Ein Weihnachtsmann fürs ganze Jahr

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SCHICKSALSTAGE - LIEBESNÄCHTE
Ashley ist hübsch, liebenswert und erfolgreich mit ihrer gemütlichen Pension - aber noch Single. Und gar nicht glücklich darüber. Besonders in der besinnlichen Weihnachtszeit träumt sie davon, romantische Stunden mit dem Mann ihres Lebens zu verbringen. Aber Jack McCall, den sie lange dafür hielt, hat sie vor sechs Monaten verlassen. So wird ihr Traum wohl unerfüllt bleiben - oder nicht? Denn überraschend sieht sie Jack wieder. Alles könnte gut werden - würde der mutige Security-Mann nicht an einem rätselhaften Fieber leiden, das ihn schon bald das Leben kosten könnte …

EIN VERWEGENES SPIEL IN WEIß
Ist das sein Ernst? Einen so verwegenen Kunden wie Gideon Falcon hatte Denise in ihrer Jobagentur noch nie. Der aufregend attraktive Manager will sie zu Weihnachten als Ehefrau buchen. Und zwar so lange, bis er den Vertrag für ein Berghotel in Nevada in der Tasche hat! Erst will Denise ablehnen. Nur weil der Auftrag unwiderstehlich lukrativ ist, sagt sie Ja - und geht das wohl größte Wagnis ihres Lebens ein. Denn sie ahnt nicht, dass sich das Hotel als kuschelig verschneites Idyll entpuppt, in dem sie mit Gideon das glückliche Paar mimen muss - zärtliche Küsse inklusive …

ICH WÜNSCHE MIR 'NEN (WEIHNACHTS-) MANN
Weihnachten naht mit Riesenschritten, doch auf Jesses Ranch geht es alles andere als besinnlich zu: Neben ihren beiden lebhaften Töchtern halten sie auch die neugeborenen Fohlen ganz schön auf Trab. Mitten im größten Chaos bietet ihr ein attraktiver Fremder namens Gage seine Hilfe an. Jesses Leben wird durch seine tatkräftige Unterstützung plötzlich ganz anders: einfacher - und sehr viel glücklicher! Trotzdem gibt sich die hübsche Jesse aus Vorsicht abweisend, denn sie wird das Gefühl nicht los, dass Gage ein dunkles Geheimnis in sich trägt …


  • Erscheinungstag 02.12.2015
  • ISBN / Artikelnummer 9783733773120
  • Seitenanzahl 432
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Linda Lael Miller, Susan Crosby, Laura Marie Altom

Ein Weihnachtsmann fürs ganze Jahr

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IMPRESSUM

BIANCA erscheint 14-täglich in der Harlequin Enterprises GmbH

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Geschäftsführung:

Thomas Beckmann

Redaktionsleitung:

Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)

Cheflektorat:

Ilse Bröhl

Lektorat/Textredaktion:

Veronika Matousek

Produktion:

Christel Borges, Bettina Schult

Grafik:

Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn,
Marina Grothues (Foto)

Vertrieb:

Axel Springer Vertriebsservice GmbH, Süderstraße 77, 20097 Hamburg, Telefon 040/347-29277

Anzeigen:

Christian Durbahn

Es gilt die aktuelle Anzeigenpreisliste.

 

© 2009 by Linda Lael Miller

Originaltitel: „At Home in Stone Creek“

erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto

in der Reihe: SPECIAL EDITION

Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe: BIANCA

Band 1812 (26/1) 2011 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg

Übersetzung: Tatjána Lénárt-Seidnitzer

Fotos: Frank Wartenberg / PICTURE PRESS

Veröffentlicht als eBook in 12/2011 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

ISBN: 978-3-86349-033-1

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

BIANCA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Führung in Lesezirkeln nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte übernimmt der Verlag keine Haftung. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Satz und Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

Printed in Germany

Der Verkaufspreis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:

BACCARA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, HISTORICAL MYLADY, MYSTERY,

TIFFANY HOT & SEXY, TIFFANY SEXY

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Linda Lael Miller

Schicksalstage – Liebesnächte

1. KAPITEL

Ashley O’Ballivan ließ die letzte Lichterkette in den Karton mit dem Weihnachtsschmuck fallen. Sie musste sich zurückhalten, um ihn nicht mit einem kräftigen Tritt in die Ecke der Dachkammer zu befördern, anstatt ihn ordentlich auf die anderen Kisten und Kartons zu stapeln.

Für sie waren die Feiertage alles andere als fröhlich verlaufen – im Gegensatz zu ihrem Bruder Brad und ihrer Schwester Olivia, die beide glücklich verheiratet waren. Sogar ihre arbeitssüchtige Zwillingsschwester Melissa hatte den Silvesterabend mit einem Date verbracht.

Ashley dagegen hatte ganz allein vor ihrem tragbaren Fernseher gesessen und um Mitternacht den Countdown am Times Square verfolgt.

Wie lahm ist das denn?

Es war nicht nur lahm, sondern geradezu jämmerlich. Sie war noch nicht einmal dreißig und schon auf dem besten Weg, alt zu werden.

Mit einem Seufzen wandte sie sich von ihrem weihnachtlichen Sammelsurium ab – sie ging in ihrem Mountain View Bed and Breakfast bei jedem Feiertag aufs Ganze, was die Dekoration anging.

Als sie die Dachbodenleiter hinunterstieg, ertönte vor der Garage eine vertraute Hupe, die zweifellos zu Olivias uraltem Geländewagen gehörte.

Mit gemischten Gefühlen verstaute Ashley die steile Leiter in der Dachluke. Sie liebte ihre ältere Schwester, doch seit dem Begräbnis ihrer Mutter vor einigen Monaten war ihre Beziehung angespannt.

Weder Brad noch Olivia oder Melissa hatten auch nur eine einzige Träne um Delia O’Ballivan vergossen – nicht beim Gottesdienst in der Kirche, nicht während der anschließenden Zeremonie auf dem Friedhof. Okay, Delia hatte nicht dem Idealbild einer mustergültigen Mutter entsprochen, sondern die Familie vor langer Zeit verlassen und sich allmählich selbst zerstört – durch eine ganze Serie falscher Entscheidungen.

Trotzdem hat sie uns zur Welt gebracht. Zählt das denn gar nicht?

Ein Klopfen erklang an der Hintertür; Olivias rundliches Gesicht war durch die Glasscheibe zu sehen.

„Es ist offen!“

Mit strahlender Miene stieß sie die Tür auf und trat schwerfällig ein. Die Geburt ihres ersten gemeinsamen Kindes mit Tanner Quinn, ihrem Ehemann und ihrer großen Liebe, stand unmittelbar bevor. Ihren Ausmaßen nach zu urteilen, bekam sie Vierlinge oder einen Sumo-Ringer.

„Du weißt doch, dass du nicht anklopfen musst“, bemerkte Ashley distanziert.

Olivia öffnete den alten Mantel ihres Großvaters Big John, der ihr momentan perfekt passte, und enthüllte ein weißes Kätzchen mit einem blauen und einem grünen Auge. Sie bückte sich unbeholfen und setzte das Kätzchen auf den makellos sauberen Küchenfußboden, wo es mitleiderregend miaute und sich dann auf der Jagd nach seinem buschigen Schwanz blitzschnell um die eigene Achse drehte.

„Oh nein!“

„Das ist Mrs Wiggins“, erklärte Olivia, ihres Zeichens Tierärztin – und zwar die beste in Stone Creek. Jedes streunende Tier im Land, ob nun Hund, Katze oder Vogel, schien irgendwann zu ihr zu finden. Zu Weihnachten im Vorjahr hatte sich ein Rentier namens Rodney vertrauensvoll an sie geschmiegt.

Olivias kobaltblaue Augen funkelten unter den dunklen glatten Ponyfransen, doch einen skeptischen Ausdruck konnte sie nicht verbergen. Offenbar bekümmerte und beschämte auch sie das schwierige schwesterliche Verhältnis. Sie hatten sich schließlich immer sehr nahegestanden.

Ashley ging zur Spüle und setzte Wasser auf. Manche Dinge ändern sich nie. Sie tranken immer Tee zusammen, wenn sie sich trafen, was in letzter Zeit immer seltener vorkam. Kein Wunder. Schließlich hat sie ein erfülltes Privatleben. „Ich nehme an, sie hat dir bereits ihre Lebensgeschichte erzählt“, sagte Ashley spitz und deutete mit dem Kopf zu der Katze.

Olivia schmunzelte vage und kämpfte sich aus dem alten Mantel, an dem wie immer einige Strohhalme hingen. Obwohl sie und Tanner gut situiert waren, kleidete sie sich nach wie vor wie eine Landtierärztin. „Da gibt es nicht viel zu erzählen.“ Sie zuckte gelassen die Schultern, als wäre telepathischer Gedankenaustausch mit allen schuppigen, gefiederten und pelzigen Kreaturen etwas ganz Gewöhnliches. „Sie ist erst vierzehn Wochen alt und hat noch nicht sehr viel erlebt.“

„Ich will keine Katze“, teilte Ashley ihr unumwunden mit.

Olivia sank auf einen Stuhl am Tisch. Sie trug wie gewöhnlich Gummistiefel, die nicht besonders sauber aussahen. „Du glaubst nur, dass du Mrs Wiggins nicht willst. Sie braucht dich, und ob es dir bewusst ist oder nicht, du brauchst sie.“

Ashley drehte sich zum Wasserkessel um und versuchte, das niedliche Fellknäuel zu ignorieren, das mitten in der Küche seinem Schwanz nachjagte. Sie war verärgert, aber auch beunruhigt. „Solltest du überhaupt noch unterwegs sein? Du bist hochschwanger!“

„Bei Schwangerschaft geht es nicht um das Gewicht. Entweder man ist es oder nicht.“

„Du bist jedenfalls blass“, stellte Ashley besorgt fest. Sie hatte schon zu viele geliebte Menschen verloren – beide Eltern und ihren Großvater Big John. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, dass einem ihrer Geschwister etwas zustoßen könnte, egal welche Differenzen gerade zwischen ihnen bestehen mochten.

„Gieß einfach den Tee auf. Mir geht es blendend.“

Obwohl sie nicht die Gabe ihrer Schwester besaß, mit Tieren zu sprechen, war sie intuitiv veranlagt. Nun verriet ihr ein Prickeln, dass etwas Unerwartetes geschehen würde. Sie nahm am Tisch Platz und fragte argwöhnisch: „Stimmt etwas nicht?“

„Komisch, dass du das fragst.“ Obwohl ein kleines Lächeln um Olivias Lippen spielte, wirkten ihre Augen ernst. „Ich bin gekommen, um dich dasselbe zu fragen. Obwohl ich die Antwort ja bereits kenne.“

Sosehr Ashley die Unstimmigkeiten hasste, die zwischen ihr und ihren Geschwistern herrschten, neigte sie dazu, das Thema zu meiden. Sie sprang vom Stuhl auf, ging zu der antiken Anrichte und holte zwei zarte Porzellantassen aus dem Glasschrank.

„Ash?“

„Ich bin in letzter Zeit nur ein bisschen traurig. Das ist alles.“ Weil ich meine Mutter nie kennenlernen werde. Weil Weihnachten ein Desaster war.

Die Festtage hatten sich als Flop erwiesen. Schon seit Thanksgiving war kein einziger Gast in ihrem viktorianischen Bed and Breakfast abgestiegen. Dadurch war sie zwei Raten im Rückstand mit den Zahlungen an Brad, der ihr vor einigen Jahren ein Privatdarlehen für den Kauf der Frühstückspension gewährt hatte. Nicht, dass er wegen der Rückzahlung Druck auf sie ausübte. Er hatte ihr das Geld bedingungslos überlassen, aber sie bestand darauf, ihm jeden Cent zurückzuzahlen.

Darüber hinaus hatte sie seit sechs Monaten kein Wort von Jack McCall gehört. In einer schwülen Sommernacht hatte er seine Sachen gepackt und war sang- und klanglos verschwunden, während sie den letzten Liebesrausch ausgeschlafen hatte. Hätte er sie nicht wecken und ihr den Grund für den plötzlichen Aufbruch erklären können? Oder wenigstens eine Nachricht hinterlassen? Oder vielleicht mal zum Telefon greifen und ein Lebenszeichen geben?

„Es ist wegen Mom“, vermutete Olivia. „Du trauerst um die Frau, die sie nie war, und das ist okay. Aber es könnte dir helfen, mit uns über deine Gefühle zu reden.“

Ashley wirbelte so aufgebracht auf dem Absatz ihrer Sportschuhe herum, dass die Gummisohlen auf dem frisch gebohnerten Fußboden quietschten. Dann fiel ihr ein, dass Aufregungen bei Hochschwangeren vermieden werden sollten, und sie schluckte ihre Wut und Verzweiflung hinunter. „Lass uns nicht wieder davon anfangen.“

Das Kätzchen krabbelte an ihrer Jeans hinauf. Spontan bückte sie sich und hob es hoch. Mit zuckenden Öhrchen, die sie am Kinn kitzelten, kuschelte es sich in ihre Halsbeuge und schnurrte wie von Batterien angetrieben.

„Du bist ziemlich sauer auf uns, oder? Ich meine, auf Brad, Melissa und mich.“

„Nein“, behauptete Ashley nachdrücklich. Eigentlich wollte sie das Kätzchen absetzen, doch sie brachte es nicht über sich. Irgendwie schaffte es das federleichte Wesen, dass sie sich auf einmal geborgen fühlte.

„Komm schon, sei ehrlich!“ Olivia lächelte ein wenig wehmütig. „Wenn ich nicht im neunten Monat wäre, würdest du mir an die Kehle springen.“

Ashley zögerte, denn sie wollte nicht in Selbstmitleid verfallen. Mit dem Kätzchen auf der Schulter setzte sie sich wieder auf den Stuhl. „Ach, es ist nur, dass einfach gar nichts klappt. Das Geschäft. Jack. Der verdammte Computer, den du mir aufgeschwatzt hast.“

„Das ist aber nicht alles. Mach mir nichts vor. Du weißt doch, dass ich sonst keine Ruhe gebe.“

Der Kessel dampfte und stieß ein schrilles Pfeifen aus. Mrs Wiggins erschrak und sprang mit einem kläglichen Miauen zu Boden.

Olivia stand auf und nahm den Kessel vom Herd. „Bleib sitzen. Ich mache den Tee.“

„Das lässt du schön bleiben.“

„Ich bin bloß schwanger, nicht behindert. Also, sprich mit mir.“

Ashley seufzte. „Es muss furchtbar sein, so zu sterben wie Mom.“

„Delia war nicht bei Verstand. Sie hat nicht gelitten.“

„Sie ist gestorben, und niemand hat sich darum geschert.“

Olivia trat zu Ashley und legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Du warst noch sehr klein, als sie weggegangen ist. Du kannst dich nicht erinnern, wie sie war.“

„Ich erinnere mich, dass ich jeden Abend gebetet habe, dass sie wiederkommt.“

„Wir wollten alle, dass sie nach Hause kommt. Zumindest am Anfang. Aber die Wahrheit ist nun mal, dass sie es nicht getan hat. Nicht mal, als Dad bei dem Gewitter gestorben ist. Nach einer Weile sind wir sehr gut ohne sie zurechtgekommen.“

Du vielleicht. Ich nicht. Jetzt ist sie für immer fort. Ich werde nie erfahren, wie sie wirklich war.“

„Sie war …“

„Sag es nicht!“

Die unsichtbare Mauer baute sich erneut zwischen ihnen auf und änderte schlagartig die Atmosphäre.

Olivia wich zurück. „Sie hat getrunken. Sie hat Drogen genommen. Sie war nie bei klarem Verstand. Wenn du dich anders an sie erinnern willst, ist es dein Recht. Aber erwarte nicht von mir, dass ich die Geschichte umschreibe.“

Mit einem Handrücken wischte Ashley sich Tränen von den Wangen. „In Ordnung“, sagte sie steif.

„Es bedrückt mich, dass wir uns nicht mehr so gut verstehen wie früher. Es ist, als würden wir auf verschiedenen Seiten einer tiefen Kluft stehen.“ Olivia hantierte einen Moment am Schrank und kehrte mit einer dampfenden Kanne Tee und zwei Tassen zurück. „Brad und Melissa belastet es auch. Wir sind schließlich eine Familie. Können wir uns nicht einfach darauf einigen, dass wir verschiedener Meinung sind, was Mom angeht?“

„Ich werde es versuchen.“

„Warum hast du mir nicht gesagt, dass du Probleme mit dem Computer hast?“

Ashley war unendlich dankbar für den Themenwechsel, auch wenn sie sich gleichzeitig ärgerte. Sie verabscheute diesen neumodischen Apparat genau wie alles andere, was mit Elektronik zusammenhing. Das Ding wollte einfach nicht funktionieren, obwohl sie das Handbuch Wort für Wort befolgt hatte. Sie war ein altmodischer Typ und in mancherlei Hinsicht so viktorianisch wie ihr Haus. Sie besaß nicht einmal ein Handy, sondern nur ein Festnetztelefon.

„Carly und Sophie sind Computerfreaks. Sie richten dir liebend gern eine Website ein und zeigen dir, wie du im Internet surfen kannst.“

Brad und seine Frau Meg, geborene McKettrick, hatten gleich nach ihrer Hochzeit Megs Halbschwester Carly adoptiert, die ihren dreijährigen Stiefbruder Mac vergötterte und sich auf Anhieb mit Sophie, Tanners vierzehnjähriger Tochter aus erster Ehe, angefreundet hatte.

„Das wäre nett. Aber du weißt ja, dass ich mit technischen Geräten auf Kriegsfuß stehe.“

„Ich weiß auch, dass du nicht dumm bist.“ Olivia schenkte Tee für beide ein.

Das Kätzchen hüpfte Ashley unverhofft auf den Schoß, erschreckte sie und brachte sie zum Lachen. Wie lange war es her, seit sie das letzte Mal richtig gelacht hatte? Auf jeden Fall zu lange, nach Olivias Gesichtsausdruck zu urteilen.

„Geht es dir wirklich gut?“

„Mir geht es blendend. Ich bin mit dem Mann meiner Träume verheiratet. Ich habe in Sophie eine reizende Stieftochter, einen Stall voller Pferde und eine gut gehende Tierarztpraxis.“ Sie runzelte die Stirn. „Da wir gerade von Männern reden …“

„Lieber nicht.“

„Hast du immer noch nichts von Jack gehört?“

„Nein. Und das kann mir nur recht sein.“

„Das nehme ich dir nicht ab. Ich könnte Tanner bitten, ihn anzurufen und …“

„Nein!“

„Schon gut. Du hast recht. Das wäre hinterlistig, und Tanner würde bestimmt nicht mitspielen.“

Ashley streichelte das Kätzchen, obwohl sie eigentlich nicht vorhatte, es ins Herz zu schließen. „Jack und ich hatten eine Affäre. Sie ist offensichtlich vorüber. Ende der Geschichte.“

„Vielleicht brauchst du Urlaub. Und einen neuen Mann in deinem Leben. Du könntest so eine Kreuzfahrt für Singles machen.“

„Oh, wie verlockend! Ich würde Männer kennenlernen, die doppelt so alt sind wie ich, dicke Goldketten und schlechte Toupets tragen. Oder Schlimmeres.“

„Was könnte denn noch schlimmer sein?“

„Kunsthaar aus der Spraydose.“

Olivia lachte.

„Außerdem will ich hier sein, wenn dein Baby kommt.“

„Aber du solltest mehr ausgehen.“

„Wohin denn? Zum Bingo im Gemeindesaal? Oder soll ich mich der Bowling-Seniorenmannschaft anschließen? Falls es dir noch nicht aufgefallen sein sollte: In Stone Creek geht nicht gerade die Post ab.“

„Da hast du allerdings recht.“ Olivia seufzte resigniert und sah auf die Uhr. „Ich treffe mich in zwanzig Minuten mit Tanner in der Klinik. Keine Panik, es ist nur eine Vorsorgeuntersuchung. Wollen wir beide danach zusammen essen?“

„Ich kann leider nicht. Ich muss einige Besorgungen erledigen.“ Das Kätzchen kletterte an Ashleys Hemd hinauf und kuschelte sich wieder in ihre Halsbeuge. „Du willst dieses Tier doch nicht wirklich bei mir abladen, oder?“

Lächelnd stand Olivia auf und trug ihre Tasse zur Spüle. „Gib Mrs Wiggins eine Chance. Wenn sie heute in einer Woche dein Herz noch nicht erobert hat, suche ich ihr ein anderes Zuhause.“ Sie nahm Big Johns schäbigen Mantel von der Hakenleiste neben der Hintertür, schlüpfte hinein und nahm ihre Tasche vom Küchenschrank. „Soll ich Sophie und Carly bitten, nach der Schule vorbeizukommen und nach deinem Computer zu sehen?“

„Warum nicht?“

„Abgemacht“, sagte Olivia, und damit verschwand sie zur Tür hinaus.

Ashley hielt sich das Kätzchen vor das Gesicht. „Du bleibst nicht hier.“

„Miau“, antwortete Mrs Wiggins kläglich.

„Na gut. Aber wenn ich auch nur einen einzigen Ziehfaden in meinen neuen Seidenbezügen entdecke …“

Der Helikopter neigte sich schwindelerregend zur Seite. Von einem Fieberschub geschüttelt, klammerte Jack McCall sich möglichst unauffällig an die Sitzkante.

Vince Griffin merkte es dennoch und verkündete: „Du gehörst ins Krankenhaus, nicht in irgendeine Pension am Ende der Welt.“

Seine Stimme klang blechern durch die Kopfhörer. Er war für Jack mehr als nur ein Pilot, der seit vielen Jahren in Jacks Security-Firma angestellt war. Er war vor allem ein guter Freund.

Jack hatte keine Ahnung, was ihm eigentlich fehlte. Er wusste nur, dass es nicht ansteckend war. Die Seuchenschutzbehörde hatte ihn lange genug in Quarantäne gesteckt, um das eindeutig abzuklären. Doch es lag immer noch keine genaue Diagnose vor, und somit gab es kein Heilmittel außer viel Ruhe. „Ich mag keine Krankenhäuser. Da sind so viele kranke Leute.“

Vince grinste. „Was zieht dich denn ausgerechnet nach Stone Creek in Arizona? Da gibt’s doch so ziemlich gar nichts.“

Ashley O’Ballivan ist in Stone Creek, und sie ist etwas ganz Besonderes. Doch Jack hatte weder genug Kraft noch Lust, das zu erklären. Nachdem er sie vor sechs Monaten wegen eines Notrufs Hals über Kopf verlassen hatte, erwartete er nicht, willkommen zu sein. Aber wie er sie kannte, war sie so großzügig, ihn trotz allem aufzunehmen.

Ich muss unbedingt zu ihr. Dann wird alles wieder gut. Mit diesem Gedanken im Kopf schloss er die Augen und ließ sich vom nächsten Fieberschub übermannen.

Er wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als er durch einen heftigen Ruck wieder zu sich kam und feststellte, dass der Hubschrauber gelandet war. Verschwommen sah er einen Krankenwagen auf dem Rollfeld stehen. Anscheinend war die Dämmerung hereingebrochen, aber er war sich nicht sicher. Seit das Gift in seinem Körper wütete, konnte er seinen Wahrnehmungen nicht mehr trauen.

Tage wurden Nächte. Oben war plötzlich unten.

Laut Diagnose der Ärzte war ein Gehirntumor ausgeschlossen. Jack hatte trotzdem das Gefühl, dass irgendetwas sein Gehirn auffraß.

„So, da wären wir“, sagte Vince.

„Ist es dunkel, oder werde ich blind?“

„Es ist dunkel.“

„Gott sei Dank.“ Jacks Kleidung – wie üblich schwarze Jeans und schwarzer Rollkragenpullover – fühlte sich feucht auf seiner Haut an. Er begann, mit den Zähnen zu klappern.

Zwei Männer luden eine Trage aus dem Krankenwagen und warteten unschlüssig darauf, dass der Rotor zum Stillstand kam, damit sie sich dem Hubschrauber nähern konnten.

Vince öffnete seinen Sicherheitsgurt. „Na toll! Die beiden Gestalten sehen aus wie Zivis, nicht wie echte Rettungssanitäter. Die Seuchenschutzbehörde hatte dich aus gutem Grund im Walter Reed untergebracht. Kannst du mir sagen, warum das nicht gut genug für dich war?“

Es gab nichts gegen das berühmte Militärkrankenhaus einzuwenden, aber er stand nicht im Dienst der US-Regierung, zumindest nicht offiziell. Es ging ihm einfach gegen den Strich, ein Bett zu belegen, das womöglich für einen verwundeten Soldaten gebraucht wurde, und in einem gewöhnlichen Spital hätte er eine allzu leichte Beute für seinen Widersacher abgegeben.

Vince begrub die Hoffnung, eine Antwort zu bekommen. Kopfschüttelnd öffnete er die Tür und sprang zu Boden.

Jack nahm den Kopfhörer ab und fragte sich, ob er aus eigener Kraft stehen konnte. Nachdem er eine Weile erfolglos mit der Schnalle des Sicherheitsgurts hantiert hatte, entschied er, es lieber nicht darauf ankommen zu lassen.

Im nächsten Moment wurde die Tür auf seiner Seite aufgerissen. Sein alter Freund Tanner Quinn erschien und öffnete den Gurt. „Du siehst aus wie eine wandelnde Leiche“, bemerkte er in munterem Ton, doch seine Augen blieben ernst.

„Seit wann bist du denn Sanitäter?“

Tanner stützte ihn mit der Schulter und half ihm aus dem Hubschrauber. „In einem Nest wie Stone Creek muss jeder mit anpacken.“

„Ach so.“

Vince sah, dass Jacks Knie nachgaben, lief zu ihm und stützte ihn auf der anderen Seite. „Gibt es in diesem Kuhdorf überhaupt ein Krankenhaus?“, fragte er gereizt.

„In Indian Rock gibt es eine gute kleine Klinik, und zum Bezirkskrankenhaus in Flagstaff ist es auch nicht weit“, erwiderte Tanner gelassen. „Du bist in guten Händen, Jack. Meine Frau ist die beste Tierärztin im Staat.“

Vince murrte einen Fluch vor sich hin.

Jack grinste und stolperte zwischen den beiden Männern herum, die ihn zu der Trage bugsierten. Er wurde von dem zweiten Sanitäter festgeschnallt, was einige böse Erinnerungen heraufbeschwor, und mit vereinten Kräften in den Krankenwagen gehievt. „Ich bin übrigens nicht ansteckend“, erklärte er, als Tanner zu ihm ins Heck stieg und sich auf einen Klappsitz neben der Trage hockte.

„Das habe ich schon gehört. Hast du Schmerzen?“

„Nein. Aber womöglich kotze ich dir auf die schicken Cowboystiefel.“

„Du merkst ja auch alles. Alle Achtung, in deinem Zustand.“ Schmunzelnd hob Tanner einen Fuß und zog das Hosenbein hoch, um die Stickerei auf dem Schaft zu zeigen. „Mein Schwager Brad hat sie mir geschenkt. Er hat sie früher auf der Bühne getragen, als er auf seinen Konzerttourneen reihenweise Herzen gebrochen hat. Er hat bei jedem Auftritt Tee aus einer Whiskyflasche gesoffen, um für einen harten Typen gehalten zu werden.“

Jack musterte seinen engsten und vertrautesten Freund und fragte sich, ob es klug gewesen war, nach Stone Creek zurückzukehren.

Seit die seltsame Krankheit ausgebrochen war – eine Woche nach der Rückholung eines siebenjährigen Mädchens von ihrem drogenabhängigen und kriminellen Vater –, konnte er an nichts anderes als an Ashley denken. Sofern er überhaupt fähig war, einen klaren Gedanken zu fassen.

Jetzt, in einem der ersten lichten Momente, seit er sich am Vortag selbst aus dem Krankenhaus entlassen hatte, wurde ihm bewusst, dass er womöglich einen großen Fehler machte. Nicht, dass er Ashley überhaupt aufsuchte; das und mehr war er ihr schuldig. Aber er brachte sie womöglich in Gefahr, und dazu Tanner und dessen Tochter und schwangere Frau.

Leise sagte er: „Ich hätte nicht herkommen sollen.“

Ungehalten biss Tanner die Zähne zusammen und schüttelte den Kopf über die Bemerkung. Seit er verheiratet war und seine Konstruktionsfirma verkauft hatte, um sich in Arizona als Rancher zu versuchen, war er ein wenig weicher geworden, aber er war noch immer ein Raubein.

„Falsch. Du hättest nicht weggehen dürfen. Du gehörst hierher, Kumpel. Hättest du vor sechs Monaten genug Verstand besessen, um das zu begreifen, anstatt Ashley im Stich zu lassen, würdest du jetzt nicht in diesem Schlamassel stecken.“

Ashley. Der Name war Jack in diesen sechs Monaten tausendfach in den Sinn gekommen. Ihn jetzt von jemand anderem laut ausgesprochen zu hören, verschlug ihm die Sprache.

„Ich hatte schon das Gefühl, es würde bald etwas passieren“, sagte Ashley zu dem Kätzchen, während sie es von der Gardine im Wohnzimmer pflückte und beobachtete, wie ein Krankenwagen direkt vor ihrem Haus anhielt.

Ohne sich einen Mantel zu holen, trat sie hinaus auf die Veranda. Ihr Herz pochte. Einen Moment fühlte sie sich wie erstarrt, nicht vor Kälte, sondern von einer seltsamen Vorahnung gelähmt. Dann stieg sie vorsichtig die eisigen Stufen hinunter und eilte über den Gehweg und durch das Tor. „Was …“, setzte sie an, doch der Rest der Frage blieb unausgesprochen.

Tanner war aus der Ambulanz gestiegen und blickte sie mit einem höchst seltsamen Gesichtsausdruck an. „Ich habe eine Überraschung für dich.“

Jeff Baxter, der zweite ehrenamtliche Sanitäter, kam vom Fahrersitz nach hinten und baute sich vielsagend vor der offenen Hecktür auf. Er sah aus, als sei er auf eine gewaltige Explosion vorbereitet.

Ungeduldig zwängte Ashley sich zwischen die beiden Männer und spähte in den Krankenwagen.

Jack McCall saß aufrecht auf der Trage und grinste betreten. Sein schwarzes Haar, bei ihrer letzten Begegnung militärisch kurz geschnitten, war nun länger und ein wenig zottelig. Seine Augen glühten fiebrig. Mit gerunzelter Stirn fragte er: „Wessen Hemd ist das?“

Vor lauter Verblüffung verstand sie die Frage nicht sofort. Mehrere Sekunden verstrichen, bis sie an sich hinuntersah. „Deins.“

„Gut“, sagte er erleichtert.

Sie überwand den Schrecken, der ihr bei Jacks Anblick in die Glieder gefahren war, und erkundigte sich: „Was machst du denn hier?“

Er rutschte näher zur Tür und fiel beinahe aus den Krankenwagen, sodass Tanner und Jeff ihn festhalten mussten. „Ich checke ein. Du bist doch immer noch im Geschäft, oder?“

Der Mann hat Nerven! „Du gehörst in ein Krankenhaus, nicht in ein Bed and Breakfast.“

„Ich brauche einen Ort, um mich für eine Weile bedeckt zu halten.“ Sein markantes Gesicht nahm einen verletzlichen Ausdruck an. „Ich bin bereit, das Doppelte zu zahlen. Bist du dabei?“

Ihre Gedanken überschlugen sich. Ihn nach ihrer misslichen Vorgeschichte unter ihrem Dach zu haben, gefiel ihr gar nicht. Aber sie konnte es sich nicht leisten, einen zahlenden Gast abzuweisen. Und nicht nur wegen ihrer Schulden bei Brad. Die Rechnungen begannen sich zu stapeln. „Nur, wenn du verdreifachst.“

Jack blinzelte verblüfft, doch dann schmunzelte er. „Okay. Das Dreifache. Obwohl eindeutig Nebensaison ist.“

Jeff und Tanner schleppten ihn ins Haus.

Ashley stand noch einige Augenblicke auf dem verschneiten Bürgersteig.

Zuerst die Katze und jetzt Jack.

Offensichtlich war es ihr an diesem Tag vorherbestimmt, von Streunern heimgesucht zu werden.

2. KAPITEL

„Was ist mit ihm passiert?“, flüsterte Ashley auf dem Flur vor dem besten Zimmer im ganzen Haus. Es war eine kleine Suite am entgegengesetzten Ende ihrer eigenen Räume. Dort hatten die Sanitäter den Patienten in voller Montur bis auf die Stiefel auf das Bett gelegt.

Mittlerweile war Jeff hinunter ins Arbeitszimmer gegangen, um zu telefonieren, und Jack war im Handumdrehen in einen tiefen Schlaf gefallen – oder ins Koma.

Tanner wirkte grimmig. Er schien nicht zu bemerken, dass Mrs Wiggins an seinem rechten Hosenbein hinaufkletterte und dabei die winzigen Krallen in den Jeansstoff grub. Ihre eiserne Entschlossenheit hätte unter anderen Umständen komisch gewirkt.

„Wenn ich das wüsste! Er hat mich heute Nachmittag angerufen, gerade als Livie und ich nach der Untersuchung aus der Klinik gekommen sind. Er hat nur gesagt, dass er ein bisschen angeschlagen ist, und wollte wissen, ob ich ihn am Flughafen abholen und hierher bringen kann.“ Er hielt inne, nahm das Kätzchen in eine Hand, hielt es sich vor das Gesicht und spähte erstaunt in die verschiedenfarbigen Augen, bevor er es vorsichtig auf den Fußboden setzte. Dann richtete er sich auf und fügte hinzu: „Ich habe ihm angeboten, bei mir zu Hause zu wohnen, aber er hat darauf bestanden, zu dir zu fahren.“

„Du hättest mich anrufen sollen“, schalt Ashley ihn schroff, jedoch immer noch mit leiser Stimme, „um mich wenigstens vorzuwarnen.“

„Hör doch mal deinen Anrufbeantworter ab“, erwiderte er ungehalten. „Ich habe mindestens vier Nachrichten hinterlassen.“

„Oh, ich war einkaufen“, verteidigte sie sich. „Ich musste Katzenstreu und Futter kaufen, weil deine Frau entschieden hat, dass ich eine Katze brauche.“

Er schmunzelte bei dem Gedanken an Olivia, und sein Blick wurde sanft. „Wenn du ein Handy hättest wie heutzutage jeder normale Mensch, wärst du auf dem neuesten Stand der Dinge. Du hättest sogar Zeit gehabt, eine Willkommenstorte für Jack zu backen.“

„Als ob er mir willkommen wäre!“, sagte sie und machte ein finsteres Gesicht. „Was hat der Arzt gesagt? Wegen Olivia, meine ich.“

Er seufzte. „Sie ist zwei Wochen überfällig. Dr. Pentland will morgen früh die Wehen einleiten.“

„Und das verrätst du mir erst jetzt?“

„Wie gesagt, besorg dir ein Handy.“

Bevor ihr eine passende Entgegnung einfiel, flog die Haustür auf, und eine Mädchenstimme rief besorgt: „Hallo! Ashley? Was ist passiert?“

Ashley trat an die Treppenbrüstung und sah Sophie mit blassem Gesicht in der Lobby stehen. Die sechzehnjährige Carly, blond und blauäugig wie ihre Schwester Meg, tauchte dahinter auf.

„Wieso steht da ein Krankenwagen vor dem Haus?“, fragte Sophie sichtlich beunruhigt.

Tanner ging zu ihr hinunter und versicherte: „Es ist alles in Ordnung.“

„Und wieso steht da ein Krankenwagen, wenn keiner krank ist?“

„Ich habe nicht gesagt, dass niemand krank ist.“ Er legte ihr die Hände auf die Schultern. „Jack ist zurück.“

„Onkel Jack ist krank?“ Ihre Stimme überschlug sich vor Aufregung. „Was hat er denn?“

„Den Symptomen nach zu urteilen, tippe ich auf eine Vergiftung.“

„Ich will zu ihm!“

Er hielt sie fest. „Nicht jetzt, Süße.“ Seine Stimme klang entschieden und zärtlich zugleich. „Er schläft.“

Carly wandte sich an Ashley. „Wir wollten eigentlich schon früher kommen, aber Mr Gilvine hat die ganze Theater-AG dazu verdonnert, nach der Schule den zweiten Akt vom neuen Stück zu proben. Sollen wir den Computer jetzt aufbauen?“

„Lieber ein andermal. Ihr seid sicher erschöpft vom Unterricht und der Probe. Wie wäre es mit Abendessen?“

„Mr Gilvine hat Pizza für die ganze Besetzung bestellt. Ich platze fast.“ Sie legte sich eine Hand auf den flachen Bauch und blies die Wangen auf. „Ich habe aber schon zu Hause angerufen und Bescheid gesagt, dass ich später komme. Brad will uns abholen, wenn wir mit dem Computer fertig sind.“

„Das kann warten.“

„Ich setze dich zu Hause ab“, bot Tanner an. „Mein Truck steht zwar bei der Feuerwache, aber Jeff kann uns hinfahren.“

Wie auf Stichwort kam Jeff aus dem Arbeitszimmer. Während er sein Handy einsteckte, verkündete er bedrückt: „Ich hab gewaltigen Ärger mit Lucy, weil ich vergessen habe, ihr zu sagen, dass es später wird. Sie hat Soufflé gemacht und es ist zusammengefallen.“

„Du Armer“, murmelte Tanner mitfühlend und schob die Mädchen zur Tür.

„Können wir echt im Krankenwagen mitfahren?“, fragte Sophie voller Vorfreude.

„Ja.“

„Super!“, rief Carly.

„Tanner? Ruf mich an, wenn es etwas Neues gibt“, verlangte Ashley mit einem dicken Kloß in der Kehle vor lauter Sorge um ihre Schwester und das ungeborene Kind.

Er nickte, und im nächsten Moment waren alle fort.

Sie blickte zur Zimmerdecke und dachte daran, dass Jack McCall da oben in einem Gästezimmer lag, unter einem halben Dutzend Bettdecken. Wie krank war er wirklich? Wollte er etwas essen, und wenn ja, was?

Nach reiflicher Überlegung entschied sie sich für Hühnersuppe, denn die galt schließlich als Allheilmittel.

Außer gegen ein gebrochenes Herz.

Jack McCall erwachte, als sich ihm etwas Pelziges auf das Gesicht setzte. Zum Glück fühlte er sich zu schwach, um eine Hand zu heben und um sich zu schlagen. Sonst hätte er das Vieh impulsiv durch den Raum geschleudert.

Es dauerte einen Moment, bis er registrierte, dass er nicht mehr in einem südamerikanischen Gefängnis saß und Ratten abwehren musste, bis sein Verstand das Wesen als Kätzchen identifizierte.

Es starrte ihm direkt ins Gesicht, mit einem blauen und einem grünen Auge, und dabei schnurrte es so laut, als säße ein Motor in der flaumigen schmalen Brust.

Er blinzelte verwirrt und dachte sich, dass es sich um einen Mutanten handeln musste. „Ein weiteres Opfer der Gentechnik.“

„Miau“, entgegnete das Kätzchen entrüstet.

Die Tür öffnete sich, und Ashley trat mit einem Tablett ein. Was immer sich darauf befand, roch himmlisch. Oder war es der Duft ihrer Haut und ihrer fantastischen Haare?

„Mrs Wiggins, runter!“, befahl sie.

„Mrs?“ Jack versuchte, sich aufzurichten, doch es gelang ihm nicht. Das war ein Glück für die Katze, die sich gerade in seinen Haaren einzunisten versuchte. „Ist sie nicht noch ein bisschen zu jung, um verheiratet zu sein?“

„Sehr witzig!“

Er seufzte schwer. Anscheinend war noch lange nicht alles vergessen und vergeben.

Mrs Wiggins stieg über seine rechte Wange nach unten und rollte sich auf seiner Brust zusammen. Er hätte schwören können, dass er eine gewisse warme Energie durch das Wesen fließen spürte, als wäre es eine Verbindung zwischen dem Diesseits und einer besseren Welt.

Blödsinn! Drehst du jetzt total durch?

„Hast du Hunger?“, erkundigte Ashley sich so sachlich, als wäre er ein gewöhnlicher Pensionsgast.

Ein Knurren in der Magengrube sagte ihm, dass er hungrig war – zum ersten Mal, seit ihn die mysteriöse Krankheit befallen hatte. „Ich denke schon“, murmelte er matt, denn ihr Anblick schwächte ihn noch mehr. Sogar in Jeans und seinem alten Flanellhemd sah sie wie eine Göttin aus, auch wenn ihr helles Haar, das sie normalerweise zu einem festen Zopf geflochten trug, zerzaust war.

Sie näherte sich dem Bett – zögerlich, wie es schien und was ihn nicht wunderte nach der Akrobatik, die sie kurz vor seinem Verschwinden in ihrem Schlafzimmer vollführt hatten.

Ashley stellte das Tablett auf den Nachttisch und fragte in formellem Ton: „Kannst du allein essen?“

„Ja“, behauptete er, doch vermutlich war er gar nicht dazu fähig. Eine Weile zuvor hatte er sich ins angrenzende Badezimmer und wieder zurück ins Bett geschleppt, und von dieser Anstrengung war er nun total erschöpft.

Skeptisch neigte sie den Kopf zur Seite. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, aber sofort wurde sie wieder ernst. „Deine Augen weiten sich ein bisschen, wenn du lügst.“

Er konnte nur hoffen, dass gewisse Angehörige verschiedener Drogen- und Waffenkartelle das nicht merkten. „Oh.“

Sie zog einen zierlichen Stuhl heran und ließ sich darauf nieder. Mit einem kleinen Seufzen nahm sie einen Löffel vom Tablett und tauchte ihn in eine leuchtend blaue Schüssel. „Mund auf.“

Jack widerstand flüchtig und presste die Lippen zusammen. Schließlich besaß er noch immer einen gewissen Stolz. Doch sein Magen verriet ihn mit einem langen lauten Knurren und veranlasste ihn, die Aufforderung zu befolgen.

Die aromatische Substanz erwies sich als Hühnersuppe mit Wildreis und gemischtem Gemüse. Sie schmeckte so gut, dass er am liebsten die Schüssel mit beiden Händen umfasst und mit wenigen Schlucken geleert hätte.

„Langsam“, mahnte Ashley. Ihr Blick war etwas sanfter geworden, doch ihr Körper blieb starr. „Es ist noch Suppe da, unten auf dem Herd.“

Wie das Kätzchen schien die Bouillon eine Art Heilkraft zu besitzen. Jack glaubte zu spüren, dass sich seine Lebensgeister wieder regten.

Kaum hatte er aufgegessen, übermannte ihn wieder der Schlaf. Doch diesmal fühlte er sich dabei anders als bisher. Er hatte nicht mehr den Drang, sich dagegen aufzulehnen. Vielmehr regte sich nun der Impuls, sich der Dunkelheit hinzugeben.

Etwas Weiches berührte seine Wange. Ashleys Fingerspitzen? Oder das Mutantenkätzchen?

„Jack?“

Mit Mühe schlug er die Augen auf.

Tränen schimmerten in Ashleys Augen. „Wirst du sterben?“

Er dachte einen Moment darüber nach. Es fiel ihm nicht leicht, weil das Fieber seinen Verstand vernebelte. Die Prognose der Ärzte im Militärkrankenhaus war nicht gerade rosig. Sie hatten eingestehen müssen, dass ihnen der Giftstoff gänzlich unbekannt war. Deshalb hatten sie ihn zu weiteren Studien in irgendein geheimes Forschungszentrum der Regierung verfrachten wollen.

Das war einer der Gründe, aus denen er geflohen war. Er hatte einige Freunde überredet, ihn aus dem Krankenhaus zu holen und auf Schleichwegen in verschiedenen Flugzeugen und Helikoptern kreuz und quer durch das ganze Land zu transportieren.

Nun suchte er Ashleys Hand und drückte sie. „Nicht, wenn ich es verhindern kann“, flüsterte er, bevor er vor Erschöpfung die Augen schloss.

Das Gespräch ging Ashley immer wieder durch den Kopf, während sie am Bett saß und Jack im Schlaf beobachtete, bis es so dunkel im Raum geworden war, dass sie nur noch schwache Konturen erkennen konnte.

Nur mit Mühe widerstand sie dem Drang, die Nachttischlampe einzuschalten, um noch eine Weile die Gesichtszüge zu betrachten, die sie so gut kannte: die nussbraunen Augen, die ausgeprägten Wangenknochen, das markante Kinn. Sie stand auf, ließ das Tablett stehen und schlich zur Tür – ganz langsam, aus Angst, über Mrs Wiggins zu stolpern, die ihr um die Beine tollte.

Auf dem Flur machte sie leise die Tür zu, hob das Kätzchen mit einer Hand hoch und ließ den Tränen freien Lauf. Stumme Schluchzer schüttelten sie, und Mrs Wiggins kuschelte sich unter ihr Kinn, als wolle das kleine Wesen sie trösten.

Schwebte er wirklich in Lebensgefahr?

Wenn er in den letzten Zügen läge, hätte Tanner bestimmt nicht eingewilligt, ihn zu mir zu bringen.

Andererseits war Jack ein Sturschädel. Er setzte seinen Kopf immer durch. Womöglich hatte er darauf bestanden, dass ihm sein letzter Wille erfüllt wurde.

Aber er will nicht in Stone Creek leben. Warum sollte er hier sterben wollen?

Sie schniefte und wischte sich mit einem Handrücken über die Wangen. Auf das Geländer gestützt, ging sie die Treppe hinunter.

Das Telefon klingelte.

Olivia?

Ashley rannte zu dem kleinen Pult, das ihr als Rezeption diente, wenn auch nicht in letzter Zeit. Hastig griff sie zum Hörer. „Hallo?“ Vage fragte sie sich, wann sie aufgehört hatte, sich geschäftsmäßig korrekt mit Mountain View Bed and Breakfast zu melden.

„Ich habe gehört, dass du einen unerwarteten Pensionsgast hast“, eröffnete Brad in bedächtigem Ton das Telefonat.

Sie freute sich sehr, die Stimme ihres großen Bruders zu hören. Das war verwunderlich, da sie einander seit dem Begräbnis ihrer Mutter nicht viel zu sagen wussten. „Stimmt.“

„Carly hat erzählt, dass es ihm gar nicht gut geht und er in einem Krankenwagen gekommen ist.“

„Stimmt auch, und ich bin nicht sicher, ob er überhaupt hier sein sollte. Es steht schlecht um ihn. Ich bin keine Krankenschwester und ich …“, sie hielt inne und schluckte, „… habe Angst.“

„Ich kann in einer Viertelstunde bei dir sein.“

Wieder brannten Tränen in ihren Augen. „Das wäre schön.“

„Koch eine große Kanne Kaffee, kleine Schwester. Ich bin schon unterwegs.“

Brad hielt Wort und traf ein, noch bevor der Kaffee durchgelaufen war. In verwaschener Jeans, abgewetzten Stiefeln und Flanellhemd mit Denimjacke sah er wie ein gewöhnlicher Rancher aus, nicht wie ein berühmter Countrysänger und gelegentlicher Filmstar.

Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie ihn zum letzten Mal umarmt hatte, doch nun lief sie spontan zu ihm, und er schloss sie in die Arme und küsste ihr Haar.

„Olivia …“, begann sie, doch dann versagte ihre Stimme.

„Keine Angst. Morgen früh werden die Wehen eingeleitet. Mit Livie und dem Baby ist so weit alles in Ordnung.“

Sie legte den Kopf in den Nacken und sah ihm ins Gesicht. Sein dunkelblondes Haar war zerzaust, sein Kinn von Bartstoppeln übersät. „Wie geht es den anderen?“

Er legte ihr die Hände auf die Schultern und hielt sie ein Stück von sich ab. „Das müsstest du nicht fragen, wenn du hin und wieder auf die Ranch kämest. Mac vermisst dich, genau wie Meg und ich.“

Ashley versuchte zu sprechen, doch ihre Kehle war wie zugeschnürt, und sie brachte kein einziges Wort heraus.

„Und wo steckt dein Lover? Er kann von Glück sagen, dass er flachliegt. Sonst würde ich ihm das Licht ausknipsen für das, was er dir angetan hat.“

Der Ausdruck Lover ließ sie zusammenzucken. „Zwischen uns ist es aus.“

„Gut.“ Brad ließ die Hände sinken. „Welches Zimmer?“

Sie sagte es ihm, und er ging hinauf, nachdem er sich die Jacke ausgezogen hatte.

Während seiner Abwesenheit hielt sie sich beschäftigt, indem sie Kaffeebecher aus dem Schrank holte, Mrs Wiggins’ Fressnapf füllte, das Radio einschaltete und wieder abstellte.

Das Kätzchen knabberte das Trockenfutter, kletterte dann in das neu gekaufte Körbchen in der Ecke neben dem Herd, drehte sich ein paarmal im Kreis, bearbeitete mit den Pfoten das Polster und ließ sich schließlich fallen.

Mehrere Minuten verstrichen, bis Schritte auf der Treppe ertönten. Ashley schenkte Kaffee für Brad ein. Sie selbst trank Kräutertee. Als ob auch nur ein Funken Hoffnung besteht, dass ich in dieser Nacht ein Auge zukriege, indem ich Koffein vermeide!

Gedankenverloren trat Brad ein und griff nach seinem Becher. Er nahm einen Schluck.

„Nun?“

„Ich bin kein Doktor. Mit Sicherheit kann ich dir nur sagen, dass er atmet.“

„Das ist ja äußerst hilfreich“, bemerkte sie ironisch.

Er verzog das Gesicht zu seinem berühmten charmanten Grinsen, und das tröstete sie ein wenig. Nachdem er ihr aufmunternd auf die Schulter geklopft hatte, drehte er einen Stuhl mit der Lehne zum Tisch, setzte sich rittlings darauf und stellte den Becher auf den Tisch.

„Warum setzen Männer sich bloß so gern auf diese Art hin?“, fragte sie sich laut.

„Weil es lässig und männlich wirkt.“

Sie trug ihren Tee zum Tisch und setzte sich ebenfalls. „Sag mir, was ich tun soll.“

„Wegen McCall? Das ist deine Entscheidung. Wenn du ihn loswerden willst, kann ich ihn im Handumdrehen nach Flagstaff fliegen lassen.“

Das war keine leere Angeberei. Obwohl Brad sich vor Jahren aus der Countrymusic-Szene verabschiedet hatte, was Konzerttourneen betraf, schrieb er immer noch Songs und spielte sie ein. Dazu verdiente er reichlich Tantiemen. Außerdem war Meg eine McKettrick und somit selbst eine Multimillionärin. Ein Anruf von einem der beiden hätte genügt, und im Nu wäre ein Jet vor den Toren der Stadt gelandet, voll ausgerüstet und besetzt mit Ärzten und Krankenschwestern.

Ashley presste die Lippen zusammen. Der Himmel mochte wissen, warum, aber Jack wollte bei ihr bleiben und hatte große Anstrengungen auf sich genommen, um zu ihr zu gelangen. So unvernünftig es angesichts seines Gesundheitszustands auch sein mochte, sie konnte ihn nicht hinauswerfen. „Ich weiß nicht recht“, erwiderte sie kläglich. Früher hatte sie ihn zweifellos geliebt. Doch jetzt war er ein neuer, ein anderer Mensch. Der wahre Jack, vermutete sie. Es war eine schmerzliche Erkenntnis, dass sie ihr Herz an eine Illusion verschenkt hatte.

„Schon gut, Ashley.“

Sie schüttelte den Kopf und begann erneut zu weinen. „Nichts ist gut.“

„Aber wir können dafür sorgen, dass es gut wird. Wir müssen nur reden.“

Sie trocknete sich die Augen mit einem Ärmel von Jacks altem Hemd. Es erschien ihr paradox, angesichts der zahlreichen Klamotten in ihrem Schrank, dass ihre Wahl an diesem Morgen ausgerechnet auf dieses Kleidungsstück gefallen war. Hatte sie etwa geahnt, dass er zurückkommen würde?

Brad wartete auf eine Antwort und blickte sie unverwandt an.

Sie schluckte schwer und flüsterte: „Unsere Mutter ist gestorben, und du, Olivia und Melissa habt alle erleichtert gewirkt.“

Er biss die Zähne zusammen. Dann atmete er tief durch und strich sich durch das Haar. „Ich war wohl wirklich erleichtert“, gestand er. „Es heißt, dass sie nicht gelitten hat, aber ich habe mich oft gefragt …“, er räusperte sich, „… ob sie nicht doch Schmerzen oder Kummer hatte und nur nicht um Hilfe bitten konnte.“

Ihr Herz pochte. „Du hast sie nicht gehasst?“

„Sie war meine Mutter. Natürlich habe ich sie nicht gehasst.“

„Es hätte alles ganz anders sein können.“

„War es aber nicht. Darum geht es. Delia ist fort, diesmal endgültig. Du musst loslassen.“

„Was ist, wenn ich das nicht kann?“

„Es bleibt dir nichts anderes übrig, Knöpfchen.“

Knöpfchen. Ihr Großvater hatte Ashley und auch Melissa mit diesem Kosenamen bedacht. Wie die meisten Zwillinge waren sie es gewohnt, sich vieles zu teilen. „Vermisst du Big John auch so sehr wie ich?“

„Ja“, sagte Brad unumwunden. Sekundenlang starrte er in seinen Kaffeebecher, bevor er ihrem Blick begegnete. „Aber er ist nun mal fort. Und ich muss mich etwa drei Mal am Tag wieder daran erinnern und von Neuem loslassen.“

Sie konnte nicht länger still sitzen. Deshalb sprang sie auf, holte die Kaffeekanne und füllte seinen Becher auf. Sie blieb neben ihm stehen und fragte leise: „Und bei Mom ist dir das Loslassen sofort gelungen?“

Er nickte. „Es ist lange, lange her, aber ich erinnere mich ganz deutlich daran: Es war an dem Abend, als mein Basketballteam in der Highschool um die Staatsmeisterschaft gespielt hat. Ich war sicher, dass sie auf der Tribüne sitzen und uns anfeuern würde. Doch natürlich war sie nicht da, und da habe ich begriffen, dass sie niemals zurückkehrt.“

Ihr wurde das Herz schwer. Warum war ihr nie in den Sinn gekommen, dass auch er gelitten hatte, obwohl er ihr großer starker Bruder war?

„Big John ist geblieben“, fuhr Brad fort, „in guten und in schlechten Zeiten. Selbst nachdem er seinen einzigen Sohn begraben musste, hat er weitergemacht. Mom dagegen hat den Abendbus aus der Stadt genommen und sich danach nicht ein einziges Mal die Mühe gemacht, anzurufen oder auch nur eine Postkarte zu schicken. Ich habe meine Trauerarbeit lange vor ihrem Tod geleistet.“

Ashley konnte nur stumm nicken.

Auch er schwieg lange Zeit, in Gedanken versunken, und nippte gelegentlich an seinem Kaffee. Dann sagte er: „Als es hart auf hart kam, habe ich praktisch dasselbe getan wie Mom. Ich habe einen Bus genommen und Big John allein mit der Ranch und euch Kindern gelassen. Also steht es mir nicht zu, andere zu verurteilen. Das Fazit: Die Menschen ändern sich nicht, sie werden immer wieder Fehler machen. Du musst dich entscheiden, ob du das akzeptieren oder dich ohne einen Blick zurück abwenden willst.“

Sie brachte ein zittriges Lächeln zustande. „Es tut mir leid, dass ich mit den Hypothekenraten in Verzug bin.“

Er verdrehte die Augen. „Als ob mich das jucken würde!“ Er trank seinen Kaffee aus und erhob sich. „Warum lässt du mich die Pension nicht einfach auf dich überschreiben?“

„Würdest du das zulassen, wenn die Situation umgekehrt wäre?“

„Nein, aber …“

„Aber was?“

Er grinste und rollte verlegen die Schultern.

„Aber du bist ein Mann? Wolltest du das sagen?“

„Nun, ja.“

„Du kriegst das Geld, sobald ich Jacks Abrechnung fertig habe.“ Sie begleitete ihn zur Hintertür. „Danke, dass du in die Stadt gekommen bist. Ich fühle mich wie eine Idiotin, weil ich in Panik geraten bin.“

„Ich bin schließlich dein großer Bruder“, entgegnete er schroff, während er in seine Jacke schlüpfte. „Dafür bin ich da.“

„Fährst du morgen ins Krankenhaus, wenn Livie …“

Brad zog sie sanft am Zopf, wie er es früher immer getan hatte. „Nein. Wir bleiben zu Hause beim Telefon. Sie schwört, dass es eine normale Prozedur ist, und sie will nicht, dass wir – ich zitiere wörtlich: ein Theater daraus machen, als wäre es eine Herztransplantation.“

„Typisch Olivia.“ Ashley stellte sich auf Zehenspitzen und küsste ihn auf die Wange. „Noch mal danke. Ruf an, sobald du etwas Neues weißt.“

Er zog noch einmal an ihrem Zopf, wandte sich ab und verließ das Haus.

Sie blickte ihm nach und fühlte sich schrecklich allein.

Mühsam richtete Jack sich auf und streckte sich nach dem Schalter der Nachttischlampe. Allein diese kleine Anstrengung ließ ihn in kalten Schweiß ausbrechen, doch gleichzeitig spürte er, dass seine Kräfte zurückkehrten.

Er blickte sich im Zimmer um, registrierte die Blümchentapete, den blassrosa Teppichboden, die kunstvollen Verzierungen am Kamin und die beiden mädchenhaft zierlichen Stühle daneben. Dicke Schneeflocken tanzten vor den beiden Erkerfenstern, die mit bunt gepolsterten Sitzbänken ausgestattet waren.

Welch ein Unterschied zum Walter-Reed-Militärkrankenhaus!

Noch größer war der Gegensatz zum Dschungel, wo er sich fast drei Monate lang versteckt gehalten und auf die Chance gewartet hatte, sich die kleine Rachel Stockard zu schnappen, um sie aus dem Land zu schaffen und zu ihrer verzweifelten Mutter zurückzubringen.

Das FBI hatte ihn gut bezahlt für den gefährlichen Einsatz, aber es war vor allem die Mutter-Tochter-Wiedervereinigung, die ihm Genugtuung bereitete und selbst lange Zeit danach noch zu Herzen ging.

Im Geist beobachtete er noch einmal, wie Rachel in den Raum zu ihrer Mutter Ardith geführt wurde, wie sie sich unter Tränen in die Arme fielen und sich zitternd aneinanderklammerten. Dann hob Ardith den Blick, sah Jack durch die Glasscheibe und formte mit den Lippen ein Dankeschön. Er nickte erschöpft, von der Krankheit bereits schwer gezeichnet.

Nun schloss er die Augen und kehrte in Gedanken noch weiter zurück, zu seinem langwierigen Aufenthalt in Südamerika …

Erst nach umfangreichen Recherchen war er auf den kleinen isolierten Landsitz gestoßen, auf dem Rachel seit ihrer Entführung aus dem Haus ihrer Großeltern mütterlicherseits in Phoenix festgehalten wurde – seit fast einem Jahr.

Nachdem er das Kind endlich lokalisiert hatte, konnte er über eine Woche keinen Schritt unternehmen. Er musste observieren und auf einen günstigen Augenblick warten. Der kam, als ihr krimineller Vater mit seinem Gefolge einen Konvoi aus Jeeps mit Drogen und Feuerwaffen belud und über die Dschungelstraße davonraste – vermutlich zu einem Rendezvous mit einem Boot, das in einer verborgenen Bucht vertäut lag.

Jack brachte schnell in Erfahrung, dass nur die Köchin mittleren Alters, von der nicht viel Widerstand zu befürchten war, und ein einziger Wächter zwischen ihm und Rachel standen. Er hielt sich im Verborgenen, bis es dunkel wurde, und kletterte dann auf den Balkon vor dem Kinderzimmer.

Mit einem Finger an den Lippen schlich er zur Terrassentür hinein, doch Rachel rief mit hoffnungsvoll leuchtenden Augen: „Bringst du mich nach Hause zu meiner Mommy?“

Ihre schrille Stimme hallte durch den Raum, der Wächter stürmte aus dem Flur herein und schrie etwas auf Spanisch.

Es kam zu einem Handgemenge, der Aufseher ging zu Boden und Jack spürte einen Einstich in der Seite. Doch er machte sich keine großen Gedanken darüber, denn er hörte Motorengeräusche von sich nähernden Fahrzeugen.

Er klemmte sich Rachel unter den Arm, kletterte von dem Balkon an der Felswand hinunter zu Boden und rannte in den Dschungel.

Erst nach der Wiedervereinigung von Mutter und Tochter in Atlanta war Jack plötzlich zusammengebrochen und in einen Fieberwahn gesunken.

Als Nächstes erinnerte er sich, dass er in einem Krankenhauszimmer aufgewacht war, an ein halbes Dutzend Apparate angeschlossen und von FBI-Agenten mit grimmigen Gesichtern umringt, die es kaum erwarten konnten, ihn zu verhören.

3. KAPITEL

Ashley rechnete nicht damit, in dieser Nacht Schlaf zu finden. Zu viele Dinge gingen ihr durch den Kopf. Die bevorstehende Geburt von Olivias Baby, die Unstimmigkeiten mit ihren Geschwistern wegen ihrer Mutter und nicht zuletzt Jack McCall, der ihr inzwischen wieder wohlgeordnetes Leben erneut völlig auf den Kopf stellte.

Daher überraschte es sie, dass sie von Sonnenschein und dem Klingeln des Telefons auf dem Nachttisch geweckt wurde.

Sie tastete nach dem Hörer, warf dabei Mrs Wiggins beinahe zu Boden und murmelte mit rauer Stimme: „Hallo?“

Olivias Lachen klang erschöpft, aber herzerwärmend. „Habe ich dich geweckt?“

„Ja.“ Mit klopfendem Herzen stützte Ashley sich auf einen Ellbogen. „Hast du … Ist alles in Ordnung? Was …“

„Du bist wieder Tante geworden. Zweifach.“

„Wie bitte? Du hast Zwillinge gekriegt?“

„Beides Jungen. Es geht ihnen prächtig, und mir auch“, verkündete Olivia stolz.

„Oh, Livie, das ist wundervoll!“

„Tanner ist ziemlich aus dem Häuschen. Er hat vorher erst eine Geburt miterlebt, und Sophie ist schließlich nicht im Doppelpack gekommen.“

„Das kann ich mir denken. Hast du Melissa und Brad schon Bescheid gegeben?“

„Nein. Ich hoffe, dass du das übernimmst. Ich bin total erschöpft von der Geburt und könnte ein Nickerchen gebrauchen, bevor die Besuchszeit anfängt.“

Im Überschwang der Gefühle wollte Ashley sich die erstbeste Kleidung überstreifen, ins Auto springen und ins Krankenhaus fahren, ungeachtet der Besuchszeiten. Sie wollte ihre Zwillingsneffen willkommen heißen und sich selbst davon überzeugen, dass es ihrer großen Schwester gut ging.

Im nächsten Moment fiel ihr Jack ein. Sie konnte ihren kranken Gast nicht allein im Haus lassen. Das bedeutete, dass sie erst jemanden auftreiben musste, der sich um ihn kümmerte. „Du bist doch in Flagstaff, oder?“

„Nein. Bis dahin haben wir es nicht geschafft. Die Wehen haben um halb vier heute Morgen eingesetzt. Ich bin in der Klinik in Indian Rock. Dank der McKettricks ist sie mit Brutkästen und allem anderen ausgestattet, was Neugeborene so brauchen könnten.“

„Wieso in Indian Rock?“, fragte Ashley verwirrt. Die Stadt lag vierzig Meilen von Stone Creek entfernt und somit kaum näher als Flagstaff, jedoch in entgegengesetzter Richtung.

„Das erkläre ich dir später. Momentan bin ich völlig erledigt. Rufst du Brad und Melissa an?“

„Sofort. Nur noch eine Frage: Haben die beiden schon Namen?“

„Noch nicht endgültig. Wahrscheinlich nennen wir den einen John Mitchell, nach Big John und Dad, und den anderen Sam. Wir wussten zwar, dass es Zwillinge werden, aber wir hatten uns noch nicht entschieden.“

In jeder Generation der Familie O’Ballivan gab es mindestens einen Sam, bis zurück zum Gründer der Stone Creek Ranch. Ashley hatte immer geplant, ihren eigenen Sohn Sam zu nennen. Nicht, dass ich in Gefahr bin, jemals Kinder zu bekommen, dachte sie nun und spürte einen kleinen Stich, obwohl sie sich riesig für Olivia und Tanner freute. „Meinen Glückwunsch, Livie. Und gib dem aufgeregten Vater ein Küsschen von mir.“

„Wird gemacht.“

Widerstrebend beendete sie das Gespräch. Nachdem sie mehrmals tief durchgeatmet und einige überwiegend glückliche Tränen vergossen hatte, fasste sie sich wieder und löste ihr Versprechen ein.

Brad meldete sich mit hellwacher Stimme. Obwohl die Sonne erst vor Kurzem aufgegangen war, hatte er vermutlich schon sämtliche Hunde, Pferde und Rinder auf der Ranch gefüttert und seiner Familie Frühstück gemacht. „Das ist ja großartig!“, rief er, sobald er erfuhr, dass die Geburt ohne Komplikationen verlaufen war und es Mutter und Kindern gut ging. „Aber was machen sie in Indian Rock?“

„Olivia hat gesagt, dass sie es später erklärt.“

Als Nächstes rief Ashley ihre Zwillingsschwester an.

Melissa war Anwältin und ein Genie im Umgang mit Geld. Sie lebte am anderen Ende der Stadt in einem geräumigen Zweifamilienhaus, das ihr allein gehörte. Sie vermietete eine Hälfte und konnte mit den Einnahmen die Hypothek bestreiten, ohne ihr Einkommen angreifen zu müssen.

Ein Mann meldete sich.

Die Stimme war Ashley unbekannt. Daher reagierte sie ein bisschen alarmiert, denn Krimiserien im Fernsehen waren ihre geheime Leidenschaft. „Ist da 555-2593?“

„Ich glaube schon. Moment bitte.“

Gleich darauf meldete sich Melissa und fragte atemlos: „Olivia?“

„Nein. Deine andere Schwester. Livie hat mich gebeten, dich anzurufen. Die Babys sind heute Morgen gekommen.“

Babys? Mehrzahl?“

„Zwillinge.“

„Aber niemand hat mir etwas davon gesagt!“, rief Melissa entgeistert. Sie war ein Kontrollfreak und mochte keine Überraschungen, nicht einmal gute.

„Hast du etwa vergessen, dass Zwillingsgeburten in der Familie liegen?“, fragte Ashley lachend. „Ich soll dir von Olivia ausrichten, dass alles in Ordnung ist und sie ein bisschen schlafen will, bevor die ersten Besucher auftauchen.“

„Jungen? Mädchen? Von jedem eins?“

„Beides Jungen. Die Namen stehen noch nicht endgültig fest. Aber wer ist der Mann, der vorhin am Telefon war?“

„Später.“

„Sag mir nur, dass alles in Ordnung ist. Dass nicht irgendein Fremder dich zwingt, so zu tun …“

„Herrje, hör auf! Ich bin nicht gefesselt und geknebelt in einem Schrank eingesperrt. Du hast mal wieder zu viele Krimis gesehen.“

Der Sicherheit halber verlangte Ashley: „Sag das Codewort.“

„Du bist ja paranoid!“

Nach einer Serie von Kindesentführungen in ihrer Kindheit hatte Big John ihnen geholfen, ein geheimes Wort auszusuchen, und ihnen eingeschärft, es niemals einem Außenstehenden zu verraten.

Sie hatten sich einen Spaß daraus gemacht, codiert zu sprechen. Im Alter zwischen drei und sieben hatten sie sich untereinander mit einer Geheimsprache aus an sich gewöhnlichen Wörtern verständigt und damit die ganze Familie auf die Palme gebracht.

Hätte Melissa zum Beispiel behauptet: Ich habe heute den ganzen Nachmittag genäht, hätte Ashley die Nationalgarde verständigt. Im umgekehrten Fall lautete die entsprechende Parole: Ich habe heute Morgen drei Krähen auf dem Briefkasten gesehen.

„Nun mach schon! Dann lasse ich dich auch in Ruhe.“

„Butterblume!“, rief Melissa gereizt. „Bist du jetzt zufrieden?“

„Leidest du an PMS?“

„Hoffentlich“, murmelte sie und legte abrupt auf.

„Sie leidet an PMS“, teilte Ashley dem Kätzchen mit, das vor ihren Füßen hin und her sprang und kläglich miaute, um Leckerlis zu erbetteln.

Sie duschte schnell, schlüpfte in eine schwarze Hose und eine eisblaue Seidenbluse, bürstete und flocht sich das Haar und trat hinaus auf den Flur.

Jacks Tür war geschlossen, obwohl Ashley sie am Vorabend einen Spalt offen gelassen hatte für den Fall, dass er nach ihr rief. Also klopfte sie an.

„Herein.“

Sie spähte ins Zimmer. Er saß in aufrechter Haltung auf der Bettkante. Er war unrasiert, aber seine Augen wirkten klar. Überrascht stellte sie fest: „Es geht dir besser.“

Er grinste. „Tut mir leid, dass ich dich enttäusche.“

Gereizt ignorierte sie seine Bemerkung, damit er nicht merkte, wie leicht er sie aus der Fassung bringen konnte. „Hast du Hunger?“

„Ja. Bacon und Eier wären prima.“

Sie zog eine Augenbraue hoch. Am vergangenen Abend hatte er gerade mal einen Teller Suppe geschafft, doch nun wollte er ein deftiges Holzfällerfrühstück? „Das würde dich bloß krank machen.“

„Ich bin schon krank. Und ich will trotzdem Bacon und Eier.“

„Tja, es sind aber keine da. Bei mir gibt es normalerweise Grapefruit oder Müsli.“

„Du setzt deinen zahlenden Gästen Schonkost vor?“

Sie wollte nicht eingestehen, zumindest nicht Jack McCall gegenüber, dass seit Langem kein Gast eingekehrt war, ob nun zahlend oder nicht. „Manche Leute legen Wert auf eine gute Ernährung.“

„Und manche Leute wollen Bacon und Eier.“

Sie seufzte theatralisch.

„Es ist das Mindeste, was du tun kannst, da ich das Dreifache für dieses Zimmer und das Frühstück bezahle, das dem Namen nach zum Bett gehört.“

„Also gut. Aber ich muss zuerst einkaufen gehen. Du musst also warten.“

„Ist mir recht.“ Er streckte die Füße aus, wackelte mit den Zehen und beobachtete sie so fasziniert, als wäre es ein Wunder, dass er sie bewegen konnte. „Ich rühre mich nicht vom Fleck.“ Er grinste. „Also, ab die Post! Ich muss wieder zu Kräften kommen.“

Ashley schlenderte gemächlich aus dem Zimmer, schloss die Tür und atmete tief durch, bevor sie übervorsichtig, um nicht über die anhängliche Mrs Wiggins zu stolpern, die Treppe hinunterging.

In der Küche reinigte und füllte sie den kleinen Fressnapf und die Wasserschüssel. Dann schnappte sie sich Mantel, Handtasche und Autoschlüssel und teilte dem Kätzchen mit: „Ich bin bald wieder da.“

Über Nacht war die Temperatur unter den Gefrierpunkt gesunken, und die Straßen waren vereist. Die Fahrt zum Supermarkt dauerte beinahe fünfundvierzig Minuten, der Laden war überfüllt, und als Ashley schließlich wieder zu Hause eintraf, war sie äußerst verstimmt. Sie führte schließlich eine Pension und war keine Krankenschwester. Warum bestand sie nicht darauf, dass Jack nach Flagstaff ins Krankenhaus verlegt wurde?

Sie machte Feuer im Küchenherd, um die Kälte aus den Knochen zu vertreiben und sich hoffentlich ein wenig aufzumuntern. Dann setzte sie Kaffee auf, briet Bacon-Streifen in der alten gusseisernen Pfanne, die Big John gehört hatte, steckte Brotscheiben in den Toaster und holte einen Karton Eier aus der Einkaufstasche.

Sie wusste, wie Jack seine Frühstückseier mochte. Ebenso wusste sie, dass er den Kaffee stark und schwarz trank. Es ärgerte sie maßlos, dass sie sich an diese Details erinnerte – und dazu an wesentlich mehr.

„Hübsches Feuer. Sehr gemütlich.“

Sie fuhr beinahe aus der Haut vor Schreck. Mit offenem Mund wirbelte sie herum, und da stand er in der Tür, wenn auch schwer an den Rahmen gelehnt. „Wieso bist du nicht im Bett?“

Langsam schleppte er sich zum Tisch, zog einen Stuhl hervor und sank auf die Sitzfläche. „Ich konnte die Tapete nicht eine Sekunde länger ertragen“, neckte er sie. „Verdammt viele Rosen und Schleifen.“

Ashley presste die Lippen zusammen. Sie holte einen Becher aus dem Schrank, füllte ihn mit Kaffee, obwohl die Maschine noch immer gurgelnde Laute von sich gab, und stellte ihn mit einem dumpfen Knall auf den Tisch.

„Sag bloß nicht, dass du dermaßen empfindlich wegen deines Dekors bist.“

„Halt den Mund.“
 In seinen Augen funkelte es. „Redest du mit all deinen Gästen so respektlos?“

Wie so oft in seiner Gegenwart sprach sie, ohne vorher nachzudenken. „Nur mit denen, die sich mitten in der Nacht aus meinem Bett schleichen und für sechs Monate ohne ein Wort verschwinden.“

Jack runzelte die Stirn. „Kennst du denn viele von denen?“

Er war der erste – und einzige – Mann, mit dem sie geschlafen hatte. Aber das wollte sie ihm auf gar keinen Fall verraten. Schließlich hatte er ihr bereits zweimal das Herz gebrochen.

Zum allerersten Mal war er ihr in ihrem ersten Studienjahr begegnet. Damals war sie noch sehr schüchtern und geradezu kindlich gewesen. Doch er hatte ihr Leben vollkommen verändert.

Sie hatten davon gesprochen, gleich nach ihrem Examen zu heiraten, und sich sogar Verlobungsringe ausgesucht. Doch dann war Jack in die Marine eingetreten und nach einigen wenigen Anrufen und Briefen einfach aus ihrem Leben verschwunden.

Ashley hatte ihren Bachelor in Geisteswissenschaften abgelegt, war nach Stone Creek zurückgekehrt, hatte mit Brads Hilfe das Mountain View gekauft und sich einzureden versucht, dass sie glücklich war.

Dann, kurz vor Weihnachten vor zwei Jahren, war Jack wieder da gewesen. Wie ein ausgemachter Dummkopf hatte sie sich ein zweites Mal auf ihn eingelassen und fest daran geglaubt, dass die Beziehung Zukunft hatte. Er war gekommen und gegangen, wie es ihm gefiel, hatte sich in den Phasen der Abwesenheit kaum gemeldet, sie aber immer wieder von Neuem mit seinem Charme betört, kaum dass sie beschlossen hatte, die Affäre zu beenden.

Nun behauptete sie steif: „Ich habe keinen Winterschlaf gehalten, während du weg warst.“ Sie drehte den Bacon um und schaltete den Toaster ein. „Ich hatte zahlreiche Dates.“

Es waren lediglich zwei gewesen, um genau zu sein, beide arrangiert von Melissa. Besonders das zweite Treffen mit Melvin Royce, dessen Vater das Beerdigungsinstitut in Stone Creek gehörte, war Ashley lebhaft in Erinnerung geblieben. Den ganzen Abend über hatte Melvin ihr vorgeschwärmt, wie wundervoll lukrativ der Tod für ihn war. Seitdem wusste sie, dass Einäscherung derzeit die angesagteste Methode war und dass man sich angeblich gar nicht vor Leichen gruseln müsste, wenn man sich erst einmal an sie gewöhnt hatte. Daraufhin war sie lieber gar nicht mehr ausgegangen.

Oh ja, ich bin ein richtiges It-Girl. Wenn ich nicht aufpasse, werde ich noch zu einem gefundenen Fressen für die Boulevardpresse.

„Es tut mir leid“, sagte Jack leise, nachdem sie beide eine lange Zeit geschwiegen hatten.

Ihr fiel auf, dass die Hand, mit der er den Kaffeebecher zum Mund hob, ein wenig zitterte. „Was?“

„Alles.“ Er fuhr sich durch das Haar, schwieg jedoch.

„Das kann alles Mögliche bedeuten.“ Wütend stellte Ashley einen Teller mit perfekt gebratenen Spiegeleiern auf den Tisch.

„Dich zu verlassen, war verdammt blöd. Und vielleicht war es sogar noch dümmer, hierher zurückzukommen.“

Die letzte Bemerkung versetzte ihr einen Stich. Hastig wandte sie sich ab. „Auch wenn du noch so krank bist, steht es dir frei, auf dieselbe Weise wieder zu verschwinden, auf die du gekommen bist.“

„Würdest du dich hinsetzen und mit mir reden? Bitte!“

Um nicht feige zu wirken, drehte sie sich zu ihm um.

Mrs Wiggins, die kleine Verräterin, hangelte sich an seinem rechten Hosenbein hinauf und rollte sich auf seinem Schoß zusammen, um ein Schläfchen zu halten. Er griff zu seiner Gabel und brach den Dotter eines Spiegeleies, aber er hielt den Blick auf Ashley geheftet.

„Was ist eigentlich mit dir passiert?“, fragte sie spontan, obwohl sie eigentlich nicht reden wollte. Da war es wieder, dieses „Phänomen Jack“. Sie war normalerweise kein impulsiver Mensch.

Mehrere Sekunden verstrichen, bevor er antwortete. „Aller Wahrscheinlichkeit nach hat mir ein Typ, mit dem ich bei einem Einsatz aneinandergeraten bin, eine Giftspritze verpasst.“

Ihr Herz setzte einen Schlag lang aus und pochte dann heftig. Weil ihre Knie nachzugeben drohten, ließ sie sich auf einen Stuhl am Tisch fallen. „Was war das für ein Einsatz?“

„Du weißt doch, dass ich im Bereich Security arbeite“, antwortete Jack ausweichend, ohne sie anzusehen. Stattdessen konzentrierte er sich auf das Frühstück, das er betont langsam verzehrte.

„Security“, wiederholte sie bedächtig. Eigentlich wusste sie von ihm nur, dass er in der Weltgeschichte herumreiste, viel Geld verdiente und oft in Gefahr geriet. Nichts davon hatte er ihr wirklich erzählt; sie hatte es sich vielmehr zusammengereimt aus aufgeschnappten Telefongesprächsfetzen, Bemerkungen von Sophie und Olivia und Andeutungen von Tanner.

„Ich muss wieder verschwinden, aber diesmal möchte ich, dass du den Grund dafür erfährst.“

Sie wollte doch, dass er wieder ging. Warum also fühlte sie sich, als hätte sich gerade eine Falltür unter ihrem Stuhl aufgetan? „Also, warum?“

„Weil ich Feinde habe. Einer von ihnen hat eine Stinkwut auf mich. Er will eine alte Rechnung mit mir begleichen, und ich will nicht, dass dir oder sonst jemandem in Stone Creek etwas zustößt. Ich hätte mit das besser überlegen sollen, bevor ich hergekommen bin. Aber ich konnte nur noch daran denken, dich zu sehen.“

Die Erklärung ging ihr unter die Haut. Sie sehnte sich danach, seine Hand zu nehmen, doch sie hielt sich zurück. „Warum ist er so sauer auf dich?“

„Ich habe ihm seine Tochter gestohlen.“

Ashley öffnete den Mund und schloss ihn gleich wieder.

„Sie heißt Rachel und ist sieben Jahre alt. Ihre Mutter Ardith hat ein Semester in Venezuela studiert und sich dort mit einem Amerikaner namens Chad Lombard eingelassen. Ihre Eltern haben herausgefunden, dass er mit Drogen dealt, und sie nach Phoenix zurückgeholt. Sie war schwanger. Sie sollte abtreiben, hat sich jedoch geweigert. Sie war felsenfest überzeugt, dass Lombard sie zu sich zurückholen und heiraten würde.“

„Aber das hat er nicht getan?“

„Nein. Also hat sie ihr Studium beendet, eine sogenannte gute Partie geheiratet, zwei weitere Kinder bekommen. Ihr Ehemann will Rachel adoptieren. Deshalb soll Lombard auf seinen Anspruch verzichten. Aber er besteht darauf, Rachel selbst aufzuziehen, und hat großmütig angeboten, auch Ardith zurückzunehmen, wenn sie sich scheiden lässt und auf die beiden anderen Kinder verzichtet.“

„Offensichtlich ist sie nicht darauf eingegangen.“

„Natürlich nicht. Eine ganze Weile hat sich nichts getan, aber dann ist Rachel eines Tages aus dem Garten verschwunden. Noch am selben Abend hat Lombard angerufen und erklärt, dass die Polizei gar nicht erst nach dem Kind zu suchen braucht, weil er es bereits aus dem Land geschafft hätte.“

Obwohl Ashley keine Mutter war, konnte sie sich gut vorstellen, wie verzweifelt die Familie gewesen sein musste. „Und du bist angeheuert worden, um Rachel zurückzuholen?“

„Ja.“ Jack sah Bewunderung in ihren Augen und wehrte ab: „Aber komm bloß nicht auf die Idee, dass ich ein Held bin. Mir wurde eine Viertelmillion Dollar dafür angeboten, Rachel unversehrt nach Hause zu bringen, und ich habe nicht gezögert, das Geld anzunehmen.“

„Ich habe nirgendwo etwas davon gehört“, murmelte sie.

„Das kannst du auch nicht. Die Story muss von den Medien ferngehalten werden. Rachels Leben hängt davon ab, und meins erst recht.“

„Hast du gar keine Angst?“

„Und ob! Sogar panische Angst.“

Sie sah ihm an, dass er erschöpft war von der langen Erklärung. Obwohl er das Frühstück zur Hälfte aufgegessen hatte, war er immer noch blass. Sanft schlug sie vor: „Du solltest dich wieder hinlegen.“

„Ich glaube nicht, dass es mir gelingt, die Treppe hinaufzusteigen.“

Sie spürte, dass ihm dieses Eingeständnis schwerfiel. „Du versuchst nur, dich vor der Blümchentapete zu drücken“, scherzte sie, obwohl sie den Tränen nahe war. Sie half ihm auf die Füße. „In meiner Nähstube steht ein Bett. Da kannst du dich ausruhen, bis du dich kräftiger fühlst.“ Sie duckte sich unter seine Schulter und stützte ihn, während sie ihn aus der Küche führte.

Trotz der Anstrengung, die ihn das Gehen kostete, brachte Jack ein Grinsen zustande. „Du bist sehr stark für eine Frau.“

„Vergiss nicht, dass ich auf einer Ranch aufgewachsen bin. In der Erntezeit musste ich immer Heuballen aufladen.“

Ein Anflug von Respekt trat in seine Augen. „Du hast ganze Heuballen geschleppt?“

„Na klar.“ Sie erreichten die Nähstube, und Ashley öffnete die Tür. „Du nicht?“

„Machst du Witze? Mein Vater ist Zahnarzt. Ich bin in einer vornehmen Vorstadt aufgewachsen. Da war meilenweit weder Feld noch Wiese in Sicht.“

Diese Information war neu für sie. Sie wusste nichts über seine Herkunft. Er hatte bisher nie von seiner Familie gesprochen. Deshalb war sie davon ausgegangen, dass er keine Angehörigen hatte. „Wie lautet deine Berufsbezeichnung eigentlich genau?“

Er fixierte sie mit einem langen harten Blick. „Söldner.“

„Steht das in deiner Steuererklärung unter Berufstätigkeit?“

„Nein.“

Sie erreichten das schmale Bett. Sie half ihm, sich hinzulegen, und deckte ihn zu. „Du reichst doch Steuererklärungen ein, oder?“

Jack lächelte mit geschlossenen Augen. „Sicher. Was ich tue, ist ungewöhnlich, aber nicht illegal.“

Sie verdrängte das Bedürfnis, sich zu ihm zu legen und ihn in die Arme zu schließen. „Kann ich dir noch irgendetwas Gutes tun?“

„Meine Ausrüstung. Sie steht unter dem Bett.“

Sie nickte und fragte sich, was für eine Ausrüstung ein Söldner bei sich tragen mochte. Pistolen? Messer? Sie fröstelte unwillkürlich.

Oben in der Gästesuite holte sie einen Lederbeutel unter dem Bett hervor. Tapfer widerstand sie der Versuchung, ihn zu öffnen. Sie war neugierig, sogar verdammt neugierig, aber sie war keine Schnüfflerin. Sie durchforstete weder das Gepäck ihrer Gäste noch las sie deren Post.

Als sie in die Nähstube zurückkehrte, schlief Jack. Mrs Wiggins hatte es sich auf seiner Brust bequem gemacht.

Geräuschlos stellte Ashley die Tasche ab und schlich sich hinaus. Sie beschäftigte sich mit den üblichen Haushaltspflichten, die allzu bald erfüllt waren. Daher atmete sie erleichtert auf, als Tanner sichtlich erschöpft, aber überglücklich zur Hintertür hereinkam.

Autor

Susan Crosby
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