Glaub mir, ich liebe dich

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Lange hat Tyler Corwin nicht mehr an die Liebe gedacht. Doch seit er die faszinierende Pferdetrainerin Shaunna Lightfeather kennt, spürt er, wie sehr ihm die Zärtlichkeit in all den Jahren fehlte. Trotzdem wagt er es nicht, an eine gemeinsame Zukunft zu denken, denn erst seit kurzer Zeit lebt seine kleine Tochter Lanie, deren Mutter vor ein paar Wochen starb, bei ihm. Tyler befürchtet, dass sie es nicht ertragen kann, ihren Vater zu teilen …


  • Erscheinungstag 14.02.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733755591
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Tyler Corwin stand vor dem Haus, das einen ziemlich heruntergekommenen Eindruck machte. Die Stufen der Betontreppe zur Veranda bröckelten bereits ab. Der Holzboden knarrte bedenklich, und die Haustür hing nur noch in einer Angel. Über seinem Kopf schwirrten Fliegen. Eine dicke, dunkelhäutige Frau mittleren Alters kam auf ihn zu und starrte ihn durch das Fliegengitter hindurch an. Sie machte keine Anstalten, die Tür zu öffnen.

„Ich suche Shaunna Lightfeather“, erklärte er. „Mein Name ist Tyler Corwin. Ich habe vorhin angerufen. Sie erwartet mich.“

Die Frau murmelte etwas Unverständliches und ging zurück in die Küche. „Sie zieht sich um. Sie hat gesagt, dass Sie in der Küche warten sollen“, fügte sie dabei in mürrischem Ton, aber zumindest verständlich, hinzu.

Tyler nahm an, dass er eintreten durfte, und öffnete die quietschende Tür. Als er die Küche betrat, schlug ihm der Geruch von Pferdemist entgegen. Aus dem Radio vernahm er Klänge eines Countrysongs. In der linken Ecke lagen mehrere Paare zerkratzter Cowboystiefel. Man konnte deutlich sehen, dass sie schon seit Jahren getragen wurden. Auf der rechten Seite stand eine Waschmaschine, auf der fleckige Jeans sowie ein verfärbtes Baumwollhemd mit Karomuster lagen.

Unwillkürlich zog er die Nase kraus. Er lachte auf, als die Verandatür krachend hinter ihm ins Schloss fiel. Dieses Haus war ein totaler Gegensatz zu den sauberen Gängen und Büros der Vermögensverwaltung Smith & Fischer, für die er arbeitete. Nur zehn Meilen lagen zwischen diesem Haus und Bakersfield, aber diese zehn Meilen hatten ihn in eine andere Welt entführt. In eine Welt, von der er vor sechs Monaten noch nicht einmal gewusst hatte, dass sie überhaupt existierte.

Als er die Küche betrat, ging die dunkelhäutige Frau zu einem mit Resopal beschichteten Tisch, der mit Papieren und Pferdezeitschriften bedeckt war. Er verstand es als Einladung, sich zu setzen, und zog sich einen Stuhl zurecht. Der Plastiküberzug auf dem Sitz war an zwei Stellen geflickt. Die goldbraune Farbe war verblichen. „Kaffee?“, fragte die Frau.

Tyler konnte das Gebräu riechen. Zweifelnd schaute er auf die halbvolle Kanne. Er vermutete, dass der Kaffee sehr stark war und schon seit Stunden warm gehalten wurde. Höflich lächelnd schüttelte er den Kopf. „Nein, danke.“

Jetzt gab die Frau einen undefinierbaren Laut von sich. „Sie wird gleich hier sein“, meinte sie dann und verließ die Küche ohne ein weiteres Wort. Ihr grob karierter Rock schwang im Rhythmus ihrer breiten Hüften hin und her. Tyler schaute ihr nach und ließ seinen Blick dann durch die Küche schweifen.

Das Holzhaus gehörte zu einer ausgedehnten Ranch, wie sie in den fünfziger Jahren häufig gebaut worden waren. Die Spuren seines Alters waren unübersehbar. Die Tapeten waren unansehnlich, das Linoleum abgewetzt, der Wasserhahn tropfte. Allem Anschein nach fehlte es in diesem Haus am nötigen Kleingeld für eine gründliche Renovierung. Aber das kam ihm durchaus entgegen. Wenn die Besitzerin Geld brauchte, würde er sie leichter überzeugen können, ein weiteres Pferd in Pflege zu nehmen. Sogar ein schwieriges Pferd wie Magic.

„Mr. Corwin?“

Als er seinen Namen hörte, drehte er sich hastig zur Küchentür um. Sein Blick fiel auf eine Frau Ende zwanzig. Vor Überraschung hielt er die Luft an.

Groß und schlank stand sie leicht breitbeinig in der Tür. Die Hände hatte sie in die Hüften gestützt, das Kinn hoch erhoben. Ihre Jeans saßen bequem und keineswegs zu eng, die Ärmel ihres hellbraunen Cordhemds im Männerschnitt hatte sie bis zu den Ellbogen aufgekrempelt. Die oberen Knöpfe waren geöffnet und gaben einen attraktiven Ausschnitt frei. Tylers Blick wurde unwillkürlich auf diesen Ausschnitt gezogen. Sie war nicht gerade vollbusig, aber ihr Dekolletee war dennoch wunderschön.

Ob sie wohl einen BH trägt? schoss es ihm durch den Kopf. Der Gedanke überraschte ihn. Und er war auch überrascht, dass sein Puls schneller ging, denn er gehörte nicht zu den Männern, die sich durch den Anblick einer schönen Frau leicht aus der Fassung bringen ließen.

Es muss an ihrem ungewöhnlichen Aussehen liegen, dachte er. Ihre Haut schimmerte goldbraun und verriet ihre indianische Abstammung. In den Zopf ihrer dichten, dunkelbraunen Haare hatte sie ein Band hineingeflochten und zwei Federn hineingesteckt. Aber mehr als alles andere zogen ihre Augen seine Aufmerksamkeit auf sich. Eigentlich sind sie braun, dachte Tyler, aber am besten kann man sie wohl mit der Farbe eines Topases vergleichen.

Er erhob sich, um sie zu begrüßen. „Ms. Lightfeather?“

Der Stuhl kippte nach hinten. Die Metalllehne krachte auf das Linoleum. Die Frau lächelte kaum und betrat die Küche. „Nennen Sie mich Shaunna. Verzeihen Sie, dass ich Sie warten ließ. Ein Hengstfohlen, das kastriert werden soll, hat mich in einen Dunghaufen gestoßen, und ich hielt es für angebracht, mich gründlich zu waschen, bevor wir uns begegnen.“

Im Augenblick hätte er ihr alles Mögliche verziehen, denn er brauchte schließlich ihre Hilfe. Aber er hatte niemals erwartet, dass sie so jung sein würde. Und so wunderschön. Eilig hob er den Stuhl auf. „Ja, also, ich bin Tyler Corwin. Wir haben telefoniert. Nennen Sie mich einfach Tyler. Und ich danke Ihnen sehr, dass Sie sich Zeit für mich nehmen.“

„Sie haben mir schließlich keine Wahl gelassen.“ Lächelnd trat sie auf ihn zu, blieb aber ein paar Schritte vor ihm stehen. Der Geruch von frischer Seife stieg ihm in die Nase.

Sie reichte ihm die Hand zur Begrüßung. Ihr Griff war fest, und dieses Mal war er nicht überrascht. Sie hatte die Ausstrahlung einer starken und energischen Frau. Ihre Hand fühlte sich ganz anders an als die weichen Handflächen der Frauen, mit denen er sonst beruflich zu tun hatte. Shaunna Lightfeathers Hand war das Gegenteil der Hand von Alicia Fischer, der Frau, mit der er sich seit einem Jahr gelegentlich verabredete.

Die Schwielen in ihrer Handfläche bewiesen, dass sie harter körperlicher Arbeit nachging. Er bezweifelte, dass Alicia diese Art von Arbeit jemals kennen lernen würde. Alicia war von Hause aus wohlhabend. Jetzt verdingte sie sich als Koordinatorin von Veranstaltungen, und einen schwereren Gegenstand als einen Telefonhörer musste sich nicht anheben. Die Stärke liegt in meinem Geist, pflegte sie zu sagen.

Tyler hätte Shaunnas Hand am liebsten nicht mehr losgelassen. Es war, als wollte er ein wenig von der Kraft einfangen, die er in ihr verspürte. Schnell ließ er sie los und rieb seine Handflächen gegeneinander.

„Bitte setzen Sie sich.“ Shaunna deutete auf den Stuhl. „Kaffee?“ Sie lächelte, als er ablehnte. „Sicher eine kluge Entscheidung. Maria kocht morgens immer einen starken Kaffee. Aber nachmittags ist er dann grauenvoll.“ Sie setzte sich ihm gegenüber. „Erzählen Sie mir von Ihrem Pferd. Es gehört Ihrer Tochter, sagten Sie am Telefon?“

„Ja. Also, um genau zu sein, es ist ein wilder Mustang. Und noch gehört er der Distriktverwaltung.“

„Am Telefon sagten Sie, dass Sie das Pferd seit einem Jahr betreuen. Sollte es dann nicht bald automatisch in Ihr Eigentum übergehen?“

„Ja, Sie haben recht. Sicher.“

Seine zögerliche Antwort brachte sie beinahe zum Lachen. „Haben Sie schon mit der Distriktverwaltung Kontakt aufgenommen? Und angefragt, ob der Mustang Ihnen bald überschrieben wird?“

„Ich … äh …“

Shaunna beobachtete, wie Tyler Corwin auf seinem Stuhl unruhig hin- und herrutschte. Am Telefon hatte er gesagt, dass er direkt vom Büro aus zu ihr kommen wollte. Daher wunderte sie sich nicht, dass er noch einen Anzug trug. Der dunkelblaue Nadelstreifen betonte seine gut gebauten Schultern und stand ihm ganz ausgezeichnet. Er hatte gesagt, dass er Wirtschaftsprüfer wäre, aber sie fragte sich, ob er die Wahrheit gesagt hatte. Sie suchte dringend jemanden, der die Buchhaltung für sie übernahm, aber keinesfalls wollte sie den Fehler wiederholen, durch den sie beinahe mal ins Unglück geraten war.

„Es gibt ein kleines Problem“, gestand er schließlich.

Wenn jemand sagte, dass es ein „kleines Problem“ gab, dann war es erfahrungsgemäß genau das Gegenteil. „Was für ein Problem?“

„Das Pferd … es ist …“ Er zögerte. „Vielleicht sollte ich Ihnen ein paar Dinge erklären.“

Er schaute sie direkt an. Sie konnte sich beinahe spiegeln im strahlenden Blau seiner Augen. Er sah wirklich gut aus, aber seine Augen beeindruckten sie am meisten. Und vielleicht noch seine dichten, rotblonden Haare, die ein kundiger Friseur in einen korrekten Schnitt gebracht hatte. Diese Haare verlangten nach einer Berührung. Sie wollten durcheinander gebracht werden.

Nicht, dass er sie in Versuchung führte.

„Erklären Sie mir das“, bat sie. Sie war wild entschlossen, sich auf das Pferd und nicht auf seine Haare zu konzentrieren.

„Also, wie ich schon am Telefon sagte, Lanie hatte vor sechs Monaten einen schweren Unfall und …“

„Lanie ist Ihre Tochter?“

Ihre Unterbrechung schien ihn irgendwie aus der Fassung zu bringen. Zögernd fuhr er fort. „Äh … ja. Sie hatte einen Autounfall, zusammen mit ihrer Mutter und ihrem Stiefvater. Ein betrunkener Autofahrer war Schuld. Er ist frontal mit ihrem Wagen zusammengeprallt. Lanies Mutter, meine Exfrau, und ihr Stiefvater waren auf der Stelle tot. Lanie saß auf dem Rücksitz. Wir hatten kaum Hoffnung, dass sie überlebt. Einen Monat lang musste sie im Krankenhaus bleiben. Aber langsam erholt sie sich, physisch und psychisch.“

Shaunna nickte. Für jedes Kind wäre es eine traumatische Erfahrung, die Mutter und den Stiefvater zu verlieren. „Sie sagten, dass Sie das Pferd in einer Pension untergebracht haben.“

„Ja.“ Er schüttelte den Kopf. „Es war das Einzige, was ich tun konnte. Abgesehen von dem, was ich in der letzten Zeit gelernt habe, verstehe ich nichts von Pferden. Ich wusste noch nicht mal, dass Lanie ein Pferd besitzt. Meine ehemaligen Nachbarn haben es mir erzählt, als sie Lanie im Krankenhaus besuchten. Niemand hat das Pferd gefüttert und getränkt. Sie machten sich große Sorgen. Und sie haben mir dann vorgeschlagen, es irgendwo in eine Pension zu geben, bis ich entschieden hätte, was mit ihm geschehen soll. Das habe ich dann auch getan.“

„Klingt vernünftig. Und das Pferd steht jetzt in dem Stall, den Sie ausgewählt haben?“

„Ja.“ Er verzog das Gesicht. „Es handelt sich um einen Stall auf der anderen Seite von Bakersfield. Das Pferd steht dort jetzt seit gut fünf Monaten. Ich dachte, dort würde man sich um das Tier kümmern, und deshalb habe ich nicht viel für ihn getan. Natürlich habe ich die Rechnungen bezahlt, die mir regelmäßig jeden Monat nach Hause geschickt wurden. Meine Zeit habe ich hauptsächlich bei Lanie und mit meinem Job verbracht. Ich hatte einfach keine freie Minute für den Mustang.“

„Aber jetzt haben Sie nach ihm gesehen.“

„Ja. Letzte Woche. Lanie und ich haben den Stall besucht. Ihr Arzt war der Ansicht, es würde ihr gut tun, ein wenig Zeit bei ihrem Pferd zu verbringen. Lanie hat sich sehr aufgeregt, als sie Magic sah. Ich selbst war schockiert. Das Pferd ist in einem grauenhaften Zustand.“

„Mit grauenhaftem Zustand meinen Sie …“

„Dreckig. Unglaublich verdreckt.“ Tyler schüttelte angewidert den Kopf. „Man sagte mir, dass er versucht hätte, aus der Koppel auszubrechen. Deshalb haben sie ihn im Stall eingesperrt. Wie in einem Käfig. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie ihn in den vergangenen Monaten auch nur ein einziges Mal ins Freie geführt haben. Schrecklich. Und der Gestank …“ Er zog die Nase kraus. „Ich kann kaum glauben, in welcher Verfassung sich das Tier befindet.“

Wenn das Pferd in dem Stall untergebracht war, an den Shaunna spontan denken musste, dann glaubte sie ihm aufs Wort. Er hatte den Stall einfach aus dem Telefonbuch ausgewählt, dort angerufen und den Versprechungen der Besitzer ohne weiteres geglaubt. „Sie sagten, dass man das Pferd dort seit Monaten nicht ins Freie gelassen hätte?“

„Das vermute ich. Wenn ich daran denke, wie er aussah und wie er gerochen hat, dann war er die ganze Zeit über eingeschlossen.“

„Kann das Pferd denn überhaupt noch laufen?“ Shaunna hatte einige misshandelte Pferde gesehen, die das nicht mehr konnten.

„Oh, laufen kann er“, erwiderte Tyler mit fester Stimme. Dann stand er auf, ging zum Fenster und starrte seufzend hinaus auf die Stallungen und die Koppeln. „Magic kann viel mehr als nur laufen. Als wir die Tür der Box öffneten, um es herauszuführen, hat er nach Lanie ausgeschlagen. Er hat tatsächlich versucht, sie zu attackieren.“

„Er hat Ihre Tochter attackiert?“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich gebe zu, dass Sie wirklich ein Problem haben.“ Und kein kleines. „Wie alt ist Ihre Tochter eigentlich? Zehn?“

„Ja, genau.“

„Ein Kind in diesem Alter sollte kein angriffslustiges Pferd besitzen. Kinder brauchen ruhige, lammfromme Pferde.“

„Ich weiß. Im Grunde möchte ich das Tier lieber heute als morgen loswerden, aber Lanie behauptet steif und fest, dass er vor ihrem Unfall anders gewesen sei. Bevor er in diesen Stall gebracht wurde. Sie sagte, dass ihre Mutter jemanden engagiert hatte, um das Pferd zu zähmen. Vor dem Unfall ist Lanie viel geritten. Magic war ruhig und lammfromm.“

Shaunna verzog schmerzhaft das Gesicht. So etwas geschah sehr häufig. Der Pferdetrainer brach den Willen des Pferdes, und der Reiter bekam einen Sklaven anstelle eines Freundes und Gefährten.

Und manchmal rebellierten die Sklaven dann.

„Gleichgültig, wie das Pferd vorher war“, fuhr Tyler fort. „Wenn ich daran denke, wie er sich jetzt benimmt, dann sollte ich ihn so schnell wie möglich loswerden. Ihn verkaufen oder ihn dorthin schicken, wo er hergekommen ist. Aber Lanies Arzt meinte, dass es für sie sehr wichtig wäre, das Pferd zu behalten. Ihre Mutter hat ihr das Pferd gekauft, und wenn sie es jetzt verliert, könnte das ihren Heilungsprozess gravierend beeinträchtigen. Lanie braucht das Tier. Körperlich und emotional. Einerseits müssen wir Magic behalten, um Lanies willen. Andererseits ist er zu unberechenbar, um ihn behalten zu können. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Auf keinen Fall kann das Pferd dort bleiben, wo es jetzt untergebracht ist. Aber es muss gezähmt werden, bevor wieder jemand mit ihm umgehen kann.“

Shaunna lächelte. „Sie haben mich also angerufen, weil Sie hoffen, dass ich ihn zähmen kann?“

Tyler ließ seinen Blick für einen Augenblick auf ihr ruhen und ging dann zurück zu seinem Stuhl. „Ich gebe zu, dass Sie jünger sind, als ich vermutet habe. Seit wir Magic besucht haben, habe ich mich umgehört, und alle sind der Meinung, dass Sie der beste Pferdetrainer in der Gegend, ja in ganz Kalifornien sind. Man sagt, dass Sie mit Pferden die reinsten Wunder vollbringen können.“

Sie wollte protestieren, aber er ließ sich nicht unterbrechen. „Alle sagen, dass Ihre Berührungen … dass Sie magische Hände haben. Lanies Pferd heißt Magic. Ich denke, ein wenig Magie kann er gut gebrauchen.“

„Vielleicht sogar eine ganze Menge.“

„Dort, wo er jetzt steht, bekommt er sie nicht“, meinte Tyler. „Nachdem Lanie und ich ihn besucht hatten, bin ich noch mal zum Stall gefahren und habe mit der Besitzerin gesprochen. Sie meinte, dass man das Pferd am Besten in den Griff bekommt, wenn man es so lange hungern lässt, bis es zu schwach für einen Angriff ist. Und genau das scheint sie jetzt zu tun.“ Er schüttelte den Kopf. „Aber damit ist jetzt Schluss. Kein Tier muss hungern oder misshandelt werden, gleichgültig, wie aggressiv es ist. Ich habe die Besitzerin angewiesen, Magic ab sofort die volle Futterration zu geben. Und ich habe den Vertrag gekündigt. Nächste Woche hole ich ihn ab.“ Tyler seufzte. Dann lächelte er hilflos. „Nehmen Sie ihn auf?“

Shaunna gefiel die Vehemenz, mit der Tyler versuchte, das Pferd aus seiner schlimmen Lage zu befreien. Sie mochte die Festigkeit seiner Stimme, und es hatte ihr imponiert, dass es ihm gelungen war, sie zu diesem Treffen zu überreden, obwohl sie deutlich zu verstehen gegeben hatte, dass sie keinen Termin frei hatte. Sicher verstand er nichts von Pferden, aber er machte einen sehr fürsorglichen Eindruck. „Ich habe Ihnen schon am Telefon erklärt, dass ich weder im Stall noch auf der Koppel einen freien Platz habe. Jedenfalls nicht in den nächsten zwei Monaten.“

Er hielt ihren Blick gefangen. „Ich kann ihn nicht dort lassen, wo er jetzt ist.“

„Rund um Bakersfield gibt es noch andere Ställe“, wandte sie ein.

„Meinen Sie, dort kann man mit Pferden wie Magic umgehen? Ihn besänftigen, sodass Lanie ihn wieder reiten kann?“

Sie konnte seine Frage nicht mit Sicherheit beantworten, ohne das Pferd gesehen zu haben, aber sie wusste, dass nur wenige dazu in der Lage waren.

„Die vergangenen sechs Monate waren nicht leicht für Lanie“, sagte Tyler. „Erst hat sie ihre Mutter und ihren Stiefvater verloren, dann war sie einen Monat lang im Krankenhaus. Und jetzt lebt sie bei mir, bei einem Fremden. Lanie …“ Er hielt inne und senkte den Blick. „Lanie ist im Moment sehr schwierig, und wir kommen nicht besonders gut zurecht. Ihr Arzt sagt, dass sie um sich schlägt, weil sie innerlich so tief verletzt ist. Und weil ich in ihrer Nähe bin, bevorzugt sie mich als Zielscheibe. Ich möchte ihr nicht erzählen müssen, dass ich das Pferd weggegeben habe.“

„Nein, das wäre sicherlich nicht gut“, stimmte Shaunna zu. „Wenn Sie Magic weggeben, ist es außerdem recht wahrscheinlich, dass er zu Hundefutter verarbeitet wird.“

Shaunna hatte das Gefühl, die Wut des Mädchens gut verstehen zu können. Vielleicht hatte ihre Mutter nach der Scheidung schlecht über ihren Exmann gesprochen. Shaunnas Mutter jedenfalls hatte das sehr oft getan, gleichgültig, ob ihr Vater gerade in der Nähe war oder nicht. Scheidungskinder waren oft wütend, das wusste Shaunna aus eigener Erfahrung.

Sie war auf beide Eltern wütend gewesen. Auf ihre Mutter, weil sie so war, wie sie war, auf ihren Vater, weil er sie verlassen hatte. Vielleicht war er schon gestorben, aber vielleicht auch nicht. Nicht ein einziges Mal hatte er von sich hören lassen, nachdem er fortgegangen war. Keine Geburtstagskarte. Kein Weihnachtsgeschenk. Nichts.

„Ich zahle gut“, bot Tyler an.

Shaunna verscheuchte die trüben Erinnerungen. „Wenn ich Ihnen helfe, und das kann ich Ihnen nicht versprechen, dann nicht wegen des Geldes.“

Sein Blick fiel auf einen Stapel unbezahlter Rechnungen, die auf dem Tisch lagen. „Ein kleiner Zuschuss könnte vielleicht helfen“, meinte er.

Sicher, obwohl sie über ihre finanzielle Situation nicht genau Bescheid wusste. Und sie würde bestimmt besser stehen, wenn sie nicht dauernd Tiere retten würde, die andere schon längst aufgegeben hatten. Pferde. Hunde. Katzen. Und wenn sie sich schon um ein misshandeltes Pferd kümmerte, dann sollte es nicht umsonst sein.

„Ich habe das Gefühl, dass Sie die einzige Hoffnung für Magic sind“, sagte Tyler. Die Sanftheit seiner Stimme berührte sie mehr, als die Aussicht auf einen Haufen Geld es je vermocht hätte.

Seine strahlend blauen Augen und sein fürsorglicher Tonfall nahmen sie gefangen. Außerdem reizte sie die Aussicht, mit einem wilden Mustang zu arbeiten. Und Tyler Corwin reizte sie ebenfalls. „Ich muss das Pferd erst sehen“, sagte sie. „Auch ich kann nicht allen helfen.“

„Ich bitte Sie lediglich, es zu versuchen.“ Tyler lächelte erfreut. „Wenn Sie ihn nur in einen Zustand bringen, in dem Lanie mit ihm fertig werden kann.“

„Wie ist denn die körperliche Verfassung ihrer Tochter?“, fragte Shaunna. „Ist sie fit genug, um mit ihrem Pferd zu arbeiten?“

„Ja. Sie hinkt zwar noch ein bisschen und ist noch nicht wieder voll und ganz bei Kräften, aber der Arzt meinte, dass das Reiten ihre Muskulatur stärken wird.“

„Mir scheint, dass sie nicht so bald auf einem schwierigen Pferd reiten sollte. Ich erwarte allerdings, dass sie täglich mit ihm arbeitet. Besonders in der ersten Zeit.“

„Sie wird hier sein. Sie dürfen sie aber keinesfalls in Gefahr bringen“, verlangte Tyler.

„Bevor ich mich endgültig entscheide, möchte ich das Pferd sehen und Ihre Tochter kennen lernen.“

„Sie wollen sie kennen lernen? Lanie?“, fragte er. Die Panik in seiner Stimme war unüberhörbar. Shaunna hatte das untrügliche Gefühl, dass er ihr etwas verschwieg. „Na gut“, stimmte er dann zu. „Wann haben Sie Zeit?“

„Wie wär’s mit Samstag? Um zehn Uhr?“

„Gut. Samstag um zehn.“

Tyler verließ das Haus mit gemischten Gefühlen. Er war sicher, dass Shaunna den Mustang bei sich aufnehmen würde, wenn sie ihn erst mal gesehen hatte. Wenn es stimmte, was man sich über sie erzählte, dann würde sie ihn nicht zwei Minuten länger in seinem Gefängnis eingesperrt lassen, geschweige denn zwei Wochen oder zwei Monate. Noch nicht einmal er konnte das ertragen, und er war kein ausgesprochener Pferdeliebhaber.

Was ihm wirklich Sorgen bereitete, das war der Besuch mit seiner Tochter bei Shaunna. Er wusste schließlich, wie Lanie sich Alicia gegenüber benahm. Lanies Arzt war der Ansicht, dass sie ihn testen wollte.

Unablässig kämpfte sie gegen ihn, und manchmal fragte er sich, ob es die Sache wert war. Lanie war wütend, und nichts schien sie zu besänftigen. Er konnte tun, was er wollte.

Er fragte sich, ob er Shaunna die ganze Geschichte über Lanie hätte erzählen sollen. Vielleicht würde sie die Lage dann besser verstehen. Aber außer seinen Eltern und dem Arzt hatte er niemandem etwas verraten, auch nicht Alicia.

Lächelnd dachte er an Shaunna. Es überraschte ihn, dass er sie anziehend fand. Nicht, dass ihm der Sinn für die Schönheit der Frauen fehlte. Mit ihren hohen Wangenknochen, ihrer dunklen Hautfarbe und den ungewöhnlichen Augen war sie eine äußerst attraktive Frau. Natürlich. Aufregend. Sexy.

Sein erster Eindruck verriet ihm, dass Shaunna Lightfeather eine schlechte Geschäftsfrau war. Aber es tat seinem männlichen Stolz gut, dass auch sie ihn offenbar attraktiv gefunden hatte. Jedenfalls ließ ihr Verhalten diesen Schluss zu. Sie war gestolpert, als sie ein paar Schritte zurückgetreten und mit ihrem Hinterteil an seine Hüften geprallt war.

Fassungslos hatte sie sich abgewandt, als ob sie sich verbrannt hätte. Das Blut war ihr in die Wangen geschossen und hatte ihre Haut noch intensiver leuchten lassen. Auch ihre Augen waren ihm noch faszinierender erschienen. Es war schon lange her, dass eine Frau seinetwegen errötet war.

Sie ist attraktiv, aber es kommt gar nicht in Frage, sagte er zu sich selbst. Denn was haben wir schon gemeinsam?

Sie liebte Tiere über alles. Hunde, Katzen, Pferde und Schafe. Sie pflegte sogar einen kleinen Vogel, der aus dem Nest gefallen war. Er hatte vor langer Zeit mal einen Hund besessen, den er allerdings zurückgelassen hatte, als er sich von Lanies Mutter trennte.

Er besaß eine große Sammlung klassischer Musik. Shaunna hörte Countrymusic. Er würde sie niemals zu einem Geschäftsessen mitnehmen können. Sie würde seine Mandanten mit ihrer unverblümten Art schockieren. Wenn sie zum Beispiel über die anstehende Kastration ihres Hengstfohlens berichtete. Die Gesten ihrer Hände waren eindeutig gewesen. Und er war peinlich berührt gewesen.

Nein, es gab keine Gemeinsamkeiten.

Vielleicht knisterte es ein wenig zwischen ihnen.

Er grinste und bog auf den Highway ein. Shaunna hatte das sicher auch bemerkt. Vielleicht war die Geschichte von der Kastration des Hengstfohlens als Warnung zu verstehen gewesen. Nun, dann musste sie sich keine Sorgen machen. Er wollte nichts von ihr. Das Knistern würde er geflissentlich ignorieren. Das tat er schließlich seit Jahren.

„Kümmere dich um das Pferd“, sagte er zu sich selbst. „Und um Lanie.“

2. KAPITEL

Pünktlich um zehn Uhr trafen Tyler und seine Tochter am Samstagmorgen ein. Shaunna beobachtete die beiden, während sie aus dem Wagen stiegen. Tylers Kleidung war lässiger als bei ihrer ersten Begegnung. Statt eines Anzugs trug er jetzt braune Hosen, ein hellbraunes Polohemd und braune Slipper. Er sah aus wie ein Model, und sie wusste genau, wie seine Kleidung nach einer Stunde Arbeit mit den Pferden aussehen würde.

Seine Tochter war angemessener gekleidet. Sie trug Jeans, ein Hemd im Westernstil und Cowboystiefel. Ihre Beine waren so lang wie die eines Fohlens. Sie war dünn und blass und ihrem rotbraunen Haar fehlte der Glanz. In gewisser Hinsicht erinnerte das Mädchen Shaunna an den Mustang, über den sie gesprochen hatten. Beide zeigten deutliche Spuren einer schweren Traumatisierung. Lanie wegen des Autounfalls, Magic wegen der Behandlung in der Pension, in der er untergebracht war.

Lanie hinkte leicht, als sie auf Shaunna zuging, und Shaunna konnte die Narbe auf ihrer Stirn deutlich erkennen. Sie verschwand irgendwo zwischen ihren Zöpfen. Den ungebändigten Haarsträhnen nach zu urteilen hatte sie sich die Zöpfe selbst geflochten.

Shaunna war erstaunt, dass das Mädchen ihrem Vater überhaupt nicht ähnlich sah. Zwar hatten sie beide blaue Augen, aber ihre Gesichtsform war vollkommen verschieden. Das Gleiche galt für ihre Haarfarbe und für ihren Körperbau.

Als das Paar langsam auf sie zukam, konnte Shaunna noch weitere interessante Beobachtungen machen. Vater und Tochter hielten Distanz. Sie berührten sich nicht und schauten sich nicht an. Beide richteten ihren Blick starr auf Shaunna, aber Lanie hatte einen ganz anderen Gesichtsausdruck als Tyler.

Lanies Blick wirkte zurückhaltend, fast eingeschüchtert. Ihr Rücken war steif, ihr Kinn hoch erhoben und ihre Augen zusammengekniffen. Shaunna wusste, dass das Kind krampfhaft versuchte, sich ein Urteil über sie zu bilden. Lanie schien sich innerlich auf einen Kampf vorzubereiten.

Tylers Blick war vollkommen anders. Er drückte Besorgnis aus. Schweigend flehte er sie an, obwohl Shaunna klar war, dass er sich dessen nicht bewusst zu sein schien. Eine skrupellose Person hätte es sicher ohne Schwierigkeiten verstanden, ihren Vorteil aus der Sache zu ziehen. Er flehte verzweifelt um Hilfe.

Nachdem sie den Mustang gesehen hatte, kannte sie den Grund.

Autor

Maris Soule
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