Heiße Woche mit dem Milliardär

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„Eine Woche Côte d’Azur. Nur Sie und ich und das Paradies.“ Verblüfft hört Charlotte das verführerische Angebot, das Milliardär Mason Kane ihr macht. War ihre verboten heiße Nacht für ihn etwa nur der Anfang? Charlotte ist hin- und hergerissen: Eine Woche in der Welt der Reichen und Schönen wäre die ideale Recherche für ihren nächsten Roman. Doch Mason ist auch ein unverbesserlicher Playboy, und sie ist seit Jahren heimlich in ihn verliebt. Wie soll sie bloß ihr Herz vor ihm schützen?


  • Erscheinungstag 17.01.2023
  • Bandnummer 2273
  • ISBN / Artikelnummer 0803232273
  • Seitenanzahl 144

Leseprobe

1. KAPITEL

Mason Kane konnte einfach nicht anders.

Nicht dass er sich je sonderlich bemüht hatte, etwas daran zu ändern.

Während des sich schier endlos hinziehenden Meetings im Sitzungsraum des Vorstands mit Blick auf Downtown Philadelphia fand er endlich die Ablenkung, nach der er sich im Augenblick so sehr sehnte.

Das unwiderstehliche Ziel seiner Aufmerksamkeit hieß Charlotte Westbrook, und sie war die Assistentin seines Vaters.

In weiser Voraussicht hatte er den Platz auf der gegenüberliegenden Seite des auf Hochglanz polierten Konferenztisches gewählt, dessen Ausmaße ihn an die eines Swimmingpools denken ließen. Von diesem sorgfältig ausgewählten Platz aus entging ihm keiner der verstohlenen Blicke, die Charlotte ihm zuwarf, wenn sie der Meinung war, dass Mason es nicht bemerkte.

Wann immer sie sich von ihm ertappt fühlte, nahmen ihre Wangen mit den niedlichen Sommersprossen einen entzückenden Roséton an – und Masons Herzschlag beschleunigte sich ein wenig unter dem teuren Stoff seines maßgeschneiderten Hemdes. Unwillkürlich musste er bei diesem Anblick an den verführerischen Geschmack von Liebesäpfeln denken. Er fragte sich, ob es vielleicht an seinem Job als Leiter der Marketingabteilung eines weltbekannten Süßwarenherstellers war, dass ihm immerzu Vergleiche an süße Köstlichkeiten in den Sinn kamen, wenn er Charlotte betrachtete.

Ihr Haar hatte das berauschende Rot eines gutes Cabernet. Ihre Augen das Braun von geschmolzener belgischer Schokolade. Ihre Lippen das üppige Rot kandierter Früchte. Ihr zarter Teint ließ ihn an Pfirsiche denken.

Das allein hatte ihn gelegentlich schon dazu angespornt, Charlotte heimlich durch die gläsernen Wände seines Büros zu beobachten.

Doch nun hatte er noch eine zusätzliche Motivation.

Vor einigen Monaten hatte ihn Arlie Banks – die jetzt mit seinem Zwillingsbruder Samuel verlobt war – wissen lassen, dass Charlotte eine Schwäche für ihn hatte.

Zunächst hatte er die Vorstellung lächerlich gefunden, denn soweit er sich erinnerte, hatte sie ihm noch nie in die Augen gesehen.

Daraufhin hatte Arlie bemerkt, dass dies bei schüchternen Frauen vermutlich ein unumstößlicher Beweis für ihre Zuneigung war.

Seitdem schwirrte diese Vorstellung wie ein Schmetterling in seinen Gedanken umher und ließ ihn nicht mehr los.

Schüchtern waren die Frauen normalerweise nicht, mit denen sich Mason traf. Er bevorzugte Frauen, die wussten, was sie wollten. Die meisten von ihnen liebten es, im Rausch der Lust die roten Sohlen ihrer High Heels von Louboutin dem beigefarbenen Himmel von Masons Aston Martin entgegenzustrecken.

Womit Mason überhaupt keine Probleme hatte.

Aber Schüchternheit?

Er wusste nicht im Geringsten, was man mit einer schüchternen Frau anfing. Bis zu dem Tag, an dem ihm Arlie von Charlottes Zuneigung erzählte, hatte die Assistentin seines Vaters aus freien Stücken kaum mehr als fünf Worte mit ihm gewechselt.

Doch dann hatte er seinerseits begonnen, sie zu beobachten.

Je mehr er das tat, desto mehr sah er. Er bemerkte, wie sie den Rücken straffte, wenn er an ihren Schreibtisch kam. Ihm entging nicht, wie sie ihn für einen flüchtigen Moment unter ihren Bibliothekarinnen-Brillengläsern hervor ansah, bevor sie rasch wieder auf den Monitor blickte. Ihm fiel auf, wie sie nervös eine nicht sichtbare Haarsträhne zurück in den Dutt steckte, zu dem sie ihr Haar in Höhe ihres anmutigen Nackens zu stecken pflegte.

Nachdem er erst einmal herausgefunden hatte, wonach er Ausschau halten musste, wurde ihm allmählich klar, auf was sie ansprach und was ihr gefiel. Es hatte als Experiment begonnen und war zu einem Spiel geworden.

Er liebte Spiele.

Manchmal sogar ein wenig zu sehr.

„Mason.“ Der Klang seines Namens riss ihn wie ein Peitschenhieb unsanft aus seinen Gedanken. Am Kopfende des Tisches saß, nein, residierte sein Vater Parker Kane. Dem verärgerten Gesichtsausdruck nach zu urteilen erwartete sein Dad wohl eine Antwort auf irgendeine, seiner Meinung nach, wichtigen Frage.

Was ausgesprochen unerfreulich war, denn Mason hatte nicht die geringste Ahnung, um was es eben in der Besprechung gegangen war.

Er hörte ein leises Ping und sah verstohlen auf den Bildschirm seines aufgeklappten Laptops, auf dem sich eine eingehende Outlook Instant Message zeigte.

CWestbrook: Neil möchte wissen, weswegen wir das Budget für die Werbekampagne für FitLife überzogen haben.

Er bedachte Charlotte mit einem dankbaren Blick, doch sie sah – wie sollte es auch anders sein – unverwandt auf ihren eigenen Monitor, während ihre Finger nur so über die Tasten flogen.

„Verzeihung“, sagte Mason und hoffte, angemessen zerknirscht zu klingen. „Ich warte immer noch auf einige Daten bezüglich des Erfolgs dieser Werbekampagne auf Instagram, die dein Team empfohlen hat. Aber ich bin sicher, dass ich dir schon bald mehr dazu sagen kann.“

Vom entgegengesetzten Tischende, an dem sein Zwillingsbruder Samuel saß, der CEO des Familienunternehmens, erklang ein ungläubiges Lachen.

Völlig zu Unrecht, wie Mason meinte, denn bislang war er stets gut mit dieser Taktik gefahren, um Zeit zu schinden. Besonders dann, wenn man ihm Fragen stellte, auf die er sich nicht vorbereitet hatte. Mason, seines Zeichens Playboy der Familie Kane, dem ungerechtfertigterweise das Image eines Tunichtguts anhaftete, litt in den vergangenen Jahren chronisch unter einer immer stärker werdenden Abneigung gegen die Geschäftswelt im Allgemeinen und seine Arbeit im Besonderen.

Dieses Gefühl hatte sich noch verstärkt, nachdem Neil, der Verlobte von Masons Schwester Marlowe, auf der Bildfläche aufgetaucht war.

Mit dem dunklen Haar, den sorgfältig getrimmten Augenbrauen und durchweg maßgeschneiderten Anzügen, wirkte Neil Campbell fast wie einer der gewissenlosen Yuppies aus dem Börsendrama The Wolf of Wall Street.

Durch die jüngst erfolgte Übernahme von Campbell Capital beglückte Neil seit Neuestem den Leitungsstab des Unternehmens mit seiner Anwesenheit. Exzessiv war er seitdem damit beschäftigt, sich bei Parker Kane beliebt zu machen. Warum Parker und Marlowe einen Narren an diesem Kerl gefressen hatten, fand Mason schlichtweg unverständlich.

Neil räusperte sich vernehmlich und beugte sich vor. „Soweit ich weiß, sind die Daten bereits vergangenen Freitag veröffentlicht worden.“

„Wie überaus freundlich von dir, mich darauf hinzuweisen“, erwiderte Mason betont freundlich und lächelte gewinnend. Er war nur froh, dass Marlowe nicht hier war. Seine scharfsinnige Schwester hätte ihn sofort durchschaut. „Sobald es mir möglich ist, werde ich mich damit beschäftigen.“

Erneut richtete Mason seine Aufmerksamkeit auf seinen Laptop und tippte eine kurze Antwort an Charlotte.

MKane: Sie waren meine Rettung. Sie haben was gut bei mir.

Er bemerkte, wie Charlotte hastig ihr Notebook stumm schaltete, als der zirpende Signalton einer eingehenden Nachricht erklang. Mittlerweile waren ihre Wangen nicht nur leicht gerötet, sondern glühten förmlich vor Verlegenheit.

Unweigerlich begann Mason sich zu fragen, ob ihr Hals und ihre Brüste ebenfalls von diesem reizenden Phänomen betroffen sein mochten.

An dem Zeichen, das auf seinem Bildschirm unter seiner Nachricht erschien, sah er, dass Charlotte soeben eine Antwort verfasste. Amüsiert bemerkte Mason, wie sie hastig einige Zeilen Text eingab, bevor sie alles wieder löschte und dann lediglich einen kurzen Satz verschickte.

CWestbrook: Das ist nicht nötig.

Er hätte seine Armbanduhr von Bulova dafür gegeben, um zu erfahren, was Charlotte ursprünglich geschrieben hatte.

MKane: Doch, das ist es. Was kann ich Ihnen Gutes tun? Einen Kaffee? Einen Bentley?

So flüchtig wie das Blitzlicht an einer Kamera zeigte sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht, und kurz darauf erhielt Mason ihre Antwort.

CWestbrook: Es war wirklich nicht der Rede wert, ehrlich.

MKane: Das beantwortet meine Frage nicht.

CWestbrook: Ich komme bei Gelegenheit darauf zurück.

Ihm war klar, dass sie ihm auswich, doch er beabsichtigte keineswegs, sie so leicht wieder vom Haken zu lassen.

Ja, tippte er und hatte das seltsame Gefühl, dass seine Worte prophetischen Charakter bekamen. Das werden Sie.

Über den Rand ihres Bildschirms hinweg sah Charlotte verstohlen zu ihm herüber.

Ihre Blicke trafen sich, und Mason wünschte, er könnte diesen Anblick wie ein Foto abspeichern. Die samtigen Lippen leicht geöffnet, blickte sie ihn unter ihren Wimpern hervor über den Rand ihres dunklen Brillengestells hinweg an. Ihre Augen glänzten amüsiert über diese geheime Konversation.

„Haben Sie das mitgeschrieben, Mrs. Westbrook?“

Die Art, wie Charlotte beim Klang der Stimme seines Vaters zusammenzuckte, verärgerte Mason ungemein.

„Entschuldigen Sie bitte“, sagte sie zu Parker Kane. „Könnten Sie das vielleicht noch einmal wiederholen?“

Schuldbewusst bedauerte Mason, eben wieder nicht zugehört zu haben, sonst hätte er nun seinerseits Charlotte einen rettenden Hinweis geben können.

Betont genervt seufzte daraufhin Parker Kane, als läge die Last der Welt auf seinen Schultern. „Wir legen das Treffen des Führungskräftekomitees auf die dritte Augustwoche“, wiederholte er.

„Ja, selbstverständlich“, erwiderte Charlotte in dem professionell freundlichen Gesprächston, mit dem sie im Büro auch die Anrufe für Parker Kane entgegennahm.

„Ich vertraue darauf, dass Sie dieses Mal nicht vergessen, den Einladungslink auf seine Aktualität hin zu überprüfen“, setzte Parker tadelnd hinzu.

Sofort sank Charlotte sichtbar unter dem frostigen Blick des Patriarchen in sich zusammen. „Natürlich nicht, Sir“, entgegnete sie, und hektische rote Flecken erschienen auf ihren Wangen.

Dabei war ihr nur ein kleiner und durchaus verzeihbarer Fehler unterlaufen, als sie versehentlich den falschen Link kopiert hatte. Jedem, der hier am Tisch saß, war das schon einmal passiert.

Doch das spielte in den Augen seines Vaters keine Rolle. Er erinnerte sich an jede noch so kleine Verfehlung – und brachte sie stets dann zur Sprache, wenn er jemand anderen damit in größtmögliche Verlegenheit bringen konnte.

Mason kannte dieses Gefühl nur zu gut, obwohl früher sein Zwillingsbruder Samuel Ziel von Parkers Unzufriedenheit gewesen war. Doch seitdem Mason sprichwörtlich den eigenen Hals riskiert hatte, um seinen Bruder vor dem Rauswurf aus dem Familienunternehmen Kane Foods International zu bewahren, hatte sich dies drastisch geändert.

Es war breit in der Öffentlichkeit diskutiert worden, als die Romanze von Samuel und Arlie ans Licht gekommen war. Mit ihrer Beziehung hatten sie nämlich gegen eine unumstößliche Firmenphilosophie verstoßen, die Romanzen unter Arbeitskollegen strikt untersagte. Doch das Interesse der Medien daran war rasch abgeklungen, als sich der nächste Angehörige der High Society irgendeinen Fehltritt erlaubte.

Was blieb, war Parkers Groll gegen seinen einstigen Lieblingssohn, der sich offen widersetzt hatte.

Und Parker Kanes Groll war berühmt für seine epischen Ausmaße.

Um ihn herum begannen die Anwesenden, sich in kleinen Gruppen angeregt über den weiteren Verlauf des Arbeitstages zu unterhalten.

Weil ihm nicht entging, dass Charlotte immer noch in sich zusammengesunken dasaß, schrieb er ihr eine weitere Nachricht, ohne eigentlich genau zu wissen, weshalb.

MKane: Haben Sie nach dem Meeting eine Minute für mich?

Sie blickte zum Bildschirm und antwortete nach kurzem Zögern.

CWestbrook: Leider muss ich heute etwas früher Schluss machen. Ist es etwas Dringendes?

Er versuchte, sich einzureden, dass ihre Antwort ihn nicht enttäuschte.

MKane: Nein, nicht dringend. Dann vielleicht ein anderes Mal?

CWestbrook: Sehr gern.

Die Konferenzteilnehmer schoben ihre Stühle zurück, sammelten Handys und schon lang leer getrunkene Kaffeebecher ein.

Auch Charlotte erhob sich und presste den Laptop und den Notizblock an ihre Brust … sehr zu Masons Bedauern. Trotzdem ließ er sich die Gelegenheit nicht entgehen, die untere Hälfte ihres Büro-Outfits zu bewundern, das wie gewöhnlich aus einem A-Linienrock und praktischen Pumps bestand.

Muster und Farbe ihrer Blusen änderten sich häufig, doch der Rest ihres Business-Looks blieb immer gleich. Heute trug sie zu schiefergrauem Rock und schwarz-grauen Slingpumps eine hellblaue Bluse mit dezentem Nadelstreifenmuster.

Hastig sammelte Mason seine eigenen Sachen zusammen und ging rasch um den Tisch herum, um noch vor Charlotte an der Tür zu sein und sie ihr aufzuhalten. Sein Bemühen war so offensichtlich, dass er sich ein wenig schämte.

„Vielen Dank.“ Sie senkte den Blick, und Mason nahm den zarten Blumenduft ihres Shampoos und einen leichten Zitrusduft wahr. Hätte er sie nicht so genau gemustert, wäre ihm vermutlich ihr flüchtiger Blick entgangen, mit dem sie Masons Oberkörper betrachtete.

Er hatte die stattliche Körpergröße von einem Meter und neunzig von seinem Vater geerbt und hart für seine wohldefinierten Muskeln gearbeitet. Darüber hinaus sorgten seine nächtlichen Aktivitäten dafür, dass er in Form blieb.

„Immer wieder gerne“, erwiderte er und hoffte, dass ihr die Heiserkeit seiner Stimme entging.

Für einen Moment blieb er stehen, um sie vorangehen zu lassen. In der Zeit, in der er sie bereits studierte, hatte er festgestellt, dass er ihr außerordentlich gern beim Gehen zusah.

Sie bewegte sich wie eine Tänzerin. Ihre Füße mit den schmalen Fesseln schienen über dem Boden zu schweben, und ihre Hüften schwangen verführerisch bei jedem Schritt hin und her.

Während er diesen Anblick genoss, begann er, sich schuldig zu fühlen.

Nicht etwa, weil er in Gedanken gegen die oberste Firmenregel seines Vater verstieß – sondern vielmehr, weil er seine eigene missachtete.

Die lautete, sich niemals seinen Status als Vorgesetzter – obwohl er den weder gewollt noch verdient hatte – zunutze zu machen.

Obwohl er sich redlich bemühte, spürte er eine immer größer werdende Erregung in sich aufsteigen, die schon vor Monaten in ihm erwacht war. Es fühlte sich an wie eine Sprungfeder, die immer fester zusammengepresst wurde, bevor man sie losließ.

Je mehr er dieses Gefühl ignorierte, umso brennender wurde sein Verlangen.

Er wusste, dass er etwas dagegen unternehmen musste, und schon bald würde er die Gelegenheit dafür bekommen.

Denn die heutige Nacht würde er an einem Ort verbringen, an dem er eigentlich gar nicht sein dürfte.

2. KAPITEL

Ja, das werden Sie.

Die Worte gingen Charlotte Westbrook nicht mehr aus dem Sinn, seitdem sie auf ihrem Monitor erschienen waren. Dort waren sie auch während der Zugfahrt von Downtown bis zum Parkplatz in Landsdale, einem Vorort von Philadelphia, zu sehen. Fünf Tage in der Woche parkte sie jeden Morgen ihren Wagen hier, bevor sie zur Arbeit pendelte.

Unentwegt musste sie sich Mason Kanes Gesicht vorstellen.

Lediglich die Beschreibungen, die sie stets in den Romanen verwendete, an denen sie nachts und in seltenen freien Momenten auf der Arbeit schrieb, schienen auf diesen Mann zu passen.

Ein markantes Kinn. Sinnliche Lippen. Dunkles, windzerzaustes Haar, dessen Spitzen von der Sonne geküsst worden waren. Moosgrüne Augen mit goldfarbenen Sprenkeln. Ein Körper, den Charlotte sich mühelos in dem Kilt eines Adeligen aus den Highlands oder den Kniehosen eines Wikingers oder Piraten vorstellen konnte.

Und sich etwas vorstellen, das tat sie. Ständig.

Hatte sie schon immer getan.

Eine Tatsache, auf die Mason heute zu ihrer größten Beschämung gestoßen war. In den zwei Jahren, die sie nun schon als persönliche Assistentin seines Vaters arbeitete, hatte sie unzählige Male verstohlene Blicke auf den jüngeren der beiden Kane-Brüder geworfen. In Meetings. Auf Cocktailpartys der Firma. In Hotellobbys und Bars und gelegentlich in seinem Büro, wo sie es am liebsten tat. Etwas an der merkwürdig lockeren Art, wie er sich an seinen Tisch setzte, kam ihr völlig unpassend vor für das gediegene Ambiente, das in den Räumlichkeiten von Kane Foods International vorherrschte.

Leider hatte sie sich dieses Privileg verdeckter Beobachtungen nun verspielt, dachte sie bekümmert, während sie den Motor ihres Honda Civic startete. In ihrer Vorstellung sah sie Masons verschmitztes Lächeln vor sich, als er sie heute bei der Sitzung ertappt hatte. Bei dem Gedanken verspürte sie plötzlich dieses angenehme Kribbeln, das einen kurz vor der Abfahrt bei einer Achterbahnfahrt durchflutet.

Noch nie zuvor war sie so froh darüber gewesen, früher Feierabend machen zu können, auch wenn ihr das einen äußerst missbilligenden Blick von Parker Kane eingebracht hatte.

Als sie zu Hause angekommen war, parkte sie am Bordstein vor der Doppelhaushälfte und lud den Kofferraum aus. Voll beladen mit Tüten aus dem Supermarkt schloss sie die Eingangstür auf. Mit einem Fuß schob sie die Tür nach dem Eintreten zu und ließ den Schlüssel in die Glasschale auf dem Flurtisch fallen. Dann legte sie die Taschen auf den Küchentresen und wandte sich um, um abzuschließen.

„Überraschung“, erklang eine Stimme hinter ihr.

Mit einem erschreckten Aufschrei presste sie die Arme vor die Brust, und es dauerte einen kleinen Moment, bis sie erkannte, wer da gesprochen hatte. Ein Mensch, der ihr vertraut und überaus willkommen war.

„Gott, Jamie!“ Sie schlug auf seinen muskulösen Oberarm. „Erschrick mich doch nicht so.“

„Tut mir leid“, erwiderte er grinsend und rieb sich den Arm. „Ich wollte dich überraschen.“

„Tja, das ist dir gelungen.“ Ihr Herz pochte immer noch wie wild, als sie Jamie umarmte und Dankbarkeit verspürte. In seiner Gegenwart fühlte sie sich geborgen – obwohl sie sich selbst jetzt in ihrem stylishen Business-Outfit im Vergleich zu ihm wie eine graue Büromaus vorkam.

Heute trug er ein körperbetonendes Kurzarmhemd mit einem äußerst unruhigen Muster, Skinny Jeans im angesagten Used Look und dazu Schuhe von Gucci. Sie würde nie aufhören, sich zu fragen, wie er sich von seinem Einkommen als Töpfer Designersachen leisten konnte.

Sie atmete tief aus und kehrte in die Küche zurück, um die Einkäufe wegzupacken. „Mich hätte fast der Schlag getroffen.“

„Das wäre nicht der Fall, wenn du auf mich hören und deine haarsträubend schlechte Trainingsmoral verbessern würdest.“ Schwungvoll setzte Jamie sich auf einen Stuhl an dem Frühstückstresen, von dem aus man in die lange schmale Küche sehen konnte. Genauso hatte er es schon als Kind gemacht. Mit den Ellenbogen stützte er sich auf dem Tisch ab und legte das Kinn auf den Handballen ab. Sein widerspenstiges Haar wirkte in dem schwachen Lichtschein von der Lampe über dem Spültisch fast platinblond.

„Ich arbeite fünfzig Stunden die Woche, sitze täglich zwei Stunden im Zug, kümmere mich abends um Mom und versuche nebenbei noch, Bücher zu schreiben.“ Sie begann, eine der Taschen auszupacken und den Inhalt im Kühlschrank zu verstauen. „Verzeih mir, wenn es mir dabei nicht gelingt, eine Fitnessroutine zu pflegen, die deine Anforderungen erfüllt.“

„Wie geht es denn voran?“ Jamie nahm sich eine Mandarine und pellte sie.

„Was meinst du?“

„Dein Buch.“ Er steckte sich eine Spalte in den Mund.

Nein, das Buch handelte ganz und gar nicht von Mason Kane.

Ja, zwar war der Held ein furchtbar attraktiver Millionär, der möglicherweise einige Äußerlichkeiten mit Mason teilte, doch da endeten die Gemeinsamkeiten auch schon. Ihr Millionär war finster, grüblerisch und verbarg ein schreckliches Geheimnis.

Sie zuckte mit den Schultern. „Wahrscheinlich nur ein Haufen Mist, der nie das Tageslicht erblicken wird, aber ich bin besessen genug davon, um immer weiterzuschreiben.“

„Das sagst du bei jedem Buch, Charlie“, erklärte ihr Bruder kauend. „Wie weit bist du? Hast du schon ein Drittel geschafft?“

„Es stört mich zwar nicht, mit dir über meine gestörte Kreativität zu plaudern, aber was machst du eigentlich hier?“, fragte sie, um vom Thema abzulenken. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass du einfach nur so auf einen Plausch von Boston hierherkommst.“

Jamie legte die Mandarine beiseite und presste die Spitzen seiner Zeigefinger aneinander. „David und ich haben Schluss gemacht.“

„Schon wieder?“ Nach zahllosen nächtlichen Telefonaten und verzweifelten Textnachrichten über das David-und-Jamie-Drama hatte sie allmählich den Überblick verloren.

„Dieses Mal ist es anders“, sagte Jamie.

„Inwiefern?“

„Also, du weißt ja, dass er immer etwas von sich bei mir vergisst, damit er zurückkehren kann, um es zu holen. Und wenn ich ihn dann so sehe, so herzzerreißend traurig und wahnsinnig sexy, dann muss ich einfach vergessen, wie unnahbar und egoistisch er sonst ist.“

„Wie könnte ich das vergessen?“ Sie faltete die leeren Papiertüten und legte sie unter die Spüle in den Wertstoffbeutel.

„Dieses Mal hat er nichts dagelassen“, erklärte ihr Bruder traurig, und sein Schmerz berührte Charlotte zutiefst.

„Wow“, sagte sie. „Das tut mir wirklich leid, Jamie.“

Jamie nickte, und in seinen haselnussbraunen Augen schimmerten zurückgehaltene Tränen. Hastig stand er auf.

„Wie auch immer“, meinte er und sammelte die Mandarinenschale ein, um sie in den Mülleimer zu werfen. „Ich dachte, ich komm einfach mal für eine Weile nach Philadelphia, nehme mir ein bisschen Zeit und suche mir vielleicht einen anderen in sich selbst verliebten, umwerfend gut aussehenden Musiker mit Bindungsängsten. Und hänge natürlich ein bisschen mit dir und Mom ab.“

Charlotte zielte mit einem zusammengerollten Geschirrhandtuch nach seinem Po, doch Jamie gelang es, danach zu greifen und es ihr aus den Händen zu ziehen. „Da wir gerade davon sprechen – wo ist Mom eigentlich?“

„Sie ist mit Gail weg. Donnerstagnachmittag gehen sie immer in den Park.“ Die rührend geduldige und reizende Pflegerin war auch in Charlottes Leben ein fester Bestandteil.

Mit einem Mal sah Jamie ungewöhnlich ernst aus. „Wie geht es ihr?“

Seufzend stützte Charlotte sich auf der Tischplatte in Marmoroptik ab. Auf diese Frage gab es keine einfache Antwort.

Als ihre Mutter vor drei Jahren mit Alzheimer diagnostiziert worden war, hatte sie lediglich einige Stunden täglich Hilfe benötigt. Jemand, der ihr half, an das Essen zu denken, die Medikamente zu nehmen und die Post zu öffnen. Doch nach dem zweiten Jahr ihrer Krankheit hatte sich ihr Gesundheitszustand erheblich verschlechtert.

So war sie durch die Straßen von Landsdale gewandert, hatte Menschen nicht mehr wiedererkannt und Namen vergessen.

Aus diesem Grund war Charlotte zurück in ihr Elternhaus gezogen, um bei ihr zu wohnen.

„Sie … kämpft“, erwiderte sie.

Jamie holte tief Luft. „Du weißt, dass du das nicht ewig machen kannst, oder?“

„Ja, das weiß ich.“ Sie hängte das Geschirrtuch über den Rand der Spüle. „Ich möchte einfach nur, dass sie so lange wie möglich zu Hause bleiben kann.“

Sie hoffte, dass die Erinnerungen an ihr Zuhause ihrer Mutter erhalten blieben. Die Zierkirsche, die ihre Mutter gepflanzt hatte, als Gärtnern noch eines ihrer Hobbys gewesen war. Der antike Schreibtisch mit der alten Schreibmaschine, auf der Charlotte eifrig ihre erste Geschichte über Burt den Hütehund geschrieben hatte. Noch immer glaubte sie, das Klicken der Tasten hören zu können, wenn sie daran dachte.

Es war schwierig gewesen, eine Pflegekraft für die zehn Stunden zu finden, die Charlotte bei Kane Parker arbeitete – und trotz der guten Krankenversicherung kostspielig. Doch gelegentlich überraschte ihre Mom sie, wenn sie beispielsweise gemeinsam die Schwarz-Weiß-Klassiker schauten, die ihre Mutter immer geliebt hatte. So erzählte sie dann, wann sie den Film zum ersten Mal gesehen hatte oder mit wem.

„Wie dem auch sei“, erklärte Jamie, öffnete den Kühlschrank und nahm eine Tüte mit Babykarotten heraus. „Heute Abend hast du jedenfalls frei. Ich werde uns etwas Schönes kochen, wofür ich mich später bei meinem Trainer entschuldigen werde. Wenn Mom dann im Bett ist, schauen wir uns wie in alten Zeiten in Pyjamas Sitcoms an.“

„Um ehrlich zu sein, habe ich schon etwas vor“, begann sie zögerlich.

„So?“ Fragend zog er die Augenbrauen hoch. „Was denn?“

„Ein Date.“ Genau betrachtet war Date nicht die zutreffende Bezeichnung für das sorgfältig geplante Treffen, das sie im Zuge ihrer Recherchen für ihr Buch arrangiert hatte.

„Du unartiges Mädchen.“ Jamie deutete mit einer Babykarotte auf sie. „Warum hast du mir nichts gesagt? Wer ist es? Erzähl mir alles.“

„Sein Name ist Bentley Drake. Er ist Anwalt. Ich habe ihn bei Starbucks getroffen.“ Sie hatte ihn im Internet förmlich gestalkt, nachdem sie von seinen vermeintlichen Beziehungen zu einem illegalen Boxring gehört hatte, zu dem sie schon seit Wochen vergeblich Kontakte hatte knüpfen wollen.

„Bentley Drake“, wiederholte Jamie. „Das klingt wie der Name eines leidenschaftlichen Liebhabers.“

„Darüber kann ich nichts sagen“, erwiderte Charlotte. Sie wusste hingegen, dass Drake über ein markantes Kinn, einen frostigen Blick sowie einen Bartschatten verfügte, der seine Ausstrahlung als Bad Boy unterstrich. Dazu passte die Narbe quer durch eine seiner dunklen Augenbrauen.

Sie hoffte wirklich, dass er ihr dabei half, den völlig unerreichbaren Playboy Mason Kane aus ihren Gedanken zu verbannen und sie auf andere Gedanken zu bringen.

„Dann ist das also euer erstes Date?“, fragte ihr Bruder.

„Soll das etwa heißen, ich hätte schon mit ihm geschlafen, wenn es nicht das erste wäre?“, erkundigte sich Charlotte mit verschränkten Armen.

„Nichts für ungut.“ Abwehrend hob er die Hände. „Ich bin nur froh, dass du nach der Sache mit Trent mal wieder ausgehst.“

Beim Klang dieses Namens hatte Charlotte das Gefühl, als würde ihr jemand einen Fausthieb in den Magen verpassen. Trent Batemann war ihr langjähriger Freund gewesen. Ihre Beziehung war ungefähr so harmonisch wie ein Autorennen gewesen, das mit einem Crash endete – und das brennende Wrack, das am Ende liegen geblieben war, hatte Charlotte geheißen.

Autor

Cynthia St Aubin
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