Für Emma & ewig

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Emma ist zurück! Als Teenager war sie das Mädchen mit den blond gefärbten Haaren, zu viel Make-up und einem schlechten Ruf. Was hat sie damals nicht alles versucht, um Casey Hudson in ihr Bett zu bekommen. Er war der süßeste Junge der ganzen Stadt - und der einzige, der ihr wahres Ich gesehen hatte. Schon damals war es für Casey nicht leicht, der heißblütigen Emma zu widerstehen. Doch jetzt, acht Jahre später, ist es einfach unmöglich. Als erwachsene Frau ist ihre Sinnlichkeit noch viel subtiler und betörender. Er muss sie einfach haben. Aber Emma weist ihn immer wieder ab. Also muss Casey einen Weg finden ihr zu beweisen, dass seine Gefühle kein überbleibsel jugendlicher Lust, sondern die Liebe eines erwachsenen Mannes für die Frau seines Lebens sind.


  • Erscheinungstag 26.08.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783955769437
  • Seitenanzahl 192
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Wütend und unsicher, was er tun sollte, machte Casey einen Schritt nach vorn. Bevor er jedoch Dell zu nahe kam, packte Sawyer ihn am Arm und hielt ihn fest. „Bleib locker, Casey.“

Emma hielt sich eine zitternde Hand vor den Mund und weinte, obwohl sie versuchte, es nicht zu tun. Als sie sich nur einen Zentimeter von ihrem Vater wegbewegen wollte, verstärkte dieser seinen Griff. Sie sah niemanden an und ließ die schmalen Schultern beschämt hängen – vermutlich auch wegen der Schmerzen.

Ihr Anblick tat Casey im Herzen weh. Er war kurz davor, auszurasten. Emmas braune Augen, die normalerweise warm und sexy strahlten, waren niedergeschlagen, verschmiert vom zerlaufenen Make-up und geschwollen vom Weinen. Auf ihrer Wange war ein blauer Fleck zu sehen.

Casey war so sauer wie noch nie zuvor in seinem Leben. Er hatte das Gefühl, gleich zu platzen. Jede Nacht hatte er davon geträumt, Emma wiederzutreffen, und jede Nacht hatte er es sich wieder ausgeredet.

Aber niemals hätte er gedacht, sie in diesem Zustand wiederzusehen.

Sein Blick verschwamm, als er Emma schniefen hörte und sah, wie sie sich die Augen wischte.

Unnötig grob schob ihr Vater sie vorwärts, und sie stolperte auf die breite Veranda. Sie richtete sich auf und wandte Casey den Rücken zu. Ohne ein Wort zu sagen, klammerte sie sich am Geländer fest und starrte in den mondbeschienenen Garten. Trotz der nächtlichen Geräuschkulisse von Wind, Grillen und raschelnden Blättern war ihr keuchender Atem deutlich zu hören.

„Wissen Sie, was Ihr verdammter Sohn getan hat?“, schrie Dell.

Casey spürte, dass Sawyer ihn ansah, doch er ignorierte den fragenden Blick, ging stattdessen zu Emma hinüber und zog sie schützend an sich. Es war ihm egal, weshalb sie hier war. Er wollte sie einfach nur im Arm halten und ihr sagen, dass alles gut werden würde.

Doch Emma wich vor ihm zurück und flüsterte immer wieder eine gebrochene Entschuldigung. Sie schlang die Arme eng um ihren Oberkörper. Casey merkte, dass es frisch war und Emma nur Jeans und T-Shirt trug, während ihr Vater eine Jacke anhatte. Offensichtlich hatte er ihr nicht einmal Zeit gelassen, sich etwas Warmes überzuziehen. Wie doof, dass er sein Hemd schon ausgezogen hatte. Er überlegte, was er tun könnte, war jedoch zu keinem klaren Gedanken fähig. Wie festgewachsen stand er da und starrte sie an.

Dabei brauchte sie seine Hilfe.

Dies schien in diesem Moment auch Honey zu dämmern. „Warum gehen wir nicht alle hinein und reden da weiter?“

Bei diesem Vorschlag machte Emma ein erschrockenes Gesicht und wich noch weiter zurück. „Nein! Das ist nicht …“

„Sei still!“, herrschte ihr Vater sie wütend an und streckte wieder die Hand nach ihr aus.

Da stellte sich Casey ihm bedrohlich in den Weg. „Wagen Sie es ja nicht!“ Er würde nicht zulassen, dass Dell sie noch einmal anfasste.

Mit vor Wut fleckigem Gesicht schrie ihr Vater ihn an: „Meinst du, du hast das Recht, irgendetwas zu sagen, Junge – nach dem, was du ihr angetan hast?“

Ohne den Blick von dem Mann abzuwenden, sagte Casey: „Honey, nimmst du Emma bitte mit rein?“

Honey sah ihren Mann an, und er nickte. Casey hatte keinen Zweifel daran gehabt, wie sein Vater reagieren würde. Er hatte noch nie in seinem Leben um die Unterstützung seines Vaters bangen müssen.

Und niemals war er ihm dafür so dankbar gewesen wie in diesem Moment.

Wieder versuchte Emma zurückzuweichen, sich zu verstecken. Doch Casey sah sie an und fühlte sich so eins mit ihr, dass er fast ihren zitternden Atem spüren konnte. „Geh bitte ins Haus, Emma.“

Sie biss sich auf die Lippe. Große Tränen rollten über ihre Wangen und blieben in ihren langen Wimpern hängen. Ihre Mundwinkel zitterten. „Casey, ich …“

„Alles in Ordnung.“ Er versuchte, möglichst sanft und tröstend zu klingen, doch das fiel ihm nicht leicht – denn er sah den Schmerz in ihren Augen und spürte ihre Qualen. „Wir unterhalten uns gleich.“

Beruhigend auf sie einredend, legte Honey einen Arm um Emma, die ihr widerwillig ins Haus folgte. Hinter ihnen fiel die Tür leise ins Schloss.

Nachdem seine Tochter weg war, wurde Dell noch wütender. Er machte zwei Schritte auf Casey zu. „Du wirst mehr tun, als mit ihr zu reden. Du wirst sie heiraten.“

Casey warf ihm einen kühlen, verachtenden Blick zu. Es machte ihn krank, dass man eine Frau so mies behandeln konnte, noch dazu seine eigene Tochter! Emma brauchte mehr als sonst jemand Liebe und Verständnis. Und trotzdem warf ihr eigener Vater sie hinaus und erniedrigte sie absichtlich.

„Sie haben sie hergebracht“, knurrte Casey. „Sie haben sie zu uns gebracht, zu mir. Was Emma und ich also jetzt machen werden, ist unsere Sache. Gehen Sie nach Hause, und lassen Sie uns verdammt noch mal in Frieden!“

Obwohl er wusste, dass das alles noch schlimmer machen würde, hätte er Dell am liebsten verprügelt. Das wäre kein großes Ding, denn er war größer und stärker als der Mann – und noch dazu rasend vor Wut. Also versuchte er, Dell zu provozieren und eine Reaktion herauszufordern.

Und die erfolgte mit einem Hagel aus Beschimpfungen und Schlägen, denn der ältere Mann warf sich plötzlich auf ihn. Immer noch lächelnd und voller Vorfreude auf den Kampf, stellte sich Casey ihm entgegen.

Doch leider bekam Sawyer Dell am Kragen zu fassen, noch bevor Casey zum ersten Schlag ausholen konnte.

Sawyer selbst war einen Meter neunzig groß und durchtrainiert – kein Mann, mit dem man sich gern anlegte. Er knallte Dell gegen die Hauswand und hielt ihn dort fest, indem er ihm seinen Unterarm quer über den Hals legte. Dann beugte er sich so nahe zu ihm, dass ihre Nasenspitzen sich beinahe berührten.

„Sie kommen auf meinen Grund und Boden“, sagte er ganz ruhig und sah dabei so gefährlich aus, wie Casey ihn noch nie gesehen hatte, „behandeln Ihre eigene Tochter wie Abfall, und jetzt bedrohen Sie auch noch meinen Sohn?“ Er drückte Dell noch ein wenig fester gegen die Wand. „Wenn Sie nicht wollen, dass ich Ihnen jeden einzelnen Knochen im Leib breche, wozu ich größte Lust hätte, würde ich vorschlagen, Sie zügeln Ihr Temperament!“

Dells Gesicht war rot angelaufen, im Klammergriff des Arztes bekam er keine Luft mehr. Er brachte ein schwaches Nicken zustande. Als Sawyer ihn losließ, sank er in die Knie und rang nach Atem. Das dauerte eine Weile. Und als er dann sprach, war Casey froh, dass Emma im Haus war und ihn nicht hören konnte.

Immer noch keuchend wandte Dell sich an Sawyer und Casey. „Schön, dass Sie sich solche Sorgen um Emma machen. Sie können sie haben!“ Und dann spuckte er aus. In seinem Gesicht spiegelten sich Wut und Schmerz. „Sie und Ihr Sohn können sich gerne um sie kümmern, aber glauben Sie ja nicht, Sie könnten sie wieder zurück nach Hause schicken!“

„Zu Ihnen?“ Casey verzog den Mund. „Auf keinen Fall.“

Irgendetwas im Blick des Mannes verstand er nicht. Die Wut war immer noch da, kein Zweifel. Aber irgendwie sah Dell auch … verzweifelt aus. Und gleichzeitig sogar ein bisschen erleichtert. „Schwörst du das?“

Er hätte diesem Arschloch zumindest eine verpassen sollen, dachte Casey. Er nickte und presste zwischen zusammengebissenen Zähnen heraus: „Wenn Sie versprechen, sich von ihr fernzuhalten.“

Mit einem wütenden Blick ging Dell um Sawyer herum und stapfte von der Veranda. Im Garten blieb er noch einmal stehen, straffte die Schultern und holte tief Luft. Eine lange Zeit geschah gar nichts. Casey beobachtete ihn misstrauisch. Um Emmas willen hoffte er, dass ihr Vater seine Meinung ändern, dass er wenigstens eine Spur Mitleid oder Sorge zeigen würde.

Dell drehte sich um und sah Casey an. Zweimal öffnete er den Mund, um etwas zu sagen, doch es kam kein Wort über seine Lippen. Schließlich schüttelte er nur den Kopf, ging, ohne sich noch einmal umzudrehen, zu seinem schrottreifen Wagen, startete den Motor und fuhr mit quietschenden Reifen davon.

Casey stand noch immer schwer atmend an derselben Stelle, die Hände zu Fäusten geballt. Sein ganzer Körper vibrierte vor Anspannung. Erst jetzt wurde ihm das Ausmaß der Situation bewusst. Er schloss die Augen und versuchte zu denken.

Verdammt, was hatte er nur getan?

Sawyer legte ihm seine Hand in den Nacken, eine Geste, die zugleich tröstend und unterstützend war. Einige Sekunden unangenehmen Schweigens verrannen.

„Was willst du zuerst tun, Case?“ Sawyers Stimme klang tonlos, sein Murmeln verschwand beinahe in der Nacht. „Mit mir oder mit Emma sprechen?“

Casey sah seinen Vater an, den er mehr als jeden anderen Menschen auf der Welt liebte und respektierte. Er schluckte. „Mit Emma.“

Sawyer nickte, und sie gingen gemeinsam zur Haustür. Casey hoffte, dass er ein paar Antworten erhalten würde, bevor der Morgen dämmerte. Denn im Augenblick hatte er ehrlich gesagt keine Ahnung, was überhaupt los war.

Emma hörte, wie die Haustür auf- und wieder zuging. Sie schloss die Augen vor Scham und vor Angst.

Und komischerweise auch vor Erleichterung.

Sie musste wieder weinen, die Tränen brannten heiß auf ihren Wangen und auf ihrem Hals. Was hatte sie getan? Welche Wahl hatte man ihr gelassen?

Honey berührte ihren Arm. Voll mütterlicher Wärme sagte sie: „Trink deine heiße Schokolade. Alles wird gut, Emma, du wirst schon sehen.“

Tief in ihrer Seele berührt, wischte Emma sich die Tränen ab. Sie kam sich wie ein kleines Kind vor, obwohl sie vermutlich eher aussah wie eine billige Prostituierte. Ihr Make-up war zerlaufen, Nase und Augen waren rot vom Weinen, ihre Haare völlig durcheinander und ihr T-Shirt schmutzig.

Obwohl es hier bei den Hudsons warm und gemütlich war, ließ eine innere Kälte sie frösteln. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass ihr jemals wieder warm werden würde.

Schuldbewusst schlang sie die Arme um sich und wünschte, einfach verschwinden zu können. Sie gehörte nicht hierher, in dieses Haus, zu diesen freundlichen, achtbaren Leuten. Doch sie konnte nicht davonlaufen. Sie selbst hatte sich in diese Lage gebracht und musste das durchstehen. Und sie musste sich erklären.

Zumindest das war sie Casey schuldig.

In diesem Augenblick kam er, immer noch barfuß und ohne Hemd, in die Küche. Vor dem Tisch blieb er stehen und verschränkte die muskulösen Arme vor der Brust. In seinen hellbraunen Augen las sie Mitleid und auch Verwirrung, und als er sie ansah, nahmen seine Augen einen bernsteinfarbenen Ton an.

Ihr Magen krampfte sich zusammen, und sie blickte erschrocken zur Seite.

Hinter Casey stand sein Vater Sawyer. Honey saß neben ihr, und so fühlte sie sich nun umzingelt, umgeben von der Sorge und Neugier dieser Familie, eingeklemmt inmitten ihrer Freundlichkeit.

Wieder kamen ihr diese verdammten Tränen, und sie begann zu zittern. Sie würde sich nie verzeihen, wenn sie jetzt wie ein Baby losheulte.

Mit ernster Miene sagte Casey zu ihr: „Wir zwei müssen reden, Emma.“

Sie sah ihn durch einen Tränenschleier an.

Sawyer runzelte die Stirn. „Casey …“

„Nur ein paar Minuten, Dad. Ich verspreche es.“

Honey warf Sawyer einen mahnenden Blick zu und tätschelte Emma ermutigend die Schulter. „Geht rüber ins Wohnzimmer. In der Zwischenzeit machen Sawyer und ich ein paar Sandwiches und kommen dann nach.“

Emma stand auf, ohne den Blick zu heben. Sie wollte niemanden ansehen, und sie wollte auch nicht Caseys dargebotene Hand nehmen. Als sie versuchte, um ihn herumzugehen, fing er sie jedoch ab und schlang seine Finger um ihre. Seine Hand war groß und warm, stark und fest. Beruhigend.

Normalerweise fühlte sie sich in seiner Nähe geborgen. Doch im Moment nicht.

Als sie im Wohnzimmer waren, setzte sich Casey zu ihrem Erstaunen hin und zog sie auf seinen Schoß. Das hatte noch nie jemand getan. Emma war so erschrocken, dass sie sofort wieder aufsprang, doch Casey schlang beide Arme um sie und zog sie so nah an sich heran, dass sie ihren Kopf an seine Schulter lehnen musste. Ihr Zittern wurde wieder stärker.

Sanft streichelte ihr Casey mit einer Hand über den Rücken. „Em. Sag mir, was los ist.“

Sie klammerte sich an ihn. „Es tut mir so furchtbar leid, Casey. Wirklich.“

Er strich ihr das Haar aus dem Gesicht und griff nach einer Packung Taschentücher, die auf dem Tisch lag, und hielt sie ihr hin. Emma putzte sich die Nase, doch es nützte nichts. Die Tränen wollten einfach nicht aufhören zu fließen. „Ich wollte dich nicht da reinziehen, Casey. Das musst du mir glauben.“

Er blieb ruhig, als hätte sie nicht gerade eben sein ganzes Leben auf den Kopf gestellt, und fragte: „In was reinziehen?“

So war Casey: immer ruhig, gelassen, so reif und selbstsicher. Darum hatte sie, ohne groß nachzudenken, einfach seinen Namen genannt, und jetzt … Emma nahm sich noch drei Taschentücher. Jetzt musste sie vorsichtig sein. „Ich habe meinen Eltern gesagt, ich wäre schwanger.“

Casey sagte gar nichts. Sein Schweigen hing schwer in der Luft, unterbrochen nur von ihrem Schluchzen und Schniefen. Er saß da, groß, stolz, stark – neben ihm wirkte sie wie ein verstörtes Kind.

In diesem Augenblick hasste Emma sich.

Er begann sie wieder zu streicheln. „Und ich schätze, das hat sie nicht gerade gefreut?“

Ihr Lachen endete in einem jämmerlichen Wimmern. „Ich wusste einfach nicht, was ich sonst hätte tun sollen.“

„Also kamst du zu mir?“

Er war nicht halb so wütend, wie sie erwartet hatte. Aber gerade, weil er so anders war als jeder andere junge Mann, den sie kannte, wusste sie auch nicht, was von ihm zu erwarten war. Irgendwie hatte er einfach alles im Griff, sein Leben, sein Temperament, seine Zukunft.

„Es ist nicht so, wie du denkst.“ So schwierig hatte sie es sich nicht vorgestellt. Auf der stummen Fahrt hierher, neben ihrem wütenden Vater, hatte sie sich ausgemalt, was sie sagen würde, hatte versucht, Entscheidungen zu treffen. Doch das war das Schlimmste, was sie je in ihrem Leben getan hatte.

„Nein?“ Er berührte behutsam den blauen Fleck auf ihrer Wange.

Konnte er nicht einfach weitersprechen? Oder sie anschreien und vielleicht hinauswerfen? Seine Gelassenheit zerstörte ihr letztes bisschen Selbstkontrolle. „Nein.“ Sie schüttelte den Kopf und entzog sich seiner Berührung. Sie musste ein-, zweimal tief Luft holen, bevor sie mit überzeugender Stimme sprechen konnte. „Ich brauche und will nichts von dir, Casey.“

Sein eindringlicher Blick grub sich in ihrem fest. Sie versuchte wegzuschauen.

Sanft, aber bestimmt drehte Casey ihr Gesicht wieder in seine Richtung. „Was machst du dann hier, Em?“

„Ich …“ Ich musste weg. Wieder holte sie tief Luft und versuchte sich zusammenzureißen. Die letzten Stunden waren ihr endlos vorgekommen, doch noch immer war diese schreckliche Nacht nicht vorbei. „Ich musste einfach weg von zu Hause, und mir fiel niemand anderer ein, zu dem ich hätte gehen können.“

Ein Pochen an der Tür ließ sie erschrocken hochfahren. Sawyer und Honey kamen mit zwei Tabletts herein. Auf Sawyers Tablett waren Teller mit Sandwiches, auf Honeys Tassen mit heißer Schokolade.

Emma stöhnte. Das war ja wie in den Fernsehserien aus den Sechzigerjahren, so anheimelnd und idyllisch. Diese Familie konnte wohl nichts erschüttern, nicht einmal ein Besuch von der Schlampe aus der Nachbarschaft, die eine Bombe platzen ließ, die jeden anderen völlig aus der Bahn geworfen hätte.

Wie eine Schraubzwinge legte sich der Neid um sie, denn sie wusste, sie würde nie zu einer solchen Familie gehören. Jemand wie sie war dort unerwünscht.

Sogar in ihrer eigenen Familie war sie unerwünscht.

Sawyer blickte sie mit einem gespannten, aber freundlichen Lächeln an. „Wir sollten uns alle mal unterhalten, denke ich.“

Er stellte das Tablett auf den Couchtisch und setzte sich in einen Sessel, Honey ebenfalls. Keinen von beiden schien es zu stören, dass Casey sie auf dem Schoß hatte und in seinen starken Armen hielt. Als Emma klar wurde, wie das aussah, sprang sie sofort auf. Doch bevor sie aus seiner Reichweite verschwinden konnte, packte Casey sie am Handgelenk. Sein Griff war nicht brutal wie der ihres Vaters, sondern sanft und warm.

Seine Hand verhieß Geborgenheit, nicht Zurückweisung.

Er stand auf und stellte sich neben sie, und sie hatte den Verdacht, er wollte vor seinen Eltern so etwas wie Gemeinsamkeit demonstrieren. Jetzt sah er seinen Vater direkt an, ganz ohne eine Spur von Unsicherheit oder Verlegenheit. „Emma ist schwanger.“

Sawyer biss die Zähne zusammen, und Honey sah auf ihre Hände. Ihr war ihre Bestürzung anzusehen. Als Emma anhob, etwas zu sagen, drückte Casey ihre Hand, also schwieg sie. Sie verstand, was er nun tun wollte, und diesmal drückte Liebe ihr das Herz zusammen, nicht Eifersucht auf das, was er hatte und sie nicht.

Es gab keinen besseren Mann auf der Welt als Casey Hudson. In diesem Moment wusste Emma, dass sie ihn niemals vergessen würde, ganz egal, wie es mit ihrem Leben weiterging.

Ganz langsam, mit bewussten und unmissverständlichen Gesten, entzog sie sich Casey, bis sie schließlich ein paar Schritte entfernt von ihm stand.

Es fiel ihr nicht leicht, doch sie zwang sich dazu, seine Eltern anzuschauen. Und ihr Blick schwankte nicht. Was sie jetzt zu sagen hatte, war einfach zu wichtig. „Casey hat mich niemals berührt.“

Sawyer setzte sich kerzengerade hin und sah sie verwundert an. Honeys Blick hetzte zwischen ihnen beiden hin und her.

„Emma …“ Casey ging einen Schritt auf sie zu.

Sie hob die Hand, um ihn aufzuhalten. Sein Edelmut, sein Wille, sich zu opfern, erstaunten sie. Dafür liebte sie ihn noch mehr. Sie lächelte ihn an, ihr erstes echtes Lächeln seit Wochen. Die Zeit des Heulens und Zähneknirschens und Dummseins war vorbei. Das war sie dieser Familie schuldig, allen voran Casey. „Casey, als ich meinen Eltern sagte, ich wäre schwanger, habe ich gelogen.“

„Aber …“

Sie kam sich komisch vor und zuckte hilflos mit den Schultern. „Es tut mir leid.“ Ihre zitternde Stimme war kaum zu verstehen. Sie räusperte sich. Sie wollte ihn anflehen, sie nicht zu hassen. „Ich weiß, dass das nicht richtig war. Aber ich musste ihnen etwas erzählen, damit ich wegkonnte. Und etwas anderes fiel mir nicht ein.“

Sawyer stand auf. Er sah wütend aus, aber Emma hatte das Gefühl, als gälte seine Wut nicht ihr. Dennoch wich sie vor ihm zurück. Als sie jedoch Caseys ratlose Miene sah, blieb sie stehen und zwang sich, ruhig zu bleiben.

Sawyer legte ihr sanft eine Hand unters Kinn und betrachtete den Bluterguss auf ihrer Wange, sah sich dann auch sorgfältig den Rest ihres Gesichts an. Er war eine eindrucksvolle, stattliche Erscheinung. Sie hatte ihn immer heimlich bewundert. Als er jetzt so dicht vor ihr stand und Casey gleich daneben, wäre sie fast ohnmächtig geworden.

„Was ist mit deinem Gesicht passiert, Emma?“ Sawyers Ton ließ keinen Spielraum für Ausreden. Er erwartete eine ehrliche Antwort.

Doch die konnte sie ihm nicht geben.

Emma berührte die Stelle und zuckte zusammen. „Nichts. Ich … ich bin nur hingefallen.“

Casey schnaubte verächtlich.

Sie blickte ihn besorgt an, konnte seinem stechenden Blick jedoch nicht lange standhalten. Diese Familie hatte es nicht verdient, dass man sie anlog, aber genauso wenig hatte sie es verdient, in Emmas Probleme hineingezogen zu werden. Denn wenn sie wüssten, was wirklich los war, würden sie sie nicht einfach gehen lassen. Aber sie hatte ihnen schon genug zugemutet. Von jetzt ab würde sie ihr Leben in ihre eigenen Hände nehmen. Sie hatte keine andere Wahl.

Sawyer berührte sie wieder am Kinn, diesmal, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. „Wenn du es zulässt, können wir dir helfen.“

Wollte jetzt plötzlich jeder beweisen, wie edelmütig er war? Emma wischte sich noch einmal mit ihrem verknitterten Taschentuch über die Augen und fragte sich, wie sie es ihnen erklären konnte, ohne zu viel zu verraten. Sie schämte sich so. Seufzend sagte sie: „Dr. Hudson, es tut mir sehr leid …“

Da packte Casey sie am Ellbogen und wirbelte sie herum. „Jetzt hör endlich auf, dich dauernd zu entschuldigen!“, fuhr er sie an. „Das ist nicht nötig.“

Emma wich zurück. „Ich bin hier reingeplatzt …“

„Dein Vater hat dich hierher gebracht“, korrigierte Casey sie. Seine braunen Augen glänzten jetzt beinahe golden, und er hatte einen entschlossenen Gesichtsausdruck. „Du bist nicht verantwortlich für das, was dein Vater tut.“

„Aber … diesmal schon“, erklärte sie leise, und dabei entging ihr nicht die Reaktion seiner Eltern. „Denn ich habe ja behauptet, ich wäre schwanger … und zwar von dir.“

Schnell drehte sie sich zu Sawyer und Honey um und erklärte hektisch: „Casey hat mich nicht angefasst, das schwöre ich Ihnen. Das würde er niemals tun. Er ist besser als die anderen Jungs. Aber mir war klar, wenn ich einen anderen Namen genannt hätte …“ Sie verstummte, wusste nicht, was sie weiter sagen sollte. Sie war schon mit so vielen Jungs zusammen gewesen. Und trotzdem hatte sie den Namen des einzigen genannt, der sie nicht gewollt hatte.

Casey hatte die Hände in die Hüften gestemmt und sah zu Boden. Als er sprach, war seine Stimme eine Mischung aus Knurren und Sarkasmus. „Weil keiner deiner anderen Kerle dich in Schutz genommen und dich verteidigt hätte.“

Emma wurden die Knie weich. Er hatte sie durchschaut, doch wenigstens musste sie nun nichts mehr erklären. „Ich habe deine Integrität gegen dich verwandt“, gab sie zu, „und dafür entschuldige ich mich.“ Sie rieb sich nervös die Hände und sah Sawyer an. „Jeder in Buckhorn weiß, dass Sie und Ihre Brüder gute Menschen sind. Ich dachte, Sie würden mir vielleicht helfen, also benutzte ich Caseys guten Namen. Das war nicht richtig von mir, und ich verstehe, wenn Sie mich dafür hassen. Aber ich wusste einfach keinen anderen Ausweg.“

„Emma“, murmelte Honey voller Mitleid, „niemand hasst dich.“

Ungeduldig schüttelte Sawyer den Kopf. „Wovor musstest du fliehen, Emma? Das möchte ich von dir wissen.“

Und Honey fügte hinzu: „Du bist hier herzlich willkommen.“

„Oh nein.“ Erschrocken darüber, was man offensichtlich vermutete, schüttelte Emma den Kopf. „Keine Sorge, ich werde Ihnen nicht länger zur Last fallen.“ Irgendwie hatte sie alles noch viel komplizierter gemacht, stellte sie fest. „Und ich habe nicht die Absicht, Ihnen irgendetwas anzuhängen.“

Alle drei sahen sie verständnislos an.

Wieder begann sie zu zittern. Niemals in ihrem Leben hatte sie sich so klein und schäbig gefühlt wie in diesem Moment. Wenn sie sich mit dieser Familie verglich, wurde ihr regelrecht schlecht. Am liebsten wäre sie davongerannt.

Bald ist es so weit, versprach sie sich selbst. Sehr bald schon. „Ich habe ein bisschen Geld gespart, und ich kann mir Arbeit suchen. Gleich morgen früh fahre ich nach Ohio.“

„Und was willst du in Ohio?“, fragte Casey. Er wirkte jetzt gar nicht mehr gelassen, sondern sah aus, als wollte er gleich explodieren.

Ein neues Leben beginnen, wollte sie sagen, doch stattdessen log sie wieder. „Da … wohnt eine Cousine von mir. Sie hat gesagt, sie kann mir einen Job besorgen und ich kann bei ihr wohnen.“

Mit besorgter Miene sah Honey erst Sawyer und Casey an, dann fragte sie Emma: „Und was ist das für ein Job?“

Was für ein Job? Emma blinzelte überrascht. Diese Frage hatte sie nicht erwartet, sondern eher, dass man froh wäre, wenn sie wieder verschwand. Natürlich hatte sie damit gerechnet, dass man ihr anbieten würde, über Nacht zu bleiben – sonst wäre sie ja gar nicht erst hierhergekommen. Aber sie hatte auch gedacht, dass man sie nur zu gerne wieder ziehen lassen würde, wenn sie ein konkretes Ziel für ihre weitere Reise angäbe.

Denk nach, ermahnte sie sich. Schließlich murmelte sie: „Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung. Aber sie hat gesagt, es wäre genau das Richtige für mich. Ich gehe davon aus, dass es … etwas Vernünftiges ist.“

Allen war klar, dass sie sie anlog – das spürte Emma. Sie machte ein paar Schritte auf das Telefon zu. „Ich … ich rufe dann mal ein Taxi.“ Rasch sah sie zu Casey hinüber und wünschte sich im selben Moment, sie hätte es nicht getan. Seit sie ihn kannte, hatte sie ihn noch nie so wütend gesehen. „Sobald … sobald ich mich eingewöhnt habe, melde ich mich. In Ordnung?“

Casey verschränkte wieder die Arme vor der Brust. „Nicht nötig.“

Sie verließ der Mut. Am liebsten hätte sie sich in Luft aufgelöst. „Ich verstehe.“ Warum sollte er auch je wieder von ihr hören wollen? Sie hatte sich ihm so oft angeboten – und jedes Mal hatte er sie zurückgewiesen. Und trotzdem platzte sie immer wieder in sein Leben.

„Du verstehst offensichtlich gar nichts, Emma“, sagte Casey jetzt und ging auf sie zu. „Du gehst nirgendwohin.“

Sein Ton machte ihr Angst. Sie konnte seinem Blick nicht entkommen, musste ihn ansehen, konnte nicht denken. „Natürlich gehe ich.“

„Nein.“ Jetzt kam auch Sawyer auf sie zu und streckte eine beschwichtigende Hand aus. Trotzdem wuchs Emmas Panik. „Casey hat recht. Es ist mitten in der Nacht, und du siehst erschöpft aus. Du solltest etwas schlafen. Morgen früh unterhalten wir uns noch mal und entscheiden dann, was das Beste ist.“

„Nein …“ Sie schüttelte den Kopf, völlig überfordert mit dieser Reaktion.

„Doch.“ Mit freundlicher Miene, aber dennoch unerbittlich nahm Sawyer ihren Arm. „Und jetzt isst du erst mal was und trinkst einen heißen Kakao. Danach gehst du unter die warme Dusche und dann ins Bett.“

Emma steckte in der Zwickmühle. Sie ließ sich aufs Sofa sinken. Warum warfen sie sie nicht hinaus? Nach allem, was sie ihnen angetan und ihnen erzählt hatte?

Ihr eigener Vater hatte trotz oder gerade wegen ihrer vermeintlichen Schwangerschaft sofort die Gelegenheit ergriffen, sie loszuwerden. Und ihre Mutter … nein, darüber wollte und konnte sie im Moment gar nicht nachdenken.

Honey lächelte sie an. „Mach dir nicht so viele Gedanken, Emma. Jetzt ist alles in Ordnung.“

„Nichts ist in Ordnung.“ Warum kapierten sie das nicht?

Doch Honeys freundliches Lächeln blieb. „Mir ging es genauso, als ich das erste Mal hier war. Aber diese Menschen nehmen dich ernst, das kann ich dir versprechen. Wir meinen es alle ernst. Wir wollen einfach nicht, dass du weggehst, wenn es dir nicht gut geht.“

Nun war Emma vollends verwirrt. Wie sollte sie damit bloß umgehen?

Casey setzte sich neben sie und hielt ihr ein Sandwich mit Erdnussbutter und Marmelade hin. Emma starrte es an und war sich sicher, dass sie keinen einzigen Bissen herunterbekommen würde, ohne ihn wieder auszuspucken. Sie musste etwas tun. Sie musste von hier verschwinden, bevor all dieses Verständnis und die Gastfreundschaft sie vollends einlullten.

Auf keinen Fall wollte sie jemandem zur Last fallen.

Mit entschlossener Miene schob sie das Sandwich beiseite. „Wenn ich darf, würde ich nur gern kurz unter die Dusche gehen. Ich sehe bestimmt schrecklich aus.“

Mit einem Finger wischte Casey ihr eine kleine Träne ab, die sie nicht bemerkt hatte. Er zögerte, nickte dann aber. „Okay. Du schläfst heute Nacht in meinem Zimmer.“

Sie starrte ihn ungläubig an. Casey grinste und zwickte sie dann ins Kinn. „Ich schlafe natürlich auf der Couch.“

Ihre törichte Vermutung war ihr peinlich. Als sie rot wurde, grinste Casey noch mehr. Sie konnte es nicht fassen, wie er sie vor seinen Eltern so hochnehmen konnte.

„Du könntest auch Morgans altes Zimmer haben, aber Honey hat es gerade frisch gestrichen, und es ist noch total durcheinander.“

Morgan war sein Onkel und der Sheriff der Stadt. Die meisten Leute hatten Angst vor dem imposanten Mann, doch zu Emma war er immer freundlich gewesen, selbst wenn sie Ärger machte, wie zum Beispiel die Schule zu schwänzen oder zu später Stunde noch unterwegs zu sein. Morgan hatte vor Kurzem geheiratet und war in ein eigenes Haus gezogen.

„Ich gehe auf die Couch.“ Emma fand, das wäre einfacher, doch Casey wollte davon nichts hören.

„Du nimmst mein Bett.“

Sein Vater und seine Stiefmutter stimmten ihm zu. Emma hatte einfach keine Chance gegen die drei. Die Erschöpfung siegte, und so nickte sie bloß. „In Ordnung.“ Sicher wäre es seltsam, in Caseys Zimmer zu schlafen, noch dazu in seinem Bett. Ein bisschen freute sie sich heimlich darauf. „Vielen Dank.“

Casey zeigte ihr das Badezimmer. Dann besorgte er ein langes T-Shirt, das sie als Nachthemd benutzen konnte. Sie nahm es und presste es an sich. Es war groß und weich und roch wunderbar nach Casey. Wenn ich ihn selbst schon nicht haben kann, dann wenigstens das, dachte sie.

Das Badezimmer war größer als ihr Zimmer bei ihren Eltern. Es war sauber und elegant eingerichtet – zum Neidischwerden. Sie schwor sich, dass auch sie eines Tages ein solches Haus besitzen würde. Vielleicht nicht ganz so groß, aber genauso hübsch und einladend und mit einer so wunderbaren Atmosphäre. Irgendwie würde ihr das schon gelingen.

Da es ewig dauern würde, bis ihre langen Haare trocken wären, machte sie sich gar nicht erst die Mühe, sie zu waschen. Sie musste verschwinden, sobald die Gelegenheit günstig war, aber sie wollte nicht mit nassen Haaren rausgehen. Also kämmte sie nur sorgfältig die vielen Knötchen heraus und zähmte ihre Haarpracht dann mit einem Gummiband zu einem Pferdeschwanz. Unter der Dusche kehrten ihre Lebensgeister zurück, und sie kam sich nicht mehr ganz so bescheuert vor.

Nachdem sie sich abgetrocknet und ihr Schlafshirt angezogen hatte, betrachtete Emma sich im Spiegel und verfluchte sich dafür, dass sie ein solches Heulbaby war. Casey würde niemals so herumjammern. Wenn sich in seinem Leben eine Katastrophe ereignete, würde er bestimmt ganz besonnen reagieren und tun, was getan werden musste.

Und genau so würde sie es jetzt auch machen.

Ohne Make-up fielen ihre rote Nase und ihre verheulten Augen noch mehr auf, und auch der Bluterguss auf ihrer Wange war deutlich zu erkennen. Trotz all dem, was geschehen war, hatte sie eine Riesenangst davor, wegzugehen – und auch davor, zu bleiben.

Sie zog das T-Shirt an die Nase und atmete mit geschlossenen Augen Caseys Duft ein, versuchte sich zu sammeln.

Als sie aus dem Bad kam, warteten die anderen schon auf sie. Sie kam sich wie ein Ereignis vor. Normalerweise kümmerte sich niemand um sie. Und irgendwie war ihr das auch lieber als dieses Verhätscheltwerden. Hier waren alle so … nett.

Sawyer gab ihr eine Kühlkompresse, die sie auf ihre geschwollenen Augen legen sollte, dazu noch zwei Tabletten, damit sie besser schlafen konnte.

Honey schwirrte um sie herum wie eine Mutterglucke. Sie forderte Emma auf, sich ruhig etwas zu essen zu holen, wenn sie nachts Hunger bekäme, und wenn sie noch etwas bräuchte, würde ein Wort genügen.

Doch Emma würde lieber sterben, als die Familie noch mehr zu beanspruchen. Sie konnte sehr leise sein, wenn es nötig war – das hatte sie sehr früh gelernt. Wie ein Gespenst konnte sie zur Tür herein- und hinausschweben, ohne dass man sie hörte. Und heute Nacht wollte sie auf keinen Fall jemanden wecken.

Bevor sie und Sawyer sich zurückzogen, gab Honey Emma einen Kuss auf die Stirn. Dann ließen sie Casey mit ihr allein, sodass er ihr in Ruhe Gute Nacht sagen konnte. Emma wunderte sich erneut darüber, wie sehr sie ihr vertrauten. Sie durfte allein mit ihm im Zimmer bleiben – und das, obwohl sie ja jetzt Emmas wahren Charakter kannten. Sie belog und benutzte die Menschen.

Dann stellte Emma fest, dass gar nicht sie es war, der die beiden vertrauten. Sie vertrauten Casey – und das zu Recht.

Er saß auf der Bettkante und sah sie an. Dann lächelte er.

Emma erinnerte sich daran, wie oft sie versucht hatte, Casey so nahezukommen. Das letzte Mal, nach dem Familienpicknick, war es ihr beinahe gelungen. Doch schließlich war Casey mal wieder zu willensstark und moralisch gewesen, um sich richtig auf sie einzulassen. An jenem Abend hatte sie sich entschlossen, die Finger von ihm zu lassen, und sie hatte sich eigentlich auch daran gehalten. Seitdem hatte sie ihn kaum noch gesehen.

Jetzt saß er direkt neben ihr auf seinem Bett. Sie sah dieses furchtbare Mitleid in seinen Augen. Das tat ihr so leid, dass es beinahe unerträglich war. Sie würde dafür sorgen, dass er sie nie wieder so ansehen müsste.

„Geht es dir jetzt besser, Em?“

„Alles gut“, schwindelte sie und hoffte, dass es demnächst wirklich so sein würde. „Ich wünschte nur, ich hätte euch da nicht mit reingezogen.“ Nur leider war ihr keine andere Lösung eingefallen.

Anstatt ihr zu antworten, streichelte Casey ihren Kopf. „Ich habe dich noch nie mit Pferdeschwanz gesehen.“

Ihr Herz tat einen Sprung, ihr stockte der Atem. Hilflos betrachtete sie ihre Hände. „Weil es bescheuert aussieht. Aber da ich heute Abend sowieso furchtbar aussehe, spielt das auch keine Rolle mehr.“

Casey lachte leise, als wenn sie nicht mitten in der Nacht in sein Haus eingefallen wäre und ihn und seine gesamte Familie ins Chaos gestürzt hätte. „Es sieht überhaupt nicht bescheuert aus! Ich finde es eigentlich ganz süß.“ Dann überraschte er sie ein zweites Mal und küsste sie sanft auf die Stirn. „Falls du mich brauchst oder einfach nur reden willst: Ich bin draußen auf der Couch.“

Emma sagte nichts.

„Versprich es mir, Em“, forderte er sie mit dieser Entschlossenheit auf, die sie so bewunderte. „Wenn du mich brauchst, weckst du mich. Okay?“

„Ja, klar.“ Nicht in einer Million Jahren.

Casey setzte sich aufrecht hin. Er sah nicht überzeugt aus. „Na gut. Ich weiß, das wird nicht einfach sein, aber versuch dir keine Sorgen zu machen. Ich bin mir sicher, dass wir eine Lösung finden werden.“

Wir. Das klang immer so, als wollten sie ihr wirklich helfen. Dabei hatte sie sich unter einem miesen Vorwand in das Leben der Familie Hudson gedrängt. Gut, dass sie ab morgen früh nichts mehr mit ihr zu schaffen haben müssten. „Casey? Vielen Dank für alles.“

„Ich habe nichts gemacht, Em.“

Sie hob seine warme, große Hand und küsste sie. Liebe überwältigte sie. „Du bist der beste Mensch, den ich je getroffen habe.“

Morgenrot erleuchtete das Zimmer, als Honey Casey am nächsten Morgen wach rüttelte. Er stützte sich auf einen Ellbogen und versuchte, zu sich zu kommen. Gerade noch hatte er sich in einem düsteren, aber tief erotischen Traum befunden. Mit Emma.

Sein Vater stand hinter Honey, und Casey war schlagartig klar, dass etwas nicht stimmte. „Was ist los?“

„Emma ist besser als ich“, stellte Honey fest.

Casey runzelte die Stirn. „Was meinst du?“

„Keiner von uns hat sie gehört, als sie verschwunden ist.“

Mit grimmiger Miene sagte Sawyer: „Sie hat dir eine Nachricht hinterlassen.“

Casey schleuderte die Decke weg und schoss aus dem Bett. Sein Herz schien ihm aus der Brust springen zu wollen, als er hinüber in sein Schlafzimmer lief. Er war voller Sorge und von einer seltsamen Panik erfüllt.

Sie konnte nicht weg sein.

Mitten in seinem Zimmer blieb er stehen. Die Bettdecke lag ordentlich zusammengelegt auf dem leeren Bett, und auf dem Kopfkissen ruhte ein in der Hälfte gefaltetes Blatt Papier.

In Erwartung einer furchtbaren Nachricht ließ sich Casey aufs Bett fallen und nahm den Zettel. Honey und Sawyer blieben in der Tür stehen und warteten.

Lieber Casey,

ich weiß, du hast mir verboten, es noch mal zu sagen, aber es tut mir alles so leid. Nicht nur, dass ich gestern Abend einfach so in dein Leben geplatzt bin, sondern auch, dass ich dich benutzt und damit möglicherweise alle deine Pläne auf den Kopf gestellt habe. Das war egoistisch von mir. Eine Zeit lang dachte ich, dass ich dich mehr wollte als alles andere.

An dieser Stelle hatte sie einen Smiley gemalt. Ihr Versuch, lustig zu sein, würgte ihn regelrecht. Doch er schluckte und blieb stark.

Aber das wäre dir gegenüber unfair gewesen.

Ich entschuldige mich auch dafür, dass ich das Geld genommen habe, das auf der Kommode lag.

Casey sah hinüber zur Kommode. An das Geld hatte er überhaupt nicht gedacht, es waren wohl um die hundert Dollar gewesen. Damit würde sie nicht weit kommen. Die Emotionen überrollten ihn, sodass er kaum noch Luft bekam.

Ich habe auch noch eigenes Geld, denn ich habe lange gespart. Sobald ich mein neues Leben begonnen habe, werde ich dir das Geld zurückzahlen, das verspreche ich dir. Ich brauchte es, um aus Buckhorn wegzukommen. Ich dachte, es wäre besser, mir dein Geld zu leihen und heute Nacht zu gehen, als euch noch länger zur Last zu fallen.

Hatte er ihr nicht mindestens ein Dutzend Mal gesagt, sie wäre keine Last für ihn? Nein. Er hatte ihr gesagt, sie sollte sich nicht dauernd entschuldigen, aber er hatte ihr nicht gesagt, sie solle dableiben und er würde ihr helfen. Er hatte ihr auch nie gesagt, dass er sie mochte.

Ich wünsche dir ein schönes Leben, Casey. Ich werde dich niemals vergessen.

In Liebe,

Emma Clark

Casey zerknüllte den Brief in der Hand. Er wollte auf etwas oder jemanden einschlagen. Er wollte explodieren vor Wut. Ihm war, als hätte man ihm das Herz herausgerissen. Eine ganze Weile konnte er nichts sagen, zu groß war der Kloß in seinem Hals.

Seufzend setzte sich sein Vater neben ihn. „Ich rufe Morgan an. Vielleicht kann er sie aufspüren.“

Als Sheriff hatte Morgan Möglichkeiten, die normale Menschen nicht hatten. Casey sah seinen Vater an und versuchte, seine Selbstkontrolle zurückzuerlangen. „Wir wissen ja nicht einmal, wo sie hinwill.“

„Nach Ohio, zu ihrer Cousine, hat sie gesagt“, warf Honey ein.

„Aber den Namen dieser Cousine hat sie nicht genannt.“

„Ich rufe Dell an.“ Sawyer gab Casey einen aufmunternden Klaps auf die Schulter. „Er wird es wissen.“

Doch eine halbe Stunde später, nachdem Sawyer die Unterhaltung mit Emmas erstaunlicherweise fassungslosem Vater beendet hatte, wurden Caseys schlimmste Befürchtungen bestätigt. Emma hatte gar keine Cousine in Ohio. Soweit Dell wusste, kannte sie überhaupt niemanden in Ohio – weder Verwandte noch Freunde. Irgendwann im Verlauf des Gesprächs hatte Dell begonnen, Casey die Schuld für die Probleme seiner Tochter zu geben, denn schließlich hätte er sie geschwängert. Er war sogar so weit gegangen, zu verlangen, dass man ihm seinen Verlust ersetzen müsse. Seine Frau sei krank, und jetzt wäre auch noch seine Tochter verschwunden.

Casey empfand eine gewisse Erleichterung darüber, dass Emma den Fängen ihres gefühllosen Vaters entronnen war. Wenn er nur wüsste, wo sie war! Dann könnte er sie zurückholen.

Weder er noch sein Vater hatten sich bemüßigt gefühlt, Dell Clark aufzuklären. Hätte Emma gewollt, dass er die Wahrheit wüsste, hätte sie es ihm selbst gesagt. Irgendwann würde es Dell schon dämmern, dass es gar keine Schwangerschaft gab und Emma das nur als Ausrede benutzt hatte, um von ihm hinausgeworfen zu werden – besser gesagt, um zu fliehen.

Aber wovor genau?

Casey hoffte, sie wäre noch nicht allzu weit gekommen und man würde sie bald finden. Verdammt! Er wollte sich wirklich um sie kümmern, so bescheuert das auch sein mochte.

Doch ein paar Stunden nachdem Sawyer die Suchmeldung bei Morgan eingereicht hatte, musste er seinem Sohn schlechte Nachrichten überbringen.

Casey stand gerade draußen am Zaun und starrte auf die schier endlose Wildblumenwiese. Er hatte mit seiner Melancholie die Pferde gelangweilt, die nun anderswo ihr Gras rupften. Die Sonne brannte heiß auf ihn herab, das Gras duftete süß, und der Himmel war von einem unvorstellbaren Blau.

„Case?“

Als er die Stimme seines Vaters hörte, schrak Casey auf und drehte sich um. Er bekam es mit der Angst zu tun, als er seine Miene sah. „Was ist passiert?“

Schnell schüttelte Sawyer den Kopf. „Es ist nichts passiert. Aber Morgan hat bei der Highway Patrol nachgefragt – keiner hat Emma gesehen. Es gibt niemanden, auf den ihre Beschreibung passt. Sie ist wie vom Erdboden verschluckt. Es tut mir leid, Case.“

Casey ballte die Hände zu Fäusten und wiederholte laut die Worte, die seit dem Morgen in seinem Kopf widerhallten: „Sie wird schon wieder auftauchen.“

„Das hoffe ich auch, aber … gestern Abend ist auch noch etwas anderes passiert.“ Sawyer stemmte die Hände in die Hüften und sah seinen Sohn mit ernster Miene an. „Letzte Nacht ist Ceilys Diner abgebrannt.“

Langsam ließ sich Casey gegen den hölzernen Zaunpfosten sinken. „Und Ceily …?“

„Sie war nicht da. Es ereignete sich mitten in der Nacht, vermutlich als Folge eines Einbruchs.“ Sawyer zögerte kurz. „Morgan ermittelt wegen Brandstiftung.“

„Brandstiftung? Aber das hieße ja …“

„Ja. Jemand wollte ihr absichtlich schaden.“

Zusätzlich zu seiner Sorge um Emma war das nur schwer zu verkraften. Ceily wurde von allen in der Stadt geliebt, ihr Diner war ein Wahrzeichen. Und sie war eine gute Freundin.

„Das Seltsame ist“, fügte Sawyer hinzu, „dass das Feuer von einem anonymen Anrufer gemeldet wurde, den man bisher noch nicht identifizieren konnte. Als Morgan zum Brandort kam, war das Feuer bereits außer Kontrolle. Das Gebäude steht zwar noch, doch der Innenraum ist vollkommen hinüber. Auch alles, was nicht verbrannt ist, ist nicht mehr zu gebrauchen.“

Casey war wie betäubt. So etwas wie Brandstiftung kam in Buckhorn eigentlich nicht vor.

Und er wurde normalerweise auch nicht von Mädchen beschuldigt, sie geschwängert zu haben, noch dazu, wenn es gar nicht stimmte. „Ist Morgan okay?“

„Seine Stimme ist etwas angekratzt von dem vielen Rauch, aber ansonsten ist er in Ordnung. Ceily ist natürlich wie vor den Kopf geschlagen. Ich habe schon mit ihr gesprochen und ihr unsere Hilfe zugesagt, aber es wird dennoch eine ganze Weile dauern, bis der Schaden behoben ist und sie ihr Lokal wieder öffnen kann.“

In diesem Moment gesellte sich Honey zu ihnen. Sie war barfuß, und ihr langes blondes Haar flatterte im Wind. Instinktiv legte sein Vater den Arm um sie, küsste sie auf die Schläfe und murmelte: „Ich habe es ihm gerade gesagt.“

Honey nickte. „Es tut mir leid, Casey. Momentan hat Morgan mit den Ermittlungen alle Hände voll zu tun.“

„Das heißt, er will keine Zeit damit verschwenden, nach Emma zu suchen.“

Honey nahm seinen Vorwurf gelassen. „Du weißt, dass das nicht stimmt.“ Sie streichelte seine Schulter. „Er hat getan, was er konnte, aber nach dem, was sie in ihrem Abschiedsbrief schreibt, gibt es keinen Grund, weiter nach ihr zu suchen.“

Sawyer rieb sich den Nacken. „Ich weiß, wie du dich fühlst, Casey. Ich finde es auch nicht toll, dass sie ganz alleine unterwegs ist. Ich habe noch nie ein emotional so labiles Mädchen gesehen. Dell will sie nicht als vermisst melden, also sind Morgan die Hände gebunden. Sie wird schon wiederkommen, wenn sie so weit ist. Und in der Zwischenzeit können wir nicht viel mehr tun als warten.“

Wieder streichelte Honey Casey tröstend. „Vielleicht nimmt sie mit dir Kontakt auf. Sawyer hat recht. Lass uns abwarten – und hoffen.“

Casey drehte sich wieder zur Blumenwiese um, und Honey und Sawyer ließen ihn mit seinen Gedanken und Sorgen allein. Ja, dachte er, sie wird sich melden. Das musste sie einfach. Denn zwischen ihnen war etwas, nichts Sexuelles, sondern … etwas ganz Besonderes.

Das spürte er. Also spürte sie es sicher auch.

Doch die Tage vergingen ohne eine Nachricht von Emma.

Das Feuer im Diner war das Thema in der Stadt, und die Tatsache, dass Emma verschwunden war, interessierte kaum jemanden. Sie hatte keine wirklichen Freunde in der Gegend gehabt. Die Jungs hatten sie nur benutzt, die Mädchen sie beneidet, und in sämtlichen Schulen galt sie als hoffnungsloser Fall. Es war klar, dass nicht gerade viele Leute sie vermissten.

In den folgenden Wochen kehrte die Stadt wieder zur Normalität zurück, doch eine gewisse Anspannung und Nervosität blieben – vor allem da die Person, die in Ceilys Diner eingebrochen war und das Feuer gelegt hatte, nicht ausfindig gemacht wurde. Auch Casey ging irgendwann wieder zur Tagesordnung über, war aber weiterhin verletzt und wütend. Auf sich und auf Emma.

Drei Monate später kam ein Brief für ihn. Er enthielt das Geld, das Emma ihm gestohlen hatte, und sogar ein paar Dollar mehr. In einer kurzen Notiz teilte Emma ihm mit, dieser Überschuss seien die Zinsen. Natürlich gab es keine Absenderadresse. Sie hatte unterschrieben mit: Vielen Dank für alles. Emma Clark.

Frustriert fragte sich Casey, ob sie wohl mit Vor- und Zunamen unterschrieben hatte, weil sie meinte, er könnte sie vergessen haben wie alle anderen.

Der Brief mit dem Geld bedeutete immerhin, dass sie am Leben war und es ihr gut ging. Casey versuchte sich einzureden, dass das alles war, was er wollte: sie in Sicherheit wissen. Mehr als Sympathie und eine Prise Lust hatte er sowieso nie für sie gefühlt.

Doch das konnte er selbst nicht glauben. Die Wahrheit brannte in ihm wie Säure, denn nichts hatte ihn jemals so getroffen wie die Tatsache, dass Emma ihn mit voller Absicht verlassen hatte.

Er wollte nie wieder im Leben so verletzt werden.

Da sie nicht zurückkehren wollte, ihm nicht vertrauen wollte, ihn nicht wollte, konnte er ihr nicht helfen. Aber er konnte sein Leben wieder aufnehmen.

Da er nichts Besseres vorhatte, finge er wie geplant mit dem Studium an. Auch wenn er wusste, dass es nicht Emmas Absicht gewesen war, hatte sie sein Leben für immer verändert. Verdammt, er wollte sie zurück, auch wenn er doch immer so getan hatte, als ob er sie gar nicht wollte.

Sie vergessen? Eher würde die Hölle zufrieren, als dass das passierte.

Autor

Lori Foster

Bisher hat die US-amerikanische Bestseller-Autorin Lori Foster über siebzig Liebesromane geschrieben. Unter dem Namen L.L.Foster schreibt sie Fantasy-Romane.

Mit dem Schreiben begann Lori Foster erst im Alter von 30 Jahren, vorher dachte sie nie daran, eine Geschichte zu schreiben. Als sie mit einer Lungenentzündung das Bett hüten musste,...

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