Ein Mann, den man nie vergisst

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Ihre Freundinnen Emma und Raine müssen endlich einen Mann fürs Leben finden. Dass Tess' Bruder Seth in einem Heiratsinstitut arbeitet, scheint doch die ideale Voraussetzung zu sein, die Richtigen zu finden. So beschließt Tess, auf diesem Weg gleich für sich einen passenden Begleiter für den Wohltätigkeitsball, der in wenigen Tagen stattfinden wird, zu buchen. Seth behauptet, den absolut besten Mann für sie gefunden zu haben. Aber davon ist Tess, als sie den dunkelhaarigen, irgendwie geheimnisvoll wirkenden Shayde kennen lernt, nun gar nicht überzeugt. Zwar hat er perfekte Umgangsformen, aber seine starke erotische Anziehungskraft beunruhigt Tess viel zu stark. Sie sucht doch gar keinen Mann fürs Leben, obwohl ...? Bei Shayde kommt sie trotzdem gehörig ins Grübeln ...


  • Erscheinungstag 03.07.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733747497
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

„Sie dürfen sich jetzt an das Komitee wenden.“

Tess Lonigan trat in den Lichtkegel des sonst dunklen Raumes. „Bin ich hier richtig beim Amorkomitee?“

Ihrer Frage folgte zunächst Papierrascheln und dann Flüstern. Schließlich antwortete jemand: „Ja, haben Sie ein Anliegen?“ Tess kannte die Stimme und musste sich ein Lachen verbeißen. Ihr Bruder Seth tat sein Bestes, um seine Stimme mit einem aufgesetzten Südstaatenakzent zu verfremden – aber es funktionierte nicht.

„Ich habe zwei Freundinnen, die ich gern unter die Haube bringen möchte. Eine heißt Emma Palmer und stammt aus San Francisco, die andere Raine Featherstone und kommt aus Texas.“

„Haben die beiden denn ausdrücklich den Wunsch geäußert, dass Sie ihnen bei der Partnerwahl behilflich sein sollen?“

„Nein, aber ich habe trotzdem die Erlaubnis dazu.“

„Wie das?“, fragte Seth und hatte glücklicherweise seinen lächerlichen Akzent abgelegt.

„Schon vor Jahren haben wir ausgemacht, falls eine von uns dreißig werden sollte, ohne den Mann fürs Leben gefunden zu haben, dürfen ihr die anderen dabei behilflich sein.“

Wieder Papiergeraschel und Geflüster. Tess wünschte, sie könnte die Komiteemitglieder erkennen. Aber man hatte die Lampe extra so aufgestellt, dass die Gesichter im Schatten lagen.

Jetzt meldete sich jemand anders zu Wort. „Interessante Vereinbarung. Sind Sie sicher, dass die Sache nicht nur ein Scherz gewesen ist?“ Die Stimme war wesentlich rauer als die ihres Bruders.

Tess zuckte die Schultern. „Schon möglich.“

„Warum sollten wir in diesem Fall tätig werden? Wir kümmern uns nur um Menschen, die auch bereit sind, eine Verbindung einzugehen.“

„Wenn das so ist, sind meine Freundinnen genau die Richtigen. Die beiden sind nicht nur bereit für die Ehe – ob ihnen das nun bewusst ist oder nicht –, sondern haben den potenziellen Partner auch direkt vor der Nase. Für eine trifft das auf jeden Fall zu.“

„Wofür braucht sie dann uns?“

„Weil meine Freundin nicht erkennt, dass sie und dieser Mann wie geschaffen füreinander sind. Um ehrlich zu sein, braucht sie immer jemand, der ihr einen Ruck gibt. Wenn der von einer Amorgesellschaft kommt, umso besser. Aber für Ihr Komitee ist das bestimmt nur ein Klacks und im Handumdrehen erledigt. Sie brauchen nur Ihren …“ Sie runzelte die Stirn und suchte nach dem richtigen Wort. „Ach ja, Ihren ‚Aufreißer‘ zu schicken.“

Seth seufzte betroffen, und der andere Mann mit der Reibeisenstimme fragte: „Woher wissen Sie davon?“

Tess setzte ein ganz unschuldiges Gesicht auf, aber in dem „reifen“ Alter von dreißig Jahren nahm einem niemand mehr ab, dass man von Tuten und Blasen keine Ahnung hatte. Deshalb sagte sie schließlich einfach: „Du liebes bisschen, war das etwa ein Geheimnis? Ich wusste ja gar nicht …“

„Verdammt, Tess“, fiel ihr da ihr Bruder ins Wort, „natürlich war es das.“

Sie lächelte so lieb, sie konnte. „Dann schätze ich mal, große Brüder sollten ihre geheimen Telefonate nicht so führen, dass kleine Schwestern alles mitbekommen.“

„Das reicht!“, sagte der Unbekannte mit der rauen Stimme, und sofort wurde es still. Tess war beeindruckt. Eine derartige Wirkung auf die Anwesenden wünschte sie sich auch manchmal, wenn es bei der Arbeit hoch herging. „Wir entsprechen Ihrem Wunsch“, fuhr der Unbekannte fort, „unter einer Bedingung.“

„Und die wäre?“

„Dieses Komitee arbeitet im Hintergrund, und seine Mitglieder wollen unerkannt bleiben. Deshalb müssen Sie sich verpflichten, Stillschweigen über unsere Aktivitäten zu wahren.“

„Das ist wohl auch besser so“, platzte Tess heraus und fügte leise hinzu: „Die Vorstellung, dass da gleich mehrere Amore mit Pfeil und Bogen herumschwirren, die Liebesbeziehungen anleiern, ist doch ein bisschen schwer zu verdauen.“

„Es mag dich interessieren, dass wir auf eine erstaunliche Erfolgsliste verweisen können“, meinte Seth. „Dreihundertundzwanzig perfekt füreinander ausgewählte Paare, die immer noch glücklich verheiratet sind.“

„Ich habe schon verstanden, Bruderherz. Wie wär’s damit: Ihr garantiert mir, den idealen Partner für meine Freundinnen zu finden, und ich bewahre Stillschweigen über euren Geheimbund. Kommen wir damit ins Geschäft?“

„Allerdings.“ Gleich darauf öffnete sich die Tür, und der Lichtkegel, in dem Tess gestanden hatte, verschwand. Sie sollte also gehen. Lediglich ein Gedanke veranlasste sie, auf dem Weg hinaus kurz stehen zu bleiben. Irgendwie wurde sie das Gefühl nicht los, womöglich einen verhängnisvollen Fehler begangen zu haben. Doch dann überquerte sie die Schwelle und zog die Tür hinter sich zu.

„Und?“, fragte Seth, sobald sie den Raum verlassen hatte.

Shadoe trat aus dem Schatten. „Wie viel weiß sie?“ Seine raue, tiefe Stimme passte hervorragend zu seiner überaus männlichen Erscheinung.

„Über unsere Pläne, sie unter die Haube zu bringen, meinst du? Nichts. Ihr heutiger Besuch war reiner Zufall und letztlich meine Schuld. Sie hat wohl tatsächlich eines meiner Telefonate mit angehört und beschlossen, unsere Organisation zu nutzen, um ihren Freundinnen zu helfen.“

„Aber sie weiß vom Aufreißer.“

„Eigentlich nicht. Bei dem Telefonat habe ich Shayde nicht mit Namen angesprochen, und wir haben auch nicht darüber geredet, dass er Tess einen Ehemann suchen soll.“

„Wie wird sie reagieren, wenn sie davon erfährt?“

„Es wird ihr nicht gefallen, ganz und gar nicht.“ Seth grinste. „Aber ich hoffe, bis dahin ist sie über beide Ohren verliebt.“

„Na, das hoffe ich auch!“, sagte Shadoe.

„Meine Schwester bekommt ihre Märchenhochzeit mit garantiertem Glück bis ans Lebensende, ob sie will oder nicht.“

„Gut, dann rufe ich jetzt meinen Bruder an und leite alles in die Wege. Und wenn wir deine Schwester erst einmal unter der Haube haben, kümmern wir uns um ihre Freundinnen.“

1. KAPITEL

Er kam, als es schon dunkel war, und brachte ihre weibliche Seite zum Schwingen. Aber Tess Lonigan blieb am Schreibtisch sitzen und bemühte sich, beim Anblick des großen, schwarzhaarigen Fremden vernünftig zu bleiben. Wie hatte Jeanne von der Zeitarbeit bloß davon ausgehen können, dass dieser Mann, den man nur als geheimnisvoll und gefährlich beschreiben konnte, für den Job geeignet wäre, den sie, Tess, für ihn vorgesehen hatte? Als sie bemerkte, dass sie kurz davor war, ihren Füllfederhalter zu zerbrechen, legte sie ihn behutsam auf die weiße Schreibunterlage und kam zu einem Entschluss: Der Unbekannte eignete sich wirklich nicht für ihr Vorhaben.

Da Tess unbedingt die unangenehme Stille beenden wollte, bedeutete sie dem Mann trotzdem, näherzukommen. Normalerweise wäre sie aufgestanden und hätte ihm die Hand geschüttelt. Aber instinktiv wusste sie, dass es ein Fehler wäre, genauso wie es einer gewesen war, dieses Bewerbungsgespräch nach Büroschluss zu vereinbaren. Alles wirkte intensiver, wenn es draußen dunkel war. Andererseits hätte sie den Mann tagsüber nicht herbitten können. Sie wollte nicht, dass jemand erfuhr, worum es bei dem Job ging, den sie zu vergeben hatte.

„Sie haben meine Dienste angefordert?“, fragte er jetzt.

Selbst seine Stimme war ungeeignet. Sie klang nicht glatt und poliert, sondern rau, so dass man ihm bei jedem Wort seine volle Aufmerksamkeit schenken musste. Die Stimme erinnerte Tess ein wenig an den Unbekannten vom Amorkomitee, nur dass die ihres Gegenübers noch tiefer war und wesentlich schroffer klang.

„Hat Sie die Zeitarbeitsfirma geschickt?“

„Ja, Jeanne höchstpersönlich hat mich ausgewählt. Ich bin der beste Kandidat für Ihre Zwecke, Mrs. Lonigan.“

„Da hat Jeanne wohl nicht allzu genau hingesehen“, sagte Tess und bemerkte ein belustigtes Funkeln in seinen ziemlich ungewöhnlichen Augen. Sie waren beinah silberfarben und wirkten so durchdringend, dass einem ganz anders wurde, wenn er einen ansah.

„Sie sollten erst einmal meine Qualifikationen überprüfen, bevor Sie eine Entscheidung fällen.“

„Ausgezeichneter Hinweis.“ Tess rang sich ein Lächeln ab. „Da allerdings eines der Entscheidungskriterien damit zu tun hat, wie gut wir miteinander auskommen, dürfte das nicht allzu lange dauern.“

Er ließ den Blick durchs Büro schweifen. Leider konnte er anhand der Ausstattung nicht auf den Charakter der Frau schließen. Der Raum war farblich und vom Mobiliar her so gehalten, dass sich ihre Kunden wohlfühlten. Gleiches galt für Tess Lonigans Erscheinung. Sie trug kaum Make-up und war sehr dezent gekleidet. Alles war dazu gedacht, die Frau zurückhaltend wirken zu lassen. Mit ihrer wahren Natur hatte das nichts zu tun.

„Ziehen Sie immer voreilige Schlüsse?“, fragte er nun, und Tess antwortete genauso direkt: „Nein.“

„Aber in meinem Fall liegen die Dinge anders, hm?“

„Nun, Sie sind auf jeden Fall nicht der Typ Mann, den ich heiraten würde.“

Wieder herrschte unangenehmes Schweigen. Dabei sah der Fremde Tess so forschend an, dass sie sich zusammenreißen musste, um den Blick nicht abzuwenden. „Vielleicht sollten wir uns erst einmal vorstellen“, schlug er dann vor. „Sie sind Tess Lonigan, richtig?“

Sie nickte.

„Ich bin Shayde und wegen eines Bewerbungsgesprächs hergekommen.“

„Shayde?“, fragte sie erstaunt. „Ist das Ihr Vor- oder Ihr Nachname?“

„Mein einziger Name.“

Merkwürdig, dachte Tess, aber irgendwie passte der Name zu ihm. „Shayde“, erinnerte an Schatten und Dunkelheit, und so sah der Mann auch aus. „Bitte nehmen Sie doch Platz, Mr. …“

„Einfach nur ‚Shayde‘“, unterbrach er sie freundlich.

„Ach ja, Shayde“, verbesserte sich Tess, „aber bitte nehmen Sie doch Platz.“ Während er sich setzte, ordnete sie nervös einige Unterlagen auf ihrem Schreibtisch. Von ihrem Gegenüber ging eine unheimlich männliche Ausstrahlung aus, die sie sofort wahrgenommen hatte. Das erste Mal seit langer Zeit fühlte sie sich wieder als Frau. Am liebsten hätte sie dem ursächlichsten aller Reize – der Anziehungskraft zwischen Mann und Frau – nachgegeben. Aber,, meldete sich ihre innere Stimme, vergiss nicht, was dabei auf dem Spiel steht! Und allein der Gedanke daran wirkte ungemein ernüchternd.

Nach etwa einer Minute, die Tess allerdings wie eine halbe Ewigkeit vorkam, sah sie von ihren Unterlagen auf und war jetzt auch bereit, dem Gleichmut in Shaydes Augen zu begegnen. „Was hat Jeanne Ihnen von diesem Job erzählt?“

„Dass Sie einen Begleiter bei Ihren Geschäftstreffen suchen würden.“

„Das stimmt, aber ich brauche niemanden, der mich beruflich unterstützt“, erklärte Tess.

„Umso besser“, sagte er mit einem geheimnisvollen Funkeln in den Augen. „Mit solchen Männern habe ich auch nichts gemein.“

„Was sind Sie denn dann für einer?“ Die Frage war ihr einfach so herausgerutscht und hatte nichts mit den Anforderungen zu tun, die Tess beruflich an ihren potenziellen Begleiter stellte. Aber als Frau musste sie einfach wissen, wie sie Shayde einzuordnen hatte. Doch als ihr Blick nun seinem begegnete, beeilte sie sich, die Frage umzuformulieren: „Ich meine, was haben Sie gelernt?“

„Dies und das, aber ich habe meinen Lebenslauf dabei, falls Sie das beruhigt. Daraus geht hervor, dass ich einen hervorragenden beruflichen Hintergrund besitze, der so differenziert ist, dass ich bei fast allen Themen mitreden kann. Und Jeanne hat meine Referenzen überprüft. Sie sind einwandfrei.“

„Sonst hätte Jeanne Sie auch nicht zu mir geschickt.“

„Daran sollten Sie denken, wenn Sie sich die anderen Bewerber ansehen.“ Lässig lehnte er sich im Stuhl zurück. Seine Bewegungen waren fließend und standen in krassem Gegensatz zum ersten Eindruck, den Tess von ihm gewonnen hatte. „Warum erzählen Sie mir nicht, was Sie bei dem Job von mir erwarten?“

Eigentlich hatte Tess erst ins Detail gehen wollen, wenn der richtige Kandidat vor ihr saß. Aber irgendwie zwang sie allein Shaydes Persönlichkeit zu einer Antwort. „Das Unternehmen, für das ich arbeite, heißt ‚Altruistics, Inc.‘ Haben Sie schon einmal davon gehört?“

„Ja, die Mitarbeiter der Firma sammeln Geld für verschiedene karitative Organisationen, nicht wahr?“

„Genau, Altruistics ist ein Privatunternehmen, dessen Angestellte in den vergangenen Jahren Spenden in Millionenhöhe zum Beispiel für die Krebsforschung, für Obdachlosenheime oder auch Entziehungsprogramme zusammengetragen haben. Nennen Sie mir einen guten Zweck, und ich besorge Ihnen Leute, die die Taschen voller Geld haben und gern etwas spenden wollen.“

„Hört sich eigentlich nach einem spannenden Job an. Warum habe ich das Gefühl, dass an der Sache ein Haken ist?“

Tess lächelte. „Vielleicht, weil es so ist. Sind Sie bereit?“

„Legen Sie los!“

„Ich soll befördert werden.“

Shayde dachte einen Augenblick nach und schlussfolgerte dann: „Aber der Beförderung unterliegt eine Bedingung.“

„Ja, ob ich einen neuen Posten bekomme, wird davon abhängig gemacht, wie erfolgreich ich in den kommenden zwei Wochen bin.“

„Und woran lässt sich Ihr Erfolg messen?“

Hm, Tess hatte irgendwie das Gefühl, Shayde würde sich nur mit der Wahrheit zufriedengeben. Jetzt war sie schon so weit gegangen, da konnte sie ihm auch alles sagen. „In unseren Karteien führen wir auch potenzielle Wohltäter, die bisher nur nicht geneigt waren, für unsere Zwecke zu spenden. Wir bezeichnen sie intern als die ‚Unwilligen‘.“

„Aber Sie geben nicht auf.“

„Genau.“

„Und jetzt haben Sie exakt zwei Wochen, um einen dieser Unwilligen doch noch zu einer Spende zu bewegen“, mutmaßte Shayde.

„Sie haben es erraten!“ Tess war von seiner Kombinationsgabe beeindruckt. „Demnächst organisieren wir eine große Benefizveranstaltung, deren Erlös der Krebsforschung zugutekommen soll. Am Galaabend wird mir mein Chef Al Portman – unser Vorstandsvorsitzender – einen ‚Unwilligen‘ zuweisen. Dummerweise muss ich außerdem noch mit drei anderen Problemen fertig werden.“

„Und die wären?“

„Ich bin nicht die Einzige, die das Zeug zu einer stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden hätte, und mit dreißig noch verhältnismäßig jung.“

„Das waren erst zwei Probleme. Sie haben aber von dreien gesprochen.“

Tess zögerte. „Ich … Ich bin nicht verheiratet, mein Mann ist vor neun Jahren gestorben.“

„Damit wären wir wohl beim Grund meines Hierseins angelangt.“

Tess glaubte fast, Mitleid in seinen Augen zu erkennen. Auf jeden Fall wirkte sein Blick jetzt nicht mehr so durchdringend. „Ja, ich brauche einen Begleiter, und zwar rechtzeitig zu der Benefizveranstaltung.“

„Fragt sich nur, warum?“ Aber die Frage beantwortete sich Shayde gleich selbst. „Als alleinstehende Frau ist es wahrscheinlich nicht so einfach, mit männlichen Spendern essen zu gehen oder sie zu Hause aufzusuchen, ohne dass einem gewisse Avancen gemacht werden.“

Sein Scharfsinn hatte etwas Beunruhigendes. „Nun, eigentlich kommt es nicht vor“, sagte Tess und dachte: Aber das kann sich bald ändern, je nachdem was für ein Mensch dieser Dick Smith ist.

„Und ich soll Ihnen jetzt als Ehemannersatz dienen?“

„Nun …“, Tess fuhr sich nervös durchs Haar, „deshalb sagte ich eingangs, dass Sie nicht der geeignete Kandidat seien. Einen Mann wie Sie würde ich niemals heiraten.“

„Sind Sie denn sicher, dass ich nicht Ihr Typ bin?“

Tess nickte und konnte für einen Moment sehen, was in ihm vorging. Mit ihrer letzten Bemerkung hatte sie ihn offensichtlich getroffen, wenn auch völlig unbeabsichtigt.

„Und warum würden Sie mich nicht heiraten?“

„Weil Sie absolut nichts mit meinem verstorbenen Mann gemein haben.“

„Dann war Ihre Ehe also glücklich?“

„Ja, aber viel zu kurz.“ Tess hatte Mühe, ihre Emotionen in Schach zu halten. Wenn dieser Shayde sie nur nicht die ganze Zeit so ansehen würde, als könnte er Gedanken lesen … „Aber letztlich ist es egal, was ich von dem Mann an meiner Seite halte. Er soll mich nur begleiten, damit die anderen denken, ich hätte jemanden.“

„Stellen Sie sich das nur nicht so leicht vor.“

Sie zuckte die Schultern. „So schwer wird es schon nicht sein, gemeinsam das eine oder andere Geschäftsessen hinter sich zu bringen.“

Er lächelte spöttisch. „Glauben Sie, gemeinsam am Tisch zu sitzen, reicht aus? Um den Eindruck eines glücklichen Paares zu vermitteln, muss man hin und wieder auch in der Öffentlichkeit intime Gesten tauschen.“

„O nein, Sie brauchen einfach nur anwesend zu sein“, sagte Tess und dachte sofort: Das hört sich ja fast so an, als wäre meine Entscheidung schon gefallen. Deshalb verbesserte sie sich rasch: „Ich meine, der Kandidat, den ich für diese Aufgabe auswähle, braucht nur anwesend zu sein.“

„Machen Sie sich doch nichts vor! Ganz besonders Frauen würden den Unterschied sofort bemerken.“ Er lachte leise, und bei seinem Timbre hatte Tess unwillkürlich den Eindruck, in ihrem Bauch würden Schmetterlinge fliegen. „Geht Ihnen das nicht auch so?“ Wieder sah er sie durchdringend an. „Können Sie nicht auch auf Anhieb sagen, ob zum Beispiel zwei Kollegen etwas miteinander haben?“

Darauf ging Tess nicht ein, sondern beharrte: „Ich glaube nicht, dass es so schwierig sein wird, als Paar durchzugehen. Schließlich wären wir nur zwei, drei Stunden mit denselben Leuten zusammen. Solange es mir gelingt, einen freundlichen Umgang mit dem Mann zu pflegen, den ich für den Job anstelle, nehmen uns die anderen unsere Beziehung ab.“

„Einen freundlichen Umgang? Was das betrifft, halten Sie mich wohl nicht für geeignet?“

„Nein“, sagte Tess nur, spürte aber, dass ihn die Sache amüsierte, „Sie würden meine Anforderungen nicht erfüllen.“

„Warum sagen Sie mir nicht, was Sie von Ihrem potenziellen Begleiter erwarten?“

„Würde das etwas ändern?“

„Ich bin vielseitig.“

Der Mann würde sich niemals für ihre Zwecke eignen. Wusste er überhaupt, wie er auf andere Menschen wirkte? Seine raue Stimme entsprach seinen rauen Umgangsformen. Aber sie brauchte jemand, der einfühlsam war und auf Frauen aller Altersgruppen einen sympathischen Eindruck machte, während er gleichzeitig einen Puffer zwischen ihr und gewissen männlichen Kunden bildete, ohne sie abzuschrecken. Doch wie sagte sie diesem Shayde, dass sie sich kein zweites Mal mit ihm treffen würde?

Schließlich versuchte es Tess mit einer Notlüge. „Ich bin sicher, dass Sie ganz besonders vielseitig sind, aber …“

„Lassen wir doch das Drumherumgerede, Mrs. Lonigan“, fiel er ihr ins Wort. „Ihnen schwebt ein ganz bestimmter Typ Mann vor, und Sie haben einen ganz bestimmten Grund dafür, den Sie wahrscheinlich für sich behalten wollen.“

Tess konnte nicht glauben, wie genau er die Sache auf den Punkt gebracht hatte, und fragte verwundert: „Wie haben Sie denn das erraten?“

„Eine meiner besonders nützlichen Eigenschaften ist es, Menschen durchschauen zu können.“ Wieder blickte er sie ganz direkt an. „Soll ich Ihnen sagen, was ich dabei noch über Sie herausgefunden habe?“

„Ich könnte gut darauf verzichten.“ Das war wahrscheinlich ihre bisher ehrlichste Antwort, und Shayde quittierte sie mit einem wissenden Lächeln, woraufhin Tess fortfuhr: „Obwohl ich nicht glaube, dass Sie das aufhalten wird.“

„Stimmt.“

Tess lehnte sich zurück und schlug die Beine übereinander, um sich den Anschein von Gelassenheit zu geben. „Bitte, schießen Sie los!“

Noch einmal ließ er den Blick über sie schweifen, wobei es Tess größte Mühe kostete, sich nicht verlegen eine rotblonde Strähne aus dem Gesicht zu streichen.

„Die Leute halten Sie für locker.“

„Weil ich es bin.“

Er schüttelte den Kopf. „Nein, kein bisschen. Sie tragen das Haar offen, damit man nicht merkt, wie sehr es Ihnen darauf ankommt, alles unter Kontrolle zu haben, auch was Sie selbst angeht.“

„Das nennt man Selbstbeherrschung, nicht Kontrolle.“

„Nein, Sie wollen eine Situation genauso beherrschen wie ich. Sie sind eine schöne Frau, wirklich sehr schön. Aber Sie sind bemüht, nicht allzu viel Aufmerksamkeit auf Ihre Schönheit zu lenken, weil es Ihre Kollegen und Mitarbeiter einschüchtern könnte, besonders die männlichen.“

„Ich schüchtere niemanden ein.“

„Doch, weil Sie sich so zurückhalten. Außerdem sind Sie unheimlich intelligent und fähig, das mögen andere nicht. Deshalb lassen Sie es Ihrem Gegenüber auch nur spüren, wenn Sie die betreffende Person auf Abstand halten wollen.“

„Da liegen Sie aber total falsch.“

Als hätte er sie überhaupt nicht gehört, fuhr er fort: „Sie kleiden sich mit lässiger Eleganz.“

„Ich kann es kaum erwarten, den Grund dafür zu erfahren“, sagte Tess spöttisch, und Shayde erklärte lächelnd: „Lässigkeit und Eleganz entsprechen Ihrer Natur.“

Eine leichte Röte überzog Tess’ Wangen, und sie verwünschte ihre Schneewittchenblässe. „Hätten wir’s dann? Sind Sie fertig?“

„Ganz und gar nicht. Bisher bin ich nur auf Äußerlichkeiten eingegangen.“ Er machte eine Pause, und Tess’ Anspannung wuchs. Die Dunkelheit schien sich ihrer zu bemächtigen und noch bedrohlicher zu werden. „Mrs. Lonigan“, Shayde sprach ganz leise, als er fortfuhr, „Sie sind eine Geheimniskrämerin.“

Erschrocken zuckte sie zusammen. „Wie bitte?“ Das konnte er doch gar nicht wissen. „Wovon sprechen Sie überhaupt?“

„Hier …“ Mit einer Handbewegung wies er auf ihr Büro. „… Sie haben sich in hellen – langweiligen – Farben eingerichtet, die dazu gedacht sind, beruhigend zu wirken. Ich wette, bei Ihnen zu Hause sieht es ganz anders aus.“

„So, meinen Sie?“ Tess entspannte sich ein wenig.

„Ich schätze mal, der Raum, in den Sie sich zurückziehen – Ihr Allerheiligstes, wenn Sie so wollen –, ist schreiend bunt.“

Sie weigerte sich, ihm das einzugestehen, und zuckte die Schultern. „Sind Sie fertig?“

„Keineswegs, mit Ausnahme einiger Ihnen sehr nahe stehenden Freunde lassen Sie niemanden an sich heran.“

Jetzt hatte er die Schwelle eindeutig überschritten. Das ging ihn nichts an, und Tess rief empört: „Es reicht!“

Offensichtlich war er da ganz anderer Meinung und fuhr fort: „Sie sind einmal sehr verletzt worden und wollen das nie wieder durchmachen müssen. Deshalb brauchen Sie auch jemanden, der nach außen hin als Ihr Liebhaber fungiert. Einen Angestellten kann man auf Distanz halten. Ein Angestellter ist unverfänglich.“

Sie wollte nichts mehr davon hören. Aber wie brachte sie ihn dazu, den Mund zu halten? Abgesehen davon, ihn eigenhändig aus dem Büro zu werfen, fiel ihr im Moment keine andere Möglichkeit ein, ihn loszuwerden. Und während Tess weiter darüber nachdachte, umklammerte sie wieder den Füllfederhalter.

„Mir scheint, manche Angestellte sind unverfänglicher als andere“, erklärte sie schließlich, bevor sie hinzufügte: „Dabei fällt mir ein, Sie sind ja gar nicht mein Angestellter, und unter diesen Umständen werden Sie es auch nicht werden.“

Er ignorierte den warnenden Unterton. „Sie behaupten doch bloß, ich würde mich nicht für den Job eignen, weil ich nicht wie Ihr Mann bin. Aber damit belügen Sie sich nur selbst. Eigentlich wollen Sie einen Liebhaber, der sich völlig von ihm unterscheidet.“

Der Füllfederhalter entglitt ihren Händen, fiel mit der Spitze auf die Schreibunterlage und hinterließ darauf dicke schwarze Tintentropfen. Entsetzt sprang Tess auf, um nicht auch noch etwas abzubekommen. Mit einigen wenigen unverschämten Behauptungen war es diesem Shayde gelungen, sie völlig aus der Fassung zu bringen. Das war ihr noch nie passiert. Während sie seinem Blick auswich, rollte sie vorsichtig die tintenverspritzten Blätter zusammen und warf sie in den Papierkorb. Als sie damit fertig war, hatte sie sich auch wieder einigermaßen in der Gewalt und wandte sich nun ein wenig gelassener an Shayde. „Ich möchte, dass Sie auf der Stelle mein Büro verlassen.“

Doch der Mann bewegte sich keinen Millimeter. „Es würde nicht funktionieren, jemanden einzustellen, der wie Ihr verstorbener Mann ist, und ich sage Ihnen auch, warum. Sie hätten Angst, sich in ihn zu verlieben und dann noch einmal das Gleiche durchmachen zu müssen, wenn er sie verlassen sollte.“

Wütend stand Tess auf und stützte die Hände auf die Schreibtischplatte. „In Ihrem Zusammenhang dürfte dieses Problem ja wohl kaum auftreten, weil Sie nichts mit Robert gemeinsam haben.“

Autor

Day Leclaire
Day Leclaire lebt auf der Insel Hatteras Island vor der Küste North Carolinas. Zwar toben alljährlich heftige Stürme über die Insel, sodass für Stunden die Stromzufuhr unterbrochen ist, aber das ansonsten sehr milde Klima, der Fischreichtum und der wundervolle Seeblick entschädigen sie dafür mehr als genug.
Day interessiert sich seit frühster...
Mehr erfahren