Gefangen zwischen Vernunft und Verlangen

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Geld, Sicherheit und Macht – das sind Renzo Valettis Garanten für Erfolg. Umso mehr irritiert ihn Hennessy, seine unkonventionelle, viel zu attraktive Geschäftspartnerin, die das genaue Gegenteil von all dem verkörpert. Obwohl er Hennessy begehrt und seine Gedanken sich bald nur noch um diese sexy Frau drehen, versucht er, seine Gefühle zu kontrollieren. Zwischen Machtspielchen und aufloderndem Verlangen wird ihm klar: Ausgerechnet eine Sache, die er nie zulassen wollte, droht ihm die Kontrolle zu entziehen – die Liebe.


  • Erscheinungstag 11.11.2025
  • Bandnummer 2726
  • ISBN / Artikelnummer 0800252726
  • Seitenanzahl 144

Leseprobe

Louise Fuller

Gefangen zwischen Vernunft und Verlangen

PROLOG

Hennessy

Zuerst pocht es in meinem Kopf. Ich träume, dass ich in dem Verlag bin, der meiner Familie gehört. Ich weiß, dass es sich um Wade and Walters handelt, weil an den Wänden lauter Regale mit Zeitschriften stehen. Die Regale schwanken – anfangs sacht, dann stärker, bis die Zeitschriften herunterfallen und auf den Boden klatschen, lauter und lauter und lauter …

Ich reiße die Augen auf. Das Pochen ist gar nicht in meinem Kopf. Jemand schlägt mit der Faust gegen meine Apartmenttür. Bestimmt meine Nachbarin Mrs. Godfrey auf der Suche nach ihrer Katze.

Seufzend greife ich nach meinem Handy. Heute ist mein Geburtstag. Seit Mitternacht bin ich fünfundzwanzig. Auf dem Handy ist eine Nachricht von meinem besten Freund Antony. Keine von meiner Mutter, Jade, was mich nicht überrascht, weil sie nie an meinen Geburtstag denkt. Seltsamerweise habe ich aber auch keine Nachricht von meinem Vater, Charlie. Ihm gebührt zwar kaum der Titel Vater des Jahres, doch Geburtstage machen ihn normalerweise sentimental.

Ich quäle mich aus dem Bett. Mein Körper zittert, und mein Kopf scheint zu bersten, als hätte ich getrunken. Nur tue ich das nicht mehr. Seit fast drei Jahren habe ich weder Alkohol noch Drogen angerührt, aber an meinem Geburtstag geht es mir immer schlecht. Verständlich, wenn man bedenkt, dass meine Mutter mich während der Feier zu meinem dritten Geburtstag verlassen hat.

Heute lebt sie mit ihrem aktuellen Partner in Rio. Ich kenne ihn nicht. Seinem Vorgänger bin ich auch nie begegnet. Meine Mutter habe ich seit drei Jahren nicht gesehen – nicht seit Las Vegas.

Nachdem Jade mich verlassen hatte, war ich bestürzt. Eine Weile – länger, als sie es verdient hat – habe ich mir ausgemalt, wie sie zurückkommt und mich an sich drückt. Doch als die Zeit verstrich und sie fortblieb, spielte ich Szenarios durch, in denen ich sie mit meinem Zorn vernichtete.

Natürlich war es kein bisschen wie in meiner Fantasie, als wir uns neunzehn Jahre später schließlich wiedersahen. Sie war zornig, ich dagegen wie gelähmt, sprachlos. Etwas in meinem Kopf zuckt bei der Erinnerung. Der Abend hatte es wahrhaftig in sich. Nicht nur weil Jade mir vorwarf, ich sei der schlimmste Fehler ihres Lebens, sondern auch weil ich mich vor meinem früheren Schwarm, Renzo Valetti, lächerlich machte.

Allein schon bei dem Gedanken an ihn schießt mir das Blut in die Wangen. Als Teenager habe ich mir oft vorgestellt, er wäre mein fester Freund. Nicht, dass er davon gewusst, geschweige denn meine Gefühle erwidert hätte. Wegen des Altersunterschieds und der Tatsache, dass er Antonys Bruder ist, hat Renzo mich immer wie ein nerviges Kind behandelt. Allerdings war ich an jenem Abend kein Kind mehr. Ich war zweiundzwanzig und nicht in der Lage, klar zu denken. Oder vielleicht doch, denn es fühlte sich zwingend notwendig an, ihn zu küssen. So notwendig wie mein nächster Atemzug, und er hat mich auf dieselbe Weise geküsst.

Das Hämmern an meiner Tür holt mich in die Gegenwart zurück. Ein paar Sonnenstrahlen lugen an den Rändern der Jalousien hervor. Sie reichen mir für den Weg zur Tür.

Ich spähe durch den Spion. Draußen stehen ein Mann und eine Frau. Beide tragen dunkle Anzüge, und für den Bruchteil einer Sekunde denke ich, mich erwartet eins dieser singenden Telegramme. So eine alberne Aktion, die Antony süß findet.

Von außen wird ein Ausweis vor den Spion gehalten. Ich blinzle und fluche leise. FBI. Wie ein Kind will ich die Augen schließen und so tun, als wäre ich unsichtbar, aber im zweiundfünfzigsten Stock sitze ich in der Falle. Ich kann mich nicht ewig verstecken. Also hole ich tief Luft, schließe die Tür auf und öffne sie einen Spalt.

Die Frau tritt vor. „Miss Wade? Ich bin Agentin Carson, das ist Agent Merrick.“

„Soll das ein Witz sein? Denn er ist nicht lus…“

„Das ist kein Witz, Miss Wade“, unterbricht sie mich. „Wir suchen Ihren Vater, Charles Winthrop Wade.“

„Ich weiß, wer mein Vater ist“, schnappe ich und recke das Kinn vor. „Und er ist nicht hier.“

„Wissen Sie, wo sich Ihr Vater aufhält, Miss Wade?“, fragt Agentin Carson.

„Nein. Worum geht es denn?“ Was könnte Charlie angestellt haben, damit das FBI am Samstagmorgen vor meiner Tür steht? Andererseits will ich nicht darüber nachdenken. Nichts damit zu tun haben. Keinen weiteren Schlamassel regeln, für den er verantwortlich ist. Schon gar nicht jetzt, wo ich seit drei Monaten für Wade and Walters arbeite und mir alle Mühe gebe, zu beweisen, dass ich nicht ganz der Vater bin. Kein Promikind, das aus seinem Namen Kapital schlagen will.

„Gegen Ihren Vater wird wegen Betrugs, Steuerhinterziehung, Behinderung der Justiz und Nichtantritt der Untersuchungshaft ermittelt.“

„Nichtantritt?“ Ich kann mir keinen Reim auf ihre Worte machen.

„Wir sind bei Ihrem Vater nicht von Fluchtgefahr ausgegangen.“ Agentin Carson spricht lauter und blickt über meine Schulter, als könnte Charlie hinter der Tür hervorspringen. „Trotzdem scheint er untergetaucht zu sein, Miss Wade.“

„Also, hier ist er nicht. Und ich weiß auch nicht, wo er sich aufhält.“

Ich will die Tür schließen, doch Agent Merrick schiebt einen Fuß in die Lücke. „Tut mir leid, Miss Wade, aber wir haben einen Durchsuchungsbefehl für Ihr Apartment.“

Er sieht gelangweilt aus. Ob er auch so klingt, kann ich nicht hören, weil mein Herz so laut hämmert. Ein Durchsuchungsbefehl … Ich will losbrüllen und etwas zertrümmern. Was ist das für ein abartiges Spiel? Warum hat Charlie mich nicht gewarnt? Aber so läuft es seit meiner Kindheit. Genau wie früher passieren auch heute schlimme Sachen, und ebenfalls genau wie früher werde allein mit ihnen klarkommen müssen.

Während die Agenten an mir vorbeigehen, dringt der Klingelton meines Handys durch meine Panik. Ich gehe sofort ran, ohne auf den Namen des Anrufers zu schauen. „Charlie?“

„Also hast du nicht mit ihm gesprochen?“ David Walters ist der Co-Geschäftsführer meines Vaters. Der vernünftige Gegenpol zu meinem Vater. Die Ruhe in Person.

Meine Welt kippt aus den Fugen, als ich höre, wie gestresst er ist. „Nein. Aber das FBI ist hier“, sage ich und höre, wie er zittrig ausatmet.

„Verstehe. Nun, es lässt sich nicht ändern. Wir müssen unsere nächsten Schritte besprechen. Ich habe für morgen früh um acht eine außerplanmäßige Vorstandssitzung anberaumt, würde dich aber gern vorher sehen. Könntest du eine Viertelstunde früher im Büro sein?“

Das Handy fühlt sich glitschig an. „Warum ich? Ich bin doch nur die Marketingchefin.“ Und auch erst seit drei Monaten.

Stille. David räuspert sich. „Nicht mehr. Dein Vater und ich haben eine Vereinbarung. Für den Fall, dass einem von uns etwas zustößt, haben wir als Mehrheitsaktionäre bestimmt, wer uns vertreten beziehungsweise nachfolgen soll. Charlie hat dich gewählt. Das bedeutet, dass du ab sofort meine Co-Geschäftsführerin bist.“

Als David auflegt, lehne ich mich mit dem Rücken an die Tür und sehe zu, wie die Agenten routiniert mein Apartment durchsuchen.

Das hier kann doch nicht wirklich passieren. Ich bin komplett überfordert. Kann nicht Co-Geschäftsführerin sein. Anscheinend bin ich es trotzdem.

Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Hennessy.

1. KAPITEL

Vierundzwanzig Stunden später

Hennessy

Charlies Jackett hüllt meinen zitternden Körper ein, als ich mit einem Kräutertee für mich und einem Kaffee für David zügig die Stufen zu Wade and Walters hinaufgehe.

Nachdem das FBI gestern gegangen ist, habe ich noch eine geschlagene Stunde am ganzen Körper gezittert. Ich wollte mit Charlie sprechen, aber natürlich ging er nicht ans Handy. Also habe ich Antony angerufen, und meine Panik ließ nach, wie immer, wenn ich mit meinem besten Freund rede.

Während meines Telefonats mit Antony rief Charlie an. Er machte sich allerdings nicht die Mühe, ein zweites Mal anzurufen. Lieber hinterließ er eine Nachricht. Typisch.

Ich trete in den Aufzug und höre mir die Nachricht noch einmal an. „Möglicherweise bekommst du Besuch von ein paar Leuten. Keine Sorge. Du weißt nichts, also kann man dir nichts anhaben. Ich stecke in der Klemme, Essie, aber das geht vorbei. Verhalte dich einfach unauffällig und stell dich dumm.“

Stell dich dumm – eins von Charlies Mantras. Das und: Blick nicht zurück. Sein absoluter Lieblingssatz lautet: Denk zuerst an dich selbst.

Letzteres tut er permanent. Charlie duldet mich in seinem Leben. Manchmal denke ich, dass er mich auf seine Weise sogar liebt. Nach dem Tod meiner Großmutter wollte mich niemand zu sich nehmen. Es war Charlie oder keiner.

Um ihn mache ich mir keine Sorgen. Er kommt klar. Wenn sich in seinem Leben ein Riss auftut, schlüpft er wie ein Aal hindurch. Auch ich komme klar, denn ich lasse niemanden nah heran. Aus der Entfernung sehen die Leute nur die Hennessy Wade, von der sie im Internet gelesen haben. Aus der Nähe könnten sie mein wahres Ich erkennen, und ich ertrage die Enttäuschung in ihren Augen nicht, wenn sie merken, dass ich es nicht wert bin, sich mit mir abzugeben.

Doch jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt für die Abwärtsspirale selbstzerstörerischer Gedanken. Dies könnte die Gelegenheit sein, um der Welt und dem Vorstand zu zeigen, dass ich nicht nur wegen meines Nachnamens im Verlag arbeite. Ich bin hier, weil ich meinen Job gut mache, sage ich mir und drehe dabei die Münzen in meiner Jacketttasche. Sie beweisen, dass ich seit fast zwei Jahren und elf Monaten nüchtern bin. Aber wenn du ein reiches Mädchen bist, glaubt jeder, dein Leben sei ein Traum.

Ist es nicht. Wenn man mich schneidet, blute ich. Sicher, ich habe mehr Wahlmöglichkeiten als die meisten Menschen. Mit Eltern wie meinen habe ich jedoch lange gebraucht, um herauszufinden, welche Entscheidungen gut und welche schlecht sind.

Apropos …

Ich senke den Blick auf meine hohen Schuhe. Mir ist durchaus der Gedanke gekommen, nach Hause zu fahren und mich umzuziehen. Aber dann hätte ich mich verspätet, und ich will David zeigen, dass er sich auf mich verlassen kann. Außerdem kann ich erklären, warum ich aussehe, als käme ich direkt aus einem Club. Ich musste mich ablenken, also habe ich mich zurechtgemacht, um auszugehen. Doch dann habe ich es mir anders überlegt, bin stattdessen ins Büro gefahren – und geblieben.

Fast die ganze Nacht habe ich an einer Strategie gefeilt, die Anzeigenkunden und Aktionäre beruhigen dürfte. Zum ersten Mal, seit David mir gesagt hat, dass ich für Charlie einspringe, fühle ich mich tatsächlich wie eine Co-Geschäftsführerin.

Als sich die Aufzugtüren in der achtzigsten Etage öffnen, kommt mir meine Assistentin mit hochrotem Gesicht entgegen. „Er ist in seinem Büro.“ Callies Stimme klingt unnatürlich hoch und zittrig.

Anders als Charlie ist David verlässlich. Erleichterung durchflutet mich, weil er hier ist, an meiner Seite.

Meine Berufung zur Marketingchefin hat einigen Wirbel verursacht. Ich kann die Zweifel der Menschen nachvollziehen. Abgesehen davon, dass ich Charlies Tochter bin, weist mein Lebenslauf Lücken auf. Wade and Walters ist ein hundertfünfzigjähriger Verlagsriese in der Sparte Lifestyle. Unser Vorzeige-Modemagazin FROW ist vermutlich der größte Influencer der Welt. Der Vorstand hat mich nur widerstrebend berufen, aber David war mein Fürsprecher.

„Gut.“ Ich lächle beruhigend. „Ich frage schnell, ob David möchte, dass Sie mitschreiben … Was ist denn?“, frage ich, weil Callies Miene erstarrt.

„Oh, ich dachte, Sie wissen es schon. Ich habe Ihnen mehrere Nachrichten hinterlassen. Mr. Walters ist im Krankenhaus. Er hatte einen Herzinfarkt.“

Es kommt mir vor, als würde sich die Erde so schnell wie ein Kreisel in Hochform drehen. Ich stelle die beiden Becher mit Tee und Kaffee auf den nächsten Tisch. „Ist er okay?“

„Ja, aber die Ärzte müssen noch einige Tests machen. Im Moment darf nur seine Familie zu ihm. Es tut mir leid, Miss Wade, ich habe wirklich versucht, Sie zu informieren …“

Es ist allein meine Schuld, dass sie es nicht konnte. Ich habe mich aus den sozialen Medien zurückgezogen und mein Adressbuch auf ein paar Leute reduziert, denen ich vertraue, plus Charlie und Jade natürlich. Die Welt, der ich den Rücken gekehrt habe, existiert jedoch nach wie vor, und die Verlockung, mich über das Leben anderer zu informieren, ist allgegenwärtig. Mein gestriger Beinahe-Abstecher in einen Club beweist das, darum habe ich mein Handy im Taxi ausgestellt.

„Es ist nicht Ihre Schuld, Callie. Aber wer ist dann in Davids Büro?“

„Mr. Walters’ Nachfolger.“ Ihre Wangen färben sich noch röter. „Mr. Walters hat entschieden, sich frühzeitig zur Ruhe zu setzen. Gestern hat er seinen Nachfolger ernannt, und der ist heute aus Australien angekommen.“

„In dem Fall gehe ich besser zu ihm und stelle mich vor.“

Später habe ich mich gefragt, warum ich nicht zwei und zwei zusammengezählt habe. Es gibt nämlich nur einen Mann auf diesem Planeten, der eine sachliche Assistentin wie Callie aus der Fassung bringen kann. Aber jetzt bin ich durcheinander wegen Davids Herzinfarkt. Darum gehe ich schnell in sein Büro …

Und bleibe so abrupt stehen, dass Callie gegen mich prallt. Mein Herz fühlt sich tonnenschwer an. Ich starre den Mann an, der mit dem Rücken zu mir am Fenster steht. Die reine Panik packt mich.

Zugegeben, nicht nur Panik. Etwas, das ich nicht benennen kann – nicht benennen will –, gleitet meine Wirbelsäule entlang, lässt meine Haut prickeln. Plötzlich kann ich kaum noch atmen. Ich hasse es, dass er mich sogar in diesem Moment dazu bringen kann. Dass er mich erbeben lässt – auch innerlich, noch bevor ich ihm ins Gesicht sehe.

Mein Magen krampft sich zusammen, mein Herz beginnt zu hämmern, und ich kann weder das eine noch das andere verhindern. In seiner Nähe tut mein Körper Dinge, die ich nicht kontrollieren kann. Dabei muss ich sie kontrollieren.

„Was macht er denn hier?“, krächze ich heiser. Keine Ahnung, warum ich Callie diese Frage stelle, schließlich kenne ich die Antwort. Aber ich kann sie nicht akzeptieren, bis ich die Worte höre.

„Mr. Valetti ist der neue Co-Geschäftsführer.“ Callies Bühnenflüstern hört man wahrscheinlich noch in Brooklyn.

Nein.

Das Wort hallt dröhnend in meinem Kopf. Es überrascht mich beinahe, dass Callie es nicht zu hören scheint. Aber vielleicht hat Renzo es gehört, denn er dreht sich um. Ich sage schnell: „Hier muss ein Fehler vorliegen. Du kannst nicht mein Co-Geschäftsführer …“

„Du hast meinen Text geklaut“, fällt Renzo mir mit seiner tiefen, männlichen Stimme ins Wort. Wie eine Klinge, die in meinen Körper schneidet. Er ist gut darin, mich zu unterbrechen, mich zusammenzustauchen. Schließlich tut er das seit Jahren.

Meine Beine sind weich wie Pudding. Angesichts all der Schocks der letzten vierundzwanzig Stunden sollte sich Renzos Gegenwart auf meiner Richterskala kaum bemerkbar machen. Aber dies ist bei Weitem der größte Schock von allen.

Das hier kommt mir persönlich vor.

Es ist persönlich.

Ein Schauer jagt durch meinen Körper, als ich daran denke, wie Renzo schmeckt. Wie unsere Küsse mein Innerstes nach außen gekehrt und mich geöffnet haben, weich, voller Sehnsucht.

Der Kuss war erotisch, verheerend und besitzergreifend zugleich. Die grellen Lichter von Vegas verblassten, und ich vergaß alles außer Renzo. Ich war sein, und er beanspruchte mich für sich … Bis er den Kuss abrupt beendete, um mir zu erklären, was eben passiert sei, werde nie wieder passieren. Er zählte die Gründe dafür auf, als wäre ich eine unzulängliche Angestellte, die er feuern müsste.

Callie zieht sich still zurück, und ich drücke die hohen Absätze in den Teppich, damit ich ihr nicht hinterherstürze. Mein Puls, meine Atmung – alles gibt Gas. Ob ich unter Wahnvorstellungen leide?

Renzo ist auf eine unnötige, ungerechte, auffällige Weise schön. Mit hohen Wangenknochen, markantem Kinn und dunkelblauen Augen, die einen an den Himmel kurz vor Einbruch der Nacht erinnern. Ich muss ihn nur ansehen, schon presse ich instinktiv die Lippen zusammen. Und die Beine. Was vollkommen dämlich ist. Sinnlos, wenn man bedenkt, wie ich auf Intimität reagiere. Aber wann hat mich das je gestoppt, wenn es um diesen Mann ging?

„Wo warst du?“ Eindringlich sieht er mich an, und ich weiß nicht, ob die Anspannung in meinem Körper Panik, Zorn oder Warnung ist. Oder etwas, das ich nicht für ihn empfinden will und auch nicht sollte. Etwas, das ich weder vor noch nach dem Kuss für einen anderen Mann empfunden habe.

Nicht, dass es viele Männer gegeben hätte. Entgegen allem, was über mich geschrieben wird, war ich nur mit zwei Männern zusammen. Die übrigen, die ihre Geschichten verkauft haben, sind Lügner und waren bei der Begegnung mit mir betrunken oder auf Drogen, weshalb sie sich nicht erinnern, was wirklich geschehen ist.

„Auch dir einen guten Morgen, Renzo.“

„Seit gestern versuche ich, dich zu erreichen.“ Vorwurfsvoll sieht er mich an. „Ich habe angerufen und gesimst.“

Was mehr ist als nach unserem Kuss in Vegas. Ich verkrampfe mich, weil ich an den wilden, übermächtigen Moment in seinem Wagen denke. Als unsere Lippen miteinander verschmolzen sind und die Hitze sich wie ein Lauffeuer in meinem Körper ausgebreitet hat. Entschlossen vertreibe ich die Erinnerung.

„Mein Handy ist ausgeschaltet.“

Ein Muskel zuckt an seinem Kinn. „Wie ungewöhnlich.“

„Danke.“ Ich verstehe ihn absichtlich falsch. „Meine Generation ist angeblich süchtig nach Handys, aber du kennst mich ja – ich schwimme gern gegen den Strom.“

„Deine Vorlieben und Abneigungen interessieren mich nicht, Hennessy.“ Seine blauen Augen wirken wie ungeschliffene Saphire. „Hingegen ist es mir wichtig, mit meiner Geschäftspartnerin kommunizieren zu können.“

„Wenn dir Kommunikation wichtig ist, solltest du vielleicht an deinem Small Talk arbeiten“, erwidere ich gereizt. „Jeder normale Mensch würde mich fragen, wie es mir geht. Immerhin muss es gut fünf Jahre her sein, seit wir uns zuletzt gesehen haben.“

Es ist genau drei Jahre und zwei Wochen her, aber er soll nicht glauben, dass ich das weiß.

Vielleicht erinnert er sich nicht, denn er korrigiert mich nicht. Stattdessen bedenkt er mich mit einem dieser vernichtenden Blicke, die er eigens für mich reserviert hat. „Hier geht es ums Geschäft, Hennessy. Zeit ist Geld.“

Unwillkürlich balle ich die Hände zu Fäusten. Ich weiß, dass der Blick mich nicht so verletzen sollte. Eigentlich müsste ich ihn inzwischen gewohnt sein, denn Renzo hat nie viel von mir gehalten. Aber irgendetwas hat sich verändert. Jetzt spüre ich ein festes, hohes Hindernis, als wolle er mich fernhalten.

Er ist über Nacht aus Australien hergeflogen. Sogar in einem Privatjet ist dieser Flug brutal lang, aber Renzo wirkt, als käme er direkt von einem Fotoshooting. Sein maßgeschneiderter dunkler Anzug schmiegt sich an die breiten Schultern und betont den muskulösen Körper. Es ist einfach unfair, dass er nicht nur schlau und erfolgreich ist, sondern auch noch trotz Jetlag so gut aussieht.

Fair oder nicht, es ist fahrlässig, sich auf seine Kleidung zu konzentrieren, denn der Mann darunter ist ebenso kaltblütig wie berechnend und opportunistisch.

Ich verstehe, warum David ihn zu seinem Nachfolger ernannt hat und der Vorstand zweifellos entzückt ist. Als Aktionär hat Renzo großes Interesse am Erfolg von Wade and Walters. Obendrein ist er die treibende Kraft hinter einem der am schnellsten wachsenden Nachrichtenkonzerne der Welt, und nach allem, was ich gehört habe, macht er auf dem Weg zu seinen Zielen vor nichts halt.

Plötzlich bin ich unfassbar wütend auf Charlie, der mich in diese Lage gebracht hat. Sosehr er auch beteuert, mich zu lieben – sich selbst liebt er mehr. Aber wenigstens hasst er mich nicht, was man von dem Mann mir gegenüber nicht behaupten kann, der mit seiner autoritären und selbstsicheren Ausstrahlung mühelos sein neues Büro ausfüllt.

„In Unternehmen geht es nicht nur um Geld, Renzo. Es geht auch um Menschen.“

„Es geht um Profit, und Profit zahlt die Gehälter der Menschen. Vielleicht wird dir das klarer, nun, da du arbeitest, statt dir lediglich Dividenden auszahlen zu lassen.“ Sein strenger Blick wandert von meinen zerzausten Haaren zu meinen nackten Beinen. „Natürlich gilt es für mich nicht als Arbeit, mit Verspätung im Jackett deines Freunds hier hereinzuspazieren.“

„Es ist Charlies Jackett. Und ich war nicht zu spät. Tatsächlich bin ich schon gestern Abend hergekommen und habe die Nacht mit Brainstorming für die heutige Besprechung verbracht.“

„So kleidest du dich also für Brainstorming?“

Am liebsten würde ich ihn erwürgen. „Nein. Ursprünglich wollte ich zu Garrison Cutlers Geburtstagsparty …“ Ich breche ab, unsicher, wohin dieser Satz führt. Sicher bin ich nur, wohin er nicht führen soll. Ich will diesem Mann nichts über mein Privatleben offenbaren.

Er schüttelt den Kopf. „Fiedeln, während Rom brennt. Wie Nero.“

„Gratuliere. Du hast fast fünf Minuten überstanden, ohne auf mein privilegiertes Leben anzuspielen. Das muss ein Rekord sein.“

„Du umgibst dich mit Schnorrern und Faulenzern, denen die Motivation fehlt, dir einen Spiegel vorzuhalten.“

Wow … Geh zum Teufel. Der Stress, der sich seit Stunden in mir aufbaut, droht sich zu entladen. Renzo ist so selbstgerecht und gehässig. Warum ermittelt eigentlich niemand gegen ihn, und zwar wegen Widerwärtigkeit? Ich funkle ihn an. „Diese schmeichelhafte Einschätzung werde ich später mit meinem Team teilen. Es sei denn, du möchtest das übernehmen. Oder – nur so ein Gedanke – vielleicht könntest du deine Vorurteile zügeln und dich mit der Wirklichkeit beschäftigen. Der zufolge bin ich nämlich deine Co-Geschäftsführerin, während ich bis vor vierundzwanzig Stunden hier die Marketingchefin war.“

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