Feuermond in walisischer Nacht

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Burg Llanbadarn, 1157. „Nein!“, möchte Rhianon schreien, als sie mit dem hochgewachsenen Kriegerfürsten Peredur vor dem Altar steht. „Ich heirate dich nicht! Ich kenne dich nicht, ich will dich nicht!“ Aber sie hat keine Wahl, und so wird die blutjunge Witwe die Frau des mächtigen Walisers. Doch die Nächte in ihrer Schlafkammer versetzen sie in Erstaunen: Nicht rücksichtslos nimmt er sie wie ihr erster Ehemann, sondern allein auf ihre Lust kommt es Peredur an. Wie kann jemand, der sie nachts so sinnlich verwöhnt, tagsüber so kalt und distanziert sein? Sie beschließt, das geheimnisvolle Herz ihres Mannes zu erkunden …


  • Erscheinungstag 25.11.2025
  • Bandnummer 441
  • ISBN / Artikelnummer 0814250441
  • Seitenanzahl 256

Leseprobe

Lissa Morgan

Feuermond in walisischer Nacht

1. KAPITEL

Wales, Januar 1157

„Hat Euch der Bwgan die Zunge gestohlen?“

Die Worte schnitten durch die kalte Luft wie ein Messer und das Schwatzen der Versammelten fand abrupt ein Ende. Rhianon wandte den Kopf und blickte den Mann an ihrer Seite an, der sie ausgesprochen hatte.

Peredur ab Eilyrs graue Augen bohrten sich in die ihren. Sie glitzerten wie der Reif auf den Bäumen neben der Kirche von Llanbadarn. Selbst das Wetter an diesem Januartag schien mit seinen schweren grauen Wolken und dem sogar jetzt zur Mittagszeit noch reifbedeckten Boden ein schlechtes Omen für diese Ehe zu sein.

Dann folgte eine Bewegung seines Mundes, die beinahe ein Lächeln hätte sein können, jedoch nur voller Sarkasmus war. „Oder war es vielleicht die Kälte?“

Rhianons Gedanken rasten. Scherzte er? Gewiss nicht! In keiner der Geschichten, die sie über diesen Mann gehört hatte, den sie heute heiraten würde, war von Humor die Rede gewesen. Peredur Galon Gudd, Peredur mit dem verborgenen Herzen, so wurde er von Freunden und Feinden gleichermaßen genannt. Manche sagten, er habe überhaupt kein Herz …

„Ich …“ Rhianons Stimme versagte, als seine Augen sie durchbohrten und damit den eisernen Willen offenbarten, für den ihr Besitzer bekannt war – und das trotz seiner relativ jungen Jahre, denn er war noch nicht einmal siebenundzwanzig.

Der Schweiß lief zwischen ihren Brüsten herab, sodass ihr das Brautgewand unangenehm am Körper klebte. Konnten die fantastischen Geschichten, die sie über den Krieger ohne Herz gehört hatte, wirklich wahr sein?

Jemand hinter ihr rief etwas. „Mach schon, Mädel. Antworte dem Mann!“

Ihr Vater! Selbst jetzt beschämte er sie noch, indem er vor den Sippen beider Häuser seiner Verachtung für sie Ausdruck verlieh. Mit brennend roten Wangen warf Rhianon einen Blick über ihre Schulter dorthin, wo ihre Familienmitglieder standen und vor Kälte von einem Fuß auf den anderen traten.

Ihre Mutter hielt den Blick gesenkt, ihr jüngerer Bruder Llywelyn machte ein finsteres Gesicht und ihr älterer Bruder Rhodri sah einfach gelangweilt drein. Im Gegensatz dazu war das Gesicht ihres Onkels Edwin gelassen, die blicklosen Augen fast gänzlich unter seiner Mönchskutte verborgen.

Auch Peredurs Sippe wirkte verlegen, während sie in ihren Umhängen vor sich hin fröstelten. Doch da erhob jemand anderes die Stimme, laut, klar und gebieterisch. Der prächtig gekleidete Mann stellte alle anderen in den Schatten, die an diesem bitterkalten Tag um ihn herum versammelt waren.

Es war Lord Rhys ap Gruffudd, der Prinz von Deheubarth, der diese Verbindung zwischen zwei gegnerischen Chieftains – Rhianons Vater Cadwgan von Uwch Aeron und Peredurs Vater Eilyr von Penweddig – angeordnet hatte. Und so konnte nicht einmal das kälteste Winterwetter diese Eheschließung aufhalten.

Ust, Cadwgan, Eure Tochter ist nur nervös, wie es alle Bräute sind.“ Scharfe Augen, so schwarz wie sein sorgfältig gestutzter Bart, bohrten sich in die ihren. „Aber nun sprecht besser Euer Ehegelübde, bevor wir alle erfrieren!“

Das Lächeln des Prinzen schenkte Rhianon die Ermutigung, die von ihrer Familie hätte kommen sollen, jedoch ausgeblieben war. Und auf einmal überkam sie wie aus dem Nichts ein Anflug von Würde, gerade als der Himmel sich verdunkelte und es zu schneien begann.

Sie wandte sich wieder dem Priester zu, der vor der Kirchentür stand und in seiner langen Robe vor Kälte zitterte. Ja, sie war nervös, aber sie hatte ihre Zunge nicht vollkommen verloren, auch wenn ein bogle ihr einen Augenblick den Willen, sie zu nutzen, genommen hatte.

„Ich nehme Euch zu meinem anvertrauten Ehemann“, sagte sie und die Schneeflocken, die auf ihre Lippen fielen, schmolzen so schnell, wie sie gekommen waren.

Während sie vor dem Altar knieten und die Fliesen unter ihren Beinen spürten, die so kalt waren wie der Boden draußen vor der Kirche, war sich Peredur der Frau an seiner Seite überdeutlich bewusst. Rhianon ferch Cadwgan wirkte älter, als sie es mit ihren zweiundzwanzig Sommern war; zwar nicht mit ihrem Gesicht oder ihrer Figur, wohl aber in ihrer Haltung. Groß und schlank, wie sie war, und mit einer lockigen Mähne aus wilden schwarzen Haaren, die bis über ihre Taille fielen, war sie zudem wunderschön.

Ihre Augen hatten die Farbe des Enzians und waren von langen schwarzen Wimpern umsäumt, die so seidig waren wie die Flügel einer Motte. Ihr Gesicht war makellos, ihre Haut vollkommen, und ihre Lippen schienen so weich wie Herbsthimbeeren.

Zu weich für einen Mann wie ihn. Und zweifellos wusste sie das auch.

Als der Segen gesprochen und die Zeremonie vorbei war, erhob sich Peredur, griff nach den Händen seiner Braut und zog sie empor. Er empfing den Friedenskuss des Priesters und beugte sich dann hinab, um Rhianon zu küssen. Ihr Kinn hob sich und ihr Mund bot sich ihm gehorsam dar, doch ihre Augen waren verschleiert und blickten durch ihn hindurch, statt ihn anzuschauen.

Peredur kannte diesen Ausdruck gut. Er war es schon sein Leben lang gewohnt, dass die Menschen ihm aus dem Weg gingen, ihm misstrauten oder Angst vor ihm hatten – oder auch alle drei Dinge gleichzeitig. Zuerst waren es die Bewohner des Dorfes gewesen, in dem er geboren worden war, und danach Eilyrs Leute, die ihn nie ganz akzeptiert hatten, obwohl Eilyr ihn als Sohn adoptiert hatte.

Das Schlimmste von allem war jedoch die Feindseligkeit seiner Großmutter gewesen, die ihn aufgezogen hatte, nachdem seine Mutter bei seiner Geburt gestorben war.

Seine Geburt, seine Abstammung und seine ganze Erscheinung hatten ihn immer zu etwas Besonderem gemacht, zu jemandem, der anders war. Als Junge hatte es ihn tief verletzt. Als Mann hatte er gelernt, nicht mehr zuzulassen, dass es ihn so sehr schmerzte. Doch nun kam es wieder hoch und traf ihn so tief, als wäre er wieder sechs Jahre alt.

„Wünscht Ihr keinen Friedenskuss, Rhianon?“, fragte er.

Ihre Augen richteten sich auf ihn und auf einmal schwand sein Schmerz angesichts der tiefen Schönheit in ihnen – nein, nicht nur Schönheit, sondern auch Würde, Stolz und Mut.

„Warum sollte ich keinen Frieden wünschen, Mylord?“

„Weil Ihr so lange gezögert habt, Euer Gelübde zu sprechen, dass ich schon befürchtete, Ihr würdet Euch weigern, mich zu heiraten.“

In ihrer Antwort lagen sowohl ein Zittern als auch die leichte Schärfe des Widerstandes. „Das war mir nicht möglich. Ich hatte keine Wahl.“

Nein, sie hatte tatsächlich keine Wahl gehabt. Lord Rhys hatte diese Heirat angeordnet, um die beiden Familien an sich zu binden und so seine Herrschaft über Ceredigion zu stärken, das althergebrachte Land seiner königlichen Familie, welches er dem Prinzen von Gwynedd entrissen hatte.

Peredur hingegen hatte im Gegensatz zu Rhianon die Wahl gehabt. Er hatte sich entschieden zu heiraten, etwas, das er eigentlich nie hatte tun wollen. Er war immer der Meinung gewesen, dass ihm die Erwartungen einer Ehe und die Folgen, die daraus entstehen konnten, versagt waren. Er hatte sie sich selbst versagt, weil er schon lange vor Erreichen des Mannesalters geschworen hatte, nie zu einem solchen Mörder zu werden wie sein flämischer Vater.

Und doch hatte er sich nun entschieden, Rhianon zu heiraten – teils aufgrund einer entfernten Erinnerung, die eigentlich schon lange vergessen sein sollte, und teils, um sie vor seinem Bruder zu retten. Maelgwn war grausam und pervers. Nicht einmal Peredurs Schwur zur Keuschheit und seine Angst durften zulassen, dass Rhianon den Launen seines Bruders zum Opfer fiel. Denn das würde sie zu einem Leben voller Leid verdammen, möglicherweise dem gleichen Leid, das sein leiblicher Vater Letard über seine Mutter gebracht hatte. Auch das war etwas, das Peredur geschworen hatte, nie über eine Frau zu bringen.

„Aber wenn Ihr die Wahl gehabt hättet?“, beharrte er. Die Neugier stach ihn, als sei sie wie die Nadeln aus Raureif, die an den Fenstern hingen. Die Läden standen offen, und als das Tageslicht auf ihr Gesicht fiel, sah er es wieder: dieses Aufblitzen trotzigen Widerstandes.

„Dann hätte ich nicht noch einmal geheiratet“, erwiderte sie geradeheraus, beinahe stolz. „Ich war schon einmal verheiratet und bin Witwe geworden. Nun würde ich lieber ins Kloster gehen!“

Die Anspannung in der Kirche war jetzt greifbar. Alle Ohren waren gespitzt, um zu verstehen, was vor dem Altar gesprochen wurde. Verwundertes Flüstern ließ sich vernehmen, und der Priester neigte sich zu ihm hinüber.

„Lord Peredur …“

Peredur nickte ungeduldig. Ob freiwillig oder nicht, dies war nun unwichtig. Die Heirat war als strategische Verbindung beschlossen worden, genau wie Rhianons erste Ehe. Und um sie zu besiegeln und ihr den Segen zu geben, den sie ohne Zweifel brauchen würde, musste er sie küssen.

Er neigte den Kopf und spürte erneut, wie sie sich zurückzog, obwohl sie sich eigentlich nicht bewegt hatte. Ihre Augen blickten wieder durch ihn hindurch, während sie ihren Mund darbot – aber nicht sich selbst.

Ihre Lippen waren so kühl und distanziert wie ihr Blick. Gleichwohl geschah etwas Unerwartetes, als sein Mund auf den ihren traf. Etwas in ihm zog sich hart zusammen und Hitze überflutete seine Lenden.

Peredur brachte seine Reaktion sofort unter Kontrolle, doch der Schreck durchfuhr ihn wie ein Pfeil. Schon vor langer Zeit hatte er gelernt, die fleischliche Seite seines Wesens in ihre Schranken zu weisen und die niederen leiblichen Gelüste zu unterdrücken, wo andere Männer der Lust nachgaben und ihr frönten; diese ungezügelte Lust, die seine Mutter zu einem grausamen Schicksal in den Händen seines leiblichen Vaters verdammt und zu seiner eigenen befleckten, schambehafteten Geburt geführt hatte.

Wie konnte nun ein so leichter und flüchtiger Kuss seinen Körper aufrütteln und sein Blut in Wallung bringen? Wie war das möglich, obwohl er diese Frau nur ein einziges Mal zuvor gesehen hatte, als sie ein Kind von zwölf Sommern gewesen war? Er hatte noch nie mit ihr gesprochen, geschweige denn sie berührt oder geküsst – bis heute, vor der Tür der Kirche.

Doch nun war er aufgerüttelt worden, sein Herz hatte schneller geschlagen, und wenn der Tag vorüber war, würde er sich stärker denn je beherrschen müssen. Denn vor ihm lag noch viel mehr, als Rhianon ferch Cadwgan nur zu küssen. Man würde von ihm erwarten, mit ihr das Bett zu teilen.

Die große Halle von Llanbadarn Castle war so warm, wie die Kirche kalt gewesen war. Ein Feuer brannte im großen Kamin und brennende Kohlebecken säumten die weiß gekalkten Wände. Schwere Stoffe verbargen die Fenster, und die mit duftenden Tannenzweigen belegten Binsen bildeten eine dicke Schicht auf dem Boden.

Das Fleisch, das von der Küche heraufgetragen wurde, war ebenfalls kochend heiß, und Wein und Met flossen reichlich die durstigen Kehlen hinunter, um die klammen Knochen und das gefrorene Blut wieder aufzutauen.

Doch Rhianons Körper weigerte sich, wieder warm zu werden. Ihr Herz blieb auch noch dann ein gefrorener Klumpen in ihrer Brust, als sie während des Hochzeitsmahles zwischen ihrem neuen Mann und Lord Rhys, ihrem Schutzherrn, an der hohen Tafel saß.

Neben Peredur saß sein Vater, Eilyr ap Bleddyn, weißhaarig und gebrechlich, und daneben Peredurs Bruder Maelgwn, schlank, dunkel und wohlgestaltet und ein solcher Gegensatz zu Peredur wie die Nacht zum Tag.

Unvermittelt sprach ihr neuer Ehemann sie an und seine Bemerkung beendete das Schweigen, das zwischen ihnen geherrscht hatte, seit sie die Kirche verlassen hatten.

„Ihr seid Eurer Mutter in Eurer Erscheinung bemerkenswert ähnlich, Rhianon.“

„Bin ich das?“ Rhianon blickte hinüber zum Platz ihrer Mutter, der sich nicht an der Tafel des Brautpaares befand, sondern an dem langen Tisch zu ihrer Linken, an dem auch Eilyrs Frau und seine zwei Töchter saßen.

„Das seid Ihr tatsächlich“, sagte er und spießte mit seinem Messer ein Stück Wildschweinbraten auf. „Aber Ihr seht heute Abend auch genauso traurig aus wie sie.“

Rhianon sagte nichts, aber die Ähnlichkeit, über die er gesprochen hatte, jagte einen Schauer der Furcht durch ihre Adern. War Tangwystl an ihrem Hochzeitstag auch schon so traurig gewesen oder voller Hoffnung und Freude, wie Bräute es eigentlich sein sollten? Wenn ja, hatte ihr Gemahl seitdem alles davon aus ihr herausgeprügelt.

Nun trat sie also in die Fußstapfen ihrer Mutter, ging dem gleichen Schicksal entgegen und alles begann wieder von vorn! Wenn Peredurs Ruf der Wahrheit entsprach und seine Tapferkeit größer war als die ihres Vaters und sein Mut auf dem Schlachtfeld größer als der ihres ersten Mannes, wie konnte ihr Schicksal dann ein anderes sein?

Peredur lehnte sich mit dem Weinkelch in der Hand zu ihr herüber und der Ärmel seiner Tunika streifte den ihren. „Noch etwas Wein?“ Rhianon blickte ihm in die Augen und schüttelte den Kopf. „Nein … danke.“

Zum ersten Mal an diesem Tag schaute sie ihn richtig an. Das Licht der Fackeln spiegelte sich auf den grob gehauenen Flächen seines Gesichts und zeichnete die markanten Linien seiner Wangen und seines Kiefers nach. Sein goldenes Haar erinnerte an reifen Weizen unter der Sonne und stand in deutlichem Kontrast zu seiner strengen dunklen Kleidung. Die wenigen Schmuckelemente – die Spange seines Umhangs und der Faden, mit dem sein Kragen, seine Manschetten und die Kanten umsäumt waren – waren in Silber gehalten, einer hellen, aber ebenfalls strengen Farbe.

Er sah gut aus, auf eine raue Art und Weise, wie es über alle Männer aus flämischem Blut hieß – nicht, dass sie je welche gesehen hätte. Doch ihn hatte sie früher schon einmal gesehen, ein einziges Mal, als er noch ein junger Bursche von sechzehn Jahren gewesen war. Er hatte zu der Kriegertruppe gehört, die sich im Hof von Ystrad Meurig versammelt hatte, der Burg ihres Vaters, um in eine Schlacht gegen die Normannen zu ziehen.

Von ihrem Fenster aus hatte sie, für die unten Stehenden unsichtbar, herabgeblickt, gebannt von seinem goldenen Schopf unter all den dunklen Köpfen und der ruhigen Art, mit der er auf seinem Pferd saß. Und nun sah sie, dass die in ihm schlummernde Stärke, die sie damals bereits gespürt hatte, ihn zu einem unbezwinglichen Krieger hatte heranreifen lassen – einem Krieger, der nun ihr Ehemann war.

„Dann würdet Ihr vielleicht Met vorziehen?“, schlug er vor.

Rhianon schüttelte erneut den Kopf. Mit einem Achselzucken füllte er nur seinen eigenen Becher. Sie beobachtete, wie der Wein zum Rand stieg und beinahe überfloss, und Kummer erfüllte ihr Herz. Wenn sie genau wie ihre Mutter war, würde dann ihr zweiter Mann auch genau wie ihr Vater sein, so, wie es schon ihr erster Mann gewesen war?

Wenn dem so war, durfte sie nicht hier sitzen wie eine Maus vor einem Löwen. Das würde ihm einen vollkommen falschen Eindruck vermitteln. Dann würde er glauben, dass sie in allem so war wie ihre Mutter und nicht nur in ihrer Erscheinung, und sie würde ihm fälschlicherweise vorgaukeln, dass er sie behandeln konnte, wie er wollte.

„Gefällt Euch mein Hochzeitsgeschenk, Mylord?“, fragte sie unvermittelt.

Seine Augenbrauen hoben sich und sie errötete. Sich als Person zu behaupten, war eine Sache, aber um Anerkennung für ihr Geschenk oder gar seine Dankbarkeit zu betteln, wirkte verzweifelt. „Ich meine … betrachtet Ihr es als passend?“, verbesserte sie sich.

Er warf einen Blick auf die Handschuhe, die sie ihm geschenkt hatte. Sie bestanden aus weichem, falbfarbenem Leder, das an den Bündchen mit Goldfäden bestickt war, und lagen nun neben seinem Teller, wo er sie vorher hingeworfen hatte, als seien sie nicht von Bedeutung.

Er murmelte etwas, das ein „Danke“ gewesen sein konnte, doch seine darauffolgenden Worte machten die Höflichkeit sofort wieder zunichte. „Sie sind sehr elegant. Aber wohl etwas zu elegant für den Winter.“

Rhianon blinzelte ein merkwürdiges Gefühl der Enttäuschung weg. Er hingegen hatte ihr überhaupt nichts geschenkt, weder etwas Elegantes noch etwas anderes! Und dieses Versäumnis diente ihr nur als Bestätigung, was sie in seinen Augen war – ohne Wert bis auf den Preis für ein politisches Bündnis.

Dann, beinahe, als habe sie ihre Gedanken laut ausgesprochen, sprach er erneut. „Ich habe natürlich auch ein Geschenk für Euch, aber dies ist nicht der richtige Zeitpunkt dafür.“

Ihre Wangen wurden heiß. Ja, all das wusste sie nur zu gut. Der Mann bekam sein Geschenk beim Hochzeitsbankett, aber die Braut empfing ihr Geschenk am Morgen nach der Hochzeitsnacht als Gegenleistung für ihren Körper. Eine Tatsache, die ihr neuer Ehemann einen Augenblick später bestätigte.

„Ich werde es Euch morgen geben. Wenn wir abreisen.“

Am nächsten Tag würden sie sich auf den Weg nach Norden zu seiner Burg machen. Aber zuvor würde die heutige Nacht so enden, wie ihr erstes Hochzeitsfest geendet hatte: mit einem zerschundenen Leib und einer zerschlagenen Seele.

Rhianon zwang sich, ihren Blick von den verschmähten Handschuhen zu erheben und wieder dem seinen zu begegnen. Doch es war unmöglich, irgendeinen Ausdruck darin zu erkennen, so, wie es unmöglich war, den Grund eines Flusses zu sehen, der mit einer dicken Eisschicht bedeckt war.

„Was ist es?“, fragte sie und versuchte nicht daran zu denken, was diese Nacht für sie bereithielt und was mit der Morgendämmerung geschehen würde. „Das Geschenk, meine ich?“

Er lächelte – aber war es wirklich ein Lächeln? Er trug keinen Bart, und sein Mund war breit und großzügig, mit einer alten Narbe, die zu einem weißen Strich verblasst war, der sich über den linken Kieferknochen zog. „Wenn ich es Euch sage, verdirbt es die Überraschung.“

Und dann, als sie ihm erneut in die Augen blickte, schien das Eis auf einmal zu schmelzen. Sie blinzelte, aber es war immer noch da, das plötzliche Tauwetter, das eine merkwürdige Wärme durch sie hindurchsandte.

Sie wandte sich ab, weil sie ihren Augen nicht traute, ihnen nicht trauen konnte. Wenn ihre Erfahrung sie etwas gelehrt hatte, dann, dass ein Mann alles nehmen, aber nur selten etwas geben würde. Wenn diese Ehe anders werden sollte als ihre letzte, musste sie dafür sorgen, und zwar jetzt gleich, von Anfang an.

Obwohl sie keinen Appetit hatte, nahm sich Rhianon erneut von der fetten Gans, die in einer üppigen Sauce auf einer Platte lag. Dabei brannte noch die erste Portion, die sie sich hinuntergezwungen hatte, wie Gift in ihrem Magen.

„Ihr seht so anders aus als die Leute aus Eurer Sippe, Mylord, und auch anders als alle anderen, die heute hier sind.“ Sie griff zu ihrem Essmesser und stach mit der Spitze tief in das Geflügel. „Liegt das daran, dass Ihr Eurem flämischen Vater mehr gleicht als Eurer walisischen Mutter?“

Peredur zuckte innerlich zusammen. Jeder kannte seine Geschichte, also musste sie sie natürlich auch kennen. Und jeder, also sie vermutlich auch, wusste, wie er gezeugt worden war: dass er das Ergebnis der Schändung einer Unschuldigen durch ein Monster war. Blickte sie ihn deswegen mit unverhohlener Verachtung an und umklammerte ihr Messer, als sei es eine Waffe?

„Ich mag vielleicht anders aussehen als alle anderen Leute hier, Mylady“, erwiderte er, „aber mein walisisches Blut ist dem flämischen mehr als ebenbürtig.“

„Und doch ist es überall bekannt, dass das Blut der Flamen stets nach Krieg und Eroberungen dürstet.“

Ihre Worte wanden sich um seine Eingeweide wie eine Schlange und pressten die Luft aus seiner Lunge. „Und dieses Blut wird sich durchsetzen. Ist es das, was Ihr mir sagen wollt?“

„Ich sage es nicht, aber die armen, verfolgten Waliser von Dyfed würden es vielleicht sagen.“ Sie spießte ein Stück Fleisch auf ihr Messer und hob es an ihren Mund. „Sie wissen besser als jeder andere, wie die Flamen sind.“

Peredur neigte den Kopf und sagte nichts, denn sie sprach die Wahrheit. Doch sie hätte ihm ihr Essmesser geradeso ins Herz stoßen können statt in die Gans, die sie nun verschlang, als habe sie eine Woche lang gehungert.

In diesem Augenblick erhob sich Lord Rhys, der zu Rhianons Linker saß, und begab sich zur Latrine. Man hörte das Scharren eines Stuhles und Maelgwn ließ sich auf dem verwaisten Sitz nieder, um sich an Peredurs Frau festzusaugen wie ein Blutegel.

„Nun, meine liebliche neue Schwester, endlich habe ich die Gelegenheit, mit Euch zu sprechen.“

Rhianon zuckte zusammen und wandte sich um, um Peredurs Bruder anzublicken. Dann tupfte sie sich mit der Serviette den Mund ab und legte ihr Messer neben ihren Teller.

„Guten Abend, Mylord.“

Peredur lehnte sich zurück. Die Ironie der Situation amüsierte ihn beinahe. Rhianon wusste es nicht, aber gerade jetzt hätte sie ihr Messer mehr denn je gebraucht! Doch in der Gegenwart seines charmanten Bruders gerieten die Frauen ohne Ausnahme in Verzückung. Maelgwn besaß alles, was er selbst nicht besaß – rabenschwarzes Haar, dunkelgrüne Augen, einen geschmeidigen und anmutigen Leib, ein fein geschnittenes Gesicht und einen unwiderstehlichen Charme. Einen falschen Charme, wie Frauen und gelegentlich auch Männer zu ihrem Kummer feststellen mussten.

Würde ihm seine neue Frau wie alle anderen in die Falle gehen?

„Eigentlich hatte ich ja gehofft, heute selbst der Glückliche zu sein, Lady Rhianon“, sagte sein Bruder und legte seine Hand gefühlvoll auf sein Herz. „Stattdessen bin ich nun vollkommen verzweifelt.“

„Weswegen, Mylord?“

„Ich hatte um die Ehre gebeten, Euer Gemahl zu werden, aber mein Bruder hat darauf bestanden, dass Ihr die Seine werdet.“ Maelgwn ließ sein strahlendes, verlogenes Lächeln aufblitzen. „Was wirklich merkwürdig ist, da er bisher vor der Ehe so sehr zurückgeschreckt ist.“

Rhianon legte den Kopf schräg und die gelben Blumen in ihrer Brautkrone wirkten wie Flecken des Sonnenlichts vor ihrem mitternachtsschwarzen Haar. „Vielleicht seid Ihr glücklich davongekommen, Mylord. Womöglich hätten wir nicht zusammengepasst.“ Peredur spürte, wie ein Lächeln an seinen Mundwinkeln zupfte, doch es war eines von der grimmigen Sorte. Vom Aussehen her mochte sie besser zu Maelgwn passen als zu ihm, aber immerhin würde sie nun nie erfahren, wie korrekt ihre Aussage war.

Als er sein Lächeln sah, verwandelte sich die Maske seines Bruders in Bosheit. „Selbst dann hätte ich einen besseren Gatten abgegeben, als es mein Findlingsbruder hier je für Euch sein wird, Lady Rhianon.“

„Ach ja? Inwiefern, Mylord?“

„Peredur macht sich vom Morgen bis zum Abend Sorgen, reitet stundenlang durch die Gegend, schuftet wie ein Leibeigener und kämpft wie ein Dämon aus der Hölle.“

Maelgwn lehnte sich in seinem Stuhl zurück, goss Wein in Rhianons Becher und trank daraus, während er seine Lippen mit Bosheit benetzte. „Und zweifellos habt Ihr davon gehört, dass er kein Herz besitzt? Vielleicht ist es in Pebidiog zurückgeblieben, wo mein Vater ihn gefunden und aus Mitleid aufgenommen hat.“

Peredurs Lächeln gefror auf seinen Lippen. Seit ihrer Kindheit hatte sich sein Bruder einen Spaß daraus gemacht, ihn mit der sonderbaren Lage seines Herzens aufzuziehen, das an einer anderen Stelle saß als bei den meisten Menschen und darum fälschlicherweise zu einer Quelle für Spott und Aberglauben geworden war.

„Sicher hat Euer Vater dies aus Freundlichkeit getan und nicht nur aus Mitleid?“

„Meint Ihr, Lady Rhianon?“ Die grünen Augen glitzerten. „Man kann einen Wolf in ein Schafsfell kleiden, doch er wird trotzdem ein Wolf bleiben. Genauso kann man auch einen Bauern wie einen Herrn kleiden und er wird trotzdem ein Bauer bleiben.“

Peredur biss die Zähne zusammen, als das Blut in seinen Schläfen zu pochen begann, doch er hielt den Mund. Auf die Köder seines Bruders anzuspringen, wie er es so oft während ihrer Jugendzeit getan hatte, würde nur auf eine Art enden – mit blutigen Nasen und aufgeplatzten Fingerknöcheln.

Maelgwn jedoch schien entschlossen, um jeden Preis einen Streit zu provozieren. „Mein jungfräulicher Bruder kennt weder Muße noch Freuden … oder Liebesspiele. Ein schlechter Gatte für jede Frau, Lady Rhianon, wohingegen ich …“ Und dann ging sein Bruder zu weit. Er packte Rhianons Hand, drehte sie um und küsste die Innenseite ihres Handgelenks, auf dem die blauen Adern unter der zarten Haut sichtbar waren. Doch dies war kein höflicher, aus Respekt erwiesener Kuss und auch nicht der eines Verwandten – es war der Kuss eines angehenden Liebhabers.

Rhianon verzog ihr Gesicht vor Schmerz. Mit einem Satz war Peredur auf den Beinen. Seine Selbstbeherrschung war dahin. Hinter sich hörte er, wie Eilyr sich von seinem Platz erhob, bereit, in die Streitereien seiner Söhne einzugreifen, wie er es in der Vergangenheit schon so oft getan hatte. Streitereien, die Peredur kein einziges Mal angezettelt und stets aus allen Kräften zu vermeiden versucht hatte, bis ihm klar geworden war, dass man sie nicht vermeiden konnte. Der drei Jahre jüngere Maelgwn hatte ihn vom Tag seiner Ankunft an gehasst, es ihm übelgenommen, dass Eilyr ihn mochte und dass er nicht mehr der einzige Erbe war, auch wenn er als der rechtmäßige Sohn stets den größeren Teil bekommen würde.

Aber das hier ging über einen Streit hinaus. Es war ein bewusster Affront gegenüber Rhianon, und Peredur beabsichtigte nicht, ihm das durchgehen zu lassen. „Nimm deine Hände von ihr, Maelgwn!“ Sein Bruder sprang auf die Füße und gab Rhianons Hand genau in dem Moment frei, in dem Lord Rhys in einer glücklichen Fügung wieder erschien und den gefährlichen Moment abwendete. Maelgwn, jetzt ganz unschuldig, verbeugte sich tief und seine Entschuldigung rann so glatt über seine Lippen wie Öl von einem Messer.

„Ich bitte um Verzeihung, arglwydd. Ich wollte nur meine neue Schwester begrüßen, bevor mein Bruder sie zu ihrem nächtlichen Vergnügen entführt.“

„Ist es schon so spät?“ Die klugen Augen des Prinzen schätzten die Situation sofort richtig ein, da er wie alle anderen Anwesenden um die Feindschaft zwischen den Söhnen Eilyrs wusste. Er griff nach einem leeren Kelch und schlug ihn dreimal an den Tisch. „Die Stunde ist gekommen, um die Frischvermählten zu verabschieden! Wünschen wir ihnen alle eine Nacht der Freude und möge noch vor dem morgigen Tag ein Erbe gezeugt werden!“

Rhianon saß aufrecht auf ihrem Stuhl und rieb sich das Handgelenk, wo ihre Haut immer noch brannte. Sie fühlte sich wie ein Knochen, um den sich zwei knurrende Hunde gestritten hatten. Aber eigentlich war sie ja auch genau das – der Preis für den Sieger, auch wenn sie bis vor ein paar Minuten gar nicht gewusst hatte, dass es überhaupt einen Wettbewerb gegeben hatte.

Sie ließ die Luft aus ihren Lungen entweichen, als Maelgwn mit finsterem Gesicht zu seinem Stuhl zurückkehrte, während ihm der eisige Blick seines Bruders folgte. Ein Blick, den er einen langen Moment später abwandte und auf sie richtete. Dann streckte Peredur seine Hand nach ihr aus und ihr Bauch verkrampfte sich vor Furcht. Aber da ihr nichts anderes übrig blieb, legte sie ihre Hand in die seine.

Im nächsten Augenblick verwandelte sich die Furcht in Überraschung. Denn Peredurs schwielige Hand und die kräftigen Finger waren ganz anders als die weiche Hand seines Bruders, deren Griff ganz und gar nicht weich gewesen war. Maelgwns Finger hatten sie gepackt gehabt wie die Zähne einer Viper, gewaltsam genug, um ihr die Knochen zu brechen. Peredurs Hand dagegen tat das nicht.

Rhianon blickte zu ihm auf, und während seine Finger sanft die ihren umschlossen, traf sie unvorbereitet das merkwürdige Gefühl, sicher und beschützt zu sein. Dem folgte ein noch viel merkwürdigerer Strom der Anziehung, der ihr Blut zum ersten Mal an diesem Tag erwärmte.

Doch sie ließ nicht zu, dass sich irgendetwas von der Überraschung – oder dem Erschrecken – auf ihrem Gesicht zeigte, während ihr frisch angetrauter Mann sie auf die Füße zog. Stattdessen bemühte sie sich, ihre Züge gelassen zu halten, ihr ganzes Wesen distanziert, während ihre Gedanken durcheinanderwirbelten.

Eine Menschenmenge hatte sich vor dem Brauttisch versammelt und jaulte wie eine Meute Treibhunde vor der Jagd. Alle würden versuchen, einen Teil ihres Gewandes, den Kranz aus ihrem Haar oder ihre Strumpfbänder als Glücksbringer zu ergattern.

Für die Zuschauer ging es um Glück und Spaß, für sie war es reine Erniedrigung. Doch sie konnte der gefürchteten Tortur nicht entkommen. Peredur verbeugte sich vor Lord Rhys, und auch Rhianon machte einen Knicks, während ihr Herz zu hämmern begann. Sie blickte sich nach den Augen ihrer Mutter um, aber Tangwystl hatte den Kopf abgewandt. Auch ihr Vater und ihr ältester Bruder machten sich nicht einmal die Mühe, sie anzublicken. Ihre einzige Unterstützung kam von ihrem jüngsten Bruder Llywelyn, dessen blaue Augen den ihren so ähnlich waren und die nun traurig und anteilnehmend dreinblickten.

Da stürmte die heulende Meute voran. Sie wappnete sich für den Ansturm, hob trotzig das Kinn und forderte sie heraus, mit ihr zu tun, was sie wollten. Sie hatte diesen Moment, ja, eine ganze Ehe, schon einmal zuvor überlebt. Sie konnte es auch ein weiteres Mal schaffen. Sie würde es ein zweites Mal schaffen.

Doch da hob Peredur sie so unerwartet auf seine Arme, dass sie nach Luft schnappte. Im nächsten Moment schritt er zügig durch die Halle und seine langen Beine ließen alle hinter sich zurück.

Die Gesichter um sie herum verschwammen, während er die gierigen Hände beiseiteschob, die an ihren Kleidern zerrten. Nichtsdestotrotz verschwand ein Schuh und jemand riss die Stickerei von ihrem Ärmel. Rhianon zuckte zusammen, als ihr die Blumen aus dem Haar gerissen wurden, und hörte über ihrem Kopf, wie Peredur derb fluchte.

Doch schon waren sie auf der Treppe, die nach oben führte, und traten gleich darauf über die Schwelle ihres Gemaches. Mit einer Schulter warf Peredur die Tür zu und setzte sie ab, sodass er den Riegel vorschieben konnte, bevor jemand hinter ihnen hereinstürmen konnte.

Es gab einige vergebliche Beschwerden und halbherziges Hämmern an das Eichenholz, doch schon bald kehrten die Zecher zurück in die Halle zu ihrem Ale. All das war der Brauch und geschah ohne böse Absicht. Nichtsdestotrotz zitterte Rhianon angesichts der Anspannung der letzten Augenblicke wie ein erschreckter Vogel, der gegen die Stäbe seines Käfigs flattert.

Und nun würde sie sich einer noch größeren Tortur stellen müssen – oder vielmehr versuchen, ihr zu entgehen. Dem Vollzug der Ehe.

In der Stille des Gemaches klang der Lärm aus der Halle im Untergeschoss nun nur gedämpft und wie aus weiter Ferne an ihre Ohren. Das Feuer knisterte im Kohlebecken und der Wind rüttelte an den Fensterläden. Rhianon bemühte sich, wieder zu Atem zu kommen und ihre Würde zurückzuerlangen, während sie ihre zerwühlte Kleidung glattstrich und ihr zerzaustes Haar ordnete.

Und dann fiel ihr etwas ein, etwas Unglaubliches, Unmögliches. Als Peredur sie in seinen Armen getragen hatte, hatte ihr Kopf an seiner Brust gelegen, das Ohr fest an die Stelle gepresst, an der sein Herz sein musste. Aber sie hatte keinen einzigen Herzschlag gehört oder gespürt.

2. KAPITEL

Peredur fluchte leise. Trotz seiner Flucht aus der Halle war Rhianon nicht vollkommen unbeschadet davongekommen. Die Blumen waren aus ihren Haaren verschwunden und der Ärmel ihres Gewandes hatte an der Schulter einen Riss davongetragen, durch den ihr nackter Arm hervorblitzte. Sie hatte auch einen Schuh verloren, denn der bestrumpfte Zeh eines Fußes lugte unter dem Saum hervor.

Doch nun stand sie so stolz und aufrecht mitten im Zimmer, dass ihm ihre Schönheit den Atem raubte. Ihr wildes schwarzes Haar floss über ihre Schultern herab und ließ ihr blasses Gesicht noch blasser und ihre Augen noch größer und blauer wirken.

„Warum habt Ihr das getan?“, fragte sie in einem Ton, der eher herausfordernd als neugierig klang, aber auch irgendwie so, als wolle sie sich verteidigen. Und als Peredur ihr tiefer in die Augen blickte, sah er hinter der Herausforderung Verunsicherung, Argwohn – und Angst. Der gleiche Ausdruck, den er unten am Tisch gesehen hatte, als Maelgwn ihr Handgelenk gepackt und ihr Schmerz zugefügt hatte.

„Was getan?“, fragte er und verfluchte sich selbst so sehr wie seinen Bruder, dass er den Zwischenfall nicht früher hatte kommen sehen und nicht schneller eingegriffen hatte.

„Dass Ihr mich aus der Halle getragen habt.“

„Habt Ihr gedacht, ich würde zulassen, dass sie Euer kostbares Gewand in Stücke reißen?“ Dabei war sie es, die angesichts der Grobheit der Menge hätte in Stücke gerissen werden können, wenn das auch gewiss nicht deren Absicht gewesen wäre. Und so, wie sie seine Hand mit der ihren umklammert hatte, als sie sich der Menge zuwandten, schien sie das auch gewusst und gefürchtet zu haben. Also hatte er sie auf die Arme genommen und getragen, denn der Drang, sie zu beschützen, war weit größer gewesen als die Pflicht, einen Hochzeitsbrauch zu pflegen.

„Aber sie haben Eure Krone gestohlen“, sagte er.

Sie hob eine Hand an die Stelle, wo ihre Blumenkrone aus den winterharten goldgelben Knospen des Stechginsters gesessen hatte, dann blickte sie auf ihre Füße.

„Und sie haben auch meinen Schuh erwischt.“ Ihr Blick traf wieder den seinen. „Bekomme ich den morgen früh zurück?“

Peredur schüttelte den Kopf und kämpfte darum, seinen Atem unter Kontrolle zu bringen, nicht nur, weil er zwei Treppenstufen auf einmal genommen hatte, sondern auch, weil er daran dachte, wie viel mehr sie hätte ertragen müssen, wäre es ihm nicht gelungen, dieser grölenden Horde ihre Beute zu entreißen. „Ich bezweifle es.“

Sie flocht ihre Finger ineinander und er bemerkte ihr Zittern. „Ja“, stimmte sie in einem seltsam resignierten Ton zu. „Vermutlich nicht.“ Die blauen Augen blickten ihn einen Moment lang an. „Danke … für das, was Ihr getan habt. Das war … rücksichtsvoll.“

Einen anderen Mann hätte ihre Gelassenheit vielleicht getäuscht, aber da er sich genauso nervös fühlte, wie sie es eindeutig war, durchschaute Peredur sie. Trotz ihres Dankes wirkte sie nicht wie eine Frau in ihrer Hochzeitsnacht, sondern eher wie ein Opferlamm, das zur Schlachtbank geführt wurde.

„Das war nichts Besonderes“, sagte er. Er schritt hinüber zu dem Tisch, der an einer der Wände stand, und schenkte ihnen zwei Kelche Wein ein. Seine Kehle war ausgetrocknet und Schweiß lief zwischen seinen Schulterblättern hinab. Das Gemach war zu heiß, das Aroma der frisch eingestreuten Binsen auf dem Boden zu stark und das Feuer loderte zu hoch auf.

Und hinter den schweren Vorhängen, die den Wohn- und Schlafbereich voneinander trennten, stand ihr Hochzeitsbett – und wartete.

Wenn es nach ihm ging, konnte es noch etwas länger warten, so lange wie möglich. Peredur wandte sich um. „Kommt, wir setzen uns ans Feuer und plaudern ein Weilchen.“

Ihre Augen wurden groß. „Plaudern …?“

Er nickte und stellte den Wein auf den Tisch neben dem Kohlebecken. Dann zog er die beiden Stühle im Gemach näher an die Wärme heran. Leichter Zweifel glitt über ihr Gesicht, bevor sie sich in einem von ihnen niederließ.

„Nun gut“, sagte sie und faltete ihre Hände in ihrem Schoß, sodass ihr Ehering im Feuerschein aufglänzte. „Worüber möchtet Ihr sprechen?“

Peredur setzte sich ihr gegenüber und sein Blut erwärmte sich auf eine Weise, die nichts mit der Glut des Feuers zu tun hatte. Das Fest im Untergeschoss war ausgelassener geworden, die Stimmen lauter. Ein Bogen kratzte über die Saiten einer crwth und Gesang stieg zu den Dachsparren auf. Vielleicht wurden auch Gedichte rezitiert und es wurde getanzt. Doch hier in diesem Raum gab es nur ihn und Rhianon.

Die meisten frisch vermählten Männer wären begierig gewesen, zuerst den Körper ihrer Braut kennenzulernen und erst danach ihren Geist und ihre Seele. Er hingegen war nicht wie die meisten Männer. Wie konnte er das auch angesichts der verfluchten Herkunft, die seine Kindheit geprägt hatte? Wie, wenn er als Erwachsener erlebt hatte, wie Frauen erbleichten und sich bekreuzigten, aus Furcht, der Sohn des Flamen würde sich als die gleiche Sorte Mann herausstellen wie sein berüchtigter Vater? 

Anders als sein lüsterner Bruder Maelgwn mit seiner glatten Zunge und seinem begierigen Körper hatte er noch keinerlei Erfahrung mit Frauen gesammelt. Es hatte bisher nie eine Rolle gespielt. Und seine Enthaltsamkeit war so notwendig gewesen, bestand seit so Langem und war so tief in ihm verwurzelt, dass sie zu einem Teil seines Wesens geworden war – bis heute Nacht.

Peredur räusperte sich. „Erzählt mir aus Eurem Leben“, sagte er schließlich, griff nach seinem Weinkelch und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Wie es bis jetzt war, meine ich.“

Sie neigte ihren Kopf und die Bewegung wirkte wie eine Gewohnheit, als würde sie beständig auf etwas lauschen. Im Glanz der Binsenlichter, die an den Wänden flackerten, waren ihre enzianfarbenen Augen so dunkel wie die Dämmerung.

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