Eine wird gewinnen

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Ausgerechnet bei einer Reality-Show auf einer einsamen Insel trifft Shannen ihre große Jugendliebe wieder. Als Kameramann hat Ty sie ständig im Visier. Doch private Kontakte sind strikt verboten. Zu dumm - denn viel lieber als den ersten Preis will sie Tys Herz gewinnen …


  • Erscheinungstag 09.10.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733727802
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Bereit für einen weiteren Drehtag im Paradies?“ Tynan Hale, Chefkameramann bei der Reality-TV-Show „Victorious“, gab der versammelten Crew kurz die täglichen Anweisungen, bevor sie sich auf den Weg zum Camp der Teilnehmer machten, das auf der anderen Seite der Insel lag.

„Paradies? Nun komm schon, Ty, du musst es nicht schön reden. Wir wissen alle, dass wir die reinste Hölle filmen“, scherzte Reggie Ellis, einer der jüngeren Kameraleute.

Die anderen lachten. Und auch Ty grinste, obwohl er annahm, dass er eine derartige Respektlosigkeit gegenüber der Show und den Teilnehmern nicht auch noch ermutigen sollte.

Tys Job bestand darin, den Teilnehmern der Show auf Schritt und Tritt mit der Kamera zu folgen. Dabei spielte es keine große Rolle, ob sich die Akteure besonders interessant oder dumm benahmen.

Kein Wunder, dass ich nicht vorhabe, bei diesem Sender zu investieren, dachte Ty. Mal abgesehen davon, dass er ihm die richtige Einstellung dazu fehlte, hatte seine Familie solche Beteiligungen schon probiert und damit spektakulär Schiffbruch erlitten.

Der Abstieg seiner Familie hatte in der Öffentlichkeit für eine solche Sensation gesorgt, dass kein Tag verging, an dem Ty Hale nicht seine gegenwärtige Anonymität genoss. Auch jetzt, während er und die Crew die Ausrüstung auf das Boot verfrachteten, das sie zum Camp der Teilnehmer bringen würde, war er dankbar, dass Ty Hale hier nur als der Chefkameramann bekannt war, der seine Arbeit gut machte.

Möglich machte das der Name Hale. Vor sieben Jahren seinen Familiennamen zu ändern – inoffiziell, um keine Aufmerksamkeit zu erregen – war sein bislang klügster Schachzug gewesen. Wenn irgendein Journalist Wind davon bekäme, dass er in Wirklichkeit Tynan Howe, Sohn des berüchtigten ehemaligen Kongressabgeordneten Adison Howe war und zum verrufenen Howe-Clan gehörte …

Aber das würde nicht geschehen, versicherte sich Ty bestimmt schon zum tausendsten Mal. Hier waren die Teilnehmer der Show die Attraktion und zogen die Aufmerksamkeit der Fans und der Medien auf sich. Die Namen der Kameraleute und anderen Mitarbeiter interessierten niemanden. Warum auch? Für die „Victorious“-Fans war er genauso unsichtbar wie seine Kamera.

Und das würde er auch gar nicht anders haben wollen.

Die Fernsehcrew kam wie immer bei Tagesanbruch mit dem Boot auf der Inselseite an, wo die Teilnehmer von „Victorious“ in einem provisorischem Camp lebten. Es gab schnelleren Weg durch den Dschungel, den die Crew aber nie benutzte. Eine Vorsichtsmaßnahme, denn die Teilnehmer durften nicht erfahren, wie nahe sie dem Camp der Crew und damit den Annehmlichkeiten der Zivilisation waren. Außerdem wäre es unpraktisch, die ganze Ausrüstung durch den Dschungel zu schleppen.

Der Anblick des Camps der Kandidaten war Ty mittlerweile sehr vertraut. Wenn der Schauplatz nicht eine prachtvolle Insel im Pazifik wäre und die Teilnehmer nicht freiwillig gegeneinander antreten würden, um eine Million Dollar zu gewinnen, hätte man das Ambiente fast als erbärmlich bezeichnen können.

Aber trotz seiner distanzierten Haltung gegenüber der Show konnte Ty die diesbezügliche Besessenheit des Senders nachvollziehen. Denn nach dem Boom vor ein paar Jahren waren die Zuschauer der vielen Reality-TV-Shows schließlich überdrüssig geworden. Die Einschaltquoten waren in den Keller gerutscht, und das hatte für die Sender bedeutet, mangels Werbeaufträgen der Wirtschaft die Werbepausen nicht mehr füllen und damit keine Einnahmen erzielen zu können.

Tatsächlich wurden alle Reality-TV-Shows eingestellt, keine neuen Formate mehr entwickelt und öffentlich das Ende des Reality-TVs ausgerufen.

Doch dann entschied ein Sender, das Konzept am ohnehin abgeschriebenen Samstagabend wieder aufleben zu lassen. Ty wusste, dass die Verantwortlichen davon ausgingen, dass um diese Zeit niemand vor dem Fernseher saß, der unter neunzig war. Aber sie konnten ja nicht gut das Testbild senden. Und selbst die schlechtesten Serien mussten teuer produziert werden.

Und so wurde „Victorious“ geboren. Abgesehen von paar kleinen Änderungen war es die genaue Kopie einer der Reality-Shows, mit denen vor Jahren einmal alles angefangen hatte. Und da weder Gagen für teure Schauspieler noch für Drehbuchautoren anfielen, war selbst das Preisgeld von einer Million Dollar günstig.

Als Ty den Job bekam, hatte er erfahren, dass „Victorious“ dreiundsechzig Tage lang auf einer verlassenen Insel im Pazifik gedreht werden würde. Das Filmmaterial jeweils einer Woche wurde auf der Nachbarinsel zu einer Stunde TV-Show zusammengeschnitten, bevor es gesendet wurde.

„Das ist wirkliches Live-Fernsehen“, hatte der Produzent der Show, Clark Garrett, behauptet. „Oder zumindest fast.“

Die sechzehn Kandidaten waren in zwei Gruppen aufgeteilt worden. Auf ihre Art waren sie alle mehr oder weniger telegen. Im Moment standen noch die sechs Teilnehmer vor der Kamera, die es in die Endausscheidung geschafft hatten.

Ty und seine Leute warteten mit ihren Kameras darauf, dass die sechs Kandidaten aus ihrer Behausung kamen. Die Teilnehmer nannten das Schlafquartier ein Zelt. Für Ty sahen die an Bambusstöcken befestigten Moskitonetze eher wie vom Himmel gefallene zerfetzte Fallschirme aus.

Wie gewöhnlich filmte die Crew vom Frühaufsteher bis zum Langschläfer jeden Teilnehmer dabei, wie er aus dem Zelt kroch. Die Reihenfolge änderte sich nie. Die Cullen-Zwillinge, Shannen und Lauren, waren immer die Ersten, Jed stets der Letzte. Rico, Cortnee und Konrad tauchten in unterschiedlicher Folge immer nach den Zwillingen und lange vor Jed auf.

Die sechs Kandidaten waren noch im Spiel, weil sie bisher fest zusammengehalten hatten und immer geschlossen gegen andere Teilnehmer, aber nie gegen einen aus ihrer Gruppe gestimmt hatten.

Da das Camp der Crew über einen Internetanschluss und Satellitenempfang verfügte und täglich mit aktuellen Tageszeitungen beliefert wurde, wusste Ty, dass die sechs Finalisten Montag morgens in den Büros des ganzen Landes zum Gesprächsthema geworden waren. In der von der Werbewirtschaft begehrten Zielgruppe der Achtzehn- bis Vierunddreißigjährigen war es schick geworden, sich Samstag abends noch „Victorious“ anzusehen, bevor man auf die Piste ging, und die Geschäftsführer des Senders freuten sich unbändig über diesen Erfolg.

Ty wusste auch, dass die Kandidaten keine Ahnung hatten, dass die Einschaltquoten so in die Höhe geschossen waren und ständig im Blickpunkt der Medien standen. Da sie ohne jeglichen Kontakt zur Außenwelt waren, erfuhren sie nichts von ihrem neuen Ruhm.

Er fragte sich, wie sehr die Kandidaten dadurch beeinflusst werden würden, wenn sie nach Hause zurückkehrten. Er ging jede Wette ein, dass sie sich verändern würden. Dass hatte er selbst erfahren, als täglich lang und breit über über seine Familie berichtet wurde.

Die Zwillinge spritzten sich wie jeden Morgen Wasser ins Gesicht, während Ty sie filmte. Das war ihr Aufwachritual. Die kleine Quelle mit frischem Wasser hatten die Zwillinge an einem idyllischen Platz zwischen Strand und Dschungel entdeckt, als sie gleich nach ihrer Ankunft auf Entdeckungstour gingen, was sie in ihrer Gruppe zu Heldinnen gemacht hatte.

„Welcher der Kandidaten ist denn dein Favorit?“, fragte Heidi, die junge Produktionsassistentin, die neben Ty stand.

Sie stellte diese Frage mindesten jeden zweiten Tag. Ty vermutete, dass sie das weniger aus Interesse als aus Langeweile tat. Dennoch würde er die Antwort darauf weder ihr noch jemand anderem geben.

Völlig neutral antwortete er, was er immer antwortete: „Sie haben alle ihre guten und schlechten Tage.“

„Nun, meine Favoriten sind die Zwillinge“, sagte Heidi.

„Damit stehst du nicht allein.“ Ty blieb wie immer ganz unverbindlich.

„Zwillinge sind für diese Shows ein wirkliches Novum“, erklärte Heidi nicht zum ersten Mal. „Und laut ‚TV Guide Online‘ sind diese beiden sich unglaublich ähnlich. Wir haben sie seit Wochen vor der Kamera, und es kann sie immer noch niemand auseinander halten. Die Zuschauer natürlich auch nicht.“

„Natürlich“, wiederholte Ty sarkastisch. Dennoch stimmte es. Die sechsundzwanzig Jahre alten Cullen-Zwillinge glichen sich wie ein Ei dem anderen.

„Und sie sind so hübsch“, meinte Heidi.

Da konnte er nur zustimmend nicken.

Die Cullen-Zwillinge waren sehr hübsch. Die beiden auffallenden Brünetten mit den dichten, langen Haaren, den von langen Wimpern eingerahmten großen blauen Augen, dem klaren Teint und den zarten Gesichtszügen brauchten kein Make-up. Etwas Sonnencreme und ein paar Bürstenstriche reichten, damit sie für den Tag auf der Insel gerüstet waren und ein gutes Bild abgaben.

Dass die Zwillinge im weiteren Verlauf der Show vielleicht gegeneinander stimmen müssten, da nur eine Person die Million Dollar gewinnen konnte, hatte auch schon der Moderator, Bobby Dixon, öfter kundgetan. Der bei den Kandidaten wenig beliebte Bobby zeigte trotzdem ungerührt vor laufender Kamera stets lächelnd seine Grübchen.

Ty filmte die nächste Kandidatin, die aus der Behausung kroch. Cortnee, die sich selbst als „aufstrebenden Superstar“ beschrieb, nutzte den Auftritt bei „Victorious“, um ihre Talente als Sängerin und Tänzerin zu präsentieren. Die kurvenreiche Blondine war mit ihren zweiundzwanzig Jahren die jüngste Teilnehmerin.

Dann erschien Rico, ein charismatischer, energischer Fünfundzwanzigjähriger, der ebenfalls ein Star werden wollte und ein begabter Sänger und Tänzer war. Er und Cortnee unterhielten die anderen Kandidaten öfter einmal mit einer Einlage als Gesangsduo oder Tanzpaar.

Und den Zuschauern, denen diese Starauftritte nicht gefielen, blieb immer noch Shannens ungehaltener, ungeduldiger Blick auf die beiden. Ty fing während der spontanen Einlagen des Pärchens immer auch Shannens finstere Miene mit der Kamera ein.

Mittlerweile war ihr aufgebrachter Kommentar „Oh nein, nicht schon wieder!“ ein ebenso großes Highlight von „Victorious“ wie die Showeinlagen selbst.

Auf den Internetseiten, die es mittlerweile zu jedem Mitspieler gab, wurde Shannen als der „böse“ oder „schlecht aufgelegte Zwilling“ tituliert, während Lauren der „gute“ und „nette Zwilling“ war. Nicht, dass irgendjemand die Zwillinge rein äußerlich auseinanderhalten konnte. Aber „die Giftnudel Shannen“ unterschied sich immer dann von Lauren, wenn ihre Augen vor Wut blitzten.

Als Nächster kam Konrad, mit Anfang dreißig der Älteste der Gruppe. Der ehemalige Kriminelle, der seine Strafe verbüßt hatte, war mit rasiertem Schädel auf der Insel angekommen. Sein Rücken, seine Brust und seine Arme waren mit Tattoos von gefährlichen wilden Tieren versehen. Wenn Konrad etwas sagte, dann klang es stets wie ein grimmiges Knurren, und er lächelte nie.

Schließlich erschien der gut aussehende, muskulöse Jed, der laut seinem Lebenslauf auch schon als Abenteurer sein Geld verdient hatte, was er bei jeder körperlichen Herausforderung unter Beweis stellte. Der Achtundzwanzigjährige lief vorwiegend spärlich bekleidet umher und zeigte seinen durchtrainierten Körper.

Sowohl die Fans der Show als auch die Crew waren sich darin einig, dass zwischen diesen Teilnehmern irgendwie die Chemie stimmte. Und die Zuschauer spekulierten eifrig darüber, was zwischen den Kandidaten vor sich ging, wenn die Kameras ausgeschaltet waren.

Hatten die Zwillinge und/oder Cortnee mit Rico und/oder Jed geschlafen? Waren Rico und Jed zusammen im Bett gewesen? Alle gingen einmütig davon aus, dass sich niemand mit Konrad eingelassen hatte.

Die Crew stellte ihre eigenen Spekulationen an, an denen sich Ty manchmal beiläufig beteiligte. Er musste seinen Namen geheim halten und wollte auf keinen Fall riskieren, dass sein anderes, für die Crew noch bedeutungsvolleres Geheimnis entdeckt werden würde. Dennoch gab es gerade auf der Insel eine Person, die seine beiden Geheimnisse kannte.

Ein einziges Wort vor laufender Kamera würde genügen, und der furchtbare Medienzirkus um die Howes würde wieder von vorn beginnen. Und ein Wort über seine frühere Beziehung mit Shannen Cullen würde dafür sorgen, dass man ihn feuern würde.

Aber Shannen verriet ihn nicht. Und Ty begann zu glauben, dass sie sich wahrscheinlich nach all der Zeit nicht an ihn erinnerte. Das war ein harter Schlag für ihn. Besonders da er sich schon vor Jahren eingestanden hatte, dass er sie nie vergessen würde. Sie jetzt nach der langen Trennung wieder zu sehen, bestätigte lediglich, wie tief sie sich ihm eingeprägt hatte.

Es war eine Ironie des Schicksals, dass sie ihn vergessen hatte. Ein Howe verdient es wohl nicht besser, dachte Ty sarkastisch. Also bezog er es nicht auf sich, wenn Shannen ihn verärgert anfunkelte oder die Augenbrauen hochzog, während er sie filmte. Shannen sah jeden, der mit einer Kamera herumlief, ungehalten an. Er würde sich nicht vormachen, dass sie gerade ihn meinen könnte.

Aber er konnte den Blick nicht von ihr wenden oder sie auch nur längere Zeit nicht filmen. Zum Glück war sie ihrer Zwillingsschwester so ähnlich, dass niemand merkte, dass eigentlich fast immer Shannen im Bild war.

Ty konnte Shannen und Lauren mühelos unterscheiden, auch wenn er niemandem hätte erklären können, wieso. Er wusste auf den ersten Blick, wer „sein“ Zwilling war, gleichgültig, ob die beiden als Pärchen oder allein auftauchten.

Trotz des Entschlusses, mich von meiner Familie zu unterscheiden, scheine ich genauso verrückt und gestört zu sein wie anderen Howes, dachte Ty spöttisch. Er war von der einzigen Person fasziniert, die sein mühevoll geschaffenes, normales Leben ruinieren könnte.

Aber die starke Faszination, die er für Shannen empfand, war nicht neu. Und da sie jetzt tatsächlich eine Frau war und nicht mehr ein junges Mädchen, war ihre Anziehungskraft noch stärker geworden.

Er hatte sie damals gewollt, doch jetzt wollte er sie noch mehr.

Und er konnte sie nicht haben. Damals nicht und heute nicht.

Als Chefkameramann genoss Ty das Privileg, im Camp ein eigenes Zelt zu haben, was entschieden bequemer war, als sich eine der Unterkünfte mit anderen Kameraleuten teilen zu müssen.

Auf Clarks Anweisung hin hatte die Crew heute Abend bereits um acht Uhr mit dem Drehen aufgehört. Als Ty dann vom Abendessen in sein Zelt zurückkam, war es fast dunkel.

Während der ersten Tage auf der Insel hatte er noch begeistert den atemberaubend schönen Sonnenuntergänge gefilmt. Jetzt hatte er kaum einen Blick mehr dafür, als er Reggie und den anderen eine Gute Nacht wünschte. Die Einladung zum Kartenspiel schlug er ebenso aus wie alle anderen Freizeitangebote. Er wollte früh ins Bett, weil er letzte Nacht schlecht geschlafen hatte.

Wie schon in vielen Nächten zuvor war er über seine mehr als lebhaften Träume aufgewacht, die sich stets um Shannen drehten. Er empfand es als ziemlich demütigend, mit seinen vierunddreißig Jahren von seinem Körper verraten zu werden, als wäre er siebzehn.

Shannen Stunde um Stunde zu filmen, jede Bewegung von ihr zu verfolgen, ohne sich ihr nähern zu dürfen, das hinterließ seine Spuren. Er war völlig aus dem Gleichgewicht.

Beim Betreten seines Zeltes fiel ihm sofort die Notiz auf seinen Kopfkissen auf. Verwirrt griff er nach dem Zettel mit dem Senderlogo.

Niemand hier hinterließ anderen Mitarbeitern privat irgendwelche Nachrichten. Es musste sich wohl um einen Scherz handeln, den sich die Produktionsassistenten ausgedacht hatten. Sie hatten sich auch gegenseitig schon Streiche gespielt und schienen nun die alten Hasen ins Visier zu nehmen.

Sein Erstaunen wuchs, als er die unverkennbar weibliche Handschrift bemerkte. Dann las er die Notiz.

Nein, das musste ein Witz sein!

Er erinnerte sich, dass er heute mit Heidi kurz über die Cullen-Zwillinge geredet hatte. Offenbar war sie dadurch auf dumme Gedanken gekommen. Wie sonst sollte er sich diese Nachricht erklären, die mit „Shannen“ unterschrieben war und ihn noch heute Abend an einen ganz besonderen Ort bestellte?

Ty konnte gar nicht darüber lachen. Für ihn war das nicht lustig, sondern erschreckend. Hatte er sich verraten? Er hatte geglaubt, Shannen gegenüber völlig unbeteiligt zu bleiben, während er sie filmte. Hatte ihn trotzdem jemand durchschaut?

Natürlich würde er nicht zu dem Treffpunkt gehen, sondern so tun, als wäre nichts passiert. Das war die beste Art, auf einen solchen Scherz zu reagieren.

Aber wenn nun die Nachricht tatsächlich von Shannen stammte?

Er versuchte eine logische Erklärung zu finden. Wie könnte Shannen an das Papier mit dem Senderlogo gekommen sein?

Paradoxerweise fiel ihm eine Antwort ein. Wenn sie es geschafft hatte, sein Zelt ausfindig zu machen, dann dürfte sie auch keine Schwierigkeiten gehabt haben, auf dem Weg durch das Camp der Crew Briefpapier des Senders in die Hand zu bekommen.

Sollte er nachher zu dem Stelldichein gehen?

Natürlich nicht!

Die nächsten beiden Stunden verbrachte Ty damit, das Für und Wider abzuwägen und entschied schließlich, dass er hingehen würde. Und falls dort einer der Produktionsassistenten auftauchen würde, würde er herzlich lachen und dann seinerseits den- oder diejenige beschuldigen, glühend für Jed, Rico oder Cortnee zu schwärmen und dem Betreffenden jede Nacht fingierte Briefchen von seinem Schwarm aufs Kopfkissen legen. Anschließend würde er Reggie und die anderen Kameraleute in den Spaß einweihen.

Dafür, dass die Produktionsassistenten sein Faible für Shannen – okay, vielleicht grenzte es schon an Obsession – bemerkt hatten, würde er ihnen das Leben zur Hölle machen.

„Du bist also tatsächlich gekommen“, sagte Shannen. Es klang weniger nach einer Feststellung als nach einer Anklage. Das helle Licht des Vollmonds setzte ihr Gesicht wirkungsvoll in Szene. Die exotischen Düfte der tropischen Pflanzen erfüllten die immer noch warme Luft, und man hörte die Schreie der Nachtvögel.

Ty konnte die Augen nicht von Shannen lassen und wunderte sich, dass er immer noch am Leben war, wenn sein Herz so raste.

Aber Shannen trug eine ebenso kühle und unbewegte Miene zur Schau, wie sie es schon die ganze Zeit vor der Kamera getan hatte. Ihr war nicht anzumerken, ob sie aufgewühlt sie war. Und so gab sich Ty ebenfalls den Anschein von Ungerührtheit.

Er zuckte mit den Schultern. „Ich muss zugeben, dass ich von der Notiz mit deiner Bitte, hierher zu kommen, sehr überrascht gewesen bin“, erwiderte er in beiläufigem Ton. „Ich bin neugierig. Wie hast du es geschafft?“

„Ich habe es geschafft, okay?“ Sie blitzte ihn mit ihren blauen Augen an.

„Okay.“ Er wartete darauf, dass sie ihm verriet, warum sie ihn zu diesem Treffen aufgefordert hatte. Denn obwohl er es taktvoll als „Bitte“ umschrieben hatte, war es tatsächlich eine Aufforderung gewesen, was sie beide wussten.

Und nun waren sie beide hier.

Shannen sagte kein Wort mehr.

Ty vermutete, dass sie darauf wartete, dass er das Gespräch beginnen würde. Und gleichgültig, wie lange die Stille anhalten würde, sie war anscheinend nicht gewillt, das Schweigen zu brechen.

Er seufzte. „Du verfolgst eine Strategie, nicht wahr? Kannst du für ein paar Minuten mit diesem Spielchen aufhören und …“

„Entweder man spielt selbst, oder es wird mit einem gespielt. So funktioniert das doch, oder?“, erklärte sie spöttisch. „Nun, da du in mir eine Superstrategin siehst, kennst du wohl auch meine angebliche Strategie?“

„Komm ein bisschen runter von deinem hohen Ross. Ich habe nicht gesagt, dass ich dich für eine Superstrategin halte. Bestimmt nicht.“ Sie bedachte ihn mit einem ebenso wütenden wie verächtlichen Blick, der furchtsamere Männer als ihn in die Flucht geschlagen haben würde. Aber Ty war nie besonders ängstlich gewesen, also blieb er völlig ruhig. Es freute ihn, dass er ihr diesen kleinen Seitenhieb versetzt hatte. „Der Trick ist etwas für Anfänger bei Psychospielchen. Du glaubst, dass du im Vorteil bist, wenn ich fragen muss, warum du mich zu diesem Treffen aufgefordert hast, Süße.“ Er hatte absichtlich das Wort „aufgefordert“ verwendet, weil es genau die richtige Bezeichnung war für das, was sie getan hatte. Und er hatte es deutlich betont. Er war sicher, dass es sie ärgern würde.

„Nenn mich nicht Süße! Und es war eine höfliche Bitte, keine Aufforderung“, entgegnete sie.

„Du gibst kein bisschen nach, hm?“ Er lachte und fühlte sich plötzlich seltsam unbeschwert. „Wie in alten Zeiten.“

„Versuchst du, ironisch zu sein? Wenn ja, funktioniert es nicht. Vergiss einfach, dass ich diese dumme Notiz geschrieben habe und …“

„Angenommen, ich unterwerfe mich stattdessen freiwillig deiner Superstrategie? Warum hast du mich höflich darum gebeten, dich hier zu treffen?“

Shannen holte tief Luft. „Ich will, dass du aufhörst, mir ständig zu folgen.“

Ty war perplex. „Du machst Witze“, murmelte er, obwohl ihr Tonfall nicht darauf hindeutete. „Oder versuchst du vielleicht, ironisch zu sein? Du kennst doch die Gegebenheiten …“

„Du weißt genau, was ich meine“, schnitt sie ihm das Wort ab.

„Ganz sicher nicht. Und vergiss bitte nicht, dass du es warst, die mich heute Abend sehen wollte. Es wird interessant sein, zu hören, wie du mir erklärst, warum ich dir nicht folgen soll, wenn du selbst mich zu diesem Treffen aufforderst.“

Shannen funkelte ihn zornig an.

Ty grinste und konnte der Versuchung nicht widerstehen, sie noch wütender zu machen. „Sicher müsstest du mich mit einem Punkt dafür belohnen, wenn ich erwidere, dass ich meine Arbeit zu erledigen habe und du deine Rolle als Kandidatin zu spielen hast?“

„Das geht weit über jeden Job oder jede Rolle hinaus, und das weißt du. Ich habe bemerkt, wie du mich ansiehst. Du starrst mich die ganze Zeit an und filmst mich fast immer. Versuch erst gar nicht, es zu leugnen.“

„Ah, zusätzlich zu deinen vielen anderen reizenden Eigenschaften bist du auch noch paranoid … mein kleines Mädchen“, fügte er spitz hinzu.

Sie sprang sofort darauf an. „Ich bin nicht dein kleines Mädchen, du … du …“

„Herablassender, selbstgerechter Schuft?“, schlug er vor. „Oh ja, daran erinnere ich mich, Shannen. Ich erinnere mich an alles. Aber ich war nicht sicher dass du das tust. Zumindest bis ich heute Abend deine Nachricht erhalten habe.“

„Du dachtest, dass ich mich nicht an dich erinnere?“ Einen Moment lang wirkte Shannen wirklich überrascht, aber dann wurde sie schnell wieder feindselig. „Nun, das habe ich – und ganz offensichtlich passt die Beschreibung immer noch auf dich. Du bist immer noch herablassend, immer noch selbstgerecht und immer noch ein Schuft!“

„Wie willst du das wissen? Das ist das erste Mal, dass wir miteinander reden, seit …“

„Jemand wie du ändert sich nie. Ich weiß, ich kann…“

Sie hielt abrupt inne, als er näher kam.

„Du kannst was?“ Er stand jetzt direkt vor ihr und überragte sie.

Er nahm ihren mit Salzwasser und Sonnencreme vermischten, verführerischen Duft wahr. „Du kannst was?“, fragte er heiser.

Sie schluckte. „Ich … ich habe es vergessen.“

„Wir wäre es dann damit? Du kannst beweisen, dass du kein kleines Mädchen mehr bist?“

Ty neigte ganz langsam den Kopf, machte aber keinen Versuch, sie mit den Händen festzuhalten oder ihr den Weg zu versperren.

Shannen hätte ganz leicht einen Schritt zur Seiten machen, ihn wegschieben können oder ihn auch einfach auffordern können, Abstand zu halten. Aber stattdessen hob sie ganz langsam die Arme und legte sie ihm um den Nacken. Dann sahen sie sich lange in die Augen. Er beobachtete, dass ihre Lider leicht flatterten, als er mit seinem Mund ihre Lippen berührte.

Was als leichte, zaghafte Liebkosung begann, entwickelte sich schnell zu etwas ganz anderem. Der folgende Kuss war heiß und leidenschaftlich. Ty murmelte ein paar unverständliche Worte, als sie die Lippen teilte.

Shannen überließ sich ganz seinem Kuss, den er vertiefte. Er spürte ihre Hingabe, schob sein Knie zwischen ihre Oberschenkel und presste sie an sich. Begierig strich er über ihren Körper, als wolle er sich jede Kurve einprägen.

Je länger der Kuss dauerte, desto leidenschaftlicher wurde er, und Ty spürte sein wachsendes Verlangen. Er sank mit Shannen auf den Boden und legte sie auf sich. Geschickt öffnete er mit einer Hand den Verschluss ihres im Nacken von einem Träger gehaltenen Tops und entblößte ihre Brüste. Als er eine der weichen Rundungen Hand umfasste, stöhnte er vor Lust.

Doch innerhalb eines Sekundenbruchteils lag er plötzlich allein im Sand. Shannen hatte sich blitzschnell von ihm gelöst und war aufgesprungen.

„Nein!“, rief sie und nestelte am Verschluss ihres Tops herum, den er so mühelos geöffnet hatte. Da sie sich aber weit weniger geschickt anstellte, hielt sie schließlich den Träger einfach mit der Hand fest.

Ty war ebenfalls aufgestanden. „Lass mich dir damit helfen.“

Sie wich vor ihm zurück, als ob er gefährlich wäre. „Geh weg! Ich habe dir gesagt, dass du dich von mir fern halten sollst.“

„Ja, das hast du.“ Er lächelte sarkastisch. „Aber deine Botschaft war – hm, wie kann ich es taktvoll ausdrücken? – nicht ganz eindeutig.“

Sie wurde knallrot vor Verlegenheit. „Du bist eine Ratte!“

„Ich bin schon übler beschimpft worden.“ Er fuhr sich durch die dunklen Haare. „Noch etwas?“

„Ich weiß nicht, was du hier machst, oder wer du vorgibst zu sein und warum. Aber ich traue dir nicht!“

„Danke.“ Er lachte leise. „Lass mich das Kompliment zurückgeben. Ich traue dir auch nicht.“

Autor

Barbara Boswell
Barbara Boswell war als Krankenschwester tätig, bis sie sich ganz der Kindererziehung widmete. Sie begann 1983 zu schreiben und veröffentlichte 22 Romane.
Mehr erfahren