Happily Inc - der perfekte Ort zum Heiraten (5in1)

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WEIHNACHTSLIEBE UND LAMETTAZAUBER

Als ihr Vater, der König von El Bahar, seinen edelsten Zuchthengst verkauft, kann Prinzessin Bethany nicht anders. Sie muss sicher sein, dass ihr Lieblingspferd ein gutes Zuhause bekommt, und reist unter falschem Namen nach Happily Inc. Der neue Besitzer des Tiers macht auf sie einen guten Eindruck − einen sehr guten sogar. Cade Saunders ist überaus charmant, und seine Küsse unterm Weihnachtsbaum sind himmlisch. Aber er hält nichts von Reichtum und Etikette. Deshalb darf er nie erfahren, wer sie wirklich ist!

PLANST DU NOCH ODER LIEBST DU SCHON?

Happily Inc, so heißt die Kleinstadt am Rande der kalifornischen Wüste, in der der Legende nach seit dem 19. Jahrhundert jeder die wahre Liebe findet. Hier wird fast täglich geheiratet, und Weddingplanerin Pallas Saunders übertrifft sich selbst bei den ausgefallensten Hochzeiten. Aber ihr eigenes Liebesglück? Das muss warten, der Job geht vor - das denkt Pallas zumindest, bis sie dem Künstler Nick Mitchell begegnet und der Zauber von Happily Inc auch sie für immer umfängt.

DIE LIEBE TRÄGT GIRAFFENPULLI

In ihren Träumen wird die Wildhüterin Carol Lund von ihrem sexy Nachbarn leidenschaftlich geküsst. Aber leider sieht der Künstler Mathias Mitchell in ihr nur eine gute Freundin. Kein Wunder, denn sie passt nicht in sein Beuteschema. Sie will sich verlieben, bevor sie jemanden küsst. Und doch kommt sie Mathias sehr viel näher, als sie ihm mit einem eigensinnigen Beagle hilft. Im Gegenzug unterstützt er sie dabei, für ihre Giraffe Millie eine Gefährtin zu finden. Ob für Carol doch alle Träume wahr werden?

FAMILIE IST, WENN MAN TROTZDEM LIEBT

Man nennt ihn den Drachen, aber Natalie Kaleta traut sich in seine Höhle. Die junge Galerie-Assistentin sollte eigentlich nur einige Kunstwerke bei Ronan Mitchell abholen. Nun verbringt sie jedoch das Wochenende bei dem für seine Launen bekannten, attraktiven Künstler, da ihr Wagen einen Abhang hinuntergerutscht ist. Tatsächlich ein Glück für beide, denn sie verbringen sehr genussvolle Nächte … Aber Natalie träumt von einem Mann und eigenen Kindern. Ronan dagegen zuckt schon bei dem Wort »Familie« zurück. Ob Natalie den Drachen zähmen kann?

EINMAL FÜR IMMER, BITTE

Silver ist eine Frau der Tat. Beherzt verfolgt sie ihren Lebenstraum, in ihrer mobilen Bar die perfekten Cocktails für jede Hochzeit zu mixen. Nachdem die Bank den Kredit abgelehnt hat, bietet ausgerechnet ihr Ex Drew Hilfe an. Er gibt ihr das nötige Geld allerdings nur gegen eine geschäftliche Partnerschaft. Sagt Silver Ja, muss sie eng mit ihm zusammenarbeiten und darf seinem immer noch sehr sinnlichen Lächeln nicht verfallen. Denn sonst lässt sich das Geheimnis nicht länger verbergen, das sie seit ihrer Trennung mit sich herumträgt.


  • Erscheinungstag 24.02.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783745752106
  • Seitenanzahl 1552
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Susan Mallery

Happily Inc - der perfekte Ort zum Heiraten (5in1)

MIRA® TASCHENBUCH

Copyright © 2018 by MIRA Taschenbuch
in der HarperCollins Germany GmbH

Titel der Originalausgabe:
„A Very Merry Princess“
Copyright © 2017 by Susan Mallery, Inc.
erschienen bei: HQN Books, Toronto

Lektorat: Daniela Peter
Übersetzung: Ivonne Senn
Covergestaltung: bürosüd, München
Coverabbildung: www.buerosued.de

ISBN E-Book 9783955768904

www.harpercollins.de
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E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

Für Hazel, die immer nach Bethanys Geschichte gefragt hat. Hier ist sie endlich!

1. KAPITEL

Sein Leben zu entprinzessinen war gar nicht so leicht. Zum einen gab es da Dinge, die man logischerweise zurücklassen musste: Tiaras, Zepter, Kammerzofen. Aber mal abgesehen von diesen Kleinigkeiten, gab es auch einige größere Probleme. Für Bethany Archer, ebenfalls bekannt als Prinzessin Bethany von El Bahar, gehörte dazu ihr Reisepass. Beziehungsweise die Frage, welchen sie mitnehmen sollte.

Sie besaß einen amerikanischen Pass, weil sie in Kalifornien geboren war und die ersten neun Jahre dort verbracht hatte. Aber dann waren sie und ihre Mom nach El Bahar gezogen. Dort hatte Liana, ihre Mom, Kronprinz Malik kennengelernt und ihn geheiratet. Vor zwei Jahren war Malik dann König geworden. Und das bedeutete, dass Bethany neben ihrem kalifornischen auch einen Pass aus El Bahar hatte. Einen Pass, in dem als Berufsbezeichnung doch tatsächlich Prinzessin stand.

Sie betrachtete die beiden offiziell aussehenden Büchlein auf ihrem Bett, dann stöhnte sie und schob beide in ihren Rucksack. Sie würde die USA mit ihrem amerikanischen Pass betreten und verlassen, aber für den Notfall auch den anderen mitnehmen. Denn eines wusste Bethany genau: Wo auch immer sie hinging, die Komplikationen folgten ihr.

Hätte ihre Mutter sich doch nur in einen normalen Mann verliebt! In jemanden, der genauso klug und liebevoll war wie König Malik, aber weniger … königlich. Es war nicht so, dass Bethany das Leben in dem berühmten rosafarbenen Palast von El Bahar hasste. Oder ihren Job in den königlichen Stallungen. Oder das Zusammenleben mit ihren drei jüngeren Brüdern und ihrer Mutter, Königin Liana. Ihren Adoptivvater, den König, hatte Bethany sofort ins Herz geschlossen, als sie ihn damals, im Alter von neun Jahren, zum ersten Mal gesehen hatte. Doch diese ganze Monarchie war wirklich ätzend.

Bethanys leiblicher Vater hatte vor seinem Tod den Lebensunterhalt mit Autorennen bestritten. Rückblickend hatte Bethany keine Ahnung, wie ihre Eltern je hatten glauben können, diese Ehe würde funktionieren. Nach der Scheidung war Chuck wesentlich mehr daran interessiert gewesen, seine Autos in Schuss zu halten, als Unterhalt für seine Tochter zu bezahlen, und er hatte auch vergessen, Zeit mit Bethany zu verbringen.

Um ihrer Tochter ein Zuhause zu geben und etwas Geld zur Seite zu legen, damit Bethany später aufs College gehen konnte, hatte Liana sich entschieden, eine Stelle als Mathelehrerin an der amerikanischen Schule in El Bahar anzunehmen. Die gut bezahlte Position sollte nur vorübergehend sein – nur so lange, bis sie ein finanzielles Polster angespart hatte. Doch Liana hatte die Aufmerksamkeit des damaligen Kronprinzen erregt, und innerhalb weniger Wochen war das Paar verheiratet gewesen und Bethany eine Prinzessin geworden.

Sie packte ihren E-Book-Reader und ein paar Müsliriegel in ihren Rucksack. Der Flug von El Bahar zu dem kleinen Flughafen in der Nähe der kalifornischen Stadt Happily Inc würde beinahe siebzehn Stunden dauern. Auch wenn es an Bord etwas zu essen gäbe, wusste sie nicht, ob sie den hinteren Bereich des Flugzeugs für mehr als kurze Toilettenpausen verlassen konnte. Das hing alles von Rida ab – und davon, wie er die Reise wegsteckte.

Ihre beiden Taschen hatte Bethany bereits gepackt. Sie reiste nicht in den Urlaub oder in offizieller Mission, also brauchte sie nicht viel: Jeans, T-Shirts und Stiefel. Ihre Hautpflege bestand sowieso nur aus Seife, Wasser und Sonnencreme. Als Make-up genügten ihr etwas Lipgloss und Wimperntusche. Ihre zweite Tasche enthielt den Schlafsack und ein Kissen.

„Bist du fertig?“

Als sie sich zur Tür umdrehte, sah sie ihre Mutter eintreten. Königin Liana von El Bahar war eine wunderschöne Frau Mitte vierzig, die sich stets stilsicher kleidete und immer perfekt gestylt war. Wobei es sicher ganz hilfreich war, dass im Palast oft berühmte Designer vorbeischauten, um ihrer Mutter neue Kleider zum Anprobieren vorbeizubringen.

Ihre Mutter vergaß jedoch nie ihre Herkunft. Eine ihrer liebsten Wohltätigkeitsorganisationen half Frauen, Bildung zu erlangen, damit sie sich aus der Armut befreien und ihren Familien helfen konnten. Neben ihrer Arbeit im Vorstand dieser Organisation ging die Königin einmal im Jahr ihren Kleiderschrank durch und verkaufte einen Großteil ihrer Garderobe für einen guten Zweck.

Eines Tages, versprach Bethany sich. Eines Tages würde sie so klug, so elegant und selbstsicher sein wie ihre Mutter. Doch noch war dieser Tag nicht gekommen.

„Ich sehe, du hast schon gepackt“, sagte Liana und umarmte ihre Tochter. „Ich wünschte, du müsstest nicht gehen.“

„Ich auch, aber Rida kann den Flug auf keinen Fall allein überstehen. Er braucht mich.“

„Du wirst das Thanksgiving-Dinner verpassen. Und ich werde dich vermissen.“

Bethany versuchte, nicht zu lächeln. „Ich werde dich auch vermissen, Mom. Aber das Thanksgiving-Dinner? Wirklich? Soll ich dich an letztes Jahr erinnern?“

Die Mundwinkel ihrer Mutter begannen, leicht zu zucken. „Lieber nicht. Aber es war nicht meine Schuld.“

„Ja, ja, diese gemeinen Kalender-Leute haben dich reingelegt.“

El Bahar, in diplomatischen Kreisen auch als die Schweiz des Nahen Ostens bekannt, war ein multikulturelles Land, in dem viele verschiedene Glaubensrichtungen gelebt wurden. Es gab immer irgendeinen Feiertag zu begehen, und die königliche Familie genoss sie alle, einschließlich Thanksgiving.

Weil es beinahe zwanzig Jahre her war, dass sie Kalifornien verlassen hatte, und es im Palast weder Truthähne noch Pilger gab, die sie an den Tag erinnerten, geriet Thanksgiving manchmal zugunsten anderer Ereignisse in den Hintergrund. Im letzten Jahr hatte Liana den Feiertag komplett vergessen. Als es ihr an dem Tag gegen Mittag einfiel, war sie ganz aufgeregt durch den Palast geeilt und hatte förmlich darum gefleht, man möge einen Truthahn mit Füllung und Soße und dazu einen Kürbiskuchen auftreiben, und zwar wenn möglich noch rechtzeitig zum Abendessen um sieben Uhr.

Diese Aufgabe war unmöglich zu erfüllen gewesen, und so war die Familie übereingekommen, das Festmahl am nächsten Tag nachzuholen. Bethanys drei jüngere Brüder hatten die ganze Aufregung nicht verstanden. Wie auch, sie waren in El Bahar geboren und aufgewachsen. Ihr Wissen über die USA begrenzte sich auf das, was sie bei ein paar kurzen Besuchen und aus den Erzählungen ihrer Mutter gelernt hatten. Außerdem waren sie alle drei keine großen Freunde von Truthahn.

„Inzwischen habe ich den Feiertag in meinen Kalender eingetragen.“ Liana seufzte. „Ich hatte ein großes Festessen geplant. Was wirst du machen? Immerhin bist du in den Staaten, da vergisst den Feiertag garantiert niemand. Alle werden gemeinsam mit Familie und Freunden feiern. Ich möchte nicht, dass du dich einsam fühlst.“

„Ich komme schon klar“, versprach Bethany. „Rida und ich werden uns damit beschäftigen, die Regeln für Football zu lernen. Du weißt, was für ein großer Fan er ist.“

„Sehr lustig.“ Ihre Mutter schaute sich in dem Zimmer um und lächelte. „Mir gefällt es, dass du noch immer in dieser Suite lebst.“

Es war das Apartment, das man Liana und ihrer Tochter überlassen hatte, als sie vor so vielen Jahren hierhergekommen waren. Die Möbel waren inzwischen ausgetauscht worden, aber der Blick über das Meer war immer noch derselbe, genau wie das große Wandgemälde mit den Araber-Pferden, die durch die Wüste galoppierten.

Dieses Wandgemälde war das Erste, was Bethanys Interesse an ihrem neuen Zuhause geweckt hatte. Dann hatte sie das Gestüt des Kronprinzen mit den wunderschönen Pferden besucht und ihr Herz endgültig verloren.

Nach der Hochzeit waren Bethany und ihre Mutter bei Malik eingezogen. Und an ihrem achtzehnten Geburtstag hatte Malik ihr diese Suite als Geschenk übergeben.

„Ja, hier schließt sich der Kreis“, sagte sie gedankenverloren und schüttelte den Kopf. „Mom, ich komme schon klar.“

„Ich weiß. Du bist sehr gut in der Lage, dich um dich selbst zu kümmern.“

Bethany wusste, dass ihre Mutter noch mehr sagen wollte. „Aber?“, hakte sie deshalb nach.

„Ich will nur, dass du glücklich bist.“

„Ich bin glücklich.“

„Gut. Dann werde ich deutlicher: Ich will, dass du dich Hals über Kopf verliebst. Und ich will Enkelkinder. So, nun habe ich es gesagt, und du kannst mich bis in alle Ewigkeit hassen.“

Mit ihren sechsundzwanzig Jahren wollte Bethany das auch. Gut, nicht die Enkelkinder, aber einen Mann, der sie liebte, und ein paar Babys wären schon schön.

„Ich will dich natürlich nicht unter Druck setzen“, fügte ihre Mutter hinzu. „Du musst deine eigenen Entscheidungen treffen.“

Bethany lachte. „Genau, Mom. Kein Druck.“ Was eigene Entscheidungen anging, hatte sie es bis zum heutigen Tag geschafft, stets die falschen zu treffen. Vor allem, was Männer anging.

„Ich werde immer meinen Beruf haben.“ Sie zwang sich zu einem Lächeln, damit ihre Mutter sich keine Sorgen machte.

„Dein Beruf hält dich aber nachts nicht warm.“

„Wenn ich im Stall schlafe, schon.“

„Du liebst es, deine wunderschöne Mutter zu quälen, oder?“, fragte König Malik, der in diesem Moment den Raum betrat. „Ich werde dir keine Vorhaltungen machen, weil du die Tochter meines Herzens bist. Aber du sollst wissen, dass sie sich um dich sorgt.“

König Malik – der diesen Titel erst trug, seit sein Vater vor fünf Jahren zurückgetreten war – war groß und attraktiv und hatte dunkle Augen und dunkles Haar. Er trug einen stylishen Anzug mit Hemd und Krawatte. Das traditionelle Gewand von El Bahar sparte er sich für seine regelmäßigen Ausflüge in die Wüste auf. Das Land war zwar modern und finanziell erfolgreich, doch genau wie der König vergaß es nie seine Wurzeln als Wüstenvolk.

„Du verlässt uns also schon wieder.“ Malik gab Bethany einen Kuss auf die Wange. „Das bricht uns das Herz.“

„Mein Herz ist auch gebrochen“, erwiderte sie nur halb im Scherz. „Ich kann es immer noch nicht fassen, dass du Rida verkauft hast. Deine Hengste verkaufst du doch eigentlich nie, und technisch gesehen ist er noch ein Fohlen. Er ist erst vier. Und dann ist sein neuer Besitzer auch noch irgendein Typ in Kalifornien, von dem ich noch nie gehört habe. Wie kommt das?“

Malik schüttelte den Kopf. „Du wagst es, die Entscheidung deines Königs zu hinterfragen? Da habe ich als Vater wohl versagt.“

Bethany stöhnte. „Dad, ich meine das ernst.“

Maliks Augen funkelten amüsiert. „Ich auch. Ich bin der große und mächtige König des Landes, und du sprichst so aufmüpfig mit mir. Da ist eine angemessene Strafe fällig.“

„Sie verpasst Thanksgiving“, sagte Liana seufzend. „Das ist Strafe genug.“

„Ah, also werden wir uns dieses Jahr daran erinnern, meine Liebe?“ Er nahm Lianas Hand und gab ihr einen Kuss auf die Fingerknöchel. „Ich bin überaus erfreut.“

„Ihr beide seid komisch.“ Bethany nahm ihren Rucksack. „Ich muss zu Rida, damit wir uns auf den Weg zum Flugzeug machen können.“ Sie sah ihren Vater an. „Wenn wir den Spaß einmal beiseitelassen, Dad: Ich bin nicht glücklich darüber, dass du das getan hast.“

„Ich weiß, mein Kind. Ich denke, Rida wird es in Amerika gut gehen. Aber wenn du mit den Gegebenheiten vor Ort nicht einverstanden bist, hast du meine Erlaubnis, ihn wieder nach Hause zu bringen. Ich werde deine Entscheidung nicht infrage stellen.“

„Danke.“ Sie wusste, dass sie seinem Wort vertrauen konnte. Malik hatte sie noch nie angelogen.

Ihr Vater sah erst ihre Mutter und dann wieder sie an. „Wie von dir gewünscht, wurde der Stallmanager in Happily Inc darüber informiert, dass Rida auf seiner Reise von einer Beth Smith begleitet wird, die bei ihm bleibt, bis er sich eingelebt hat.“

„Vielen Dank.“

Sie wusste, dass ihre Eltern nicht verstanden, warum sie es manchmal vorzog, ihre Rolle als Prinzessin abzustreifen und als ganz normaler Mensch aufzutreten. Trotzdem respektierten die beiden ihre Wünsche. Da ihr Vater sein Leben lang auf die Rolle als Herrscher vorbereitet worden war, kannte er es nicht anders, doch sie schon. Obwohl sie ab und zu in Klatschmagazinen auftauchte, war sie relativ unbekannt, und das wollte sie auch bleiben. Statt ihren alten bürgerlichen Nachnamen zu nutzen, hatte sie sich für einen erfundenen Namen entschieden, damit niemand sie im Internet finden konnte. Die einfache Beth Smith konnte sich ungestört durchs Leben bewegen. Prinzessin Bethany von El Bahar nahm auf der Bühne wesentlich mehr Platz ein.

Das war wie mit ihrem Job in den königlichen Stallungen. Hätte sie auch nur die kleinste Spur von Interesse angedeutet, hätte ihr Vater ihr sofort irgendeine hohe Position gegeben, einfach nur, weil sie seine Tochter war. Doch Bethany zog es vor, sich ihren Platz zu verdienen. Also war sie nun eine schlichte Pferdewirtin, deren Aufgabe darin bestand, sich um ein bestimmtes Pferd zu kümmern, bis es verkauft wurde. Rida war eines dieser Pferde.

„Bist du zu Weihnachten zurück?“, fragte ihre Mutter sichtlich angespannt.

„Ich verspreche es, Mom. Rida wird nur ein paar Wochen brauchen, um sich einzugewöhnen. Ich werde weit vor Weihnachten wissen, ob ich ihn dort lassen kann oder nicht. Aber egal, wie, ich werde rechtzeitig wieder zu Hause sein.“

Ihre Eltern umarmten sie. Obwohl Bethany sechsundzwanzig Jahre alt war, kam sie sich plötzlich wieder wie ein kleines Kind vor. Ein Kind, das zum ersten Mal sein Zuhause verließ. So ist es immer, dachte sie. Der Palast war ihr sicherer Hafen geworden, und aus seinen schützenden Mauern herauszutreten bedeutete, viel zu viel zu riskieren. Aber Rida brauchte sie, und sie würde ihn nicht im Stich lassen.

Es gab einige Dinge, die Bethany an ihrem Prinzessinnen-Dasein störten, aber die Art, wie sie für geschäftliche Anlässe reiste, gehörte ganz bestimmt nicht dazu. Sie kam vor Rida auf dem Privatflughafen an und inspizierte die große Box, die in der Boeing 757 ihres Vaters eingerichtet worden war. Eine luxuriöse Sitzecke und private Kabinen nahmen den vorderen Teil des Flugzeugs ein. Der hintere war zu einem Pferdestall umgebaut worden.

Weiche Matten und eine dicke Lage Holzspäne sorgten für einen gedämpften und doch sicheren Stand des Pferdes. Der Wassertrog war so angebracht, dass er sich den Bewegungen des Flugzeugs anpasste, ohne seinen Inhalt zu verschütten. Es standen ein paar Eimer mit Deckeln bereit und die nötige Ausrüstung, damit sie sich um Ridas andere Geschäfte kümmern konnte.

Auch wenn die 757 jeden nur erdenklichen Komfort bot, würde Bethany im hinteren Bereich bei dem Hengst bleiben. Sie hatte dort einen bequemen Stuhl und ihren E-Reader. Mehr brauchte sie nicht. Rida war schon ein paarmal kürzere Strecken geflogen, damit er sich an die Erfahrung gewöhnte, doch mehrere Stunden war er noch nie in der Luft gewesen. Bethanys Aufgabe bestand darin, ihm ein Gefühl von Sicherheit zu geben und ihn bei Bedarf zu beruhigen. Da sie ihn seit seiner Geburt betreute, wirkte alleine ihre Anwesenheit besänftigend auf ihn.

Sie ging die lange Rampe hinunter und wartete auf die Entourage, die Ridas Ankunft verkündete. Alles Notwendige für seinen Umzug in die Staaten befand sich bereits an Bord. Sie nahmen ihr eigenes Heu, Pellets und Decken mit. Die Liste war endlos. Sein neues Zuhause würde anfangs fremd für ihn sein, deshalb sollte er wenigstens ein paar vertraute Dinge vorfinden. Bethany hatte sogar arrangiert, dass zweihundert Liter Wasser aus El Bahar mitgenommen wurden, damit Rida sich langsam an das kalifornische Wasser gewöhnen konnte.

Manche Menschen hätten einen derartigen Aufwand vermutlich lächerlich gefunden. Immerhin war Rida nur ein Pferd und würde schon klarkommen. Doch für Bethany war er mehr. Es war nicht nur ihr Job, sich um ihn zu kümmern, sondern sie liebte den Hengst und würde ihn schrecklich vermissen.

Ein Truck mit Pferdeanhänger fuhr vor dem Flugzeug vor. Dahinter hielt ein glänzender schwarzer Rolls Royce mit der königlichen Standarte. Bethany liebte ihren Pferdeschützling zwar heiß und innig, aber sie kannte auch die korrekten Umgangsformen. Statt sofort zu Rida zu laufen, ging sie daher zu dem Wagen hinüber und wartete, bis ihr Vater ausgestiegen war.

„Ich dachte, wir hätten uns im Palast voneinander verabschiedet“, sagte sie. „Was nicht heißen soll, dass ich mich nicht freue, dich hier zu sehen.“

König Malik lächelte. „Ich habe es nicht ertragen, dass die Tochter meines Herzens geht, ohne dass wir noch ein paar Minuten zusammen haben.“

„Und?“

„Ich gucke nach dir. Ich spüre, dass irgendetwas nicht stimmt. Sag mir, was es ist.“

Ab und zu überraschte ihr Vater sie mit seiner emotionalen Feinfühligkeit. Das war kein typischer Charakterzug für einen regierenden Monarchen. Autoritär – ja. Entschieden – sicher. Aber ein so genaues Empfinden für die Gefühlsschwankungen seiner Tochter? Interessant, dass Malik das gerade jetzt zeigte.

„Dad, mir geht es gut.“

„Natürlich geht es dir gut. Wäre es dir lieber, wenn jemand anderes Rida begleiten würde?“

„Wie bitte? Ich soll sein Wohlergehen einem Fremden überlassen? Kommt nicht infrage!“

„Unsere eigenen Pferdepfleger würde ich nicht als Fremde bezeichnen. Rida kennt sie und fühlt sich wohl mit ihnen“, erwiderte er sanft. „Bist du bedrückt, weil du deine Brüder vermissen wirst?“

Natürlich würde sie ihre Brüder vermissen. Sie waren sechzehn, vierzehn und zwölf, und sie betete sie an. Ihre Rolle als ältere Schwester machte viel mehr Spaß, als Bethany je gedacht hatte.

„Ich werde meine gesamte Familie vermissen“, murmelte sie und warf einen Blick zu dem Pferdeanhänger. „Dad, wir müssen wirklich los.“

Ihr Vater blieb, wo er war. „Sie werden warten.“

Richtig. Weil es ja schließlich sein Flugzeug war.

„Tochter meines Herzens, ich weiß, es hat auf deinem Weg ins Erwachsenenleben Schwierigkeiten gegeben“, setzte König Malik an. „Unerwartete Stolperfallen.“

Bethany unterdrückte ein Stöhnen. Diese Unterhaltung wollte sie auf keinen Fall führen. Nicht jetzt. Und überhaupt niemals.

Bei diesen ‚unerwarteten Stolperfallen‘, die ihr Stiefvater gerade erwähnt hatte, handelte es sich um eine Serie von schrecklichen Ereignissen, nach denen Bethany sich gedemütigt und fürchterlich hintergangen gefühlt hatte.

Mit vierzehn war sie auf ein Schweizer Internat geschickt worden, auf das die Töchter von Präsidenten, Premierministern und Adelsfamilien gingen. Bethany hatte die Schule geliebt und viele Freundschaften geschlossen. Ihre Familie hatte ihr natürlich gefehlt, aber sie war damit zurechtgekommen. Alles hatte perfekt gewirkt, bis dann plötzlich die ganze Sache schiefgegangen war.

Bei einem gemeinsamen Tanzabend mit einer nahegelegenen Jungenschule hatte Bethany einen Jungen kennengelernt. Es war nur ein unschuldiger, ihrem Alter angemessener Flirt gewesen, und der Abend hatte mit ihrem ersten Kuss geendet. Doch eine Freindin, wie Bethany ihre ehemalige Freundin nun nannte, hatte davon erfahren und in ihrem Blog darüber geschrieben. Irgendjemand hatte diesen Artikel an die europäische Presse durchsickern lassen, und aus der harmlosen Geschichte war ein Skandal über Sexpartys und Drogen geworden.

Bethany war zu Tode gedemütigt gewesen. Ihre Eltern hatten ihr angeboten, nach El Bahar zurückzukehren, und sie hatte die Gelegenheit sofort ergriffen. Eine Reihe von Privatlehrern und die Liebe zum Lernen hatten dafür gesorgt, dass sie nur zwei Jahre später trotzdem ihren Highschoolabschluss machen konnte. Danach war sie in Tennessee aufs College gegangen. Dort hatte sie – nachdem sie inzwischen älter und weiser war – beim Ausgehen besondere Vorsicht walten lassen.

Aber dann hatte sie sich in einen süßen Jungen verguckt – einen etwas nerdigen Ingenieurstudenten. Alles schien gut zu laufen. Sie beide waren die Sache langsam angegangen, doch mit der Zeit waren sie sich immer näher gekommen. Bis sie schließlich Liebende wurden. Denn dann hatte der Ingenieurstudent heimlich Fotos von ihr gemacht und sie an ein Boulevardblatt verkauft. Es gab zwar keine nackten Frontalaufnahmen, dennoch war nicht zu verkennen gewesen, wer auf den Bildern zu sehen war. Die Schlagzeile „Ich entjungferte eine Prinzessin“ hatte auch die letzten Zweifel ausgeräumt.

Bethany war erneut am Boden zerstört gewesen. Und sie war wieder zurück in die Sicherheit des königlichen Palasts geflüchtet. Ihr Vater hatte gedroht, den jungen Mann aufzuspüren und ihn in den Kerker werfen zu lassen. Ihre normalerweise sehr ausgeglichene Mutter hatte diesem Plan zugestimmt. Doch als Bethany selbst aus dem Tal der Schande wieder aufgetaucht war, hatte sie sich mehr Gedanken darüber gemacht, warum es bei ihr immer schiefging.

Andere schafften es doch auch, im Scheinwerferlicht aufzuwachsen, ohne ständig ins Fettnäpfchen zu treten. Lag es daran, dass sie nur ein Kind aus Riverside, Kalifornien war? Fehlte ihr das, was man von Anfang an mitbekam, wenn man in adlige Kreise hineingeboren wurde? Was auch immer der Grund war, sie akzeptierte, dass sie in Zukunft noch vorsichtiger sein musste, und zog sich von dem, was die Welt als normales Leben bezeichnete, noch mehr zurück. Ihrer Familie und den Menschen im Palast konnte sie vertrauen. Genauso ihren Pferden. Allen anderen eher nicht.

Deshalb würde sie als Beth Smith reisen und niemandem in Happily Inc verraten, wer sie wirklich war. Während sie Rida half, sich einzugewöhnen, würde sie einfach mal eine Weile das Leben einer ganz normalen jungen Frau führen, bevor sie dann in die Sicherheit des Palasts zurückkehrte.

Jetzt sah sie ihren Vater an. „Dad, es liegt nicht an dem, was damals passiert ist. Es liegt daran, dass du Rida verkauft hast. Er ist wundervoll. Schnell, klug und in perfekter Form. Er wäre eine tolle Ergänzung unseres Zuchtprogramms.“

„Ja, das wäre er. Doch in meinem Stall ist jedes Pferd perfekt. Rida wäre nur einer von vielen gewesen, und ich glaube, er hat mehr verdient. Er hat es verdient, etwas Besonderes zu sein. In Amerika bekommt er die Chance, sein volles Potenzial auszuschöpfen und herauszufinden, was er alles sein kann.“

Sie verengte die Augen ein wenig. „Wir reden immer noch über das Pferd, oder?“

Ihr Vater lächelte. „Natürlich. Worüber sonst?“

Richtig. Es war ja nicht so, dass sie für immer in Happily Inc bleiben würde. Sobald Rida sich eingelebt hatte, würde sie nach Hause zurückkehren. Rechtzeitig zu Weihnachten, wie sie es ihrer Mutter versprochen hatte.

Sie umarmte ihren Vater. „Ich komme zurecht, Dad.“

Eine Sekunde lang hielt er sie ganz fest, bevor er sie losließ. „Du weißt, wie du mich erreichen kannst, solltest du irgendetwas brauchen. Wenn nötig, steht dir die Flugzeugflotte von El Bahar sofort zur Verfügung.“

„Ich tue jetzt mal so, als hättest du das nicht gesagt.“

Ihr Vater lachte leise, stieg dann in seinen Wagen und wurde davongefahren.

Nachdem die königliche Ablenkung nun fort war, richtete Bethany ihre Aufmerksamkeit auf den Pferdeanhänger. Sie half, die Riegel zu lösen und die Klappe zu öffnen, dann sprach sie besänftigend auf den großen schwarzen Hengst ein.

„Hey, mein Großer. Wie geht es dir? Bereit für ein Abenteuer? Ich glaube, wir sollten uns mal diese kleine Stadt namens Happily Inc anschauen. Um diese Jahreszeit soll es da wirklich hübsch sein. Was meinst du?“

Sie ging in den Anhänger hinein und band Rida los, dann führte sie ihn die Rampe hinunter. Nachdem sie ihm ein paar Minuten Zeit gelassen hatte, sich an die Umgebung zu gewöhnen, führte sie ihn in das Flugzeug.

Er ging selbstbewusst an ihrer Seite und trat ohne zu zögern in seine Box.

Normalerweise wurde er im Stall nicht angebunden, aber für den Flug sicherte sie ihn lieber. Wenn sie unterwegs die Box betreten musste, wollte sie wissen, bis wohin seine Hufe reichten. Rida hatte den Ruf, stur und schwierig zu sein – zumindest bei anderen Menschen. Bei Bethany war er süß und fügsam. Dennoch war er ein kräftiges Tier, das sich erschrecken und panisch reagieren konnte.

Mit der Hand strich sie über sein glänzendes schwarzes Fell und erhielt als Dank einen sanften Stups mit der Nase. „Ich kann es immer noch nicht glauben, dass mein Vater dich verkauft hat“, murmelte sie an seinem Hals. „Ich schwöre dir, wenn dir es dort nicht gefällt, bringe ich dich sofort wieder nach Hause. Großes Pfadfinderehrenwort.“

Rida lehnte seinen Kopf an ihren, als wolle er ihr sagen, dass er ihr komplett vertraute. Sie blieb noch einen Moment so stehen, dann verließ sie die Box und griff nach dem Telefonhörer, der neben der Tür an der Wand hing, die ihren Bereich von dem Hauptbereich des Flugzeugs trennte.

„Wir sind bereit“, sagte sie zu der Flugbegleiterin, die den Anruf entgegennahm. „Wann auch immer der Kapitän so weit ist, können wir los.“

„Ja, Hoheit … äh, Ms. Smith“, erwiderte die Frau. „Ich sage ihm Bescheid.“

„Danke.“

Bethany überlegte, ob sie das Personal noch einmal daran erinnern sollte, dass sie ab jetzt einfach nur Beth Smith war, eine unauffällige Pferdepflegerin, die ein außergewöhnliches Pferde auf seiner Reise begleitet. Dann beschloss sie, es zu lassen. Die Chancen, dass irgendjemand sie bei ihrem echten Namen nannte, sobald sie Happily Inc erreicht hatten, waren gering. Nachdem sie Rida und seine Sachen aus dem Flugzeug geholt hatte, würde die Crew sofort nach El Bahar zurückkehren.

„Bitte lassen Sie mich wissen, wann ich Ihr Essen servieren soll und wenn ich in irgendeiner Weise behilflich sein kann.“

„Vielen Dank.“

Bethany legte auf und sah noch einmal nach Rida. Der Hengst wirkte entspannt und schläfrig. Also schnallte sie sich an und machte es sich auf ihrem Sitz bequem, bevor sie die Augen schloss und sich wünschte, die dumme Reise bereits hinter sich zu haben. Wobei zu Hause zu sein auch nicht wirklich besser war.

Sie war sechsundzwanzig Jahre alt und arbeitete als Pferdepflegerin auf dem Gestüt ihres Vaters. Wie jämmerlich war das denn bitte? Mit all den Möglichkeiten, die sie hatte, sollte sie etwas Wichtiges mit ihrem Leben anfangen. Geld für einen guten Zweck sammeln, Medizin studieren und ein Heilmittel für eine Krankheit finden. Stattdessen versteckte sie sich – hatte Angst, in die Welt hinauszugehen, weil jemand so tun könnte, als wäre er ihr Freund, nur um etwas über sie in Erfahrung zu bringen, das er an die Presse verkaufen oder im Internet veröffentlichen konnte.

Es wäre so schön, sich nützlich zu fühlen. Oder herauszufinden, was ihr wichtig war. Sie wollte ihr Leben leben, sich verlieben und eine Familie gründen. Sich im Palast zu verstecken führte zu gar nichts. Es war an der Zeit, erwachsen zu werden und ihr Glück in die eigenen Hände zu nehmen.

Ich werde meine Zeit in Happily Inc nutzen, um einen Plan zu entwickeln, versprach Bethany sich. Alle Möglichkeiten kamen in Betracht – sie konnte zurück aufs College gehen und ihren Abschluss nachmachen, sie konnte für einen Wohltätigkeitsverein arbeiten oder sich bei einem Online-Datingportal anmelden. Das Wichtigste war, endlich überhaupt etwas zu unternehmen.

Also erst ein Plan, dann die Umsetzung. Sie wusste, dass ihre Eltern sie liebten. Jetzt wollte sie, dass die beiden auch stolz auf sie waren. Und noch wichtiger: Sie wollte selber stolz auf sich sein.

2. KAPITEL

Cade Saunders versuchte, sich cool zu geben, aber das war beinahe unmöglich. Er fühlte sich wie ein Kind am Weihnachtsmorgen. Nein, das war nicht richtig. Er fühlte sich wie ein Kind an fünf Weihnachtsmorgen und sechs Geburtstagen zusammen. Er konnte weder schlafen noch essen, und er ertappte sich immer wieder dabei, grundlos vor sich hin zu pfeifen.

Ich bin einfach ein Trottel, dachte er fröhlich, als er auf seiner Veranda stand. Aber das war okay – Trottel hatten bekanntlich besonders viel Glück.

Das Sicherheitssystem seiner Ranch hatte ihn alarmiert, dass ein autorisierter Code eingegeben worden war, um das Haupttor zu öffnen. Und so dauerte es auch nicht lange, bis er ein vertrautes Auto vorfahren sah. Er wartete, bis seine Schwester ausgestiegen war, dann winkte er fröhlich und sprang die Treppe in einem Satz hinunter.

Seine Zwillingsschwester starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an.

„Was ist denn mit dir los?“, fragte sie. „Du siehst …“ Sie musterte ihn eindringlich. „Ich weiß nicht, aber irgendwie machst du mir Angst.“

„Es ist alles in Ordnung“, erwiderte er und bemühte sich, lässig und männlich zu wirken.

Pallas stöhnte. „Es ist das Pferd, oder? Du vibrierst ja förmlich vor Aufregung. Was bei einem Siebenjährigen charmant wäre, aber bei einem Mann, der auf die Dreißig zugeht, ist es höchst verstörend.“

Er rannte auf sie zu, packte sie an der Taille und wirbelte seine Schwester im Kreis herum. „Ich kann nicht anders“, rief er, bevor er sie lachend absetzte. „Ist dir klar, was das bedeutet? Wir haben einen Hengst aus dem königlichen Gestüt von El Bahar. Hier, in Happily Inc. Das ist unglaublich. Es ist mehr als unglaublich – es ist ein Wunder. Weißt du, wie selten der König eines seiner Pferde verkauft? Das passiert beinahe nie, und wenn doch, dann handelt es sich meistens um eine Stute. Aber wir bekommen einen Hengst.“

Seine Schwester schüttelte den Kopf. „So sehr freust du dich darüber, dass deine Pferde bald Sex haben werden? Sorry, dass ich das sagen muss, aber du solltest mal öfter aus dem Haus gehen.“

Wieder wirbelte er sie herum. „Ich arbeite an unserem Zuchtprogramm, aber Rida verändert alles. Er wird uns einen Platz auf der Landkarte sichern.“

„Technisch gesehen gibt es Happily Inc schon auf der Landkarte“, erwiderte Pallas. „Du solltest uns mal auf Google Maps suchen. Wir sind ganz leicht zu finden.“

„Ach, Schwesterherz, es ist ein großartiger Tag.“

„Dann freue ich mich für dich. Und ich habe alles mitgebracht, worum du mich gebeten hast. Allerdings frage ich mich, warum du nicht einfach deiner Haushälterin gesagt hast, dass sie sich um das Gästezimmer kümmern soll.“

„Das hier ist wichtig. Es muss genau richtig sein.“ Er zuckte mit den Schultern. „Du hast einen fabelhaften Geschmack, Pallas, und ich vertraue dir.“

Sie stöhnte. „Sei nicht so ernst. Das macht es mir schwer, dich aufzuziehen.“ Sie ging um ihren Wagen herum und öffnete den Kofferraum. „Okay. Bringen wir das Zeug hinein.“

Das „Zeug“ bestand aus mehreren Kartons und Einkaufstüten. Der Kofferraum war voll, genau wie die Rückbank und der Beifahrersitz. Gemeinsam trugen sie alles ins Haus. Pallas sortierte die Sachen und erklärte ihrem Bruder dann, was wohin gehörte.

Als Cade erfahren hatte, dass König Malik bereit war, ihm Rida zu verkaufen, hatte er nicht viel weiter gedacht als daran, den Stall fertigzumachen. Vor drei Tagen hatte der königliche Stallmeister ihn dann darüber informiert, dass Rida von einer der Pferdepflegerinnen begleitet werden würde, die mit dem Hengst vertraut war. Das war nicht ungewöhnlich. Cade hatte gewusst, dass jemand mitkommen würde, um sicherzugehen, dass es dem Pferd gut ging und die Umstände akzeptabel waren, denn so hatte es in seinem Vertrag mit dem König gestanden. Damit, dass die Begleitung weiblich war, hatte er allerdings nicht gerechnet, und er war sofort in Panik ausgebrochen.

Das Farmhaus auf der Ranch war beinahe hundert Jahre alt. Es war ein paar Mal renoviert worden, aber die Küche hatte sich seit den 1950er-Jahren kaum verändert, und die Badezimmer waren auch nicht viel besser. Er bezweifelte, dass es einen Kerl stören würde, aber bei einer Frau konnte das anders sein. Frauen neigten dazu, ihrer Umgebung mehr Aufmerksamkeit zu schenken und höhere Erwartungen zu haben. Da er nicht gewusst hatte, was er tun sollte, hatte er seine Schwester um Hilfe gebeten. Und Pallas hatte ihn nicht enttäuscht.

Gemeinsam trugen sie einige Kisten und ein halbes Dutzend Einkaufstüten ins Gästezimmer. Pallas betrachtete einen Moment die violett-grüne Tapete und seufzte.

„Du hast keine Witze gemacht, als du mich daran erinnert hast, wie schlimm es ist“, sagte sie. „Das ist ernsthaft hässlich.“

„Es bleibt keine Zeit, neu zu tapezieren, weil sie heute schon kommen.“ Würde die Tapete die Pferdepflegerin irritieren? Würde sie deswegen das Pferd wieder mit nach Hause nehmen?

„Keine Sorge. Ich habe das Problem zwar nicht gelöst, aber gemanagt.“

Er musste das große Doppelbett abziehen und die Bettwäsche nach unten bringen. Gemeinsam bezogen sie das Bett neu mit frisch gewaschenen Laken in einem blassen Salbeiton. Darauf kamen eine dicke Baumwolldecke und ein cremefarbener Überwurf.

Dann holte Pallas zwei dekorative Wolldecken heraus, die Cade zusammengefaltet ans Fußende des Bettes legen sollte. Getoppt wurde das Ganze mit gefühlten einhundert Kissen. Während Pallas sich im Bad zu schaffen machte, schraubte Cade eine Nachttischlampe zusammen. Eine halbe Stunde später waren sie fertig.

Das angrenzende Badezimmer war groß, aber altmodisch. Der Boden war mit achteckigen weißen Fliesen belegt, die sich auch die halbe Wand hochzogen. Die Badewanne mit den Klauenfüßen stand an einem Ende des Raumes. Der Putzservice hatte sie zwar geschrubbt, aber sie sah trotzdem noch nach dem aus, was sie war – eine Badewanne aus einer anderen Ära.

Pallas ersetzte den alten Duschvorhang durch einen neuen in Salbei und Beige. Ein kleines weißes Regal wurde mit gerollten Handtüchern in verschiedenen Grüntönen gefüllt. Auf das obere Regal legte sie einen Föhn und ein Körbchen mit verschiedenen Tuben und Tiegeln und Cremes. In die Ecke kam noch ein mobiles Heizgerät – eine kleine Aufmerksamkeit, die jemand, der aus wärmeren Gefilden kam, sicher zu schätzen wusste. Happily Inc lag zwar in der kalifornischen Wüste, aber im Gegensatz zu El Bahar konnte es hier im November ganz schön frisch werden.

Unten im Wohnzimmer erklärte Pallas ihrem Bruder, welche Überwürfe er über die Sofas legen sollte. Dann tauschte sie die Sets auf dem Küchentisch aus und stellte ein paar Truthähne aus Keramik auf den Tresen.

Als sie fertig waren, zog Cade sie in seine Arme und gab ihr einen Kuss auf den Scheitel.

„Du hast was bei mir gut“, sagte er.

„Richtig. Ich freue mich auf den Tag, an dem du dich revanchieren musst.“ Sie grinste ihn an. „Ehrlich, das hat Spaß gemacht. War mal eine nette Abwechslung von der Arbeit als Hochzeitplanerin. Und wenn ich mit dem Geld anderer Leute shoppen gehen kann, ist das überhaupt das Beste.“

„Ohne dich hätte ich das nicht geschafft. Vielen, vielen Dank.“

Sie drehte sich um, sodass sie direkt vor ihm stand. „So habe ich dich noch nie gesehen“, erklärte sie. „Du bist immer so entspannt und selbstsicher. Dieses Pferd scheint dir wirklich sehr wichtig zu sein.“

Denn mehr ist Rida für Pallas nicht, dachte er lächelnd. Ein Pferd. Ein austauschbares Huftier.

„Ja, das ist es.“

„Dann hoffe ich, dass meine Maßnahmen helfen.“

Sie schob sich eine Haarsträhne hinter das Ohr. Durch die Bewegung funkelte der Brillant an ihrem Verlobungsring im hellen Sonnenlicht auf. Pallas‘ Verlobter war ein guter Kerl, und Cade war glücklich, ihn in seiner Familie zu haben. Außerdem war er erleichtert, dass seine Schwester nun jemanden hatte, der ihr zur Seite stand und auf sie aufpasste.

Er nahm ihre Hand und nickte in Richtung des Rings. „Habt ihr schon ein Datum festgelegt?“

„Nein. Und ich will im Moment auch nicht darüber nachdenken. Ich habe andere Hochzeiten, die geplant werden müssen.“

Seine Schwester war die Eigentümerin von Weddings out of the Box, einer Firma, die Hochzeiten ausrichtete. Die Paare kamen von überall her, um eine Motto-Hochzeit zu feiern. Das Angebot reichte von Prinzessinnen-Hochzeiten über Piraten-Hochzeiten bis zu bunten Unterwassertrauungen. Pallas arbeitete hart für ihren Erfolg. Daher konnte er gut verstehen, dass sie nicht zusätzlich noch über die Planung ihrer eigenen Hochzeit nachdenken wollte.

„Ihr könntet einfach durchbrennen“, schlug er vor.

„Darüber haben wir auch schon gesprochen.“ Sie seufzte. „Ich mache mir nur Sorgen, dass dann alle enttäuscht sein werden.“

„Wir kommen darüber hinweg“, versicherte er. „Bei der Heirat geht es nur um dich und Nick. Macht, was sich für euch richtig anfühlt.“

„Danke.“ Sie schaute sich in der Küche um. „Okay, Lieblingsbruder, ich muss zurück zur Arbeit. Viel Glück mit dem Mädchen und dem Pferd.“

„Ich sag dir Bescheid, wie es gelaufen ist.“

Er begleitete sie zur Haustür. Auf der Veranda drehte Pallas sich noch einmal zu ihm um und sah ihn aus großen Augen an.

„Du musst sie zu Thanksgiving einladen.“

„Nein. Muss ich nicht.“

„Oh doch. Das ist ein großer Feiertag, und sie wird ganz allein sein.“

„Sie kommt aus El Bahar. Da feiert man Thanksgiving nicht. Außerdem ist es ein Familienfest, und sie würde sich inmitten unserer Familie bestimmt komisch vorkommen.“

Zu Thanksgiving versammelte sich immer der gesamte Clan – Grandpa Frank, seine sieben Töchter, deren Ehemänner und Kinder. Cade und Pallas hatten über ein Dutzend Cousins und Cousinen. Es war immer sehr laut und hektisch.

„Außerdem ist da noch Mom“, fügte er hinzu.

Pallas verzog das Gesicht.

Ihre Mutter Libby war eine Frau, die fest daran glaubte, dass Regeln befolgt werden mussten, und dass die Welt ein besserer Ort wäre, wenn niemand aus der Reihe tanzte. Cade hatte sich schon immer gegen Einschränkungen gewehrt und früh gelernt, seinen eigenen Weg zu gehen. Pallas hingegen hatte viele Jahre lang versucht, Libby zufriedenzustellen. Erst, als sie sich endlich befreit hatte, war die Beziehung zu ihrer Mutter wieder etwas besser geworden.

„Du musst sie trotzdem wenigstens fragen“, erklärte sie ihm. „Vermutlich wird sie die Einladung sowieso ablehnen, aber einladen musst du sie.“

„Ich werde darüber nachdenken.“

Womit er eigentlich sagte: Auf keinen Fall. Nicht für alles Geld der Welt. Sein Ziel war es, Ridas Pflegerin zu beeindrucken, und nicht, sie durch ein Zusammentreffen mit seiner Familie brüskieren. Außerdem war er ziemlich sicher, dass sie kein Interesse an einem amerikanischen Thanksgiving-Dinner haben würde.

„Rida wird dann erst ein paar Tage hier sein“, fügte er an. „Vermutlich will sie ihn noch nicht so lange allein lassen.“

Um Pallas Mundwinkel zuckte es. „Klar, seine empfindliche Pferdeseele darf unter keinen Umständen leiden.“ Sie umarmte ihren Bruder und lief dann zu ihrem Wagen. „Viel Glück, Cade.“

„Danke. Du bist die Beste!“

„Das habe ich schon öfter gehört.“ Immer noch lachend fuhr sie davon.

Cade kehrte ins Haus zurück. Noch einmal überprüfte er, ob im Gästezimmer alles bereit war für die geheimnisvolle Frau, die den Hengst begleiten würde. Dann ging er hinaus zu den Ställen. Es wäre leichter, im Büro zu warten. Da gab es immer irgendwelchen Papierkram zu erledigen, und wenn ihn das nicht ablenkte, konnte er in der Stallgasse auf und ab tigern, bis es an der Zeit war, zum Privatflughafen zu fahren und das Pferd abzuholen, das alles verändern würde.

Achtzehn Stunden, vier Mahlzeiten, zwei Filme, einen Tankstopp und ein halbes Buch später merkte Bethany, wie das Flugzeug zum Landen ansetzte. Der Kapitän hatte zwar die Ortszeit verkündet, aber sie war nicht sicher, ob sie einen Tag verloren oder hinzugewonnen hatten. Sie war erschöpft und sich ziemlich sicher, dass es Rida genauso ging. Der Hengst hatte sich zwar während des ganzen Fluges hervorragend verhalten, doch er war rastlos und hatte ebenfalls nicht viel geschlafen.

Sie wartete, bis das Flugzeug auf dem Rollfeld zum Stehen kam, bevor sie aufstand und sich streckte. Die Crew würde die große hintere Klappe öffnen und die Rampe ausfahren, damit Rida aus der Box geführt werden konnte. Bethany wollte dem Pferd jedoch erst ein paar Minuten gönnen, um sich an das helle Licht und die frische Luft zu gewöhnen, bevor sie ihn nach draußen brachte. In ihrer Gegenwart verhielt sich Rida zwar meistens lammfromm, aber er war trotzdem ein massiger Kerl, der sie wie eine Fliege zerquetschen konnte, wenn er sich erschreckte und in Panik geriet.

In ihrem Rucksack fand sie die Sonnenbrille und setzte sie auf. Dann ging sie die Rampe hinunter und hinein in das helle Licht der Nachmittagssonne. Der Himmel war klar und hellblau. Sie standen auf einem kleinen privaten Flugplatz. In der Ferne sah sie die Berge. Bethany vermutete, dass dort Osten war. Ein paar hundert Meilen Richtung Westen befand sich der Pazifik.

Hier fühlte sich alles so anders an – anders als in El Bahar und im östlichen Teil der USA, wo sie eine Zeit lang aufs College gegangen war –, und doch war es auch vertraut. Vielleicht, weil sie die ersten neun Jahre ihres Lebens nicht weit von hier entfernt in Riverside verbracht hatte.

Sie schüttelte die Erinnerungen ab und schaute zu der kleinen Gruppe, die auf sie und Rida wartete. Es gab drei große Trucks, einen normalen Pick-up mit Pferdeanhänger und eine Handvoll Männer. Einer von ihnen kam grinsend auf sie zu.

Er war groß – nun ja, mit ihren eins zweiundsechzig kamen ihr die meisten Menschen groß vor – und hatte hellbraune Haare und breite Schultern.

„Beth Smith?“ Er streckte ihr seine Hand hin. „Ich bin Cade Saunders.“

Sie schüttelten einander die Hand, dann setzte der Mann seine Sonnenbrille ab. Seine Augen waren braun, und an einer Braue hatte er eine kleine Narbe. Als Bethany ihn ansah, verspürte sie ein seltsames Zittern in ihrem Magen, dem sofort der Wunsch folgte, ihre Haare trotz des französischen Zopfes über die Schulter zu werfen.

Nein, nein, nein, befahl sie sich energisch. Auf dieser Reise würde es kein Haareschütteln geben. Kein Schwärmen oder irgendwelche Gedanken daran, dass ein gewisser Cade Saunders sehr attraktiv war. Hier ging es um Arbeit, um sonst nichts. Das Letzte, was sie in ihrem Leben gebrauchen konnte, war ein charmanter Cowboy.

„Schön, Sie kennenzulernen“, sagte sie und entzog ihm vorsichtig ihre Hand.

Cade schaute angespannt zum Flugzeug. „Wie geht es ihm? Hat er die Reise gut überstanden? Wie kann ich helfen?“

„Sie können aus dem Weg gehen, wenn ich ihn heraushole“, erklärte sie. „Wie ich sehe, haben Sie Trucks dabei, wir können also schon mal anfangen, Ridas Sachen auszuladen.“

„Ich kann es kaum erwarten, ihn zu sehen.“ Cade klang so aufgeregt wie ein kleiner Junge, der das größte Geschenk seines Lebens bekommt. „Ich fasse es immer noch nicht, dass der König ihn mir gegeben hat. Als ich hörte, dass er verkauft werden soll, dachte ich natürlich, ich habe keine Chance. Trotzdem musste ich es einfach versuchen, verstehen Sie? Er ist einfach wunderbar. Ich habe das Video über ihn bestimmt fünfzig Mal angeschaut. Wie er sich bewegt. Diese Kraft. Den König habe ich in Texas bei einem Abendessen kennengelernt. Er ist ein toller Typ. Haben Sie ihn schon mal getroffen?“

Sie starrte Cade an. „Ein oder zwei Mal“, murmelte sie. „Sie sind wirklich ziemlich aufgeregt.“

„Wären Sie das nicht? Das hier ist eine Gelegenheit, die man nur einmal im Leben bekommt. Ich leite eine kleine Ranch in Happily Inc, Kalifornien. Leute wie ich bekommen nicht jeden Tag die Chance, ein Pferd wie Rida zu erwerben.“

Bethany bemühte sich, nicht zu lächeln. Es gefiel ihr, wie glücklich Cade war. Eines war jedenfalls klar: Rida würde hier geschätzt werden. Darüber war sie froh, auch wenn sie den Hengst trotzdem sehr vermissen würde.

„Dann will ich Sie ihm mal vorstellen.“ Sie ging die Rampe hinauf.

Im Flugzeug sprach sie leise mit dem Pferd. Rida hörte ihr zu, die Ohren aufmerksam nach vorne gerichtet, als wüsste er, dass er endlich aus seiner Box herauskäme. Bethany streichelte ihm ein paar Minuten über Kopf und Nacken, woraufhin der Hengst seine Nase an ihren Hals drückte. Dann band sie ihn los und führte ihn in Richtung Rampe.

Rida folgte ihr leichtfüßig, dabei atmete er scharf ein und testete die Luft. Oben auf der Rampe blieb Bethany stehen, damit sich seine Augen an das Licht gewöhnen konnten, bevor sie hinuntergingen.

Als sie den Asphalt erreicht hatten, führte sie Rida ein paarmal im Kreis herum, um seine Gelenke zu lockern. Er wirkte nicht angespannt, sondern eher interessiert – als wäre er neugierig auf seine neue Umgebung. Cade beobachtete ihn mit einer Mischung aus Bewunderung und Dankbarkeit. Schließlich führte sie das Pferd zu seinem neuen Besitzer.

„Rida, das ist Cade. Er wird sich von jetzt ab um dich kümmern.“

Als sie diese Worte sprach, von denen sie wünschte, sie wären nicht wahr, zog sich ihre Brust zusammen. Warum musste es von all den Pferden, die ihr Vater hätte verkaufen können, ausgerechnet dieses sein? Ja, der König hatte es ihr erklärt, aber sie war immer noch nicht überzeugt, dass das der wahre Grund war – auch wenn ihr Stiefvater das niemals zugegeben hätte.

„Hey, Rida“, sagte Cade leise. Er blieb ein wenig auf Distanz zu dem Pferd, damit es sich an seine Umgebung gewöhnen konnte. „Willkommen daheim.“

Eine der Flugbegleiterinnen trug die beiden kleinen Reisetaschen und den Rucksack die Rampe hinunter.

„Haben Sie noch weiteres Gepäck, Prin… äh Beth?“ Ihr Blick glitt zwischen Cade und Bethany hin und her.

„Nein, das ist alles“, sagte Bethany betont locker. „Rida ist der derjenige, der mit großem Gepäck reist.“

Die Flugbegleiterin lächelte, bevor sie nickte und ins Flugzeug zurückkehrte. Die Ladeklappen wurden geöffnet und Fässer, Kartons und Kisten auf das Gepäckband gewuchtet.

Der erste der drei Trucks war schnell gefüllt, und der zweite fuhr vor.

„Sie haben nicht übertrieben“, sagte Cade, der das Ausladen beobachtete. „Haben Sie wirklich Wasser mitgebracht?“

„Ja. Mit dem Jetlag und der neuen Umgebung wird die Umgewöhnung für ihn schon schwer genug. Ich will nicht, dass er auch noch Magenprobleme bekommt.“

Cade hob die Hände, als würde er sich ergeben. „Ich habe nur gefragt. Sie sind der Boss. Übrigens filtern wir unser Wasser auf der Ranch. Es kommt aus einer unterirdischen Quelle und ist von hoher Qualität und Reinheit.“

„Aber trotzdem anders als das Wasser, das er gewohnt ist.“

Sie führte Rida in den Anhänger und band ihn fest. Inzwischen war der dritte Truck beinahe voll.

„Muss irgendjemand aus der Crew zum Übernachten in die Stadt?“, fragte Cade. „Dann würde ich das arrangieren.“

„Nein, sie fliegen sofort wieder los. Wir hatten zwei Crews an Bord, sodass die eine jetzt ausgeruht ist und übernehmen kann.“

Er schaute zu der riesigen 757. „Und Sie waren die einzige Passagierin? Was für ein Luxus. Es muss nett sein, ein König zu sein.“

Sie grinste. „Das habe ich auch gehört.“

Bethany nahm auf dem Beifahrersitz seines Pick-ups Platz und schnallte sich an. Cade startete den Motor und sie fuhren vom Flugplatz. Ungefähr zehn Minuten später flog die königliche Maschine auf dem Rückweg nach El Bahar über sie hinweg.

Bethany wusste, dass Happily Inc in der kalifornischen Wüste lag, keine sechzig Meilen von Palm Springs entfernt. Die Stadt befand sich am Fuß der Berge und hatte ein relativ gemäßigtes Klima. Zumindest würde Rida sich nicht an Schnee und Temperaturen unter dem Gefrierpunkt gewöhnen müssen.

„Die Ranch liegt knappe zwanzig Minuten vom Flugplatz entfernt“, erklärte Cade ihr. „Es ist ein Privatflughafen, der nicht besonders häufig genutzt wird. Die meisten Leute fliegen entweder nach Palm Springs oder nach Los Angeles.“

Sollte ich Rida wirklich hierlassen, werde ich auch mit einer Linienmaschine nach El Bahar zurückfliegen, dachte Bethany. Vermutlich von Los Angeles aus mit Umsteigen in Amsterdam oder Frankfurt.

„Waren Sie schon einmal in den Vereinigten Staaten?“ Kaum hatte er die Frage gestellt, schüttelte Cade auch schon den Kopf. „Sorry. Natürlich. Sie sind ja Amerikanerin. Wo sind Sie aufgewachsen?“

„Interessanterweise nicht weit von hier entfernt“, erwiderte sie. „Meine Mom und ich kommen aus Riverside. Als ich neun war, sind wir nach El Bahar gezogen. Später bin ich dann für ein paar Jahre nach Tennessee zurückgegangen, um das College zu besuchen.“

„Also sind sie ein echtes California-Girl.“

Sie lachte. „Stimmt, das bin ich wohl, wenn man es genau nimmt.“

Links und rechts des Highways erhoben sich sanft geschwungene Hügel, auf denen zahlreiche Bäume standen. Bethany sah eine Bewegung, schaute noch einmal hin und schüttelte dann den Kopf.

„Was ist?“, wollte Cade wissen.

„Nichts. Ich hätte nur schwören können, dass ich eine … Ist es möglich, dass es hier Gazellen gibt?“

Sie wappnete sich dagegen, ausgelacht zu werden, aber Cade grinste nur.

„Wenn Sie genau hinschauen, werden Sie außerdem ein paar Zebras und eine Giraffe entdecken. Oder auch drei Giraffen. Die beiden neuen Weibchen sollen in dieser Woche eintreffen. Vielleicht ist es heute schon so weit.“ Sein Grinsen wurde breiter. „Wir haben hier ein Wildtierreservat am Stadtrand. Es ist mit der Mülldeponie und dem Recycling-Center verbunden. Verrückt, ich weiß.“

„Sehr ungewöhnlich“, bestätigte sie. „Aber nett.“

Ein paar Minuten später bogen sie auf eine lange asphaltierte Auffahrt ein. Als sie das große Tor erreichten, bremste Cade und gab einen Code ein. Gleich darauf öffneten sich die beiden Torflügel.

Bethany schaute sich um. Sie konnte es kaum erwarten, einen ersten Eindruck von der Ranch zu erhalten. Das Gefühl der Weite gefiel ihr. Es gab große Weideflächen und viele Bäume, die Schatten spendeten. Direkt vor sich erblickte sie ein Farmhaus, das nett aussah. Doch sie interessierte sich mehr für die Ställe.

Sie fuhren um das Haus herum. Vor ihnen tauchte eine Reihe von Gebäuden auf, darunter ein langer, großer Stall. Die Gebäude waren schon etwas älter, aber sehr gepflegt und in einem guten Zustand. Wenn Bethany ein Pferd auslieferte, freute sie sich nicht darüber, nagelneue Ställe zu entdecken. Denn das bedeutete, dass vor ihrer Ankunft viel Arbeit in die Gebäude hineingesteckt worden war, und sie fragte sich dann immer, was die Besitzer verbergen wollten.

Vor der großen Doppeltür zum Stall blieb Cade stehen und schaltete den Motor aus. Bethany glitt vom Beifahrersitz und atmete die vertrauten Düfte nach Pferden und Natur ein. Ohne auf Cade zu warten, betrat sie die Stallgasse, die auf beiden Seiten von sauberen Boxen gesäumt war. Bethany ging nach links und sah weiche Einstreu und volle Wassertröge, die auf die von den Weiden zurückkehrenden Pferde warteten.

Die Boxen waren so konzipiert, dass die Pferde sowohl in die Stallgasse als auch nach draußen geführt werden konnten. Bei einer Box stand die Tür offen. Sie ging hinein und inspizierte die Matten auf dem Betonboden, die Wände, den Mechanismus am Wassertrog.

„Der verrät uns genau, wie viel Wasser am Tag hindurchfließt“, erklärte Cade, der sich auf die Stalltür lehnte. „So wissen wir, wenn eines der Pferde nicht ausreichend trinkt. Es gibt einen Schalter, mit dem wir die Tröge einmal am Tag durchspülen können, damit sie immer sauber sind.“

Er nickte in Richtung des Trogs. „Sie fließen alle in eine Zisterne, deren Wasser wir nutzen, um den Rasen zu sprengen. So vergeuden wir kein Wasser. Außerdem nutzen wir unseren eigenen Kompost für die Weiden.“

Sie hörte zu, ohne etwas zu sagen, und ging dann zu der Tür, die auf die Koppeln hinausführte. Bevor sie in die spätnachmittägliche Sonne hinaustrat, überprüfte sie den Schließmechanismus der Tür und achtete darauf, ob irgendwo Holzsplitter hervorstanden.

Die Bäume boten Schatten, waren aber außerhalb der Reichweite von neugierigen Pferdemäulern gepflanzt worden. Eine leichte Brise wehte über die Koppel und die drei Trainingsbahnen dahinter. Cades Ranch hatte nichts mit den königlichen Stallungen in El Bahar gemeinsam, aber das musste nichts Schlechtes sein. Bisher gefiel ihr, was sie gesehen hatte. Cade schien sich Zeit zu nehmen und sich auch um die Details zu kümmern. Bethany beurteilte Menschen zumeist danach, wie sie sich um ihre Pferde kümmerten. Und nach dem Kriterium war Cade einer der Guten. Dass er zudem auch so nett anzusehen war, tja, das war ein Bonus – aber einer, der für sie keine Rolle spielte.

„Okay“, sagte sie und kehrte in den Stall zurück. „Zeigen Sie mir, wo Rida seinen Platz haben wird.“

Cade führte sie hin. Bethany überprüfte die Box und stellte sicher, dass die richtige Einstreu verwendet und die zentrale Wasserleitung abgeschaltet worden war. In den nächsten beiden Tagen würde Rida nur das Wasser aus El Bahar trinken, bevor sie ihn langsam umgewöhnte.

Dann schaute sie sich draußen noch einmal nach möglichen Gefahrenquellen wie giftigen Pflanzen um, bevor sie sich Cade zuwandte.

„Alles klar, wir können ihn jetzt holen.“

„Super, dann machen wir das doch.“

„Wollen Sie mir gar nicht sagen, dass ich zu penibel bin?“ Das hatten schon ein paar Menschen getan.

„Auf keinen Fall. Er ist die größte Investition, die ich jemals tätigen werde. Natürlich will ich, dass es ihm gut geht.“

Rida kam wie ein Profi rückwärts aus dem Anhänger. Bethany führte ihn eine gute halbe Stunde herum, bevor sie ihn in seine Box brachte. Er trat ein, als hätte er schon sein ganzes Leben dort verbracht, und ging dann direkt durch die andere Tür nach draußen.

Inzwischen stand die Sonne tief am Horizont. Die warmen Strahlen tanzten auf Ridas schwarzem Fell und brachten rote und goldene Reflexe zum Vorschein. Der Hengst schüttelte den Kopf, dann kam er zu Bethany und legte seinen Kopf an ihren. Sie streichelte seinen Hals.

„Ich bringe Ihr Gepäck ins Haus“, sagte Cade. „Sobald Sie so weit sind, zeige ich Ihnen Ihr Zimmer.“

Sie sah ihn an. „Die ersten paar Nächte werde ich hier bei Rida schlafen, um sicherzustellen, dass es ihm gut geht.“

Cade hob die Augenbrauen. „Sind Sie sicher?“

„Ja. Ich habe einen Schlafsack und ein Kissen mitgebracht. Ich bin gut vorbereitet.“ Sie schaute sich um. „Ich nehme an, es gibt hier im Stall eine Toilette?“

„Toiletten und Waschbecken, aber keine Dusche.“

„Dann dusche ich im Haus und werde ansonsten hier bei ihm bleiben.“

Cade schaute von ihr zum Pferd und wieder zurück. „Wie gesagt, Sie haben hier das Sagen.“ Er schaute auf die Uhr. „Ich lasse Sie beide dann mal in Ruhe und bringe Ihnen in ein paar Stunden das Abendessen. Wie klingt das?“

„Perfekt.“

3. KAPITEL

Cade hatte nichts über die Frau gewusst, die Rida begleiten würde. Wenn er bisher ein Pferd gekauft hatte, war er immer zu einem Züchter gefahren, hatte es sich ausgesucht und mitgenommen. Aber diesmal war alles anders. Und inzwischen hatte er ein paar Dinge über Beth herausgefunden: Sie war kompetent, professionell und kannte sich hervorragend mit Pferden aus. Zudem war sie eine umwerfende, kurvige, blauäugige Blondine – aber das war eine Tatsache, die er einfach ignorieren musste.

Gegen halb sieben Uhr abends brachte er den Gartentisch und zwei Stühle von der Veranda zum Stall hinüber und holte danach das Abendessen samt Besteck, Geschirr, Gläsern und Servietten. Als alles bereit war, ging er zur letzten Box auf der rechten Seite.

Rida und Beth befanden sich auf der Koppel vor Ridas Box. Beth saß auf dem Zaun, das Pferd stand in ihrer Nähe. Auf einem Zaunpfahl ein Stück weiter saß eine orangefarbene Stallkatze. Beth sprach so leise zu Rida, dass Cade die Worte nicht verstand. Obwohl sie von so unterschiedlicher Größe waren, wirkten sie total vertraut.

Er räusperte sich, um auf sich aufmerksam zu machen. Beth drehte den Kopf und lächelte ihn an.

„Hi. Wir unterhalten uns gerade über das Wetter.“

Ihr Lächeln traf ihn wie ein Blitzschlag. Das ist nicht gut, sagte er sich; das ist überhaupt nicht gut.

„Das Abendessen ist fertig. Falls Sie also Hunger haben …“

„Ich bin kurz vor dem Verhungern.“ Sie sprang vom Zaun und tätschelte Ridas Hals. „Ich bin in der Nähe. Wenn du mich brauchst, melde dich.“

„Antwortet er Ihnen?“, wollte Cade wissen und hielt ihr die Stalltür auf.

„Manchmal.“

Sie traten in die Stallgasse hinaus, und Beth schüttelte den Kopf. „Das ist aber wirklich sehr nett von Ihnen. Vielen Dank.“ Sie musterte den Tisch, die Salatschüssel und das Hühnchen sowie den Nudelauflauf. „Sollte ich von Ihren Kochkünsten beeindruckt sein?“

„Eher nicht. Ich habe eine Haushälterin, die zweimal in der Woche kommt. Sie putzt, macht die Wäsche und lässt mir solche Köstlichkeiten in der Tiefkühltruhe. Die Haushälterin gehört zu meiner Stellung hier.“

Beth entschuldigte sich, um sich die Hände zu waschen. Cade schenkte ihnen beiden Eistee ein und wartete, bis sie zurückkehrte, bevor er sich setzte.

„Wie lange arbeiten Sie schon hier?“, wollte sie wissen.

„Ich bin vor ein paar Monaten nach Happily Inc zurückgezogen.“ Er nahm die Salatschüssel, die sie ihm reichte. „Die Ranch gehört meinem Großvater. Als Kind war ich oft hier. Er hat mir das Reiten beigebracht, und als ich sechs war, wusste ich, dass ich Cowboy werden will.“

Sie lächelte. „Es ist schön, eine Richtung zu haben. Sind Sie nie von diesem Ziel abgewichen?“

„Nein. Ich hatte nicht mal eine Feuerwehrmann-Phase.“ Er dachte kurz über seine Vergangenheit nach. „Meine Familie lebt seit Generationen in dieser Gegend. Grandpa Frank gehört die größte Bank in der Stadt. Das ist das Familiengeschäft. Meine Mom wollte, dass ich mit ihr zusammen arbeite, aber das wird nie passieren. Mein Großvater hat mir klargemacht, dass ich den Job auf der Ranch nicht allein deshalb bekomme, weil ich sein Enkel bin. Daher bin ich mit achtzehn von zu Hause ausgezogen, um das Handwerk zu lernen.“

Er schaute sie an. „Sind Sie sicher, dass Sie das alles hören wollen?“

„Ja. Ich liebe solche Geschichten. Wo sind Sie hingegangen?“

„Nach Kentucky.“

Sie seufzte. „Da bin ich ein paarmal mit meinen, äh, mit ein paar Freunden gewesen. Es ist wunderschön dort.“

„Das stimmt. Und es ist der Pferdestaat. Ich habe mit niederen Stallarbeiten angefangen und alles gelernt, was ich nur konnte. Nach ein paar Jahren bin ich auf eine Ranch in Texas umgezogen.“

Den Grund seines Umzugs erzählte er ihr lieber nicht. Zum einen, weil das privat war, zum anderen war es demütigend. Er war von einer Frau in Kentucky an der Nase herumgeführt worden. Doch er hatte seine Lektion gelernt und sich geschworen, dass ihm so etwas nie wieder passieren würde.

„In Texas haben Sie auch den König kennengelernt, richtig?“, fragte sie.

„Ja. Ich war zu einem Dinner eingeladen, an dem er teilnahm. Keine Ahnung, warum ich da mitmachen durfte, aber es war auf jeden Fall eine tolle Erfahrung. Der König und ich haben uns über Pferde unterhalten, und als ich von Rida hörte, habe ich gedacht, vielleicht erinnert er sich an mich.“

Sie musterte ihn kurz, dann wandte sie den Blick ab. „Ich bin froh, dass es geklappt hat.“

„Ich auch. Rida ist umwerfend.“

„Das ist er. Wann werden Sie ihn von Ihrem Tierarzt durchchecken lassen?“

„Morgen und noch einmal in ein paar Wochen.“ Er trank einen Schluck Eistee. „Wie kam es dazu, dass Sie in den Ställen von El Bahar arbeiten?“

Ihre blauen Augen funkelten amüsiert. „Das ist unerwartet, oder? Meine Eltern haben sich scheiden lassen, als ich noch klein war. Mein Dad hatte wesentlich mehr Interesse an Autorennen als daran, Unterhalt für sein Kind zu zahlen, also war das Geld bei meiner Mom immer knapp. Sie war Lehrerin und hörte von einer Stelle in der amerikanischen Schule von El Bahar. Es gab ein großzügiges Gehalt, und ihr wurde eine Wohnung gestellt. Sie wusste, dass sie innerhalb von fünf Jahren genug Geld ansparen konnte, um ein Haus anzuzahlen und mir das College zu finanzieren.“

Sie beugte sich vor, und ihr dicker blonder Zopf fiel ihr über die Schulter. „Dann hat sie dort jemanden kennengelernt und sich Hals über Kopf verliebt. Wir wohnen in … der Nähe der königlichen Stallungen, und ich habe als Kind irgendwann angefangen, dort Reitunterricht zu nehmen. Meiner Liebe für Pferde bin ich nie entwachsen, und als ich alt genug war, habe ich dort einen Job bekommen.“

Ihr Lächeln schwand. „Ich liebe meine Arbeit, aber es ist schwer, eines meiner Babys wegzugeben. Ich war bei Ridas Geburt dabei und werde ihn fürchterlich vermissen.“

„Wollen Sie mir Schuldgefühle bereiten?“, fragte er.

Sie lachte. „Vielleicht ein wenig. Funktioniert es?“

„Sorry, nein. Er wird unserer kleinen Ranch zu Bekanntheit verhelfen. Ich habe große Pläne mit ihm. Natürlich alles nur zu seinem Besten, versprochen.“ Ihre Blicke trafen sich. Er spürte, dass irgendetwas zwischen ihnen vorging, konnte aber nicht sagen, was. Beginnendes Vertrauen? Oder mehr?

Nein, nicht mehr, befahl er sich energisch. Er wollte nicht mehr. Rida war genug. Beth‘ Anziehungskraft zu erliegen gehörte nicht zu seinem Plan.

Rida lebte sich wesentlich schneller ein, als Bethany erwartet hätte. Er fing sofort an zu fressen und schien es zu genießen, seine Tage draußen in der Sonne zu verbringen. Sogar mit der kleinen orangefarbenen Stallkatze hatte er sich schon angefreundet.

„Du wirst mich gar nicht vermissen“, beschwerte Beth sich, als sie ihn auf dem Übungsplatz im Kreis herumführte. „Sobald ich abgereist bin, wirst du mich vergessen.“

Rida sah sie an. Sein Ausdruck war zugleich tadelnd und voller Zuneigung – als wolle er ihr sagen, dass er sie sehr wohl vermissen würde, aber zugleich wusste, dass er vernünftig sein musste, weil das hier nun mal sein neues Zuhause war.

„Aha, du bist jetzt wohl der Vernünftige in unserer Beziehung“, sagte Bethany zu ihm. „Na gut, vielleicht hast du recht.“

Rida warf den Kopf zurück und schnaubte zustimmend. Dann fuhr er mit dem Trainingsprogramm fort. Morgen würde sie ihn reiten, aber für heute war es genug.

Eine halbe Stunde später führte sie ihn in den Stall zurück, um ihn zu putzen. Gerade hatte sie ihn angebunden, als sie eine Frau rufen hörte. „Hallo? Ist es in Ordnung hereinzukommen?“

Bethany wartete darauf, dass jemand anderes antwortete. Als es keiner tat, sagte sie schließlich: „Für mich ist es in Ordnung, wenn Sie das meinen.“

Eine hübsche braunhaarige Frau, die irgendwie seltsam vertraut aussah, kam lächelnd auf sie zu. „Hi. Sie müssen Beth sein. Schön, Sie kennenzulernen. Ich bin Pallas Saunders, Cades Schwester.“

„Hallo.“

Pallas musterte Rida argwöhnisch. „Wow. Er ist wirklich attraktiv. Und groß.“ Sie blieb in sicherer Entfernung stehen. „Macht er Ihnen keine Angst?“

„Nein. Er ist ein guter Junge.“

Pallas wirkte nicht überzeugt. „Wenn Sie das sagen.“ Sie sah wieder Bethany an. „Ich wollte Sie gerne kennenlernen und gucken, ob Sie sich wohlfühlen. Sind Sie wirklich den ganzen Weg aus El Bahar hierhergekommen, um dem Pferd das Einleben zu erleichtern? Hat er Flugangst?“

Bethany lachte. „Er hat das wirklich gut gemacht.“ Sie rieb über Ridas Hals. „Er ist etwas ganz Besonderes. Pferde seines Kalibers werden nur selten verkauft. Meine Aufgabe ist es, sicherzustellen, dass er sich hier wohlfühlt und dass man sich gut um ihn kümmert. Sobald er sich akklimatisiert hat, fliege ich wieder nach Hause.“

„Nach El Bahar?“

Bethany nickte.

„Wow. Das klingt so exotisch. Ich bin bisher nicht besonders weit in der Welt herumgekommen“, gab Pallas zu. „Ich war auch nie ein Pferdemensch, aber Cade ist schon sein ganzes Leben lang verrückt nach ihnen. Wir sind Zwillinge. Zweieiige, wie man sieht. Sorgt er dafür, dass Sie sich hier wohlfühlen? Und gefällt Ihnen Ihr Zimmer? Er hat mich gebeten, ihm zu helfen, es ein wenig gemütlicher zu machen. Ich hoffe, es entspricht Ihrem Geschmack.“

Bethany hatte keine Ahnung, wovon Pallas redete. Was für ein Zimmer? „Ach, das Gästezimmer im Haus.“ Sie versuchte, sich daran zu erinnern, wie es aussah. „Tut mir leid. Ich habe im Stall geschlafen und bin nur zum Duschen im Haus gewesen. Aber ich bin mir sicher, dass es ganz bezaubernd und behaglich ist“, fügte sie unbeholfen hinzu. Verflixt, als Prinzessin sollte sie eigentlich den freundlichen Umgang mit anderen Menschen gelernt haben. Aber das war offenbar nicht der Fall.

Pallas‘ Augen wurden ganz groß. „Sie haben im Stall geschlafen?“

„Um Rida zu beruhigen. Es ist nur für die ersten paar Nächte.“

„Im Stall. Im Heu.“

Bethany bemühte sich, nicht zu lachen. „Technisch gesehen wird im Stall Stroh ausgestreut. Heu ist das, was die Pferde fressen. Cade benutzt aber Pellets für die Boxen. Das ist ein Holzprodukt, das weniger staubt und einfacher zu handhaben ist. Aber das sind vermutlich mehr Informationen, als Sie haben wollten.“

Pallas fing an zu lachen, und Bethany fiel mit ein.

„Okay, das ist nicht so gelaufen, wie ich es geplant hatte“, sagte Pallas kopfschüttelnd. „Fangen wir noch mal von vorne an. Hi, ich bin Pallas, Cades Schwester. Ich weiß überhaupt nichts über Pferde. Schön, Sie kennenzulernen.“

Bethany grinste. „Jetzt wissen Sie ein kleines bisschen über Pferde. Sie sollten damit vor Cade angeben, wenn Sie ihn das nächste Mal sehen. Er wird schockiert sein.“

„Gute Idee.“

„Ich habe drei jüngere Brüder. Ich verstehe, wie wichtig es ist, immer die Oberhand zu haben.“ Und in ihrer Familie war das noch wichtiger, weil der älteste ihrer jüngeren Brüder der Kronprinz war – und gerne mit seinem Titel angab.

„Wie lange wohnen Sie schon in El Bahar?“, wollte Pallas wissen.

„Wir sind dort hingezogen, als ich neun war, aber geboren bin ich in Riverside, also bin ich hier quasi zu Hause.“

„Gut. Wollen Sie Cade und mich zum Thanksgiving-Dinner begleiten?“

Die Einladung kam unerwartet. Obwohl der Feiertag in El Bahar keine große Bedeutung hatte und gerne mal vergessen wurde, war er doch Teil von Bethanys Leben. Ihn allein zu verbringen wäre sehr traurig. Und Rida hatte es nicht so mit Truthahn und Soße.

„Bevor Sie antworten“, sagte Pallas, „sollte ich Sie warnen. Wir haben eine riesige Familie. Mein Großvater hat sieben Töchter, die alle an Thanksgiving auftauchen werden. Cade und ich haben ein Dutzend Cousinen und Cousins. Man kann nie vorher sagen, wer alles kommt und was passieren wird. Es ist laut und verrückt, und es gibt immer viele Dramen, aber das Essen ist gut und Sie könnten neben mir sitzen. Ich bewahre Sie vor dem Schlimmsten.“

Bei diesen Worten merkte Beth, wie sehr sie ihre eigene Familie vermisste. „Ich würde die Einladung gerne annehmen, wenn das okay ist.“

Pallas winkte ab. „Sehr schön. Aber ich finde, dann sollten wir die Formalitäten beiseitelassen und uns duzen.“

Bethany nickte.

„Also, vertrau mir“, fuhr Pallas fort. „Es wird überhaupt niemandem auffallen, dass du da bist. Und falls doch, bist du eine willkommene Abwechslung. Ich muss allerdings noch eine Warnung loswerden: Meine Mutter kann mit ihren Fragen ziemlich hartnäckig sein.“

„Und ich bin ziemlich gut darin, zu antworten.“ Selbst wenn es in diesem Fall Lügen wären.

„Dann ist das abgemacht. Hast du ein Handy? Dann gebe ich dir meine Nummer.“

Pallas fischte ihr Handy aus der Handtasche, und Bethany zog ihres aus der hinteren Tasche ihrer Jeans. Sie tauschten die Nummern aus.

„Das Essen beginnt üblicherweise gegen drei, was ein total unsinniger Zeitpunkt ist. Ich meine, mal ehrlich, entweder Mittag- oder Abendessen. Da sollte man sich entscheiden. Aber neiiiin, es muss fünfzehn Uhr sein.“ Sie seufzte. „Ich sage Cade Bescheid, dass er dich mitnimmt. Er kommt normalerweise gegen dreizehn Uhr, was wirklich clever ist, denn ich habe schon ab acht Uhr morgens Küchendienst.“

„Ich freue mich darauf. Vielen Dank für die Einladung.“

„Das wird lustig.“ Pallas lachte. „Zumindest wirst du eine Wahnsinnsgeschichte zu erzählen haben, wenn du wieder zu Hause bist. Wir sehen uns dann Donnerstag!“

„Ja, bis dann.“

Bethany striegelte Rida zu Ende und führte ihn in seine Box. Die Stallkatze wartete auf dem Pfosten an der Tür. Rida ging zu ihr und hob den Kopf. Die Katze rieb ihr Gesicht an der weichen Nase des Pferds.

„Okay, kleiner Mann, du brauchst einen Namen.“ Bethany sah die Katze an und lächelte. „Also, ich gehe einfach mal davon aus, dass du ein Männchen bist. Wie wäre es mit Harry, nach dem rothaarigen Prinzen von England? Genau wie du ist er freundlich und sehr süß. Das wird unser kleiner Insiderwitz sein.“

Sie tätschelte Harry, der laut schnurrte.

Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass Rida sicher in seiner Box war, ging sie ins Haus. Wie sie zu Pallas gesagt hatte, hatte sie bisher nichts außer dem Bad im oberen Stock gesehen. Jetzt ließ sie sich Zeit, um das Erdgeschoss zu erkunden, bevor sie nach oben ging.

Das Haus war schon älter, aber sehr gepflegt. Besonders die altmodische Küche gefiel ihr, weil sie so gemütlich wirkte – ganz anders als ein Königspalast. Neben einer Mikrowelle stand ein Herd aus den 1940er- oder 1950er-Jahren. Die Fenster waren blitzblank geputzt, die Speisekammer gut gefüllt. Bethany ging nach oben und blieb am obersten Treppenabsatz stehen. An diesem Ende des Flurs gab es zwei Gästezimmer, was bedeutete, das eigentliche Schlafzimmer lag auf der anderen Seite.

Eine Sekunde überlegte sie, sich Cades Zimmer anzusehen, dann sagte sie sich, dass das unhöflich und aufdringlich wäre. Trotzdem konnte sie nicht leugnen, dass sie eine gewisse Neugierde in Hinblick auf Cade empfand. Soweit sie in den letzten Tagen gesehen hatte, konnte er gut mit Pferden umgehen und führte seine Ranch sehr effizient. Die Tiere waren gesund, und seine Angestellten wirkten glücklich. Was den Schluss nahelegte, dass er ein wirklich netter Mann war. Und attraktiv. Und lustig.

Aber nichts für mich, sagte sie sich. Was Romanzen anging, war sie eine wandelnde Katastrophe. Und selbst wenn sie es nicht wäre – sie würde nur für wenige Wochen hierbleiben, und sie war nicht der Typ für eine lockere Affäre. Außerdem wusste sie ja gar nicht, ob Cade Single war. Dass keine Frau im Haus lebte, musste nichts bedeuten. Vielleicht hatte er eine Freundin in der Stadt.

Der Gedanke war zu deprimierend, als dass sie länger bei ihm verweilen wollte. Also schob sie ihn beiseite und zog sich in ihr Zimmer zurück. Dieses Mal hielt sie inne, um all das in sich aufzunehmen, was sie bisher nicht wahrgenommen hatte. Das Bett wirkte mit den vielen hübschen Kissen und Decken sehr einladend. Auf der Kommode stand ein Fernseher. Es gab einen Schreibtisch, auf dem ein Kärtchen mit dem WLAN-Passwort lag. Im Badezimmer bemerkte sie zum ersten Mal das Körbchen mit den Shampoos und Cremes sowie die vielen flauschigen Handtücher.

Wenn sie Pallas an Thanksgiving wiedertraf, würde sie sich bei ihr für diese freundliche Geste bedanken. Cades Schwester war nett. Sie würde sie gerne besser kennenlernen. Wenn sie herausfinden wollte, wo auf der Welt sie hingehörte, musste sie rausgehen und anfangen, Dinge zu erleben. Und den Anfang würde ein großes amerikanisches Thanksgiving-Fest machen.

Cade hatte zwar Videos von Rida in Aktion gesehen, aber ihn live zu beobachten war eine ganz andere Erfahrung. Der Hengst war die perfekte Kombination aus Stärke und Agilität. Das Gleiche konnte man von seiner Reiterin sagen. Beth und Rida war ein eingespieltes Team – sie respektierten einander und wussten im Voraus, was der jeweils andere tun wollte. Die beiden zusammen waren ein atemberaubender Anblick.

Eine der Stallkatzen sprang auf den Zaunpfahl und miaute ihn an. Cade streichelte den Kopf der Katze. Beth zügelte Rida und kam auf ihn zu.

„Den habe ich Harry genannt“, sagte sie grinsend. „Ich hoffe, das ist in Ordnung.“

„Haben Sie vorher nachgeguckt, ob es wirklich ein Junge ist?“

„Nein. Das kam mir unhöflich vor. Wenn er eine sie ist, sagen wir einfach, es ist die Abkürzung für Harriet.“

„Mir gefällt, dass Sie eine Problemlöserin sind“, zog er sie auf.

Sie lachte. „Danke. Ich bemühe mich.“

Sie schwang ihr rechtes Bein vom Sattel und sprang zu Boden. Dann griff sie nach dem Tor. Cade war schneller und öffnete es. Gemeinsam gingen sie zum Stall, während Rida ihnen folgte.

„Gestern habe ich Ihre Schwester kennengelernt“, offenbarte Beth ihm, als sie vor der Sattelkammer stehen blieben.

„Pallas konnte nicht glauben, dass die königlichen Ställe von El Bahar eine Frau hergeschickt haben. Also musste sie vorbeikommen, um es mit eigenen Augen zu sehen.“

„El Bahar ist ein Land, in dem die Rechte der Frauen unterstützt werden“, erklärte Beth ihm. „Seit über fünfzig Jahren werden bei uns Mädchen und Jungen gemeinsam unterrichtet. Der Besuch der Universität ist für alle kostenlos. Auch wenn wir unsere Traditionen und unsere Kultur hochhalten, sind Frauen bei uns keine Bürger zweiter Klasse.“

Bevor Cade etwas erwidern konnte, stöhnte Beth auf. „Tut mir leid. Das kam falsch rüber. Ich wollte Ihnen keinen Vortrag halten.“

„Oh, das war eine durchaus interessante Information. Vielleicht kann ich sie mal in einer Quizsendung gebrauchen.“

„Haha, sagen Sie mir Bescheid, wenn es so weit ist. Aber zurück zu Ihrer Schwester. Sie ist sehr nett.“

„Das ist sie.“

Beth zögerte kurz. „Sie hat mich zum Thanksgiving-Dinner eingeladen. Ist das in Ordnung?“

„Das kommt darauf an. Ich habe eine große, laute Familie, und meine Mutter ist seltsam. Wenn Sie damit umgehen können, sind Sie herzlich willkommen.“

„Werde ich stören?“

„Haben Sie vor, mehr als sechs Pfund Truthahn zu essen? Wenn nicht, ist alles gut.“

Sie löste den Gurt von Ridas Sattel und nahm ihn ab, als würde er gar nichts wiegen. „Normalerweise esse ich maximal fünf Pfund Truthahn. Ich dachte mehr an Ihr Privatleben. Macht es Ihrer Freundin nichts aus, wenn Sie mich mitbringen?“

Er griff nach dem Sattel, aber Beth schüttelte den Kopf. „Ich mach das ständig.“ Sie trug ihn in die Sattelkammer und ließ Cade mit der Frage nach seiner Freundin zurück.

Kurz gönnte er sich den Gedanken, dass sie nicht einfach nur höflich sein wollte, sondern nach Informationen fischte. Dann erinnert er sich wieder daran, dass ihm so viel Glück nie beschieden sein würde. Er hatte durchaus Beziehungen gehabt, aber nur wenige der Frauen waren so schön gewesen wie diese kurvige Pferdepflegerin, die gerade Ridas Sattel in die Sattelkammer trug.

„Keine Freundin“, sagte er, als sie zurückkehrte. „Und auch keine Frau.“

„Das Letzte hatte ich mir fast gedacht, weil ich niemanden durchs Haus habe schleichen sehen“, gab sie zu und legte ein paar Bürsten auf den Tisch an der Tür.

„Warum sollte ich jemanden heiraten, der herumschleicht? Was wollten Sie damit sagen?“

Sie grinste. „Das nehme ich zurück. Sie würden niemals eine Schleicherin heiraten.“

Während sie sprach, tätschelte sie Ridas Schulter und stupste ihn sanft an. Der große Hengst verlagerte höflich sein Gewicht auf die anderen drei Beine und hob den Vorderhuf für sie an. Beth nahm eine kleine Bürste, um den Huf von außen zu putzen, dann reinigte sie ihn mit einem Hufkratzer, den sie aus ihrer Gesäßtasche zog.

Hufeputzen gehörte zu den Aufgaben, die Cade jeden Tag verrichtete. Aber er musste zugeben, dass es bei Beth höllisch sexy aussah. Womit feststand, dass er ein Idiot war. Oder noch Schlimmeres.

4. KAPITEL

„Was wirst du anziehen?“, fragte Königin Liana mit besorgter Miene bei ihrem nächsten Skype-Anruf.

„Mom, ernsthaft? Ich bin nicht mehr fünf. Ich weiß, wie man sich angemessen kleidet.“

„Das ist mir klar, Bethany. Ich wollte nur hören, ob du irgendetwas anderes als T-Shirts und Jeans mitgenommen hast. Du hast ja nur wenig Gepäck dabei – gerade mal zwei Taschen, wie ich gesehen habe. Und ich wenn ich raten sollte, würde ich sagen, dass in der zweiten Tasche keine Kleider, sondern ein Schlafsack und ein Kopfkissen steckten, richtig?“

Mit einem Mal fühlte Bethany sich doch wie eine Fünfjährige. „Wieso kennst du mich so gut?“

„Du bist meine Lieblingstochter.“

„Ich bin deine einzige Tochter.“

Ihre Mutter lachte. „Dann musst du die Ernsthaftigkeit meiner Aussage wenigstens nicht infrage stellen.“

„Ich habe ein nettes Oberteil dabei“, sagte Bethany seufzend. „Und eine dunkle Jeans. Außerdem ein Paar flache Schuhe.“ Nicht gerade der elegante Stil ihrer Mutter, aber hoffentlich gut genug für ein Familientreffen zu Thanksgiving. „Hattet ihr ein nettes Dinner?“ Denn hier in Happily Inc war zwar noch früher Morgen, aber in El Bahar war es schon nach zehn Uhr abends.

„Das hatten wir. Einen köstlichen Truthahn mit allem Drum und Dran. Louis hat sich selbst übertroffen. Ich habe ihn die Reste für dich einfrieren lassen, Darling.“

„Danke, Mom.“

Louis war der französische Koch der Familie und ein Meister sowohl der schlichten als auch der aufwendigen Mahlzeiten. Der Mann machte ein gegrilltes Käsesandwich, das Bethany zum Weinen brachte.

„Genieß das Essen heute Abend“, sagte ihre Mutter. „Du fehlst mir.“

„Du mir auch. Grüß alle ganz lieb von mir.“

„Das mache ich.“

Bethany legte auf und ging unter die Dusche. Rida war bereits von ihr bewegt und gefüttert worden. Einer der anderen Stallburschen würde am Nachmittag nach ihm sehen, und Bethany kam dann nach dem Essen noch mal vorbei. Da Harry die ganze Zeit in der Nähe seiner Box herumlungerte, musste sie sich keine Sorgen machen, dass ihr Pferd sich einsam fühlen könnte.

Nach dem Duschen föhnt sie sich die Haare und bemühte sich, mit der Rundbürste ein wenig Form hineinzubringen.

Sie zog die gute Jeans und die Bluse an. Dann griff sie nach der Reisetasche, um die Ballerinas herauszuholen. Als sie in der Tasche herumwühlte, stieß sie auf die Plastikmappe, die unter den Kleidern lag. Sie zog sie heraus und schlug den Umschlag zurück, der das darunterliegende Dokument schützte.

In feinster Kaligraphie war auf dem dicken Büttenpapier Ridas Ahnenreihe über die letzten fünfhundert Jahre aufgezeichnet. Winzige Zeichnungen in den Ecken zeigten Araberpferde in vier verschiedenen Szenen.

Dieses Dokument würde sie Cade geben, bevor sie ging. Er würde auch noch eine Quittung für den Kauf sowie weitere Dokumente erhalten, aber das hier war aus ihrer Sicht das Wichtigste. Es besagte nicht nur, dass der Hengst nun ihm gehörte, sondern es erklärte auch, wer Rida war.

Zwanzig Minuten später gesellte Beth sich zu Cade, der im Wohnzimmer auf sie wartete. Gemeinsam gingen sie hinaus zu seinem Pick-up. Genau wie sie trug er eine dunkle Jeans, dazu ein langärmliges Hemd und Lederstiefel. Mit etwas Glück waren alle anderen ähnlich gekleidet, und sie würde nicht allzu sehr aus dem Rahmen fallen.

„Können Sie Auto fahren?“, fragte Cade und hielt ihr die Beifahrertür auf. „Sie werden ja noch drei oder vier Wochen hierbleiben. Das ist ziemlich lange, um auf der Ranch festzusitzen. Ich kann für Sie einen der Ranch-Trucks organisieren, wenn Sie mal in die Stadt fahren wollen oder so.“

„Das wäre toll.“ Sie stieg ein. „Danke. Und ja, ich kann Auto fahren.“

Er grinste schief. „Auch auf unserer Straßenseite?“

Sie lachte. „Ja, das haben wir gemeinsam.“

„Gut.“

Er startete den Wagen, dann sah er sie noch einmal an. „Okay, die Sache ist die: Meine Familie ist ein wenig seltsam.“

„Das sind alle Familien. Zumindest hat man mir das erzählt. Ihre Schwester hat mich auch vorgewarnt, dass sehr viele Menschen kommen werden.“

„Grandpa Frank ist der Beste. Er ist lustig und sehr unkonventionell. Libby, meine Mom, kann ein wenig …“, er zögerte, „… traditionell sein. Sie liebt es, in der Familienbank zu arbeiten, und das merkt man. Im Ernst: Wenn ich Ihnen zwanzig Frauen zeigen und fragen würde, welche davon die Bankerin ist, würden Sie mit Sicherheit auf meine Mutter deuten.“

Bethany lachte. „Das klingt interessant.“

Er fuhr los. „So kann man es auch ausdrücken. Meine Schwester Pallas haben Sie ja schon kennengelernt. Ihr Verlobter Nick wird auch da sein. Wir haben über ein Dutzend Cousinen und Cousins. Machen Sie sich gar nicht erst die Mühe, sie auseinanderhalten zu wollen. Das kann selbst ich nicht, und ich kenne sie schon mein Leben lang.“

Sie lächelte. Cade gab sein Bestes, damit sie sich wohl fühlte. Er war so ein netter Mann. Und dass dieser nette Mann in einer so sexy Hülle steckte, erhöhte den Reiz natürlich noch. Bisher hatte Bethany keinen einzigen Makel an Cade Saunders entdecken können, was ein wenig beängstigend war. Wobei ja grundsätzlich nichts dagegensprach, jemanden zu treffen, in den sie sich verlieben konnte. Wichtig war nur, dass sie diesem Jemand auch wirklich vertrauen konnte. Denn sie hatte sich schon oft genug die Finger verbrannt.

Außerdem, sagte sie sich, ist das kein Thema. Sie wäre nicht lange genug hier, als dass etwas passieren konnte. Trotzdem … Träumen durfte ein Mädchen ja wohl noch.

„Sie kennen sich vermutlich gut in der Geschichte von El Bahar aus“, merkte Cade an, während sie über die Landstraße fuhren.

„Ja, Landeskunde war ein Pflichtfach an der Schule. Warum? Soll ich mich darauf vorbereiten, beim Essen einen kleinen Vortrag über Land und Leute zu halten?“

„Keine Sorge.“ Er lachte. „Aber Happily Inc hat auch eine sehr interessante Geschichte.“

„Erzählen Sie.“

„Vor ungefähr fünfzig oder sechzig Jahren merkte mein Großvater, dass die Stadt im Sterben lag. Es gab keine Industrie, keine Touristen. Großvater wusste: Wenn die Stadt zugrunde ging, würde er seine Bank verlieren. Und um das zu verhindern, erfand er eine Geschichte über die Gründung der Stadt. Er behauptete, dass während des Goldrauschs eine Kutsche mit Bräuten hier gestrandet wäre. Die Bräute sollten eigentlich zu den Goldfeldern gebracht werden, wo sie zum ersten Mal ihre zukünftigen Ehemänner treffen würden. Die kannten sie nämlich noch gar nicht, weil das alles über einen Heiratsvermittler lief. Aber nun war die Kutsche kaputt und musste repariert werden. Und als dann endlich die Ersatzteile beschafft worden waren, hatten sich die Bräute allesamt in Männer verliebt, die hier vor Ort lebten. Deshalb weigerten sie sich, die Stadt der Liebe jemals wieder zu verlassen.“

„Das ist bezaubernd.“

„Es ist totaler Unsinn. Es ist nie passiert. Aber die Bewohner mochten die Geschichte so sehr, dass sie den Namen der Stadt änderten. Die Geschichte machte schnell die Runde, Hollywood war ganz wild danach, und ein paar Stars kamen her, um zu heiraten. Seitdem ist Happily Inc ein beliebtes Ziel für Hochzeiten.“

„Sehr clever“, murmelte sie. „Und innovativ. Ich freue mich schon darauf, Ihren Großvater kennenzulernen.“

„Sie werden ihn mögen.“ Er warf ihr erneut einen Blick zu. „Und er wird Sie mögen. Er ist Single, also seien Sie vorsichtig.“

Sie lachte. „Steht er auf jüngere Frauen?“

„Seit dem Tod meiner Großmutter legt er sich da nicht mehr so fest.“

„Beeindruckend.“

Sie fuhren durch ein altes Wohnviertel mit großen Häusern auf noch größeren Grundstücken. Am Ende der Straße stand das größte Anwesen. Auf der langen Auffahrt parkten mindestens ein Dutzend Autos. Cade stellte seinen Wagen am Ende ab und wandte sich Beth zu.

„Falls es Ihnen zu viel wird, kommen Sie einfach zu mir. Ich werde das Thema auf Hufrehe, Koliken oder andere Pferdekrankheiten lenken. So etwas findet meine Mutter abstoßend. Also wird sie sich schrecklich aufregen und dabei vergessen, worüber sie vorher gesprochen hat.“

Bethany dachte an all die offiziellen Staatsempfänge, die sie mitgemacht hatte, und bezweifelte, dass irgendjemand in Cades Familie auch nur halb so anstrengend sein könnte wie einige der Diplomaten, neben denen sie schon gesessen hatte.

„Danke für das zauberhafte Angebot, aber ich denke, ich komme klar.“

„Natürlich. Sie sollen nur wissen, dass es einen Fluchtweg gibt.“

„Das ist ja mal eine ganz neue Bezeichnung für Hufrehe.“

Er ließ ein Lächeln aufblitzen, bei dem ihr das Schlucken schwerfiel und ihre Knie ganz weich wurden. Vielleicht war es die kleine Narbe an seiner Augenbraue. Oder die wie gemeißelte Form seines Unterkiefers. Aber woran auch immer es lag, eines stand jedenfalls fest: Cade war ein sehr faszinierender Mann.

Tja, dachte Bethany. Wenn er doch nur auf Frauen stehen würde, die erst noch herausfinden mussten, was sie mit ihrem Leben anstellen sollten – und die außerdem noch Prinzessin waren.

Sie stieg aus dem Wagen und ging zur Haustür. Während sie die Stufen hinaufgingen, legte Cade die Hand an ihren Rücken.

„Nicht vergessen“, raunte er, bevor er die Tür aufzog. „Im Notfall müssen Sie mir einfach nur ein Zeichen geben. Dann komme ich und rette Sie mit der schönsten Hufrehe-Geschichte aller Zeiten.“

„Und da sagen die Leute, es gäbe keine Kavaliere mehr.“

Immer noch leise lachend betraten sie das Haus.

Bethany bekam einen kurzen Eindruck von einem großzügigen Eingangsbereich und einer wunderschön geschnitzten Treppe. Sie und Cade folgten den Geräuschen einer Unterhaltung, die aus dem großen Wohnzimmer kam.

Auf den ersten Blick hätte Bethany geschworen, dass mindestens fünfzig Leute im Raum waren – saßen, umherschlenderten, sich unterhielten. Doch dann zählte sie kurz durch und merkte, dass es nur zwanzig bis fünfundzwanzig waren. Pallas, die auf der Armlehne eines Clubsessels saß und ihre Hand auf der Schulter des Mannes neben ihr liegen hatte, erkannte sie sofort. Eine Frau Mitte fünfzig, die braunen Haare zu einem strengen Knoten zusammengefasst, löste sich von der Gruppe und kam auf sie zu.

„Du hast es geschafft“, begrüßte sie Cade lächelnd und hielt ihm zur Begrüßung ihre Wange hin.

„Hi, Mom. Darf ich dir Beth Smith vorstellen? Ich habe dir bereits von dir erzählt. Sie ist eine Amerikanerin, die in El Bahar lebt und dort in den königlichen Stallungen arbeitet. Sie hat den Hengst begleitet, den ich gekauft habe. Beth, meine Mutter Libby Saunders.“

„Mrs. Saunders, es ist so schön, Sie kennenzulernen. Vielen Dank für die Einladung.“

Cades Mutter musterte sie eine Sekunde lang. Den leicht nach unten gezogenen Mundwinkeln nach zu urteilen war sie nicht sonderlich beeindruckt. „Libby, bitte. Sie arbeiten also in einem Stall?“

Cade verspannte sich. „Mom, so ist das nicht. Beth trägt viel Verantwortung. Rida ist ein besonderes Pferd, und Beth ist diejenige, die entscheidet, ob er hierbleiben darf oder nicht. Immerhin ist es ein königlicher Stall.“

Libbys Miene veränderte sich nicht. „Aber Sie arbeiten in einem Stall.“

„Ja, Ma’am.“

Libby hakte sich bei ihrem Sohn unter. „Wir haben die Käseküchlein, die du so gerne magst. Aber iss vor dem Dinner nicht zu viele. Cook hat sich dieses Jahr selbst übertroffen. Ich bin sicher, das liegt daran, dass du zu Hause bist. Weißt du, ich habe vor ein paar Tagen mit einer meiner ehemaligen Studienkolleginnen gesprochen. Sie erwähnte, dass ihre mittlere Tochter noch Single ist. Ich glaube, Kimberly würde dir gefallen. Sie ist im letzten Jahr ihres medizinischen Praktikums. Sie wird Kinderärztin.“

Sie schlenderten außer Hörweite. Bethany blieb, wo sie war, und genoss das Gefühl, so zu sein wie alle anderen. Cades Mutter hatte sie wegen ihres Berufs vollkommen missachtet. Das war gleichzeitig traurig und unglaublich lustig. Kein Wunder, dass Cade sie vor seiner Mutter gewarnt hatte.

Pallas stürmte auf sie zu. „O mein Gott! Es tut mir so leid. Meine Mom ist …“ Sie presste die Lippen zusammen. „Es ist ein Feiertag. Ich werde nicht sagen, was sie ist. Aber ich denke es gerade sehr, sehr laut.“

„Mach dir keine Sorgen deswegen“, erwiderte Beth. „Ich verspreche, mir geht es gut.“ Vor allem weil sie wusste, dass Libby ihr Verhalten zutiefst peinlich wäre, wenn sie die Wahrheit kennen würde. Bethanys eigene Mutter hätte jetzt vermutlich gesagt, dass das der Preis dafür war, wenn man anderen Leuten etwas vormachte. Aber damit komme ich klar, dachte Bethany. Es war ihr lieber, missachtet als den ganzen Tag hofiert zu werden.

„Komm, ich stelle dir Nick vor, dann holen wir uns ein Glas Champagner. Mom hat heute an nichts gespart. Das liegt daran, dass Cade zurück ist. Er ist ihr Liebling.“

„Du klingst, als würde dir das nichts ausmachen.“

„Ich liebe ihn auch, also ist es schwer, sauer auf ihn zu sein. Außerdem bin ich mit meinem Leben glücklich. Das macht es leichter, mit ihr umzugehen. Nick, das ist Beth Smith, von der ich dir erzählt habe.“

„Hallo.“ Nick war groß, mit dunklen Haaren und dunklen Augen. Er stand auf und schüttelte ihre Hand. „Du bist also die kleine Lady mit dem großen Pferd.“

„Die bin ich.“

„Wie lebt er sich so ein?“

„Er liebt es hier. Er hat sich schon mit der Stallkatze angefreundet und frisst ganz normal.“

„Warte, bis er die Zebras kennenlernt.“ Nick sah Pallas an.

Seine Verlobte stöhnte. „Erinnere mich nicht daran.“ Sie wandte sich an Beth. „Ich leite eine Firma, die Themenhochzeiten anbietet. Im Sommer hatte ich eine Braut, die unbedingt eine Schwarz-Weiß-Hochzeit haben wollte. Sie hat mich angefleht, die Zebras zu mieten, was ich dann auch getan habe. Es war ein Albtraum.“

„So schlimm war es gar nicht“, sagte Nick ruhig.

Pallas riss die Augen auf. „Sie sind ausgebrochen. Cade und Carol mussten sie wieder einfangen. Sie hätten getötet werden können.“

Er zog sie an sich und gab ihr einen Kuss auf die Nase. „Du findest immer die eine Regenwolke, oder?“

Pallas lächelte ihn an. „Ist das jetzt der Moment, in dem ich dich daran erinnere, dass es an dem Morgen tatsächlich geregnet hat? Und dass der DJ die Hochzeitsgäste ausgeraubt hat?“

„Mit einer Spielzeugpistole.“

„Egal. Es war eine Pistole.“ Pallas drehte sich zu Bethany um. „Glaub mir, normalerweise sind meine Hochzeiten wesentlich ruhiger.“ Sie zeigte zur anderen Seite des Raumes. „Komm. Holen wir uns den Champagner. Unterwegs stelle ich dich den anderen vor, aber keine Sorge. Man erwartet von dir nicht, dir irgendwelche Namen zu merken.“

Mit ihren Champagnergläsern in der Hand schlenderten sie kurz darauf durch das Wohnzimmer, und Pallas stellte Beth ihrer Familie vor. Cade gesellte sich ein paar Minuten später zu ihnen.

„Das mit meiner Mom tut mir leid“, sagte er zu Bethany.

„Das muss es nicht. Ich schäme mich nicht für meinen Beruf. Und wenn Menschen damit ein Problem haben, ist es nicht an mir, das zu ändern.“

Cade musterte sie einen Moment, als würde er über ihre Worte nachdenken. Dann hielt er ihr einen Teller mit herzhaften Käseküchlein hin. „Nach denen fühlen Sie sich gleich besser.“

„So leicht lasse ich mich nicht bestechen“, erklärte sie ihm und steckte sich eines der Häppchen in den Mund. Es war ein unerwarteter Geschmack – weich und doch würzig. Sie musste sowohl ein Stöhnen als auch den Drang unterdrücken, sich den ganzen Teller zu schnappen.

„Okay, das nehme ich zurück“, sagte sie. „Ich bin doch so leicht zu bestechen.“

Cade lachte und sah zu seiner Schwester. „Danke, Schwesterherz. Ich übernehme jetzt.“

„Stell sie doch mal Drew vor.“ Pallas grinste. „Unser Cousin ist sehr charmant. Er leitet die Bank.“ Sie senkte die Stimme. „Was unsere Mom wahnsinnig macht, aber das hast du nicht von mir gehört.“

„Drew sparen wir uns für später auf“, murmelte Cade und führte Bethany davon.

Eine Sekunde lang gestattete sich Bethany die Hoffnung, dass Cade etwas dagegen hatte, sie seinem erfolgreichen Cousin vorzustellen. Weil er sie nämlich für sich behalten wollte. Natürlich war das reines Wunschdenken. Trotzdem war es ein schöner Gedanke, dass Cade Saunders mehr in ihr sah als nur die Person, die sein wertvolles Pferd nach Happily Inc begleitet hatte.

Es war schon kurz vor zehn Uhr am Abend, als Bethany und Cade zur Ranch zurückfuhren. Beim Dinner hatte sie mit den jüngeren Cousins und Cousinen am Tisch gesessen. Cade hatte sich bei seiner Mutter beschweren wollen, dass Bethany an den Kindertisch verfrachtet worden war, aber sie hatte ihn davon abgehalten. Es hatte ihr Spaß gebracht, mit den Teenagern über Filme und Computerspiele zu reden und ihnen von El Bahar zu erzählen. Vor Jahren hatte sie gemerkt, dass Geschichten über ihre Sommer mit den Nomadenstämmen sie oft vor peinlichen Gesprächspausen bewahren konnten. Es ging doch nichts über eine Erzählung von einem Campingtrip in eine Wüstenoase.

„Das Verhalten meiner Mom tut mir so leid“, sagte Cade zum bestimmt vierten Mal.

Bethany legte eine Hand auf seinen Arm – nur um nett zu sein, sagte sie sich. Nicht, um die Muskeln zu spüren. „Hören Sie damit auf. Es ist alles gut. Das war ein schöner Tag. Ich habe genug für zwanzig Leute gegessen und mich mit drei Ihrer Cousinen über Kitten-Heels unterhalten. Das hat Spaß gemacht.“

„Meine Mutter ist ein Snob.“

„Das sind viele Leute. Aber Sie und ich sind es nicht, also bitte, lassen Sie es gut sein. In ein paar Wochen bin ich sowieso fort. Sie ist Ihre Mutter, und es gibt keinen Grund, böse auf sie zu sein. Großes Pfadfinderehrenwort.“

„Danke. Davon abgesehen – wie hat Ihnen das Familienessen gefallen?“

Sie legte ihre Hand auf ihren sehr vollen Bauch. „Im Moment bin ich glücklich. Satt und müde. Alle waren so nett zu mir. Und ich liebe Ihren Grandpa Frank. Verstehen Sie mich nicht falsch, aber wenn er mich zum Essen einladen würde, würde ich vermutlich nicht Nein sagen.“

Cade lachte leise. „Diese Information werde ich schön für mich behalten.“

„Oh, jetzt bin ich aber enttäuscht.“

Er bog auf die lange Auffahrt ein und öffnete das Tor mit der Fernbedienung. Dann fuhr er um das Haus herum zum Stall.

Bevor sie fragen konnte, warum er hier anhielt, schaltete er den Motor aus und sah sie an.

„Sie wollen doch sicher nach Rida sehen, oder?“

„Natürlich.“

„Jetzt müssen Sie nicht so weit gehen. Ich lasse die Hintertür für Sie offen.“

Wie sie schon zuvor gedacht hatte – Cade war nett. Und aufmerksam und sehr, sehr attraktiv. Diese braunen Augen … Und wenn er lächelte, kribbelte ihr ganzer Körper.

Ohne darüber nachzudenken, beugte sie sich zu ihm, weil sie in ihrem Leben ein wenig Kribbeln gebrauchen konnte. Das letzte Kribbeln war schon lange her, was vermutlich daran lag, dass die Männer, mit denen sie ausgegangen war, wenig inspirierend gewesen waren – und keine Gefahr für sie dargestellt hatten. Vor langer Zeit hatte sie die Entscheidung getroffen, Liebe und prickelnde Gefühle zugunsten von Sicherheit zu opfern. Doch das hatte nur dazu geführt, dass sie am Ende mit nichts dagestanden hatte. Ihr Vater hatte alle Kandidaten verschreckt. Und sie hatte nicht einen von ihnen vermisst, als sie fort gewesen waren.

Doch Cade war anders. Es gab sehr viel, was sie an im mochte – einschließlich des Kribbelns.

Vielleicht lag es an den Käsehäppchen oder dem Champagner. Oder daran, dass er sie direkt zum Stall gefahren hatte. Was auch immer es war, es führte dazu, dass sie eine Hand auf seinen Oberarm legte und erwartungsvoll das Kinn hob. Erst als er zögerte, kam ihr der schreckliche Gedanke, dass sie die Situation womöglich falsch interpretiert hatte und er überhaupt kein Interesse an ihr verspürte.

Bevor sie flüchten konnte, schob er jedoch seine Hände in ihre Haare und strich mit seinen Lippen über ihre.

Das war alles – ein kurzer, beinahe keuscher Kontakt. Es hätte nichts bedeuten sollen, doch für sie bedeutete es alles. Ihre Nervenenden feuerten los, ihr Herz raste, und ihr Atem stockte.

Er tat es noch einmal, und sie hätte beinahe aufgestöhnt. Beim dritten Mal schlang sie ihre Arme um seinen Hals und ergab sich ihren Gefühlen.

Cade zog sie so nah an sich, wie es die Mittelkonsole zuließ. Hartes Plastik drückte ihr in die Rippen, aber Bethany war es egal. Sie spürte nur Cades Zunge, die über ihre Unterlippe fuhr und sanft um Einlass bat, den sie ihr gewährte. Dann vertiefte Cade den Kuss, bis sie nur noch aus Hitze und Lust zu bestehen schien.

Ein winziger, praktisch denkender Teil in ihr flüsterte, dass sie vorsichtig sein sollte, aber sie ignorierte die leisen Worte. Nur ein einziges Mal wollte sie so sein wie alle anderen. Nur ein einziges Mal sollte es keine Konsequenzen geben. Doch das Flüstern ging weiter, und Bethany erinnerte sich daran, dass sie nicht wie alle anderen war. Auch wenn sie Cade sehr mochte, wusste sie nicht, ob sie ihm vertrauen konnte. Und solange sie sich dessen nicht sicher war …

Sie zog sich zurück, und er tat es ihr nach. Schweigend sahen sie einander an, atmeten laut in der engen Fahrerkabine des Trucks. Schließlich öffnete Bethany die Tür und stieg aus.

„Danke für alles“, sagte sie. „Wir sehen uns morgen früh.“

Wortlos nickte er. Sie ging in den Stall und sah nach Rida. Auf halbem Weg dorthin gesellte sich Harry miauend zu ihr, als wolle er sich erkundigen, wie ihr Tag verlaufen war.

„Es war schön“, sagte sie zu ihm. „Ich hatte eine schöne Zeit.“

Harry sah sie fragend an.

Sie lächelte. „Okay. Besser als schön. Bist du jetzt glücklich?“

Der Kater fing an zu schnurren.

Cade musste zugeben, dass es der bisher beste November seines Lebens war. Erst Rida, und dann hatte er gestern Abend auch noch Beth geküsst. Mit einem breiten Grinsen im Gesicht setzte er sich vor den Computer und checkte seine E-Mails. Sicher, es war nur ein Kuss gewesen, aber ein sehr, sehr guter Kuss.

Er mochte sie. Das lächerliche Verhalten seiner Mutter hätte sie verstören können, doch sie hatte die Situation mit Anmut und Charme gemeistert. Sie kannte sich hervorragend mit Pferden aus und war freundlich zu den Angestellten. Und generell war es angenehm, mit ihr zusammen zu sein.

Seit dem Debakel mit Lynette, der Frau aus Kentucky, hatte er sich nicht mehr auf etwas eingelassen. Oh, es hatte Frauen gegeben, aber nur gelegentlich. Er hatte sich geschworen, vorsichtiger zu sein und sich an Frauen zu halten, die mehr wie er waren: hart arbeitende, normale Leute. Er brauchte kein Showpferd – zumindest kein menschliches.

Sein Telefon summte und signalisierte ihm damit, dass jemand am Tor war. Er aktivierte die Kamera und sah einen Lieferwagen.

„Komm rein“, sagte Cade und drückte den Knopf, um das Tor zu öffnen. Dann ging er hinaus, um den Fahrer zu empfangen.

Es waren mehrere Pakete, darunter ein ziemlich großer Karton für Beth. Er unterschrieb den Empfang, ließ alles andere im Büro und machte sich auf die Suche nach ihr.

Er fand sie im Stall, wo sie gerade Ridas Box ausmistete. Die fast volle Schubkarre bewies, dass sie schon länger mit dieser Aufgabe beschäftigt war.

„Was machst du da?“, fragte er. „Du arbeitest hier nicht.“

Sofort wollte er die Worte zurücknehmen. Es klang unhöflich – ausgerechnet jetzt, als er Beth zum ersten Mal nach diesem Kuss gestern Abend wiedertraf.

Sie sah gut aus. Ein wenig verschwitzt und staubig, aber immer noch hübsch. Statt sich von seinen Worten die Laune verderben zu lassen, grinste sie ihn nur an.

„Also wirklich, solche Fragen lassen mich daran zweifeln, ob du wirklich bereit bist, Pferdebesitzer zu sein. Nur zur Information: Pferde produzieren ungefähr zwanzig Kilo Mist am Tag. Und zwar pro Pferd. Gut, Kühe schaffen das Dreifache, also haben wir es vergleichsweise leicht. Trotzdem, jemand muss es wegmachen. Ich bin wirklich überrascht, dass du das nicht gewusst hast.“

„Sorry. Ich meinte, warum mistest du hier aus?“

„Einer deiner Jungs hatte Probleme mit dem Auto, und weil Thanksgiving-Wochenende ist, dachte ich, die meisten deiner Angestellten haben frei. Also helfe ich ein wenig aus.“

„Das musst du nicht.“

„Kein Problem. Ich probiere gerade ein paar neue Dinge in meinem Leben aus. Und nichts klärt den Kopf so gut, wie ehrliche, schwere Arbeit.“

„Das stimmt. Danke für deine Hilfe.“ Er erinnerte sich wieder an die Lieferung für sie. „Du hast ein Paket bekommen.“

Sofort verwandelte sich ihr Mund in einen schmalen Strich, und ihre blauen Augen blitzten auf. „Ich erwarte nichts.“ Sie klang eher misstrauisch als aufgeregt.

Er reichte ihr den Karton. Beth las den Adressaufkleber und lächelte.

„Das ist von meiner Mom. Liana Smith.“ Ihr Lächeln wurde breiter. „Wie ich sie kenne, sind das Klamotten. Sie hat mir gesagt, ich solle mehr einpacken, aber habe ich auf sie gehört?“

„Das klingt, als wäre sie eine gute Mutter.“

„Das ist sie.“ Beth stellte das Paket draußen vor den Stall und nickte dann in Richtung der Mistgabel und Schaufeln an der Tür. „Du könntest mir zur Hand gehen.“

„Das könnte ich, und das werde ich.“

Schnell misteten sie die letzten beiden Boxen aus und stellten dann die Werkzeuge weg. Cade fuhr die volle Schubkarre zum Misthaufen, dann gesellte er sich zu Beth in den Pausenraum. Sie hatte ihm bereits ein Wasser hingestellt.

Er öffnete die Flasche. „Danke, Beth. Das meine ich ernst. Niemand hier erwartet, dass du mithilfst.“

„Ach was, das ist doch keine große Sache.“ Ihre Augen funkelten humorvoll. „Dein Vorarbeiter war sehr erfreut über meine Hilfe.“

„Logisch. Wenn du nicht eingesprungen wärst, hätte er die Arbeit machen müssen.“

Sie nahm ihr Wasser in die Hand. „Wage ja nicht, ihm zu sagen, dass er mich nicht mitarbeiten lassen darf.“

„Das würde mir nicht im Traum einfallen.“

„Ich bin mir nicht sicher, ob ich dir glaube, aber gut.“ Sie trank einen Schluck. „Du führst deinen Stall sehr effizient. Ich bin beeindruckt.“

„Erinnere dich daran, wann du deinen Abschlussbericht schreibst.“

„Das mache ich.“

„Ich bin es nicht gewohnt, mich beweisen zu müssen“, gab er zu. „Das ist keine angenehme Situation.“

„Rida ist es wert“, erklärte sie.

„Das stimmt. Ich meine ja nur, dass du alle Macht in den Händen hältst.“

Sie errötete und senkte den Kopf. „So würde ich das nicht sagen“, murmelte sie.

Das zu hören freute ihn. „Es hat mir auch gefallen.“

Sie hob den Kopf und sah ihn an. „Ich habe nicht … Also, falls du …“

Er wartete, bis sie zu Ende gestottert hatte. „Hat dir der Kuss gefallen?“

Röte schoss in ihre Wangen. „Diese Unterhaltung werden wir nicht führen.“

„Aber alle Anzeichen deuten auf das Gegenteil hin. Komm schon, Beth. Das war eine einfache Frage.“

Sie verzog das Gesicht und entspannte sich dann. „Na gut. Ja. Er hat mir gefallen.“

„Gut. Mir auch. Und nur, um das klarzustellen: Ich habe keine Erwartungen. Ein paar Wünsche und Träume, aber keine Erwartungen. Du wirkst auf mich wie eine Frau, die es langsam angehen lässt. Das respektiere ich.“

Beth räusperte sich. „Gut. Ich meine, danke. Das tue ich. So ist es einfach besser.“

Wenn sie mit Rida zusammen war, wirkte sie so selbstbewusst und kontrolliert. Und mit seiner Familie war sie wie eine professionelle Diplomatin umgegangen. Deshalb war es nett, zu sehen, wie sie sich jetzt ein wenig wand.

Das Zirpen von Grillen riss ihn aus seinen Überlegungen. Das Geräusch kam jedoch nicht von draußen, sondern von Beth’ Handy. Sie holte es heraus. „Das ist seltsam. Wer sollte mir hier eine Nachricht schicken? In El Bahar ist es mitten in der Nacht.“ Sie schaute auf das Display, dann strahlte sie ihn an.

„Es ist deine Schwester. Sie hat mich nächste Woche zum Lunch mit ihr und ihren Freundinnen eingeladen.“

„Klingt, als hättest du Lust, hinzugehen.“

„Stimmt. Pallas ist toll. Und ich würde gerne ihre Freundinnen kennenlernen.“ Schnell tippte sie eine Antwort ein, bevor sie Cade wieder anlächelte. „Glaubst du, da gibt es auch dieses Käsegebäck?“

Er lachte. „Wenn du sie darum bittest.“

5. KAPITEL

Bethany hatte nicht gewusst, was sie erwartete, als ihr Vater verkündet hatte, er würde Rida an einen Mann in Amerika verkaufen. Die Vorstellung, ihr Pferd zu verlieren, war schlimm gewesen, aber die Wahl des Käufers hatte sie noch mehr verwirrt. Jetzt, wo sie Cade kennengelernt hatte, war sie mit der Entscheidung ihres Vaters mehr als zufrieden. Ja, Rida würde ihr fehlen, aber er würde in seinem neuen Zuhause glücklich sein. Cade führte seine Ranch so, wie sie es tun würde – mit viel Liebe zum Detail. Er war vorsichtig und klug und ein ziemlich guter Küsser.

Lächelnd lenkte Bethany den geborgten Truck über die Landstraße. Es war ein sonniger Tag, die Landschaft war schön, und egal, wo sie hinschaute, sah sie Anzeichen der bevorstehenden Feiertage im Dezember.

An einer großen Kreuzung am Fluss stand ein riesiger künstlicher Schornstein auf dem Bürgersteig, aus dem die untere Körperhälfte eines Weihnachtsmanns hervorschaute, der darin stecken geblieben war. Als sie an der Ampel wartete, sah sie, dass seine mechanisch angetriebenen Schuhe sich ganz leicht bewegten. An der anderen Ecke gab es eine ähnlich beeindruckende Menora. Die Läden hatten alle Kränze an ihren Türen und Lichterketten in den Schaufenstern. Thanksgiving war vorbei und die Weihnachtssaison hatte begonnen. Vielleicht sollte sie sich einen Nachmittag freinehmen, um Geschenke für ihre Familie zu kaufen. Es wäre schön, zu Hause unter dem Weihnachtsbaum etwas aus Happily Inc zu haben.

Doch erst einmal stand das Mittagessen mit Pallas und ihren Freundinnen an. So ein „Mädelslunch“ war für Bethany etwas Unbekanntes, auf die sie sich sehr freute.

Sie folgte der Wegbeschreibung, die sie von Cade erhalten hatte, und fand sich kurz darauf vor einem interessanten Gebäude wieder. Von einer Seite sah es aus wie eine Burg, von der anderen schien es eine Villa zu sein. Die weihnachtliche Dekoration passte zu der Architektur – traditionell auf der Burgseite, leichter und verspielter auf der Villaseite. Das Gebäude selber war sehr groß mit einem hohen Dachfirst und einem süßen Balkon. Bethany bog in dem Moment auf den Parkplatz ein, als ein roter Truck neben ihr vorfuhr.

Darin saßen zwei Frauen – eine platinblond, die andere brünett. Beide winkten ihr zu.

„Du musst Beth sein“, sagte die Blonde, als sie ausgestiegen war. Sie war groß, schlank und umwerfend – was Bethany ein wenig einschüchternd fand. „Ich bin Silver. Und das hier ist Natalie.“

Die andere Frau war kleiner, und ihre braunen Augen passten zur Farbe ihrer Haare. Sie trug eine rote Brille und hatte eine lockere, freundliche Ausstrahlung. „Hi, Beth. Pallas hat uns erzählt, dass du uns heute Gesellschaft leistest. Bist du wirklich aus El Bahar?“

„Das bin ich. Aber ich bin in Kalifornien geboren.“

Die Frauen holten Einkaufstüten aus dem Truck und gingen dann gemeinsam auf das Gebäude zu.

„Weißt du schon irgendetwas über uns?“, wollte Natalie wissen. „Pallas hat uns gar nichts erzählt.“

„Nicht wirklich. Sie hat mich zum Lunch eingeladen und war generell sehr nett zu mir, seitdem ich hier angekommen bin.“

„So ist unsere Pallas.“ Natalie hielt ihr die Tür auf. „Okay, ich mache es ganz leicht: Das hier ist Pallas’ Palast. Weddings out of the Box, Mottohochzeiten aller Art. Silver hat eine Firma namens AlcoHaul – mit ihrem zu einer Bar umgebauten Wohnwagen schenkt sie auf verschiedenen Events Getränke aus.“

„Ich bin sozusagen eine rollende Party“, sagte Silver lachend.

„Dann kommen noch Carol und Wynn. Carol arbeitet im Wildtierreservat. Wir sind gerade dabei, weitere Giraffen anzuschaffen, was ziemlich cool ist. Millie, die bisher einzige Giraffe, war viel zu lange allein. Ein Mädchen braucht Freundinnen, oder?“ Sie ließ ein Grinsen aufblitzen. „Wynn gehört ein Grafik- und Druckstudio. Und dann gibt es noch mich.“ Sie seufzte theatralisch. „Tagsüber bin ich die Büroleiterin einer Galerie und nachts eine Künstlerin, die ums Überleben kämpft.“

„Lass dich von ihr nicht in die Irre führen“, warf Silver ein, als sie einen langen Flur hinuntergingen. „Sie ist unglaublich talentiert. Eines Tages wird sie berühmt sein und alles hier hinter sich lassen.“

„Ich werde gar nichts hinter mir lassen“, korrigierte Natalie sie. „Aber das mit dem Berühmtsein akzeptiere ich gerne. Solange dabei hübsche Sümmchen fließen. Schließlich muss ich meine Miete zahlen.“

Sie gingen durch einen Torbogen, der auf einen mit Gras bewachsenen Innenhof führte. Pallas war gerade dabei, den im Schatten stehenden Tisch zu decken. Sie schaute auf und kam zu ihnen.

„Du hast es geschafft.“ Freudig umarmte sie Bethany „Das finde ich super. Wie ich sehe, hast du Silver und Natalie schon kennengelernt.“

„Ja, und ich habe ihr schon mal eine kurze Einführung in unsere Gruppe gegeben“, sagte Natalie lachend.

Bethany schaute sich um. „Das ist ein bezaubernder Ort.“

„Danke. Es bringt Spaß, unseren Lunch immer woanders abzuhalten. Wenn Carol dran wäre, würden wir jetzt in der Happily-Inc-Savanne beim Wildtierreservat picknicken“, erklärte Pallas. „Da ist es wunderschön, aber man muss sich erst einmal daran gewöhnen.“

„Ich mag es, wenn die halbwilden Tiere vorbeischlendern“, warf Natalie ein.

„Die sind so lange toll, bis eines von ihnen einen Haufen macht.“ Silver rümpfte die Nase. „Wenn der Wind falsch steht, ist das nicht schön.“

Bethany grinste. „Ich bin den ganzen Tag von Pferden umgeben. Von so etwas lasse ich mir nicht so schnell die Laune verderben.“

Carol und Wynn trafen ein. Bethany sah, dass jede der Frauen etwas zu Essen mitgebracht hatte, was das Hauptgericht von Pallas – Hühnchen und Pasta – ergänzte.

Sobald alle saßen, wurden die Schüsseln herumgereicht.

„Also.“ Natalie beugte sich zu Bethany. „Erzähl uns ein bisschen von El Bahar. Wo wohnst du dort? Arbeitest du wirklich in den königlichen Stallungen? Und wie ist das so? Hast du den König je persönlich getroffen? Oh, und was ist mit den Prinzen? Sind die so süß wie William und Harry aus England?“

„Das sind aber viele Fragen“, erwiderte Bethany. Sie fragte sich, welche davon sie beantworten konnte, ohne zu lügen. Sie mochte diese Frauen und wollte sie nicht hintergehen.

„Du musst nicht darauf antworten“, erklärte Carol ihr. „Wir sind alle nur schrecklich neugierig. Du bist so exotisch, und unsere Leben sind so gewöhnlich.“

Silver verdrehte die Augen. „Hör nicht auf sie. Sie ist total verliebt, und das ist niemals gewöhnlich. Ach ja, und sie auch.“ Sie zeigte auf Pallas.

Pallas wedelte mit ihrer Hand, an der ein Verlobungsring funkelte.

Bethany fragte sich, ob man ihr den Neid ansah. Den richtigen Mann zu finden und sich zu verlieben war etwas, das die meisten Frauen irgendwann im Leben wollten. Sie selbst bildete da keine Ausnahme. Doch ihre Position am Königshof machte die ganze Sache komplizierter. Und bisher war ihr leider keine Lösung für das Problem eingefallen.

Natalie stupste Bethany noch einmal an. „Also … El Bahar. Schieß los.“

„El Bahar liegt direkt am Arabischen Meer und ist wunderschön. Die Leute sind warmherzig und freundlich, und das Land ist sehr fortschrittlich.“ Sie nahm sich etwas Salat. „Ich arbeite tatsächlich in den königlichen Stallungen und habe eine schöne Wohnung in der Nähe.“

Was nicht wirklich gelogen war. Der Palast lag in der Nähe des Gestüts.

„Meine Mom und ich sind dort hingezogen, als ich neun war. Sie hat eine Stelle als Lehrerin an der amerikanischen Schule angenommen. Dann hat sie einen Mann kennengelernt und sich verliebt, also sind wir geblieben.“

„Was ist mit den Prinzen?“, wollte Wynn wissen. „Ich bin mir nicht sicher, ob ich bereit bin für eine Beziehung, aber eine Affäre mit einem Prinzen klingt verlockend.“

Bethany schüttelte den Kopf. „Es tut mir leid, aber der älteste Sohn des Königs ist noch ein Teenager, und die Brüder des Königs sind alle verheiratet.“

„Und wieder Pech gehabt.“ Wynn seufzte. „Bitte sagt mir, dass irgendjemand Nachtisch mitgebracht hat.“

Alle lachten.

Die Unterhaltung wandte sich neutraleren Themen zu. Pallas erzählte von einer anstehenden Hochzeit und dass sie und Nick in ein paar Monaten nach Italien reisen würden. Carol erwähnte ihre Schwester Violet, die erst kürzlich mit ihrem Verlobten nach England gezogen war. Natalies Auto pfiff aus dem letzten Loch, und sie hoffte, es würde noch durchhalten, bis sie sich einen Ersatz leisten konnte.

Bethany hörte mehr zu, als dass sie redete. Die entspannte Freundschaft zwischen den Frauen gefiel ihr, und auch, dass sie so selbstverständlich in das Gespräch mit einbezogen wurde. Sicher, es war nur ein Lunch, aber sie hatte das Gefühl, dass sie bei der Rückkehr nach El Bahar wesentlich mehr vermissen würde als nur Rida.

Cade saß auf dem Zaun und beobachtete, wie Beth den Hengst auf dem Zirkel galoppieren ließ. Seine Aufmerksamkeit war zweigeteilt: Der eine Teil bewunderte, wie sie sich im absoluten Einklang mit dem Pferd bewegte und wie gut sie dabei aussah. Dieser Teil seines Gehirns erinnerte sich an den Kuss und wollte mehr.

Der andere Teil von ihm beneidete sie um ihre Beziehung zu Rida. Er konnte nur hoffen, dass dieses Pferd ihm irgendwann ebenso sehr vertrauen würde, wie es Beth vertraute. Wobei – er hatte schon immer eine Affinität zu Pferden gehabt, wieso sollte es mit Rida anders sein?

Beth parierte durch und kam im Schritt auf den Zaun zu.

„Ich weiß, was du denkst“, sagte sie, als sie vor ihm anhielt. „Ich denke, es wird irgendwann passieren.“

Cades Magen zog sich zusammen. „Wovon reden wir hier?“, fragte er und zwang sich, den Tonfall möglichst leicht zu halten. Vermutlich sprach Beth nicht über Sex – auch wenn das natürlich schön gewesen wäre.

„Du willst ihn reiten, das sehe ich.“ Sie sah ein wenig zweifelnd aus. „Nur damit du es weißt, wir hatten früher schon Probleme mit ihm. Aber er ist dein Pferd, und ich schätze, jetzt ist ein ebenso guter Zeitpunkt wie jeder andere.

Also kein Sex, dachte Cade. Aber okay, Rida zu reiten war immerhin fast genauso gut. Er sprang vom Zaun und näherte sich dem Hengst langsam.

Zuerst strich er über Ridas Hals, dann über die Kruppe. Beth stieg ab und ging zu Ridas Kopf.

„Du musst jetzt ein guter Junge sein“, murmelte sie ihm zu. „Cade ist dein neuer Besitzer. Du musst irgendwann mit ihm zurechtkommen.“

Cade justierte die Steigbügel, trat mit dem linken Fuß hinein und schwang das rechte Bein über den Sattel. Sofort fand er seinen Sitz und hielt die Zügel locker aber entschlossen in den Händen.

Selbst wenn er einfach nur stand, war Rida äußerst kraftvoll. Cade spürte die kontrollierte Energie, das Potenzial. Mit ihm über die Ebenen zu galoppieren wäre …

In der nächsten Sekunde saß er nicht mehr im Sattel, sondern flog durch die Luft. Der Boden schien auf ihn zuzurasen, dann landete Cade mit einem dumpfen Knall auf dem Rücken. Rida trottete gemächlich zur anderen Seite des Paddocks, während Beth an Cades Seite eilte.

„Nicht bewegen“, sagte sie und ließ sich neben ihm auf die Knie fallen. Sorge verdunkelte ihre blauen Augen. „Der Aufprall hat dir die Luft aus den Lungen gepresst. Es kommt dir jetzt vermutlich so vor, als könntest du nicht atmen, aber es ist alles in Ordnung. Mach ganz langsam. Entspann deinen Körper einen Moment und atme dann ein. Anfangs nur flach und mit jedem Atemzug ein wenig tiefer.“

Ihre Worte waren zwar dazu gedacht, ihn zu beruhigen, aber das hier war nicht sein erster Abwurf. Er wartete, bis er wieder Luft bekam, bevor er sagte: „Ich bin schon ein oder zwei Mal abgeworfen worden.“

Vorsichtig überprüfte er, ob alle seine Gliedmaßen noch funktionierten, dann setzte er sich auf und sah zu Rida hinüber.

„Das habe ich nicht kommen sehen.“

Sie seufzte. „Ich hatte so ein Gefühl.“

„Und du wolltest mich nicht vorwarnen?“

„Ich habe doch gesagt, dass wir früher schon Probleme mit ihm hatten. Was glaubst du, sollte das heißen? Dass er schmollen würde?“

Cade lächelte. „Du bist ganz schön frech.“

„Tja, ich bin aber nicht diejenige, die gerade von einem Pferd abgeworfen wurde. Wie geht es dir?“

„Es ist nichts gebrochen, und ich sehe dich nicht doppelt, also würde ich sagen, mir geht es gut.“

Sie rappelte sich auf und streckte ihm die Hand hin, als wolle sie ihm auf die Füße helfen. Auch wenn er ihre Hilfe nicht benötigte, war es eine gute Gelegenheit, Beth zu berühren, also ergriff er die Hand und stand auf.

Sie ließ ihn los, blieb aber nahe bei ihm stehen. „Immer noch alles okay?“

„Es ging mir nie besser.“ Wieder schaute er zu Rida. „Auch wenn er und ich mal eine Unterhaltung von Mann zu Mann führen müssen.“

„Viel Glück damit.“

Sie stieß einen Pfiff aus. Rida richtete die Ohren auf, drehte sich um und kam direkt auf sie zu.

„Angeberin“, grummelte Cade.

„Ich weiß. Ich kann nicht anders.“ Sie griff nach den Zügeln. „Es tut ihm aufrichtig leid.“

„Nein, tut es nicht. Lässt er sich von niemandem außer dir reiten?“

„Mein Vater hat mal auf ihm gesessen und ist nicht abgeworfen worden.“

„Gut. Ich muss nur wissen, dass ich eine kleine Chance habe.“

Rida würde sich an verschiedene Reiter gewöhnen müssen. Das mochte eine Weile dauern, aber Cade wusste, dass der Hengst trainiert werden konnte. Er war intelligent und hatte einen guten Charakter – zwei Tatsachen, die Cade in die Hände spielten.

Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Beth. „Du weißt, was du tust. Lass mich wissen, wenn du jemals einen Job suchst.“

Sie hob die Augenbrauen und ein Dutzend verschiedener Ausdrücke huschten über ihr Gesicht. „Du bietest mir einen Job an?“

„Würdest du ihn annehmen, wenn ich es täte?“

„Ich wäre verlockt, aber es ist … kompliziert.“

Was meinte sie damit? Ihre Familie in El Bahar? Oder wartete dort ein Mann auf sie? Kurz dachte er über diese Möglichkeit nach, doch dann entschied er, dass Beth nicht der Typ war, der ihn küssen würde, während sie mit einem anderen zusammen war.

„Wie wäre es mit einem gemeinsamen Dinner?“, fragte er spontan. „Heute Abend.“

Sie lächelte. „Dazu kann ich auf jeden Fall Ja sagen.“

Wenn sie das nächste Mal mit ihrer Mutter telefonierte, würde Bethany sich bei ihr bedanken. Das Paket mit der Kleidung, die sie ihr geschickt hatte, enthielt ein paar Sachen aus Bethanys Garderobe, darunter ihr blass-rosafarbenes, ärmelloses Lieblingskleid in A-Linien-Form.

Dazu hatte ihre Mutter ihr ein paar hochhackige Sandalen, einen Lockenstab und eine Auswahl an Schmink- und Haarpflegeprodukten aus Bethanys Badezimmer mitgeschickt. Bethany war zu dankbar, um genervt zu sein. Außerdem war es ihre eigene Schuld – immerhin war es ihre Entscheidung gewesen, nicht aus dem Palast auszuziehen.

Und das wollte sie auch gar nicht. Sie lebte gerne in der Nähe ihrer Familie. Ein paar Nachmittage in der Woche verbrachte sie mit ihren Brüdern, und genauso oft aß sie mit ihren Eltern zu Abend. Sie hatte ihre eigenen Räume und konnte sich bei Bedarf zurückziehen. Trotzdem lebte sie mit ihrer Familie zusammen. Besser ging es eigentlich nicht – und doch wollte sie ab und zu mehr. Etwas Eigenes.

Inzwischen war sie beinahe siebenundzwanzig Jahre alt. Sollte sie nicht einen Plan für ihr Leben haben oder zumindest ein paar Ziele? Wie sie Cade gegenüber schon angedeutet hatte, war ihre Familie eine kleine Komplikation. Doch so langsam überkam sie der Verdacht, dass sie diese Tatsache als Ausrede benutzte. Schande über mich, dachte sie.

Noch einmal überprüfte sie ihr Aussehen im Spiegel. Ihre Haare waren hübsch gelockt, und ihr gefiel die Passform ihres Kleids. Sie schlüpfte in die Sandalen, nahm ihre kleine Clutch und ging nach unten, um sich mit Cade zu treffen.

Er stand im Wohnzimmer und schaute aus dem Fenster. Zu seiner Khakihose trug er ein hellgrünes, langärmliges Hemd. Als er sich umdrehte und sie anschaute, fing Bethanys Herz an zu flattern. Ein Gefühl, das sich verstärkte, als Cades Augen sich weiteten.

„Du siehst toll aus“, sagte er. „Niemand würde vermuten, dass du ohne Probleme einen Zentnersack Futter herumschleppen kannst.“

Sie lachte. „Die Zwanzig-Kilo-Säcke sind mir zwar lieber, aber die anderen bekomme ich auch gewuppt.“

Sie gingen nach draußen zum Truck. Cade musterte zweifelnd Bethanys Sandalen, doch bevor er etwas sagen konnte, trat sie schon auf das Trittbrett und stieg ein.

„Ich bin ein Mädchen“, sagte sie nur. „Wir haben viele Talente.“

„Das sehe ich. Und ich werde nie wieder an dir zweifeln.“

Cade fuhr sie zu einem Steakhaus in der Stadt. Beim Hineingehen legte er eine Hand auf Bethanys Rücken. Seine Mutter mochte Bethany nicht für angemessen halten, aber sie hatte ihre Kinder trotzdem gut erzogen, und Cade hatte ausgezeichnete Manieren.

„Warum lächelst du?“, fragte er, als sie zu ihrem Tisch am Fenster geführt wurden.

Bethany wartete, bis sie saßen. „Ich habe gerade gedacht, dass deine Mutter dich gut erzogen hat. Du übernimmst das Kommando, aber auf sehr höfliche Weise. Und doch glaube ich, dass du auch eine wilde Seite hast. Immerhin hast du mir erzählt, dass du mit achtzehn von zu Hause ausgezogen bist.“

„Ja, ich habe so meine Momente“, sagte er. „Damals fiel mir die Entscheidung leicht, weil ich noch keinerlei Verantwortung hatte. Heute wäre es schwieriger.“ Er zögerte, dann fügte er hinzu: „Ich bin dabei, mich in die Ranch einzukaufen. Jedes Jahr gehen zehn Prozent des Eigentums auf mich über. Ich will das Zuchtprogramm ausweiten, weshalb Rida für mich so wichtig ist. Ich habe schon mit meinem alten Chef in Texas gesprochen. Wir wollen zusammenarbeiten. Im Moment muss ich die großen Entscheidungen noch mit meinem Großvater besprechen, aber sobald ich der Mehrheitseigner bin, habe ich das alleinige Sagen.“

Sie sah die Leidenschaft in seinen Augen, die Entschlossenheit und das Selbstbewusstsein. „Du kannst es kaum erwarten“, sagte sie.

Er zuckte mit den Schultern. „Ich arbeite gern mit Grandpa Frank zusammen. Aber ja, ich bin bereit, das Kommando zu übernehmen. Du kennst das ja: Bei der Arbeit mit Pferden muss man langfristig planen. Es kann Jahre dauern, bis man weiß, ob sich etwas auszahlt. Ich habe gelernt, geduldig zu sein. Vor mir liegen noch viele Jahre, in denen ich alles in die Tat umsetzen werde, was ich mir vorgenommen habe.“

„Das bezweifle ich nicht eine Sekunde lang. In der Familienbank wärst du niemals glücklich geworden.“

„Meine Mom hat eine Weile gebraucht, um das einzusehen. Aber irgendwann hat sie aufgehört, mich zu bitten, meine Berufswahl noch mal zu überdenken.“

„Was ist mit deinem Dad? Den erwähnst du nie.“

Cades Miene wirkte plötzlich angespannt. „Unser Vater ist gestorben, als Pallas und ich noch Kinder waren. Dad war derjenige, der mich zuerst auf die Ranch mitgenommen hat. Wir standen uns sehr nahe.“ Er zögerte. „Er war mein Idol, als ich ein Kind war. Aber je älter ich wurde, desto öfter habe ich mich gefragt, ob er meine Mom nur geheiratet hat, weil er Karriere in unserer Bank machen wollte.“ Wieder zuckte er mit den Schultern. „Ohne mit meiner Mom zu reden, werde ich es nie erfahren, aber das ist eine Unterhaltung, die ich mit ihr nicht führen möchte.“

Was für ein unerwartetes Geständnis, dachte sie. „Es tut mir leid. Bist du deshalb so gewissenhaft?“

„Vermutlich. Ich will die richtigen Entscheidungen treffen und es nicht vermasseln. Aber ab und zu stürzt alles über mir zusammen.“

„Wem sagst du das. Ich hatte eine schreckliche Erfahrung mit einem Typen auf dem College. Ich war am Boden zerstört und bin nach El Bahar zurückgegangen.“ Sie verzog das Gesicht. „Damals habe ich angefangen, in den königlichen Stallungen zu arbeiten. Und auch wenn ich meine Arbeit liebe, sehe ich mich nicht die nächsten zwanzig Jahre dort. Ich habe nur keine Ahnung, was ich sonst tun will.“

„Gibt es keine Chance auf eine Beförderung durch den König?“, zog er sie auf.

„Nicht wirklich.“ Sie könnte natürlich mit einem Teil ihres Treuhandfonds eine eigene Pferdezucht eröffnen, doch das kam ihr irgendwie wie Betrug vor. Sie wollte sich etwas Eigenes erarbeiten – oder zumindest ein Teil davon sein – und es sich nicht einfach von geschenktem Geld kaufen.

Der Kellner trat an ihren Tisch, um ihnen die Tagegerichte zu präsentieren. Sie bestellten beide ein Glas Wein.

Die Unterhaltung floss entspannt dahin. Bevor Bethany es merkte, hatten sie aufgegessen. Sie hatte Spaß gehabt und wollte nicht, dass der Abend schon endete. Cade hatte etwas an sich, das in ihr den Wunsch weckte, die Umstände wären anders und sie könnte einfach …

Was? Mit ihm ausgehen? Warum sollte sie das nicht können? Es war Jahre her, dass sie sich von einem Mann so angezogen gefühlt hatte. Und nach allem, was sie bisher mitbekommen hatte, war Cade ein ehrlicher, aufrichtiger Mensch. Warum sollte sie ihre Möglichkeiten nicht ausloten?

Wenn du etwas willst, musst du den Mut haben, es dir zu holen, ermahnte sie sich. Sie atmete tief ein und fragte: „Warum gibt es keine Mrs. Cade Saunders?“

Cade musterte sie einen Moment, bevor er lächelte. „Das ist mal eine direkte Frage.“

„Ich bin neugierig.“

„Das ist eine lange Geschichte.“

„Wir könnten noch einen Kaffee bestellen.“

„Okay.“ Er griff nach seinem Wasserglas. „Während der Schulzeit hatte ich immer eine Freundin“, fing er an. „Nach meinem Umzug nach Kentucky fing ich an, mit der Tochter des Besitzers der Ranch, auf der ich arbeitete, auszugehen. Lynette war ganz anders als alle Mädchen, die ich kannte. Weltgewandter, würde ich sagen. Sie hatte einen süßen Akzent und wusste genau, was sie von mir wollte.“

Bethany fragte sich, ob es ein Fehler gewesen war, Einzelheiten aus seiner Vergangenheit erfahren zu wollen.

„Zwischen uns herrschte sofort eine gewisse Chemie“, fuhr er fort. „Es hat uns beide schwer erwischt. Zumindest dachte ich das. Sie fürchtete sich davor, was ihre Eltern sagen würden, also haben wir unsere Beziehung geheim gehalten. Wenn sie mit ihren Eltern oder Freunden verreiste, vermisste ich sie, aber wenn sie wieder zurückkam, war es, als wäre sie nie fort gewesen.“

Bethany atmete tief ein. Sie wusste bereits, dass diese Geschichte nicht gut enden würde.

„Wir waren beinahe zwei Jahre zusammen, als Lynette von einer ihrer Reisen mit einem Verlobten zurückkehrte.“

„Oh nein.“

Er verzog das Gesicht. „Ich war auch überrascht. Und sauer. Der Kerl war ein Idiot, aber reich. Als ich sie zur Rede stellte, meinte sie, dass sie diesen Flirt und den Sex mit mir sehr genossen hätte, aus uns beiden aber niemals etwas Ernstes werden könnte. Sie müsse jemanden aus ihren eigenen gesellschaftlichen Kreisen heiraten. Oder, wie sie es ausgedrückt hat: Ich bin ein Arbeitspferd und sie ein Vollblut.“

„Das tut mir leid“, sagte sie und wünschte, sie hätte den Mund gehalten.

„Es kommt noch schlimmer. Ich war so sauer, und sie hatte Angst, dass ich irgendjemandem von uns erzählen könnte. Also hat sie ihrer Mutter gesagt, ich hätte sie belästigt. Ihre Familie verfügte über großen Einfluss in der Stadt, und ich wurde verhaftet und angeklagt. Zwei Tage später kehrte ihr Vater von einer Geschäftsreise zurück. Wie sich herausstellte, hatte er von unserer Beziehung gewusst. Also knöpfte er sich seine Tochter vor, um herauszufinden, was wirklich passiert war.“

Bethany konnte es nicht fassen. Wer würde so etwas tun? Wenn sie so etwas jemals versucht hätte, hätte Malik sie umgebracht. Okay, nicht umgebracht, aber sie hätte arge Schwierigkeiten bekommen.

„Die Anklage wurde fallen gelassen“, fuhr Cade fort. „Ich kam frei und wurde dann gefeuert.“

„Wie konnte er das tun?“

„Wie hätte er mich bei sich behalten können? Er half mir, einen super Job in Texas zu bekommen, und riet mir, mich an meinesgleichen zu halten. Die Botschaft hat mir nicht gefallen, aber er hatte recht. Ich habe meine Sachen gepackt und bin gegangen, ohne noch einmal zurückzuschauen.“ Er lächelte humorlos. „Der Knaller war: Ungefähr vier Monate später hat Lynette sich bei mir gemeldet. Sie wollte, dass wir wieder zusammenkommen. Ich habe dankend abgelehnt. Die Lektion habe ich gelernt. Beim nächsten Mal verliebe ich mich in eine gutherzige, aufrichtige Frau, die genau weiß, wer sie ist und wer ich bin.“

Das Atmen fiel Bethany schwer. Aber diesmal lag es nicht daran, dass sie Cade so anziehend fand, sondern, weil sie nur mit Mühe das Verlangen unterdrücken konnte, aufzuspringen und aus dem Lokal zu fliehen.

Dann verebbte das Gefühl, und sie dachte, wie unfair das Leben war. Wenn Cade keine weiteren Lynettes in seinem Leben mehr wollte, würde er sicher auch nichts mit ihr zu tun haben wollen. Eine Prinzessin aus El Bahar musste noch viel unpassender sein als die herzlose Tochter eines reichen Mannes.

Schlimmer noch, sie hatte gelogen, was ihre Identität anging. Und wenn er das herausfand … Nun, sie wusste nicht, was passieren würde, aber eines war klar: Es würde sehr, sehr schlimm werden.

„Beth? Geht es dir gut?“

Sie schluckte und sah ihn an. „Tut mir leid. Mein Magen rebelliert gerade ein wenig. Das muss die Kombination aus dem reichhaltigen Essen und der Geschichte über deine schreckliche Exfreundin sein. Ich würde ja sagen, dass du Glück gehabt hast, sie los zu sein. Aber das weißt du vermutlich bereits.“

Seine Miene drückte Besorgnis aus. „Du siehst blass aus.“ Er winkte den Kellner heran und bat um die Rechnung. „Gib mir eine Sekunde, dann fahren wir zur Ranch zurück.“

„Das wäre schön.“ Sie zwang sich zu einem Lächeln. „Sorry, dass ich den Abend vermasselt habe.“

„Das hast du nicht. Alles gut. Ich habe ihn sehr genossen.“

„Ich auch.“ Bis zum Ende, als sie entdeckt hatte, dass eine Beziehung mit Cade für sie unmöglich war.

6. KAPITEL

Die ganze Nacht lang warf Bethany sich im Bett hin und her, und kam doch immer wieder zu dem gleichen Schluss: An der derzeitigen Situation war ganz allein sie schuld. Warum war sie nur so dumm gewesen? Sie hätte darauf bestehen können, dass Rida von einem anderen Mitarbeiter des königlichen Gestüts begleitet wurde. Ihr Vater hatte viele qualifizierte Angestellte, aber sie hatte darauf bestanden, es selbst zu tun. Angesichts dessen, wie schnell der Hengst sich hier eingelebt hatte, wusste sie nun, wie lächerlich ihr Verhalten gewesen war.

Vielleicht ist es nicht nur das Pferd, dachte sie kurz vor Tagesanbruch. Vielleicht genoss sie das Drama um ihre Situation ein wenig zu sehr. Oder lag es daran, dass sie sich ein Leben lang vor schwierigen Entscheidungen gedrückt hatte? Egal, was es war, nun befand sie sich in einer schwierigen Lage und hatte keine Ahnung, wie sie die Dinge geraderücken sollte.

Cade die Wahrheit zu sagen, wäre sicher die sinnvollste Lösung. Es wäre das Richtige. Nur wollte sie das nicht. Zum einen, weil sie wusste, dass sich dann alles ändern würde. Obwohl sie sich ziemlich sicher war, dass er Beth Smith mochte, würde er für Prinzessin Bethany sicher nichts als Verachtung empfinden. Er würde sie als eine Art zweite Lynette ansehen und sie verurteilen, was schrecklich wäre. Denn das Problem war, dass sie Gefühle für Cade entwickelt hatte.

Er war so lustig, charmant und kompetent. Es gefiel ihr, dass er ihren Job respektierte, sie zum Lachen brachte, und dass es so leicht war, mit ihm zusammen zu sein. Sie mochte das Gefühl, das seine Küsse in ihr auslösten. Eigentlich mochte sie so ziemlich alles an ihm. Weshalb es eine sehr dumme Idee gewesen war, ihn anzulügen.

Sie stieg aus dem Bett und trat ans Fenster. So wie sie es sah, hatte sie zwei Möglichkeiten: Die Wahrheit sagen oder nicht. Wenn sie ihm die Wahrheit sagte, würde sie alles verlieren, was sie miteinander hatten. Wenn sie weiter log, würde sie ihn und alles, was sie hatten, hintergehen. Also blieb ihr eigentlich gar keine Wahl.

Nachdem sie geduscht und sich angezogen hatte, war ihre Entscheidung gefallen. Sie würde mit ihm reden und mit hoch erhobenem Haupt die möglichen Konsequenzen tragen.

Sie ging nach unten. Cade war bereits in der Küche und setzte Kaffee auf. Als sie eintrat, schaute er auf und lächelte sie an.

Es war gar kein besonderes Lächeln, aber trotzdem hatte die Art, wie er sie ansah, etwas Besonderes. Es lagen Zuneigung und Güte, aber auch Besorgnis in seinem Blick.

„Wie geht es dir?“, fragte er. „Konntest du schlafen?“

„Mir geht es besser. Danke. Das mit gestern Abend tut mir leid.“

„Mach dir darüber keine Sorgen. Ich bin nur froh, dass es dir wieder gut geht.“

Sie öffnete den Mund – und schloss ihn wieder. Sie konnte das nicht. Sie ertrug den Gedanken nicht, dass er nach ihrem Geständnis weniger von ihr halten könnte. Das machte sie zwar zu einem Feigling, aber damit konnte sie besser leben als damit, die Verachtung in Cades Blick zu sehen. Nur konnte sie jetzt nicht mehr zulassen, dass sich etwas zwischen ihnen entwickelte. Das wäre falsch. Sie würde also alles so belassen, wie es war. Das war das Mindeste, was sie Cade schuldete.

„Danke.“ Sie nickte in Richtung Kaffeekanne. „Kaffee. Mein Lieblingsgetränk.“

Er lachte leise und schenkte ihr einen Becher ein. „Meines auch.“

Gegen elf Uhr am gleichen Morgen hatte Bethany sich davon überzeugt, dass alles gut werden würde. Nachdem sie sich um Rida gekümmert hatte, zog sie sich in das kleine Büro neben den Stallungen zurück und beantwortete ihre E-Mails. Darunter befand sich eine Nachricht von ihrem jüngsten Bruder, der sich darüber beschwerte, dass er nicht Auto fahren durfte, weil er angeblich noch zu jung war. Daher sollte Bethany doch bitte König Malik zur Vernunft bringen. Sie antwortete ihm, dass er erst elf war, und auch wenn ein Prinz durchaus einige Privilegien hatte, bedeutete das nicht, dass ihre Eltern totale Idioten waren. Also ein klares Nein zum Autofahren.

Sie lachte immer noch leise, als die Tür aufflog und John, der Vormann der Ranch, in das Büro gestürmt kam.

„Er ist weg! Rida ist weg. Ich bin gerade an seiner Box vorbeigegangen und sie ist leer. Ich wusste, dass du ihn erst heute Nachmittag trainieren wolltest. Also wenn du nicht jemand anderem die Erlaubnis gegeben hast, ihn rauszubringen, ist er weg.“

Bethany wurde eiskalt. Mit ihr hatte niemand darüber gesprochen, Rida mit rauszunehmen. Hatte einer der Jungs aus dem Stall versucht, ihn zu reiten? Das würde nicht gut ausgehen – Rida war sehr eigen damit, wen er auf seinem Rücken akzeptierte.

Sie eilte aus dem Büro. Cade kam gerade um die Ecke und blieb stehen, als er sie sah.

„Ich habe es schon gehört“, sagte er. „Du hast ihn niemand anderem anvertraut, oder?“

„Nein.“

Angst vermischte sich mit der Sorge, dass Rida etwas passiert sein könnte. War er ausgebrochen, oder hatte ihn jemand mitgenommen? Er war ein wertvolles Pferd und wäre eine siebenstellige Summe Lösegeld wert. Aber so viel Geld hatte Cade mit Sicherheit nicht, was bedeutete, sie würde ihren Vater anrufen müssen.

„Sollen wir die Polizei informieren?“, fragte sie. „Oder darauf warten, dass sie Kontakt mit uns aufnehmen?“

„Du glaubst, er ist entführt worden?“ Cade schüttelte den Kopf. „Ich habe hier überall auf dem Gelände Überwachungskameras. Niemand ist durch das Tor gekommen. Und einen anderen Weg gibt es nicht, um mit einem Pferdeanhänger auf das Grundstück zu gelangen. Ich bin sicher, er ist ausgebrochen.“

„Aber wie? Ich habe die Tür zu seiner Box verriegelt. Das tue ich immer.“

„Atme erst einmal ruhig durch. Wir werden ihn finden.“

Wenn Rida ausgebrochen war, wäre das marginal besser, als wenn er entführt worden wäre. Aber die Panik blieb die gleiche. Was, wenn er sich verlaufen hatte? Was, wenn er von einem Auto angefahren wurde?

„Ich kann nicht …“

Bevor sie den Satz zu Ende sprechen konnte, legte Cade ihr die Hände auf die Schultern. „Sieh mich an. Wir werden ihn finden. Ich werde nicht eher aufhören zu suchen, bis wir ihn haben. Darauf gebe ich dir mein Wort.“

Sie hatte immer noch schreckliche Angst, doch die Anspannung ließ ein wenig nach. Cade war ein Mann, der sein Wort hielt. Er würde dafür sorgen, dass Rida gefunden wurde.

Sie nickte und ließ sich von ihm nach draußen führen. Einige Stallarbeiter versammelten sich um sie. Cade gab ihnen ein paar Befehle, und sofort strömten sie in verschiedene Richtungen aus. Er selbst schnappte sich Ridas Zaumzeug und ging mit Bethany zu seinem Truck.

„Wenn ich raten müsste“, sagte er und startete den Motor, „würde ich sagen, er orientiert sich hügelabwärts. In die Richtung gelangt er direkt zum Wildtierreservat. Ich rufe schnell Carol an und bitte sie, sich am Hauptgebäude mit uns zu treffen. Von dort aus suchen wir dann weiter.“

Bethany nickte, weil sie nicht reden konnte. Dazu war sie viel zu verängstigt. Ein Teil von ihr hasste es, sich für eine Suchrichtung entscheiden zu müssen, aber sie wusste, anders ging es nicht.

Eine Viertelstunde später bog Cade auf den Parkplatz des Wildtierreservats ein. Carol und ein großer älterer Mann standen neben ein paar Golfwagen. Sobald Bethany aus dem Truck stieg, winkte Carol sie zu sich.

„Mein Dad nimmt Cade mit, und du kommst mit mir.“ Sie lächelte Bethany beruhigend zu. „Keine Sorge. Wenn er sich auf unserem Gelände aufhält, finden wir ihn.“

Bethany hoffte, dass das stimmte, doch sie hatte keine Ahnung, wohin Rida sich gewandt hatte – und sie glaubte auch nicht, dass irgendjemand anderes es wusste.

„Wir suchen in einem Raster“, erklärte Carol und lenkte den Golfwagen über den Pfad. „Mein Dad und ich haben uns die Karte des Geländes angeschaut. Wir glauben, dass wir Rida am ehesten im nordöstlichen Quadranten finden.“

„Gibt es hier gefährliche Tiere?“, fragte Bethany angespannt. „Ich weiß, dass ihr Giraffen habt, aber was noch?“

„Gazellen, Zebras und einen Wasserbüffel. Von denen tut ihm keiner was.“

Was nur eine kleine Erleichterung war. Es gab tausend andere Dinge, die schiefgehen konnten. Rida könnte in eine andere Richtung aufgebrochen sein. Er könnte in ein Erdloch treten und sich ein Bein brechen. Er könnte in die Berge laufen und erfrieren oder verhungern.

Bisher hatte sie sich für einen relativ ruhigen und vernünftigen Menschen gehalten. Aber Ridas Verschwinden fachte die dunkelste Seite ihrer Fantasie an.

Carol fuhr über einen Schotterweg. „Als Erstes sehen wir bei den Zebras nach. Die sind ziemlich schreckhaft, also werden wir sofort wissen, ob Rida bei ihnen ist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie einen Eindringling akzeptieren, selbst wenn es nur ein Pferd ist. Die Gazellen sind etwas entspannter. Vor allem Bronwen.“

„Eure Tiere haben Namen?“ Bethany stellte die Frage vor allem, um sich abzulenken.

„Oh ja. Es sind zwar keine Haustiere, aber wir haben trotzdem eine Bindung zu ihnen.“

Auf einem Hügel verlangsamten sie das Tempo. In der Ferne sah Bethany eine Gruppe von Zebras grasen. Wäre sie nicht so besorgt gewesen, hätte sie den Widerspruch, diese Tiere mitten in der kalifornischen Wüste zu sehen, interessant gefunden. Aber so suchte sie die Landschaft nur nach einem Anzeichen von Rida ab.

„Hier ist er nicht“, sagte sie schließlich kopfschüttelnd.

„Kein Problem. Wir suchen weiter.“

Bethany nickte. „Danke für deine Hilfe. Ich bin sicher, du hattest für heute andere Pläne.“

„Ich helfe gerne. Ich weiß, dass er dir viel bedeutet.“

Fünf oder sechs Minuten später verließen sie ein dichtes Wäldchen und fuhren auf eine Ebene hinaus, die mit Gras bewachsen war. Bethany sah vier Gazellen – und mitten auf dem Feld knabberte ein großes, schwarzes Pferd am Gras.

Vor Erleichterung wurde ihr ganz schwindelig. Sie lächelte Carol an. „Oh, der kann sich aber was anhören, wenn wir wieder zu Hause sind.“

„Ich sage kurz über Funk meinem Dad und Cade Bescheid. Geh du los und fang deinen Jungen ein.“

„Danke.“

Bethany stieg aus dem Golfwagen und ging auf den Hengst zu. Dabei bemühte sie sich um ein normales Tempo und eine entspannte Körperhaltung. Sie wollte nicht, dass Rida ihre Anspannung spürte oder sich erschreckte.

Er hob den Kopf und beobachtete ihr Näherkommen. Nach ein paar Sekunden setzte er sich in ihre Richtung in Bewegung, Kopf und Schweif hoch erhoben, als wäre er sehr zufrieden mit sich.

„Du dummer, dummer Junge“, murmelte sie leise. „Du hast mich zu Tode erschreckt.“

Er blieb vor ihr stehen. Sie schlang die Arme um seinen Hals, und er senkte den Kopf, als wolle er die Umarmung erwidern.

„Wie bist du denn rausgekommen? Habe ich vergessen, die Tür zu schließen, oder hast du einfach nur ungeahnte Fähigkeiten?“

Rida schnaubte nur.

Ein paar Minuten später fuhren Carols Vater und Cade vor. Bethany nahm Cade das Halfter ab und legte es Rida an.

„Kannst du mir hochhelfen?“, fragte sie und stellte sich auf die linke Seite des Pferdes.

„Du willst ihn ohne Sattel und nur mit dem Halfter reiten?“

„Das geht schneller, als wenn wir erst den Anhänger holen. Außerdem würde der die anderen Tiere erschrecken. Ich habe das schon mal gemacht. Er ist das gewohnt.“

„Wenn du meinst.“

Cade machte eine Räuberleiter für sie, und Bethany stellte ihren Fuß in seine verschränkten Hände. Auf drei drückte sie sich mit dem rechten Fuß vom Boden ab, schwang das Bein über Ridas Rücken und setzte sich.

„Du weißt, wo du lang musst?“, fragte Cade.

Sie wedelte mit ihrem Handy. „Ich habe die Adresse der Ranch in meinem Navi. Ich lasse mich von der App leiten.“

„Okay.“ Er klang ein wenig zweifelnd.

„Wir kommen klar.“

Carol gesellte sich zu ihnen. „Am nördlichen Ende des Geländes gibt es ein Tor.“ Sie reichte ihr einen Schlüssel. „Der ist für das Schloss. Bring ihn einfach zurück, sobald du Zeit hast.“

„Danke für alles.“

„Dafür sind Freunde doch da“, erwiderte Carol leichthin.

Bethany brachte Rida auf die Ranch und in seine Box zurück. John hatte inzwischen entdeckt, dass zwei Schrauben an dem Riegel lose waren, sodass Rida die Tür hatte aufrütteln können. Nun, wo das Problem gelöst worden war, konnte sie sich endlich wieder entspannen. Sie putzte Rida, dann ließ sie ihn in Gesellschaft von Harry, der sich auf einem Zaunpfosten sonnte, auf der Koppel zurück. Sie ging in das kleine Büro, bestellte einen Blumenstrauß für Carol und tätigte dann eine großzügige Spende an das Wildtierreservat. Danach machte sie sich auf die Suche nach Cade.

Sie fand ihn bei John. Die beiden untersuchten alle Türriegel im Stall auf lose Schrauben.

„Wie geht es unserem Jungen?“, fragte er, als er Bethany sah.

„Gut. Ich bin allerdings immer noch ein wenig zittrig. Danke vielmals für deine Hilfe. Und dafür, dass du so ruhig geblieben bist. Ich war total panisch.“

„Du warst angespannt, aber das ist auch kein Wunder. Wir hatten Glück, ihn so schnell zu finden. John und ich gehen noch mal alle Sicherheitsvorrichtungen durch, damit so etwas nicht noch einmal passiert.“

Sie nickte, denn sie war sich sicher, dass er sich um alles kümmern würde. Nach einer schlaflosen Nacht und dem aufregenden Vormittag freute sie sich auf einen ruhigen Nachmittag und darauf, früh ins Bett zu gehen.

„Pallas hat mir eine Nachricht geschickt“, sagte Cade. „Sie hat uns für morgen Abend zum Essen eingeladen, wenn du Lust hast. Ich dachte, du könntest mir vorher helfen, einen Weihnachtsbaum auszusuchen.“ Er ließ sein sexy Lächeln aufblitzen. „Ich hätte gerne die Meinung einer Frau dazu, damit ich den richtigen kaufe.“

Hoffnung, Lust und Zuneigung trafen Bethany wie ein Boxhieb in den Magen. Sie hatte sich geschworen, sich nicht auf diesen Mann einzulassen, einen Schritt zurückzutreten und ihn nur als Freund zu betrachten. Doch sie wollte wirklich gerne mit ihm zu seiner Schwester und deren Verlobten gehen. Und noch mehr wollte sie mit ihm einen Weihnachtsbaum aussuchen.

War es falsch, ein paar Erinnerungen schaffen zu wollen, bevor sie nach Hause flog? War sie ein schrecklicher Mensch, weil sie nicht einfach mit der Wahrheit herausplatzte und die Konsequenzen ertrug?

„Beth, das war eigentlich keine schwierige Frage.“

„Technisch gesehen waren es zwei Fragen“, sagte sie so locker wie möglich. „Cade, ich würde dich wirklich gerne begleiten.“

„Aber?“

„Aber ich werde bald wieder abreisen und …“ Und ich habe Angst, dir die Wahrheit zu sagen, weil du mich dann nicht mehr mögen wirst, und das kann ich nicht ertragen. Ich brauche es, dass du mich magst!

„Ich habe das dumpfe Gefühl, dass diese sorgenvolle Miene nicht mit dem Weihnachtsbaum zu tun hat“, zog er sie auf, bevor er wieder ernst wurde. „Beth, ich verstehe, was du meinst. Du fliegst nach Hause, und ich bleibe hier. Die Frage ist nur, was wir jetzt tun sollen. Da uns nur wenig Zeit bleibt, könnte man argumentieren, dass wir es einfach tun sollten. Andererseits kann so eine Situation schnell außer Kontrolle geraten, und dann wird jemand verletzt.“

Mhm, dachte Bethany. Seine Argumente gefielen ihr besser als ihre.

Er berührte zart ihre Wange. „Ich bin gewillt, das Risiko einzugehen, wenn du es auch bist. Und wenn nicht, komm einfach als Freundin mit zu dem Dinner. Dann genießen wir gegenseitig unsere Gesellschaft – ganz ohne Verpflichtungen.“

„Ja, ich genieße deine Gesellschaft sehr“, gab sie zu.

„Und meine Küsse. Ich bin ein toller Küsser.“

„Das auch.“

„Also sagst du Ja zum Dinner?“

„Ich sage Ja zum Dinner und zum Baum.“ Was auch immer passieren würde, sie versprach sich, es nicht zu bedauern.

Der Weihnachtsbaumverkauf in Happily Inc war ein Erlebnis der besonderen Art. Aus jeder Ecke drangen himmlische Düfte. Zudem gab es eine Schneekanone, die eine beeindruckende Schneeschicht produzierte. Wenn man die warmen Temperaturen ignorierte, konnte man so tun, als wäre man in einem Wald. Vielleicht in Deutschland oder Colorado, dachte Bethany. Sie wollte von einem Ende des Platzes zum anderen laufen, die Luft so tief einatmen, wie sie nur konnte, und vielleicht einen Schneeengel machen. Alles war so zauberhaft und erinnerte sie an ihre Kindheit, als sie und ihre Mutter den Weihnachtsbaum gekauft hatten. Allerdings hatten sie damals warten müssen, bis die Bäume reduziert wurden, bevor sie einen erstanden. Aber das hatte die Vorfreude nur vergrößert.

„Geht es dir gut?“, fragte Cade besorgt.

„Ich bin so aufgeregt.“ Sie wirbelte im Kreis herum und lauschte den Weihnachtsliedern. „Ich liebe es. Ich hatte ganz vergessen, wie es ist, einen Baum auszusuchen. Früher haben meine Mom und ich das jedes Jahr gemacht, aber nachdem wir nach El Bahar gezogen sind, hat sich alles geändert.“

„Wird Weihnachten dort nicht gefeiert?“

„Doch, von einigen Leuten schon.“ Sie berührt die Äste des nächst stehenden Baums und spürte die festen Nadeln. Der Schnee war kühl und feucht. „Aber im Palast werden die Bäume angeliefert und professionell dekoriert. Für mich gibt es da nichts zu tun.“

Cade starrte sie an. „Hast du gerade ‚im Palast‘ gesagt?“

Mist! Doppelmist! Sie schloss die Augen und öffnete sie wieder. „Ich habe eine kleine Wohnung auf dem Palastgelände. Der Palast liegt in der Nähe der Ställe.“

„Vermutlich würde man dich komisch angucken, wenn du einen eigenen Baum in deine Wohnung schleppst“, sagte er leichthin.

„Oh ja, das würde man.“ Puh, das war knapp gewesen. Sie ermahnte sich, vorsichtiger zu sein. „Was ist mit dem da?“

Cade schüttelte den Kopf. „Der ist zu klein. Da, wo er im Haus stehen soll, ist die Decke beinahe doppelt hoch. Lass uns den größten Baum nehmen, den wir finden können.“

„Männer sind immer so besessen von Größe“, murmelte sie.

Er lachte. „Aus gutem Grund.“

Sie schlenderte zwischen den Bäumen entlang, überlegten und verwarfen, bis Cade schließlich zugab, dass die größten Bäume die wenigstens Zweige hatten und sie sich für einen entschieden, der knapp drei Meter hoch war.

„Hast du entsprechenden Baumschmuck?“, wollte sie wissen.

„Ja, ich habe zu Hause ein paar Kisten. Meine Mom hat mir all die Sachen gegeben, die ich als Kind gemacht habe.“ Er grinste. „Sie meinte, so könnte ich jetzt meine eigene Sammlung beginnen. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass die Sachen einfach nicht zu ihrem klassischen Schmuck passen.“

„Was für andere Traditionen habt ihr in eurer Familie?“

„Wir legen Zettel mit unseren Namen in einen Hut. Jeder zieht einen, und das ist das einzige Familienmitglied, für das wir ein Geschenk kaufen. Es darf nicht mehr als zwanzig Dollar kosten und wenn es lustig ist, umso besser.“

„War das eine Idee deines Großvaters?“, fragte sie.

„Ja. Den Rest des Gelds, das wir sonst für Geschenke ausgegeben hätten, spenden wir einem Verein unserer Wahl. Mir gefällt das.“

Er bezahlte den Baum und half dem Verkäufer, ihn zu seinem Truck zu tragen. Sobald er auf der Ladefläche festgeschnallt war, wandte Cade sich an Bethany.

„Wie lautet deine Geschichte? Oder, um dich zu zitieren: Warum gibt es keinen Mr. Smith?“

„Oh, das …“ Die Wahrheit, sagte sie sich; halte dich an die Wahrheit. „Ich habe Probleme damit, den richtigen Mann auszusuchen.“

„Was für Probleme?“

Es war erst kurz nach sechs am Abend, aber schon dunkel. Weihnachtslieder hallten aus winzigen Lautsprechern. Die Temperatur lag bei um die zehn Grad, der Himmel war klar und die ersten Sterne tauchten auf. Das war nicht gerade der Ort und die Zeit für ihr großes Geständnis, aber sie wollte so ehrlich wie möglich sein.

„Auf dem College hatte ich einen festen Freund. Ich dachte, ich wäre in ihn verliebt, und da ich mich für die große Liebe aufgespart hatte, war er mein erster Mann in, nun ja, allem.“

Cades Blick blieb fest auf sie geheftet. „Wie hat er dich enttäuscht?“

„Wie kommst du darauf?“

„Wenn er es nicht getan hätte, wärst du noch mit ihm zusammen. Auf keinen Fall war er so dumm, dich einfach gehen zu lassen.“

Sie war nicht ganz sicher, wie Cade das meinte. Aber sie beschloss, es als das Netteste zu interpretieren, was ein Mann je zu ihr gesagt hatte. Irgendwo tief in ihrer Brust überschritt ihr Herz die Grenze zwischen vielleicht und ja.

„Als wir uns das erste Mal geliebt haben, hat er Fotos von mir gemacht und sie kurz danach ins Internet gestellt.“ Sie schüttelte den Kopf. „Man konnte nicht wirklich viel erkennen, aber es war klar, dass ich nackt war.“

Cades Körper verspannte sich sichtlich. „Sag mir, wer er ist, und ich prügle ihn windelweich.“

„Danke, aber mein Vater ist deswegen bereits ausgeflippt.“

Sie hatte nicht gewollt, dass der König davon etwas erfuhr. Aber leider hatte es keine Möglichkeit gegeben, ihm diese Information vorzuenthalten. Ihre Eltern waren noch am selben Tag zu ihr geflogen, und sie war mit ihnen nach Hause zurückgekehrt. Bis jetzt hatte sie keine Ahnung, was ihr Vater zu dem Kerl gesagt hatte, aber Bethany hatte nie wieder von ihm gehört. Trotzdem, die Bilder lebten im Internet weiter, wie alles, was jemals dort hochgeladen wurde.

„Seitdem habe ich mich an ruhige, sanftmütige Männer gehalten, denen nicht im Traum einfallen würde, so etwas zu tun.“

„Ich sehe dich nicht als den Typen, der auf sanftmütige Männer steht.“

„Tue ich auch nicht. Und das ist mein Problem. Sie sind mir nicht gewachsen, und meinem Vater schon zwei Mal nicht, also geht es immer ziemlich schnell den Bach runter.“ Bevor sie sich zurückhalten konnte, fügte sie schnell hinzu. „Ich weiß, dass ich Probleme habe, anderen Menschen zu vertrauen.“

„Das ist verständlich.“

„Vielleicht. Aber ich fühle mich wie ein Feigling. Was meine Zukunft angeht, bin total verloren. Soll ich aufs College zurückgehen? Eine eigene Firma gründen? Irgendwo anders hinziehen? Ich mag meine Arbeit, aber ich sollte mehr mit meinem Leben anfangen. Die Pferde möchte ich auf keinen Fall aufgeben. Ich habe schon überlegt, vielleicht Züchterin zu werden. Aber ich weiß es nicht.“

Der Ausdruck in seinen braunen Augen war unlesbar. „Du hast also noch keine Entscheidung getroffen?“

„Nicht wirklich.“

Sehnsüchtig dachte sie an Cades Ranch. Sie würde liebend gern dort mit ihm wohnen und arbeiten, wenn er sie darum bäte. Wenn er sie in seinem Leben haben wollte.

Das Bild ihrer gemeinsamen Zukunft stand ihr so klar vor Augen, dass sie überrascht war, dass er es nicht auch sehen konnte. Aber, okay, das war alles nur in ihrem Kopf. Cade wusste ja nicht einmal, wer sie in Wahrheit war.

„Tja, das ist kein sonderlich weihnachtliches Thema“, sagte sie lachend. „Lass uns zu deiner Schwester gehen. Auf dem Weg dorthin singen wir ‚Jingle Bells‘, um wieder in die richtige Stimmung zu kommen.“

Für einen Moment rührte Cade sich nicht. Dann griff er nach ihrer Hand, zog Bethany an sich und gab ihr einen sanften Kuss auf den Mund.

„Kennst du den Text von ‚Jingle Bells‘?“

„Ich kenne die erste Strophe.“

„Dann singen wir die.“

7. KAPITEL

Mehrere Stunden später fuhr Cade sie zur Ranch zurück. Das Dinner mit Pallas und Nick war gut verlaufen. Cade genoss es, mit seiner Schwester und ihrem Verlobten zusammen zu sein, und Beth fügte sich so problemlos in ihre Gruppe ein. Sie und Pallas hatten gemeinsam Ideen für eine anstehende Hochzeit entwickelt, während er und Nick sich über Sport unterhalten hatten.

Seiner Schwester hatte Cade schon immer nahegestanden. Als er in Kentucky und Texas gewohnt hatte, hatte er sie vermisst. Auf die Ranch zurückzukehren, war an sich schon schön gewesen. Aber dass er jetzt wieder in der Nähe von Pallas wohnte, war ein zusätzlicher Vorteil. Nick war ein guter Typ, und Cade war froh, zu wissen, dass Pallas mit jemandem zusammen war, der sie liebte und respektierte.

Beth lehnte sich mit geschlossenen Augen im Sitz zurück. Als er sie ansah, lächelte sie.

„Was ist?“, fragte er.

„Ich genieße nur den Augenblick. Ich hatte einen guten Tag. Den Weihnachtsbaum auszusuchen hat Spaß gemacht das Dinner war toll, die Gesellschaft noch besser. Außerdem war da noch das zweite Glas Wein.“ Sie öffnete die Augen und sah ihn an. „Danke, dass du fährst.“

„Ich habe keine Probleme damit, nur ein Bier zu trinken.“

„Wann willst du den Baum schmücken?“

„Wie wäre es mit morgen Abend? Bis dahin lassen wir den Baum in der Garage. Morgen hole ich dann die Lichter und den Schmuck heraus, und wir gehen richtig in die Vollen.“

„Abgemacht.“

Er freute sich darauf. Es gefiel ihm, Dinge gemeinsam mit Beth zu machen und sie in seiner Nähe zu wissen. Alles kam ihm so einfach vor, wenn er mit ihr zusammen war. Noch dazu war sie eine Frau, die sehr gut mit Pferden umgehen konnte. Ja, dachte er. Es würde schwer werden, wenn Beth zurück nach El Bahar ging. Er würde sie vermissen.

Gedanken tauchten in seinem Kopf auf. Nein, keine Gedanken, sondern Fragen. Wäre sie gewillt hierzubleiben? Auf seine Andeutung, ihr einen Job zu geben, war sie nicht eingegangen – und es war auch irgendwie seltsam, jemanden einzustellen, mit dem er ausgehen wollte. Aber es musste doch irgendetwas geben, um sie hierzubehalten. Sie war nicht sicher, was sie mit ihrem Leben anfangen sollte, hatte sie ihm erzählt. Konnte sie über diese Frage nicht genauso gut hier wie in El Bahar nachdenken? Und, noch wichtiger: War es zu früh, um diese Unterhaltung mit ihr zu führen?

Er bog in die Einfahrt und drückte auf den Toröffner. Als sie das Haus erreichten, fuhr er daran vorbei zur Garage. Beth stieg aus und begann, die Gurte zu lösen, mit denen der Baum gesichert war. Dann trugen sie ihn gemeinsam hinein. Erst auf halbem Weg zur Garage merkte Cade, dass Beth das schwere Ende zu fassen bekommen hatte.

Sie hatte nichts dazu gesagt – so war sie nun mal. Und natürlich hatte sie genügend Kraft. Man konnte nicht mit Pferden arbeiten, ohne Muskeln zu entwickeln. Trotzdem … Seine Mutter würde ihm einen Klaps auf den Hinterkopf geben, wenn sie das wüsste.

Sobald der Baum in der Garage war, hielt Beth ihn fest, während Cade ein paar Zentimeter vom Stamm absägte und ihn dann in den Baumständer steckte.

Gemeinsam gingen sie zum Haus. Am Fuß der Treppe sah er sie an. Sie lächelte.

„Ich hatte heute einen sehr schönen Tag. Vielen Dank.“

„Gern geschehen. Ich auch.“

Es gab so viel mehr, was er sagen wollte – zum Beispiel, wie sehr er sie vermissen würde, und wie gerne er mit ihr darüber reden wollte, ob sie nicht bleiben konnte. Nur kamen ihm die Worte mit einem Mal gar nicht mehr wichtig vor. Nicht, wenn er sich einfach vorbeugen und Beth küssen konnte.

Ihr Mund war weich und nachgiebig. Als er sie näher an sich zog, sank sie gegen ihn und erwiderte den Kuss. So standen sie dort, am Fuß der Treppe, und hielten einander fest in dem weichen Licht der Wohnzimmerlampe, das durchs Fenster strahlte.

Nach ein paar Minuten drohte die Lust, seinen gesunden Menschenverstand zu überwältigen, und Cade zog sich zurück.

„Du solltest ins Bett gehen“, sagte er mit rauer Stimme. „Ich werde mich noch ein wenig im Büro um den Papierkram kümmern.“

Denn er wusste genau, was passieren würde, wenn er mit ihr hinaufging.

Mit vor Leidenschaft dunklen Augen schaute sie ihn an. Er sah die Unentschlossenheit in ihrem Gesicht und wusste, was er sagen musste.

„Geh ins Bett.“

Sie stellte sich auf Zehenspitzen, gab ihm einen schnellen Kuss, und eilte dann die Treppe hinauf.

Einen Moment lang sah er ihr nach, dann zog er sich in die Sicherheit seines Büros zurück. Sobald er am Schreibtisch saß, begann er zu überlegen, was zum Teufel er nun tun sollte.

Beth war eine unerwartete Komplikation in seinem Leben. Seit dem Desaster mit Lynette hatte er jegliche Verstrickungen vermieden und seine Beziehungen kurz und unkompliziert gehalten. Und seitdem er in Happily Inc wohnte, war er gar nicht mehr mit einer Frau ausgegangen.

Sein Verstand sagte ihm, dass er die Vergangenheit hinter sich lassen musste, wenn er jemals eine Zukunft mit einer Frau und einer eigenen Familie haben wollte. Doch sein Herz hatte ihn bisher davon abgehalten, dieses Risiko einzugehen. Aber dann war Beth in sein Leben getreten, und plötzlich war alles anders …

„Du siehst toll aus, Mom.“ Beth lächelte Liana auf dem Computerbildschirm an.

„Ich sehe alt und müde aus“, erwiderte die Königin. „Normalerweise genieße ich die Staatsbankette, aber einer meiner Tischnachbarn heute Abend war besonders ermüdend. Internationale Finanzpolitik ist wichtig, aber nach zwei Stunden sollte man mal das Thema wechseln.“

„Ich bin sicher, du hast dein Bestes gegeben“, erklärte Bethany.

„Ich habe es mindestens sechs Mal versucht. Aber er hat die Andeutungen nicht verstanden.“ Ihre Mutter löste die Tiara aus ihren Haaren und nahm die Ohrringe ab. „Wie geht es dir, Liebes? Ist alles in Ordnung?“

„Rida hat Cade erneut abgeworfen.“

„Dieses Pferd. Du hast ihn verwöhnt, und nun müssen alle anderen den Preis dafür zahlen.“

„Ja, das stimmt. Ich hätte energischer mit ihm sein müssen. Aber bei mir war er immer sehr brav.“

„Richtig. Aber er ist nicht dein Pferd, oder?“

„Autsch.“

Ihre Mutter sah sie zerknirscht an. „Es tut mir leid. Das klang barscher, als es sollte. Ich schiebe das auf diese Finanzdiskussion. Übrigens, ich habe gestern mit deiner Tante Dora gesprochen. Die Universität von El Bahar bietet im Herbst einen Studiengang zur internationalen Frauenforschung an, in dem man sogar seinen Doktortitel machen kann.“ Ihre Mutter hielt erwartungsvoll inne.

„Das passt zu Tante Dora. Richte ihr meinen Glückwunsch aus.“

„Das habe ich bereits, aber darum geht es nicht.“

Bethany täuschte Überraschung vor. „Nicht?“

Liana seufzte. „Du liebst es, schwierig zu sein.“

„Oh ja. Sehr sogar. Das macht Spaß.“

„Du könntest zurückkommen und hier in El Bahar wieder aufs College gehen. Wäre das nicht nett?“

„Ja, bei meinen Eltern zu wohnen und darauf zu warten, dass mein Vater eine Ehe für mich arrangiert, klingt nach einer super Idee. Was glaubst du, wie viele Kamele bin ich wert?“

Ihre Mutter musterte sie. „Bethany, du weißt, dass wir uns Sorgen um dich machen. Offensichtlich bist du mit dem, was du tust, nicht glücklich. Deshalb wollen wir dir helfen.“

„Ich weiß, Mom. Aber auch wenn ich darüber nachdenke, wieder aufs College zu gehen, bin ich mir einfach noch nicht sicher.“

Der Gedanke daran, die Arbeit mit den Pferden aufzugeben, erschien ihr unerträglich. Aber in den königlichen Stallungen zu arbeiten, war auf Dauer keine Lösung. Sicher, sie könnte sich eine eigene Ranch kaufen. Aber wo? Wenn sie in El Bahar bliebe, würde sie immer die Tochter des Königs sein. Wenn sie in die Staaten zog, kannte sie niemanden. Vielleicht war das feige, aber der Gedanke, ganz allein in einem fremden Land zu wohnen, jagte ihr gehörig Angst ein. Und was Happily Inc anging … Tja, sie hätte nur zu gern einen Versuch unternommen, hier zu leben. Aber wie sollte sie das anstellen? Sie konnte ja schlecht zu Cade gehen und sagen: „Hey, hast du je darüber nachgedacht, dir einen Partner für die Ranch zu suchen? Wie es der Zufall so will, verfüge ich über einen königlichen Treuhandfonds. Ich Glückliche.“

„Was ist, Liebes?“, fragte ihre Mutter. „Dich beschäftigt doch irgendetwas.“

„Ich wünschte, ich hätte Cade nicht über meine wahre Identität belogen.“ Sie hob eine Hand, bevor ihre Mutter etwas erwidern konnte. „Ich weiß, ich weiß. Das war ganz allein meine Idee. Ich wollte unter einem falschen Namen reisen.“

„Du magst ihn.“

Das war keine Frage, aber sie antwortete trotzdem. „Das tue ich. Er ist süß und lustig und wird nicht sauer, wenn Rida ihn abwirft.“

„Also sag ihm die Wahrheit.“

„So einfach ist das nicht.“

„Dein Englisch ist ausgezeichnet. Ich bin sicher, du findest die richtigen Worte.“ Das Lächeln ihrer Mutter schwand. „Bethany, irgendwann wird er es sowieso herausfinden. Es ist besser, wenn er es von dir hört.“

„Wie soll er das denn herausfinden? In ein paar Tagen fliege ich nach Hause, und er wird mich nie wiedersehen.“ Die Erkenntnis bereitete ihr Übelkeit. „Ist schon gut, Mom“, fügte sie schnell hinzu. „Ich komme klar. Ich vermisse dich und Dad und die Jungs.“

„Wir vermissen dich auch. Komm bald nach Hause.“

„Das mache ich. Bye.“

Sie legten auf. Bethany schaltete ihren Computer aus und trat ans Fenster. Ihre Lüge war eine Last, die mit jedem Tag schwerer zu werden schien. Heute Abend würde sie mit Cade zusammen den Baum schmücken. Und morgen früh würde sie es ihm sagen. Egal, was passierte. Das musste sie einfach. Ihr lag sehr viel an ihm, und solange er die Wahrheit nicht kannte, konnte sie ihm auch nicht sagen, was sie für ihn fühlte. Vermutlich würde er sie hassen, aber das war ihre eigene Schuld. Jede Entscheidung hatte Konsequenzen.

Die Lichterketten zu entwirren dauerte beinahe eine Stunde. Bethany lachte über Cades Frust.

„Warum hast du sie letztes Jahr nicht ordentlich zusammengelegt?“, fragte sie und unterdrückte ein Grinsen.

„Ich war letztes Jahr nicht hier“, grummelte er. „Das ist nicht meine Schuld. Der Baum hätte schon mit Lichterketten geschmückt geliefert werden sollen.“

„Darüber wirst du dich bei Gott beschweren müssen. Um ehrlich zu sein, ein Baum, an dem Lampen wachsen, würde die meisten Leute ziemlich irritieren.“

„Mir würde es gefallen.“

„Tja, egal. Die Arbeit muss erledigt werden.“

Gemeinsam schafften sie es, die Lichterketten in den Baum zu hängen. Dann öffnete Cade die Kiste mit dem Schmuck. Einige der Ornamente waren in vergilbtes Seidenpapier eingewickelt und alt und zerbrechlich. Andere stammten aus seiner Kindheit. Es gab eine Kugel mit einem winzigen Handabdruck darauf, mehrere Engel, die aus Eisstielen gemacht waren, und eine etwas seltsame Kreatur aus Pfeifenreinigern.

„Ich glaube, das soll ein Rentier sein“, sagte er zweifelnd.

„Es sieht aus wie eine Echse und ist grün. Seit wann sind Rentiere grün?“

„Ich fasse es nicht, dass du mein Kunstwerk kritisierst.“

„Ich weiß. Ich bin ein schrecklicher Mensch.“

Er öffnete einen weiteren Karton, der glänzende Kugeln aus einem Dekoladen enthielt. „Machst du dich etwa über meine Kreativität lustig? Das ist sowieso schon ein heikles Thema. Nick ist ein berühmter Künstler. Ich gebe mein Bestes, aber nur zu, trample auf meinen Kindheitsträumen herum.“

Sie lachte. „Armer Hase.“

„Ganz genau.“

„Soll ich es wegküssen?“

Damit hatte sie ihn nur aufziehen wollen, aber in der Sekunde, in der sie die Worte aussprach, füllte sich die Luft mit Spannung. Cades Blick schien sich in ihren zu bohren, und in ihrem Inneren wurde alles ganz still.

Lust flammte in ihr auf. Lust, Verlangen und tausend andere Gefühle, die ihr verrieten, dass sie sich irgendwann, als sie einmal nicht aufgepasst hatte, in diesen Mann verliebt hatte.

Er griff nach ihr, und in dem Sekundenbruchteil, bevor er sie berührte, wurde Bethany klar, dass sie eine Entscheidung treffen musste: eine Nacht mit Cade oder die Wahrheit. Denn beides zusammen war nicht möglich. Und obwohl sie wusste, dass es die falsche Entscheidung war – eine, die sie womöglich für den Rest ihres Lebens bereuen würde –, trat sie einen Schritt auf Cade zu und hob ihm ihr Gesicht für einen Kuss entgegen.

Bethany hatte bisher nur mit zwei Männern geschlafen. Cade war der dritte. Aber ein Vergleich zwischen ihm und den anderen war, als würde man einen Ozean mit einem Glas Wasser vergleichen.

Seine Liebkosungen waren zärtlich, fast ehrfürchtig, und doch so bestimmt, dass Bethany sich ihm sofort ergab. Er erkundete jeden Zentimeter von ihr, fand Orte, deren Berührung sie aufkeuchen und stöhnen ließ. Dann brachte er ihr das Gleiche über sich bei. Als am Horizont die Morgendämmerung anbrach, war Bethany befriedigt, erschöpft und nicht mehr in der Lage, vor sich zu verbergen, dass sie sich mit ganzem Herzen in ihn verliebt hatte.

Sie stand auf, um nach Rida zu sehen, dann kehrte sie in Cades Bett zurück. Gegen Mittag wachten sie beide auf und liebten sich erneut. Schließlich schafften sie es in die Küche, wo sie sich etwas zu essen machten.

Cade hatte Jeans und ein T-Shirt angezogen, während Bethany sich eines seiner Oberhemden übergeworfen hatte, unter dem sie nur ihren Slip trug. Während sie kochten, küssten und berührten sie einander ständig. Das führte dazu, dass die Eier ziemlich hart und die Pfannkuchen an den Rändern angebrannt waren. Doch das schien keinen von ihnen zu stören.

Sie setzten sich an den kleinen Tisch, und Cade lächelte sie an.

„Geht es dir gut?“, fragte er.

Weil er sichergehen wollte. Weil er sich immer um die Menschen in seinem Leben kümmerte – egal, was passierte. Eine Sekunde lang gestattete sie sich die Fantasie, dass alles gut werden würde. Dass sie ihm jetzt erzählte, wer sie war, und er ihr verzieh. Nur würde es nicht so laufen.

„Ja“, sagte sie. „Die letzte Nacht war … umwerfend.“

„Ach ja?“ Er grinste. „Für mich auch.“

„Das freut mich.“ Sie atmete tief ein und sammelte all ihren Mut zusammen. „Cade, du bist ein unerwarteter Teil meiner Reise.“ Sie zupfte an dem Kragen ihres Hemds herum. „Normalerweise tue ich so etwas nicht.“

„Dich wie ein Mann anziehen?“, zog er sie auf.

Zu gerne hätte sie sein Lächeln erwidert und mit ihm gemeinsam gelacht. Sie wünschte sich so sehr, dass alles gut war. Doch das war es nicht. Zu lange hatte sie es vor sich hergeschoben, ihm die Wahrheit zu sagen.

„Cade, ich habe die Zeit mit dir wirklich genossen. Mehr, als ich es hätte tun sollen, glaube ich. Ich mag dich sehr.“ Was die feige Art war, zu sagen, dass sie ihn liebte. Aber es kam ihr vernünftiger vor, nur ein Geständnis auf einmal zu machen.

Er beugte sich vor und nahm ihre Hand in seine. „Mir geht es genauso, Beth. Ich flachse gerne herum, aber um ehrlich zu sein: Du hast mein Leben verändert. Ich weiß, es geht alles sehr schnell und wir müssen einander noch besser kennenlernen. Aber wir werden hoffentlich einen Weg finden, das zu tun.“

„Erst muss ich dir etwas erzählen.“

Er verspannte sich ein wenig und zog sich zurück. „Was denn?“

„Es ist nichts Schlimmes.“ Na ja, für ihn vielleicht schon. „Ich meine, ich bin nicht verheiratet oder todkrank oder so. Ich bin genau die, die ich gesagt habe. Mit einem kleinen Unterschied.“

Sein Handy piepte. Sie schauten beide auf das Display und sahen, dass sich jemand am Tor gemeldet hatte.

„Ich erwarte niemanden.“ Cade drückte den Knopf, um den Lautsprecher zu aktivieren.

„Kann ich Ihnen helfen?“

„Cade? Ich bin’s. König Malik. Guten Morgen. Oder sollte ich sagen, schönen Nachmittag? Ich war gerade in der Nähe und dachte, ich schaue mal vorbei, um zu sehen, wie es mit Ihnen und Rida so läuft.“

Bethany kämpfte gegen eine plötzliche Übelkeit an. Sie konnte nicht atmen, was allerdings gar nicht so schlecht war. Denn wenn sie jetzt ohnmächtig wurde, würde sie die Katastrophe wenigstens nicht mitbekommen, die gerade über sie hereinbrach.

Cade starrte sein Handy überrascht an. „Äh, okay. Ich mache das Tor auf.“ Er aktivierte die Türöffner-Funktion auf seinem Handy, dann warf er Bethany einen Blick zu. „Wusstest du davon?“

„Nein. Ich habe gestern Abend noch mit meiner Mutter telefoniert, und sie hat kein Wort davon erwähnt.“ Ihre Mutter war für ein Staatsbankett gekleidet gewesen. Wie zum Teufel konnte ihr Vater daran teilgenommen haben und dann hierher geflogen sein? Er musste das Flugzeug in der Sekunde bestiegen haben, in der sie und ihre Mom aufgelegt hatten. Aber warum? Was hatte sie gesagt, dass ihn dazu getrieben hatte?

Du redest dir nur ein, dass es da einen Zusammenhang gibt, sagte sie sich. Doch wirklich glauben konnte sie es nicht. Dazu kannte sie ihren Vater zu gut. Das Timing war mehr als suspekt. Er hatte einen Grund dafür, heute hier aufzutauchen. Und jetzt würde sie sich mit wesentlich mehr Konsequenzen herumschlagen müssen, als sie gedacht hatte.

„Warum sollte deine Mutter wissen, ob König Malik herkommt oder nicht?“, fragte Cade verwundert.

Bethany schaute an der Kleidung herunter, die sie trug – oder besser nicht trug. Sie dachte daran, in ihr Zimmer zu flüchten, nur blieb dafür nicht genügend Zeit. Noch während sie über ihre Optionen nachdachte, hörte sie einen Wagen vor dem Haus vorfahren.

„Du lässt ihn besser rein“, sagte sie zu Cade, während sie versuchte, ihn per Gedankenkraft dazu zu bringen, dass er … Ja, was denn? An sie glaubte? Ihr vertraute? Sie hatte ihre Chance gehabt. Seit sie hier angekommen war, hatte sie ausreichend Gelegenheiten gehabt und keine davon genutzt. Was auch immer jetzt passierte, war ganz allein ihre Schuld.

Cade warf ihr einen verwirrten Blick zu und ging zur Tür. Sie wollte ihm folgen, blieb dann aber auf halbem Weg stehen, als er die Tür öffnete.

König Malik trug einen dunklen Anzug mit weißem Hemd und roter Krawatte. Er sah mächtig und erfolgreich aus. Cade schüttelte ihm die Hand und sagte etwas, das Bethany nicht hören konnte, bevor sich beide Männer zu ihr umdrehten.

Ihr Vater ließ seinen Blick einmal von oben bis unten über sie gleiten, dann hob er eine Augenbraue, sagte aber nichts.

Ihr Gefühl sagte ihr, dass der König mitspielen würde, falls sie sich jetzt als Beth Smith vorstellte und so tat, als würde sie ihn kaum kennen. Dann konnte sie ihre Lüge noch ein wenig länger aufrechterhalten – nur hatte sie keine Lust mehr, dieses Spiel zu spielen.

Sie ging zu ihrem Vater, stellte sich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen Kuss auf die Wange.

„Hi, Dad. Was für eine Überraschung.“

„Bethany.“ König Malik schaute zwischen ihr und Cade hin und her. „Wie mir scheint, habe ich einen schlechten Zeitpunkt für meinen Besuch gewählt. Möchtest du dir einen Moment nehmen, um dich umzuziehen?“

„Ja.“

Sie atmete tief ein, klammerte sich an das bisschen Mut, das ihr geblieben war, und sah Cade an.

Enttäuschung verdunkelte seine Augen. Enttäuschung und noch etwas anderes – sein Blick war kalt, unversöhnlich und zeigte deutlich, dass Cade sich hintergangen fühlte.

„Es tut mir leid, dass du es so herausfinden musstest“, setzte sie an. „Ich bin nicht Beth Smith. Ich bin Bethany Archer, auch bekannt als Prinzessin Bethany von El Bahar. König Malik ist mein Adoptivvater.“

Cade öffnete den Mund, doch bevor er etwas sagen konnte, stellte Malik sich zwischen sie beide.

„Denken Sie gut darüber nach, was Sie jetzt sagen wollen, junger Mann. Was auch immer zwischen Ihnen und Bethany vorgeht, sie ist immer noch meine Tochter. Und ich beschütze, was zu mir gehört.“

Bethany zuckte innerlich zusammen. Etwas Fataleres hätte ihr Vater gar nicht sagen können. Es würde Cade nur an das erinnern, was Lynette getan hatte, und dann würde er Bethany noch mehr hassen. Aber es war zu spät – sie konnte nichts mehr dagegen tun. Trotzdem musste sie es versuchen.

„Cade, kann ich kurz mit dir sprechen?“

Er sah sie an, als hätte er sie nie zuvor gesehen, dann schüttelte er langsam den Kopf. Ohne ein Wort zu sagen, drehte er sich um und verließ das Haus.

8. KAPITEL

Cade war nicht sicher, wie er dieses Treffen mit König Malik durchstehen sollte. Er war sich vage bewusst, dass sie über Rida sprachen – darüber, wie gut der Hengst sich eingelebt hatte und wie weit sie mit dem Training waren, das Cade und Bethany für ihn entwickelt hatten. Doch zum Großteil tat er nur so, als wäre er geistig anwesend.

Er konnte es nicht fassen – wieder hatte eine Frau mit ihm gespielt. Und diese Frau war ausgerechnet Beth. Nein, korrigierte er sich; nicht Beth, sondern Prinzessin Bethany von El Bahar.

Was ihn am meisten fertigmachte, war, dass sie es gewusst hatte. Er hatte ihr von seiner Vergangenheit erzählt, und sie hatte nur dagesessen und ihn angeschaut, obwohl sie es die ganze Zeit gewusst hatte. Verdammt sollte sie sein. Er war nicht sicher, ob er eher verletzt oder wütend war. Er hatte ihr vertraut, hatte ihr geglaubt. Er hatte gedacht, sie hätten etwas Besonderes zusammen. Großer Gott, er hatte sie sogar bitten wollen, zu bleiben. Mit anderen Worten: Er war der größte Idiot aller Zeiten gewesen – denn er hatte an sie geglaubt. Lynette hatte ihn wenigstens nicht darüber angelogen, wer sie war.

„Ich bin sehr zufrieden“, sagte König Malik, als sie den Stall verließen. „Rida hat sich gut eingelebt. Ihn an Sie zu verkaufen war eine weise Entscheidung. Ich hoffe, wir werden noch weitere Geschäfte miteinander tätigen.“

„Danke, Eure Hoheit.“

Das war die höfliche Antwort. Die ehrliche wäre gewesen zu sagen: „Machen Sie Witze? Es wird Jahre dauern, bis ich mir wieder ein Pferd wie ihn leisten kann.“

Er dachte an Bethany. Dann versuchte er, nicht an sie zu denken. Er wollte etwas zu ihrem Vater sagen, aber was? Es gab keine Fragen, die er stellen, keine Worte, die er aussprechen konnte. Nicht, wenn …

Er fluchte stumm. König Malik war nicht wegen eines Pferdes hier – er wollte nach seiner Tochter sehen. Nur sprach er das nicht aus. Doch Cade wäre ein Idiot, wenn er etwas anderes glaubte.

„Sie sind sehr weit gereist, um nach einem Pferd zu sehen“, sagte er schließlich und fragte sich, ob der ältere Mann den Köder schlucken würde.

„Ich war in der Nähe.“

„Happily Inc liegt aber nicht in der Nähe von El Bahar.“

„Entfernung ist, wie so vieles im Leben, eine Frage der Perspektive. Rida hat unseren Stall verlassen, um Teil von Ihrem zu werden, und doch wird er in beiden leben. Anfangs fühlte er sich hier bestimmt etwas unbehaglich, aber nun ist es sein Zuhause. So ist das im Leben.“

„Das ergibt keinen Sinn.“

König Malik überraschte ihn mit einem Lächeln. „Ich bin der König. Meine Worte müssen keinen Sinn ergeben.“

„Ich schätze, dagegen kann niemand etwas sagen.“

Nun legte der König ihm eine Hand auf die Schulter. „Sie haben das gut gemacht, und ich bin sehr zufrieden.“

Diese Worte hätten ihm gleichgültig sein sollen, und doch linderten sie ein wenig den Schmerz, den das klaffende Loch in seinem Herzen verursachte.

„Danke.“

Malik ging zu seinem Wagen, nickte dem Fahrer zu und stieg ein. Sekunden später waren sie fort.

Cade starrte ihnen nach und fragte sich, was um alles in der Welt da gerade passiert war. Für einen zehnminütigen Besuch war Malik um die halbe Welt geflogen? Er hatte nicht einmal mit Bethany gesprochen – dafür war keine Zeit gewesen.

Gerade, als er auf das Haus zugehen wollte, fiel ihm auf, dass Bethany immer noch hier sein musste, denn sie war nicht mit ihrem Vater abgereist. Vor der Hintertür blieb er stehen. Er wollte nicht hineingehen, und doch wollte er sie sehen. Nur war die Beth, die er kannte, die Beth, für die er begonnen hatte, Gefühle zu entwickeln, nicht real.

Bei Lynette hatte er gewusst, dass sie eitel und egoistisch war, aber er hatte sich eingeredet, ihre Liebe für ihn würde das alles überwinden. Die Probleme in ihrer Beziehung hatte er ignoriert – die Tatsache, dass Lynette zwar mit ihm schlief, aber allen Gesprächen über die Zukunft aus dem Weg ging. Er hatte angenommen, sie würde noch etwas erwachsener werden und sehen, dass sie zusammengehörten. Er hatte sich geirrt.

Im Nachhinein hatte er Glück gehabt, so leicht davongekommen zu sein. Wenn Lynette ihn nicht hätte fallen lassen, wäre er wahrscheinlich geblieben und hätte versucht, sie umzustimmen. Was für eine Katastrophe das geworden wäre!

Doch mit Bethany war alles anders. Er kannte sie. Wusste, dass sie hart arbeitete, wusste, dass sie lieb, lustig und entschlossen war. Außerdem war sie furchtlos und sehr zärtlich. Doch das war alles eine Lüge gewesen.

Okay, vielleicht nicht alles, aber genug. Er hatte keine Ahnung, was an ihr real und was nur ein Spiel war – die Prinzessin, die tat, als wäre sie wie alle anderen.

Schließlich gab er sich einen Ruck und betrat das Haus. Er fand Beth – oder Bethany – in der Küche vor. Sie trug ihre übliche Arbeitskleidung, bestehend aus Jeans und einem T-Shirt. Sein Blick glitt über den geflochtenen Zopf, die großen blauen Augen, und hatte das Gefühl, jemand hätte ihm einen Schlag in den Magen verpasst. So sehr er sich auch einreden wollte, welches Glück er gehabt hatte, ein zweites Mal davongekommen zu sein, es gelang ihm nicht. Lynette zu vergessen hatte ein paar Wochen gedauert, doch dann war er über sie hinweg gewesen. Mit Bethany würde es länger dauern. Viel länger. Vermutlich mehrere Leben lang.

Der Küchentresen trennte sie voneinander. Sie legte ihre Hände auf die alten Kacheln – Hände, die so stark und vernarbt waren wie seine.

„Es tut mir leid“, sagte sie. „Ich werde nicht sagen, dass ich dich nicht anlügen wollte. Natürlich wollte ich das. Ich bin als Beth Smith hierhergekommen. Du solltest nicht wissen, wer ich bin. Niemand sollte das wissen.“

„Jeder hat auf seine Weise Spaß.“

Sie zuckte zusammen. Die Bewegung war ganz klein, doch er registrierte sie. Bemerkte, wie Bethany scharf den Atem einsog, als hätte er ihr wehgetan. Er wollte Befriedigung darin finden, konnte es jedoch nicht. Stattdessen verspürte er den Drang, zu ihr zu gehen, sie an sich zu ziehen und ihr zu sagen, wie leid es ihm tat. Dass sie einen Weg finden würden. Nur wusste er: Ihr zu vergeben war eine Spirale, aus der es kein Entkommen gab. Es war besser, sie reden zu lassen und sie dann fortzuschicken.

„Das habe ich nicht zum Spaß gemacht“, erklärte sie. „Aus meiner Perspektive war es notwendig, um zu überleben.“ Sie zögerte. „Auf die Gefahr hin, die ‚Arme kleine Prinzessin‘-Karte zu spielen: Es ist nicht leicht in meiner Position. Im Herzen bin ich Amerikanerin, und doch lebe ich in El Bahar als Tochter des Königs. Ich lebe in beiden Welten und komme damit nicht besonders gut klar. Ich liebe meine Familie, will aber mehr im Leben als eine arrangierte Ehe und Babys. Das Problem ist, es gibt Grenzen, was ich als Prinzessin Bethany tun kann.“

Ihr Blick wurde flehend. „Stell dir doch nur mal vor, wie anders alles gewesen wäre, wenn du mich mit diesem Namen und mit diesem Titel kennengelernt hättest. Du hättest nicht mit mir gesprochen und mich auch nicht bei dir im Haus wohnen lassen. Du hättest mich anders behandelt.“

Er wollte es leugnen, doch es stimmte. Prinzessin Bethany hätte er nicht geneckt oder sie zum Dinner mit seiner Familie mitgenommen. Er hätte sie weder geküsst noch …

„Du hast gelogen“, sagte er, mehr, um sich abzulenken, als um ihr einen Vorwurf zu machen.

„Das stimmt.“ Sie hielt seinen Blick fest. „Und das tut mir leid. Es war nicht richtig von mir. Doch ich bin nicht sicher, ob ich mich anders hätte entscheiden können.“ Sie atmete tief ein. „Ich mag es, einfach nur Beth Smith zu sein. Es gefällt mir, so zu sein wie alle anderen. Wenn ich akzeptiert werde, dann um meiner selbst willen. Ich muss mir keinerlei Gedanken darüber machen, dass die Leute nur so tun, als würden sie mich mögen, weil ich ein Mitglied der königlichen Familie bin. Zum Glück bin ich nicht so berühmt, dass bei meinem Anblick jeder sofort weiß, wer ich bin. Zumindest nicht außerhalb von El Bahar, und dabei würde ich es gerne belassen.“

Sie senkte den Blick, dann sah sie Cade wieder an. „Erinnerst du dich noch, dass ich dir von dem Jungen auf dem College erzählt habe, der die Fotos von mir gemacht hat?“

Er nickte.

„Er hat sie nicht nur im Internet veröffentlicht, sondern sie noch dazu an eine Boulevardzeitung verkauft. Das gab eine fette Schlagzeile.“ Sie malte Gänsefüßchen in die Luft. „Ich habe eine Prinzessin entjungfert.“

Die Wut explodierte. Cade trat vor, dann fiel ihm auf, dass er niemanden hatte, den er angreifen konnte – und keinen Grund, jemanden zu verteidigen.

„Ich war so gedemütigt. Meine Eltern haben nichts gesagt, aber ich wusste, sie waren enttäuscht. Es war schrecklich. Ich habe das College verlassen. Vielleicht hätte ich bleiben sollen, aber die Presse war überall. Ich fühlte mich jede Sekunde des Tages so nackt und entblößt. Ich wollte mich einfach nur verstecken. Damals habe ich angefangen, auf dem Gestüt meines Vaters zu arbeiten. Dort war nur wichtig, ob ich meinen Job gut mache. Alles andere war egal. Als ich mein erstes Pferd zu seinem Käufer gebracht habe, trat ich als Beth Smith auf, und das war super. Ich wurde nicht erkannt. Ich war einfach das Mädchen mit dem Pferd. Es war nie wichtig – bis ich hierhergekommen bin.“

Er wollte ihr glauben. Das war es, was ihn so fertig machte. Er wollte sagen, dass alles gut war. Dass er ihr verzieh und sie weitermachen würden wie bisher. Nur wusste er, dass das ein Witz war. So wie sie beide.

„Ich verstehe das“, sagte er schließlich. „Du wolltest dem ganzen Königskram entkommen. Und das ist dir gelungen. Ich freue mich für dich.“

Sie sah ihn misstrauisch an. „Und wieso siehst du mich dann so seltsam an?“

„Weil es keine Rolle spielt. Du hattest deine Gründe für dein Verhalten. Aber unter dem Strich bleibt die Tatsache, dass du gelogen hast, Prinzessin Bethany. Und das heißt, zwischen uns ist nichts. Da war nie etwas.“

Was ihre Liste an Sünden anging, nahm Bethany an, dass ungefragt einen der Ranch-Trucks zu nehmen bestimmt nicht zu dem Schlimmsten gehörte, was sie je getan hatte. Trotzdem war es ein seltsames Gefühl.

Aber was hätte sie denn tun sollen? Natürlich hätte sie Cade unter normalen Umständen gefragt, ob sie einen Wagen leihen durfte. Aber leider hatte sie ihn nicht mehr zu Gesicht bekommen, seit er vor zwei Stunden aus der Küche marschiert war.

Ihre Sachen hatte Bethany schon gepackt. Außerdem hatte sie einen Wagen bestellt, der sie zum Flughafen in Los Angeles bringen würde. Von dort aus würde sie nach Hause fliegen. Doch vorher hatte sie noch etwas zu erledigen.

Sie fuhr durch Happily Inc und bemühte sich, all die süßen Läden, die für die Feiertage geschmückt waren, im Gedächtnis zu speichern. Happily Inc war eine bezaubernde kleine Stadt mit viel Charakter und warmherzigen Menschen. Vielleicht hätte sie hier glücklich sein können.

Vor Weddings out of the Box parkte sie den Wagen. Sie hatte Pallas bereits eine Nachricht geschickt und gefragt, ob sie kurz vorbeischauen könnte. Sie wollte nicht abreisen, ohne noch mal mit ihrer neuen Freundin gesprochen zu haben. Auch wenn sie ehrlich gesagt nicht sicher war, ob Pallas weiterhin mit ihr befreundet sein wollte, wenn sie die Wahrheit erfuhr.

Pallas kam ihr am Eingang von Weddings out of the Box entgegen und führte sie in einen kleinen Pausenraum. „Was bringt dich in die Stadt?“

„Ich wollte mit dir reden.“

Pallas grinste. „Ich sollte vermutlich diskreter sein, aber ich glaube, ich ahne, worum es geht. Ich habe gesehen, wie du und mein Bruder einander angesehen habt, als ihr bei uns zum Essen wart. Da sind Funken geflogen.“ Lachend hielt sie inne. „Okay, ich will alles wissen, bis zu dem Moment, in dem ihr euch zum ersten Mal geküsst habt. Ich werde dir zwar eine gute Freundin sein, aber Cade ist mein Bruder, und es gibt ein paar Dinge, die man als Schwester einfach nicht hören will.“

Sie schenkte ihnen beiden einen Kaffee ein und öffnete eine Schachtel Kekse. Dann setzten die beiden Frauen sich an den Tisch.

„Also?“ Pallas strahlte Bethany an. „Du bist verrückt nach ihm, oder?“

Geschockt merkte Bethany, dass ihre Augen sich mit Tränen füllten. Sofort war Pallas an ihrer Seite.

„Was ist?“, wollte sie wissen. „Hat Cade etwas Dummes getan? Ich hasse es, wenn Männer dumm sind. Was ist passiert?“

Bethany schniefte „Es liegt nicht an ihm, sondern an mir. Ich habe ihn belogen.“ Sie sah ihre Freundin an. „Und dich auch. Es tut mir leid.“

„Ach, ich bitte dich. Worüber?“

„Darüber, wer ich bin.“

Pallas kehrte auf ihren Stuhl zurück und nahm sich einen Keks. „Was soll das heißen? Bist du ein Alien? Hast du Antennen und einen Schwanz?“

„Ich bin eine Prinzessin.“

Pallas erstarrte mit dem Keks in der Hand. Sie riss die Augen auf. „Eine was?“

„Eine Prinzessin. Mein Vater ist der König von El Bahar. Meine Mom hat ihn getroffen, als ich neun Jahre alt war. Wir waren gerade in sein Land gezogen, weil meine Mutter dort an der amerikanischen Schule unterrichten sollte. Sie haben geheiratet, und als mein leiblicher Vater starb, hat Malik mich adoptiert. Ich bin Prinzessin Bethany von El Bahar.“

„Wow. Das ist so cool.“ Pallas nahm den Keks wieder in die Hand. „Nimm es mir nicht krumm, aber du benimmst dich überhaupt nicht wie eine Prinzessin. Du bist so normal.“

„Danke.“ Bethany spürte, wie ihre Anspannung ein wenig nachließ. „Es tut mir leid, dass ich dich und alle anderen angelogen habe. Es gab dafür mehrere Gründe.“

Pallas winkte ab. „Du musst es mir nicht erklären. Natürlich wolltest du nicht, dass jeder davon erfährt. Das muss echt ätzend sein. Als Beth Smith kannst du du selbst sein. Niemand schwänzelt um dich herum, du musst dich nicht fragen, ob wir dich mögen. Du könntest sogar in der Öffentlichkeit rülpsen.“

Nun musste Bethany trotz allem lachen. „Ganz genau.“ Sie wurde wieder ernst. „Dein Bruder sieht das aber nicht so. Er fühlt sich hintergangen.“

Pallas verdrehte die Augen. „Darüber muss er hinwegkommen. Ich meine, komm schon. Es ist doch total logisch, dass du dich so verhalten hast.“

Für Cade nicht, dachte Bethany. Er hat nur gesehen, dass sie gelogen hatte. Er glaubte, sie hätte sich ein Vergnügen daraus gemacht, ihn hinters Licht zu führen. Er verglich sie mit Lynette.

„Danke für dein Verständnis“, sagte Bethany. „Ich wollte, dass du die Wahrheit weißt. Ich hoffe, wir bleiben in Kontakt.“

„Das klingt, als würdest du abreisen.“

„Das tue ich auch.“

„Was? Warum? Ich dachte, du wärst hier glücklich.“

„Ich gehöre nicht hierher.“ Bethany schüttelte den Kopf. „Sorry. Ich muss ehrlich sein. Ich liebe es hier, aber Cade will mich nicht. Und auch auf die Gefahr hin, wie eine liebeskranke Studentin zu klingen: Ohne ihn ergibt es für mich keinen Sinn, hierzubleiben.“

Pallas verengte die Augen. „Okay, alles andere akzeptiere ich, aber das nicht. Ihr seid beide schon zu sehr miteinander involviert, als dass du einfach gehen könntest. Hast du ihm gesagt, was du fühlst?“

Bethany fragte sich gar nicht erst, wie Pallas das erraten hatte. Was die Liebe anging, waren alle anderen klüger als sie.

„Es wird ihm egal sein.“

„Das kannst du nicht wissen, Bethany. Ich meine es ernst. Du musst es ihm sagen. Wenn du es nicht tust, wirst du es für den Rest deines Lebens bereuen. Cade ist einer der Guten. Er ist es wert, dass man um ihn kämpft.“

Auf dem Rückweg zur Ranch konnte Bethany nicht aufhören, an die Worte ihrer Freundin zu denken. Er ist es wert, dass man um ihn kämpft. Sie drehte diesen Gedanken in ihrem Kopf hin und her und fragte sich, ob sie je zuvor für etwas hatte kämpfen müssen.

So viel im Leben war ihr geschenkt worden. Einfach, weil ihre Mutter geheiratet hatte. Als es Probleme auf dem Internat gab, war sie nach Hause geflohen. Auf dem College das Gleiche. War sie je standhaft geblieben?

Sie fand Cade in seinem Büro im Stall. Er wirkte nicht erfreut darüber, sie zu sehen, doch das war ihr egal. Was sie zu sagen hatte, konnte nicht warten, bis er bessere Laune hatte.

Vorsichtig schloss sie die Tür hinter sich und setzte sich dann ihm gegenüber an den Schreibtisch.

„Es tut mir leid“, begann sie. „Ich glaube, du verstehst, warum ich getan habe, was ich getan habe. Trotzdem kommst du nicht darüber hinweg. Mein Verhalten hat alte Wunden bei dir aufbrechen lassen. Und das tut mir schrecklich leid, Cade. Du hast recht: Es hat viele Momente gegeben, in denen ich dir hätte sagen können, wer ich bin. Aber das habe ich nicht getan. Und das war falsch von mir. Ich habe viel zu oft die Umstände diktieren lassen, wer ich bin und was in meinem Leben passiert. Die schweren Entscheidungen habe ich nie selbst getroffen. Ich habe mich treiben lassen, was lächerlich ist. Das arme reiche Mädchen mit zu vielen Optionen. Ich will anders sein. Ich will mich verändern.“

Sie atmete tief ein. Es gab keinen anderen Weg: Sie musste alle Karten auf den Tisch legen und hoffen, dass Cade ihre eine zweite Chance gab.

„Ich weiß, du bist verletzt und wütend. Denn was auch immer ich für Gründe hatte – fest steht, ich habe gelogen. Dafür bitte ich dich um Verzeihung. Ich hoffe, dass du mir eine zweite Chance geben kannst, denn das zwischen uns ist etwas Gutes und Besonderes. Und soweit es mich betrifft, findet man so etwas nicht oft.“

Jetzt kommt der schwere Teil, dachte sie.

„Ich habe mich in dich verliebt“, fuhr sie tapfer fort. „In dich und in diese Stadt. Ich hoffe, du fühlst vielleicht das Gleiche. Oder wenn nicht, dass du dann …“

Ihre Stimme verebbte. Statt weicher zu werden, hatte sich Cades Miene bei ihren letzten Worten noch weiter verhärtet. Seine Augen blitzen eisig, und sein Mund war eine gerade Linie.

„Nicht“, sagte er. „Es wird nicht funktionieren, Bethany. Du hättest nach der Entschuldigung aufhören sollen. Die hätte ich vielleicht geglaubt. Aber diesen Unsinn … nein.“

„Das ist kein Unsinn“, flüsterte sie. Ihre Wangen wurden heiß. „Ich liebe dich. Warum sollte ich lügen, was meine Gefühle angeht? Wieso ist es Unsinn, wenn ich dir die Wahrheit sage?“

„Weil es einfach so ist. Verkauf das jemand anderem. Ich nehme dir das keine Sekunde lang ab.“

Und das war es dann, dachte sie wie betäubt. Das Ende dessen, was hätte sein können. Mutig zu sein wurde eindeutig überbewertet.

„Okay.“ Sie wischte sich die Tränen von den Wangen. „Dann ist das hier wohl unser Abschied.“

„Ja, das denke ich auch.“

Es gab noch so viel, was sie sagen wollte, aber welchen Sinn hätte das? Sie verließ sein Büro und ging zum Stall, um Rida ein letztes Mal zu sehen, bevor sie zum Flughafen fuhr. Sobald sie zu Hause war, würde sie sich überlegen, was sie als Nächstes tun wollte. Und wie sie aufhören konnte, Cade zu lieben.

9. KAPITEL

Rida trabte den Weg entlang, aber Cade spürte, dass der Araberhengst nicht wirklich bei der Sache war. Bethany war seit beinahe einer Woche fort, und Rida vermisste sie immer noch. In den letzten drei Tagen hatte der Hengst ihm gestattet, ihn zu reiten, ohne irgendwelchen Ärger zu machen. Cade ging allerdings davon aus, dass das nicht so sehr an seinen Fähigkeiten lag, sondern eher daran, dass das Pferd sich einsam fühlte.

Sie kehrten zum Stall zurück. Rida kannte den Weg und hielt sich auf dem Hauptpfad. Als sie den Stall erreichten, schaute er sich um, als suche er nach jemandem. Dann senkte er leicht den Kopf und ging zu seinem Paddock.

Cade führte ihn zum Abkühlen ein wenig herum, dann putzte er ihn und untersuchte ihn auf Verletzungen, bevor er ihn auf die Weide ließ. Rida sollte sich erst eine Weile in der Sonne entspannen, bevor er ihn in die Box brachte.

Harry sprang auf den Zaun und kam herüber, um sich den Kopf kraulen zu lassen. Dann schickte er ein Miauen in Ridas Richtung. Der Hengst kam angetrottet und stellte sich so nah neben die Katze, dass diese ihren Kopf an seinem reiben konnte. Rida sah Cade an, als ob er ihn bitten wolle, das Problem zu lösen.

„Das kann ich nicht, mein Großer“, sagte Cade. „Tut mir leid.“

Rida wirkte nicht überzeugt.

Cade überlegte, ihm zu sagen, dass er ebenfalls litt. Dass er alles an Bethany vermisste. Doch das war sinnlos. Das Pferd würde ihn sowieso nicht verstehen. Oder – noch schlimmer – es würde ihm stumm zu verstehen geben, dass er endlich etwas unternehmen sollte. Schließlich konnte der Hengst ja nicht selbst zum Telefon greifen oder eine SMS schicken.

Und Cade konnte es auch nicht. Dafür gab es gute Gründe. Im Laufe der Zeit würde er Bethany vergessen. Nur war das bisher noch nicht passiert.

Cade ging zu seinem Büro und blieb abrupt stehen, als er den Wagen seiner Schwester hinter dem Haus entdeckte. Pallas saß auf der Veranda, und er ging zu ihr.

„Hey“, rief sie, als er näher kam. „Wie läuft es so?“

Nachdem Bethany abgereist war, hatte er Pallas eine Nachricht geschickt, um ihr zu sagen, dass ihre Freundin fort war. Pallas hatte geantwortet, er solle sich melden, wenn er jemandem zum Reden bräuchte. Offensichtlich war sie es leid, auf ihn zu warten.

„Mir geht es gut. Und dir?“

Eine Sekunde lang musterte sie ihn. „Du wirst dich wie ein Idiot benehmen, oder?“

„Ich sehe, du kommst direkt auf den Punkt.“

Sie wedelte mit einer Mappe. „Du bist mein Bruder, und ich liebe dich. Also ja, ich werde versuchen, dich davon zu überzeugen, kein Idiot zu sein.“

„Du hast keine Ahnung, was zwischen ihr und mir passiert ist.“

„Ich weiß, dass sie in dich verliebt ist. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass du das Gleiche für sie empfindest.“

Nein, sagte er sich. Er liebte sie nicht. Er weigerte sich, sie zu lieben. Sie hatte gelogen, und das war das Einzige, was zählte.

Wieder wedelte Pallas mit der Mappe. „Ich dachte mir schon, dass du dich hinter eine Mauer aus Schweigen zurückziehen wirst. Das hast du schon immer getan. Wenn Mom dir auf die Nerven ging, bist du zur Ranch gefahren. Davor hast du dich irgendwo im Garten versteckt. Du läufst weg. Nur ist das dieses Mal ein großer Fehler, Cade. Denn wenn du zu lange brauchst, um herauszufinden, was sie dir bedeutet, könntest du sie für immer verlieren.“

Sie schlug die Mappe auf. „Das Internet ist ein faszinierender Ort. Hier stirbt nichts jemals, es wird nur etwas schwerer, es zu finden.“ Sie hielt einen Ausdruck hoch. „Als Bethany vierzehn war, schrieb eine Freundin von ihr einen Blog darüber, dass Bethany in einen Jungen aus einem Internat in der Nähe verliebt war. Die angebliche Freundin spart nicht an Details darüber, wie sehr Bethany hoffte, er würde sie auf dem Schulball küssen, doch er tat es nicht. Die Freundin hat die Geschichte online gestellt, und sie ist viral gegangen. Erinnerst du dich an deinen ersten Schwarm? Wäre es nicht seltsam, wenn die ganze Welt davon erfahren hätte?“

Cade wusste, was Pallas versuchte. Aber er sagte sich, dass er dagegen immun war – was hoffentlich stimmte.

Sie nahm einen zweiten Zettel heraus. „Das hier ist ein paar Jahren zuvor passiert. Ein Reporter hat einen von Bethanys Tutoren dazu gebracht, über ihre Schulleistungen zu sprechen. Zum Beispiel, wie sie in verschiedenen Klausuren abgeschnitten hat, was sie gerne isst und so weiter. Offensichtlich hatte dein Mädchen Probleme damit, Französisch zu lernen. Der Tutor hat sich über ihren Akzent lustig gemacht. Das wurde in einer Zeitschrift veröffentlicht. Damals war Bethany zwölf.“

Sein Magen zog sich zusammen, und seine Hände ballten sich unbewusst zu Fäusten. Das ist nicht mein Problem, sagte er sich.

„Hat sie dir von dem Freund auf dem College erzählt?“, fragte Pallas. „Dem, der Nacktfotos von ihr ins Internet gestellt und darüber geschrieben hat, wie er eine Prinzessin entjungferte?“

„Ja, das hat sie erwähnt“, gab er zu und verspürte erneut die Wut in sich aufsteigen.

„Willst du die Fotos sehen? Denn die sind immer noch da, damit die ganze Welt sie anschauen kann.“ Pallas funkelte ihn wütend an. „Egal, was sie tut oder wohin sie geht, diese Nacktfotos leben weiter. Sie sind gut. Bethany sieht darauf fabelhaft aus, und technisch gesehen sieht man weder ihre Brüste noch ihren Schritt. Aber, wow, Cade. Wie muss das gewesen sein? Willst du sie sehen?“

Er wandte sich ab. „Nein. Will ich nicht.“

„Da bist du allerdings in der Minderheit. Willst du wissen, wie oft die Fotos heruntergeladen worden sind? Willst du an die ganzen Arschlöcher auf der Welt denken, die sich ihren nackten, achtzehnjährigen Körper ansehen? Und das ist nur passiert, weil sie so dumm war, einem Kerl zu vertrauen, der gesagt hat, er liebe sie. Aber, hey, warum sollte das wichtig sein? Sie hat dich angelogen. Hassen wir sie bis in alle Ewigkeit.“

Damit erhob sich Pallas. Sie schlug ihm die Mappe gegen die Brust und ging dann weiter. Er blieb stehen, wo er war, bis sie weggefahren war. Dann ließ er sich auf die Verandastufen sinken und die Mappe zu Boden fallen.

Er wollte kein Mitleid für Bethany empfinden. Er wollte nicht verstehen, was ihr passiert war. Er wollte sich in seinem Schmerz suhlen und ihr die Schuld an allem geben. Dann wollte er vergessen, dass er sie je getroffen hatte. Nur … nur … das würde nicht passieren. Er konnte sie nicht vergessen, und er konnte ihr auch nicht verzeihen. Sicher, ihr waren ein paar schlimme Dinge passiert, aber na und? Sie sollte darüber hinwegkommen. Sie hätte ihn nicht anlügen dürfen …

Er nahm die Mappe auf und ließ sie wieder fallen. Eines der Bilder rutschte heraus. Er sah nur ein Stück von einem nackten Bein und einer Hüfte. Wut und Abscheu wallten so heftig in ihm auf, dass er die Augen schließen musste. Wer tat so etwas? Wer würde jemanden hintergehen, an dem ihm angeblich etwas lag, nur um einen dicken Scheck und fünf Minuten Ruhm zu kassieren?

Er nahm das Foto in die Hand und betrachtete es. Bethany sah so verdammt jung und schutzlos aus. Halb zugedeckt lag sie unter dem Laken und schlief. Er fragte sich, ob ihr damaliger Freund sie so hingelegt hatte. Die Pose deutete mehr an, als man sehen konnte, aber das Bild überschritt trotzdem eine Grenze. Sie würde es immer noch jedes Mal sehen, wenn sie die Augen schloss.

Sie sollte darüber hinwegkommen. Hatte er das gerade wirklich gedacht? Sie sollte über so etwas hinwegkommen, während er weiterhin über das jammern durfte, was mit Lynette vorgefallen war? Okay, er hatte eine harte Lektion gelernt. Aber am Ende hatte er davon profitiert. Er hatte einen tollen Job in Texas bekommen, der ihm viel besser gefallen hatte als sein alter Job. Er hatte mehr gelernt, hatte sogar mit dem damaligen Kronprinz zu Abend essen dürfen. Und das hatte dazu geführt, dass König Malik ihm einige Jahre später Rida verkauft hatte – zu einem verdammt fairen Preis. Ja, dachte Cade spöttisch. Das Schicksal hatte ihn wirklich schwer getroffen. Da war es nur fair, dass er sich eine weitere Runde Selbstmitleid gönnte, oder?

Sein Blick fiel wieder auf das Bild. Wie alt war Bethany damals gewesen? Achtzehn? Und bis zu jener Nacht war sie Jungfrau gewesen? Cade hätte am liebsten König Malik angerufen, um zu fragen, was er gegen diesen Mistkerl unternommen hatte. Denn wenn der Kerl, der das getan hatte, immer noch atmete, war es nicht genug gewesen.

Schließlich legte er das Foto in die Mappe zurück, stand auf und ging ins Haus. Er war ein Idiot gewesen. Nein, schlimmer. Er war gemein und unsensibel gewesen. Bethany hatte etwas Besseres verdient.

Und doch hatte sie gesagt, dass sie ihn liebe. Wenn das stimmte, wenn er das enorme Glück hatte, dass sie ihm ihr Herz anbot, was machte er dann immer noch in Kalifornien? Es passierte nicht jeden Tag, dass man eine Frau wie sie kennenlernte. Und angesichts der Tatsache, dass er sich bis über beide Ohren in sie verliebt hatte, war jeder Tag ohne Bethany pure Verschwendung.

Also gab es nur eine Lösung: Er musste seinen Hintern schnellstmöglich nach El Bahar schaffen und sie anflehen, ihm zu verzeihen. Sie bitten, ihm eine zweite Chance zu geben. Dieses Mal würde er es nicht vermasseln. Dieses Mal würde er alles in seiner Macht Stehende tun, um sie davon zu überzeugen, dass er den Rest seines Lebens damit verbringen würde, ihr zu beweisen, wie sehr er sie liebte. Er würde sich um Bethany kümmern, sie beschützen und glücklich machen und hoffen, dass das reichte. Denn am Ende des Tages bot er ihr damit alles an, was er hatte und war.

Cade war noch nie in El Bahar gewesen und wusste nicht, was ihn erwartete. Der Flughafen war groß und modern, die Einreiseformalitäten überraschend unkompliziert. Vor dem Gebäude nahm er sich ein Taxi. Erst als der Fahrer ihn fragte, wohin er wollte, fiel ihm auf, dass er sich noch immer keinen Plan zurechtgelegt hatte.

Er hatte den ersten Flug aus Los Angeles genommen, den er kriegen konnte. Damit hatte er erst in New York und dann in Frankfurt umsteigen müssen und war bereits seit über sechsundzwanzig Stunden unterwegs. Trotzdem wusste er nicht, wie er mit Bethany Kontakt aufnehmen sollte.

Das Handy, das sie in Happily Inc benutzt hatte, war abgemeldet. Vermutlich hatte sie Pallas ihre echte Nummer gegeben, nur war seine Schwester leider nicht bereit, ihm diese Nummer zu verraten. Also war er auf sich allein gestellt.

„Bringen Sie mich bitte zum königlichen Palast“, sagte er.

Der Fahrer nickte und fuhr los.

Rasch fädelten sie sich in den Verkehr auf einer mehrspurigen Schnellstraße ein. Die Ausfahrten waren eindeutig markiert, die Straßenschilder auch in englischer Sprache. Im Südwesten lag das Arabische Meer, und vor ihnen erhoben sich die Hochhäuser der Innenstadt.

Sie fuhren am Finanzdistrikt vorbei, wie Cade angesichts der Namen an den hohen Gebäuden vermutete. Danach folgten weitere Bürogebäude. Als sie von der Schnellstraße abbogen, lag auf der einen Seite ein großer Park, auf der anderen ein Einkaufszentrum.

Weiter ging es durch Wohnviertel, vorbei an Parks, Schulen und an einer Universität, bevor sie schließlich in die Altstadt einbogen. Hier waren die Straßen enger, die Gebäude standen näher zusammen, und der Verkehr war dichter.

Dreißig Minuten später fuhr das Taxi eine lange, von Bäumen gesäumte Allee hinunter. Ganz am Ende lag der berühmte rosafarbene Palast von El Bahar. Cade starrte die Türme und Kuppeln an, die Wände, die Gärten und die Touristenbusse, die davor parkten.

Der Taxifahrer hielt an und zeigte auf den fälligen Betrag. Cade stöhnte.

„Ich hatte keine Zeit, Geld zu wechseln“, sagte er und holte sein Portemonnaie heraus. „Kann ich auch mit US-Dollar bezahlen?“

Der Fahrer lächelte. „Natürlich. Sehr gerne.“ Er drückte auf einen Knopf am Taxameter, und der Betrag wurde in Dollar umgerechnet. Cade bezahlte, schnappte sich seine Tasche und stieg aus.

Die Sonne stand hoch am Himmel, und es war sehr warm. Zu seiner Linken sah er blaues Wasser, vor sich den Palast. Die Touristen schwärmten über das Gelände, machten Fotos, folgten Fremdenführern, die bunte Schilder in die Luft hielten, um ihre Gruppen beisammenzuhalten.

Wie sollte er in diesem Gewimmel Bethany finden? Er wusste, dass sie im Palast wohnte. Aber sicherlich würde man ihn nicht einfach hereinlassen. Hätte er stattdessen zu den Stallungen fahren sollen? Oder Pallas anrufen und sie anbetteln, ihm doch noch Bethanys Nummer zu geben? Da er nicht wusste, was er sonst tun sollte, ging er zur Information und sprach die Frau dort an.

„Kann ich Ihnen helfen?“, fragte sie.

„Ja. Ich bin Cade Saunders aus den Vereinigten Staaten.“ Er nahm eine Visitenkarte aus seinem Portemonnaie. „Ich hatte gehofft, den König treffen zu können.“

Er wartete auf hysterisches Gelächter. Oder darauf, dass die Wachen ihre Waffen zückten und ihn ins Taxi zurückverfrachteten. Doch stattdessen schaute die junge Frau die Visitenkarte an, dann ihn, und fragte: „Darf ich Ihren Reisepass sehen?“

„Sicher.“ Cade reichte ihn ihr.

„Einen Moment.“ Sie nahm den Telefonhörer ab und wählte eine Nummer.

„Aber es geht um internationale Frauenstudien“, sagte ihre Mutter zum bestimmt sechsten Mal. „Wäre das nicht interessant?“

„Mom, wenn du das so interessant findest, warum studierst du es dann nicht?“ Bethany lächelte, um ihre Worte abzumildern. „Ich liebe dich, aber du treibst mich in den Wahnsinn. Mir geht es gut. Du musst mich nicht beglucken.“

Was nur teilweise gelogen war, wie Bethany sich eingestand. Ihr ging es nicht gut, aber von ihrer Mutter auf Schritt und Tritt beobachtet zu werden, machte die Sache auch nicht besser. Irgendwann würde es ihr wieder gut gehen. Oder zumindest nicht mehr so schlecht, was nahe dran war. Im Moment waren die Wunden noch zu frisch. Sie war erst seit ein paar Tagen wieder zu Hause und sehnte sich mit jedem Atemzug nach Cade. Aber im Laufe der Zeit würde das vergehen, dessen war sie sich sicher.

Ihre Eltern hatten sie mit offenen Armen empfangen, genau wie ihre Brüder. Bethany hatte sich vierundzwanzig Stunden gegeben, um zu schmollen wie eine Fünfjährige. Dann hatte sie sich ermahnt, sich zusammenzureißen und endlich Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen.

Heute Vormittag hatte sie im Internet einen Studien-Eignungstest gemacht – wobei sie sich ziemlich albern vorgekommen war. Der Test hatte allerdings nur das bestätigt, was sie bereits wusste: Frauenstudien waren nichts für sie. Sie mochte es, draußen zu sein. Sie liebte Pferde, egal, ob sie sich um sie kümmerte, sie trainierte, vorführte oder züchtete.

„Aber Texas?“ Die Stimme ihrer Mutter hob sich ein wenig. „Das ist so weit weg. In England gibt es auch bezaubernde Pferde. Und England ist viel näher.“

Bethany hatte ihren Job auf dem königlichen Gestüt bereits gekündigt. Nun sah sie sich Colleges an, die einen Studiengang in Ranch-Management anboten. Am besten gefiel ihr das College in Texas. Denn die Kurse dort waren sehr vielfältig und würden ihr ein breit gefächertes Wissen vermitteln. Sobald sie ihren Abschluss hatte, würde sie sich überlegen, was sie damit anfangen wollte. Vielleicht eine Ranch kaufen oder sich in der Pferderettung engagieren. In der Zwischenzeit würde sie sich einen Job auf einer Ranch suchen. Sie verfügte sowohl über die notwendigen Erfahrungen als auch über entsprechende Empfehlungen.

„Ich weiß, dass England näher ist“, sagte sie leichthin. „Aber das ist nichts für mich.“

„Du wirst mir so fehlen.“ Ihre Mutter umarmte sie. „Aber ich verstehe, warum du gehen musst.“ Liana zögerte. „Hast du was von Cade gehört?“

Bethany schüttelte den Kopf. „Nein. Und das erwarte ich auch nicht. Es ist vorbei. Er wird mir nie vergeben.“

„Dann ist er es nicht wert, Liebes, dass du ihm nachtrauerst.“

Ein vernünftiger Rat, sagte Bethany sich. Doch obwohl ihr Kopf wusste, dass ihre Mutter recht hatte, war ihr Herz nicht so leicht gewillt, den Mann loszulassen, der es erobert hatte.

Cade hatte keine Probleme mit dem Mann im Anzug, der ihn durch den Palast führte – was ihn nervös machte, war der uniformierte und bewaffnete Wachmann, der immer in ihrer Nähe blieb.

Beinahe zwanzig Minuten hatte Cade warten müssen, bevor der Mann im Anzug aufgetaucht war. Er eskortierte Cade durch eine mit Schnitzereien versehene Flügeltür, die bestimmt sieben Meter hoch war, und durch eine Eingangshalle von der Größe eines Basketballfelds. An zwei unterschiedlichen Kontrollpunkten musste Cade seinen Reisepass vorzeigen, bevor sie den öffentlichen Teil des Palastes verließen und den Arbeitsbereich betraten.

Hier vermischte sich das Alte auf wunderbare Weise mit dem Neuen. Die Böden waren aus Stein, die meisten Türen hatten einen Rundbogen. Es gab Mosaike und Wandgemälde, Wandteppiche und Schnitzereien, dazu Büros und Computer und Menschen, die mit Handys telefonierten. Ein Land zu führen war nichts anderes, als eine Firma zu leiten, und dafür bedurfte es einer Menge Mitarbeiter.

Sie durchquerten einen großen Speisesaal. Auf einem kleinen Podest standen ein Weihnachtsbaum, eine Menora und ein rot-weiß gestreifter Briefkasten mit der Aufschrift: Direkte Zustellung an den Nordpol. Cade verspürte einen Anflug von kulturellem Schwindel und merkte, wie wenig er über das Land und seine Einwohner wusste.

Nun ist es zu spät, dachte er, als er in ein sehr großes, sehr beeindruckendes Wartezimmer geführt wurde. Zwei Männer saßen hinter massiven Schreibtischen. Sie trugen beide Headsets und sprachen. Einer von ihnen beendete sein Gespräch und sah Cade an.

„Mr. Saunders, seine Hoheit, der König von El Bahar, ist jetzt bereit, Sie zu empfangen.“

Cade fluchte innerlich. Er hatte das Ganze wirklich nicht durchdacht. Sobald ihm klar geworden war, wie unglaublich dumm es von ihm gewesen war, Bethany gehen zu lassen, hatte er nur noch eines im Kopf gehabt: Zu ihr zu fliegen und ihr zu sagen, dass er sich geirrt hatte. Dabei war ihm nie in den Sinn gekommen, dass er sich vorher dem König würde stellen müssen.

Ja, er hatte Malik schon zweimal zuvor getroffen, aber das war bei einem entspannten Abendessen und auf seiner Ranch gewesen. Nicht hier. Im Palast.

Eine der mit Schnitzereien verzierten Flügeltüren wurde geöffnet, und ein weiterer Gehilfe im Anzug erschien, um Cade hinein zu geleiten. Die Wache, die Cade seit dem Betreten des Palasts begleitet hatte, nahm ihm die Reisetasche ab, und dann stand Cade auch schon vor dem König.

Der Monarch saß an einem riesigen Schreibtisch von den Ausmaßen eines Flugzeugträgers. Er trug Hemd und Krawatte, sein Jackett hing über der Lehne des Stuhls. Aus den Fenstern hatte man einen beeindruckenden Ausblick über die Gärten, und in der Ferne konnte man sogar das Arabische Meer sehen.

Cade näherte sich dem Schreibtisch. Malik schaute von den Papieren auf, in denen er gerade gelesen hatte, und hob die Augenbrauen.

„Cade. Was für eine Überraschung.“

Sein Tonfall war nicht gerade warm und freundlich. Cade fragte sich, wie viel Bethany ihren Eltern erzählt hatte.

„Ich bin hier, um Bethany zu sehen“, fing er an.

Malik schüttelte den Kopf. „Kommt nicht infrage. Sie haben meiner Tochter das Herz gebrochen. Also können Sie von Glück sagen, wenn ich ihnen nicht im Gegenzug irgendwelche Knochen breche.“

„Ich wollte ihr nie wehtun. Ich habe mich geirrt … Was ich zu ihr gesagt habe … Ich … Mir sind Vorfälle aus meiner Vergangenheit in die Quere gekommen.“

„Schön, dass Sie zu dieser Erkenntnis gelangt sind, nachdem Sie Bethany fortgeschickt haben.“

Sarkasmus ist wesentlich einschüchternder, wenn der Sprecher ein König ist, dacht Cade. Ihm fiel auf, dass Malik ihm nicht angeboten hatte, sich zu setzen.

„Für das Timing kann ich nichts. Die Dinge aus meiner Vergangenheit sind nur eine Information, keine Entschuldigung. Ich muss Bethany dringend sprechen.“

Maliks dunkler Blick blieb eisig. „Das sagten Sie schon, doch Ihr Wunsch interessiert mich nicht. Sie können jetzt gehen.“

Jetzt war es an Cade, den Kopf zu schütteln. „Nein. Ich werde nicht gehen. Sie müssen mich anhören.“

„Überraschenderweise muss ich gar nichts.“ Malik lächelte angespannt. „Das ist einer der Vorteile daran, König zu sein. Wussten Sie, dass wir hier im Palast noch funktionierende Kerker haben? Sie befinden sich unter der Erde und sind höchst unangenehm.“

Cade ignorierte die Drohung. „Ich liebe Ihre Tochter, und auch wenn Sie das nicht hören wollen: Sie hat mir gestanden, dass sie mich ebenfalls liebt.“

„Darüber wird sie hinwegkommen. Bethany war schon immer eine kluge junge Frau. In ein paar Wochen werden Sie ihr nichts mehr bedeuten.“

Cade musste das Risiko eingehen – es gab keinen anderen Weg, zu Malik durchzudringen. „Wir wissen beide, dass das nicht stimmt. Bethany verschenkt ihr Herz nicht leicht. Und ich auch nicht. Ich möchte sie sehen, Hoheit, und ich werde nicht gehen, bis ich es getan habe.“

„Um Sie zu zitieren: ‚Wir wissen beide, dass das nicht stimmt.‘ Sie werden gehen, sobald ich beschließe, dass wir hier fertig sind.“

Cade fluchte innerlich. Das hier lief nicht gut, und er wusste nicht, wie er den wütenden Vater, der vor ihm saß, umstimmen konnte. Malik würde alles tun, um seine Tochter zu schützen. Denn er …

Cade merkte, wie er sich entspannte. Malik mochte zwar der König sein, aber er war auch ein Vater. Mehr als alles andere auf der Welt lag ihm das Wohl seiner Tochter am Herzen.

„Ich liebe sie“, sagte Cade schlicht. „Ich war ein Idiot, sie gehen zu lassen. Schlimmer noch, ich habe sie verletzt, und das kann ich nicht zurücknehmen. Ich habe einen Fehler gemacht – einen, aus dem ich gelernt habe. Hoheit, Bethany ist umwerfend. Sie ist gütig und lustig und arbeitet hart. Ich liebe alles an ihr.“

Er trat näher an den Schreibtisch heran. „Ich gebe zu, dass mich diese ganze Prinzessinnensache aus der Bahn geworfen hat. Damit hatte ich nicht gerechnet, und ich werde mich auch erst daran gewöhnen müssen. Aber es ist ein Teil dessen, wer Bethany ist. Ich liebe sie. Ich weiß, ich muss mich bei ihr entschuldigen und ihr Vertrauen zurückgewinnen, aber sobald das geschehen ist, möchte ich sie heiraten.“

Malik erhob sich, die Augenbrauen düster zusammengezogen. „Bethany ist die Prinzessin von El Bahar“, verkündete er mit dröhnender Stimme. „Die Tochter meines Herzens. Wie können Sie es wagen, herzukommen und mir zu sagen, dass Sie sie heiraten wollen? Wie kommen Sie darauf, dass Sie auch nur ansatzweise für sie sorgen können?“

Cade blieb dort stehen, wo er war. „Sie haben mich sicher überprüfen lassen, bevor Sie mir Rida verkauft haben. Also ist das nicht der Punkt, um den es hier geht. Ich verstehe, dass Sie Bethany beschützen möchten, aber haben Sie eine Ahnung davon, was sie wirklich fühlt? Wie sie sich ihre Zukunft vorstellt? Bethany hat kein Interesse an einem Palast oder den Vorzügen des königlichen Lebens. Wenn sie das hätte, hätte sie niemals in Ihren Stallungen gearbeitet. Sie will normal sein. Das kann ich ihr geben. Und auch wenn Sie glauben, das wäre nicht genug: Bethany sieht das anders. Ich verspreche Ihnen, ich werde sie von ganzem Herzen und mit all meiner Kraft beschützen und lieben. Jede Sekunde eines jeden Tages für den Rest meines Lebens wird sie meine Welt sein. Das ist alles, was ich zu bieten habe, und das alles gehört ihr.“

Malik sah ihn weiter finster an. „Sie bieten mir Ihr Wort. Aber was ist, wenn ich stattdessen Ihren Kopf haben will?“

„Sie machen mir keine Angst.“

„Nicht?“ Der König grinste. „Dann sollte ich mich wohl mehr anstrengen.“

10. KAPITEL

Bethany blieb an dem Baum mit den Geschenken stehen, der am Eingang zu den Palastbüros aufgestellt worden war. Puppen und Spielzeugautos für Kinder aus ärmeren Familien zu kaufen, löste zwar nicht ihre Probleme. Aber wenigstens tat sie auf diese Weise etwas Sinnvolles. Und manchmal gelang es ihr dabei sogar, Cade für einige Sekunden zu vergessen

Sie ging den Gang entlang zum Büro ihres Vaters. Er hatte sie rufen lassen. Garantiert, um ihr seine „Du musst über den Mann hinwegkommen“-Rede zu halten. Diese Rede hatte sie schon nach dem Debakel mit ihrem Collegefreund zu hören bekommen. Und ehrlich gesagt hatte sie damals auch funktioniert. Nur würde das diesmal nicht so einfach werden.

Der Sekretär öffnete die Tür für sie. Bethany betrat das Büro ihres Vaters – der zu ihrem Erstaunen nicht allein war. Ihr Herz setzte einen Schlag aus, als sie den Mann erkannte, der ihm gegenübersaß.

„Cade“, hauchte sie. „Was machst du hier?“

Cade schaute von ihr zu ihrem Vater und wieder zurück. Dann stand er auf, kam zu ihr und nahm ihre Hände in seine.

„Bethany, du bist hier. Ich kann es kaum glauben. Ich bin den ganzen Weg hierhergekommen, nur um dann festzustellen, dass ich keine Ahnung habe, wie ich Kontakt zu dir aufnehmen kann.“

Weil ich das Handy abgemeldet habe, das ich in Happily Inc benutzt habe, dachte Bethany benommen. Sie war noch immer verwirrt von Cades Anwesenheit. „Ich habe eine andere Nummer, wenn ich hier bin. Die habe ich Pallas gegeben.“ Was in aller Welt redete sie denn da? Diese Informationen waren doch völlig unnötig. Was sie wirklich fragen sollte, war, wieso Cade hier war.

Hoffnung regte sich und schob die Zweifel beiseite. Mit einem Mal fiel ihr das Atmen schwer.

„Du hast mir gefehlt.“ Er schaute ihr in die Augen. „In der Sekunde, in der du abgefahren bist, wusste ich, dass ich einen Fehler gemacht habe. Aber ich brauchte ein paar Tage, um darauf zu kommen, warum. Ich wusste, wie wundervoll du bist, aber ich wusste nicht, dass ich mich in dich verliebt habe.“

Die Spannung wich, als die Hoffnung stärker wurde.

„Ich liebe dich“, wiederholte er. „Was ich gesagt und wie ich mich verhalten habe, war falsch. Ich entschuldige mich dafür und hoffe, dass du mir mit der Zeit vergeben kannst. Nicht sofort – das habe ich nicht verdient. Aber irgendwann.“

Er zog sie an sich und lächelte. „Du musstest dich so schützen, wie du es getan hast. Meine Vergangenheit ist mein Problem, nicht deines. Du hast überhaupt nichts mit Lynette gemeinsam. Was kann ich tun, damit du mir eine zweite Chance gibst?“

Bethany fing an zu lachen, dann quollen plötzlich Tränen aus ihren Augen. Und dann spürte sie, wie sie ganz fest in die Arme genommen wurde – von dem Mann, den sie liebte. Ihre Ängste und Schmerzen verschwanden spurlos, als hätten sie nie existiert.

Ihr Vater kam herüber und tätschelte ihre Schulter. „Ich lasse euch beide allein, damit ihr das zu einem guten Ende bringen könnt. Er wirkt wie ein guter Mensch, Bethany. Er hat sich mir gegenüber behauptet, und diese Stärke hätten nicht viele Männer gehabt. Ich glaube, dass er dich vielleicht verdient haben könnte.“

Nachdem die Tür hinter dem König ins Schloss gefallen war, zog Cade sich weit genug zurück, um Bethany in die Augen sehen zu können. „Es tut mir leid.“

„Schon gut. Ich weiß, warum du dich so verhalten hast.“

„Dadurch wird es nicht richtig. Ich habe dich verletzt. Bitte verzeih mir.“

„Natürlich verzeihe ich dir. Ich liebe dich, Cade. Daran hat sich nichts geändert.“

Er küsste sie. Sie schlang ihre Arme um ihn und hielt sich an ihm fest, als wolle sie ihn nie wieder loslassen – was ja auch stimmte. Dann überraschte Cade sie, indem er sich zurückzog und auf ein Knie sank.

„Ich liebe dich, Prinzessin Bethany von El Bahar. Mir ist klar, dass ich deiner nicht ansatzweise würdig bin. Aber ich liebe dich und bitte dich, mich zu heiraten.“

Ihre Augen füllten sich mit Tränen, als sie nickte und ihn auf die Füße zog.

„Ja“, flüsterte sie nah an seinem Mund. „Natürlich heirate ich dich.“

Die Tage vor Weihnachten vergingen wie im in einem Nebel. Cade rief seine Mutter an, um ihr zu sagen, dass er über die Feiertage in El Bahar bleiben würde und dass er verlobt war. Libby Saunders hatte einige Probleme damit, zu begreifen, dass „das Mädchen, das im Stall arbeitet“, eigentlich eine Prinzessin war. Bethanys Telefonat mit ihrer zukünftigen Schwiegermutter verlief prompt viel freundlicher als die Unterhaltung an Thanksgiving.

Pallas hatte ins Telefon gekreischt, als sie die Neuigkeiten erfahren hatte. Bethany und Cade hatten schwören müssen, dass sie nicht durchbrennen und auf einer einsamen Insel heiraten würden. Denn ihre Hochzeit würde Pallas‘ einzige Chance sein, eine echte Prinzessinnenhochzeit mitzuerleben, und das wollte sie um nichts auf der Welt verpassen.

Als Verneigung vor der Tradition nahm Cade den Verlobungsring an, den Königin Liana ihm gab. Der Ring mit dem großen Brillanten hatte Maliks geliebter Großmutter Fatima gehört, und der König wollte, dass seine Tochter ihn trug.

Bethany zuckte sichtlich zusammen, als sie den sechskarätigen Stein sah. „Den kann ich auf keinen Fall beim Stallausmisten tragen“, sagte sie. „Aber meiner Familie ist es wichtig. Bist du sicher, dass es dir nichts ausmacht?“

Cade küsste sie. „Ich dachte, du könntest ihn bei offiziellen Anlässen tragen. Sobald wir wieder zu Hause sind, werde ich dir einen Ring kaufen. Und nächstes Mal plane ich das alles besser.“

Sie lachte. „Es wird hoffentlich keine weitere Gelegenheit geben, zu der du einen Verlobungsring einpacken musst.“

„Guter Einwand.“

Sie saßen auf dem Balkon ihrer Suite. Das Weihnachtsessen mit der Familie würde in einer Stunde beginnen. Ihre Geschenke hatten sie bereits heute Morgen ausgetauscht. Bethany freute sich, dass ihre jüngeren Brüder hellauf begeistert von Cade waren. Angesichts der Tatsache, dass er sich hier am Königshof mit einer tausendjährigen Tradition herumschlagen musste, hielt er sich insgesamt sehr tapfer.

Cade nahm ihre Hand und lächelte Bethany an. „Okay, die Sache ist die: Was dein Studium des Ranch-Managements angeht …“

„Ich habe bereits ein Online-Programm gefunden, das perfekt für mich ist. Ich meine, ich brauche nicht wirklich noch viel mehr praktische Erfahrungen mit Pferden.“

„Das freut mich. Ich wäre mit dir nach Texas gezogen, wenn du dort hättest studieren wollen. Noch mehr würde es mich allerdings freuen, wenn du deinen Abschluss in Happily Inc machst.“

Sie hatten darüber gesprochen, gemeinsam auf der Ranch zu arbeiten. Bethany dachte an die Papiere, die ihr Vater ihr am Nachmittag gegeben hatte, und fragte sich, ob jetzt der Zeitpunkt war, um mit Cade darüber zu sprechen. Bevor sie sich entschieden hatte, ergriff er erneut das Wort.

„Wie du weißt, kaufe ich mich mit jedem Jahr ein Stück mehr in die Ranch ein“, sagte er. „Wenn wir verheiratet sind, werde ich dich in meine Anteile aufnehmen lassen, sodass uns die Ranch irgendwann gemeinsam gehört. Wir haben ja über unsere Pläne gesprochen, und ich will damit loslegen, unsere Zucht auszuweiten.“

Nun holte Bethany doch den Umschlag aus ihrer hinteren Hosentasche. „Tja, dieser Plan hat sich ein klein wenig verändert. Die Ranch gehört nicht länger deinem Großvater.“

Cade starrte sie an. „Wovon redest du da?“

„Mein Vater hat Grandpa Frank die Ranch abgekauft. Dann hat er sie auf mich überschreiben lassen. Ich glaube, das ist meine Mitgift.“

Cade nahm das Papier, das sie ihm hinhielt, und schüttelte den Kopf. „Sag deinem Vater, dass ich das nicht annehme. Außer, er überschreibt sie uns beiden. Wir werden in allem gleichberechtigte Partner sein.“ Er küsste sie. „Ich liebe Sie, Prinzessin Bethany.“

Sie lachte. „Und ich liebe Sie, zukünftiger Prinz Cade.“

„Und wieder muss ich fragen: Wovon redest du da?“

„Ach ja, das hätte ich erwähnen sollen. Mein Dad will, dass du ein Prinz wirst.“ Sie hob eine Hand. „Damit gehen keinerlei Verpflichtungen einher. Es ist mehr ein Ehrentitel, auch wenn dir vielleicht eine Insel gehören wird. Da war er etwas vage.“

Cade fing an zu lachen, und sie fiel mit ein. Er zog sie in seine Arme, und sie verlor sich in der Freude, von ihm geliebt zu werden. Ja, es gab noch Unmengen an Einzelheiten zu klären. Wo die Hochzeit stattfinden sollte, wie lange sie warten wollten, bis sie anfingen, eine Familie zu gründen. Und wie sie ihren Vater davon überzeugen sollte, ihr ihre Lieblingsstute als Hochzeitsgeschenk zu geben. Aber diese kleinen Problemchen würden mit der Zeit gelöst werden. Für den Moment gab es nur diesen umwerfenden Mann und die wunderbare Zukunft, die sie gemeinsam haben würden.

„Ich bin so froh, dich in meinem Leben zu haben“, flüsterte Cade.

„Danke. Mir geht es mit dir genauso.“

Er erhob sich und zog sie auf die Füße. „Komm, gehen wir unser El-Bahar-Weihnachten feiern. Und später schleiche ich mich in dein Zimmer.“

Sie lachte. „Ich zähle jetzt schon die Stunden.“ Und die Tage und Jahre, die folgen würden. Bethany wusste, dass ihr Leben gesegnet war. Und dafür würde sie immer dankbar sein.

– ENDE –

MIRA® TASCHENBUCH

Copyright © 2018 für die deutsche Ausgabe by MIRA Taschenbuch
in der HarperCollins Germany GmbH, Hamburg

Copyright © 2017 by Susan Mallery, Inc.
Originaltitel: »You Say It First«
Erschienen bei: HQN Books, Toronto

Published by arrangement with
HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V. / SARL

Covergestaltung: bürosüd, München
Coverabbildung: www.buerosued.de
Lektorat: Stefanie Kruschandl
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN E-Book 9783955768096

www.harpercollins.de
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1. Kapitel

»Verstehen Sie mich nicht falsch, aber ich muss Sie bitten, Ihr Hemd auszuziehen.«

Pallas Saunders zuckte innerlich zusammen, als sie die Worte aussprach. Normalerweise war das kein Satz, den sie in einem Vorstellungsgespräch sagte, aber außergewöhnliche Umstände, außergewöhnliche Maßnahmen und so weiter.

Nick Mitchell hob seine Augenbrauen. »Wie bitte?«

Das war eine durchaus vernünftige Frage. Und ganz sicher besser, als wenn er einfach zur Tür hinausgelaufen wäre, was er auch hätte tun können.

»Es ist ein Notfall.« Sie wedelte mit der Hand in einer Geste, von der sie hoffte, dass sie sagte: Können wir bitte einfach weitermachen?

»Ich brauche schon eine bessere Erklärung.«

»Na gut.« Sie atmete tief ein und fing dann an, schnell zu reden. Sehr schnell. »In weniger als einer Stunde habe ich eine Hochzeit und mir fehlt ein römischer Legionär. J.T. ist nach Los Angeles gefahren, weil sein Agent ihn wegen eines Vorsprechens angerufen hat. Kleine Notiz an mich: Während der Casting-Saison keine Schauspieler engagieren. Sie haben ungefähr die gleiche Größe wie die anderen Männer und sind hier, weil Sie einen Job brauchen. Also bitte ziehen Sie das Hemd aus. Sie sehen einigermaßen gut aus. Ich werde Sie mit etwas Selbstbräuner eincremen, und dann werden Sie ein sehr dünnes Mädchen in einer Sänfte tragen.«

»In einer was?«

»Eines dieser überdachten Stuhldinger. Ich schwöre, das Mädchen wiegt keine fünfzig Kilo. Ich glaube, sie hat seit drei Monaten nichts mehr gegessen. Und Sie sehen stark aus. Sie werden das super machen. Bitte! Am Ende wartet auch ein Scheck auf Sie.«

Kein sonderlich großer, aber Geld war Geld. Und Nick Mitchell hatte auf ihre Anzeige für eine Teilzeitstelle als Zimmermann geantwortet. Daher war er vermutlich relativ dringend auf der Suche nach Geld. Das Gefühl kannte Pallas nur zu gut.

»Sie wollen, dass ich ein Mädchen in einer Sänfte zu seiner Hochzeit trage?«

Warum sind die Gutaussehenden immer so dumm, fragte sie sich seufzend. Denn Nick ging durchaus als gut aussehend durch. Er war groß, hatte dunkles Haar und dunkle Augen. Seine Schultern waren breit und, so weit sie es sehen konnte, war er gut in Form. Wo also war das Problem?

»Meine Firma heißt Weddings in a Box – der perfekte Rahmen für jede Hochzeit.« Sie deutete auf die Wände. »Das hier ist der Rahmen. Die Leute kommen her, um zu heiraten. Ich organisiere Themenhochzeiten. Das heutige Pärchen möchte eine römische Hochzeit. Sie wären überrascht, wie beliebt die sind. Und zur römischen Hochzeit gehört die Sänfte für die Braut. Also bitte, ich flehe Sie an. Ziehen Sie Ihr Hemd aus.«

»Sie sind seltsam«, murmelte Nick, während er sein Hemd auszog und es dann auf ihren Schreibtisch warf.

Halleluja, dachte sie und ging einmal um ihn herum, um seinen Rücken zu betrachten. Wie gehofft, sah er gut aus – breite Schultern und viele Muskeln. Keine großen Tattoos, keine hässlichen Narben. Nicht dass sie etwas gegen Tattoos hatte, aber nur wenige davon passten zu einer römischen Hochzeit. Und sie hatte wirklich keine Zeit, jetzt noch Tattoos mit Concealer abzudecken. Aber wie es der Zufall so wollte, würde Nick perfekt zu den anderen Männern passen.

»Sie sind engagiert, aber wir müssen uns beeilen.«

Sie packte seine Hand und zog ihn den Flur hinunter zur Umkleidekabine der männlichen Darsteller. Eine Themenhochzeit bedurfte einer großen Besetzung. Leider hatte sie nicht Tausende von Darstellern zur Verfügung. Aber drei oder vier sollten es mindestens sein. Römische Hochzeiten bestanden aus der Gruppe der Sänftenträger und einigen Kellnern in Togen. Die Kleidungsstücke waren keine Originale, aber die Kunden waren glücklich, und das war alles, was zählte.

Sie führte Nick in den großen, schlichten Raum mit den Kleiderständern an der einen und einem langen Tisch mit beleuchteten Spiegeln an der anderen Seite. Drei Männer in verschiedenen Stadien der Entkleidung hatten sich bereits eingefunden. Zwei zogen sich gerade ihre weiße Toga über, während der dritte sich selbst im Spiegel betrachtete.

Alan löste den Blick von seinem Spiegelbild und lächelte sie und Nick an. »Hallo, Fremder.«

»Nicht mehr lange«, murmelte Pallas. »Bitte hilf Nick, sich für die Hochzeit fertig zu machen. Nick, das ist Alan. Alan, das ist Nick.« Sie schaute auf die Uhr und stieß einen kleinen Schrei aus. »Wir haben weniger als eine Stunde, Leute.« Sie wandte sich an Nick. »Haben Sie schon einmal Bräunungscreme benutzt?«

»Sehe ich aus wie jemand, der Bräunungscreme benutzt?«

Bis gerade eben war dieser Mann für sie kaum mehr als eine starke Schulter gewesen, die ein Viertel der Braut tragen konnte. Jetzt sah Pallas ihn das erste Mal richtig an. Die dunklen Augen, die sie mit einer Mischung aus Ungläubigkeit und Skepsis musterten. Der feste Zug um seinen erstaunlich attraktiven Mund. Er hat große Hände, bemerkte sie abwesend und bemühte sich, nicht zu lachen.

Große Hände? Ernsthaft? Weil sie in ihrem Leben dafür ja auch Zeit hatte?

Sie trat an den Schminktisch und zog eine Schublade auf. Darin befanden sich eingeschweißte Handschuhe, die mit einem Selbstbräuner getränkt waren und die sie in großen Mengen zu einem sehr guten Preis kaufen konnte.

»Ich werde Ihre Welt erschüttern«, erklärte sie ihm fröhlich. »Legen wir los.«

Nick Mitchell fühlte sich, als hätte er ein Paralleluniversum betreten. Eines, in dem die Verrückten regierten.

Bevor er wusste, wie ihm geschah, rieb die Frau, mit der er eigentlich ein Bewerbungsgespräch wegen eines Zimmermannsjobs führen sollte, mit einem seltsamen Handschuhding seinen Rücken ein.

»Gleichmäßige Bewegungen«, sagte sie. »Die Farbe muss fünf Minuten trocknen, dann prüfen Sie, ob es irgendwo Streifen gibt. Machen Sie erst Ihre Arme und die Brust, dann die Beine, sowohl hinten als auch vorne.«

Sie zog die Handschuhe aus und reichte sie ihm. »Kriegen Sie das hin?«

Ihre Miene war zu zwei Dritteln ernst und zu einem frustriert – als hätte die Welt sich verschworen, um ihr den Tag schwer zu machen.

Im ersten Moment wollte er wiederholen, dass er nur wegen des Zimmermannsjobs hier war, dann erkannte er aber, dass ihr das klar sein musste. Also gut – dann sollte es wohl ein Legionär mit falschem Teint sein. Wenigstens wäre das eine gute Geschichte für seine Brüder.

Er zog die Handschuhe an und begann, die Bräunungscreme aufzutragen. Es war weniger eklig, als er gedacht hatte. Pallas legte ihm sein Togakostüm bereit und bat die anderen Männer, ihm seinen Platz zu zeigen.

»Ich muss mich umziehen«, rief sie noch und eilte zur Tür. »Wenn Sie irgendetwas brauchen, fragen Sie Alan. Er weiß alles.«

Alan zwinkerte ihr zu. »Das stimmt.« Sobald die Tür ins Schloss gefallen war, wandte er sich Nick zu. »Und wie lautet deine Geschichte?«

Nick streifte die Handschuhe ab und wischte sich die Hände an einem auf dem Tisch liegenden Handtuch ab. Dann zog er seine Jeans aus. »Ich bin Zimmermann. Ich habe auf eine Anzeige geantwortet.« Nachdem er die Handschuhe wieder angezogen hatte, begann er, seine Beine einzuschmieren.

»Ich verstehe. Brauchst du dabei Hilfe?«

Nick schaute nicht auf. »Nein, danke.«

»Tja, ich bin Alan, wie du ja gehört hast. Die beiden da sind Joseph und Jonathan. Ich nenne sie die Js. Sie gehen hier auf die örtliche Highschool und verdienen sich an Samstagen ein wenig Geld. Sie spielen Football.«

Einer der Teenager schaute auf. »Wir spielen Basketball, Alan. Das sagen wir dir immer wieder.«

»Egal. Es ist Sport – wen interessieren schon die Details. Das kommt doch alles aufs Gleiche raus.« Alan schaute wieder zu Nick. »Ich war am Broadway. So habe ich Gerald kennengelernt. Er war mein Mentor, bevor er in Rente gegangen und hierhergezogen ist. Ich bin im Winter des Wetters wegen hergekommen und geblieben. Nach Geralds Tod bin ich nach L. A. gezogen, aber wenn ich gerade mal wieder zu Besuch hier bin, mache ich hier mit, weil es Spaß bringt.«

Während er sprach, sah Nick, dass der andere Mann wesentlich älter war, als er anfangs gedacht hatte. Er war mindestens Ende vierzig.

»Und die Leute lieben wirklich römische Hochzeiten?«, fragte er.

»Du hast ja keine Ahnung. Es gibt auch Cowboyhochzeiten, aber die mache ich nicht.« Alan schüttelte sich. »Pferde sind das Schlimmste! Und sie stinken. Eine schöne Prinzessinnenhochzeit dagegen gefällt mir sehr gut. Ich bin ein sehr attraktiver Höfling, wenn ich das so sagen darf. Aber heute sind wir Römer. Ave Cäsar.«

Zehn Minuten später starrte Nick sich im Spiegel an. Er trug tatsächlich eine Toga. Oder zumindest ein Togakostüm. Der kurze weiße Rock reichte ihm bis zur Mitte der Oberschenkel. Das Oberteil war über einer Schulter verknotet, und Alan hatte ihm eine Krone aus Weinlaub gegeben, die er sich auf den Kopf setzen sollte. Während er seine Sandalen schnürte, dachte er, dass er seinen Brüdern hiervon vielleicht doch nichts erzählen würde. Sie würden ihn für den Rest seines Lebens damit aufziehen.

»Es ist ganz einfach«, erklärte Alan, nachdem er angezogen war. »Die Braut sitzt in der Sänfte. Wir heben sie hoch und tragen sie hinein. Dann steigt sie aus, und wir tragen die Sänfte wieder hinaus. Die Js und ich bedienen auch bei der Feier, aber ich bezweifle, dass Pallas das von dir erwartet. Also kannst du danach gehen.«

Nick verkniff es sich, darauf hinzuweisen, dass er sein Vorstellungsgespräch noch nicht gehabt hatte. Um ehrlich zu sein, bekam er langsam Zweifel, was diesen Job anging. Er hatte etwas gesucht, das seine Tage ausfüllte, während er sich überlegte, was er bezüglich seiner großen Auftragsarbeit tun sollte. Auch wenn dieser Ort ausreichend Ablenkung bot, war er nicht genau das, was er suchte.

Pallas kehrte zurück. Die Jeans und das T-Shirt hatte sie gegen ein schlichtes dunkelgrünes Kleid getauscht, das ihre haselnussbraunen Augen betonte. Ihre langen braunen Haare waren immer noch zu dem ausgefeilten Zopf geflochten, und Nick glaubte nicht, dass sie geschminkt war. Sie war ja auch nicht die Braut – sie war nur hier, um den Traum der Braut wahr werden zu lassen.

Sie kam auf ihn zu und nickte anerkennend. »Sie sehen toll aus. Danke, dass Sie das machen. Ich hätte solche Probleme bekommen, wenn Sie nicht eingesprungen wären. Hat Alan Ihnen erzählt, wie es ablaufen wird?«

»Wir tragen die Braut hinein und verschwinden dann leise.«

»Richtig. Oh, wir müssen ja noch das Bewerbungsgespräch führen. Es gibt keine Entschuldigung dafür, dass ich es so nah an eine Hochzeit gelegt habe, außer dass ich wohl die Tage vertauscht habe. Es ist einfach so viel zu tun.«

In ihren Augen sah er Sorge, Panik und mehr als ein wenig Entschlossenheit. Eine interessante Kombination.

Sie straffte die Schultern. »Eine Krise nach der anderen, wie Gerald immer gesagt hat. Wir sind bereit für die Hochzeit. Gentlemen, wenn Sie bitte Ihre Positionen einnehmen.«

Sie führte sie nach unten. Nick war nicht sicher, was ihn erwartete, aber schneller als gedacht standen sie in einem Raum mit einer hypernervösen Braut, verschiedenen Brautjungfern in römisch inspirierten Kleidern und einer echte Sänfte.

Er trat näher an den überdachten Stuhl heran und betrachtete die Schnitzereien an den Seiten. Sie waren von Hand gemacht und dann an einem Rahmen aus Leichtmetall befestigt worden.

Pallas brachte alle auf Position. Die Braut setzte sich. Alan nahm den Platz vorne rechts ein, was Nick so deutete, dass er wohl das Sagen hatte.

»Auf drei, meine Herren. Wir heben sie langsam und gleichzeitig und aus den Knien hoch.« Alan lächelte die Braut an. »Nicht dass wir uns über dich Sorgen machen müssten, Darling. Du bist nicht breiter als ein Grashalm und siehst in deinem Kleid so bezaubernd aus. Das ist ein Designerteil, oder? Du Glückliche.«

Die Braut entspannte sich sichtlich. »Danke. Ich liebe mein Kleid.«

»Und es liebt dich auch. Sollen wir dann? Auf drei.«

Nick wartete auf den Countdown, dann hoben sie die Braut hoch. Der Tragebalken hatte eine gepolsterte Ausbuchtung für seine Schulter, sodass er seine Hände nur einsetzen musste, um das Gleichgewicht zu halten, aber nicht, um die Sänfte zu tragen. Wie Pallas versprochen hatte, war die Braut leicht und das Gewicht problemlos zu stemmen.

Mit den anderen zusammen ging er den Flur hinunter. Ein Fotograf machte Bilder. Eine große Flügeltür öffnete sich für sie, und sie betraten einen riesigen Raum mit einer mindestens sieben Meter hohen Decke.

Auf beiden Seiten des breiten Ganges hatten sich die Gäste versammelt, und der Bräutigam in der festlicheren Version einer Toga wartete am geschnitzten Altar. Obwohl es mitten am Nachmittag war, spendeten flackernde Fackeln Licht.

Sie erreichten das Ende des Gangs. Alan bedeutete ihnen, die Sänfte abzusetzen. Als die Braut bei ihrem römischen Bräutigam stand, trugen sie die Sänfte wieder hinaus. Alan führte sie in einen großen Innenhof, der schon für die Feier geschmückt war. Die Sänfte wurde in einer Ecke abgestellt.

»Die Leute lieben es, darauf herumzuturnen und Fotos zu machen«, erklärte Alan. »Okay, du kannst jetzt gehen.« Er zeigte auf eine Tür. »Wenn du da durchgehst, findest du eine Treppe, die dich in den ersten Stock bringt. Die Umkleide befindet sich am Ende auf der rechten Seite.«

»Danke.«

Nick folgte den Anweisungen und trat durch die Tür. Bevor er jedoch die Treppe hinaufgehen konnte, erblickte er eine andere, nur angelehnte Tür.

»O nein«, murmelte er, als er näher heranging.

Er stieß die Tür auf und einen unterdrückten Fluch aus, als er eintrat.

Verschiedene geschnitzte Holzpaneele hingen an Schienen, von wo aus sie an ihren Platz geschoben werden konnten. Nick trat zur Seite und folgte dem Verlauf der Schienen mit seinem Blick. Er schätzte, dass sie in den großen Ballsaal führten, in dem er gerade gewesen war.

Diese Paneele – locker drei Meter hoch und doppelt so breit – waren auserlesene Kunstwerke. Die Schnitzereien zeigten, wie er annahm, das frühe Palastleben. Es gab mehrere Szenen eines königlichen Hofstaats und auch ein paar Landschaftsbilder. Sicher, das Arrangement war kitschig, aber die Schnitzereien waren unglaublich. Jede Figur in dem ersten Relief wirkte so echt, als würde sie gleich anfangen, sich zu bewegen. Er fuhr die Linien nach, die mit wenigen eleganten Strichen Tiefe schafften, und spürte raue Kanten. Dann sah er genauer hin und erkannte, dass die Paneele schon ziemlich angeschlagen und trocken waren und dringend ein wenig Liebe und Zuneigung benötigten. War das der Job, für den Pallas einen Zimmermann suchte?

Nachdenklich ging er den Weg zurück, den er gekommen war, und umrundete den jetzt leeren Innenhof. Dann schlich Nick sich zurück in den Ballsaal und betrachtete die geschnitzten Paneele an den Wänden, die römische Szenen zeigten. Sie waren genauso brillant wie die anderen und schrien selbst aus der Entfernung danach, restauriert zu werden.

Und er hatte gedacht, Pallas suche jemanden, der Fenster reparierte oder Schränke baute. An etwas wie dem hier zu arbeiten … Hatte Atsuko von den Paneelen gewusst? Hatte sie deshalb vorgeschlagen, dass Nick sich auf den Job bewarb? Denn auch wenn er in einer Glasbläserfamilie aufgewachsen war, hatte er sich in den letzten zehn Jahren in die Arbeit mit Holz verliebt.

Glas war kalt und launenhaft, aber Holz lebte. Holz hatte eine Seele.

Er kehrte wieder in den Innenhof zurück und nahm die Treppe nach oben. Eigentlich hatte er vorgehabt, seine Bewerbung für den Job zurückzuziehen – diese ganze Nummer mit dem Selbstbräuner und dem Tragen der Braut war ziemlich abschreckend gewesen. Aber jetzt, da er die Paneele gesehen hatte, wusste er, dass er keine andere Wahl hatte. Er musste sie restaurieren und dafür sorgen, dass sie noch für zukünftige Generationen in perfekter Verfassung waren.

Wie dramatisch, dachte er, als er den Umkleideraum betrat. Nur waren die Paneele die Dramatik und die Verschrobenheit von Pallas’ Hochzeitsservice wert. Sie hatten sein absolut Bestes verdient, und er war entschlossen, dass sie es bekommen würden. Sosehr er es auch leugnen wollte, er war durch und durch ein Künstler. Das Blut seines Vaters rann in seinen Adern und damit der Drang, etwas zu erschaffen. Oder, wie in diesem Fall, etwas wiederherzustellen.

Pallas nahm nur selten mehr als eine Hochzeit pro Wochenende an. Es war einfach zu schwierig, alles in kürzester Zeit auf- und wieder abzubauen. Die einzige Ausnahme bildeten Brautpaare, die ihre Hochzeit am Freitag feiern wollten – dann konnte sie für Sonntag noch eine zweite organisieren. Doch obwohl eine Sonntagshochzeit aufgrund der ungewöhnlichen Zeit preislich günstiger war, wollten die meisten Brautpaare die traditionelle Party am Samstagabend. Was bedeutete, dass Pallas sonntags meistens freihatte.

Am frühen Montagmorgen machte sie sich auf den Weg zu Weddings in a Box und ging einmal über das Gelände. Das Hauptgebäude war u-förmig mit einem Innenhof in der Mitte. Am westlichen Ende gab es eine kleine Lobby, deren Fassade italienisches Flair versprühte. Die Nordseite war gemauert und erinnerte an ein mittelalterliches Schloss. Die südliche Seite war mit Holz verkleidet, was ihr ein ranchähnliches, rustikales Westernfeeling verlieh.

Ein Gebäude und drei Optionen, woraus sich leicht ein Dutzend verschiedene Hochzeitsthemen entwickeln ließen. Ein wenig skurril, sicher, aber Pallas liebte jeden falschen Backstein und jedes nicht funktionierende Fenster.

Sie hielt nach Schäden an Gebäude und Zaun Ausschau – denn einmal war ein Trauzeuge mit seinem Wagen in das Tor gefahren – und nach verlorenen oder liegen gelassenen Gegenständen. Die Feiern dauerten oft bis tief in die Nacht, der Alkohol floss in Strömen und schon mehr als ein Schuh, BH oder Slip hatte am nächsten Tag auf dem Rasen gelegen.

Was war das nur mit Hochzeiten und unverantwortlichem Sex? Klar, die Braut und der Bräutigam hatten mit Sicherheit welchen, aber das entsprach der Tradition. Alle anderen sollten warten, bis sie wieder zu Hause waren – nur taten sie es selten. Zum Glück fand Pallas heute nur einen Wimpel und ein paar Blütenblätter. Um die aufzuheben, brauchte sie keine Schutzhandschuhe.

Sie ging nach drinnen und machte sich auf den Weg in die Geschäftsräume im ersten Stock. Erst vor wenigen Wochen war sie in das Büro gezogen, das sie in Gedanken immer noch als Geralds Büro bezeichnete. Im ersten Monat nach seinem Tod – und nachdem sie erfahren hatte, dass sie die Alleinerbin des Geschäfts war – hatte sie unter Schock gestanden. In den folgenden zwei Monaten hatte sie es nicht über sich gebracht, irgendetwas zu verändern. Im letzten Monat hatte sie dann erkannt, dass es einfach dumm war, fünfzig Mal am Tag von ihrem Schreibtisch zu seinem zu rennen. Gerald hätte ihr Weddings in a Box nicht hinterlassen, wenn er nicht gewollt hätte, dass sie die Firma weiterentwickelte. Also war sie in sein Büro gezogen.

Sie hatte befürchtet, dass es sie traurig machen würde, an dem Ort zu sein, wo alles an ihn erinnerte. Doch sie hatte schnell festgestellt, dass sie sich ihm hier näher fühlte. Er war für sie wie ein zweiter Vater gewesen, und auch wenn sie ihn jeden Tag vermisste, wusste sie, dass er mit dem, was sie tat, glücklich wäre.

Sie warf einen Blick in ihren Kalender, wobei sie es sorgfältig vermied, auf den Stapel Rechnungen in ihrem Posteingang zu schauen. Weddings in a Box mochte ein fröhliches, interessantes Geschäft sein, aber es hing finanziell gesehen am seidenen Faden. Themenhochzeiten waren nicht billig, genauso wenig wie der Veranstaltungsort und die dazugehörigen Besonderheiten.

Morgen, versprach sie sich. Morgen würde sie mutig sein. Sie checkte ihre E-Mails und sah, dass zwei weitere Bräute die unterschriebenen Verträge zurückgeschickt hatten. Das waren gute Neuigkeiten. Sie würde sie noch einmal durchgehen, bevor sie …

»Guten Morgen.«

Als sie aufschaute, sah sie einen Mann im Türrahmen stehen. Und nicht nur irgendeinen Mann – sondern Nick Mitchell.

In ihr kollidierten verschiedenen Emotionen. Dankbarkeit dafür, dass er sie am Samstag gerettet hatte; leichte Verlegenheit darüber, wie sie ihn ausgezogen und ihm den dunkleren Teint verpasst hatte; sehr große Verlegenheit angesichts der Tatsache, dass sie inzwischen wusste, wer er war, und Enttäuschung darüber, dass sie immer noch nach einem Teilzeitzimmermann suchen musste. Oh, und Verwirrung darüber, warum er hier war.

Sie erhob sich und ignorierte, dass er der attraktivste Mann war, der jemals ihr Büro betreten hatte. Lächelnd sagte sie: »Hi. Wie kann ich Ihnen helfen?«

Er lehnte sich gegen den Türrahmen. »Ich dachte, wir könnten jetzt das Bewerbungsgespräch führen.«

Das letzte Gespräch hatte sie aus Versehen direkt vor einer Hochzeit eingeplant. Nur konnte er jetzt unmöglich noch für sie arbeiten wollen, oder? »Ich bin Ihnen wirklich sehr dankbar, dass Sie mir am Samstag ausgeholfen haben.«

»Gern geschehen. Man bekommt nicht jeden Tag die Gelegenheit, als Legionär aufzutreten.«

»Außer man arbeitet hier, dann passiert es viel zu häufig.« Sie zögerte. »Es tut mir leid, wie das alles gelaufen ist.«

»Mir nicht. Es war eine Erfahrung, von der ich noch sehr lange erzählen kann.«

»Ich bin erleichtert, dass Sie nicht sauer sind. Alan meinte, Sie wären ein netter Typ. Und er verfügt über eine ziemlich gute Menschenkenntnis.«

»Das freut mich zu hören.«

»Sie fühlen sich von Alan nicht bedroht?« So ging es nämlich vielen heterosexuellen Männern.

»Nicht einmal ansatzweise.« Er ließ ein Grinsen aufblitzen. »Ich arbeite mit einer Kettensäge. Es braucht schon einiges, damit ich mich bedroht fühle.«

»Das erklärt natürlich einiges.« Sie verlagerte ihr Gewicht von einem Fuß auf den anderen und beschloss dann, es einfach auszusprechen. »Ich will nicht unhöflich sein, Nick, aber es hat keinen Sinn, dass wir ein Bewerbungsgespräch führen. Als ich unseren Termin vereinbart habe, hatte ich mir einfach nur den Namen in meinen Kalender geschrieben. Nun habe ich aber gestern ein wenig über Sie recherchiert.«

Er hob eine Augenbraue. »Google oder Bing?«

Sie lächelte. »Beides. Und beides mit demselben Ergebnis.« Ihr Lächeln schwand, als sie sich an das erinnerte, was sie gelesen hatte. Nick Mitchell hatte so gar nichts mit einem arbeitslosen Zimmermann zu tun. Er war ein weltbekannter Künstler, der schon verschiedene Preise gewonnen hatte. Ja, er arbeitete mit Holz, aber auf einem komplett anderen Level. Ihn anzuheuern wäre, als würde man einen erfolgreichen Rennfahrer bitten, jemandem das Autofahren beizubringen.

»Ich weiß nicht, was meine Freundin Atsuko sich gedacht hat, als sie mir Ihren Namen gab. Sie sind ein berühmter Künstler, und ich bin die Besitzerin einer kleinen Firma, in der ein paar Reparaturen nötig sind. Und zwar so billig wie möglich.« Sie versuchte, bei den letzten Worten nicht zusammenzuzucken, denn jemand wie Nick Mitchell würde nicht verstehen, wie es war, jeden Penny dreimal umzudrehen, um das Geschäft am Laufen zu halten. »Aber ich weiß es zu schätzen, dass Sie vorbeigekommen sind«, fügte sie an. »Und dass Sie das mit der Bräunungscreme so gelassen hingenommen haben.«

»Es war lustig. Ich hatte viel Spaß. Und der Selbstbräuner war … interessant.«

»Keine Erfahrung, die Sie wiederholen wollen?«

»Äh, nein.«

Sie stand neben ihrem Schreibtisch und wartete darauf, dass Nick Mitchell ging, doch er schien damit keine Eile zu haben.

»Welche Reparaturen benötigen Sie?«, fragte er.

Warum interessierte er sich dafür? »Nick, ich meine es ernst. Ich kann nur ein paar Dollar über dem Mindestlohn bezahlen. Mehr kann ich mir nicht leisten.«

»Geht es um die Holzpaneele?«

»Ja, aber …«

Er nickte in Richtung Flur. »Kommen Sie, sehen wir sie uns einmal an.«

Sie war mehr als nur ein wenig verwirrt, aber okay. Gemeinsam gingen sie die Treppe hinunter und durch den leeren Ballsaal zu den seitlichen Lagerräumen. Pallas zog die großen Türen auf und schaltete das Deckenlicht an. Dann wartete sie, während Nick sich die Paneele anschaute.

Die hölzernen Rechtecke waren riesig – hoch, breit und auf einer Seite komplett mit Schnitzereien versehen. Während sie ihn beobachtete, ging Nick zum ersten Paneel und legte seine Hände an das Holz. Er schloss die Augen halb und fuhr mit den Fingern die Schnitzereien entlang. Pallas hatte das seltsame Gefühl, Zeugin von etwas zutiefst Persönlichem zu sein, was ihr unangenehm war und mehr als nur ein wenig versponnen vorkam.

»Was wissen Sie hierüber?«, fragte er, während er die Paneele weiterstudierte.

»Nicht viel. Sie waren schon hier, bevor ich angefangen habe, für Gerald zu arbeiten. Um ehrlich zu sein, ich habe mir nie viele Gedanken über sie gemacht. Sie waren einfach ein hübscher Hintergrund. Als er starb und mir seine Firma überließ, habe ich eine Inventur durchgeführt. Das war das erste Mal, dass ich mir die Paneele richtig angesehen und erkannt habe, in welch schlechtem Zustand sie sind.«

»Ja. Sie sind alt, und die trockene Luft konserviert sie in gewisser Hinsicht, sorgt andererseits aber dafür, dass sie reißen. Man kann die Handwerkskunst in ihnen erkennen. Jemand hat sich sehr viel Zeit genommen, um sie zu erschaffen. Jemand mit viel Talent.«

»Ich wünschte, ich wüsste mehr darüber«, gab sie zu. Sie hätte Gerald danach fragen sollen, aber das Thema war nie aufgekommen. Sie hatte nie gewusst, was genau seine Pläne waren. Sie hatte sich immer als seine Angestellte gesehen und ihn als tollen Freund. Das Erbe – ein unerwartetes und unglaublich großzügiges Geschenk – hatte sie vollkommen überrascht.

»Meine Brüder arbeiten mit Glas«, sagte er, ohne sie anzusehen. »Sie sprechen immer von Schönheit und Klarheit. Von der Reinheit. Glas kann alles sein. Es existiert nicht, bis wir es zum Leben erwecken. Aber Holz lebt. Holz hat eine Seele – es sagt dem Künstler, was es sein soll. Man kann das zwar ignorieren, aber wenn man es tut, werden die Schnitzereien nie wahrhaftig werden.«

Er drehte sich zu ihr um. Sein dunkler Blick war intensiv. »Ich will an denen hier arbeiten.«

Sie starrte ihn an. »Wie bitte? Nein, das ist doch lächerlich. Sie waren schon im People-Magazin.«

Er lachte leise. »Wieso sollte das eine Rolle spielen?«

»Tut es eben.« Sie würde ignorieren, dass er in der »Sexiest Man Alive«-Ausgabe und das Foto sehr beeindruckend gewesen war. »Ich werde einen Zimmermann finden, der …«

»Nein. Keinen Zimmermann. Diese Paneele sind unglaublich, Pallas. Sie haben es verdient, mit Ehrfurcht behandelt zu werden. Ich tue es für den Preis, den Sie dafür eingeplant hatten. Ich will den Job.«

»Warum?«

Er drehte sich wieder zu den Paneelen um und berührte sie mit den Händen. »Sie haben mir gesagt, dass sie mir vertrauen.« Er ließ seine Hände sinken und sah sie an. »Keine Sorge. Ich drehe nicht durch. Diese Art der Arbeit ist sehr selten. Ich werde es genießen. Ich befinde mich im Moment zwischen zwei Projekten, also habe ich die Zeit.«

Er hielt inne, als überlege er, wie viel er ihr erzählen solle. »Ich habe eine anstehende Auftragsarbeit in Dubai. In den nächsten Monaten werde ich erfahren, ob ich sie bekomme. Ich bezweifle, dass das wirklich infrage steht, aber bis ich die Bestätigung bekomme, will ich mich nicht für etwas Großes verpflichten.«

»Dubai?«

»Ein Hotel will mich engagieren, um ein Stück für die Lobby zu erschaffen. Ich wäre ungefähr zwei Jahre lang vor Ort.«

»Das ist ziemlich lang.«

»Ich weiß, aber es wäre eine interessante Erfahrung. Diese hier«, er zeigte lächelnd auf die Paneele, »werden mich bis dahin beschäftigt halten. Ich verspreche, mich gut um sie zu kümmern.«

»Ich zweifle Ihre Fähigkeiten nicht an«, erwiderte sie. »Oder Ihre Hingabe. Aber ich habe es ernst gemeint, als ich sagte, wie wenig ich bezahlen kann.«

»Es geht hier nicht ums Geld.«

Richtig. Weil ein Kerl wie Nick nicht notwendigerweise für Geld arbeitet, rief sie sich in Erinnerung. Wäre das nicht nett, wenn das bei ihr auch so wäre?

»Nutzen Sie mich aus«, drängte er. »Es wird Ihnen gefallen.«

Sie wusste genau, wie der Kommentar gemeint war. Aber für den Bruchteil einer Sekunde erlaubte sie sich das Gedankenspiel, dass Nick Mitchell ihr einen nicht ganz unschuldigen Vorschlag unterbreitet hatte. Als Mann. Es war eine Ewigkeit her, dass jemand sich die Mühe gemacht hatte.

Sie wusste, dass die Gründe dafür kompliziert waren. Sie sah total normal aus, hatte einen durchschnittlichen Körper und keine Angewohnheiten, die außerhalb der gesellschaftlichen Normen lagen. Theoretisch sollte sie in der Lage sein, einen netten Mann zum Ausgehen und fürs Bett zu finden. Aber auch wenn es den einen oder anderen Mann in ihrem Leben gegeben hatte, war keiner »dem Einen« auch nur nahe gekommen. Oder auch nur »dem für den Moment«.

Zum Teil lag das an dem Ort, in dem sie wohnte. Happily Inc war eine relativ kleine Stadt, in der wenig alleinstehende Männer lebten. Diejenigen, die sie kannte, waren Verwandte von ihr, also igitt. Dann war da noch die Tatsache, dass sie dazu neigte, sich emotional zurückzuhalten. Sie wusste allzu gut, warum. Sie wusste nur nicht, wie sie es ändern konnte. Und deshalb war es selten und kostbar, dass sie angesprochen wurde. Nicht dass Nick das getan hatte. Er sprach lediglich über …

»Pallas?«

»Hm?« Oh, richtig. Er wollte eine Antwort. »Wenn Sie gewillt sind, meinen traurigen kleinen Stundenlohn zu akzeptieren, biete ich ihn nur zu gerne an«, erklärte sie.

»Dann ist das abgemacht.« Er streckte ihr seine Hand hin.

Sie schüttelte sie, ignorierte, wie groß sie war und die kurze Hitzewelle, die sie überkam. Nick war so weit außerhalb ihrer Liga, dass er genauso gut ein Außerirdischer hätte sein können. Trotzdem war er nett anzusehen. Sie würde die Show genießen, solange sie dauerte.

»Sie können arbeiten, wann immer Sie wollen«, sagte sie. »Solange Ihre Arbeitszeiten nicht mit einer Hochzeit kollidieren. Ich werde Ihnen einen Terminplan geben, damit Sie den Überblick haben. Sie werden zweimal im Monat bezahlt. Benötigen Sie irgendwelche Werkzeuge oder Materialien?«

»Ich bringe alles mit.«

»Gut.« Denn sie hätte gar nicht gewusst, wo sie anfangen sollte. »Ich schätze, dann sehen wir uns.«

»Darauf können Sie sich verlassen.«

Wenn das nur wahr wäre, dachte Pallas amüsiert. Sie überlegte, wie unangemessen es wäre, ihn zu bitten, mit freiem Oberkörper zu arbeiten. Dabei hatte er einen fabelhaften römischen Soldaten abgegeben.

Vielleicht würde eine der Bräute demnächst eine Garten-Eden-Hochzeit wünschen, bei der alle Anwesenden nackt waren. Nick könnte wieder einspringen. Eine Fantasie, um mir den Tag zu versüßen, dachte Pallas auf dem Weg zurück zu ihrem Büro. Und eine, die sie mit Sicherheit nicht vergessen würde.

2. Kapitel

Nick reichte seinem Bruder ein Bier. Der Abend war klar und versprach, kalt zu werden, aber im Moment war es noch warm genug. Sie saßen auf Mathias’ rückwärtiger Veranda, die auf das sechzehnte Loch des Golfplatzes hinausging. Zur Linken lag ein, nun ja, definitiv offenes, grasbewachsenes Gelände. Es war weniger die Landschaft, die einer Erklärung bedurfte, als vielmehr die Bewohner.

»Man gewöhnt sich daran«, sagte Mathias, als Nick die Schatten beobachtete, die sich im Dämmerlicht bewegten. »Sie kehren zur Nacht heim.«

»Wohin? In einen Stall?«

»Ich habe nie gefragt«, gab Mathias zu. »Ich schätze, sie verlassen die offene Landschaft, um Raubtieren aus dem Weg zu gehen.«

Nick machte sich nicht die Mühe, darauf hinzuweisen, dass es hier keine Raubtiere gab – zumindest keine, von denen er wusste. Instinkt war Instinkt, und er hatte schon vor langer Zeit gelernt, dass man mit der Natur nicht diskutieren konnte.

Ein paar Meilen südwestlich der Stadt, direkt hinter dem Golfplatz, lagen Hunderte Hektar Grasland. Wenn man weiterging, kam man an die Mülldeponie der Stadt – einen Hightech-Gewerbehof, wo alles, was möglich war, recycelt oder aufbereitet wurde. Aber das Interessanteste war nicht, dass Happily Inc eine der niedrigsten Müllraten pro Einwohner des Landes hatte, sondern die Tiere, die das Gebiet zwischen der Mülldeponie und dem Golfplatz zu ihrer Heimat erkoren hatten.

Bislang hatte Nick Zebras, Gazellen und etwas, das einem Wasserbüffel glich, gesehen. Er hätte auch schwören können, dass in den letzten Tagen eine Giraffe herumgewandert war, aber dabei konnte es sich auch um eine optische Täuschung gehandelt haben.

»Es ist seltsam«, murmelte er und trank einen Schluck Bier.

»Wir sind in Fool’s Gold aufgewachsen«, merkte Mathias an. »Wir dürfen eine andere Stadt nicht als seltsam bezeichnen.«

Das stimmt vermutlich, überlegte Nick. Und es war ja einer der Gründe, aus denen er sich in Happily Inc so wohlfühlte. Sobald man einmal an einem seltsamen Ort gelebt hatte, war es schwer, sich in der Normalität zurechtzufinden.

Aber es gab deutliche Unterschiede. Fool’s Gold lag am Fuße der Sierra Nevada. Happily Inc lag mitten in der Wüste. In beiden Städten gab es Berge, aber die hier wirkten jüngeren Datums und hatten härtere Gipfel und schärfere Kanten. Für sein Künstlerauge waren die Farbspiele besonders interessant. Die Dämmerung war eine Mischung aus Ochsenblutrot und Karneol mit umbra- und sepiafarbenen Schatten.

Er war seit drei Wochen in der Stadt. Mathias besaß ein lächerlich großes Haus am Rande des Golfplatzes und hatte ihm angeboten, bei ihm zu wohnen, bis er entschieden hatte, was er tun wollte.

»Warum bist du hierhergezogen?«, fragte Nick. »Warum nicht nach Sedona oder in irgendein Künstlerdorf in Tennessee?«

»Atsuko hatte hier bereits unsere Arbeiten verkauft«, erklärte Mathias und meinte die Galeriebesitzerin im Ort. »Sie wollte, dass wir einander kennenlernen. Und als sie gehört hat, dass wir aus Fool’s Gold wegziehen wollen, hat sie uns eingeladen, sie hier zu besuchen. Eines führte zum anderen, und da sind wir nun.«

Meine Brüder haben das gut gemacht, dachte Nick. Atsuko hatte Kontakte in der ganzen Welt. Mit ihr als Vermittlerin mussten sie sich nicht um die geschäftliche Seite ihrer Arbeit kümmern. Stattdessen konnten sie sich voll und ganz auf ihre Kunst konzentrieren. Ihr Atelier war groß und offen. Sie hatten einander als Gesellschaft und doch ausreichend Platz.

Während Mathias hier beim Golfplatz und den Zebras wohnte, hatte Ronan ein Haus in den Bergen. Es war hauptsächlich aus Stein und Naturmaterialien gemacht und passte sich perfekt der Umgebung an. Es gab sogar ein großes Studio im hinteren Bereich, in dem Ronan arbeitete, wenn er nicht in die Stadt fahren wollte.

Als Nick gemerkt hatte, dass es an der Zeit war, woandershin zu ziehen, hatte er viele Optionen überdacht. Aber Happily Inc war die offensichtliche Wahl gewesen. Vor allem mit dem möglichen Auftrag in Dubai.

Die Dämmerung wurde zur Nacht, und Millionen von Sternen leuchteten auf. Nick betrachtete den Himmel und fragte sich, ob er sich wohl so weit südlich befand, dass er hier andere Sternbilder sehen würde als die, mit denen er sich auskannte. Vermutlich nicht.

»Hast du es je bedauert, weggezogen zu sein?«, fragte er.

Autor

Susan Mallery

Die SPIEGEL-Bestsellerautorin Susan Mallery unterhält ein Millionenpublikum mit ihren Frauenromanen voll großer Gefühle und tiefgründigem Humor. Mallery lebt mit ihrem Ehemann und ihrem kleinen, aber unerschrockenen Zwergpudel in Seattle.

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