Eine zweite Chance für Dr. Ashwood

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Der Chirurg Dr. Daniel Ashwood ist verwirrt: Als er Louise in England traf, war sie so zärtlich und anschmiegsam, doch jetzt zeigt sie ihm bei jeder Gelegenheit die Krallen - dabei ist er nur ihretwegen nach Australien gezogen! Was verbirgt die schöne Krankenschwester vor ihm?


  • Erscheinungstag 01.06.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733747206
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

„In der Kinderkrippe wird es ihm doch gut gehen, oder?“ Louise schaute auf ihren schlafenden Sohn im Tragesitz. Ein kleines Lächeln huschte über Declans Gesicht, und seine Augenlider zuckten leicht in seinem Babytraum. Von dem schlechten Gewissen, das seine Mutter quälte, merkte er nichts.

„Na klar“, meinte Maggie stöhnend. Mit einem großen Becher Tee in der Hand stand sie im Bademantel im Flur der kleinen Wohnung. „Ich mache mir mehr Sorgen um seine Mutter. Wenn du deine Schuldgefühle nicht bald loswirst, landest du noch bei mir auf der Station!“

Ein schlechter Scherz, wie Louise fand, denn Maggie war Krankenschwester in der Psychiatrie.

„Es ist doch normal, wenn man sich am ersten Tag in einem neuen Job unsicher fühlt“, verteidigte sie sich. „Und heute ist mein erster Arbeitstag seit Declans Geburt. Immerhin stille ich ihn ja noch.“

„Als ob ich das vergessen könnte! Die ganze Nacht habe ich deine Milchpumpe gehört. Du hast wahrscheinlich genug Milch in der Kühltasche, um die gesamte Krabbelgruppe zu versorgen.“ Maggies Lachen schwand jedoch, als sie Louises ängstliche Miene sah.

„Er wird dort gut versorgt“, meinte sie sanft. Sie stellte ihren Becher ab und umarmte Louise. „Er ist bloß ein paar Minuten über den Flur von dir entfernt. Und in der Krippe vom Krankenhaus werden sie ihn knuddeln und verwöhnen, während seine Mummy gutes Geld verdient.“

„Ich weiß.“ Louise schniefte leicht. „Ehrlich gesagt, mache ich mir nicht nur Sorgen wegen Declan. Ich habe das Gefühl, als hätte ich alles komplett vergessen.“

„Sobald du auf Station bist, kommt es wieder.“

„Meinst du wirklich?“, fragte sie zweifelnd.

„Garantiert“, erklärte Maggie überzeugt. „Außerdem bist du Aushilfs-Krankenschwester. Man wird kaum von dir erwarten, dass du gleich den ganzen Laden schmeißt. Du kannst ganz in Ruhe wieder einsteigen. Schließlich warst du vor über einem Jahr Stationsschwester auf der Intensivstation eines der größten Krankenhäuser in London. So sehr kann dir die Geburt das Hirn gar nicht vernebelt haben!“

„Warst du nervös, als du nach Melbourne gekommen bist und noch mal von vorne angefangen hast?“

„Nein.“ Maggie lachte. „Aber ich arbeite in der Psychiatrie. Die Menschen sind überall gleich, egal, auf welcher Seite der Erde. Also geh schon!“ Sie hob den Tragesitz auf und reichte ihn Louise. „Soll ich dir helfen, die Sachen runterzutragen?“

„Nein, danke.“ Louise schüttelte den Kopf. Doch als sie an dem kaputten Lift vorbeikam und mühsam Tragesitz, Windeltasche, Handtasche und Baby die Treppe hinunterschleppte, verwünschte sie ihren Stolz.

Sie schnallte Declan auf dem Rücksitz ihres Wagens an, stieg ein und schaltete die Scheinwerfer ein. Die Uhr auf dem Armaturenbrett zeigte sechs Uhr dreißig. Louise war unendlich dankbar, dass Maggie da war. Sie hatten sich vor zwei Jahren am anderen Ende der Welt kennengelernt. Für Louise hatte gerade das große Abenteuer ihres Lebens begonnen – ein Arbeitsurlaub in England.

Einmal, während einer Nachtschicht, war Maggie zufällig auf die chirurgische Station gekommen. Sie musste einen ihrer Patienten betreuen, der einen Selbstmordversuch unternommen hatte. Wie bei Nachtschwestern üblich, waren sie miteinander ins Gespräch gekommen und hatten sich sofort prima verstanden.

Beide liebten Schuhe, hassten jedoch Pediküre. Beide hatten einen Dispokredit, bei dem die meisten Normalsterblichen in Ohnmacht gefallen wären. Und beide warteten auf Mr. Perfect.

„Und zwar den wahren Mr. Perfect“, hatte Louise betont. „Jemand, bei dem ich noch mit fünfzig weiche Knie kriege.“

„Einen, der reich ist“, hatte Maggie geseufzt. „Einer, der sich meine Fettabsaugung und mein Botox leisten kann, wenn ich fünfzig bin!“

Es stellte sich heraus, dass sie eine Mitbewohnerin suchte, und Louise war genau die Richtige.

Aber die Zeiten hatten sich geändert, und nun machte Maggie einen Arbeitsurlaub in Australien. Da Louise in ihrer kleinen Mietwohnung ein Zimmer frei hatte, konnte Maggie gleich dort einziehen.

1. KAPITEL

„Verzeihung, wie war Ihr Nachname noch mal?“

„Andrews“, wiederholte Louise. Mit der Handtasche über der Schulter blieb sie unbehaglich stehen, während alle anderen saßen.

Vor der versammelten Übergabe-Mannschaft gab eine sehr hübsche, aber sichtlich verärgerte Krankenschwester Louises Angaben telefonisch an die Pflegeleitung weiter. Louise fühlte sich ohnehin schon verlegen genug in ihrer neuen dunkelblauen Uniform, den ebenfalls neuen blauen Schuhen und dem mit einem blauen Haarband zusammengebundenen langen dunklen Locken. Und jetzt schien die diensthabende Schwester über ihre Anwesenheit auch noch keineswegs erfreut zu sein.

„Hi, Kelly. Hier ist Elaine von der Akutchirurgie. Ich habe hier eine Louise Andrews aus der Aushilfskartei. Sie behauptet, dass sie die nächsten vier Wochen als Ersatz für Delia einspringen soll. Aber Delia war heute zur Spätschicht eingetragen.“

Es entstand eine lange Pause, in der man die Pflegekräfte der Nachtschicht laut gähnen hörte.

„Wie kann es angehen, dass sie vier Wochen lang nur Frühschicht macht?“, fragte Elaine verblüfft. „Wenn die Aushilfe Delia ersetzen soll, müsste sie doch wohl auch ihren Dienstplan übernehmen!“

Wieder folgte eine lange Pause. Vor einem Jahr hätte Louise wahrscheinlich sofort nachgegeben, nur um dieser unangenehmen Situation zu entgehen. Aber inzwischen hatte sich vieles geändert. Daher harrte sie tapfer aus, bis Elaine ihr mit einem äußerst gequälten Seufzer das Telefon reichte. „Die Pflegeleiterin möchte mit Ihnen sprechen. Könnten Sie bitte nach draußen gehen, damit wir hier mit der Übergabe weiterkommen?“

Wortlos und erstaunlich ruhig nahm Louise das Telefon, ging auf den Korridor, schloss die Tür hinter sich und lehnte sich an die Wand.

„Macht Elaine Ihnen das Leben schwer?“ Die Pflegeleiterin lachte. „Ich bin übrigens Kelly.“

„Hi, Kelly.“ Louise war erleichtert, eine freundliche Stimme zu hören. „Anscheinend möchte Elaine, dass ich Delias Schichten übernehme. Aber das ist unmöglich. Ich habe bei meinem Einstellungsgespräch bereits gesagt, dass ich ausschließlich Frühschicht und auch nur an Werktagen arbeiten kann.“

„Keine Sorge“, meinte Kelly. „Das ist doch genau der Vorteil, wenn man Aushilfsschwester ist, dass man sich die Arbeitszeiten aussuchen kann. Elaine sollte sich glücklich schätzen, dass wir ihr eine erfahrene Chirurgie-Pflegekraft schicken konnten. Haben Sie ihr gesagt, wie qualifiziert Sie sind?“

„So weit sind wir gar nicht erst gekommen“, gestand Louise.

„Tja, es gab nur die Möglichkeit, entweder Sie und vier Wochen Frühschicht oder eine junge Krankenschwester frisch von der Ausbildung. Als Stationsschwester auf der Chirurgie wüsste ich, wer mir lieber wäre!“

„Ich kann also bleiben?“

„Natürlich. Sie werden sich hier wohl schnell ein dickes Fell zulegen müssen, Louise. Die Aushilfskartei ist noch ziemlich neu. Und manche Mitarbeiter können sich schlecht an den Gedanken gewöhnen, dass eine Aushilfe sich ihre Arbeitszeiten aussuchen kann, einen höheren Stundenlohn bekommt und auch noch das Fitness-Studio und die Kinderkrippe nutzen darf. Weisen Sie sie ruhig darauf hin, dass Sie weder einen sicheren Arbeitsplatz haben noch Anspruch auf Krankengeld oder einen Jahresurlaub.“

Kelly wollte sicher nur helfen, aber als sie die Nachteile einer Aushilfskraft aufzählte, spürte Louise wieder diesen Knoten in ihrem Magen. Über ihre schwierige Jobsituation wollte sie sich momentan lieber keine Gedanken machen.

Kelly fuhr fort: „Letztendlich ist es für unser Krankenhaus viel besser, ein eigenes Team an Aushilfen aufzubauen. Sie lernen die einzelnen Stationen kennen, und wir lernen Sie kennen. Also hat jeder was davon.“

„Danke“, meinte Louise. „Dann gehe ich jetzt mal wieder zur Übergabe rein.“

„Klar. Ach, Louise“, setzte Kelly noch hinzu. „Gleich nachdem Sie auf der Chirurgie aufhören, wird in der Ambulanz jemand für acht Wochen gebraucht. Die Dienstzeit ist von acht bis vier, mittwochs bis fünf. Der Job ist vielleicht nicht ganz so interessant, wie Sie es gewohnt sind, aber die Arbeitszeiten sind toll. Und Sie wüssten zumindest, wo Sie eine Weile bleiben könnten.“

„Klingt super.“ Louise war begeistert. „Wo muss ich mich bewerben?“

„Sie müssen nur Ja sagen.“ Kelly lachte. „Kann ich Sie dafür eintragen?“

„Oh ja, gern.“

„Abgemacht. Ich lege Ihnen die Unterlagen ins Fach. Und falls Sie noch mehr Probleme mit Elaine haben sollten, rufen Sie mich an. Aber gegen elf werde ich sowieso bei Ihnen auf der Station sein. Dann können wir uns persönlich kennenlernen. Willkommen im Melbourne General!“

Selbst Elaines säuerliche Miene konnte Louise die gute Laune nicht mehr nehmen, als sie ins Schwesternzimmer zurückging.

„Wir sind bei Bett neun.“ Ihre Nachbarin schob ihr einen Übergabebogen zu, während die Nachtschwester über die Patienten Bericht erstattete. „Den Rest erzähle ich dir nachher. Ich bin übrigens Shona.“

„Vielen Dank, Shona.“ Louise lächelte und überflog dann rasch den Bogen, der glücklicherweise die Namen und Daten aller Patienten enthielt. Trotz der Startschwierigkeiten mit Elaine an diesem Morgen war Louise fest entschlossen, diesen Tag zu genießen. Sie freute sich, endlich wieder zu arbeiten, denn sie liebte ihren Beruf. Das konnte ihr niemand verderben, außer …

Zimmer 3, Alter: 35, Danny Ashwood, Unterleibsschmerzen.

Louise erstarrte sekundenlang, als sie die wenigen Informationen über den Patienten in Zimmer 3 noch einmal las. Gleichzeitig versuchte sie sich auf den Bericht über den Patienten in Zimmer 10 zu konzentrieren.

Er kann es nicht sein, dachte Louise und schrieb eine komplizierte Medikamentenanweisung auf. Nein, unmöglich. Daniel lebte in England. Als ob er nach Melbourne kommen würde!

Außerdem hieß dieser Patient Danny, und Daniel kürzte seinen Namen niemals ab. Sicher gab es jede Menge fünfunddreißigjähriger Danny Ashwoods auf der Welt. Louise schüttelte den Kopf.

„Gut!“ Nach der Übergabe blickte Elaine zuerst auf ihre Unterlagen und sah dann ihre Kolleginnen an, um sie für die Patientenbetreuung einzuteilen. „Haben Sie irgendwelche Erfahrungen in der Akutchirurgie, Louise?“

„Ja, durchaus.“ Sie nickte. „Ich habe auf einer Intensivstation …“

„Okay“, fiel Elaine ihr ins Wort. „Ich gebe Ihnen heute Morgen ein paar leichte Fälle, und dann können Sie sonst noch überall einspringen, wo Sie gebraucht werden. Die Patienten von Bett vier bis acht sollen heute alle nach der Morgenvisite entlassen werden. Könnten Sie das bitte übernehmen? Ich nehme Bett eins bis drei, könnte aber vielleicht Hilfe bei Jordan in Zimmer eins gebrauchen. Er ist gerade mit einem Luftröhrenschnitt von der Intensivstation zu uns verlegt worden. Kennen Sie sich mit Tracheotomien aus?“ Obwohl Louise nickte, fuhr Elaine fort: „Wenn nicht, rufen Sie mich oder Shona, falls Sie sich in irgendeiner Weise unsicher sind.“

Sie wandte sich der nächsten Kollegin zu, und Louise fühlte sich ziemlich ernüchtert. Zwei Wochen lang hatte sie sich vor diesem Tag gefürchtet und all ihre Lehrbücher gewälzt. Eigentlich hätte sie froh sein können, dass man ihr den Einstieg leicht machte, aber sie war dennoch enttäuscht.

„Ich zeig dir erst mal alles“, meinte Shona. Dankbar nahm Louise nahm das Angebot an.

„Mach dir keine Sorgen“, sagte Shona trocken auf dem Flur. „Elaine ist am ersten Tag zu jedem so nett. Ich glaube, sie will von vornherein klarstellen, wer hier der Boss ist.“

„Na, das hat sie ja nun sehr deutlich getan“, gab Louise ebenso trocken, aber mit einem Lächeln zurück. Sie mochte Shona auf Anhieb.

Diese lachte. „Dann legen wir mal los. Die ganze Station ist etwa wie ein H angelegt. Die Patientenzimmer liegen auf beiden Seiten. Einige Einzel- und Doppelzimmer mit den schwierigsten Fällen sind in der Mitte in der Nähe des Schwesterntresens. Dabei handelt es sich um Bett eins bis drei und Bett fünfundzwanzig bis achtundzwanzig.“

„Dann geht es dem Patienten von Zimmer drei wohl ziemlich schlecht?“ Louise errötete unwillkürlich, als sie versuchte, ein paar zusätzliche Informationen über den mysteriösen Danny Ashwood herauszufinden. Aber Shona lachte nur.

„Dass es ihm äußerst peinlich ist, trifft es wohl eher“, erwiderte sie belustigt und ging weiter.

Louise bemühte sich, dem Rundgang aufmerksam zu folgen. Doch immer wieder wurde ihr Blick geradezu magisch von der geschlossenen Tür zu Zimmer drei angezogen.

„Du hast dich bestimmt bald eingewöhnt“, sagte Shona, sobald sie wieder am Ausgangspunkt angelangt waren. „Die Anzeigetafel leuchtet auf, wenn ein Patient klingelt. Rot heißt, dass noch niemand reagiert hat. Grün bedeutet, dass eine Pflegekraft drin ist. Und hier steht der Notfallwagen. Willst du ihn mal mit mir durchgehen? Ich muss ihn heute sowieso überprüfen. Dann können wir das auch jetzt gleich machen.“

„Ja, gerne“, antwortete Louise. Bei einem akuten Notfall war es wichtig, mit dem Inhalt des Wagens vertraut zu sein.

„Es ist alles ziemlich standardmäßig.“ Shona zog die Liste hervor und las die einzelnen Bestandteile davon ab, während Louise diese auf das Ablaufdatum und die korrekte Reihenfolge hin kontrollierte.

„Wie lange arbeitest du hier schon?“, fragte sie.

„Sechs Monate, und zwar ohne Unterbrechung.“ Shona lächelte. „Hier ist einfach immer unglaublich viel zu tun. Aber es ist eine gute Erfahrung. So, wenn du dich zurechtfindest, dann mache ich mich mal an die Arbeit.“

„Klar. Und sag Bescheid, wenn du Hilfe brauchst“, meinte Louise. „Mit den Patienten, die ich zugeteilt bekommen habe, werde ich mich nicht gerade überarbeiten. Die werden ja alle entlassen.“

„Verlass dich nicht zu sehr darauf.“ Shona verdrehte die Augen, als die Anzeigetafel aufleuchtete. „Da rufen mich schon zwei meiner Patienten.“

„Soll ich einen übernehmen?“

„Erledige lieber erst mal deine eigene Arbeit. Ich ruf dich, sobald ich dich brauche.“

Es gab nichts Schlimmeres, als wenig zu tun zu haben, während alle anderen auf Hochtouren arbeiteten. Elaine bereitete die Visite vor, und die übrigen Kolleginnen liefen geschäftig hin und her.

„Soll ich Jordan waschen und ihm seine Sondennahrung geben?“, bot Louise an, als Elaine herübereilte, um einige Röntgenaufnahmen für die Ärzte zu holen.

Doch sie schüttelte den Kopf. „Lassen Sie ihn. Er hatte eine harte Nacht und ist erst gegen vier Uhr morgens eingeschlafen. Ich versorge ihn gleich nach der Visite.“ Plötzlich ging ein Lächeln über ihr Gesicht, und Louise sah, wie attraktiv Elaine eigentlich war. Wenn sie mal nicht finster dreinblickte, sah sie ganz reizend aus.

Nicht dass sie etwa Louise anlächelte. Diese musste nicht einmal über die Schulter schauen, um zu wissen, wer gerade durch die Tür gekommen war. Mit einem stummen Seufzer trat Louise beiseite, als sich eine Gruppe von Männern in dunklen Anzügen näherte. Offensichtlich war die Facharzt-Visite weit über ihrem Stand.

Früher war das einmal anders gewesen. Plötzlich wurde Louise von einer heftigen Welle der Nostalgie erfasst, und sie flüchtete hinter den Schwesterntresen. Den Tränen nahe, erinnerte sie sich daran, wie sie als Stationsschwester die Visite begleitet hatte. Nach einem Jahr in einem berühmten Londoner Lehrkrankenhaus hätte sie bei ihrer Rückkehr jeden Job haben können. Aber sie war eben Daniel Ashwood begegnet.

Ein kurzer Flirt auf der Station hatte zu einem Date geführt, und dann … Noch immer konnte Louise es kaum fassen, dass sie gleich an jenem ersten Abend mit Daniel im Bett gelandet war. Aber es hatte sich so richtig angefühlt. Die Anziehung zwischen ihnen war so intensiv und überwältigend gewesen, dass es gar nicht anders hätte laufen können. Es war, als hätte sie das Tor zum Paradies aufgestoßen. Doch selbst das Paradies hatte seine Schattenseiten.

Danny Ashwood.

Sie starrte auf ihre Übergabe-Notizen. Auch wenn er es gar nicht sein konnte, fühlte es sich irgendwie tröstlich an, seinen Namen geschrieben zu sehen. Doch dann rief Louise sich energisch zur Vernunft. Daniel Ashwood war nun wirklich der Letzte, dem sie begegnen wollte. Um sich selbst von der quälenden Ungewissheit zu erlösen, stand sie auf. Sie beschloss, einfach mal bei dem Patienten von Zimmer drei hineinzuschauen und zu fragen, ob alles okay war.

„Hat Danny geklingelt?“

Die Hand auf der Türklinke, zuckte Louise zusammen, als Elaine herbeieilte.

„Sorry.“ Louise lächelte entschuldigend. „Ich habe die Zimmer verwechselt. Ich dachte, das hier ist Zimmer vier. Ich wollte das Bett abziehen, da der Patient nach Hause gegangen ist.“

„Dann ist es ja gut, dass ich Sie aufgehalten habe. Danny braucht seine Ruhe. Wenn er klingelt, sagen Sie mir bitte sofort Bescheid. Dann kümmere ich mich um ihn. Ich habe gerade einen Krankenwärter gebeten, Zimmer vier sauber zu machen. Wir kriegen gleich eine Neuaufnahme direkt aus dem OP, einen jungen Mann mit einer Stichwunde in der Leiste.“

„Danke.“ Louise wunderte sich ein wenig über Elaines besitzergreifende Reaktion. Aber bei Jordan war es genauso gewesen.

Im Laufe des Vormittags wurde Louises Interesse an dem Patienten von Nummer drei immer größer. Immerhin legte Elaine erst noch frischen Lippenstift und Parfum auf, ehe sie zu ihm hineinging. Doch wenigstens hatte Louise jetzt etwas zu tun. Sobald der Krankenwärter das Zimmer gereinigt hatte, bereitete sie alles für den angekündigten Patienten vor.

„Kriegst du einen Neuen?“, fragte Shona, die ihr beim Bettbeziehen half.

„Stichwunde in der Leiste“, erklärte Louise. „Er wird grade operiert.“ Schließlich hielt sie es nicht mehr aus. „Was hat denn der Patient nebenan?“, erkundigte sie sich möglichst beiläufig, wobei sie das Kissen aufschüttelte. „Ich bin versehentlich beinahe reingegangen, und Elaine meinte, dass ich unbedingt ihr Bescheid geben sollte, sobald er klingelt. Ist er in Quarantäne?“

„Oh nein!“ Shona lachte. „Nichts dergleichen. Elaine glaubt wahrscheinlich, dass sich nur die Stationsschwester persönlich um ihn kümmern darf. Er ist einer unserer Oberärzte.“

„Tatsächlich?“, brachte Louise mühsam hervor.

„Ja. Elaine versucht ihn wohl mit ein bisschen Extra-Fürsorge zu beglücken. Aber sie kann sich so viel Parfum aufsprühen und Lippenstift auflegen, wie sie will. Diese Nuss wird sie nicht knacken.“

„Ich kann nicht ganz folgen.“

„Ach ja, du hast den Anfang der Übergabe verpasst.“ Shona vergewisserte sich, dass niemand in der Nähe war, lehnte sich dann übers Bett und flüsterte verschwörerisch: „Na ja, falls du doch mal zu ihm reingehst, solltest du lieber wissen, dass er nicht etwa wegen Unterleibsschmerzen hier ist. Er hatte beim Kricket-Spielen gestern einen recht schmerzhaften Unfall. Die Ashwood-Kronjuwelen sind zwar im Augenblick blauschwarz verfärbt, aber zum Glück gerettet und voll funktionsfähig!“

Louise war verwirrt. „Wie bitte?“

„Er hat eine Hodenquetschung, der Ärmste!“ Shona grinste und verzog zugleich schmerzlich die Miene. „Sehr unangenehm. Er wurde gestern Nachmittag operiert und musste dann noch mal wegen eines Hämatoms nachoperiert werden. Von der zweiten OP ist er erst heute Morgen um sechs zurückgekommen. Bestimmt will der arme Kerl nur nach Hause und hat überhaupt keine Lust zum Flirten. Eigentlich schade, er sieht nämlich toll aus!“

„Ich habe mal mit einem Chirurgen gleichen Namens zusammengearbeitet. Allerdings hieß er Daniel.“ Ihr Herz hämmerte wie wild, denn Louise war hin- und hergerissen zwischen Furcht und Hoffnung. „Und das war in London.“

„Danny kommt aus London“, meinte Shona achselzuckend. „Er macht hier einen Austausch für ein Jahr. Vielleicht ist er es ja?“ Sie schaute sich im Zimmer um. „Ich hole mal ein Krankenhemd und eine Nierenschale für unseren Neuzugang. Dann kannst du deine Kaffeepause noch machen, bevor er hochkommt.“

Louise fühlte sich wie benommen. Alle Farbe wich aus ihren Wangen. Sie sank aufs Bett und schlug sich die Hände vors Gesicht. Wie sollte sie damit klarkommen, wenn es wirklich Daniel war?

„Jordan muss dringend abgesaugt werden!“ Eine Schwesternschülerin kam ängstlich den Korridor entlanggerannt. „Seine Atmung hört sich schrecklich an.“

Sofort sprang Louise auf. „Was ist passiert?“ Sie eilte über die Station, denn obwohl es sich um Elaines Patient handelte, konnte jemand mit Atemschwierigkeiten nicht warten. „Wer ist bei ihm?“

„Nur ich“, sagte die Schülerin. Dann brach sie ab, als ihr bewusst wurde, was sie getan hatte.

Louise wollte sie später ermahnen. Jetzt war nicht die Zeit, um ihr zu sagen, dass sie einen Patienten mit Atmungsproblemen niemals allein lassen durfte. Schon von Weitem hörte man das angestrengte Keuchen, und Louise sprintete förmlich die letzten Meter.

„Es ist alles okay, Jordan“, sagte sie besänftigend, sobald sie im Zimmer war, und drückte sofort auf den Rufknopf.

Sie streifte Handschuhe über, um den Luftröhrenschlauch zu überprüfen. Erleichtert stellte sie fest, dass er sicher befestigt war. Jordan hatte vor zwei Monaten einen schweren Autounfall erlitten, verursacht durch Drogen, Alkohol und jugendlichen Leichtsinn. Abgesehen von seinen inneren Verletzungen hatte er auch Schädel- und Gesichtsverletzungen davongetragen. Da die Gesichtsverletzungen seine Atemwege beeinträchtigt hatten, war der Luftröhrenschnitt erforderlich gewesen. Nach einer kurzen Untersuchung wusste Louise, dass ein Schleimpfropfen seine Atmung blockierte.

Rasch schaltete sie das Absauggerät an und führte den Schlauch ein, während Jordan keuchend nach Luft rang.

„Es ist alles okay, Jordan“, meinte sie beruhigend. „Kräftig husten, dann wirst du gleich wieder normal atmen.“

„Sehr gut!“ Shona, die inzwischen dazugekommen war, rieb dem jungen Mann den Rücken, um ihn beim Husten zu unterstützen.

„Na also.“ Das Gerät machte ein gurgelndes Geräusch, gefolgt von Jordans lautem pfeifendem Husten, als es ihr gelang, den Pfropfen zu entfernen.

„Wie geht es ihm?“, fragte Elaine, die hereinrauschte und sich ebenfalls Handschuhe überstreifte.

„Besser“, antwortete Louise. „Der Schleimpfropfen ist weg, aber die tiefen Atemwege müssen noch abgesaugt werden.“

„Das mache ich.“ Sofort übernahm Elaine das Kommando. „Kelly möchte Sie sprechen.“

„Das kann warten, Elaine! Louise ist ja offensichtlich beschäftigt“, rief Kelly von der Tür her. Doch Elaine ließ sich nicht abhalten.

Louise zog sich die Handschuhe aus und wusch sich die Hände, ehe sie das Zimmer verließ.

Autor

Carol Marinelli
Carol Marinelli wurde in England geboren. Gemeinsam mit ihren schottischen Eltern und den beiden Schwestern verbrachte sie viele glückliche Sommermonate in den Highlands.

Nach der Schule besuchte Carol einen Sekretärinnenkurs und lernte dabei vor allem eines: Dass sie nie im Leben Sekretärin werden wollte! Also machte sie eine Ausbildung zur Krankenschwester...
Mehr erfahren