feuchte Haut an ihm. Es brauchte nur wenige Schritte und eine kurze Drehung, dann lagen sie auf dem Bett, und er drang tief in sie ein, bis sie beide vor Erregung keuchten.

Ganz gleich, wie oft er das erlebte, ganz gleich, wie oft er sie sich zu eigen machte und ihre Körper miteinander verschmolzen, jedes Mal wieder erfüllte ihn die Macht ihrer Vereinigung mit tiefster Ehrfurcht. Als er seinen Mund von ihrem löste, schloss sie die Augen, legte den Kopf in den Nacken und stöhnte bei jedem seiner Stöße. Sie bewegte sich mit ihm, nahm seinen Rhythmus auf, der ihr durch ihre vielen gemeinsamen Male so vertraut war. Ihr Körper erzitterte, als sie dem Höhepunkt entgegenfieberte, sie spannte sich um ihn herum an, bis er sich in wilder Lust in ihr ergoss.

Er blieb hart in ihr, während er sah, wie ihr Gesicht vor Wonne erstrahlte. Erneut schlang sie die Beine eng um seine Hüften, hielt ihn dort fest und lächelte ihn an. Connor wusste, dass er noch einmal beginnen könnte, doch die dunklen Schatten unter ihren Augen erinnerten ihn an die anstrengenden Aufgaben, die während der vergangenen Tage und auch heute noch auf ihr gelastet hatten. Zwar reizte es ihn, sie zu seinem Vergnügen wach zu halten, doch es war besser, wenn seine Ehefrau gut ausgeruht und bereit war, sich den Aufgaben des morgigen Tages zu stellen.

„Ich liebe dich“, flüsterte er, küsste ihre Wange und löste sich von ihr.

Eine Träne rann aus ihrem Augenwinkel. Sie wischte sie fort und rutschte auf die andere Seite des Bettes, um die Decke über sie beide zu ziehen. Während er sich neben sie legte, sie an sich zog und seinen Kopf neben ihrem bettete, sagte sie nichts.

„Ich dich auch“, flüsterte sie endlich, doch die Traurigkeit in ihrer Stimme zerriss ihn innerlich.

Irgendetwas verheimlichte sie ihm, und er hasste es, nicht zu wissen, was. Er hätte ihr befehlen können, es ihm zu sagen, aber er hatte Jocelyns Sturheit schon früher kennengelernt und wusste, dass er nur scheitern konnte.

Während ihr Atem ruhiger wurde und er spürte, wie sie einschlief und ihr Körper entspannt gegen seinen sank, zwang er sich selbst dazu, Geduld aufzubringen und abzuwarten, bis sie ihm von sich aus die Wahrheit sagen würde. Er rief sich ins Gedächtnis, dass sie ihn niemals hintergehen würde.

Noch als die Vögel bereits ihre Morgengesänge anstimmten, lag er wach und grübelte über seine Ehefrau und ihre Schwierigkeiten nach.

Ob es nun seine Absicht gewesen war oder nicht, Connors leidenschaftliches Liebesspiel hatte sie schließlich Schlaf finden lassen. Zwischen ihren Bemühungen, seine Pläne herauszufinden, sich mit Connors Schwester Margaret wegen der Hochzeitsvorbereitungen zu beraten, für ihre Kinder und ihren Ehemann zu sorgen und gleichzeitig ebendiesen Ehemann glauben zu machen, dass alles in Ordnung sei, hatte sie nur wenig geschlafen. Nun brach der Tag an, an dem das Paar den Bund schließen würde, den sie mit ihren ersten eigenen Versuchen des Ehestiftens in die Wege geleitet hatte. Und Jocelyn stellte fest, dass sie alleine aufwachte.

Sie strich mit der Hand über das Laken. Es war noch warm, also konnte Connor nicht viel früher als sie aufgestanden sein. Schnell kleidete sie sich an und machte dabei im Geiste eine Liste all der Dinge, die noch zu erledigen waren, ehe die Zeremonie am Mittag stattfinden würde. Ihr Blick huschte zum Alkoven, dann zur geschlossenen Tür. Dies war vielleicht die letzte Gelegenheit, nach Informationen über zwei Clans zu suchen, die in Connors Gunst aufzusteigen schienen. Clans, mit denen er sich voraussichtlich in Kürze durch Heirat zu verbünden suchen würde.

Kurz entschlossen suchte Jocelyn an ihrem Bund den passenden Schlüssel, steckte ihn ins Schloss der Kassette und drehte ihn so langsam und leise sie konnte. Das Geräusch schien im Schlafgemach widerzuhallen. Sie hielt den Blick auf die Tür gerichtet, damit sie sofort merkte, wenn Connor zurückkehrte. Nach zwei erfolglosen Versuchen war ihr klar, dass der Schlüssel nicht passte. Sie zog ihn heraus und schob ihn erneut ins Schloss, doch vergebens.

Nun untersuchte sie den Schlüssel und fand den kleinen Kratzer, mit dem sie ihn markiert hatte; es musste der richtige sein. Also sah sie sich das Schloss genauer an. Es war ausgetauscht worden! Verwirrt trat sie einen Schritt zurück. Es war ihr unerklärlich. Doch wenn das Schloss ausgetauscht worden war, dann gab es nur eine Person, die den passenden Schlüssel hatte, und die …

… stand auf der Schwelle zum Schlafgemach.

Der Ausdruck auf seinem Gesicht erinnerte sie daran, wie man ihn früher genannt hatte – die Bestie. Sein Blick war finster, die Brauen wütend zusammengezogen. Als er auf sie zukam, begann ihr Herz wild zu hämmern, und Schweiß rann ihr den Nacken hinab. Sie entdeckte, dass er sie tatsächlich einschüchtern konnte. Obwohl sie wusste, dass er ihr nie etwas antun würde, reagierte ihr Körper auf die Drohung in seiner Stimme.

„Jocelyn“, knurrte er, während er auf sie zukam. „Sag mir sofort, was das zu bedeuten hat.“ Die Arme vor der Brust verschränkt, sah er ganz aus wie der furchterregende Krieger, der er war. Schlimmer noch, er sah aus wie ein Ehemann, der forderte, dass sein widerstrebendes Weib ihm auf der Stelle Rede und Antwort stand.

Würde er sie auslachen, wenn sie ihm ihre tiefsten Ängste offenbarte? Als Laird war er es nicht gewohnt, dass seine Entscheidungen hinterfragt wurden, das wusste sie aus Erfahrung.

„Warst du es, die die Kassette in den letzten Monaten immer wieder durchsucht hat?“

Er wusste es? Hatte er es die ganze Zeit gewusst?

„Connor, ich kann das erklären“, begann sie. Sie verschränkte ihre Finger ineinander, damit er nicht sah, wie ihre Hände zitterten, und trat einen Schritt zurück. „Ich …“

„Jocelyn!“

Erschrocken schauten beide zur offenen Tür, wo Margriet und Marian nach Jocelyn riefen.

„Die Köchin hat das Rezept für die Kuchen geändert“, beschwerte Margriet sich. „Jetzt sind sie zu süß.“

„Und Gair will Ailsa und Angus neben ihre Eltern an die Ehrentafel setzen“, fügte Marian hinzu. „Nur du kannst ihn überreden, nachzugeben.“ Beide Frauen stemmten die Hände in die Hüften und sahen Jocelyn unverwandt an.

Sie kamen zu ihrer Rettung!

Misstrauisch kniff Connor die Augen zusammen und schaute zwischen den drei Frauen hin und her. Jocelyn versuchte, ruhig zu bleiben, und sah ihn fragend an. Würde er sie davonkommen lassen?

„Connor?“ Sie wartete auf seine Erlaubnis, ehe sie an ihm vorbei zur Tür eilte. Doch er fasste sie rasch beim Arm und zog sie so dicht heran, dass nur sie beide hören konnten, was er sagte.

„Wir unterhalten uns später. Und dann wirst du mir die Wahrheit sagen, Jocelyn.“

Bevor er sie losließ, sah er ihr noch einmal tief in die Augen, dann nickte er. „Kümmere dich um deine Pflichten“, sagte er schließlich laut genug, dass alle es hören konnten.

3. KAPITEL

Jocelyn war sich seines anklagenden Blicks nur zu bewusst, während sie sich zu ihren Freundinnen an der Tür gesellte. Doch ihre Freundinnen bedeuteten ihr, schnell mitzukommen, und so ließ sie Connor allein. Sobald sie die große Halle erreicht hatten, blieb sie stehen.

„Wir müssen aufhören“, verkündete sie, während sie die Frauen in eine abgelegene Nische zog. „Connor hat mich erwischt.“

„Als wir sahen, wie er in euer Gemach ging, dachten wir, dass du Hilfe brauchen könntest“, sagte Margriet. „Hast du nach den Papieren gesucht?“

„Über die MacQuarries?“, hakte Marian nach. Ihre Tochter würde bald im heiratsfähigen Alter sein, und Connor würde sich daranmachen, einen passenden Ehemann zu suchen.

Unglücklicherweise zog das Vermögen, das sie einmal erben würde, viele ehrgeizige Bewerber an, und Marian sorgte sich wegen der eventuellen Verbindungen. Nur deshalb beteiligte sie sich an diesem Unterfangen.

„Ich kam gar nicht erst heran. Er hat das Schloss an der Schatulle ausgetauscht.“

„Weiß er es?“, fragte Margriet.

„Er ahnt etwas.“ Jocelyn zuckte mit den Schultern. „Ich war unachtsam bei der Suche.“

„Vielleicht sollten wir abwarten?“, meinte Marian, doch Jocelyn konnte die Sorge in ihrer Stimme hören.

Eine Weile sagte keine von ihnen etwas. Alle drei dachten sie vermutlich an ihre eigenen, bald heiratsfähigen Kinder und deren betrübliche Aussichten auf ungeliebte Partner, wenn sie den Laird nicht in ihrem Sinne beeinflussen konnten.

„Ich glaube, das wäre nicht gut“, sagte Jocelyn. „So viele nehmen heute an der Hochzeit teil, dass Connor und Duncan ganz bestimmt die Gelegenheit nutzen werden, Gespräche zu führen.“

Kurz darauf versanken sie alle drei so sehr in den letzten Hochzeitsvorbereitungen, dass sie es nicht mehr schafften, weiter darüber zu sprechen. Jocelyn kam ihren Pflichten als Gemahlin des Laird nach, trotz der finsteren Blicke, die jener ihr zuwarf. Nach außen hin ließen sie sich ihre Meinungsverschiedenheit nicht anmerken, aber Jocelyn spürte im Herzen, wie die Kluft zwischen ihnen größer wurde.

Als die Gäste nach und nach eintrafen, hieß Jocelyn sie willkommen und sorgte für ihr Wohlbefinden. Gleichzeitig bemühte sie sich, möglichst mit denjenigen Gästen zu sprechen, deren Namen sie in den Unterlagen gefunden hatte. Auf einige, die ihr besonders vielversprechend erschienen, wies sie auch Marian hin.

Am Ende des Nachmittags glaubten Jocelyn und ihre Freundinnen, einige mögliche Ehekandidaten für Marians Tochter Ciara erkannt zu haben. Jetzt konnten sie versuchen, diese Wahl zu beeinflussen.

Als Angus und Ailsa ihr Ehegelübde sprachen, brannten Tränen in Jocelyns Augen, und unweigerlich schweifte ihr Blick zu Connor. Sie dachte an ihre eigene Eheschließung und wie weit sie seither gekommen waren. Sie hatte erwartet, ihn immer noch finster dreinblicken zu sehen; umso mehr überraschte sie die ehrliche Liebe, die aus seinen Augen strahlte, als er ihren Blick erwiderte. Nun rannen die Tränen tatsächlich, und Jocelyn entschied sich, ihm die Wahrheit zu sagen – dass die heutige Ehe durch ihre Bemühungen zustande gekommen war, und dass sie und ihre Freundinnen weitere Verbindungen planten, innerhalb wie außerhalb des Clans.

Aber es würde noch eine Weile dauern, bevor sie mit ihm alleine wäre, also beschloss Jocelyn, ihre Sorgen beiseitezuschieben und das Fest zu genießen. Ailsa sah in ihrem Brautkleid bezaubernd aus. Angus hatte ihr eine Halskette geschenkt, ein Familienerbstück, das sie immer wieder berührte und ihn dabei anlächelte.

So unschuldig. So verliebt. Und eine gute Familie. Da hatten sie ganz gewiss einen erfolgreichen Bund gestiftet.

Als nach dem Mahl zum Tanz aufgespielt wurde, schloss sich auch Jocelyn den Tänzern an, zuerst mit Connor, dann mit Verwandten und Freunden. Selbst ihr ältester Sohn forderte sie zu einem Tanz auf und ließ sie völlig atemlos zurück. Sie wollte ihn umarmen, an sich drücken und nie wieder loslassen. Doch an den Sohn des Lairds wurden gewisse Erwartungen gestellt, und eine davon war, als Pflegesohn bei einem anderen Clan zu leben. Obwohl sie viele Nächte geweint hatte, als Connor ihn fortschickte, war sie doch stolz darauf, zu was für einem prächtigen jungen Mann er heranwuchs.

Marian und Margriet setzten sich zu Jocelyn an den Tisch. Gemeinsam lachten sie über die Possen ihrer Kinder und sahen zu, wie das junge Paar beglückwünscht und wegen der Hochzeitsnacht geneckt wurde. Ailsa errötete und griff trostsuchend nach der Hand ihres frischgebackenen Ehemanns.

So suchte sie auch Connors Hand, wenn sie beisammen standen. Zu spüren, wie seine starke Hand die ihre umfing, gab ihr Kraft. Über die Jahre hatten sie so manches bewältigt und eine gute Ehe geführt. Jetzt hoffte sie, dass ihre Bemühungen kommenden Generationen zu ebensolchem Glück verhelfen würden.

Sie schob diese rührseligen Gedanken beiseite und wies Marian auf einige Familien hin, die Söhne im entsprechenden Alter hatten. Dann trennten sie sich, um diese Familien näher kennenzulernen.

Später, bevor sie sich vom Fest zurückzogen, wollten sie sich in ihrem Frauengemach treffen, um sich auszutauschen und die weitere Vorgehensweise zu besprechen. Morgen dann würden sie sich die aussichtsreichsten Kandidaten näher ansehen und, bevor die Gäste wieder abreisten, versuchen herauszufinden, wie Ciara mit den auserwählten jungen Männern auskam. Das war der wichtigste Schritt; erst dann würden sie sich entscheiden und die beiden Familien einander nach und nach nahebringen.

So war es bei Ailsa und dem jungen Angus gelungen.

Es würde auch bei Ciara gelingen, und bei Jocelyns und Margriets Töchtern ebenfalls.

Es musste gelingen.

4. KAPITEL

Lacht nicht“, warnte Connor Duncan und Rurik. „Auch eure Frauen sind irgendwie daran beteiligt.“

Connor trank den letzten Schluck des starken Whiskys und winkte dem Diener, seinen Becher neu zu füllen. Er hatte Jocelyn den ganzen Tag beobachtet und gesehen, wie sehr ihr Gewissen sie bedrückte – er las es in ihren Augen, jedes Mal, wenn sich ihre Blicke trafen.

Als ihre Freundinnen heute Morgen so zufällig vor ihrem Schlafgemach aufgetaucht waren, um Jocelyn vor weiteren Fragen zu retten, war ihm klar geworden, dass es sich hierbei um eine weibliche Verschwörung handelte und die drei unter einer Decke steckten.

Und das verhieß nichts Gutes für ihre drei Ehemänner.

Tief in seinem Herzen wusste er, dass sie ihn niemals hintergehen würde, aber zu sehen, wie sie auf dem Fest mit jedem einzelnen jungen Mann sprach – die meisten kannte er, einige aber auch nicht –, brachte sein Blut zum Kochen. Sooft er sich auch selbst versicherte, dass er nicht eifersüchtig war, sein hitziges Blut bewies das Gegenteil. Erst ihr auffälliges Interesse für die Schatulle, jetzt ihr seltsames überfreundliches Auftreten – Connor wusste, dass etwas im Gange war, und Jocelyn steckte mittendrin.

„Marian ist wie immer“, sagte Duncan. „Sie hat doch nur Jocelyn und Ailas Mutter bei all der Arbeit unterstützt.“

„Genau wie Margriet“, fügte Rurik hinzu.

Connor lehnte sich zurück und sah die beiden an. Sie beobachteten ihre Frauen in der Menge, und er wusste, dass es nicht lange dauern würde, bis sie seinen Verdacht teilten.

„Weshalb spricht Marian mit diesem jungen Hund? Ist das nicht der MacQuarrie-Erbe?“ Duncan trank seinen Whisky aus und sah näher hin.

„Und worüber könnten Margriet und Dougal MacKenzie sich so angeregt unterhalten?“ Zufrieden sah Connor, wie Rurik kriegerisch die Arme vor der Brust verschränkte. „Und weshalb rückt sie ihm so nahe?“

„Was geht hier vor?“ Duncan ließ die Augen nicht von seiner Frau, die sich so enthusiastisch mit dem stattlichen jungen Mann unterhielt, der einmal seinem Vater nachfolgen und Oberhaupt des Clans werden würde.

„Ich habe Jocelyn gestern Abend und heute Morgen dabei ertappt, wie sie versucht hat, die Kassette zu öffnen.“

Beide sahen Connor an, als wären ihm drei Köpfe gewachsen. Das konnte er nur zu gut verstehen, hatte er es doch zuerst auch nicht glauben können. Aber Jocelyns schuldbewusste Miene hatte es ihm bestätigt.

„Warum denn?“, fragte Duncan.

„Hat sie etwas herausgenommen?“, wollte Rurik wissen.

„Nein. Dazu hatte sie auch keine Gelegenheit.“ Connor trank einen Schluck und zuckte die Schultern. „Es ist zur Zeit nichts Wichtiges darin. Keine Dokumente und auch sonst nichts, das sie nicht jederzeit einsehen könnte, wenn sie mich nur darum bittet. Warum also darf ich nicht erfahren, wonach sie sucht? frage ich mich.“

Gerade beendeten ihre Frauen ihre Unterhaltungen und wandten sich jeweils dem jungen Mann zu, mit dem die andere zuvor gesprochen hatte.

„Es ist an der Zeit, die Wahrheit herauszufinden“, verkündete Connor.

„Höchste Zeit.“ Geräuschvoll knallte Rurik seinen Becher auf den Tisch, straffte die Schultern und hob die Arme, als bereite er sich auf einen Kampf vor.

„Sie sind meine Gäste, Rurik. Vergiss das nicht.“

„Gastfreundlichkeit hat Grenzen, oder nicht?“, fragte Duncan mit einem eifersüchtigen Funkeln im Blick. Duncan hätte in der Vergangenheit fast schon einmal diesen Brauch der Highlands verletzt, um Marian zu verteidigen, daher zweifelte Connor nicht, dass er es wieder tun würde, wenn jemand sie beleidigte. Mahnend legte er ihm eine Hand auf die Schulter.

„Sie sieht nicht aus, als müsste sie verteidigt werden, also nimm dich zurück, Duncan, und handele hier in meiner Halle nicht überstürzt.“

Er stellte seinen Becher auf den Tisch und schaute wieder zu den Frauen hinüber. Die sahen einander an, und als Jocelyn unauffällig nickte, wandten sie sich ihrem Gemach zu. Das war die Gelegenheit.

„Zeit, herauszufinden, was sie im Schilde führen“, zischte Connor. „Schnappt euch eure Frauen, bringt sie irgendwohin und holt die Wahrheit aus ihnen heraus.“

„Und du?“

„Jocelyn wird bald entdecken, dass die Bestie der Highlands noch immer lebt.“

Rasch folgten sie ihren Frauen durch die Halle und holten sie ein, als sie eben Jocelyns Gemach erreichten. Im selben Augenblick bemerkten die Frauen sie und drehten sich geschlossen zu ihnen um. Connor sah, wie sich Schuld und Angst in ihren Mienen abzeichnete – Kindern gleich, die dabei ertappt wurden, wie sie in der Küche Süßigkeit stibitzten. Und als wüssten sie, dass der Moment der Abrechnung gekommen war.

„Marian.“ Duncan streckte eine Hand nach ihr aus. „Komm mit.“

„Margriet.“ Rurik sagte nichts weiter, sondern forderte seine Ehefrau stumm auf, mit ihm zu kommen.

Schweigend sah Jocelyn ihren Freundinnen nach, dann schaute sie Connor an. Er entschied, dass er am besten unter vier Augen mit ihr sprach.

„Komm, Weib“, sagte er und bot ihr seine Hand. „Ich möchte mit dir reden.“

Sie schluckte einmal, dann noch einmal, holte tief Luft und nahm schließlich seine dargebotene Hand. Zusammen schritten sie zur Treppe, die zu ihren gemeinsamen Gemächern führte. Er wartete, hoffte, sie würde ihm freiwillig die Wahrheit sagen, doch sie schwieg. Also befahl er der Wache unten an der Treppe, niemanden hinaufzulassen, dann geleitete er Jocelyn die Stufen hinauf und zur Tür.

Noch war das Hochzeitsfest im vollen Gange, sodass sie nicht allzu lang fortbleiben konnten. Doch Connor hatte sich zwei Pläne zurechtgelegt, um sie zu überreden, ihr Verhalten zu erklären. Wenn der eine nicht funktionierte, dann ganz bestimmt der zweite.

Er kannte die Frau an seiner Seite in- und auswendig, jeden Zentimeter ihres Körper, jede Facette ihrer Seele. Dieses Wissen würde er nutzen, um ihr zu zeigen, dass sie ihm alles anvertrauen konnte, was sie bedrückte. Wenn nicht ihm als ihrem Ehemann, dann als ihrem Laird.

Nachdem sie eingetreten waren, ließ er ihre Hand los und schob den Riegel vor, damit sie auf keinen Fall gestört wurden. Dann wartete er, bis sie ihn anschaute, was sie schließlich auch tat. Aber als sie den Mund öffnete, um etwas zu sagen, schüttelte Connor den Kopf.

„Ich glaube, du hast vergessen, wie gefährlich es ist, die Bestie der Highlands zu wecken.“ Dabei lächelte er, und sie blinzelte verwirrt, als müsse sie überlegen, was er damit meinte. Mit großen Schritten ging er zu ihr, zog sie in die Arme und hob sanft ihr Gesicht an, um ihr in die Augen zu sehen.

„Nun wirst du sehen, was passiert, wenn du etwas so Gefährliches tust.“ Nach dieser kleinen Warnung hielt er kurz inne, um ihren verführerischen Duft einzuatmen, dann stürzte er sich auf seine Beute.

5. KAPITEL

Trotz seines furchteinflößenden Rufes hatte Connor, seit sie ihn kannte, nie eine Hand gegen sie erhoben. Jetzt, nach dieser Drohung, fragte sie sich für einen angstvollen Moment, was er tun würde.

Ich hätte es wissen müssen. Ihr Körper gehörte ganz ihm, jetzt würde er über ihren Körper auch ihre Seele berühren, ganz wie sie es in der vergangenen Nacht getan hatte. Ihr Ziel war gewesen, ihn abzulenken. Seines war, sie sich zu eigen zu machen, ihr zu zeigen, dass sie ihm gehörte.

Wenige Sekunden, einen einzigen verheerenden Kuss, mehr brauchte er nicht, damit sich ihr Körper ergab.

Sein Mund wurde fordernder, seine Zunge fuhr über ihre Lippen, drängte sich dazwischen, um sie zu kosten. Auf einen Kuss folgte der nächste, und noch einer, bis sie ganz atemlos war. Ihren Mund von seinem zu lösen half nichts, denn er folgte ihr und erbeutete Kuss um Kuss.

Ihre Brüste wurden empfindlicher, als er sie noch dichter heranzog und sein Bein tief zwischen ihre Schenkel schob. Der raue Stoff ihres Kleids rieb erregend über ihre Haut. Connor drängte sie ein paar Schritte zurück, bis sie die kühle Zimmerwand hinter sich spürte. Er presste sie dagegen, während er sie in seinen Armen nach oben zog. Und dann schob er ihren Rock hoch, tastete darunter nach der bloßen Haut.

Jocelyn verfluchte ihren verräterischen Körper, denn unwillkürlich schob er sich Connors Fingern entgegen, bettelte fast darum, dass er die heiße, feuchte Stelle zwischen ihren Beinen berührte. Wieder küsste Connor sie, und sie stöhnte an seinen Lippen auf, als er endlich fand, was er suchte. Ihr Kopf sank zurück, und sie keuchte auf vor Erregung; ihr Körper schrie nach mehr. Connor zog einen Pfad aus Küssen über ihre Wangen, ihren Hals; hastig zerrte er am Ausschnitt ihres Gewandes, bis die Schnürung riss und ihre Brüste freilegte. Er ließ seine Lippen über ihre Schulter hinunterwandern bis zu den üppigen Rundungen, liebkoste sie und rieb die längst schon harten Knospen mit den Daumen, ehe er seinen Mund über eine davon senkte und sanft daran knabberte. Heftig wölbte sie sich ihm entgegen, und er leckte die rosigen Spitzen und fuhr leicht mit den Zähnen darüber. Jocelyn vergaß Zeit und Raum, spürte nur noch die Wonne, die er ihr bereitete.

Sie ließ es zu, dass er sie höher schob und ihre Beine um seine Hüften schlang, und als er seinen Kilt hob und sie seinen harten Schaft spürte, flehte sie ihn geradezu an. „Bitte, Connor …“ Sie versuchte, ihn in sich aufzunehmen, die Erlösung zu finden, der er sie ganze Zeit entgegengetrieben hatte. Doch er rührte sich nicht, sondern sah sie nur an. Sie wartete darauf, dass er etwas sagte, doch er hielt einfach ihren Blick gefangen, während er die Hand tiefer zwischen ihre Beine schob. Weit öffnete sie sich ihm, und er reizte und liebkoste sie unerbittlich.

„Bitte!“, flüsterte sie abermals.

Er rieb sich an ihr, bis sie nur eins noch wollte: ihn in sich spüren. Doch das verweigerte er ihr, rieb und streichelte sie stattdessen mit den Fingern und trieb sie fast zum Höhepunkt. Sie wiegte ihre Hüften schnell und schneller, bis sie der Erlösung nahe war – da ließ er ganz von ihr ab. Entschlossen griff sie zu und umfing ihn mit der Hand.

Connor tat nichts, um Jocelyn aufzuhalten. Sein Körper lechzte nach ihr, wollte sie nehmen, doch er hielt sich zurück. Sein Plan – der ihm irgendwann einmal gut erschienen war – war gewesen, sie hinzuhalten, bis sie ihn anflehte. Erst wenn sie ihm in ihrer Sehnsucht nach Erlösung die Wahrheit sagte, würde er sie erhören.

Aber er stellte fest, dass er dieses Spiel nicht spielen konnte, ohne selbst betroffen zu sein. Sein Körper gehörte ihr, seit sie das erste Mal seine Hand ergriffen und ihm zur Seite gestanden hatte. Er sehnte und verzehrte sich nach ihr, wollte so tief mit ihr vereint sein, dass sie wie ein Körper waren – sich gemeinsam bewegten, gemeinsam atmeten, gemeinsam waren. Als sie nun seinen harten Schaft in die Hand nahm, war er verloren.

Sie beobachtete ihn, während sie ihn umfasste, ihn massierte und streichelte, so wie er es liebte. Als sie ihn anlächelte, ihre Lippen von seinen Küssen noch ganz geschwollen, trieb es ihn fast in den Wahnsinn. Und während sie ihn immer weiter erregte, neigte er sich zu ihr und eroberte erneut ihren Mund, drang mit der Zunge so tief und besitzergreifend hinein, wie er bald ganz in sie eindringen würde. Sie schmiegte sich an ihn. Gleich, gleich war es so weit, sie näherten sich dem Zenit. Connor lehnte sich zurück, sah ihr in die von Leidenschaft verhangenen Augen und sprach aus, was er ihr unbedingt sagen wollte.

„Du brauchst nur zu bitten, Jocelyn. Bitte mich, um was du willst, und es soll dir gehören.“

Er wusste, was sie wollte. Aber hoffentlich begriff sie auch, dass er ihr den Schlüssel anbot, den sie suchte – zu seinem Körper, seinem Herzen und zu der Kassette, deren Inhalt sie anscheinend so dringend benötigte.

„Bitte, Connor“, flüstert sie wieder und drängte sich erneut an ihn.

„Sag es, Jocelyn!“, grollte er und küsste sie, schnell, gierig, besitzergreifend.

Sie lehnte den Kopf zurück, bot ihm die seidige Haut ihres anmutigen Halses und ihren üppigen Busen dar. Mit bebender Stimme flüsterte sie: „Nimm mich, Connor. Füll mich aus.“ Sie lächelte ihn an. „Liebe mich, Ehemann.“

Mehr als diese Worte brauchte es nicht. Er hob sie leicht an und drang mit einem Stoß in sie ein. Sie folgte seinem Rhythmus, und mit jeder neuen Bewegung spürte er, wie seine Erregung stieg. Pochend umfing sie ihn, keuchte vor Lust. Schließlich ergoss er sich in ihr, küsste ihren Hals und sie stöhnte wonnevoll. Noch von Leidenschaft ge­schüttelt, flüsterte er seine Antwort.

„Ja, meine Frau“, sagte er. „Ich liebe dich.“

So verharrte er, bis die letzte Woge der Leidenschaft abflaute. Doch er würde ihr noch weit mehr Genuss verschaffen, sobald sie sich einige Zeit erholt hatte. Langsam zog er sich zurück und half ihr auf die Füße. Dass ihre Beine kraftlos zitterten, schmeichelte seiner männlichen Eitelkeit. Er griff nach dem Saum ihres Gewands und zog es ihr über den Kopf, sodass sie völlig nackt vor ihm stand.

Welch ein Bild bot sie ihm! Das Haar fiel ihr ungebändigt und vom Liebesspiel zerzaust über die Schultern. Sie verbarg nichts vor ihm, erlaubte ihm, sich an ihr sattzusehen. Rasch streifte er selbst Hemd und Kilt ab. Dann hob er seine Frau auf die Arme und trug sie hinüber zum Bett, wo er sie auf die weichen Laken legte. Als sie aber die Bettdecke über sich ziehen wollte, hielt er sie davon ab.

„Dies ist nicht der richtige Moment, um zu schlafen“, erklärte er, beugte sich zu ihr hinunter und küsste ihre Beine entlang, immer weiter nach oben, leckte und knabberte und reizte sie.

Obwohl sie eben erst die höchste Lust genossen hatte, reagierte ihr Körper sofort wieder. Der süße Duft ihrer Erregung strömte Connor entgegen. Lächelnd schaute er zu ihr auf und sah, dass sie, auf die Ellbogen gestützt, jede seiner Bewegungen beobachtete. Er hielt ihren Blick fest, während er sich ihrer heißen, feuchten Haut näherte und sie streichelte. Sie bog sich ihm entgegen, die Hände fest in sein Haar gekrallt, und presste seinen Mund dicht an sich. Als er sie mit der Zunge berührte, den winzigen, verborgenen, lustspendenden Punkt fand, wölbte sie sich ihm fordernd entgegen. Er leckte und saugte daran, bis sie sich aufbäumte, ihre unaussprechlichen Wonnen herausschrie.

Längst war er wieder bereit, schob sich über sie und drang erneut in ihren wunderbar feuchten Schoß ein. Freudig aufkeuchend empfing sie ihn und passte sich seinen drängenden Stößen an. Dieses Mal nahm er sie wild und hart, und sie stand ihm in nichts nach, bis sie beide, vom Ansturm der Lust geschüttelt, den Gipfel erreichten. Atemlos und zutiefst befriedigt verharrte er einige Zeit, ehe er sich aus ihr zurückzog. Ihre gleichmäßigen Atemzüge sagten ihm, dass sie schlief, also löste er sich sehr behutsam von ihr und stand auf.

Immer noch seines Plans eingedenk, holte er den Schlüssel aus seinem Versteck im Alkoven. Dann rief er leise: „Jocelyn!“

Er hörte, wie sie sich aufsetzte, vom Bett aufstand und zu ihm kam. Auf halbem Weg hielt er ihr den Schlüssel entgegen. „Ich weiß nicht, was du in dieser Kassette so dringend suchst, aber alles, was ich besitze, gehört auch dir.“ Er wartete, bis sie mit zitternden Händen den Schlüssel nahm. Dann stellte er die eigentliche Frage. „Was ist darin so wichtig, dass du es vor mir verheimlichst?“

Sie betrachtete sein Gesicht, dann den Schlüssel in ihrer Hand. So lange zögerte sie, dass er fürchtete, sie würde ihm erneut eine Antwort verweigern.

„Was ist dir so wichtig?“, drängte er.

„Nur das Herz einer Frau“, sagte sie leise. „Nur das.“

6. KAPITEL

Jocelyn sah, wie sich erst Verwirrung, dann Wut in seinen dunklen Augen spiegelte. Wie konnte sie ihm erklären, was ihr so wichtig war, ohne ihn zu verärgern? Er war ein Mann, der seine Ehefrau liebte, aber vor allem war er der Laird und verantwortlich für all jene, die unter seinem Schutz lebten. Sie wusste, er wog all seine Entscheidungen sorgfältig ab; genauso wusste sie aber auch, dass er stets zuerst an das Wohl des Clans dachte.

Gerade erst hatte er ihr gegenseitiges Verlangen benutzt, um eine Antwort von ihr zu bekommen. Nicht, dass es ihr etwas ausmachte, sich von ihm leidenschaftlich und zur Besinnungslosigkeit lieben zu lassen, aber nach all den Jahren verstand sie seine Beweggründe und Methoden. Jetzt allerdings hatte er sie ertappt und fragte nach ihren Beweggründen; vielleicht würde er sich seinerseits um Verständnis bemühen.

„Bist du unglücklich in unserer Ehe, Jocelyn?“

Sie schloss die Augen und spürte, wie sich Tränen darin sammelten. Hatte sie eben noch geglaubt, dass er sich kalt und gefühllos verhielt, überraschte er sie nun und wärmte ihr Herz. Sie begriff, dass er sich darum sorgte, ob sie ihrer Ehe ein Ende setzen wollte.

„Nein, Connor“, versicherte sie ihm und strich mit einer Hand über seine Wange. „Niemals.“

„Wer dann? Margriet? Marian?“ Ratlos fuhr er sich mit einer Hand durchs Haar. „Welche der Frauen ist unglücklich? Und was hast du in der Schatulle gesucht?“

Sie ging zu ihrer Kleidung und hob sie vom Boden auf, doch alles war völlig zerknittert. Also nahm sie aus ihrer Truhe ein anderes Gewand heraus, denn sie wollte sich seinen Fragen nicht vollkommen nackt stellen. Er schlüpfte währenddessen in ein Hemd und wartete dann ab, bis sie sich ihm wieder zuwandte.

„Jedes Mal, wenn du eine Ehe arrangierst oder Duncan zu Verhandlungen schickst, steht ein Herz auf dem Spiel“, erklärte sie. „Genau wie damals bei mir – und dir. Und bei Ailsa und Angus. Und du nimmst alles sorgsam in Augenschein, was dir wichtig erscheint, aber nie denkst du daran, ob sie glücklich sein werden oder nicht.“

Angesichts der schwerwiegenden Dinge, die er zu bedenken hatte, schien dieser Aspekt fast nebensächlich, doch sie wusste, dass es das nicht war. In den vergangenen Jahren hatten sie mit ansehen müssen, wie einige zum Besten des Clans geschlossen Ehen fatal verlaufen waren.

„Und wem habe ich damit geschadet? Ich kann mich nicht erinnern, dass ich eine Ehe vermitteln half, die nicht gut ausgegangen ist.“

„Darcha MacLerie.“ Sie erinnerte ihn nur ungern daran, aber wie sonst konnte sie ihn überzeugen, dass, wenn es um eine Ehe ging, noch anderes wichtig war als das Wohl des Clans.

Sie musste ihm zugutehalten, dass er bei der Erwähnung seiner Cousine das Gesicht verzog. Deren Ehemann hatte sich als wütender, brutaler Mann entpuppt.

„Jocelyn …“, begann er, brach dann aber ab. Schließlich konnte er nicht abstreiten, dass jene Ehe gegen den Willen seiner Cousine geschlossen worden war, obwohl Jocelyn ihm davon abgeraten hatte. „Ich hatte mein Wort als MacLerie gegeben, wie konnte ich da den Vertrag einfach auflösen?“

„Und genau deshalb haben wir mit unserem … Unterfangen begonnen.“

„Wir? Ihr drei?“

„Wir vier, nur war Margaret in letzter Zeit zu sehr mit Ailsas Hochzeit beschäftigt.“

„Meine Schwester ist also auch beteiligt an … Ja, woran seid ihr eigentlich beteiligt?“ Er schaute zwischen der Kassette und dem Schlüssel in ihrer Hand hin und her.

„Wir helfen dir, den richtigen Partner zu finden, wenn jemand im Clan verheiratet werden soll.“

Sie wusste nicht, welche Reaktion sie erwartet hatte, aber jedenfalls nicht die, die Connor nun zeigte. Er blinzelte verdutzt, dann begann er zu lachen. Bald schon bog er sich vor Lachen, und ihm kamen die Tränen. Jetzt war es an ihr, die Arme zu verschränken und eine Antwort zu einzufordern.

„Was ist so lustig daran?“

Kopfschüttelnd rieb er sich das Gesicht. „Ich dachte, es ginge um etwas ganz anderes.“ Sie glaubte, etwas wie Erleichterung in seinen Augen zu sehen, und fragte sich, was er wohl befürchtet haben mochte. Langsam wurde er wieder ernst und setzte die Miene auf, die er zur Schau trug, wenn er als Laird etwas verkündete.

„Jocelyn, du kannst doch nicht ernsthaft glauben, dass du die Partner für unsere Clanmitglieder gewählt hast? Die Ehen, die ich arrangiere, dienen dazu, die Bündnisse der MacLeries zu stärken oder neue zu knüpfen. Oder neues Land zu gewinnen.“ Er sah derart selbstzufrieden aus, dass sie ihm am liebsten eine Maulschelle verpasst hätte. Stattdessen führte sie ihren letzten Erfolg an.

„Ailsa und Angus.“

Schulterzuckend sah er sie an. „Willst du den Ruhm für diese Verbindung für dich beanspruchen?“

Sie nickte „Weißt du noch, wen du ursprünglich zu ihrem Gemahl gewählt hattest?“

Jocelyn ließ ihm Zeit, sich an die Verhandlungen zu erinnern und an seine Gründe, die Wahl des Zukünftigen für seine Nichte noch einmal zu überdenken. Plötzlich verzog er das Gesicht, als hätte er in etwas sehr Ekliges gebissen.

„Genau! Wir waren es, die dann Angus vorschlugen, nachdem wir gelesen …“ Sie unterbrach sich, bevor sie noch ihre Methoden ausplauderte.

„Dass sein Vater uns Geld schuldete und hoffte, dass wir ihm die Schuld erlassen, wenn er davon absah, eine hohe Mitgift zu verlangen“, beendete er ihren Satz mit finsterem Blick. „Du hast in den Verträgen geschnüffelt.“

Ihr blieb nichts anderes übrig, als es zuzugeben. „Aye. Auf der Suche nach passenden Partien. Dann bemühen wir uns, mehr über die Kandidaten herauszufinden und die jungen Leute einander vorzustellen, ehe wir dich …“

„Mich versucht zu beeinflussen?“

„Wir würden es eher eine Beratung nennen“, sagte Jocelyn.

„Weshalb habt ihr das hinter meinem Rücken getan? Warum habt ihr nicht einfach mit mir gesprochen?“

„Weil du meine diesbezüglichen Ratschläge in der Vergangenheit immer ignoriert hast. Wir versuchen, Paare zusammenzubringen, die einander vielleicht lieben könnten.“ Sie seufzte. „Da unsere eigenen Kinder auch bald heiraten sollen, wollten wir nichts dem Zufall überlassen.“

„Oh“, flüsterte er. „Jetzt verstehe ich. Die Furcht, unsere Kinder an andere Clans zu verlieren, liegt dir schwer auf der Seele.“

Typisch Mann, einen solchen Grund zu vermuten und etwas so Wichtiges wie die Liebe zu missachten! Und das trotz seiner eigenen tiefen Gefühle für sie und die Kinder. Für ihn schien es wohl wie das Eingeständnis einer Schwäche, zuzugeben, wie wichtig Liebe war.

„Auch das ist ein Grund, aber wir wünschen, dass unsere Kinder, und jeder andere im Clan, mit unserer Hilfe sein höchstes Glück findet, indem wir den richtigen Partner finden.“

„Damit wart ihr heute beschäftigt, nicht wahr? Ihr drei?“

Dann hatte er es also bemerkt. „Aye. Wir haben einige vielversprechende Partner für Ciara kennengelernt. Wir wollten vorbereitet sein, wenn du und Duncan euch auf die Suche nach einem Gatten macht.“

Connor lachte ein wenig beschämt. Heute auf dem Fest war er so eifersüchtig gewesen, weil sie mit so vielen jungen Männern gesprochen hatte! Er hatte schon befürchtet, dass sie in ihrer Ehe unglücklich sein könnte. Dabei glaubten Jocelyn und ihre Freundinnen nur, sie könnten passendere Partner für ihre Kinder und den Clan finden! Nun, wenn er es recht bedachte, musste er zugeben, dass er ursprünglich für seine Nichte den Falschen ausgewählt hatte. Angus hingegen war eine ganz ausgezeichnete Wahl. Verdammt! Sollte sie am Ende etwa recht haben?

„Liebe allein reicht als Grund nicht aus, eine Ehe zu schließen, Jocelyn. Das musst du doch wissen.“ Schuldbewusst schob er die Erkenntnis beiseite, dass er solche Dinge durchaus bedachte, es aber niemals zugeben könnte.

„Aber es kann und muss berücksichtigt werden“, beharrte sie.

Er seufzte. Er dachte durchaus an die jungen Leute und versuchte, die bestmöglichen Partner für sie zu finden. Aber er erwartete, dass alle, die seiner Verantwortung unterlagen, sein Urteil akzeptierten und sich zum Besten des Clans fügten. Eine Liebesheirat strebte er dabei in der Tat nicht an, auch wenn er selbst in Jocelyn die wahre Liebe gefunden hatte.

„Du legst zu viel Wert auf die persönliche Wahl“, sagte er

„Und du zu wenig, Connor.“

Ein Patt, als würden sie Schach spielen.

Er wusste, sie hatte das Herz am rechten Fleck, auch wenn er ihre Methoden nicht billigte. Vor allem störte ihn, dass sie all das vor ihm verheimlicht hatte. Weshalb konnten Frauen nicht einfach direkt sagen, was sie dachten? Und mehr noch, weshalb konnten sie nicht zugeben, wenn sie sich irrten?

Jetzt, da er ihre Beweggründe verstand, sollten sie bald darüber sprechen und eine Lösung finden, die ihr die Sorge um die Zukunft ihrer Kinder ein wenig nahm. Dann musste sie nicht mehr des Nachts wie ein Dieb umherschleichen und heimlich in seinen Unterlagen wühlen. Jetzt aber war nicht die Zeit dazu; gewiss war ihre Abwesenheit längst bemerkt worden.

„Komm“, sagte er. „Ich muss dem jungen Paar noch meinen Segen geben. Zieh dich an, und wir reden später weiter.“

Sie griff nach der Bürste, doch er kam ihr zuvor. Er liebte es, ihr Haar durch seine Hände gleiten zu lassen und die kastanienfarbenen Strähnen zu bürsten. Als er fertig war, zog sie sich an und flocht ihr Haar zu einem dicken Zopf. Wenig später gingen sie Hand in Hand zurück in die Halle.

Trotz seiner Erleichterung konnte Connor nicht vergessen, dass diese Sache schon eine ganze Weile gelaufen war, ohne dass er es bemerkt hatte. Offenbar hatten Jocelyn und ihre Freundinnen ein großes Talent für Heimlichkeiten – eine erschreckende Erkenntnis. Hatten sie das wirklich alles zustande gebracht – all diese entscheidenden Informationen zusammengetragen und dann in ihrem Sinne Partien geplant?

Ailsa und Angus kamen Hand in Hand zu ihnen geschlendert. Sie lächelten strahlend und warfen sich immer wieder verliebte Blicke zu.

Konnte seine Ehefrau recht haben?

Die Menschen in der Halle verstummten, als er zusammen mit dem Brautpaar vor sie trat. Er sprach ermutigende Worte, Weisheiten über das Eheleben, und wünschte ihnen im Namen seines Clans nur das Beste. Und zuletzt, als er ihnen all das Glück wünschte, das Liebe ihnen bringen konnte, traf ihn die Wahrheit dessen, was Jocelyn meinte, wie ein Schlag.

Ihre Blicke trafen sich, und sie lächelte, als wisse sie, was ihm eben klar geworden war. Als nun auch Rurik und Duncan gemeinsam mit ihren Frauen die Halle betraten, sah er, dass auch sie wesentlich zufriedener aussahen und die Augen ihrer Frauen warm schimmerten – wie nach erfüllten Liebestunden. Da musste er derart laut lachen, dass sie ihm vorwurfsvolle Blicke zuwarfen.

Nachdem das junge Paar aufgebrochen war und die Dienerschaft die Reste des Festmahls abräumte, versammelte Connor die anderen, zusammen mit seiner Schwester Margaret und ihrem Ehemann Hamish, am Tisch.

Leise sagte Duncan etwas zu Hamish, und Connor beobachtete interessiert, wie sein Schwager es aufnahm, dass ihre Frauen sie geschickt an der Nase herumgeführt hatten. Doch als Margaret ihn erinnerte, wie glücklich ihre Tochter mit ihrem Bräutigam war, wurde sein Blick sanfter. Schließlich fragte er lachend, ob ihre Frauen nicht tatsächlich beim Arrangieren einer Ehe das bessere Händchen hatten.

„Connor?“ Jocelyns Tonfall jagte ihm warnende Schauer über den Rücken.

Das klang nach Ärger. „Jocelyn?“, antwortete er gespielt gelassen.

„Wenn ihr das alles für so dumm haltet und glaubt, wir Frauen könnten nicht den richtigen Partner für unsere Kinder finden, warum erlaubst du uns nicht einfach, weiterzumachen, und am Ende sehen wir, wer die erfolgreicheren Ehen stiftet?“

Obwohl sie mit sanfter, verführerischer Stimme sprach, stand die Herausforderung im Raum, als hätte sie sie laut herausgeschrien. Die anderen drei Männer reckten die Schultern und sahen ihn fragend an. Er musste auf die Herausforderung antworten, um seine Ehre zu wahren … und den Frieden in seiner Ehe.

„Weshalb sollte ich das tun, Frau?“ Er richtete sich hoch auf und versuchte, einschüchternd zu wirken, doch seine Frau wollte einfach keine Angst zeigen.

„Weil ich glaube, dass es dir in Wahrheit ebenso wichtig ist. Genau wie all den anderen Vätern, die ihre Kinder verheiraten“, sagte sie. Ihre Augen strahlten vor Liebe, während sie so leidenschaftlich über das Glück ihrer geliebten Kinder sprach. „Ich denke, dass ihr euch nicht weniger um so triviale Dinge wie das Glück eurer Kinder sorgt als wir Mütter.“

Die anderen Männer rutschten unruhig auf ihren Sitzen herum, und auch Connor kämpfte gegen sein Unbehagen an. Keiner wollte seine wahren Gefühle eingestehen, aber es wollte sie auch niemand verleugnen.

„Und woher werden wir wissen, wer recht hatte?“, fragte Rurik.

„Ein Jahr nach der Hochzeit werden wir die Paare fragen, ob sie den Bund erneut eingehen würden. Ihre Antwort wird uns die Wahrheit verraten“, schlug Margriet vor. Connor fragte sich, ob überhaupt ein Jahr dafür nötig wäre, denn wahre Liebe würde lange vorher offensichtlich sein.

„Ich denke, die Mutter des jeweilige Sprösslings sollte sich heraushalten“, meinte Duncan. Das war vernünftig, fand Connor. Eine Mutter wäre zu voreingenommen, um sachlich zu entscheiden.

„Das ist ungerecht“, murrte Marian. Ihre Tochter wäre wahrscheinlich die Erste in diesem Wettstreit. Alle anderen lachten über ihren Protest. „Dann darf einer der Männer – nicht der Vater – ebenfalls nicht teilnehmen, zum Ausgleich“, schlug sie vor.

Fragend schaute Connor die anderen Männer an, die ihm zunickten. „Einverstanden.“

Jocelyn warf einen Blick zu den anderen Frauen. „Außerdem müssen wir freien Zugang zu allen Vertragsunterlagen – alte wie neue – des Clans bekommen.“

„Ebenfalls einverstanden“, erklärte Connor und reichte Jocelyn die Hand. Er vertraute ihr, dass sie die darin enthaltenen Geheimnisse gut verwahren würde, so wie sie sein Herz und seine Ehre verwahrt hatte.

Sie schlug in seine Hand ein, ebenso wie jeder andere Mann die Hand seiner Frau ergriff, um die Abmachung zu besiegeln. Ein fröhliches Lachen erklang in der großen Halle, als Connor Jocelyn an sich zog und sie auf den Mund küsste.

„Dein Herz ist viel zu weich für solche Entscheidungen“, warnte er sie.

„Wir werden sehen, mein Gemahl. Wir werden sehen.“

Im folgenden Jahr dann befassten sie sich ernsthaft damit, für Ciara, die Tochter von Marian und Duncan, eine möglichst gute Ehe zu stiften. Beide Seiten, Frauen wie Männer, glaubten, es am bestens zu wissen, doch nur die Zeit – und die Liebe – konnten die Wahrheit ans Licht bringen.

– ENDE –

PROLOG

Sie muss sterben.“

Das flüsterte Ciara ihrer engsten Freundin Elizabeth zu, denn bei ihr wusste sie dieses Geheimnis in sicheren Händen. Diese schrecklichen Worte offenbarten sie, Ciara, als einen Menschen der übelsten Sorte. Erst neun Jahre alt, und bereits jetzt war ihre Seele verloren. Sie seufzte, da sie wusste, dass es stimmte.

Die junge Frau, der gegenwärtig all ihre Aufmerksamkeit galt, nahm nichts anderes wahr als den Mann, der an der Tür zur Kapelle auf sie wartete. Sie schaute weder nach rechts noch nach links, was nur dafür sorgte, dass Ciara sie umso mehr hasste. Übertroffen wurde das alles noch von der Tatsache, dass er den Blick auf die gleiche eindringliche Weise erwiderte. Ciara war schmerzlich bewusst, dass sie in diesem Moment Zeugin wahrer Liebe wurde.

„Sollen wir ihr ein Bein stellen?“, gab Elizabeth genauso leise zurück. Als treue Freundin war sie ganz auf Ciaras Seite und würde alles für sie tun.

Die morastige Pfütze auf der anderen Seite des Wegs war allzu verlockend, dennoch schüttelte Ciara den Kopf. Nach dem Blick zu urteilen, mit dem Tavis seine Braut ansah, würde sich an ihrer Verbundenheit nichts ändern, auch wenn sie von Kopf bis Fuß mit Schlamm überzogen wäre. Ciara stockte der Atem, so offensichtlich und innig waren die Gefühle, die Tavis und Saraid füreinander hegten. Sollte sie jemals jemand fragen, was Liebe sei, dann würde Ciara sie genau so beschreiben: der Ausdruck in Tavis’ Augen, als er seine Braut betrachtet hatte.

„Nein“, wisperte sie und wandte sich ab, da ihr Tränen in die Augen stiegen. „Lassen wir sie in Ruhe.“

Als das Paar gemeinsam die Kapelle betrat, sah Elizabeth den beiden nach und seufzte sehnsüchtig. „Und was willst du stattdessen tun?“

Ciara zuckte mit den Schultern und schwieg. Die Türen der Kapelle wurden nicht geschlossen, und wenn ihr danach gewesen wäre, hätte sie die gesamte Zeremonie mit ansehen können. Doch dazu war sie einfach nicht imstande. Also machte sie sich auf den Weg zu jenem Platz, an dem sie am liebsten saß und nachdachte. Ihre Freundin blieb zurück und sah sich verzückt seufzend die Hochzeit an.

Viele Stunden später wurde Ciara klar, dass sie die Dinge nicht ändern konnte. Sie war nicht fähig, Saraid zu töten, und schon beim Gedanken, ihr etwas Schlechtes zu wünschen, bekam sie Bauchschmerzen. Nachdem sie fast den ganzen Nachmittag abgewägt hatte, welche Möglichkeiten zur Verfügung standen, fand sie sich damit ab, dass ihr nur ein Weg blieb.

Sie musste einfach auf eine Gelegenheit warten, Tavis lieben zu können und seine Liebe zu gewinnen.

Warten konnte sie.

Also tat sie das.

Obwohl er verheiratet war, erfreute Tavis sich weiterhin an ihrer Gesellschaft und führte diese ungewöhnliche Freundschaft fort. Mit zunehmendem Alter lernte sie mehr und mehr, und sie war oftmals anwesend, wenn Tavis ihrem Stiefvater, dem Friedensstifter des Clans, Bericht erstattete, nachdem er für ihn einen Auftrag ausgeführt hatte. Danach begleitete Tavis sie oft zur Hütte ihrer Familie. Dabei versuchte Ciara ihm zu zeigen, was sie erst ein paar Tage zuvor Neues gelernt hatte.

„Cogito, ergo sum“, sagte sie selbstsicher. Latein war eine der Sprachen, die ihr gut gefielen, und wie ihr Lehrer es ihren Eltern anvertraut hatte, war sie sehr bewandert darin. Sie wartete auf seine Reaktion, doch Tavis lachte nur und zuckte mit den Schultern.

„Ich kann kein Latein“, erwiderte er. „Ich spreche nur Gàidhlig und ein wenig Schottisch. Ach, und ein klein wenig Englisch noch.“

Nach seinem Tonfall zu urteilen, hatte sie ihn mit ihrem Wissen nicht verärgert oder wegen seines Unwissens in Verlegenheit gebracht. „Ich könnte dir ein paar Worte beibringen“, schlug sie vor. „Oder ich könnte dich das Lesen lehren.“ Sie waren Freunde, deshalb wollte sie ihm helfen, wo es nur ging. Mit ihren dreizehn Jahren war es das Mindeste, was sie für ihn tun konnte.

„Du solltest deine Zeit mit anderen Dingen verbringen, Mädchen.“ Er zwinkerte ihr zu.

Ihre Mutter musste wieder mit ihm geredet haben, oder besser gesagt: Sie musste sich bei ihm über sie beklagt haben. Seufzend wandte sie den Blick ab. Höchstwahrscheinlich darüber, dass sie das Sticken nicht so ernst nahm wie ihr Studium der Sprachen oder der Zahlen … nun … vielmehr, dass sie das Sticken in keiner Weise ernst nahm.

„Mir ist das Sticken zuwider“, erklärte sie, verschränkte die Arme vor der Brust und hob trotzig das Kinn. Er würde sich doch nicht etwa auf die Seite ihrer Mutter stellen wollen?

„Mag sein“, gab er mit sanfter Stimme zurück und fasste sie an der Hand. „Aber Sticken ist eine wertvolle Aufgabe und eine nützliche Fertigkeit. Ebenso wie die Zahlen zu beherrschen, fünf Sprachen zu sprechen und lesen zu können.“ Er zog sie an der Hand weiter.

„Wenn es eine so wertvolle Fertigkeit ist, warum erlernst du es dann nicht?“, hielt sie keck dagegen. Sie zog ihre Hand frei und wartete auf seine Antwort.

Oh, sie wusste sehr wohl um die unterschiedlichen Rollen von Männern und Frauen. Aber je mehr Wissen und Erfahrung sie dank ihres Vaters ansammelte, desto mehr zweifelte sie daran, dass sie jemals jenes eingeengte Leben würde führen können, das man von einer Frau wie ihr erwartete. Wusste ihr Vater eigentlich, dass die Bildung, die er ihr angedeihen ließ und die weit über die ihrer Altersgenossinnen hinausging, nur dafür sorgte, dass ihr Wissensdurst größer und größer wurde? Da Tavis ein Mann war, erwartete sie, dass er ihre Herausforderung zurückwies.

„Ich kann bereits nähen, Mädchen. Das kommt in einer Schlacht vielen Kriegern zugute. Sticken ist nicht viel anders“, antwortete er, als sie gerade die Hütte erreicht hatten.

Dann setzte er sein schönstes und zugleich aufreizendstes Lächeln auf, mit dem er sie wissen ließ, dass er dieses Streitgespräch gewinnen würde.

Ciara wollte mit dem Fuß aufstampfen und schreien. Es gab so viele Gebiete, auf denen sie ihn hätte herausfordern können, ohne ein Risiko einzugehen. Warum musste sie sich ausgerechnet hierfür entscheiden? Während sie noch überlegte, was sie als Nächstes sagen sollte, streckte er einen Arm aus, legte ihr zwei Finger ans Kinn und drehte ihren Kopf so, dass sie ihn ansehen musste.

„Saraid und meine Schwester Bradana nähen beide sehr gut“, begann er, und nach einem Blick über die Schulter in Richtung Haustür sprach er im Flüsterton weiter: „Außerdem sind sie nachsichtigere Lehrmeisterinnen als deine Mutter, auch wenn die besser nicht erfahren sollte, dass ich das gesagt habe.“ Er nahm die Hand weg und trat einen Schritt nach hinten. „Wenn du es wünschst, kann ich mit den beiden reden.“

Wie hatte das geschehen können? Sie hatte vor ihrem Freund mit ihrem Wissen angeben wollen, und nun sollte sie genau das tun, was sie am allerwenigsten wollte. Anstatt nachzugeben, nickte sie bloß und ging weiter. Sie war eben an der Haustür angekommen, als er ihr nachrief: „Ich werde Saraid ausrichten, dass sie dich morgen früh erwarten kann.“

Daraufhin stampfte Ciara mit einem Fuß auf, stürmte ins Haus und warf die Tür hinter sich mit solcher Wucht zu, dass der Rahmen erzitterte. Von draußen hörte sie Tavis’ Gelächter.

Sosehr sie auch über sein Angebot hinweggehen und sich weigern wollte, Nähen und Sticken zu erlernen, Ciara konnte es nicht. Verdrossen seufzte sie und zog sich in ihre Kammer zurück. Ihr Blick wanderte geradewegs zu der Sammlung aus Holztieren auf dem Kaminsims. Tavis war schon immer ihr Freund gewesen, jedenfalls seit sie fünf Jahre alt gewesen war. Damals war er mit ihrem Stiefvater zu ihr gekommen, um sie nach Lairig Dubh zu bringen, ihrem neuen Zuhause und ihrer neuen Familie.

Obwohl sie niemals eingestehen wollte, dass er zu einer anderen Frau gehörte, hatte sie durch ihn und seine Ehefrau dennoch gelernt, was wahre Liebe bedeutete. Wie ihre eigenen Eltern hatten auch Tavis und Saraid aus Liebe geheiratet, das war sogar ihr klar. Und so wie Tavis alles tun würde, damit Saraid glücklich war, wollte Ciara alles für ihn tun. Auch wenn das bedeutete, den Umgang mit Nadel und Faden zu erlernen.

Am nächsten Tag stand Ciara vor Saraids Tür, ebenso wie an vielen folgenden Tagen. Manchmal blieb sie nach dem Unterricht noch, um der jungen Frau im Haus zu helfen; manchmal auch nur, weil – Gott möge ihr ihre Schwäche verzeihen – sie Tavis sehen wollte. Saraid verstand offensichtlich, dass Ciara ihrem Ehemann wichtig war, weshalb sie ihre Anwesenheit und Hilfe akzeptierte. Tavis freute sich darüber, und mit einem Mal stellte Ciara fest, dass sich zwischen Saraid und ihr eine Freundschaft anbahnte. Durch ihre jüngeren Geschwister war sie gewohnt, die Älteste im Haus zu sein, doch bei Saraid fühlte sie sich wie eine jüngere Schwester.

Im Lauf der Jahre eignete sich Ciara immer mehr Wissen und mehr Fertigkeiten an, bis ihr Vater ihr schließlich gestattete, ihn bei seiner Arbeit für den Laird zu unterstützen.

Doch ihre Freundschaft zu Tavis’ Ehefrau nahm ein jähes Ende, als Saraid plötzlich starb. Dadurch begannen sich auch Ciara und Tavis allmählich zu entfremden, obwohl sie einander viele Jahre lang so nahegestanden hatten. Ganz gleich, was Ciara sagte oder tat, nichts davon half Tavis in seiner Trauer. Es verging eine Weile, ehe er wieder Notiz von ihr zu nehmen begann. Allerdings erkannte er wohl, dass sie inzwischen älter geworden war und sich auf dem Weg zur erwachsenen Frau befand, und Ciara bemerkte abermals eine Veränderung bei ihm. Tavis übernahm mehr und mehr Aufgaben und reiste im Auftrag des Lairds. Ciara kam es so vor, als wolle er auf diese Weise der Einsamkeit und der verwaisten Hütte davonlaufen, in der er einmal mit Saraid glücklich gewesen war.

Ciara lernte eifrig weiter, und ihr Vater nahm sie häufig mit, damit sie für ihn Verträge und andere Dokumente las. Das ließ ihr nur wenig Zeit zum Sticken und für weitere Arbeiten, die man von einer Frau erwartete, was ihr nur recht war. Indessen konzentrierte sich Tavis ganz und gar auf seine Pflichten gegenüber dem Laird. Was Ciara tat, davon bekam er nichts mit.

Und sie wartete weiter.

1. KAPITEL

Lairig Dubh, Schottland, Frühjahr 1370

Ciara Robertson saß fast in der Ecke des Gemachs, das ihr Stiefvater für das Zusammentreffen ausgesucht hatte. Es handelte sich um einen großen, recht gemütlichen Raum, aber wiederum nicht zu komfortabel. Die Fensterläden waren geöffnet und ließen die kühle Frühlingsluft herein. Speisen und Getränke standen bereit, in geringen Mengen, da es hier nicht um Gastfreundschaft, sondern um Geschäftliches ging.

Ciara vermied es, einen der anwesenden Männer direkt anzusehen, von denen die meisten sie vermutlich für eine Dienstmagd hielten. Aber sie war keine Dienstmagd, sondern die älteste Tochter des Friedensstifters Duncan MacLerie, und sie wurde von ihm in eben diesem Augenblick ausgebildet.

Wie er es ihr aufgetragen hatte, lauschte sie auf jedes Wort, beobachtete verstohlen die Gesichter aller Sprecher und achtete auch darauf, wie sie saßen und wie sie gestikulierten, um herauszufinden, wer von ihnen tatsächlich das Sagen hatte. Das war nicht immer der Älteste, der Wohlhabendste oder der Lauteste, wie Duncan ihr wiederholt erklärt hatte. Derjenige, der die wahre Macht innehatte, hielt sich oft am Rand auf und ließ seine Untergebenen reden.

Nachdem sie sich die Beteiligten eine Zeit lang genau angesehen hatte, gelangte sie zu der Überzeugung, dass der jüngere MacLaren-Bruder bei diesen Verhandlungen für ein Handelsabkommen mit den MacLeries die Entscheidungen traf. Zwar vertrat ein älterer, ruhigerer Mann die MacLarens nach außen, jedoch war es für Ciara eindeutig, dass er nicht das Sagen hatte.

Die Besprechungen zogen sich über einige Stunden hin, jede Seite erklärte sich mit viel Gehabe. Etliche Male musste sich Ciara ein Lächeln verkneifen, als sie ihren Stiefvater bei der Arbeit erlebte, wie er mal auf etwas pochte, dann wieder sein Gegenüber umschmeichelte und gleich darauf auf dies oder jenes drängte, um für die MacLeries das beste Ergebnis zu erzielen. Als schließlich beide Seiten die Verhandlungen für das Abendmahl unterbrachen, um die Vereinbarung am kommenden Morgen zum Abschluss zu bringen, hatte Duncan die MacLarens längst in die von ihm gewünschte Richtung gelotst. Ciara stand auf, verabschiedete die Besucher mit einem Knicks und wartete dann darauf, dass ihr Stiefvater mit ihr das Tageswerk besprach.

Sie kannte seine Vorgehensweise. Während der Verhandlungen hatte er nichts mitgeschrieben, aber er erinnerte sich an jedes Wort und jede Klausel, auf die sich die beiden Seiten geeinigt hatten. Ehe er mit jemandem redete, würde er all seine Überlegungen und Absichten niederschreiben. Also gab sie zunächst die Dienerin und schenkte den MacLeries, die noch anwesend waren, Ale ein. Ihr Onkel, der Laird, und dessen Steward warteten, bis ihr Vater seine Gedanken geordnet hatte und erklärte, wie sie die Verhandlungen zu einem erfolgreichen Abschluss bringen würden. Zwar war Duncan MacLerie genau genommen ihr Stiefvater, aber er war der einzige Vater, den sie je gekannt hatte.

Eine Weile mussten sie warten. Nachdem Ciara lange Zeit gesessen hatte, tat es gut, sich ein wenig die Beine zu vertreten. Stillzusitzen entsprach nicht ihrem Naturell. Sie merkte, dass die Blicke des Lairds ihr folgten, aber als sie ihn ansah, lächelte er und drehte sich weg. Schließlich räusperte sich Duncan und hob den Kopf, womit er zu verstehen gab, dass er bereit war, die Fortschritte bei den Verhandlungen zu besprechen. Mit seinen ersten Worten überraschte er sie.

„Ciara, schildere mir deinen Eindruck von den heutigen Gesprächen“, sagte er mit einem aufmunternden Lächeln auf den Lippen und nickte ihr zu.

Die Worte blieben ihr im Hals stecken, als sie versuchte, etwas Sinnvolles, Nützliches zu sagen. Wenn sie unter vier Augen mit ihm redete, machte es ihr nie etwas aus, ihre Meinung oder eine Beobachtung zu äußern. Sie genoss die lebhaften Diskussionen mit dem Mann, der sie nach der Heirat mit ihrer Mutter wie eine leibliche Tochter großgezogen hatte, und machte sich nie Sorgen, etwas Verkehrtes zu sagen. Jetzt dagegen waren auch der Laird und sein Steward anwesend, die beide ihre Worte hören wollten. Vor Nervosität waren ihre Handflächen schweißnass, und ihr Verstand war wie leergefegt.

„Glaubst du, der Laird wird meiner Bitte nachkommen, die Laufzeit der Vereinbarung zu verlängern?“, fragte Duncan nun. Es war nicht zu übersehen, dass er ihr damit entgegenkommen wollte. Daraufhin ignorierte Ciara die anderen Anwesenden im Raum und antwortete so, als wäre sie mit Duncan allein.

„Ich glaube, der Laird ist dazu bereit, aber für seinen Bruder gilt das vermutlich nicht. Und es ist dieser Bruder, der die Entscheidung treffen wird.“ Was, wenn sie sich irrte? Was, wenn ihre Beobachtungen genau umgekehrt auszulegen waren?

Duncan sah sie eindringlich an, dann wandte er sich dem Laird zu. Connor MacLerie konnte ein Furcht einflößender Mann sein, wenn er wollte, und in diesem Moment wollte er offenbar, denn seine Miene verfinsterte sich. War ihr ein Fehler unterlaufen? Mit dem Handrücken wischte sie sich die Stirn, auf der sich inzwischen ebenfalls feine Schweißperlen gebildet hatten.

„Habe ich es dir nicht gesagt, Connor?“, fragte ihr Vater. Hatte sie gleich beim ersten Mal versagt, als ihr erlaubt worden war, Verhandlungen zu beobachten? Wie sollte sie das ihrer Mutter beibringen, die sie bei ihrer Ausbildung unterstützt und ihr Mut gemacht hatte, diesen für eine Frau so untypischen Weg einzuschlagen? Wenn sie jetzt gescheitert war …

„Aye, Duncan, das hast du.“ Der Laird begann plötzlich zu lächeln. „Das Mädchen ist schlau und hat sie sofort durchschaut.“ Er nickte ihr zu. „Ich habe dafür viel länger gebraucht.“

Ihr Stiefvater lächelte strahlend, Stolz blitzte in seinen Augen auf. Erleichtert erkannte Ciara, dass sie sich nicht geirrt hatte.

„Was noch, Mädchen?“, fragte der Laird. „Sag mir, was dir während der Verhandlungen noch aufgefallen ist.“

„Sein Bruder interessiert sich mehr für das Vieh als der Laird. Und ich glaube, er überschätzt die Zahl der Männer, die er im Ernstfall zu den Waffen rufen kann.“ Etwas entspannter erläuterte sie, wie sie zu diesen Schlussfolgerungen gekommen war, und beantwortete die Fragen, die der Laird, sein Steward und ihr Stiefvater ihr stellten.

Ein lautes Klopfen an der Tür unterbrach einige Zeit später ihre Besprechung.

„Man möchte kein Essen servieren, solange du nicht an der Tafel sitzt, Connor“, verkündete dessen Ehefrau Jocelyn und warf allen böse Blicke zu, als hätten sie den Laird zur Eile antreiben müssen. „Wir sitzen da und warten, während du hier trödelst. Selbst die MacLarens bekommen nichts zu essen.“

Ciara konnte sich ein leises Lachen nicht verkneifen, als sie sah, wie dieser mächtige Mann vor seiner Frau förmlich auf die Knie sank. Ihr Vater warf ihr einen warnenden Blick zu, aber in seinen Augen erkannte sie, dass es ihn ebenfalls amüsierte, wie sich Connor widerspruchslos von Jocelyn Vorhaltungen machen ließ. Ihre eigene Mutter zögerte gewöhnlich genauso wenig, ihrem Mann die Meinung zu sagen, und vermutlich wartete sie im großen Saal bereits auf eine passende Gelegenheit, ihm den Kopf zu waschen. Allerdings hatte Jocelyn mit ihrem Auftritt gewartet, bis niemand mehr außer der eigenen Familie anwesend war, und so würde es ihre Mutter auch machen.

Als sie sah, wie der Laird seine Frau bei der Hand nahm und sie ihre Finger miteinander verschränkten, verstand Ciara auf einmal, dass der Laird und ihr Vater ihren Ehefrauen nicht bloß Freiheiten einräumten, die für andere Männer völlig undenkbar waren. Sie akzeptierten ihre Frauen so bedingungslos, dass es dafür nur eine Erklärung gab: Sie liebten sie von ganzem Herzen.

Nachdem sie ihren Vater auf so vielen Reisen begleitet hatte, wusste sie, dass eine Liebesheirat bei den meisten Clans eher die Ausnahme darstellte.

Würde sie einen Mann bekommen, der sie liebte?

Sie hatte Gespräche ihrer Eltern darüber aufgeschnappt, dass sie ins heiratsfähige Alter kam und dass man nach einem geeigneten Verlobten für sie suchen sollte. Viel Zeit blieb nicht mehr. Ihre Mitgift würde die Anzahl der Angebote erhöhen, und durch ihre Verbindungen zu zwei sehr mächtigen Clans wurde sie für andere Clans interessant, die diese Verbindungen für ihre Zwecke nutzen wollten. Sie würde eine Braut wie jede andere sein, die nur nach dem Wert für andere beurteilt wurde, nicht danach, welchen Wert sie als Person besaß.

Kein Mann wünschte sich eine Frau, die intelligenter war als er und die verstand, wie Vertragsklauseln funktionierten. Ein Mann wollte eine Frau, die mit ihm das Bett teilte, sich um den Haushalt kümmerte und ihn auf diese Weise entlastete. Ob ihren Eltern klar war, dass sie sie für ein Leben mit einem Ehemann vorbereitet hatten, den es nicht gab? Kein Mann wollte eine Frau wie sie. Glücklicherweise – oder vielleicht auch bedauerlicherweise – würde die Mitgift wohl genügen, um die meisten Bedenken auszuräumen.

Nun, es gab immerhin einen Mann, der in der Lage war, die wahre Frau hinter all den Leistungen zu erkennen. Einen Mann, dem das schon immer gelungen war und der das zweifellos immer noch konnte.

Tavis MacLerie.

Ihre wahren Gefühle für ihn hatte sie über all die Jahre hinweg für sich behalten; einzig ihrer besten Freundin Elizabeth hatte sie sie anvertraut. Trotzdem hatte sie Tavis weder vergessen noch die Hoffnung aufgegeben, dass zwischen ihnen einmal mehr sein könnte als Freundschaft. Als Kind war das für sie ein schöner Traum gewesen, doch inzwischen wusste sie, was es in Wahrheit bedeutete.

Und mittlerweile war sie auch bereit dafür, dass sich mehr zwischen ihnen entwickelte.

Die kleine Gruppe durchquerte den großen Saal in Richtung des Podests; dort nahm Ciara neben den Eltern an der Tafel Platz. Als der Laird sie mit Namen den anwesenden MacLarens vorstellte, zog zwar der eine oder andere die Brauen hoch, aber niemand ließ sich anmerken, wie sehr ihr Name sie überraschte. Während der Verhandlungen hatten die meisten von ihnen sie zweifellos für eine Dienstmagd der MacLeries gehalten. Jetzt dagegen wurde ihnen ihre Stellung im Clan bewusst, und die Lage änderte sich.

Das Funkeln in den Augen der MacLaren-Brüder ließ keinen Zweifel zu. Beide sahen sie als etwas an, das in die Verhandlungen einfließen musste, denn das wäre die ideale Lösung, die Position der MacLarens bei den MacLeries zu stärken. Ein kurzer, vielsagender Blick ging zwischen den Brüdern hin und her, der bestätigte, dass sie ihre Forderungen ändern und um eine Verlobung ergänzen würden.

Der Rest des Mahls zog verschwommen an ihr vorbei, da sie sich in Gedanken verlor. Sollten eine Verlobung und ein Ehevertrag ernsthaft in die Unterhandlungen aufgenommen werden, war schnelles Handeln erforderlich, wenn sie nicht Tavis für immer verlieren wollte. Auch wenn er immer noch in der Trauer um seine Ehefrau gefangen war, näherte sich der Moment, in dem sie ihn auf ihre gemeinsame Zukunft ansprechen musste.

Die weiteren Verhandlungen erstreckten sich noch über Tage hinweg, und tatsächlich fiel irgendwann auch Ciaras Name. Der Laird wies ein derartiges Ansinnen sofort zurück. Anstatt jedoch Erleichterung zu verspüren, wurde ihr bewusst, dass dies nur der erste Vorstoß gewesen war, dem von allen Seiten weitere folgen würden. Früher oder später würde man an einen Punkt gelangen, an dem es keinen vernünftigen und vertretbaren Grund mehr gab, derartige Angebote abzulehnen. Sie wusste, die Zeit war gekommen, und als Tavis von einem der anderen Anwesen des Lairds zurückkehrte, machte sie sich bereit für den kühnsten und erschreckendsten Schritt ihres Lebens.

Sie wartete, bis es dunkel war, weil sie wusste, dass er dann allein sein würde. Erst dann schlich sie sich aus Elizabeths Hütte und machte sich auf den Weg zu ihm. Da es nicht möglich war, die Feste zu verlassen, wenn erst einmal alle Tore geschlossen waren, hatte sie mit ihrer besten Freundin einen Plan geschmiedet, für den Fall, dass jemand ihr Verschwinden bemerken sollte. Sie erreichte Tavis’ Hütte und stand im Mondschein vor seiner Tür, hob eine zitternde Hand, um anzuklopfen.

Sag ihm einfach, was du für ihn empfindest, und dann frag ihn, wiederholte sie im Geiste bestimmt zum hundertsten Mal, seit sie bei Elizabeth aufgebrochen war. Dieser Satz nahm ihr weder die Nervosität, noch konnte er ihr Mut einflößen, als sie sich zwang, die Faust zu ballen und behutsam anzuklopfen.

Du bist eine gebildete Frau, du kannst fünf Sprachen lesen und schreiben, du kennst dich mit Verhandlungen und Verträgen aus. Du verfügst über Wissen und Fertigkeiten, die den meisten Männern fremd sind. Du bist intelligent und schlagfertig. Jeder Mann könnte sich freuen, dich zur Frau zu haben.

Als ihre Entschlossenheit ins Wanken geriet, rief sie sich die Worte ins Gedächtnis, die ihr Stiefvater zu ihr gesagt hatte. Doch auch die stärkten ihren Mut nicht, als sie hinter der Tür Schritte näher kommen hörte. Gebannt hielt sie den Atem an und versuchte, ihr rasendes Herz zu bändigen. Als er jedoch die Tür öffnete und ihren Namen flüsterte, war jede Hoffnung, ihr Herz zu beruhigen, dahin.

Er war so wunderschön, dass ihr der Atem stockte. Eigentlich war „wunderschön“ nicht das richtige Wort, doch es beschrieb sein Erscheinungsbild am besten – absolut männlich, aber zugleich auch wunderschön. Kleine dunkle Zöpfe hingen ihm ins Gesicht, der Rest seiner Haare fiel ihm über die Schultern. Seine große muskulöse Statur füllte den Rahmen ganz aus, sodass sie den Lichtschein des Kaminfeuers kaum sehen konnte.

Tavis trat einen Schritt auf sie zu, sah nach links und rechts und dann auf den Weg, den sie gekommen war. Dabei kam er ihr so nah, dass sie die Wärme seines Körpers spüren konnte. Sie schloss die Augen und genoss einen Moment lang seinen Duft, bis ihr der Gedanke kam, dass sie so auf ihn ziemlich albern wirken musste.

„Stimmt etwas nicht, Ciara?“, fragte er verwundert. „Es ist schon spät.“

Sie atmete noch einmal tief durch. „Ich möchte mit dir reden, Tavis“, sagte sie dann und verschränkte die Hände, damit ihr Zittern nicht so offensichtlich war.

„Wir sollten morgen reden … in der Feste.“ Er machte einen Schritt nach hinten, womit er sie seiner Wärme und seines Aromas beraubte. Auf einmal betrachtete er sie mit Argwohn. „Wissen deine Eltern, dass du in der Dunkelheit allein durchs Dorf läufst?“

„Ich bin kein Kind mehr, Tavis, und ich lebe schon lange genug in Lairig Dubh, um jeden Weg und jede Ecke zu kennen und jede Seele, die hier lebt.“

„Also wissen sie nichts davon.“

Ciara biss sich auf die Unterlippe und schwieg. Sie glaubte nicht, dass er sie wegschicken würde, ohne sie angehört zu haben, aber mit einem Mal wirkte seine Miene wie versteinert, sodass sie fürchtete, er könnte genau das tun.

„Du solltest nicht in der kühlen Luft herumstehen“, sagte er schließlich, machte einen Schritt zur Seite und ließ sie ins Haus. Er schloss die Tür hinter ihr und ging zum Kamin. Dort bedeutete er ihr, auf einem Hocker Platz zu nehmen.

Sie beschloss, lieber stehen zu bleiben, und näherte sich dem Kaminfeuer, das mit niedriger Flamme brannte. Tagelang hatte sie darüber nachgedacht, was sie sagen wollte, aber jetzt, da sie hier in seinem Haus stand, in dem er zusammen mit Saraid gelebt hatte, waren die Worte wie weggeblasen, und sie blieb stumm.

„Ciara?“ Seine tiefe Stimme sandte Wellen der Erregung über ihre Haut. Sie musste sich zwingen, ihre Gedanken zu ordnen, damit sie aussprechen konnte, was ihr auf dem Herzen lag. Anstatt um die Sache herumzureden, wählte sie den direkten Weg. So war es zwischen ihnen schon immer gewesen, und auch in diesem Moment war es so am besten.

„Ich bin hergekommen, um mit dir über das Thema Ehe zu reden, Tavis“, platzte sie heraus. Gleich darauf setzte sie sich doch auf den Hocker, da ihre Knie nun genauso zitterten wie ihre Hände. So stolz sie auf sich war, dass sie ohne Umschweife ihr Anliegen ausgesprochen hatte, so sehr wunderte sie sich über seinen verwirrten Gesichtsausdruck.

„Ehe? Hat jemand um deine Hand angehalten?“, fragte er. „Ist Duncan mit dem Werber einverstanden?“

„Nein, niemand hat um meine Hand angehalten.“ Noch nicht, aber bei ihrem Alter und ihrer Mitgift war das nur eine Frage der Zeit. Sie wollte das hier geklärt sehen, bevor die ersten ernsthaften Anträge gemacht wurden.

„Dann fürchtest du dich vor der Ehe?“ Trotz seiner eigenen schrecklichen Erfahrung als Ehemann klang er besorgt. „Mit Marian kannst du offen über alles reden, Mädchen.“

Ciara kniff die Augen zu und betete um Mut. Schließlich sprach sie die Worte aus, die ihr Verdammnis bringen oder ihren Herzenswunsch erfüllen würden.

„Ich möchte dich heiraten, Tavis.“

Die Luft in der Hütte schien erstarrt zu sein, kein Geräusch war zu hören. Jedoch war Ciara sich sicher, dass er ihren Herzschlag vernehmen musste, so laut, wie er war. Tavis rührte sich nicht. Sein Blick ruhte weiter auf ihrem Gesicht, aber ihm war nicht anzusehen, ob er sie überhaupt gehört hatte. Sie war sich nicht einmal sicher, ob er noch atmete. Die Zeit verging so unendlich langsam, dass durchaus Stunden verstrichen sein konnten, während sie auf seine Antwort wartete. Ihre Wangen begannen zu glühen, und auch in ihrer Magengrube schien sich ein Feuer auszubreiten. Sie strich sich ein paar Strähnen aus dem Gesicht, dann beschloss sie, die Worte zu wiederholen, da er sie wohl aus irgendeinem Grund nicht gehört hatte.

„Ich sagte, ich möchte dich heiraten.“

„Ciara“, sagte er in flehentlichem Tonfall. „Sag das nicht …“

„Ich habe viel zu bieten“, sprach sie hastig weiter. „Ich kann fünf Sprachen lesen und schreiben, ich kann rechnen. Ich bringe eine gute Mitgift mit in die Ehe, und ich …“ Sie verstummte, als sie sah, dass ihm alle Farbe aus dem Gesicht wich. So hatte sie sich das nicht vorgestellt. Also fügte sie auch noch den letzten Satz an, der ihn ganz sicher davon überzeugen würde, dass es das Richtige wäre. „Und ich liebe dich, Tavis.“

Sie hätte mit Erstaunen, Verständnis, Einwilligung gerechnet, aber seine Reaktion war eine völlig andere. Tavis zuckte zusammen, als hätte sie ihn geohrfeigt, und schüttelte den Kopf. „Sag so etwas nicht, Mädchen.“

„Es ist wahr. Ich liebe dich schon seit Jahren, sogar schon, bevor du Saraid geheiratet hast, und …“ Mit einem Keuchen verstummte sie und schlug sich die Hände vor den Mund, aber es war zu spät. Sie konnte nicht rückgängig machen, dass ihr der eine Name über die Lippen gekommen war, den er niemals aussprach.

„Du weißt nicht, was du da sagst. Eine Ehe zwischen uns ist aus vielerlei Gründen nicht möglich“, entgegnete er, ohne sie anzusehen. Er starrte in den Kamin, während sein ganzer Körper sich zu verkrampfen schien. Mit ausdrucksloser Stimme fügte er hinzu: „Ich habe es dir doch gesagt. Ich werde nie wieder heiraten.“

„Aber ich werde dir eine gute Ehefrau sein“, flehte sie. Sie konnte nicht mehr aufhören zu reden, nachdem sie einmal begonnen hatte. „Meine Eltern mögen dich, und ich müsste Lairig Dubh nicht verlassen.“

Schweigen schob sich wie eine Wand zwischen sie, während Ciara darauf wartete, dass er einsah, wie vernünftig der Plan war – auch wenn er wohl nicht die Liebe in ihrem Herzen erkennen konnte. Schließlich drehte er sich wieder zu ihr um. Der Ausdruck in seinen Augen war so trostlos, wie sie es bei ihm noch nie gesehen hatte. Ein Schauer lief ihr über den Rücken, als sie die unendliche Traurigkeit erblickte. Im gleichen Moment wusste sie, dass sie den Kampf verloren hatte.

„Du wurdest großgezogen, um einmal einem Mann eine wundervolle Ehefrau zu sein, Ciara, aber ich bin nicht dieser Mann. Ich kann dir nichts bieten, was du nicht schon hast oder selbst besser kannst. Ich kann weder lesen noch schreiben, ich besitze kein Vermögen und habe keine Blutsbande, die es mit deinen aufnehmen könnte. Deine Eltern kennen und mögen mich, ja, aber der Laird will dich so verheiraten, dass dadurch zwei Clans miteinander verbunden werden. Dein Vermögen soll das Vermögen deines Ehemanns bereichern. Ich bin nur ein Soldat im Dienst des Lairds; mein Ansehen ist nicht hoch genug, um jemals eine Braut wie dich zu bekommen.“

Noch einmal schüttelte er den Kopf, und ihr strömten Tränen über die Wangen. Tavis war noch nicht fertig. Sie wusste, das Schlimmste würde noch kommen.

„Außerdem kann ich dich nicht lieben, Mädchen. Ich habe mein Herz bereits verschenkt und habe nichts mehr, was ich dir noch geben könnte.“

„Aber Tavis …“, widersprach sie. Sie empfand genug Liebe, dass es für sie beide reichen würde. „Ich liebe dich, seit …“

„Hör auf!“, herrschte er sie an. „Sag so etwas nicht.“ Er ging in der Hütte hin und her, die dadurch mit einem Mal viel kleiner wirkte. „Du warst ein Kind, als du entschieden hast, dass du mich liebst. Jetzt musst du erwachsen werden, Ciara. Ich habe mich lediglich um ein kleines Mädchen gekümmert, das sich auf einer Reise befand, und mich mit dem Mädchen angefreundet, während es erwachsen wurde. Das ist alles, was zwischen uns besteht. Du musst dich jetzt von diesen kindlichen Gedanken trennen, denn mehr wird niemals zwischen uns sein.“

Es hätte nicht schlimmer wehtun können, hätte er ihr stattdessen eine echte Klinge ins Herz getrieben. Doch der Schmerz ließ sie auch erkennen, wie dumm es von ihr gewesen war, heute Abend herzukommen und ihm diese Dinge zu sagen. Er wollte sie nicht, er liebte sie nicht.

Er würde sie nicht heiraten.

Sie hatte auf ihn gewartet. Sie hatte gewartet, dass sein Schmerz über Saraids Tod nachließ und dass er sie als Erwachsene akzeptierte. Aber jetzt war klar, dass er in ihr nie eine erwachsene Frau sehen würde. Es war zwar dumm von ihr gewesen, herzukommen, doch sie war nicht dumm. Mit dem Saum ihres Mantels wischte sie die Tränen weg und tupfte sich die Augen trocken. Gedemütigt, weil sie seine Gefühle falsch eingeschätzt hatte, stand sie auf und ging zur Tür. Sie musste so schnell wie möglich von hier weg. Hastig hob sie den Riegel an, öffnete die Haustür und stürmte nach draußen in die kühle Nachtluft. Nach Luft schnappend lief sie weiter, während ihr die Tränen wieder über die Wangen liefen.

Er rief ihr nach, aber sie wollte und konnte sich nicht zu ihm umdrehen. Ob Mitgefühl oder Mitleid, es kümmerte sie in diesem Moment nicht. Sie rannte den Hügel hinauf zu Elizabeths Hütte. Dabei hatte sie das Gefühl, dass er ihr folgte, aber sie blieb nicht stehen und sah sich auch nicht um. Als dann Elizabeth aus dem Schatten hervortrat, um ihr entgegenzugehen, kam es ihr so vor, als würde Tavis zurückbleiben.

Ein Blick genügte, und Elizabeth breitete die Arme aus, um Ciara tröstend an sich zu drücken. Zwar war ihre Freundin ein Jahr jünger als sie, dennoch war sie ihr stets wie die Ältere vorgekommen. Für den Augenblick ließ sich Ciara von ihr trösten, und als sie wieder Luft bekam, fasste sie Elizabeth am Arm und hielt sich für den Rest des Weges an ihr fest. Sie schlichen zurück ins Haus, und wenig später lagen sie im Dachgeschoss im Bett, doch Schlaf wollte sich nicht einstellen.

Erst da traute sich Elizabeth, zu fragen, wie das Gespräch mit Tavis verlaufen war. Auch wenn es vieles gab, was Ciara hätte erzählen können, war nichts davon jetzt noch wichtig. Nur auf eine Sache kam es an.

„Er will mich nicht heiraten.“

Noch schlimmer war die Erkenntnis, dass ihre Eltern Tavis für sie so unerreichbar gemacht hatten, indem sie ihr eine Mitgift und eine außergewöhnliche Ausbildung mitgegeben und dafür gesorgt hatten, dass jeder von ihrer Verbindung zu zwei mächtigen Lairds wusste. War das etwa ihre Absicht gewesen? Hatten sie sie so interessant und kostbar machen wollen, dass in den Reihen der MacLeries und der Robertsons niemand für eine solche Braut infrage kam? Wollten sie sie nicht mehr um sich haben?

In dieser und vielen nachfolgenden Nächten gingen ihr diese Fragen durch den Kopf, während sie sich von diesem niederschmetternden Erlebnis zu erholen versuchte.

Die folgenden Wochen und Monate waren schwierig für sie. Wenigstens schien Tavis, vielleicht zufällig, vielleicht auch absichtlich, noch häufiger als zuvor in Angelegenheiten des Lairds auf Reisen zu sein, sodass sie einander lange Zeit nicht begegneten. Nach einer Weile ließ ihre schreckliche Verlegenheit nach, und sie hätte beinahe schon glauben können, dass sie das Ganze nur geträumt hatte. Lediglich ein flüchtiger Ausdruck in Tavis’ Augen bei ihrer nächsten zufälligen Begegnung zeugte davon, dass das alles tatsächlich geschehen war.

Sie dachte darüber nach, dass Tavis die Art ihrer Gefühle für ihn richtig gedeutet haben könnte. Als ihr mehr und mehr Heiratskandidaten vorgestellt wurden, sah sie ein, dass sie vielleicht tatsächlich ihre Kindheitsträume vergessen sollte, um sich der Wirklichkeit des Erwachsenendaseins zu stellen.

Und als ihr Vater eines Abends beim Essen einen möglichen Bräutigam verkündete und Tavis nicht einmal mit der Wimper zuckte, zwang sie sich dazu, die Tatsache hinzunehmen: Sie würde einen Mann heiraten müssen, den sie niemals lieben konnte.

Denn auch wenn sie erwachsen geworden war und ihre Gefühle noch so albern sein mochten – sie hatte ihr Herz ebenfalls verschenkt.

2. KAPITEL

Spätsommer 1371

Die Sonne bahnte sich ihren Weg durch den wolkenverhangenen Himmel, durchbrach das Grau und ließ das Dorf um ihn herum erstrahlen. Sonst hätte der Sonnenschein seine Laune gehoben, da er die üblichen Herbststürme nicht mochte, doch heute nicht. Tavis MacLerie verschränkte die Arme vor der Brust, presste die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf noch einmal, um seine Weigerung zu unterstreichen.

Als rechte Hand des Lairds war es seine Aufgabe, für dessen Aufträge Soldaten auszuwählen, doch diesmal würde er es nicht tun. Viele Male hatte er außerhalb von Lairig Dubh Connor MacLeries Aufträge ausgeführt. Aber nicht diesen. Jemand anders würde sich dieser … Aufgabe annehmen müssen.

„Ich erwarte eine Erklärung“, sagte Connor mit so leiser Stimme, die Tavis mehr beunruhigte, als wenn der Laird ihn angebrüllt hätte. Etwas in Tavis erwachte zum Leben, und jeder Muskel spannte sich an, als mache sich sein Körper kampfbereit, da er Gefahr witterte.

„Ich habe andere Aufgaben zu erledigen“, erwiderte er und hielt dem finsteren Blick seines Lairds stand. „Dougal und Iain können sich auf diese Reise begeben.“

Erst vor Kurzem hatte Connor einen vorläufigen Hochzeitsvertrag zwischen Duncans Stieftochter und dem künftigen Erben eines verbündeten Clans ausgehandelt – nachdem zwei andere Verträge nie zum Abschluss gekommen waren. Jetzt musste Ciara nur noch den anderen Clan besuchen und das Angebot annehmen. Ihre Eltern würden bald im Auftrag des Lairds unterwegs sein, daher konnten sie sie nicht begleiten. Ciara schien diesem Angebot des Murray-Clans im Osten Schottlands zugeneigt, und die Reise war von entscheidender Bedeutung, um die Vereinbarungen zu besiegeln. Tavis selbst wusste darüber nur das, was er aus Gesprächen mit anderen erfahren hatte, da Ciara und er seit jener Nacht in seiner Hütte kein Wort mehr gewechselt hatten.

Im Geiste sah er immer noch ihr Gesicht, wie es aschfahl geworden war, nachdem er ihr Ansinnen abgewiesen hatte. Dieses Bild verfolgte ihn beharrlich, doch er hatte ihr in jener Nacht nichts als die Wahrheit gesagt. Er konnte nicht wieder heiraten, und er würde es auch nicht tun.

Allerdings hatte er ihr nicht alle Gründe für seine Haltung anvertraut, da er wusste, er würde sich damit in ihren und in den Augen aller verdammen, die davon wussten. Die Angst, jemand könnte die ganze schreckliche Wahrheit über Saraids Tod herausfinden, hielt ihn auf Abstand zum Clan und brachte ihn zu der Überzeugung, dass es für ihn nie wieder ein glückliches Eheleben geben konnte. Er verdrängte die Erinnerungen und das tiefe Bedauern und wartete weiter auf Connors Antwort.

Der tauschte mit Duncan einen kurzen, aber vielsagenden Blick. Schließlich willigte Connor mit einem Nicken ein und befahl Tavis: „Sag ihnen, sie sollen in zwei Tagen bereit sein.“

Tavis nickte ebenfalls und wandte sich zum Gehen. Er war ausgesprochen erleichtert darüber, dass nicht er derjenige sein würde, der Ciara zu ihrem Verlobten begleiten musste. Diese Reaktion überraschte ihn, hatte er doch bislang gemeint, nicht auf diese Weise für sie zu empfinden. Letztlich weigerte er sich schlicht, über diese seltsame Gefühlsregung weiter nachzudenken. Er ging über die Treppe nach unten in den Saal, wo Ciaras Mutter Marian Robertson bereits auf ihn wartete.

„Tavis, ich möchte mit dir über die Reise nach Perthshire reden“, begann sie, als er bei ihr ankam.

„Marian …“, erwiderte er zögerlich. Wusste sie, dass ihre Tochter ihn gebeten hatte, sie zu heiraten? Und dass er sie abgewiesen hatte? Was sollte er dazu sagen?

„Marian!“ Duncans energischer, aber nicht wütender Ausruf hinderte sie daran, auszusprechen, was sie zu sagen hatte. Gleich darauf gesellte sich Duncan zu ihnen, legte Marian einen Arm um die Schultern und zog sie zu sich heran. „Tavis hat andere Männer ausgewählt, die Ciara begleiten sollen. Sie wird sicher zu ihrem Verlobten gebracht werden.“

Tavis gefiel der Klang dieser Worte nicht. Er kannte Ciara, seit sie fünf war, und hatte sie auf der Heimreise von Marians Familie in Dunalastair begleitet. Auch wenn er versuchte, sie so zu sehen, wie sie heute war, schob sich ihm immer wieder die Erinnerung in den Sinn, wie sie fröhlich lachend mit den Holztieren spielte, die er für sie geschnitzt hatte. Und nun würde sie heiraten und von hier weggehen, und er würde sie, wenn überhaupt, nur noch selten sehen. Sein Magen verkrampfte sich bei dieser Vorstellung, doch auch jetzt wollte er sich lieber nicht näher mit den Gründen für diese Reaktion seines Körpers befassen.

Er hatte kein Recht, irgendwelche weiteren Erwartungen zu hegen, wenn es um Ciara ging. In der Nacht, in der er sie abgewiesen hatte, hatte er jeden nur denkbaren Anspruch auf sie verwirkt – sofern er überhaupt je einen Anspruch hätte anmelden können. In seinem Bemühen, sie zu der Einsicht zu zwingen, dass sie beide kein Paar sein konnten, hatte er sowohl sich selbst als auch Ciara gedemütigt.

„Duncan, da wir sie nicht begleiten können, wäre mir wohler, wenn ich wüsste, dass Tavis persönlich …“

„Stellst du seine Fähigkeit infrage, seiner Verantwortung gegenüber seinem Laird nachzukommen, Marian?“ Duncan ließ sie los und trat einen Schritt zurück, damit er ihr ins Gesicht sehen konnte. „Doch sicher nicht?“

Tavis’ Nackenhaare sträubten sich. Etwas Seltsames war hier im Gange. Noch nie hatte er Duncan oder einen anderen MacLerie-Mann so mit seiner Frau reden hören. Sie alle akzeptierten in jeder Hinsicht die starken, eigensinnigen Frauen, die sie geheiratet hatten, und ließen ihnen ein großes Maß an Freiheit, sodass sie ihre Meinungen zum Ausdruck bringen konnten.

Hier spielte sich irgendetwas anderes ab, und er war dummerweise genau zwischen die Fronten geraten. Ohne jeden Zweifel wusste er, dass es ihn betraf und dass es um mehr ging als nur um die Auswahl der Männer, die Ciara begleiten sollten. Er wartete darauf, dass Marian im gleichen Tonfall antwortete, doch dann folgte eine für ihn erschreckende Reaktion.

„Du hast völlig recht“, sagte sie und fuhr sogleich an Tavis gewandt fort: „Ich wollte weder deine Fähigkeiten noch deine Autorität anzweifeln, Tavis. Verzeih mir meine Worte, ich habe übereilt gesprochen.“

Einen Moment lang stand Tavis mit offenem Mund da, aber ehe er sich noch in irgendeiner Weise dazu äußern konnte, nahm Duncan sie bei der Hand, und sie zogen sich zurück. Er hörte sie tuscheln, als sie durch die Tür auf den Hof hinausgingen und ihn einfach zurückließen, während er ihnen ungläubig hinterherschaute. Schließlich fuhr er sich mit den Händen durchs Haar und ließ sich die Unterhaltung noch einmal durch den Kopf gehen, um dahinterzukommen, wieso ihm das alles so fremdartig erschien. Da es nicht seine Art war, Dinge ungeklärt zu lassen, folgte er dem Paar nach draußen, um von ihnen eine Erklärung zu bekommen. Diese Absicht ließ er aber in dem Moment fallen, als er sah, dass das Subjekt ihrer Unterhaltung sich zu ihren Eltern auf den Hof gesellt hatte.

Wann war Ciara nur so erwachsen geworden? Hatte er sich bloß etwas vorgemacht, indem er stets nur das Mädchen in ihr gesehen hatte, dem er zum ersten Mal in Dunalastair begegnet war? Hatte sich geweigert, wahrzunehmen, dass sie schon seit Jahren nicht mehr dieses Mädchen war, sondern sich in eine einzigartig schöne junge Frau verwandelt hatte? Ganz gleich, welche Gründe in jener Nacht gegen sie gesprochen hatten, ihm stockte der Atem, als er jetzt zum ersten Mal die Frau bemerkte, zu der sie herangewachsen war.

Sie war längst ein Stück größer als ihre Mutter. Ihre langen blonden Locken hatte sie zum Zopf geflochten. Zahllose Haare, die dem Zopf entwischt waren, umrahmten ihr herzförmiges Gesicht wie eine sanfte goldene Wolke. Ihr Kleid schmiegte sich an Kurven, die trotz ihrer schlanken Statur weibliche Formen unter dem Stoff erahnen ließen. Sein Körper reagierte darauf völlig unerwartet …

Zumindest war es unerwartet, da er sie noch nie so wie in diesem Augenblick wahrgenommen hatte. Und es kam auch unerwartet, weil er ihr erst vor Kurzem erklärt hatte, er habe Frauen für alle Zeit abgeschworen.

Tavis verscheuchte jene Erinnerungen, die stets ganz in der Nähe seines Bewusstseins lauerten, und zog sich in den Schatten der großen Halle zurück, damit er unbemerkt der Unterhaltung zwischen Marian, Duncan und Ciara folgen konnte. Über Ciaras Gesicht huschte innerhalb von wenigen Augenblicken eine Fülle von Gefühlsregungen – zuerst Interesse, dann Erstaunen und am Ende bittere Enttäuschung.

Als Trauer das Leuchten in ihren braunen Augen dämpfte und das gewohnte Lächeln von ihren Lippen verschwand, ertappte er sich selbst dabei, dass er aus den Schatten vorgetreten war, weil er ihre Trauer verjagen wollte. Doch der stechende Blick, den sie ihm zuwarf, kaum dass sie ihn bemerkte, ließ ihn wie erstarrt stehen bleiben.

Die Verwirrung steigerte sich noch weiter, als Ciara auf der Stelle kehrtmachte und ohne ein Wort oder einen Blick davonging. Tavis setzte sich wieder in Bewegung und trat zu Duncan und Marian, gerade als die beiden sich in verschiedene Richtungen entfernen wollten.

„Was hat das alles zu bedeuten?“ Er stellte sich Duncan in den Weg, weil er Antworten haben wollte. „Ich habe Connor doch erklärt, dass ich mich um andere Aufgaben kümmern muss.“ Immer noch klang sein Einwand selbst in seinen eigenen Ohren wie eine Ausflucht. Fiel das den beiden ebenfalls auf? Sein Entschluss, Ciara um jeden Preis zu meiden, geriet allmählich ins Wanken.

„Es gibt keinen Grund zur Sorge“, erwiderte Duncan. „Wir haben Ciara nur gesagt, wen du als Eskorte für ihre Reise nach Perthshire ausgewählt hast, und sie begibt sich jetzt in ihr Gemach, um für die Reise zu packen.“

Ein eisiger Schauer lief ihm über den Rücken. Duncan wollte ihm nicht die Wahrheit sagen, das war offensichtlich, aber … „Marian? Bist du mit dem einverstanden, was ich für Ciara arrangiert habe?“ Als sie daraufhin wiederholt zum Reden ansetzte, aber keinen Ton herausbrachte und gleichzeitig aus dem Augenwinkel ihren Mann ansah, hakte Tavis nach: „Habe ich dich in irgendeiner Weise beleidigt, indem ich diese Aufgabe anderen übertragen habe?“

Das kurze Aufblitzen in ihren Augen war die einzige Vorwarnung für Tavis und Duncan, dann stampfte sie auch schon mit einem Fuß auf und stieß einen Wutschrei aus, der auf dem Burghof widerhallte. Schließlich kniff sie die Augen fest zu und atmete tief durch, während Duncan sie mit einem Blick beobachtete, den Tavis nur als belustigt deuten konnte. Das hier amüsierte ihn also?

„Ich bin nur enttäuscht, dass du sie nicht begleiten wirst“, antwortete Marian, verstummte sogleich und sah zu Duncan, da der sich laut geräuspert hatte. Leiser fügte sie hinzu: „Aber ich kann verstehen, dass du andere Aufgaben hast, Tavis. Ich kann es verstehen.“

Während sie redete, berührte sie seinen Arm in einer vielsagenden Geste. Ihre Worte änderten nichts an seinem Gefühl, dass hier mehr im Spiel war, als sie oder Duncan enthüllen wollten. Dennoch klangen ihre Beteuerungen für ihn aufrichtig. Ciara war ihr erstes Kind, das heiraten würde, und vielleicht war sie so aufgebracht, weil es sie mitnahm, sich von ihrer Tochter trennen zu müssen. Seine eigene Mutter hatte sich auch merkwürdig verhalten, als er und seine Geschwister geheiratet hatten. Er nickte, woraufhin sie ihn anlächelte.

„Schon gut, Marian“, sagte er leise.

Auch Duncan nickte. In diesem Moment rief jemand nach ihr, und sie drehte sich um. Eine Dienstmagd winkte sie herbei. Marian entschuldigte sich und kehrte in den Bergfried zurück, da Jocelyn nach ihr verlangte.

Tavis wartete, bis sie im Gebäude verschwunden war, dann wandte er sich wieder Duncan zu, fest davon überzeugt, dass dieser ihm alles erklären würde, nun, da seine Frau nicht mehr bei ihnen war. Doch der Mann, der für Tavis Mentor und Freund war, zuckte nur mit den Schultern und ging dann ebenfalls weg.

Da dieser Tag mit jedem verstreichenden Moment befremdlicher wurde, beschloss Tavis, sich seinen Aufgaben zu widmen, statt sich länger Gedanken über das Verhalten von Leuten zu machen, die zu jung waren, als dass man ihr sonderbares Benehmen auf ihr hohes Alter hätte schieben können, aber andererseits alt genug, um sich wie Erwachsene aufzuführen. In zwei Tagen würde Ciara abreisen, um ihren vermutlich zukünftigen Ehemann und dessen Familie kennenzulernen, und nichts davon musste ihn noch kümmern.

Auch wenn sie selbst die Wahl hatte, stand so gut wie fest, dass sie den jungen James Murray heiraten würde. Sie hatte bereits zwei Anträge abgelehnt, aber diesmal sprachen sich sowohl der Laird als auch ihre Eltern für diese Heirat aus, ebenso die Murrays. Das bedeutete, wenn er Ciara das nächste Mal sah, würde sie mit einem anderen Mann verheiratet sein.

Zwar konnte er es weder zugeben noch erklären, doch ihm gefiel diese Tatsache nicht.

Sie gefiel ihm ganz und gar nicht.

Marian war auf dem Weg zu Jocelyns Gemächern, wo sich ihre Freundinnen versammelt hatten. Obwohl es ihr wegen dieser dummen Vereinbarung mit ihren Ehemännern untersagt war, für ihre Tochter einen besseren Mann zu suchen als den, den der Laird vorgeschlagen hatte, konnte sie sich zumindest anhören, was ihre Freundinnen vorhatten. Duncan war gar nicht glücklich, da er wusste, sie wollte sich einmischen. Tatsächlich hätte sie Tavis längst die Wahrheit gesagt, wäre sie nicht von ihrem Mann davon abgehalten worden.

Vor über einem Jahr war der Laird hinter den Verkupplungsplan seiner Frau gekommen, und nach der anfänglichen Überraschung hatte er daraus einen Wettstreit gemacht, wer den besseren Heiratskandidaten für ihre Kinder auswählte: er und seine Berater oder seine Frau und ihre Freundinnen.

Keine der beiden Seiten war der Meinung gewesen, dass die andere nicht sorgfältig auswählte, jede war nur davon überzeugt, es selbst besser zu machen. Zu Marians Leidwesen war ausgerechnet ihre Tochter die Erste, die ins heiratsfähige Alter kam.

Als Jocelyn nun alle um sich geschart hatte, um den Plan zu besprechen, konnte Marian nur dabeisitzen und zuhören, aber sie durfte keine Vorschläge machen oder in irgendeiner anderen Weise helfen.

„Er hat keinen Einwand dagegen vorgebracht, dass sie den jungen Murray heiraten soll“, platzte sie schließlich dennoch heraus, da sie sich nicht länger zurückhalten konnte. „Nicht ein Wort.“

Dem Schweigen, das sie mit ihrer Bemerkung auslöste, folgten Kopfschütteln und Seufzen, aber niemand wusste einen Rat, wie man Tavis dazu bringen konnte, jene Wahrheit zu erkennen, die ihnen allen seit Jahren klar war: Er selbst wäre der beste Ehemann für Ciara. Aber seit seine junge Frau vor vier Jahren bei einer Frühgeburt gestorben war, hatte er rigoros jeden Versuch abgewehrt, ihn dazu zu bringen, eine weitere Ehe in Betracht zu ziehen. Auch wenn Männer Starrköpfe sein konnten, die nie zu ihren Gefühlen stehen wollten, vermuteten sie, dass der Tod seiner ersten Frau der Hauptgrund für seine Weigerung war, noch einmal zu heiraten.

In den schwierigen Jahren nach Saraids Tod war Ciara die einzige Frau gewesen, deren Gesellschaft er zuließ. Die Freundschaft zwischen ihnen, die auf der Reise von ihrem Clan hierher ihren Anfang genommen hatte, war nie ins Wanken geraten. Erst im letzten Jahr hatte sich das schlagartig geändert. Irgendetwas war vorgefallen, das einen Graben zwischen den beiden hatte entstehen lassen, der seitdem immer breiter geworden war.

„Und ich hatte so sehr gehofft, dass er sich zu seinen Gefühlen für sie bekennen und sie auch kundtun würde“, beklagte sich Ruriks Frau Margriet.

„Dabei beobachtet er sie immer wieder, auch wenn er es selbst gar nicht zu merken scheint“, ergänzte Jocelyn. „Aber es wird jetzt Zeit für ihn, vorzutreten und seinen Anspruch anzumelden.“

„Bevor es zu spät ist“, flüsterte Marian. Sie wusste, wenn Ciara erst einmal abgereist war, würde es so gut wie unmöglich werden, die anstehende Hochzeit noch zu vereiteln.

Oder war es schon zu spät? Was, wenn sie alle sich in ihrer Überzeugung irrten, er sei der richtige Mann für Ciara? Ihr Herz war voller Sorge um das Wohl ihrer Tochter, die nichts über ihre wahre Herkunft wusste und es hoffentlich auch niemals herausfand.

Aufgrund dieser Geheimnisse aus der Vergangenheit hatte Ciara Marians Bruder, dem Laird der Robertsons, eine großzügige Mitgift zu verdanken. Dieses Vermögen war ein beträchtlicher Anreiz für jeden Mann, ihr einen Antrag zu machen, ebenso wie ihre Verbindungen zu den einflussreichen Robertsons und den mächtigen MacLeries. Es hatte einige Angebote gegeben, denen ihre Tochter mit höflichem Desinteresse begegnet war.

Vor zwei Monaten jedoch hatte Ciara auf einmal eingewilligt, mit dem jungen Jamie Murray verheiratet zu werden. Irgendetwas war vorgefallen, das Ciaras Einstellung zur Ehe verändert hatte, doch sie konnte ihre Tochter noch so beharrlich fragen, eine Erklärung erhielt sie nicht. Da sie Ciara nicht mit Gewalt zu einer Antwort zwingen wollte, fand Marian sich mit dem beharrlichen Schweigen ab und konnte nur das Beste hoffen.

Plötzlich stand Jocelyn auf und hielt ihren Becher hoch, wartete darauf, dass die anderen anwesenden Frauen das Gleiche machten. Obwohl Marian keine große Hoffnung mehr aufbringen konnte, dass wahre Liebe sich am Ende behaupten würde, hob sie ebenfalls ihren Becher und musste mit den Tränen kämpfen.

„Auf den besten Ehemann für unsere geliebte Ciara“, verkündete Jocelyn.

„Auf den besten!“, wiederholten die anderen, stießen untereinander an und tranken, um ihren Vorsatz zu besiegeln.

Marian leerte ihren Becher in einem Zug und schüttelte den Kopf. Sie hatte kein gutes Gefühl, was Ciaras Glück anging. „Deine Worte in Gottes Ohr“, sagte sie und schickte ein Stoßgebet zum Himmel, der Herr möge die von Herzen kommenden Gebete einer Mutter für das Wohl ihrer geliebten Tochter erhören.

3. KAPITEL

Ciara konnte nicht anders, als in der Menge nach ihm zu suchen. Dieses Fest wurde zu ihren Ehren gegeben, und wider alle Vernunft hatte sie gehofft, Tavis wäre auch dabei. Aber einmal mehr erwies es sich als dumm, solche Hoffnungen zu hegen. Seit jener peinlichen Nacht hatten sie kein Wort miteinander geredet, und sie brachte einfach nicht den Mut auf, sich ihm zu nähern. Auch wenn sie ihm gerne eingestanden hätte, dass er recht hatte, ihre Gefühle für Schwärmerei zu halten, schaffte sie es beim besten Willen nicht, zu ihm zu gehen und es ihm zu sagen. Doch gerade jetzt, wo sie im Begriff war, einen folgenschweren Schritt zu unternehmen und von diesem zu einem anderen Clan zu wechseln, wollte sie es sich von der Seele reden.

Elizabeth saß neben ihr. Offenbar bemerkte die Freundin ihre Traurigkeit, denn sie berührte sie an der Hand. Ciara lächelte. Es war ein deutliches Zeichen für Elizabeths Treue ihr gegenüber, obwohl sie nicht die ganze Wahrheit in dieser Angelegenheit kannte.

„Du musst deinen Eltern nur sagen, dass du mit dieser Heirat nicht einverstanden bist, dann werden sie schon einen Weg finden, um dich davor zu bewahren“, flüsterte Elizabeth.

„Das weiß ich. Meine Eltern würden mich zu keiner Heirat zwingen, mit der ich nicht einverstanden bin. Aber Tavis hatte recht, als er sagte, ich müsse erwachsen werden und mir einen passenden Ehemann suchen.“

Die Worte klangen weise in ihren Ohren, aber die Bitterkeit verbrannte ihr die Zunge. Ein erwachsenes Verhalten zu zeigen und es auch zu mögen waren zwei grundverschiedene Dinge, und Ciara fürchtete, dass ihr Letzteres sehr viel schwerer fallen würde. Schlimmer aber noch waren die beharrlichen Anstrengungen ihrer Eltern, einen passenden Ehemann für sie zu finden, obwohl sie bereits drei Verlobungen abgelehnt hatte. Mit jedem weiteren Anlauf wurde das Gefühl stärker, ihre Eltern wollten sie so schnell wie möglich abschieben, obwohl sie wusste, dass die beiden sie liebten.

Allerdings gehörte eine Robertson, die vom MacLerie-Clan großgezogen worden war, weder richtig zu der einen noch der anderen Familie. Das war eine Tatsache, vor der man nur schwer die Augen verschließen konnte.

„Diese Heirat hat für beide Clans viele Vorteile“, wiederholte sie das Argument, das sie schon einige Male verwendet hatte. Die Worten galten ihr selbst genauso wie ihrer Freundin.

Elizabeth drückte ihr die Hand und lächelte. „Na, wenn du dir da so sicher bist.“

„Ich musste nur begreifen, dass meine Gefühle immer noch die eines kleinen Kindes gewesen waren“, erklärte sie und musste gleichzeitig jede Reaktion darauf unterdrücken, dass Tavis soeben den Saal betreten hatte. „Es war nie wahre Liebe.“

Ihr Herz schlug mit einem Mal so stürmisch, dass sie überzeugt war, Elizabeth und jeder andere in einem Umkreis von zehn Fuß mussten es hören. Aber niemand schien etwas mitzubekommen. Ciara hatte ihr eigenwilliges, unerfahrenes Herz dazu zu bringen, von Tavis keine Notiz mehr zu nehmen, doch als sich ihre Blicke trafen und er ihr zunickte, verkrampfte sich ihr Magen vor Nervosität so sehr, dass sie fürchtete, das Wenige erbrechen zu müssen, was sie zu Mittag gegessen hatte. Es zeigte ihr nur zu deutlich, welche Wirkung dieser Mann auf sie hatte.

Sie hätte die Kontrolle über ihren Körper zurückerlangen können, wenn Tavis in eine andere Richtung weitergegangen wäre. Aber da er genau auf die Tafel zukam, an der sie mit Elizabeth und einigen anderen jungen Frauen des Clans beisammensaß, war daran nicht zu denken.

„Elizabeth, Margaret, Alisa, Lilidh.“ Er nickte jeder ihrer Verwandten und Freundinnen zu. Schließlich drehte er den Kopf in ihre Richtung. „Ciara.“

Er lächelte sie an, sie erwiderte das Lächeln. Einen Augenblick lang sah er sie so an, wie er es früher getan hatte, zumindest vor jener peinlichen Nacht. Dann hielt er ihr eine Hand hin. „Kann ich dich sprechen?“

Sie nickte und stand auf. Auch wenn sie nicht damit gerechnet hatte, wollte sie ebenfalls mit Tavis reden. Sie hielt die Hände verschränkt, um das Zittern ihrer Finger zu verbergen.

„Natürlich. Hast du schon gegessen?“, fragte sie.

Ciara vergaß nie ihre Pflichten, auch nicht, als sie zuließ, dass er sie von ihren Freundinnen wegbrachte. Seine Antwort beschränkte sich auf ein Kopfschütteln, also deutete sie auf die Tische, die sich unter der enormen Auswahl an Speisen und Gerichten fast durchbogen. Sie zeigte auf eine freie Bank, und sie setzten sich gemeinsam darauf. Ihre Brust schmerzte von der ungeheuren Anspannung, Mund und Hals waren wie ausgedörrt, und sie versuchte krampfhaft, sich daran zu erinnern, wie man einen Gedanken fasste.

Und sie hatte geglaubt, ihre Gefühle für ihn im Griff zu haben?

Eine Magd brachte ihnen ein Tablett mit Essen, eine andere stellte Tavis einen Krug mit Ale hin, und ehe er sich versah, hatte er vor sich so viel zu essen und zu trinken, dass eine Armee davon hätte satt werden können. Ciara sah den Tanzpaaren zu und ließ Tavis zunächst einmal in Ruhe essen. Sie hatten schon oft zusammen gegessen, aber diesmal spürte sie, dass etwas anders war. Jeder, der vorbeikam, wünschte ihr alles Gute, doch keiner blieb länger als ein paar Augenblicke stehen. Schließlich hatte Tavis aufgegessen, nahm den eben erst wieder aufgefüllten Krug und drehte sich zu ihr um.

„Auch ich möchte dir alles Gute für diese Verlobung wünschen“, begann er mit leiser, tiefer Stimme. „Und ich möchte dir erklären, wieso …“

Sie schüttelte den Kopf, um seinen Redefluss zu bremsen. „Du hattest recht, Tavis“, gab sie zu, ohne ihn anzusehen. Die Worte auszusprechen ließen sie ihrem eigenen Herzen gegenüber als wahr erscheinen. „Meine Gefühle waren die eines Kindes. Ich habe das ganze letzte Jahr damit zugebracht, zu bereuen, was ich getan habe.“

Indem er ihre Hand nahm, lenkte er gleichzeitig ihren Blick wieder auf sich. Er lächelte sie an, und ihr Herz schlug noch heftiger. Ihre Kehle war wieder wie zugeschnürt, und sie schluckte angestrengt.

„Ciara, mich trifft ebenfalls Schuld.“ Die Wärme seiner Hand sprang auf ihr Herz über. „Ich hätte eher mit dir reden müssen.“ Als er die Hand wegzog, fühlte sie, wie ein eisiger Schauer ihr Herz erfasste. „Ich hätte dir … alles erklären sollen, aber ich habe in dir immer das kleine Mädchen aus Dunalastair gesehen und nicht gemerkt, wie schnell du groß geworden bist.“ Wieder sah er sie kurz an, schaute dann an ihr vorbei zu den Tanzpaaren, unter denen sich viele seiner Geschwister befanden. „Genauso wie ich nicht sehen wollte, dass meine eigenen Brüder und Schwestern älter wurden“, gestand er und drückte abermals ihre Hand. „Ich möchte nicht, dass du wütend auf mich bist, wenn du von hier weggehst.“

Mit einem Mal schien die ausgelassene Stimmung im Saal zu verstummen, und einen Moment lang nahm Ciara nichts anderes wahr als Tavis. Erinnerungen wurden wach, an ihre erste Begegnung, an ihre Reise hierher nach Lairig Dubh, an die Zeit danach und an jene Nacht vor einem Jahr, als sie zu ihm gegangen war, um ihm ihre Liebe zu gestehen. All das lag lange zurück, und sie würde nun dieses Dorf verlassen, um zu heiraten und anderswo zu leben. Aber wenigstens hatten sie noch die Gelegenheit bekommen, sich zu versöhnen.

Schließlich wich die Stille wieder der Geräuschkulisse des Festmahls. Tavis zuckte leicht zusammen, löste abrupt seinen Blick von ihr und ließ ihre Hand los. Er stand auf und wich einen Schritt zurück, als wollte er Abstand schaffen. Diesen Abstand würde bald ein anderer Mann ausfüllen, eine andere Familie an einem anderen Ort. Vielleicht auch Kinder, wenn Gott ihr gnädig war. Aber niemals würde Tavis dieser Mann sein. Ciara konnte deutlich spüren, wie die innere Entfernung Handbreit für Handbreit größer wurde, bis alle Bänder zwischen ihnen so sehr gedehnt wurden, dass sie zerreißen mussten. Sie atmete aus, und erst dabei wurde ihr klar, dass sie die Luft angehalten hatte. Dann brachte sie ein Lächeln zustande.

„Ich könnte niemals wütend auf dich sein, Tavis. Du hast in jener Nacht nur versucht, mich das sehen zu lassen, was ich nicht sehen konnte. Ich war damals noch nicht bereit für die Wahrheit.“

Jemand rief ihren Namen, sie drehte sich um und sah ihre Eltern. Als einer der engsten Vertrauten des Lairds war ihr Stiefvater oft in Angelegenheiten des Clans unterwegs. Er war ein groß gewachsener Mann, der bis auf ihren Cousin Rurik alle anderen deutlich überragte und dadurch Ciara in einer Menschenmenge stets ausfindig machen konnte. Das hatte ihm schon geholfen, als sie noch ein zu Schabernack aufgelegtes Kind gewesen war. Dass er sie bei einem so persönlichen Gespräch mit Tavis ertappte, obwohl sie einem anderen Mann versprochen war, erschreckte sie genauso wie früher, wenn sie irgendetwas angestellt hatte. Sie hielt die Hände krampfhaft verschränkt, als ihre Eltern sich näherten und Tavis gleichzeitig noch etwas weiter von ihr abrückte.

Auch wenn sie sie gelegentlich ausschimpften, wusste Ciara dennoch, dass die beiden sie bedingungslos liebten. Sie hatten ihr bei den zwei vorangegangenen gebrochenen Verlobungsversprechen zur Seite gestanden, und sie wusste, sie würden es wieder tun, sollte sie sie darum bitten. Ciara atmete einmal tief durch. Ihr war klar, diese Verlobung würde zu einer Heirat führen. Das schuldete sie ihren Eltern genauso wie dem restlichen MacLerie-Clan.

„Ciara! Tavis!“, rief ihre Mutter, als die beiden bei ihnen angekommen waren. „Besprecht ihr die letzten Einzelheiten für die Reise?“

Duncan betrachtete Tavis mit ungewöhnlichem Interesse. Er hatte alle Vorbereitungen getroffen und die Männer ausgewählt, die unterwegs für die Sicherheit von Ciara und ihrer Freundin sorgen sollten. Doch nichts davon hatte er bislang mit Ciara besprochen. Bis vor Kurzem hatte er nicht mal vorgehabt, sie vor ihrer Abreise noch einmal zu sehen. Trotzdem war er von irgendetwas angetrieben worden, herzukommen und mit ihr zu reden. Nun, da sie wieder Frieden geschlossen hatten, musste er feststellen, dass es ihn störte, wie leicht es ihr fiel, alle Gefühle für ihn zu vergessen. Sie schien in der Lage, allen Hindernissen zum Trotz den Blick nach vorn richten und ihr Glück zu finden, während er in seiner Vergangenheit gefangen war.

Er sah, wie ihre braunen Augen vor Liebe aufleuchteten, als sie mit ihren Eltern redete. Manchmal fiel es ihm schwer, in Duncan ihren Stiefvater zu sehen, denn die beiden standen sich so nah, als wäre sie seine leibliche Tochter. Auf einmal sah er, wie sie sich die Haare, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatten, zurück über die Schultern strich, und er begriff, dass sie nervös war. Sie verschränkte die Hände – ein weiteres Zeichen dafür, dass sie sich in ihrer Haut nicht wohlfühlte.

Verdammt! Seit wann fielen ihm solche Dinge auf? Tavis musste weg von hier, weg von ihr, ehe er etwas tat oder sagte, das diese angespannte Situation noch verschärfen würde. Außerdem fand er es an der Zeit, zu zeigen, dass sie nicht als Einzige mit der Vergangenheit abgeschlossen hatte.

„Es ist alles in die Wege geleitet. Dougal und Iain sind bereit“, berichtete er und wagte einen Blick zu Ciara. „Und du ebenfalls, hoffe ich?“

„Aye, es ist alles gepackt.“ Sie lächelte ihre Mutter an. Das leichte Zucken ihrer Mundwinkel konnte bedeuten, dass das Packen für sie ein großer Kampf gewesen war.

„Und wie steht es mit deiner Reise, Duncan? Wann wirst du mit Marian aufbrechen?“, fragte Tavis. Erst in einem Monat würden sie alle wieder hier zusammenkommen, um die Hochzeit zu feiern.

Tavis schlenderte neben Duncan her und unterhielt sich mit ihm über die Gründe, die diesen als Unterhändler nach Glasgow führten, doch die ganze Zeit über ließ er Ciara nicht aus den Augen. Während er zusah, wie sie mit ihrer Mutter redete, erschien ihm ihre letzte Begegnung wie ein weit entfernter Traum. Sie wirkte gelassen, anmutig, selbstsicher und wunderschön. Es war offensichtlich, dass sie die Verlobung akzeptiert hatte und mit der Richtung zufrieden war, in die sich ihr Leben entwickelte. Aber warum machte ihn der Gedanke so wütend, dass sie sich mit der anstehenden Hochzeit abgefunden hatte? Er verlor wohl allmählich den Verstand.

Duncan erzählte ausführlich von den Aufgaben, die er während seiner Reise im Namen des Clans und des Earl of Douran zu erledigen hatte, doch Tavis bekam kein Wort davon mit. Alle Laute und Geräusche zogen wie in weiter Ferne an ihm vorbei, Erinnerungen an Vergangenes stiegen in ihm auf, und sie alle kreisten um Ciara. Er sah sie als kleines Kind, wie sie mit ihrer Mutter von Dunalastair herkam. Als Zehnjährige, die ihm alles erzählte, was sich auf ihrer letzten Reise zugetragen hatte. Als Dreizehnjährige, die ihm nach Saraids Tod ihr Beileid aussprach. Als junge Frau, die mitten in der Nacht bei ihm vor der Tür stand und ihm vorschlug, er solle sie heiraten.

Und jetzt … jetzt sah er sie als eine Frau, die einem anderen Mann versprochen war.

„Tavis? Hörst du eigentlich zu?“ Duncans Stimme riss ihn aus seinen Gedanken, der feste Griff um seinen Arm ließ ihn alle Erinnerungen vergessen.

„Natürlich, Duncan“, antwortete er, war sich aber nicht sicher, ob es der Wahrheit entsprach. Dann machte er einen Schritt zur Seite, als sich einige von Ciaras Freundinnen näherten. Sie scharten sich um Ciara, lachten über irgendetwas und wollten sie mit sich ziehen. Aber sie sträubte sich und kam stattdessen wieder auf ihn zu. Als sie sich vorbeugte, nahm er den Duft von Erika wahr, den ihre Haare verströmten.

„Ganz gleich, was kommen wird, ich werde nie vergessen, wie viel du für mich getan hast. Ich bin deine Freundin, und ich werde es immer sein.“

Der Kuss auf die Wange überraschte ihn so sehr, dass er einen Moment lang weder wusste, was er sagen, noch, was er denken sollte. Schließlich flüsterte er so leise, dass es niemand außer ihr hören konnte: „Und ich werde immer dein Freund sein, Ciara.“

Bei diesen Worten sammelten sich Tränen in ihren Augen, und er sah, wie sie versuchte, sie zurückzuhalten. Er hatte keine Ahnung, was ihn dazu veranlasste, die Arme um sie zu legen und sie an sich zu drücken. „Werde glücklich“, hauchte er ihr ins Ohr, ehe er sie wieder losließ.

Gleich darauf wurde sie von ihren Freundinnen gepackt und zu der freien Fläche zwischen den Tischen gezogen. Die Musik setzte ein, die Mädchen bildeten einen Kreis um Ciara und begannen lachend und jubelnd zu tanzen. Sie feierten Ciaras Verlobung und zugleich das Ende ihrer eigenen Kindheit, auch wenn ihnen das sehr wahrscheinlich nicht klar war.

Andere gesellten sich dazu, kleinere Kinder, Mütter, Väter, Verwandte jeden Alters, die alle die Freude über diese Verlobung teilten. Tavis schüttelte seine finsteren Gedanken ab, lächelte und begann im Takt der Melodie zu klatschen. Irgendwann wurde ihm auffordernd eine Hand hingehalten, und für einen Moment vergaß er seine Vergangenheit und schloss sich den Feiernden an.

Die Paare tanzten im Kreis hin und her, solange die Musik spielte. Als die Musikanten eine kurze Pause einlegten und zum nächsten Stück ansetzten, trat zu Tavis’ Erstaunen eine andere Frau vor und forderte den nächsten Tanz mit ihm. Er vergnügte sich so ausgelassen, wie er es schon lange nicht mehr getan hatte, und ließ einen Tanz auf den anderen folgen, bis sich das Fest dem Ende zuneigte.

Zum ersten Mal seit Saraids Tod hatte er sich mitten unter den Clan gemischt, anstatt nur am Rand zu stehen und zuzuschauen. Als er sich von einem Gast verabschiedete, fiel ihm auf, dass Ciara nicht mehr im Saal war.

Von einer unerklärlichen Enttäuschung erfasst, trank er den letzten Rest Ale aus und ging nach draußen auf den Burghof. Da viele Gäste aus dem Dorf hergekommen waren, stand das Tor weit offen, damit sie heimkehren konnten. Er winkte ein paar Männern zu, die ihm unterstellt waren, und machte sich auf den Weg zu seiner Hütte.

Als er sein Heim sah, das in das helle Licht des zunehmenden Mondes getaucht war, fuhr ihm ein stechender Schmerz durch Herz und Seele. Er ließ nie das Kaminfeuer brennen, und wenn er heimkam, gab es niemanden, der auf ihn wartete. Er war so allein wie immer, auch wenn er es sich an diesem Abend für kurze Zeit erlaubt hatte, während der Feier am Clansleben teilzuhaben.

Er ging in der Hütte hin und her, ohne dass er eine Lampe oder ein Feuer gebraucht hätte, um ihm den Weg zu zeigen. Dabei bemühte er sich, nicht zu viel über seine Situation nachzudenken. Schon bald lag er im Bett und versuchte zu schlafen, doch Gedanken und Erinnerungen wälzten sich durch seinen Kopf und verhinderten, dass er Ruhe fand. Vor allem kreisten sie um ein Thema.

Ciara.

In gewisser Weise freute es ihn, dass sie sich nicht länger mit der albernen Absicht trug, ihn zu heiraten. Es war ein Zeichen dafür, dass sie vernünftiger war als noch vor einem Jahr, als sie einen Heiratsantrag nach dem anderen abgelehnt und stattdessen ihm einen Antrag gemacht hatte. Es beruhigte ihn, dass sie mit dieser Verlobung zufrieden war.

Doch während er sich in seinem Bett hin und her drehte, musste er erkennen, dass er andererseits gar nicht erfreut war. Es machte seinem männlichen Stolz zu schaffen, dass sie ihn hinter sich lassen konnte, als wäre er nur ein Teil ihrer Kindheit gewesen, dem sie jetzt entwachsen war. Obwohl er wusste, wie unsinnig seine Überlegungen waren, und obwohl sie nur genau das getan hatte, wozu er sie angehalten hatte, half ihm das nicht bei seinen Bemühungen, das Thema aus seinem Kopf zu verbannen.

Er hatte Ciara vor allem aus dem Grund nicht nach Perthshire begleiten wollen, dass seine Anwesenheit sie in ihren fehlgeleiteten Gefühlen bestärken könnte. Doch das schien nun kein Thema mehr zu sein.

Da er einsehen musste, dass der Schlaf sich ihm auch für den Rest der Nacht entziehen würde, stand er auf, ging zum Fenster und sah hinauf zum Mond, der vom Himmel herabstrahlte.

Tavis konnte sich nicht daran erinnern, den Entschluss gefasst zu haben; dennoch hatte er bei Tagesanbruch alle Habseligkeiten und Vorräte gepackt, die er für die Reise benötigte. Als Dougal und Iain eintrafen, um die Gruppe auf ihrer Reise nach Osten zu eskortieren, stellte keiner von seinen Männern den geänderten Plan infrage. Allerdings war Tavis sich sicher, dass viele davon Notiz nahmen.

4. KAPITEL

Dass keine Wolke am Himmel stand, als der Morgen dämmerte, war bestimmt ein gutes Omen für die Reise und ihre Zukunft. Die Truhen mit ihrer Kleidung waren schon am Abend zuvor auf den Wagen geladen worden; die persönlichen Dinge, die sie unterwegs benötigte, führte sie in einem Beutel mit sich.

Auf dem Kaminsims in ihrem Gemach standen die von Tavis geschnitzten Holztiere erwartungsvoll da, aber Ciara konnte sich nicht entscheiden, ob sie sie mitnehmen sollte. Also stand sie davor und betrachtete sie eine Weile, während sie hin und her überlegte. Sie waren ein Teil ihres Lebens, seit sie von zu Hause nach Lairig Dubh gereist war. Jedes einzelne hatte Tavis für sie angefertigt, um ihr die Zeit zu vertreiben.

Das Pferd, das er zuallererst geschnitzt hatte, war nach wie vor ihr ganz besonderer Liebling, weil ihr Vater – ihr Stiefvater – ihn gebeten hatte, es für sie zu anzufertigen. Die übrigen Figuren hatte Tavis von sich aus geschnitzt, und so war ihre Sammlung im Laufe der tagelangen Reise um ein Schwein, ein Reh und ein Schaf gewachsen. Sie hatte damit oft gespielt, genau wie ihre Geschwister, sodass das Holz inzwischen glatt und abgegriffen war. Doch für Ciara waren alle Figuren immer noch so kostbar wie am ersten Tag. Gerade wollte sie sie vom Kaminsims nehmen, da betrat ihre Mutter das Gemach.

„Nimmst du sie mit auf die Reise?“, fragte sie, kam näher und zog den Mantel gerade, den Ciara umgelegt hatte. „Du gehst nie ohne sie weg, nicht wahr?“

„Sollte ich das?“, erwiderte sie. Einerseits wollte sie sie hier zurücklassen, andererseits hätte sie sie gern eingepackt. Wahrscheinlich waren es ihre kindlichen Ängste, die zum Vorschein kamen.

„Liebling, sie sind ein Teil von dir und ein Teil deines Lebens. Du musst dich dafür nicht schämen, aber du darfst auch nicht zulassen, dass die Vergangenheit deine Zukunft verfinstert.“

Ihre Mutter strich ihr die Haare aus dem Gesicht und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Die Wirkung auf Ciara war besänftigend, wie immer. Wie sollte sie nur ein Leben ohne diese besonderen Augenblicke führen? Musste sie all das aufgeben, nur um erwachsen zu werden?

„Ich glaube, ich nehme nur dieses eine Tier mit“, erklärte sie und bemühte sich um einen entschlossenen Tonfall. Die kleinen Gegenstände spendeten ihr immer Trost, wenn sie ihn am nötigsten hatte. Sie war im Begriff, alles und jeden zu verlassen, den sie kannte und liebte, um Teil einer anderen Familie zu werden. Sie nahm ein Tuch aus der Truhe, wickelte die Holzfigur darin ein und steckte sie in den Lederbeutel, den sie bei sich tragen würde.

„Elizabeth wartet auf dem Hof auf dich.“ Ihre Mutter legte einen Arm um sie und begleitete sie zur Tür. „Ihre Eltern haben zugestimmt, dass sie erst nach der Hochzeit nach Hause kommt, wenn du das möchtest.“

Ciara lächelte. Das war eindeutig die beste Neuigkeit, die dieser Morgen mit sich bringen konnte. Ihre beste Freundin würde sie auf dem Weg in ihr neues Leben begleiten. Ja, dieser Gedanke hatte etwas Tröstliches.

„Meine Freude könnte nur dann größer sein, wenn der Laird seine Erlaubnis geben würde, dass Lilidh mich auch begleitet“, erklärte sie. Ihre Cousine Lilidh und sie hatten viele Stunden und Tage gemeinsam verbracht, und sie wäre die ideale Gefährtin. Aber die Tochter des Lairds würde auch bald heiraten, weshalb er ihr nicht gestatten konnte, bei Ciara und James in Perthshire zu weilen.

Sie hätte das Gemach verlassen, das so lange Zeit ihr Zuhause gewesen war, doch eine Frage lastete immer noch auf ihr. Üblicherweise ging Ciara über dieses Ziehen in ihrem Herzen hinweg, aber da die Verlobung und Hochzeit so kurz bevorstanden, konnte sie sich nicht länger zurückhalten.

„Mein Vater …“, brachte sie hastig hervor, ehe sie es sich doch noch anders überlegen konnte. Weiter kam sie nicht, da der Gesichtsausdruck ihrer Mutter sie verstummen ließ.

„Duncan ist dein Vater, Liebling, und das wird er auch immer sein“, flüsterte ihre Mutter. In ihren Augen konnte Ciara eine so grenzenlose Trostlosigkeit ausmachen, dass es ihr selbst wehtat. Aber im nächsten Moment lächelte sie schon wieder und strich Ciara über die Wange. „Wir können uns darüber ausführlicher unterhalten, wenn wir mehr Zeit haben. Jetzt sollten wir uns sputen, damit die anderen nicht so lange auf uns warten müssen.“

Ihre Mutter wandte sich erneut zum Gehen, doch Ciara war sich nicht sicher, ob sie diese Sache einfach zwischen ihnen stehen lassen konnte. Zu viele Jahre lang hatte ihr die Frage zu schaffen gemacht, wer sie wirklich war und wohin sie gehörte. Auch wenn sie sich die meiste Zeit von ihren Eltern sehr geschätzt fühlte, gab es dennoch Momente, in denen sie von dem Gefühl heimgesucht wurde, ihre Eltern wären nur deshalb um eine so umfassende Bildung und Ausbildung bemüht, um sie leichter loswerden zu können. Ihr Mienenspiel musste sie verraten haben.

„Ich flehe dich an, Ciara. Nicht jetzt“, flüsterte ihre Mutter, ohne sie anzusehen, was Ciara mehr Angst machte als alles andere.

Sie griff nach der Hand ihrer Mutter und ließ zu, dass sich über diese Frage erneut Schweigen legte. Es würde sich später die Gelegenheit ergeben, darauf zu sprechen zu kommen und auf die Antworten zu drängen, nach denen sie sich so verzehrte.

Auf dem Weg zum Hof kamen sie an ihrem Vater vorbei, der sich ihnen wortlos anschloss. Sie öffneten das Tor und traten hinaus auf den Burghof. Eine kleine Gruppe hatte sich dort versammelt, um sie zu verabschieden. Hier standen auch der vom Bodennebel umhüllte Wagen und die berittenen Soldaten, die sie eskortieren würden. Ein besonders großer Krieger, der leise seine Befehle gab, lenkte all ihre Aufmerksamkeit auf sich. Sie blieb so plötzlich stehen, dass ihr Vater in sie hineinlief. Sie wäre der Länge nach hingefallen, hätte er sie nicht im letzten Moment an den Schultern gefasst und festgehalten, bis sie das Gleichgewicht zurückerlangt hatte.

„Tavis“, flüsterte sie und wollte ihren Augen nicht trauen. „Tavis.“ Aber er hatte sich doch geweigert, sie zu begleiten.

„Lasst mich herausfinden, ob etwas nicht stimmt.“ Ihr Vater schob sich an ihr und ihrer Mutter vorbei, die sich über Tavis’ Anwesenheit genauso zu freuen schien wie Ciara selbst.

„Womöglich hat er seine anderen Aufgaben schneller erledigen können und nun doch Zeit, um nach Perthshire zu reisen“, überlegte Marian laut.

Der finstere Blick, den ihre Eltern einander zuwarfen, machte Ciara sofort neugierig, doch viel mehr interessierte sie sich dafür, wieso Tavis hier auf sie wartete. Ohne zu zögern, folgte sie ihrem Vater nach draußen, trat aus den Schatten und beobachtete Tavis. Wie üblich neigten die Männer nicht zu ausschweifenden Erklärungen. Duncan und Tavis wechselten ein paar Worte, ihr Vater zog die Brauen zusammen, und damit schien alles gesagt. Ciara war so ratlos wie zuvor, aber wenn es bedeutete, dass Tavis sie begleitete, sollte ihr das recht sein.

„Ich weiß das zu schätzen, Tavis“, sagte ihr Vater und hielt ihm die Hand hin. „Mehr, als ich in Worte fassen kann.“

Mehr, als ich in Worte fassen kann.

Ciara seufzte leise, da sie verstand, welche Probleme sie mit ihrem bisherigen Verhalten dem Laird und ihren Eltern bereitet hatte.

Kein Clan wollte, dass der künftige Nachfolger des Oberhaupts in aller Öffentlichkeit bloßgestellt wurde, aber genau das hatte sie schon zweimal gemacht, indem sie die Heiratsanträge zurückwies. Zwar waren diese Anträge nur im engsten Kreis unterbreitet worden, doch jeder wusste, wenn der Unterhändler der MacLeries zu Besuch kam, dann gab es Geschäftliches zu besprechen. Und wenn er dabei von seiner unverheirateten Tochter begleitet wurde, war für jeden offensichtlich, worum es bei diesen Besprechungen ging.

Die Murrays von Perthshire mochten zwar mittellos sein, doch sie waren stolz auf ihre eigenen wichtigen Verbindungen. Deshalb hatten sie auf der Versicherung bestanden, dass das „eigensinnige, unvernünftige Mädchen“ sie nicht blamieren würde, bevor sie bereit gewesen waren, über diese Verlobung auch nur zu reden. Wenn die Eltern Ciara bei diesem Besuch begleiteten, würden alle Verbündeten und Freunde, aber auch Feinde erwarten, dass ein Vertrag geschlossen wurde. Um das zu vermeiden, reiste Ciara offiziell zu ihrer entfernten Cousine Eleanor, James’ Mutter. Lediglich die MacLeries kannten den wahren Grund für diese Reise.

Deshalb begleitete sie auch nur eine so kleine Gruppe. Und deshalb mussten auch ihre Eltern offiziell „anderen Verpflichtungen“ im Namen des Earls nachkommen.

Auch das hielt sie ihren Eltern sehr zugute, denn sie hätten sie ebenso gut zwingen können, den für sie ausgesuchten Mann zu heiraten. Aber sie vermutete, dass ein Ereignis in der Vergangenheit ihre Eltern davon abhielt … und ihre Liebe für sie, Ciara.

„Ich weiß es ebenfalls zu schätzen, dass du mich begleitest“, sagte sie an Tavis gewandt und ergänzte in Gedanken: und das gleich aus mehreren Gründen.

„Dann sollten wir uns auf den Weg machen.“ Tavis sah hinauf zum heller werdenden Himmel. „Das Wetter wird nicht so gut bleiben, und wir haben viele Meilen vor uns.“ Er nickte den anderen Männern zu, die daraufhin aufsaßen. „Zeit, sich zu verabschieden, Ciara.“ Er unterzog den Wagen einem letzten prüfenden Blick, damit sie mit ihren Eltern allein sein konnte.

Tränen stiegen ihr in die Augen, und sie brachte keinen der Sätze heraus, die sie die ganze Nacht hindurch geübt hatte, während sie sich im Bett hin und her gewälzt hatte. Aber Worte waren jetzt auch nicht nötig, deshalb fiel sie ihren Eltern einfach nur um den Hals – ihrer Mutter, die immer an ihrer Seite gewesen war und auch bei den größten Herausforderungen zu ihr gestanden hatte, und ihrem Stiefvater, der für sie der einzige Vater in ihrem Leben war.

„Es ist ja nicht für immer“, flüsterte sie, als sie die beiden an sich drückte. „Ich werde zurückkehren.“

„Du wirst für einen wunderschönen Hochzeitstag zurückkehren, ehe du uns verlässt …“ Ihrer Mutter versagte die Stimme, und sie konnte nichts anderes tun, als Ciara die Hand zu drücken.

„Ganz gleich, wie du dich entscheidest, Liebes, ich …“, setzte ihr Vater an.

„Ich weiß, Papa. Ich habe euren Rückhalt.“ Ihr Vater nickte und brummte zustimmend. Auch wenn er nicht ihr leiblicher Vater war, wusste sie dennoch, dass sie in seinem Herzen seine Tochter war.

Ciara ließ die beiden los, da fast alle bereits auf ihren Pferden saßen, sogar Elizabeth. Cora, eine ältere Frau, die seit vielen Jahren Lady Jocelyn diente, kam als Dienstmagd für Ciara und Elizabeth mit. Sie hatte einen Platz auf dem Wagen. Alle warteten geduldig, dass Ciara zur Abreise bereit war. Tavis stand neben ihrem Pferd, hielt die Zügel und streckte ihr eine Hand entgegen. Sie übergab ihm ihren Lederbeutel, den er am Sattel festmachte, dann hob er sie schwungvoll auf das Pferd, das sie inzwischen seit fast einem Jahr regelmäßig ritt. Sie nahm die Zügel an sich, nickte ihren Eltern und Tavis zu. Auf seinen Befehl hin setzte sich die Gruppe in Richtung des Burgtors in Bewegung. Ciara stieß einen tiefen Seufzer aus und drückte dem Tier die Stiefelabsätze leicht gegen die Flanken, um in ihre Zukunft zu reiten.

Das Reiten betrieb Ciara so wie auch alles andere in ihrem Leben – mit Konzentration und Zielstrebigkeit. Während sie auf dem mächtigen schwarzen Pferd saß, das Tavis sie niemals hätte reiten lassen, verriet ihre ernste Miene, dass sie den Weg sehr genau im Auge behielt. Der letzte Teil der Reise würde nicht so anstrengend sein, da sie dann der Hauptstraße nach Perth folgten, die sie mitten in die Ländereien der Murrays führen würde. Tavis sorgte für ein gleichbleibendes Tempo und schickte ein Dankgebet zum Himmel, dass den ganzen ersten Tag über die Sonne schien und nur vereinzelte Wolken zu sehen waren.

Es würde einige Tage dauern, bis sie Dunalastair erreichten. Dabei würden sie die Ländereien der MacCallums durchqueren und Jocelyns Familie einen Besuch abstatten. Von dort konnten sie den alten Wegen der Viehtreiber durch die Schluchten und Täler in Richtung Süden folgen.

Während sie ritten, sprach Ciara kaum ein Wort. Dafür war sie umso geschwätziger, sobald sie eine Pause einlegten. Sie erkundigte sich nach Coras Wohlbefinden, ging umher, um sich die Beine zu vertreten, oder aber sie tuschelte mit Elizabeth. Sooft Tavis bei ihr vorbeikam, wechselte er ein paar Worte mit ihr. Da sie nie den Eindruck machte, sich bei diesen Begegnungen unbehaglich zu fühlen, begann Tavis sich mit der Tatsache abzufinden, dass er zwar in ihrer Vergangenheit eine wichtige Rolle gespielt hatte, sie sich aber jetzt auf eine Zukunft ohne ihn freute. Die ersten Tage verliefen angenehm; das Wetter war auf ihrer Seite, und sie legten die Wege ohne große Anstrengungen zurück.

Als sie sich jedoch dem Land der MacCallums näherte, wurde Ciara immer ungeduldiger. Seit ihrer ersten Reise zu ihrem neuen Zuhause bei Duncan und den MacLeries war Tavis mit ihr nicht mehr hergekommen. Aber er wusste, sie war häufig mit ihren Eltern unterwegs gewesen, und es war fast sicher, dass sie dabei hier vorbeigekommen war. Duncan hatte einen Boten vorausgeschickt, damit der Laird der MacCallums sich auf ihre Ankunft vorbereiten konnte. Die Frauen würden sich zweifellos darüber freuen, in dieser Nacht wieder in einem richtigen Bett zu schlafen, nachdem sie die letzten Nächte in Zelten am Wegesrand verbracht hatten.

Sie befanden sich noch nicht lange auf dem Land der MacCallums, als ihnen eine Gruppe Krieger entgegenkam, angeführt von Jocelyns Bruder Athdar.

„Tavis!“, rief er beim Näherkommen. „Ist alles in Ordnung?“

Mit Blick darauf, was bei einer Reise alles schiefgehen konnte, aber nicht schiefgegangen war, gab es keinen Grund zur Klage. „Ja, alles in Ordnung“, antwortete er, gerade als Ciara zu ihm aufschloss und Athdar anlächelte.

„Du wirst mit jedem Tag schöner, Ciara“, sagte dieser. Tavis bemerkte, wie sich ihre Wangen rot färbten. Athdar verstand es, mit Frauen umzugehen, und Tavis hatte mehr als einmal miterlebt, wie sich Frauen in Lairig Dubh von seinen Worten und Komplimenten umgarnen ließen. „Wer hätte gedacht, dass aus dem kleinen Mädchen einmal eine so wunderschöne Frau werden würde?“

Tavis musste sich ein Schnauben verkneifen, als er die blumigen Worte hörte. Ließ sich Ciara von einem solchen Geschwafel beeindrucken? Als er ihr aus dem Augenwinkel einen Blick zuwarf, musste er feststellen, dass Elizabeth von Athdar ganz hingerissen schien. Ciara dagegen betrachtete den Mann mit einer Mischung aus Skepsis und Belustigung. Unwillkürlich musste Tavis grinsen. Er hätte wissen müssen, dass sie zu intelligent und selbstsicher war, um auf solche Schmeicheleien hereinzufallen.

„Hast du eigentlich nichts Besseres zu tun, als herzukommen und deine Besucher anzugaffen, Athdar? Der Laird wird doch bestimmt eine sinnvollere Aufgabe für dich haben.“ Tavis saß ab und lachte über die finstere Miene, die Athdar jetzt aufgesetzt hatte. Er ging nicht davon aus, dass sein Freund über die Erwiderung beleidigt war, daher hielt er ihm die Hand zum Gruße hin.

„Irgendjemand muss den Frauen ja etwas Nettes sagen.“ Athdar ergriff die Hand und schubste ihn dann spielerisch weg. Sie waren etwa im gleichen Alter und schon seit Jahren gute Freunde. „Du machst schließlich den Mund nur auf, wenn’s ums Kämpfen oder um dein Pferd geht!“

Von da an lief es so ab wie bei fast jeder Begegnung, bis sie sich schließlich auf dem Boden wälzten und jeder versuchte, die Oberhand zu gewinnen. Nach dem gemächlichen Ritt von Lairig Dubh bis hierher tat es gut, mit einem anderen seine Kräfte zu messen. Es dauerte nicht lange, da hatte Tavis Athdar dazu gebracht, zu kapitulieren. Er stand auf und half dem anderen Mann hoch, dann klopften sie sich lachend den Staub von der Kleidung.

„Bist du schon bereit?“, fragte Tavis.

Der Blick seines Freundes verfinsterte sich, und schließlich antwortete er mit einem Kopfschütteln. Vor Jahren war Athdar bei einem Kampf mit Rurik Erengislsson, dem Freund und Befehlshaber des Lairds, übel zugerichtet worden, und seitdem sehnte er sich danach, es dem Mann heimzuzahlen. Nachdem Tavis aber die hitzigen Blicke beobachtet hatte, die zwischen seinem Freund und Ruriks Tochter Isobel hin und her gegangen waren, fragte er sich, ob dessen wahre Absicht vielleicht gar nicht darin bestand, den Mann zusammenzuschlagen. Plötzlich kam Wind auf, der feuchte Luft und ein nahendes Unwetter ankündigte, und erinnerte Tavis an seine Aufgabe. Er schickte die Gruppe voraus und ritt hinter ihr her zur Feste der MacCallums.

Nach kurzer Zeit waren die Pferde versorgt, und die Frauen wurden in den großen Saal geleitet, damit sie den Laird begrüßen konnten. Seinen Männern hatte Tavis die Erlaubnis gegeben, sich die Zeit nach eigenem Gutdünken zu vertreiben. Die MacLeries und die MacCallums waren seit Jahren enge Verbündete. Hier kannte er jeden. Nachdem er seine Arbeit erledigt hatte, betrat er den Bergfried, begrüßte den Laird und nahm an einer Tafel nahe der Mitte des weitläufigen Saals Platz.

Schon nach wenigen Augenblicken kam er mit seinen Platznachbarn ins Gespräch und erfuhr von den Zuständen auf den Straßen, die noch vor ihnen lagen. Einige der Männer boten an, als zusätzlicher Schutz der Gruppe mitzukommen. Tavis unterhielt sich mit vielen, aß mit großem Appetit und trank nur wenig. Am nächsten Morgen wollten sie in aller Frühe weiterreiten, da wollte er nicht von einem Kater geplagt werden. Trotzdem war es ein angenehmer Abend inmitten von Freunden.

Ciara beobachtete von der erhöhten Position an der Tafel des Lairds aus, wie sich mehrere Männer und Frauen zu Tavis gesellten, kaum dass der Platz genommen hatte. Ihr fiel erst jetzt auf, dass er bislang für eine wirklich angenehme Reise gesorgt hatte. Nachdem ihre Verwunderung über seine Anwesenheit verflogen war, war die Stimmung sehr gesellig gewesen. Da er wahrscheinlich die ganze Reise selbst arrangiert hatte, benötigte er natürlich niemanden, der ihm den Weg erklärte. Sie fühlte sich müde, aber zugleich auch hellwach, als sie das köstliche Mahl beendete. Während sie sich entspannt nach hinten lehnte, sah sie zu Tavis, der mit den anderen redete und immer wieder lachte. Sie genoss es, ihn so zu erleben, als ihr auf einmal etwas klar wurde.

Er erschien ihr hier viel gelassener als in Lairig Dubh.

„Du starrst ihn schon wieder an“, warnte Elizabeth sie im Flüsterton. „Jemandem könnte das auffallen.“

Ciara seufzte. Sie konnte einfach nicht anders. Obwohl die Fronten zwischen ihnen geklärt schienen, war das in Wahrheit nicht der Fall. Sie konnten zwar wieder besser miteinander umgehen als noch vor einem Jahr, doch nicht so wie in der Zeit vor diesem nächtlichen Zwischenfall. Das war vermutlich auch besser so, immerhin war sie auf dem Weg zu ihrem zukünftigen Ehemann.

„Er scheint glücklich zu sein“, erwiderte sie. „Auf dem Ceilidh am Abend vor unserer Abreise hat er sogar getanzt.“

„Macht dich das ebenfalls glücklich?“ Elizabeth beugte sich weiter zu ihr herüber. „Hast du ihn aus deinem Leben entlassen?“

„Ja, natürlich“, beteuerte Ciara. Elizabeth legte ihr eine Hand auf den Arm und drückte leicht zu, als wollte sie sie warnen, dass sie als ihre Freundin die Wahrheit kannte. „Ich weiß nicht, wann ich ihn das letzte Mal habe tanzen sehen“, fasste sie die Wahrheit in andere Worte. „Es tat gut, das zu sehen.“

Hatte sie ihn vielleicht tatsächlich aus ihrem Herzen entlassen? Als wüsste er, dass sie beide sich über ihn unterhielten, drehte er auf einmal den Kopf, sodass sich ihre Blicke trafen. Als er dann aufstand, kurz noch etwas zu den Leuten an seinem Tisch sagte und anschließend auf sie zukam, strich Ciara sich hastig die Haare glatt und wischte die nass geschwitzten Handflächen an ihrem Kleid ab. Das beantwortete wohl die Frage.

„Ciara, Elizabeth.“ Er deutete eine Verbeugung an. „Habt ihr euch von der Reise gut erholt?“

„Aye, Tavis“, antwortete Elizabeth gut gelaunt. „Und das Mahl war wirklich vorzüglich.“

„Möchtet ihr noch einen Spaziergang machen, bevor ihr zu Bett geht? Das Unwetter ist weitergezogen, und der Himmel hat sich aufgeklart.“ Beide waren sie von ihren Plätzen aufgesprungen, noch bevor er ausgeredet hatte. Ciara hörte sein amüsiertes Lachen.

Wie Tavis gesagt hatte, war das Unwetter weitergezogen und hatte eine kühle, klare Nacht hinterlassen. Auch wenn der Sommer sich dem Ende zuneigte und es bald Herbst werden würde, eigneten sich diese Tage am besten zum Reisen, da es abends noch lange hell war. Noch bevor ihr Ziel in Sichtweite kam, wusste Ciara, wohin sie gingen. Es war einer der Orte, den sie von ihrem ersten Besuch am deutlichsten in Erinnerung behalten hatte.

Laird MacCallums Schweine.

Sie musste lachen, als sie näher kamen, was nicht nur mit ihrer Erinnerung zu tun hatte, sondern auch mit Elizabeths Gesichtsausdruck. Als der Geruch zu intensiv wurde, um ihn noch länger zu ignorieren, begann ihre Freundin, die Hand wie einen Fächer zu bewegen, aber das half nichts. Schweine waren nun mal Schweine.

„Ich kehre um und gehe in unser Gemach, Ciara“, erklärte sie. „Viel Spaß auf eurem Spaziergang.“ Dann ging sie zügig in die Richtung, aus der sie gekommen waren, und gab dabei Würgelaute von sich.

„Ich hatte Elizabeth nicht für so zartbesaitet gehalten“, sagte Tavis. „Ein paar Schweine, und schon rennt sie davon?“

Ciara musste lachen. Sie war zwar nicht auf einem Bauernhof aufgewachsen, trotzdem machten ihr Schweine nichts aus. Das war ein Überbleibsel aus ihrer Kindheit, als sie von allen Tieren gleichermaßen begeistert gewesen war, besonders von denen, die Tavis ihr geschnitzt hatte. „Sie ist wirklich empfindlich.“

Sie gingen bis zum Zaun rings um den Schweinestall und sahen den Tieren zu, wie sie nach Futter suchten. Es tat gut, sich die Beine zu vertreten.

Der Regen hatte den Boden morastig werden lassen, was den Schweinen zu gefallen schien. Die paar Ferkel machten sich nicht die Mühe, nach Essbarem zu suchen, sie wussten genau, wo sie es finden würden. Ciara stellte sich zu Tavis und beobachtete eine Zeit lang das Treiben der Tiere.

„Bist du James Murray schon einmal begegnet?“, fragte er plötzlich.

Überrascht nickte sie. „Bei einer Zusammenkunft mit Onkel Iain im Frühjahr. Seine Familie war da, außerdem noch ein paar andere Leute.“ Sie verzog das Gesicht. Es war kein gutes Gesprächsthema, weil zwei der Männer, die sie seitdem zurückgewiesen hatte, auch dort gewesen waren.

„Wird es diesmal klappen?“, wollte er wissen und drehte sich zu ihr um. Sein eindringlicher Blick erinnerte sie an die vielen Diskussionen, die sie beide geführt hatten. Sie hörte die Sorge, die in seiner Stimme mitschwang, doch jetzt wusste sie, es war die Sorge eines Freundes.

„Ich glaube, ja“, antwortete sie. „Wir mögen beide Pferde. Seine Eltern wollen und brauchen meine Mitgift. Alles, was man braucht, um darauf eine Ehe zu begründen.“ Während sie das sagte, rang sie mit sich, um sich keine Gefühlsregung anmerken zu lassen.

Tavis lachte laut auf, ein von Herzen kommendes Lachen, das über den menschenleeren Hof schallte. Er legte den Kopf in den Nacken und lachte weiter, bis ihm die Tränen kamen. „Du hast schon immer genau das gesagt, was du denkst, Ciara. Ich bin froh, dass sich das nicht geändert hat.“

„Mir ist die Wahrheit lieber als süßliche Worte. Meine Eltern haben mich immer darin bestärkt, aber ich vermute, James’ Eltern halten das nicht für eine gute Eigenschaft. Wäre da nicht die Mitgift, würden sie einer Verbindung zwischen ihrem Sohn und mir niemals zustimmen.“

Er hob eine Hand, als wollte er ihre Wange berühren, doch hielt er in der Bewegung inne, bevor sie seine Finger auf ihrer Haut spüren konnte. Für einen Moment schloss sie die Augen, zwang sich aber sofort, sie wieder aufzumachen, weil sie seine Reaktion sehen wollte. Insgeheim wünschte sie sich, dass er Gefühle für sie hegte und sich zu ihnen bekannte, bevor sie auch noch den letzten Rest Hoffnung fahren ließ. Aber unabhängig davon, ob er es nun tat oder nicht, war ihr klar, was die Pflicht von ihr verlangte und dass er nicht Teil ihrer Zukunft sein würde. Das Wissen, dass sie einem Mann gehören würde, dem sie auf dieser Reise jeden Tag einige Meilen näher kam, ließ Ciara einen Schritt nach hinten machen. Sie lächelte und war froh darüber, dass sie beide sich wieder besser verstanden.

„Die Dämmerung wird bald einsetzen. Du solltest ins Bett gehen.“

„Dann bis morgen früh“, sagte sie und wandte sich zum Gehen. Nach ein paar Schritten blieb sie stehen und drehte sich noch einmal zu ihm um. „Was weißt du über James Murray?“

„Nur das, was dein Vater über ihn und seine Familie erzählt hat.“

Mit einem Schulterzucken ging sie weiter und fragte sich, welche Antwort sie sich eigentlich von ihm erhofft hatte. Einen Moment lang wunderte sie sich, wieso Tavis nicht ebenfalls schlafen ging. Aber dann erinnerte sie sich daran, wie viele Frauen aus dem Clan und der Dienerschaft während des Essens zu ihm an den Tisch gekommen waren. Sie vermutete, wenn er schließlich zu Bett ging, würde er nicht allein sein.

Das Brennen in ihrer Brust versuchte sie zwar auf die vielen würzigen Gerichte zu schieben, von denen sie beim Essen gekostet hatte. Aber das Feuer der Eifersucht ließ sich nur mit Mühe ignorieren.

5. KAPITEL

Dieser Teil der Reise war mühsamer als der gesamte Rest der Strecke. Wenn sie erst einmal Dunalastair durchquert und die Hauptstraße erreicht hätten, auf der das Vieh zu den Märkten in den größeren Städten getrieben wurde, lag ein angenehmer Weg vor ihnen. Das wusste Tavis, aber ihm war auch klar, dass diese Reise für ihn mit jedem Schritt ein wenig schwieriger werden würde.

Zum ersten Mal seit Saraids Tod hatte er wieder begonnen, die Frauen wahrzunehmen, die ihn umgaben. Es war natürlich nicht so, als hätte er sie jahrelang nicht gesehen, doch mittlerweile erkannte er wieder den Reiz, den eine Frau auf einen Mann ausüben konnte. Beim Ceilidh in Lairig Dubh und heute im Dorf und in der Feste der MacCallums hatte sein Leben eine Wendung vollzogen. Vier Jahre lang hatte er alles um sich herum ignoriert, aber das hatte auch nicht geholfen. Die begehrlichen, verlockenden Blicke etlicher anwesender Frauen und die Einladungen, die er erhalten hatte, machten deutlich, dass er nicht allein schlafen musste.

Es war der übliche Lauf der Dinge – das Bett einer Witwe konnte für einen unverheirateten Mann ein einladender Ort sein. Beiden war es so möglich, Nächte voller Lust zu erleben, ohne sich zu einer Heirat verpflichten zu müssen. Natürlich konnten sie heiraten, wenn sie wollten, aber es war kein Muss.

Nicht, dass er je wieder heiraten würde, aber …

Die Trauer, die jedes Mal erwachte, wenn er an Saraid dachte – an ihr Leben genauso wie an ihren Tod –, überkam ihn auch jetzt wieder und erinnerte ihn an das entsetzliche Versagen, das für immer auf ihm lasten würde. Ein gallebitterer Geschmack sammelte sich in seinem Mund, als er an sein Verhalten in den Momenten dachte, in denen Saraid ihn am dringendsten gebraucht hatte. Er spuckte aus, doch der Geschmack blieb im Mund, obwohl Tavis sich nicht sicher war, ob er ihn tatsächlich schmeckte oder ob es nur die Erinnerung daran war.

Er lenkte sein Pferd den steilen Pfad hinab, der ins Dorf von Dunalastair führte, und ergab sich seinem Schicksal. Als aber Ciara auf ihrem Tier an ihm vorbeistürmte und ihm lachend eine Herausforderung zurief, verdrängte er die düsteren Erinnerungen ebenso wie die noch finstereren Aussichten für die Zukunft und folgte ihr.

„Zur Brücke!“, rief sie ihm zu und zog sich das Kopftuch weg, damit der Wind ihre langen Haare flattern ließ.

Verdammt, sie konnte reiten! Und mit ihrem hervorragenden Pferd konnte er kaum mithalten. Während er sein Tier zur Eile antrieb, versuchte er einzuschätzen, ob die Strecke bis zur Brücke ausreichte, um den Vorsprung aufzuholen, den sie jetzt schon vor ihm hatte. Er bezweifelte es, trotzdem beugte er sich weit nach vorn über den Hals seines Tiers und spornte es zu einem noch schnelleren Galopp an.

Der Wind, der ihm entgegenblies, und das Spiel der kraftvollen Muskeln des Pferds, das er deutlich spüren konnte, ließen ihn alle Melancholie vergessen. Er konzentrierte sich ganz auf die Frau vor ihm, auch wenn die kaum noch zu erkennen war. Die Hufe wirbelten Erde auf, die durch die Luft flog und ihn traf, die Zweige der Bäume links und rechts des Weges klatschten ihm ins Gesicht. Nichts davon konnte ihn dazu bringen, das Tempo zu verringern, denn noch war ihm der Sieg möglich. Sie näherten sich einer Weggabelung, Ciara wählte den einen, er den anderen Weg.

Tavis lachte, da er nun die Brücke als Erster erreichen würde; sein Weg war deutlich kürzer. Er wusste das genau, weil er ihn schon einige Male genommen hatte, wenn er mit Duncan hergereist war. Als er die letzten Bäume passierte … wartete Ciara mit ihrem Pferd bereits auf der Brücke auf ihn und lächelte ihn an. Wie war es ihr gelungen, vor ihm …?

„Du bist nicht der Einzige, der hier in der Gegend ein paar Abkürzungen kennt“, rief sie amüsiert.

Er hätte es wissen müssen. Ihm hätte klar sein sollen, dass sie auch auf ihrem Weg zur pflichtbewussten Ehefrau eine verbissene Wettkämpferin bleiben würde. James Murray wusste eine Frau wie Ciara nicht zu schätzen. Er war zu jung und unterstand seinen Eltern, die diese Heirat nur wegen des Geldes befürworteten, das Ciara in die Ehe einbringen würde.

Er nickte ihr zu und sprang mit einem Satz vom Pferd. In einer Hand hielt er die Zügel, ging zur Brücke und griff nach den Zügeln von Ciaras Tier, während sie absaß. Beide waren sie noch außer Atem, als sie das Dorf Dunalastair erreichten. Die Pferde ließen sie gemächlich folgen, damit sie sich nach der Anstrengung erst einmal abkühlen konnten. Ciara war erst fünf gewesen, als man sie von hier fortgebracht hatte, deshalb mussten ihre Erinnerungen vor allem von späteren Besuchen stammen. Ohne sich abzusprechen, nahmen sie aus Gewohnheit den Weg, der zur alten Hütte ihrer Mutter führte.

Tavis sah zu, wie sie bis zum Gartenzaun ging und einen Blick auf die andere Seite warf. Ihre Mutter besaß eine besondere Gabe, Kräuter und anderes anzupflanzen und gedeihen zu lassen, und dies war der Ort, an dem sie diese Gabe entwickelt hatte. Ciara war dabei an ihrer Seite gewesen. Dass ihr Tränen in den Augen standen, wunderte Tavis nicht. Er hielt etwas Abstand zu ihr, damit sie einen Moment lang innehalten konnte.

„Die Nachricht von deiner Ankunft wird deinen Onkel erreichen, lange bevor er dich zu Gesicht bekommt“, rief er ihr schließlich zu. „Wir sollten umkehren.“

Sie nestelte an einem kleinen Beutel, der an ihrem Gürtel festgemacht war und Tavis erst jetzt auffiel. Mit den Fingern strich sie darüber, um dessen Inhalt zu ertasten. Fast wie ein kleines Kind, das mit den Händen über eine Decke strich, wenn es beunruhigt war. Dann ließ sie die Hand sinken und drehte sich zu ihm um. „Aye. Onkel Iain erfährt gern als Erster, wenn er Besuch hat.“

„Werden deine anderen Onkel auch vorbeikommen?“

Er wusste, Ciaras Mutter hatte vier Brüder, zwei jüngere und zwei ältere, denen er schon ein paar Mal begegnet war. Padraig, der mit einer MacKendimen verheiratet war, diente als Iains Stellvertreter und kümmerte sich um alles, was die Robertson-Krieger betraf. Caelan, seit Kurzem mit der Tochter der MacLeans verheiratet, verwaltete die Besitztümer des Clans. Lediglich Graem, der mittlerweile zum Sekretär des Bischofs von Dunkeld bestimmt worden war, lebte woanders und kam nur selten zu Besuch.

„Er hat nichts davon gesagt. Es ist ja nur ein kurzer Besuch, deshalb vermute ich, sie werden nicht kommen.“ Sie machten sich auf den Weg zurück zu der auf einem Hügel gelegenen Feste.

Als sie am Tor ankamen, hatten die restlichen Eskorten und Begleiter sie eingeholt, und gemeinsam betraten sie die Feste. Die Männer lachten, als sie erzählte, dass sie die Brücke als Erste erreicht hatte. Tavis wusste, wenn Ciara nicht zugegen war, würde man ihn für diese Schmach noch lange aufziehen. Auf dem Weg in den großen Saal begrüßte er verschiedene Robertsons. Wie Ciara bereits gesagt hatte, handelte es sich nicht um einen offiziellen Besuch beim Anführer ihrer Verbündeten, daher waren nur wenige beim Empfang anwesend, während die anderen weiter ihren Aufgaben nachgingen.

„Ciara!“ Lord Iains kraftvolle Stimme schallte durch den Saal.

Tavis sah, wie sie zu ihm lief und von ihm in die Arme geschlossen wurde. Der ältere Mann hatte nie geheiratet und hatte auch keine Kinder, doch seine Nichte war für ihn etwas ganz Besonderes. Ihm kamen Gerüchte und Mutmaßungen rund um Marians Sündenfall ins Gedächtnis, als sie vor allem als die Robertson-Hure bekannt gewesen war. Unwillkürlich fragte er sich, ob Lord Iain die Wahrheit über Ciaras Vater kannte.

Ciara selbst wusste jedenfalls nichts darüber.

Langsam folgte er Ciara und wartete, bis sie Elizabeth und Cora ihrem Onkel vorgestellt hatte, ehe er selbst ihn begrüßte. Aus seinem Lederwams zog er ein gefaltetes Pergament, das für den Laird der Robertsons bestimmt war.

Als er beobachtete, wie Ciara sich im Flüsterton mit Lord Iain unterhielt, wirkten die zwei auf ihn mehr wie Vater und Tochter als Onkel und Nichte. Er schüttelte den Kopf und verdrängte diese Überlegung aus seinen Gedanken. Sollte es eine Verbindung zwischen den beiden geben, von der niemand wusste, dann wäre Tavis mit Sicherheit der Letzte, der davon erfahren würde.

Außerdem war es für ihn auch nicht von Bedeutung.

Seine Aufgabe beschränkte sich darauf, Ciara sicher zu ihrem Verlobten zu bringen und anschließend für die Hochzeit nach Lairig Dubh zu eskortieren. Und genau das würde er tun. Danach würde er in sein bisheriges Leben zurückkehren und weiter dem Clan MacLerie und dem Earl dienen. Er verstieg sich nicht in den Irrglauben, er könnte zur Familie gehören oder wichtiger sein als andere, die dem Clan dienten. Wie er Ciara in jener Nacht gesagt hatte, war sie für jemanden wie ihn unerreichbar. Als er nun sah, wie sie von diesem mächtigen Laird begrüßt wurde, war es, als würde man ihm diese Tatsache noch einmal unter die Nase reiben. Lord Iain entließ Ciara aus seiner Umarmung, aber sie blieb an seiner Seite, während sie Tavis zu sich winkte. Er trat näher, verbeugte sich und überreichte Duncans Brief.

„Mylord“, sagte er und machte einen Schritt nach hinten.

„Tavis“, erwiderte der Robertson und streckte seine Hand aus. „Willkommen zurück in Dunalastair. Ich danke Euch, dass Ihr Ciara sicher hierhergebracht habt.“

Der Laird lud alle ein, mit ihm zu essen, und wies seine Dienerschaft an, dafür zu sorgen, dass es seinen Gästen an nichts mangelte. Die Männer sprachen sich ab; Dougal, Iain und Tavis würden in einem Gemach nahe dem Saal schlafen, die übrigen unten bei den Männern des Lairds. Auch wenn Tavis von mehreren zuvorkommenden Dienstmägden ein Bad angeboten wurde, entschied er sich, den Fluss im Wald nahe der Feste zum Waschen zu nutzen.

Gerade wollte er den Bergfried verlassen, da rief ihn der Laird zu sich, bot ihm einen Krug mit Ale und einen Platz an. Tavis wartete geduldig, welchem Zweck dieses Gespräch dienen sollte.

„Also, Tavis, was weiß sie? Woran erinnert sie sich?“

Die Fragen kamen so unerwartet, dass er sich an seinem Ale verschluckte und erst einmal husten musste. Dann folgte längeres Schweigen, da er überlegte, wie er darauf antworten sollte. Er entschied sich für klare, ehrliche Worte.

„Sie war zu jung, um etwas zu wissen oder sich an irgendetwas zu erinnern. Auch wenn Gerüchte im Umlauf waren, hat Ciara davon nie etwas mitbekommen.“

„Und die MacLeries?“, hakte Lord Iain nach und beobachtete Tavis über den Rand seines Kelchs hinweg.

„Sie ist eine von uns. Sollte jemand ihre Mutter anders nennen als Marian Robertson, dann niemand aus dem MacLerie-Clan.“

Tavis konnte sich noch gut an die Nacht erinnern, als sie in Lairig Dubh angekommen war und Connor und Duncan sie zu einer von ihnen erklärt hatten. Dabei hatten sie deutlich gemacht: Wer Marian beleidigte, beleidigte zugleich den ganzen Clan. Niemand hatte seitdem je wieder jenen Namen ausgesprochen.

Ob Ciara sich fragte, wer ihr Vater war, konnte er nicht sagen, da sie sich in dieser Sache nie an ihn gewandt hatte. Ihre Unterhaltungen drehten sich fast immer um Pferde, Tiere, Pferde, seine Geschwister, Pferde und … Pferde. Auch als sie älter wurde, hatten diese Tiere sie immer fasziniert. Das war auch der Grund, weshalb er für sie über die Jahre hinweg immer neue Pferde geschnitzt hatte.

Es war seltsam, aber bislang war ihm nie ihr fehlendes Interesse an der Identität ihres leiblichen Vaters aufgefallen. Als sie das Alter erreicht hatte, in dem sie neugierig darauf werden könnte, wer vor Duncan ihr Vater gewesen sein mochte, hatte Tavis längst andere Interessen entwickelt und führte sein eigenes Leben.

„Und sie hat nie nach der Wahrheit gefragt?“ Der Laird sprach mit leiser, aber bedrohlich klingender Stimme, als vermutete er, dass zwischen Tavis und Ciara mehr war.

„Warum sollte sie das, Mylord?“, fragte er.

„Viele wissen von Eurer Freundschaft zu ihr.“ Ciaras Onkel sah ihm in die Augen und ließ die Worte im Raum stehen.

Diese Beleidigung ließ Tavis nicht kalt. Sofort ballte er eine Hand zur Faust und holte nach dem Mann aus, aber der Laird wich mühelos aus und ließ Tavis genug Zeit, zu begreifen, wie vielsagend und dumm sein Handeln war. Er ließ den Arm sinken und wartete auf die Reaktion des Lairds.

Als sich der Robertson lediglich abwandte und nachschenkte, konnte Tavis nur den Kopf schütteln. So gedankenlos hatte er sich schon lange nicht mehr benommen. Es war das gute Recht des Lairds, ihn für ein solches Vergehen zu bestrafen. Schlimmer noch, Tavis hatte damit mehr oder weniger Laird Iains Verdacht bestätigt, zwischen ihm und Ciara könnte mehr bestehen als bloße Freundschaft.

„Mylord, ich …“ Er konnte seinen Satz nicht zu Ende führen, weil er sich zum ersten Mal nicht sicher war, was er überhaupt sagen wollte.

„Sie hat mir von ihrem Plan erzählt, Euch zu heiraten.“

Alles hätte er in diesem Moment von Lord Iain erwartet, aber niemals diese Bemerkung. Er hatte damit gerechnet, gefangen genommen zu werden. Oder von den Männern des Lairds zusammengeschlagen oder kastriert, damit er sich Ciara niemals auf eine unziemliche Weise näherte. Aber dies? Tavis musste erst einmal durchatmen, ehe er darauf antworten konnte.

„Die Idee eines Kindes, Mylord, weiter nichts.“

„Das habe ich auch geglaubt, Tavis. Ich will sie genauso beschützen, wie Ihr das wollt.“ Er leerte seinen Kelch in einem Zug und stellte ihn neben den Krug mit Ale. „Es ist von entscheidender Bedeutung, dass während dieser Verhandlungen zu keinem Zeitpunkt Ciaras Tugendhaftigkeit infrage gestellt wird.“

„Ihr beleidigt einmal mehr meine und ihre Ehre, Mylord.“ Tavis verschränkte die Arme vor der Brust.

„Keineswegs. Ich weise Euch vielmehr darauf hin, dass andere auf die Nähe zwischen Euch und meiner Nichte aufmerksam geworden sind. Auf Eurem Land mögen die MacLeries bestimmen, was gesagt wird. Aber dieses Land habt Ihr vor vielen Tagen hinter Euch gelassen, und jetzt setzt Ihr Ciara dem Klatsch und Tratsch aus, der sie mit einer Vergangenheit in Verbindung bringen könnte, die besser vergessen bleiben sollte.“

Tavis trank sein Ale aus. Der Laird hatte recht. Eine Freundschaft zwischen einem Mann und einer Frau, die weder blutsverwandt noch verheiratet waren, war nichts Alltägliches. Also war es ganz natürlich, dass andere darauf aufmerksam wurden und Fragen stellten.

„Ich werde dafür sorgen, dass nicht über sie getratscht wird, Mylord.“

„Und ich werde Euch nicht länger von Euren Aufgaben abhalten“, gab der Laird zurück und entließ ihn. „Das Abendmahl wird in zwei Stunden serviert. Es wird Euch in Euer Quartier gebracht.“ Tavis wollte sich zum Gehen wenden, doch der Laird war noch nicht fertig. „Ich habe beschlossen, dass zwei meiner Männer Euch für den Rest des Weges nach Süden begleiten.“

„Das läuft der Absicht der MacLeries zuwider, nur mit einer kleinen Eskorte zu reisen, Mylord“, wandte Tavis mit erzwungener Ruhe ein. „Wenn die Robertsons sich uns anschließen, wird es nach mehr aussehen als nur einem Besuch bei Verwandten.“

Der Laird sah ihn aus zusammengekniffenen Augen an und nickte schließlich. „Eine weise Feststellung. Belassen wir es dabei.“

Tavis folgte ihm nach draußen und ging weiter zum Fluss. Die Worte und die unmissverständliche Warnung gingen ihm weiter durch den Kopf. Außerdem dachte er darüber nach, was der Laird ihn gefragt hatte. Hatten andere die Frage nach Ciaras Vater zur Sprache gebracht? Soweit es ihm bekannt war, hatte niemand einen Namen genannt, und es hatte sich auch niemand als Vater zu erkennen gegeben. Aber wenn man Marians Ruf bedachte und die Geschichten über sie, vielleicht wusste sie es selbst nicht?

Er folgte dem schmalen Pfad, der gleich neben dem Burgtor begann, fast über eine Meile hinweg, bis er den Fluss erreichte. Dougal und Iain schwammen bereits im kühlen Wasser. Tavis gesellte sich zu ihnen, nachdem er seine Kleidung abgelegt hatte. Auch wenn der Regen sie unterwegs bis auf die Haut durchnässt hatte, gab es nichts Besseres als das hier. Tavis tauchte unter und kam erst am gegenüberliegenden Ufer wieder an die Oberfläche.

Nach dem erfrischenden Bad kehrten sie für das Abendmahl zurück und freuten sich bereits auf eine gute Nachtruhe.

Nachdem Tavis auf der Suche nach seinen Leuten davongegangen war, zog sich Iain Robertson in seine Gemächer zurück. Er schenkte sich einen Krug randvoll mit Ale, setzte sich hin und trank das meiste davon in einem Zug aus.

Zu erleben, wie die schweren Fehltritte seiner Jugend zu ihm zurückkehrten, fiel ihm nicht leicht. Jahrelang hatte er sich gefragt, was wohl aus ihr geworden war, und nun konnte er es mit eigenen Augen sehen. Ciara hatte sich zu einer schönen, intelligenten jungen Frau entwickelt, die jeder Mann mit Stolz seine Tochter genannt hätte.

Und genau das würde er gern tun, wenn er die Wahrheit sagen dürfte. Doch das durfte er nicht, denn andere hatten mit ihrem Leben und ihrer Seele dafür bezahlt, dass die wahre Vaterschaft ein Geheimnis blieb.

Es war nun unmöglich, wiedergutzumachen, was er in der Vergangenheit falsch gemacht hatte. Unmöglich, alle Geheimnisse zu wahren, die mit den Toten begraben worden waren. Und wenn geliebte Menschen bedroht wurden, war es unmöglich, Eide zu wahren, die unter Druck abgelegt worden waren.

Iain trank den Krug aus und dachte darüber nach, wie ähnlich Ciara ihrer Mutter sah. Beide waren sie blond, beide hatten sie diese braunen Augen. Er schob die Erinnerungen beiseite, schleuderte den Krug zu Boden und rieb sich das Gesicht.

Zu viel hing von seiner Schwester und ihrem Ehemann, dem Friedensstifter, ab. Und er wurde nun von den vielen Jahren eingeholt, in denen er sich keine Gedanken über die Konsequenzen gemacht hatte. Das Geheimnis, das sie alle teilten, hatte seinen Clan und dessen Ehre in den letzten zehn Jahren geschützt. War er stark genug, jeder Herausforderung zu trotzen, die eine Enthüllung der Wahrheit mit sich bringen würde?

Er konnte es bei Gott nur hoffen.

Ciara fürchtete, ihre Wangen könnten gar nicht mehr aufhören zu glühen. Wenn sie sie berührte, konnte sie die Hitze spüren. Bestimmt sah sie aus, als hätte sie Fieber. Elizabeths Wangen sahen nicht besser aus, und sie war noch bestürzter als Ciara. Nachdem sie sich in das Gemach zurückgezogen hatten, das ihnen von ihrem Onkel zugewiesen worden war, hatten sie Cora losgeschickt, um verschiedene Dinge zu erledigen. So bekamen sie und Elizabeth Gelegenheit zu reden. Doch keine von ihnen brachte einen Ton heraus.

Sie hatte sich nie als jemanden eingeschätzt, der schnell in Verlegenheit gebracht werden konnte – bis heute. Nachdem sie im Gemach angekommen waren und ihre Kleidung geordnet hatten, waren Elizabeth und sie auf die Idee gekommen, vor dem Abendmahl noch einen Spaziergang zu unternehmen. Das taten sie oft, ganz besonders auf dieser Reise und vor allem nach einem stundenlangen Ritt.

Einer ihrer Lieblingsplätze an heißen Sommertagen war der Fluss, der am Dorfrand entlang verlief und über Jahrhunderte hinweg einen kleinen Wasserfall in das Gestein gefressen hatte. Das Wasser sammelte sich in einem wunderschönen kleinen Becken, in dem sie an heißen Tagen gern ihre Beine kühlten.

An diesem Tag waren sie an der Gabelung angelangt, wo sie eigentlich nach Süden zu ihrem Lieblingsplatz hatten gehen wollen. Doch dann hatten sie jemanden im Fluss plantschen hören, und gleich darauf waren Männerstimmen an ihre Ohren gedrungen – vertraute Männerstimmen, die Ciaras Neugier geweckt hatten. Daraufhin war sie mit Elizabeth in Richtung Ufer gegangen, um nach den Männern zu suchen.

Oh, und sie fanden sie, und wie!

Zwar hatte Ciara schon mal einen nackten Mann erblickt, aber Tavis bot einen Anblick, von dem sie oft geträumt hatte, es aber nie für möglich gehalten hätte. Er stand am gegenüberliegenden Ufer, bis zur Taille im Wasser; seine breite Brust und die muskulösen Arme glänzten im Sonnenschein, der sich einen Weg durch die Baumkronen hindurch bahnte. Tavis tauchte den Kopf unter, sodass sie auch noch einen Blick auf seinen starken Rücken erhaschen konnte.

Schließlich schwamm er zum anderen Ufer, und als er dann aus dem Wasser stieg, war sie sich sicher, dass ihr Herz aufgehört hatte zu schlagen! Elizabeth presste sich eine Faust auf die Brust, also musste es ihr ähnlich gehen. Dann hielt sich ihre Freundin eine Hand vor die Augen und drehte sich weg. Ciara dagegen gestattete sich, Tavis beim Anziehen zuzusehen, während sie die Luft anhielt und sich nicht von der Stelle rührte, da sie fürchtete, das geringste Geräusch könnte sie verraten.

Jede anständige junge Dame wäre bei dem Anblick vor Angst und Entsetzen kreischend weggerannt. Zumindest hätte eine Dame genug Anstand besessen, sich die Augen zuzuhalten oder ohnmächtig zu werden. Ciara tat nichts dergleichen, sondern verfolgte aufmerksam jede seiner Bewegungen und betrachtete interessiert seinen prachtvollen Körper.

Bis Elizabeth sie an der Hand fasste und hinter sich herzerrte.

Sie rannten durch den Wald, zurück zum Pfad, dem sie in aller Eile folgten, bis sie den Wasserfall erreicht hatten. Dort ließen sie sich lachend und johlend auf die Knie fallen, so wie früher, wenn sie als kleine Mädchen irgendetwas Ungezogenes gemacht hatten.

Aber Tavis nackt zu sehen, das hatte bei ihr ein bisher ungekanntes Gefühl ausgelöst … ein Ziehen irgendwo tief in ihr, Hitze, die durch jede Faser ihres Körpers strömte. Sie bekam einen trockenen Mund, verzehrte sich nach … nach irgendetwas.

Jetzt, da sie zurück in ihrem Gemach waren, wollte Ciara mit Elizabeth darüber reden, doch das Bild vor ihrem geistigen Auge, wie Tavis aus dem Wasser an Land kam, machte es ihr unmöglich, einen Ton herauszubringen. Das ließ sie darüber nachdenken, was wohl alles dazugehören würde, seine Frau zu sein. Und das wiederum ließ sie erröten, da sie wusste, weshalb sie nicht in der Lage war zu reden.

Als zum Essen gerufen wurde, hatte Ciara große Mühe, ihre Verwirrung und Verlegenheit zu überspielen. Wenn sie Tavis nicht ansah, würde sie dann diese seltsamen Gefühle beherrschen können? Vielleicht war es besser, sie ließ das Essen ausfallen und blieb bis zum Morgen hier in ihrem Gemach. Wenn sie erst einmal weiterritten, konnte sie Tavis lange genug meiden, bis ihr Unbehagen nachließ.

Nein, sie war eine erwachsene Frau, und sie würde schon bald den Körper eines Mannes genauer kennenlernen. Natürlich nicht Tavis’ Körper. Ihn musste sie vergessen. Entschlossen, das Erlebte hinter sich zu lassen, stand sie auf und ging zur Tür. Sie hob den Riegel an, drehte sich zu Elizabeth und lächelte. „Ich habe einen Fehler gemacht“, räumte sie ein. „Ich hätte nicht dort bleiben sollen.“

„Er ist … wunderschön“, sagte Elizabeth.

„Ich habe kein Recht, ihn so anzusehen.“

In dem Moment schweiften ihre Gedanken zu James Murray. Er war mindestens zehn Jahre jünger als Tavis, ihm fehlte dessen Ausbildung und Erfahrung als Krieger. Zugegeben, er sah recht gut aus, doch waren seine Gesichtszüge nicht so scharf geschnitten wie Tavis’. Tavis mit den grünen Augen, deren Farbton dem der Wälder rings um Lairig Dubh entsprach. Tavis mit dem wie aus Stein gemeißelten Kinn und dem wundervollen Mu…

Was tat sie denn da? Es kam ihr vor, als beherrschten ihre kindlichen Gefühle sie heute noch mehr als vor einem Jahr! Sie sah Elizabeth in die Augen und merkte ihr an, dass diese überlegte, ob sie etwas sagen sollte. Schließlich lächelte Elizabeth und nickte. „Ich bin mir sicher, dass James genauso angenehm anzusehen sein wird wie das, was wir heute beobachten konnten.“

Bei diesen Worten mussten sie beide lachen, bis Cora hereinkam und sie zur Eile antrieb, damit sie nicht zu spät zum Essen kamen. Ciara blieben bis zur Ankunft in Perthshire nur noch ein paar Tage, bestenfalls eine Woche, um diese hitzigen Gedanken und die dazugehörigen Reaktionen zu bändigen. Sie atmete tief durch, um sich zu beruhigen, dann folgte sie Cora.

6. KAPITEL

Als sie den großen Saal erreichten und zur Tafel gingen, glaubte Ciara, dieses Verlangen nach Tavis wieder unter Kontrolle zu haben. Sie begrüßte ihre Familie, dann setzte sie sich und sah sich sofort nach den übrigen Reisenden aus Lairig Dubh um.

„Deine MacLerie-Eskorte lässt sich entschuldigen. Die Männer haben noch einiges zu erledigen, damit du morgen frühzeitig abreisen kannst“, erklärte Onkel Iain.

Hätte sie ihn in diesem Moment nicht angesehen, wäre ihr entgangen, wie er die Augen ein wenig zusammenkniff und einen Mundwinkel leicht hochzog. Wer Iain Robertson kannte, der wusste, diese winzigen Regungen waren ein Zeichen dafür, dass etwas im Gange war, wozu er nichts sagen wollte.

Wusste er, was am Fluss vorgefallen war? Vermutete er, dass sich zwischen ihnen etwas abspielte? Ciara nickte. „Sie sind immer mit Eifer bei ihren Aufgaben, Onkel. Vor allem Tavis.“ Beim letzten Wort zuckte seine Braue fast unmerklich, was für sie Bestätigung genug war, dass er Tavis verweigert hatte, an diesem Mahl teilzunehmen.

Darüber würde sie sich später noch Gedanken machen können, im Augenblick wollte sie es nur genießen, zusammen mit ihren Onkeln zu essen. Da sie für die Rückreise nach Lairig Dubh eine andere Route nehmen würden, konnte es durchaus sein, dass sie ihre Verwandten für lange Zeit nicht mehr zu Gesicht bekam. Auch wenn sie dieser Verbindung zustimmten, sollte die Heirat bei ihr zu Hause stattfinden, und sie bezweifelte, dass auch nur einer von ihnen zur Feier kommen würde.

Es war schon eigenartig. Dass jeder hier sie mochte, war nicht zu übersehen, doch sie hatte nie gehört, dass sie fernab ihrer Ländereien je von ihr gesprochen hätten.

Während sie alle schweigend aßen, begann Ciara sich zu fragen, ob das wohl mit ihrem Vater zu tun hatte. Nicht mit ihrem Stiefvater Duncan, sondern mit dem Mann, dessen Name ihr noch nie zu Ohren gekommen war. Ciara hatte stets davon abgesehen, Fragen über ihn zu stellen, da man ihr schon früh deutlich gemacht hatte, dass über dieses Thema nicht geredet wurde.

Hatte ihr Vater ihre Mutter entehrt und dann nicht geheiratet? War er ein Feind der Robertsons gewesen, der nicht würdig gewesen wäre, die einzige Tochter des mächtigen Robertson-Laird zu heiraten? War er noch vor ihrer Geburt gestorben? Sie seufzte leise und wünschte, sie wüsste die Antworten auf diese Fragen. Zugleich wunderte sie sich, wieso sie nicht den Mut aufbrachte, sie laut auszusprechen.

Als Ciara wenig später im Bett lag und einzuschlafen versuchte, wurde sie wieder von diesen unausgesprochenen Fragen geplagt. So heftig wälzte sie sich im Bett hin und her, dass sie damit sogar Elizabeth störte, die normalerweise so fest schlief, dass nichts und niemand sie wecken konnte.

Schließlich stand Ciara auf und ging zu dem kleinen Fenster. Sie öffnete die Läden und lehnte sich gegen den Sims, um in die Finsternis der Nacht zu starren. Im Bergfried hatten sich alle zur Ruhe begeben, irgendwo sang ein Schwarm Nachtschwalben sein Lied. Die Bäume schienen sich im Takt dazu zu bewegen, so, wie sie selbst bei einem Ceilidh zur Musik tanzte. Die Nacht hatte für sie etwas Magisches.

Autor

Terri Brisbin
Das geschriebene Wort begleitet Terri Brisbin schon ihr ganzes Leben lang. So verfasste sie zunächst Gedichte und Kurzgeschichten, bis sie 1994 anfing Romane zu schreiben. Seit 1998 hat sie mehr als 18 historische und übersinnliche Romane veröffentlicht.
Wenn sie nicht gerade ihr Leben als Liebesromanautorin in New Jersey genießt, verbringt sie...
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