Historical Weihnachten Band 18

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EIN LICHT IM HERZEN von SUZANNE BARCLAY

Obwohl Lord William Sommerville nie wieder lieben wollte, fühlt er sich von der entzückenden Rosemary unwiderstehlich angezogen. Doch ist sie nur eine schamlose Diebin? Oder gekommen, um an Weihnachten die Dunkelheit in seinem Herzen mit dem Licht der Liebe zu erhellen?

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Seine Augen, seine Hände, sein Mund: Wie sehr hat sich Julia nach Iain gesehnt! Als er sie unterm Mistelzweig küsst, glaubt sie sich im siebten Himmel. Doch Iain ist bei einem Unfall schwer verwundet worden – und auch seine Seele wurde verletzt. Vermag Julias Liebe ihn zu heilen?

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  • Erscheinungstag 04.10.2025
  • Bandnummer 18
  • ISBN / Artikelnummer 8056250018
  • Seitenanzahl 384

Leseprobe

Suzanne Barclay, Terri Brisbin, Julia Justiss

HISTORICAL WEIHNACHTEN BAND 18

Suzanne Barclay

1. KAPITEL

London, 19. Dezember 1387

Es war genau die richtige Nacht, um auf Diebestour zu gehen.

Der Himmel war dunkel und mondlos, die Straßen beinahe menschenleer. Der eisige Wind, der durch die Gassen der Stadt mit ihren Gebäuden aus Stein und Holz pfiff, hatte die meisten Leute in ihre Häuser getrieben. Selbst Cosen Lane in The Steelyard, wo es sonst wegen der nahen Docks laut und geschäftig zuging, lag ruhig da.

Was für Rosemarys Vorhaben genau das Richtige war.

Selbstverständlich ist es keine richtige Diebestour, überlegte sie bei sich und zog selbstgerecht die Nase kraus. Die Ware war schließlich ihr Eigentum. Sie hatte sie gekauft und auch dafür bezahlt. Und jetzt holte sie sie nur ab.

Rosemary zog ihren Mantel enger um sich, während sie wütend zu dem Lagerhaus auf der anderen Straßenseite hinüberstarrte. Geschlagene zwei Stunden lauerte sie nun schon hier in dem dunklen Gässchen. Hätte dieser Narr von einem Mann ihren Erklärungen richtig zugehört, wäre das alles nicht nötig. Aber Master Jasper Pettibone, der Dockvogt des hochwohlgeborenen und offensichtlich einflussreichen Lord William Sommerville, hatte sie wie den letzten Dreck behandelt.

Als sich jetzt die Doppeltür des Lagerhauses öffnete, richtete Rosemary sich auf. Der Wind erwischte einen der Türflügel und donnerte die von Metallbändern zusammengehaltenen Bohlen gegen die Mauer. Helles Licht fiel auf die Straße. Rosemary zog sich vorsichtig in den Schatten zurück.

Ein Mann in grauer Tunika und ausgebeulten Hosen stürzte laut fluchend der Tür hinterher. Er wurde der Dicke John genannt und war einer der Wächter, die drohend dabeigestanden hatten, als Master Jasper Rosemarys einzige Chance zunichtemachte, ihre Familie zu retten. Während John jetzt mit der Tür kämpfte, traten noch zwei Männer aus dem Lager. Es waren ein weiterer Wächter und ein kleinerer Mann, dessen auffälliger weißer Haarschopf im Wind wehte.

Das war Jasper Pettibone, der herzlose, gemeine Kerl, der sie heute Morgen verjagt hatte. „Mach, dass du wegkommst, du lästiges Frauenzimmer“, hatte er sie angeknurrt. „Wenn du keine Rechnung vorzeigen kannst, die beweist, dass du bezahlt hast, bekommst du auch deine Waren nicht.“

„Aber ich sagte Euch doch, dass ich George Treacle die Hälfte bereits …“

„George ist tot.“

„Ich weiß.“ Das Herz war ihr schwer, weil sie ihren Freund verloren hatte. „Bestimmt hat er Lord William Bescheid gegeben, dass ich bezahlt habe.“

„Hat er nicht. Und die Diebe, die ihn umbrachten, stahlen seine Rechnungsbücher. Es gibt also keine Aufzeichnungen.“ Und dabei hatte Jasper sie so wütend angestarrt, als wäre sie an allem schuld. „Mein Herr sagt, wer keine Rechnung vorweisen kann, kriegt auch nichts von Georges Waren.“

„Dann will ich mit Eurem Herrn sprechen und ihm erklären …“

„Einsperren lassen wird er dich, weil du dich seinen Anweisungen widersetzt.“

Rosemary war gegangen, aber sie hatte nicht aufgeben. Ihren Anteil an der Ladung würde sie noch erhalten – die zerstoßene Parietaria officinalis, auf Deutsch nannte man die Pflanze Glaskraut, und ihre kostbare Myrrhe. Aus zusammengekniffenen Augen beobachtete sie jetzt Master Jasper.

„Arnald, hilf John dabei, die Tür zu sichern“, befahl der Vogt. „Gib acht, dass sie fest verschlossen ist.“ Er wandte den Kopf und ließ den Blick aufmerksam über die dunklen, verwinkelten Straßen und die unbeleuchteten Gebäude schweifen.

Rosemary kroch noch weiter in die Gasse zurück und zog sich die Kapuze tiefer in die Stirn. Nicht nur aus Furcht wegen ihrer Tollkühnheit, sondern auch vor Kälte zitternd sah sie zu, wie die Tür geschlossen wurde, und hörte das Klacken von Schritten, das von den Gebäuden widerhallte und langsam verklang. Immer noch zögernd beobachtete sie, wie der Wind mit der Tafel über der Tür spielte. Sie war geformt wie ein großer Schild. Über der diagonalen Linie waren drei Schiffe und darunter das Wappen der mächtigen Familie Sommerville zu sehen. Dieses Lagerhaus, sein Inhalt und drei seetüchtige Schiffe gehörten Lord William Sommerville. Er muss ein ganz schön arroganter Adelssprössling sein, dachte Rosemary und stellte sich einen aufgeblasenen, alten Mann mit mindestens drei Doppelkinnen und kleinen, harten Augen vor.

Rosemarys Entschluss stand fest. Die Myrrhe gehörte ihr. Sie hatte George Treacle die Hälfte des Preises als Abschlag gezahlt und würde so oder so dafür sorgen, dass sie ihre Ware erhielt. Wieder schweifte ihr Blick zum Lager hinüber.

Ob sie drinnen eine Wache zurückgelassen hatten? Ihre Hand fuhr zu dem Messer an ihrer Hüfte. Mit seinem Gebrauch war sie vertraut, denn ihr Vater hatte darauf bestanden, dass sein kleines Mädchen nicht in dem wilden, gesetzlosen London herumlief, ohne sich verteidigen zu können. Aber würde sie ihre Geschicklichkeit auch nutzen können, wenn es darum ging, ihr Eigentum zu fordern?

Rosemary seufzte. Gebe Gott, dass es nicht dazu kam. Und da sie gerade dabei war, gebe Gott, dass ihr Erfolg beschieden war. Ohne die Myrrhe standen sie und ihre kleine Familie vor dem Ruin.

Es war der Mut der Verzweiflung, der sie die Furcht überwinden ließ. Sie legte den Mantel ab, der hinderlich sein konnte, wenn sie am Abflussrohr an der Rückseite des Lagerhauses hinaufkletterte. Dann schlich sie aus ihrem Versteck und huschte über die Straße. Der Wind zerrte an der Kappe, die den oben auf dem Kopf festgesteckten Zopf verbarg. Er drang kalt durch die grobe Wolle der Tunika und der Hose, die sie sich von Malcolm, dem Lehrling ihres Onkels, geliehen hatte.

Die beißende Kälte erinnerte sie ebenfalls daran, was alles auf dem Spiel stand. Wenn ihr Vorhaben nicht gelang, würden sie die Apotheke verlieren und auf die Straße geworfen werden. Sie und Malcolm könnten den Winter vielleicht überleben. Onkel Percy, alt und krank wie er war, würde noch nicht einmal zwei Wochen überstehen.

Eine Katze sprang kreischend von einem Regenfass und ergriff die Flucht, als Rosemary um das Gebäude herumging. Ihr stand beinahe das Herz still. Keuchend lehnte sie sich an die Mauer und überblickte hastig das Gelände. Erstaunlicherweise war es frei von irgendwelchem Gerümpel. Und was noch wichtiger war, kein Wächter patrouillierte hier.

Sie ging zu dem tönernen Rohr, durch das die Regentonne gefüllt wurde. Es fühlte sich glatt und kalt an. Aber weil es im Erdgeschoss keine Fenster gab, hatte sie von Anfang an entschieden, dass der Weg über das Regenrohr ihr die beste Möglichkeit bot, ins Innere zu kommen. Es reichte an dem Gebäude zwei Stockwerk hoch bis zum Dach hinauf und führte dabei im zweiten Stock an einem schmalen, mit Läden verschlossenen Fenster vorbei. Die Metallbänder, die dazu da waren, das Regenrohr an der Wand festzuhalten, lagen eng genug beieinander, um Rosemary als Leiter zu dienen.

Sie kletterte auf den Rand des Regenfasses und überprüfte ihre Theorie. Die Bänder knirschten, aber sie trugen ihr Gewicht. Die Kletterei ging langsam voran und war gar nicht so einfach, aber sie war zu bewältigen. Gott sei Dank hatten ihre Eltern, Gott schenke ihren Seelen Frieden, nie etwas gegen Rosemarys Vorliebe einzuwenden gehabt, vorzugsweise mit den Buben der Nachbarschaft zu spielen. Wenn ihre arme Mutter und ihr armer Vater natürlich gewusst hätten, dass die beliebteste Mutprobe der Kinderbande darin bestand, aufs Kirchendach zu klettern und den First entlangzulaufen, hätten sie ihre Tochter in der Apotheke eingesperrt.

Als Rosemary auf einer Höhe mit dem Fenster war, schätzte sie die Maße des Fensterbretts ab. Sie stellte fest, dass es zwar schmal, aber begehbar war. Sie beugte sich vor, stellte einen Fuß auf das Sims und zog das Messer aus seiner Scheide. Die Spitze der Klinge passte zwischen die beiden Hälften der Läden und rührte an den Metallhaken, der sie von innen zusammenhielt. Zwei rasche Drehungen ihres Handgelenks, und sie hatte den Haken nach oben gedrückt.

Die Läden öffneten sich und schwangen auf gut geölten Angeln nach innen. Während sie sich am Fensterflügel festhielt, stieg sie auf den Sims und sah vorsichtig ins Innere des Raumes. Der Schein eines Kaminfeuers hellte die Dunkelheit ein wenig auf. Das hier musste Jaspers Kontor sein, denn unter dem Fenster stand ein Tisch, der mit Papierstapeln und Rechnungsbüchern bedeckt war.

Vorsichtig, damit sie nichts durcheinanderbrachte, schlüpfte Rosemary durch das Fenster, sprang auf den Tisch und dann auf den Boden. Er war mit einem dicken Teppich bedeckt. Sommerville musste wirklich reich sein, wenn er seinen Vogt mit solchem Luxus ausstatten konnte. Die weiche Wolle schluckte jedes Geräusch ihrer Schritte, als sie zur Tür schlich, die sie auf der anderen Seite des Raumes schwach erkennen konnte. Auf ihrem Weg kam sie an zwei hochlehnigen Sesseln vorbei, die vor dem Kamin standen, und einer Wand, an der stabil aussehende Truhen aufgereiht waren. An jeder glänzte ein schweres Schloss.

Ob sie wohl voller Münzen und Juwelen waren? Wäre sie wirklich eine Diebin, hätte sie versucht, die Schlüssel zu finden, dann die Truhen geöffnet und sie geleert. Aber sie wollte nur das, was ihr gehörte.

Erstaunlicherweise war die Tür nicht verschlossen. Entweder war Master Jasper unvorsichtig oder so eingebildet, zu glauben, das Lager wäre einbruchsicher. Was bewies, wie sehr er sich irrte, denn das Gebäude konnte sogar von einer Frau geknackt werden.

Schmunzelnd öffnete sie die Tür. Der muffige Geruch nach Wolle und der scharfe Duft von Gewürzen bewiesen, dass Lord William mit den unterschiedlichsten Waren handelte. Rosemary war vorsichtig. Sie sah, dass das schwache Licht des Feuers nur bis auf die ersten Stufen fiel. Es reichte nicht aus, um ihr den Weg zu zeigen. Unter ihr und um sie herum gähnte der weitläufige Lagerraum wie ein riesiger, schwarzer Schlund. Die kalte, mit Gerüchen geschwängerte Luft schien vor gedämpfter Erwartung zu vibrieren.

War dort unten jemand? Nein, sie hätten sich bemerkbar gemacht, als sie die Tür öffnete. Rosemary kehrte zum Amtszimmer zurück, nahm eine Kerze vom Tisch und zündete sie an der Glut im Kamin an. Seltsam, wie ein nur schwach flackerndes Licht einem doch Vertrauen einflößen konnte.

Zurück auf der Treppe hielt sie die Kerze hoch. Ihre schwachen, blassen Strahlen konnten die entfernten Wände des Lagerhauses nicht erreichen. Doch sie glitten über ein Meer von Handelswaren. Von ihrem Besuch am Morgen erinnerte sie sich noch an ordentliche Reihen von Kisten, Tonnen und Fässern, die auf den Transport zu Käufern in London und darüber hinaus warteten. Die Schiffsladung, die auch ihre Myrrhe enthielt, lag einen Gang von dem großen Eingangsportal entfernt und war mit Segeltuch bedeckt. Dorthin war nämlich Master Jaspers Blick gegangen, als Rosemary sich ihm vorgestellt hatte.

Sie entdeckte den mit Segeltuch bedeckten Stapel, eilte die Treppe hinunter und kniete sich nieder, um unter das Tuch zu schauen. Da standen ein Dutzend kleine Truhen. Sie waren zusammengebunden und jede mit einem stabil aussehenden Schloss gesichert.

„Verdammt“, murmelte Rosemary. Gebe Gott, dass Master Jasper nicht auf die Idee kam, vor Morgengrauen zurückzukehren, denn die Zeit bis dahin würde sie brauchen, um die Kästen zu öffnen und ihre Myrrhe zu finden. Sie stellte den Kerzenhalter auf den festgestampften Boden, zog das Messer aus dem Gürtel und begann das Schloss der obersten Truhe zu bearbeiten.

Ein fast unhörbares Rascheln hinter ihr warnte Rosemary, dass sie nicht allein war. Erschrocken hielt sie die Luft an und drehte sich um.

Zu spät.

Ein langer Arm packte sie um die Taille und zerrte sie gegen einen Körper, der hart wie Fels war. „Wo ist der Rest deiner Mörderbande?“, zischte eine kalte Stimme ihr ins Ohr.

Die Worte vermochten kaum ihr Entsetzen zu durchdringen. „La… lasst mich los!“ Rosemary trat um sich. Mit dem rechten Fuß traf sie das Bein ihres Gegners und erntete dafür eine Welle des Schmerzes in ihrem eigenen.

„Zum Teufel!“ Der Arm des Mannes schloss sich noch fester um ihre Rippen und presste ihr die Luft aus den Lungen. „Halt still. Sag mir, wo sie sind!“

Sie? Vor Rosemarys Augen tanzten schwarze Punkte, und ihre Lungen brannten vor Verlangen nach Luft. Sie wurde nur noch von einem einzigen Gedanken beherrscht: Wie konnte sie sich von dem Kerl befreien? Mit letzter Kraft richtete sie das Messer gegen den Arm, der sie umfasst hielt.

Die Klinge glitt an der Oberfläche seines Kettenhemdärmels ab, rutschte dann zwischen zwei Kettenglieder und traf. Ihr Häscher fluchte laut in irgendeiner fremden Sprache. Für den Bruchteil eines Augenblicks lockerte sich sein Griff.

Rosemary, die daran gewöhnt war, jede Gelegenheit zu ergreifen, die sich ihr im Leben bot, entwand sich seinem Griff. Das Messer immer noch umklammert stolperte sie auf den dunklen Gang zwischen den Truhen und Tonnen zu.

„Miststück!“, schrie der Mann. Sie hörte seine Schritte hinter sich. Viel zu nahe. Noch ein Schritt, und er würde sie erneut packen.

Rosemary fuhr herum und hielt abwehrend das Messer hoch. Ihr Atem ging stoßweise, und sie war der Panik gefährlich nahe. „Bleibt zurück! Ich zögere nicht, das hier zu benutzen, wenn ich muss.“

Der Mann blieb stehen. Sein Atem ging ebenso schnell wie der ihre. Er war viel größer als sie. Im flackernden Kerzenlicht war sein Gesicht eine wütende Maske. Rosemary hatte den flüchtigen Eindruck strenger Gesichtszüge, die von schulterlangen, sonnengebleichten Haaren eingerahmt wurden. Es waren seine Augen, die ihre Aufmerksamkeit weckten. Sie waren so dunkel, dass sie fast schwarz erschienen, und sie glühten vor Zorn. Sein Blick wanderte zu ihrem Messer. „Hast du das bei George Treacle benutzt?“

„Nein, natürlich nicht“, zischte sie. „Er war mein Freund.“

„Das sagst du.“ Regungslos stand er da, doch der muskulöse Körper bebte förmlich vor Spannung. Er ähnelte einer sprungbereiten Katze.

Rosemary schloss die verschwitzte Hand fester um den Griff des Messers. „George liefert … lieferte mir Kräuter und ähnliche Sachen für meinen Laden.“

„Deinen Laden?“, schnaubte er. Die harten Augen wanderten verächtlich über ihre verschmutzte Gestalt. „Du bist keine Händlerin. Hat dich dein niederträchtiger Anführer hierher geschickt, weil er glaubt, eine Frau bestrafe ich nicht, wenn ich sie in meinem Lagerhaus beim Stehlen erwische?“

Seine Schroffheit verletzte Rosemary. Kerzengerade richtete sie sich auf und erwiderte: „Ich bin auch keine Diebin. Ich kam, um zu holen, was rechtmäßig mir gehört.“

Wieder ließ er ein Schnauben hören. „Du brichst hier ein und sprichst von Rechtmäßigkeit?“

Wütend erwiderte Rosemary seinen Blick. Ihr Temperament, das sie nie zu zügeln gelernt hatte, brachte seine Verachtung zum Kochen. „Ich war gezwungen, einzubrechen, weil diese dummen, eingebildeten Männer, die Euer Herr hier beschäftigt, keine Vernunft annehmen wollten.“

„Mein Herr?“ Er hob erstaunt die Brauen.

„Aye, dieser Lord William, den George anheuerte, um unsere Gewürze zu importieren. Ich will ja nicht schlecht von meinem toten Freund sprechen, aber ich glaube, George zeigte wenig Urteilsvermögen, als er die Dienste eines so niederträchtigen Menschen in Anspruch nahm.“

„Niederträchtig?“ Er machte große Augen, sodass die feinen Falten, die sie umgaben, sich weiß von der bronzefarbenen Haut abhoben.

„Ja, niederträchtig“, bekräftigte Rosemary. Sie entschied, dass der Wächter alles in allem gar nicht so schlecht aussah, wenn er die Stirn einmal nicht furchte und sie nicht anknurrte. „Das muss er ja wohl sein, wenn er solch grausame und herzlose Bedienstete beschäftigt.“

„Grausam?“ Er runzelte die blonden Brauen, während er ihre Worte bedachte. „Also ich finde, dass ich mich mehr als freundlich benehme, wenn man bedenkt, dass du hier eingebrochen …“

„Dazu wäre ich nicht gezwungen gewesen, wäre Master Jasper heute Morgen meinem Ansuchen nachgekommen und hätte mir meine Fracht ausgehändigt. Aber nein, er schob mich auf die Straße, bevor ich ihm auch nur zur Hälfte alles erklären konnte.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Ich hatte gar keine andere Wahl, als heute Nacht wiederzukommen und mir zu nehmen, was mein ist.“

„Du hättest die Angelegenheit Lord William vortragen können.“

„Darum habe ich ja gebeten. Aber Jasper sagte, sein Herr würde nicht mit einer Frau reden. Und wenn ich mich widersetzte, würde er mich ins Gefängnis werfen lassen.“

„Hm.“ Der Mann strich sich das stoppelige Kinn. „Jasper war ein wenig zu eifrig in seiner Pflichterfüllung.“

Rosemary nickte. „Er trug Arnald auf, mich davonzujagen.“

„Und … jagte er dich davon?“

„Aye. Arnald sieht aus wie einer, der einem den Arm bricht, wenn er ihn nur anrührt.“ Sie lächelte schuldbewusst. „Aber ich bin nicht weit gegangen.“

Es zuckte um seine Lippen, aber er lächelte nicht. „Noch hast du dich von dem Lagerhaus ferngehalten.“

„Das konnte ich doch nicht.“ Rosemary sah ihm tief in die braunen Augen. Sie las darin kein Mitleid, keinen Funken Mitgefühl. Aber wenigstens schien er bereit, ihr zuzuhören. Und das war immerhin mehr, als Jasper ihr zugebilligt hatte. „Ich muss die Gewürze haben, die George für mich bestellt hat.“ Unbewusst trat sie einen Schritt vor und legte die Hand auf den Arm des Soldaten. „Wenn Ihr mir helfen würdet …“

„Was bietest du mir dafür?“, brummte er.

„Ich kann Euch die andere Hälfte dessen zahlen, was ich George schuldete.“

„Ist das alles?“

Rosemary sah ihn fest an und nickte. Sie spürte seine geschmeidigen Muskeln unter ihrer Hand. Die Bewegung schickte einen seltsamen Schauer über ihren Arm und weckte ein komisches Gefühl in ihrem Bauch. „Ich bin nicht reich.“

„Du bist jung und schön. Würdest du in dieser Münze zahlen?“

„In dieser Münze zahlen?“ Rosemary blinzelte verwirrt und versuchte den raschen Wechsel von Vorsicht zu Verachtung zu verstehen. „Oh!“, rief sie aus, als sie den Sinn seiner Worte erkannte. Betroffen riss sie die Hand von seinem Arm und trat einen Schritt zurück.

„Beleidigt?“ Er trat auf sie zu, zwang sie so, rückwärtszugehen, bis sie gegen einen Stapel kleiner Fässer stieß, die stark nach Wein rochen. „Oder beabsichtigst du, mit deiner Weigerung mein Interesse anzufeuern? Wenn ja, dann ist das nutzlose Liebesmüh. Für Frauen habe ich im Allgemeinen nur wenig Verwendung. Ich interessiere mich überhaupt nicht für sie.“

„Nun, da seid Ihr bei mir genau richtig“, schnappte Rosemary. „Denn ich habe keine Verwendung für Männer.“

„Hast du das auch George erzählt? Hast du dir so deinen Weg in sein Haus erschlichen? Hast du ihn getötet, bevor oder nachdem du erfuhrst, dass er nicht besaß, was du wolltest?“

„Ich habe George nicht getötet, du sturer Töl…“

Die Tür zum Lagerhaus flog mit lautem Krachen auf.

„Mylord?“ Arnald stürmte herein, gefolgt von Jasper.

„Lord William, wo seid Ihr?“, rief der Vogt.

„Ich bin hier“, erwiderte der Mann, den Rosemary gerade einen Tölpel genannt hatte.

„Lord William?“ Mit offenem Mund und wachsendem Entsetzen starrte Rosemary ihn an. Erst jetzt fiel ihr auf, was sie zuvor übersehen hatte: der teure Stoff und der feine Schnitt seiner schwarzen Tunika und Hose. Der aristokratische Schwung seiner Nase, als er so arrogant auf sie hinabsah. „Oh, mein Gott!“

„Ihr habt den Dieb gefangen!“, rief Arnald aus.

Lord William starrte sie böse an. „So scheint es.“ Er wandte sich leicht um und fügte über die Schulter hinzu: „Sucht nach einem Strick.“

Mehr brauchte Rosemary nicht zu hören. Sie wartete nicht länger, sondern stürzte um den Stapel kleiner Fässer herum, gab ihnen im Vorbeirennen einen festen Stoß und lief weiter. Das Rumpeln der herabrollenden Weinfässer, das scharfe Krachen und Gurgeln, als ein oder zwei davon zerbrachen, entlockten ihr ein Lächeln. Lord Williams gebrüllte Flüche ließen aus ihrem Lächeln einen Schrei des Triumphs werden, während sie die Treppe zum Kontor hinaufkletterte und so mit etwas Glück in die Freiheit entwischte.

2. KAPITEL

26. Dezember, St. Stephen’s Day

William Sommerville, zweiter Sohn des Earl of Winchester, besaß drei Segelschiffe, einen florierenden Schiffshandel und ein kleines Gut, das er von seinem Großvater väterlicherseits geerbt hatte. Er verfügte über ausgezeichnete Beziehungen, sah gut aus, war reich … und unglücklich.

Seit fast einem Jahr hatte er keinen einzigen glücklichen oder friedlichen Augenblick erlebt, wie ihm jetzt bewusst wurde, während er aus dem Fenster des Schlafgemachs blickte, das er gewöhnlich im Stadthaus seiner Eltern bewohnte. Elf Monate, zwei Wochen und sechs Tage, um genau zu sein.

Am Dreikönigstag des vergangenen Jahres hatte er das Wichtigste in seinem Leben verloren: seine Ella. Wenn Ella la Beaufort nicht gestorben wäre, hätten sie im vergangenen Frühjahr geheiratet. Und mit etwas Glück hätte sie jetzt ihr erstes Kind erwartet.

Sein Glück und sein Lebenswille hatten ihn an jenem kalten und frostigen Morgen verlassen, an dem Ella von ihm genommen wurde.

„Hör auf, dich zu quälen“, brummte eine trockene Stimme. Will fuhr herum und sah zum Kamin, wo sein älterer Bruder vor dem knisternden Feuer saß. „Tu ich doch gar nicht“, log William.

Richard seufzte. „Ich ertrage es einfach nicht, dich so leiden zu sehen.“

„Dann geh. Keiner hat dich gebeten zu kommen.“

„Mutter hat mich darum gebeten.“ Richard trat zum Fenster. „Sie machte sich Sorgen, weil du zu Weihnachten nicht nach Ransford gekommen bist.“ Er drückte leicht Wills Schulter. „Komm mit mir nach Hause, wenigstens bis nach Dreikönig. Wir wollen nicht, dass du den Tag allein verbringst.“

William blickte in das Gesicht, das dem seinen so ähnelte, dass man sie oft fälschlicherweise für Zwillinge hielt. Doch bei aller äußerlichen Ähnlichkeit waren sie innerlich völlig verschieden. Richard war der zukünftige Erbe einer Grafschaft und zufrieden damit, den gewaltigen Besitz der Sommervilles zu beaufsichtigen. William war der Rebell, der mehr nach der Familie seiner Mutter schlug. Er war Kaufmann geworden. „Ich werde kommenden 6. Januar nicht in London sein. In einigen Tagen – sobald diese Angelegenheit mit der Gewürzdiebin erledigt ist – werde ich nach Italien segeln.“

Und nie zurückkehren. Aber das konnte er Richard nicht sagen. Die Eltern sollten es als Erste erfahren. Das war er ihnen schuldig.

„Und deinen Schmerz wirst du mitnehmen. Kannst du deinen Kummer nicht loslassen und dich wieder den Lebenden zugesellen, William?“, fragte Richard leise.

„Wärst du fähig, fröhlich so weiter zu leben, wenn, Gott möge es verhüten, deiner Mary etwas zustieße?“

„Ich wäre am Boden zerstört“, gab Richard ernst zu. „Wahrscheinlich würde ich das Gleiche tun wie du. Toben, trinken und mich in meinem Kummer baden. Aber dann würde ich mich zusammenreißen und weitermachen. Wenn schon nicht um meinetwillen, dann um der Familie und meiner Söhne willen.“

„Aye, du hast wenigstens Gareth und Geoff. Etwas, was dir von Mary bliebe, um dir Kraft zu geben und dich nach vorne blicken zu lassen. Ich aber …“

„Du hast uns.“ Mit angstvollem Gesicht packte Richard seinen Bruder bei den Schultern und schüttelte ihn. „Genügt das nicht, um zu leben?“

„Ich sterbe nicht, Richard.“ Auch wenn es nach Ellas Tod Tage gegeben hatte, an denen er darum bat, mit ihr vereint zu sein. „Ich reise nur nach Italien, um mich um meine dortigen Geschäftsangelegenheiten zu kümmern.“

Richards dunkle, braune Augen hielten Williams Blick fest. Er vermochte hinter seine Maske zu schauen. „Du wirst nicht zurückkehren, nicht wahr?“

William seufzte. „Ich kann hier nicht bleiben. In England gibt es zu viele Erinnerungen für mich. Wo ich gehe und stehe sehe ich Ella. Mein Gott!“ Er fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. „Ich kannte sie schon mein ganzes Leben lang. Sie war mein Leben.“

„Es tut mir so leid.“ Richard umarmte seinen Bruder und hielt ihn fest, wie er ihn Jahre zuvor gehalten hatte, als sie noch kleine Jungen von elf, zwölf Jahren gewesen waren. William war von einem Baum gefallen und hatte sich den Arm gebrochen. Es war ihnen verboten gewesen, auf diesen Baum zu steigen. Richard, der seinem Bruder gefolgt war und ihn abstürzen sah, hatte um Hilfe geschickt und William gehalten, bis die Hilfe kam.

Der Schmerz, den William damals gespürt haben mochte, war nichts gegen das, was er jetzt immer noch fühlte, fast ein Jahr nachdem er Ella verloren hatte. Die Sommervilles liebten nur einmal und dann für das ganze Leben. Er hatte seine Ella gefunden, als er zehn war und sie fünf. Ganze elf Jahre waren ihnen nur vergönnt gewesen. Jahre, in denen sie miteinander aufwuchsen und darauf warteten, dass Ella das Alter erreichte, in dem sie heiraten konnten. Jetzt musste er irgendwie mit der öden Verzweiflung eines Lebens ohne sie fertig werden. Das Herz war ihm so schwer, dass es ihm die Kehle zuschnürte.

„Ich danke dir, Richard“, sagte William mit heiserer Stimme. Er löste sich aus der brüderlichen Umarmung und versuchte ein Lächeln. Doch es wirkte gezwungen. „Aber ich muss gehen.“

Richard räusperte sich. „Wir brauchen dich hier.“

Nein, das taten sie nicht. Nach dreißig Ehejahren gingen seine Eltern immer noch völlig ineinander und in ihrer Arbeit auf. Gareth Sommervilles Beschäftigung war es, Streitrösser zu züchten, während Lady Ariannas ungewöhnliche Lieblingsbeschäftigung die Goldschmiedekunst war, die sie ganz in Anspruch nahm. Richards Tage und Nächte waren von Mary und seinen Söhnen ausgefüllt.

William besaß nichts außer seinen Handelsgeschäften. Er arbeitete wie ein Besessener. Er suchte in fremden Häfen nach neuen Waren, mit denen er seine Kunden locken konnte, und überwachte dann den Schiffstransport nach England. Sein Arbeitspensum füllte jede seiner wachen Stunden aus und sandte ihn erschöpft zu Bett. Trotzdem fand er keinen Frieden. Im Schlaf, wenn er sich denn endlich einstellte, verfolgten ihn Träume. Träume, die von dem handelten, was hätte sein können.

„Ich werde oft schreiben und euch jedes Jahr besuchen“, versuchte William seinen Bruder zu beschwichtigten.

Aber nie während der verfluchten Weihnachtstage.

„Davonzulaufen sieht dir eigentlich nicht ähnlich“, meinte Richard argwöhnisch.

„Ich tue, was ich tun muss.“ Sonst werde ich noch verrückt.

„Ella würde es nicht wollen. Sie wollte …“

„Sag jetzt nicht, sie würde wollen, dass ich heirate“, knurrte William.

„So grausam bin ich nicht.“ Aber Richards Gesicht verriet, dass er es gedacht hatte. Jeder dachte so.

„Ich habe kein Interesse daran, eine andere Frau zu finden.“ Aber vor Williams innerem Auge tauchte das lebhafte Bild eines schönen, schmutzigen Gesichts mit stolzen, hellbraunen Augen auf. Das Gesicht der Gewürzdiebin.

Eine Woche hatten seine Männer gesucht und trotzdem keine Spur von ihr gefunden. In der Hoffnung, die Männer des Sheriffs könnten George Treacles Rechnungsbuch übersehen haben, war William selbst in den Laden des Händlers gegangen. Doch die Diebe, die ihn ermordeten, hatten es mitgenommen. So hatte William keine Möglichkeit herauszufinden, ob seine Diebin eine Kundin des alten Händlers war.

Ach was! Sie war eine Diebin und damit Schluss. Sie brachte es nur einfach besser fertig als die meisten, rührend zerbrechlich und aufrichtig auszusehen. Viel besser. Obwohl er sie beschimpft und sich abfällig über ihren Charakter geäußert hatte, wollte ein Teil von ihm gerne glauben, dass sie die Wahrheit sagte, dass sie keine Mörderin war, sondern eine Kaufmännin, die verzweifelt nach ihrer Ware verlangte.

Nach welcher Ware? George hatte ihm den Auftrag erteilt, dreißig verschiedene Kräuter und Gewürze für ihn einzukaufen. Manche davon waren selten … Myrrhe und Parietaria … was immer das sein mochte; andere, wie die Wurzel der Alraune, waren zwar teuer, aber weniger exotisch. Welche Gewürze brauchte diese Kindfrau so verzweifelt, dass sie den Gefahren trotzte, die nach Einbruch der Dunkelheit in den Londoner Docks lauerten? Dass sie, um sie zu erhalten, die glitschige Regentraufe hinaufkletterte und sich seinem Zorn stellte? Wenn er das wüsste, besäße er vielleicht einen Schlüssel. Zum Beispiel könnte er dann herausfinden, was für eine Art von Laden sie besaß.

Wenn sie denn einen besaß.

Gedankenverloren rieb William sich die Stelle, an der ihr Messer sein Kettenhemd durchbohrt und seine Spur hinterlassen hatte. Es war nur ein kleiner Stich, nicht mehr. Er setzte ihm weniger zu als die Erinnerung daran, wie er sie in den Armen gehalten hatte. Auch wenn es nur ein kurzer Augenblick gewesen war, konnte er das seltsame, berauschende Gefühl nicht vergessen, das ihn dabei erfüllt hatte.

Sicher war es nur der Triumph gewesen, eine Diebin gefasst zu haben. Ja, das musste der Grund gewesen sein, warum er so empfunden hatte. Die geheimnisvolle Frau faszinierte ihn derart, dass er in der vergangenen Nacht tatsächlich von ihr anstatt von Ella geträumt hatte. Mit hämmerndem Puls und brennender Lunge hatte er die Diebin durch dunkle, verwinkelte Gassen verfolgt. Stärker und schneller als sie hatte er sie schließlich erwischt. Aber als er in ihr erschrecktes Gesicht blickte, war die Wut verschwunden, die ihn angetrieben hatte.

„Helft mir“, hatte sie geflüstert.

„Sag es mir jetzt. Was brauchst du?“

„Euch“, hatte sie gemurmelt, und sein erstarrtes Herz hatte einen Sprung getan.

„Was ist los?“, fragte Richard.

„Wie bitte?“ Zitternd schüttelte William den Albtraum der Nacht ab und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Bruder, der ihn stirnrunzelnd betrachtete.

„An was hast du gerade gedacht?“

„Daran, dass ich Georges Mörder finden muss“, log er. „Warum?“

Richard legte den Kopf schräg. „Weil du plötzlich lebendig ausgesehen hast.“

„Ich bin lebendig.“ Ein Zustand, den er mehr als einmal in diesem Jahr verflucht hatte.

„Nein, du lebst, du existierst, aber du bist nicht lebendig.“

„Richard, hör auf, in mich zu dringen.“

„Gut“, seufzte Richard und schüttelte den Kopf. „Ich überlasse dich deinem halben Leben, aber …“ Sein Gesichtsausdruck verhärtete sich. „Versprich mir, dass du Mutter und Vater noch einmal besuchen wirst, bevor du segelst.“

„Natürlich. Ich muss ein paar Tage in London bleiben, um diese Diebe zu fangen. Dann werde ich nach Ransford fahren.“

„Wieso mischst du dich in diese Angelegenheit ein? Der Bürgermeister und der Sheriff von London sind sicher fähig, sie zu fangen …“

„Es hat sich gezeigt, dass sie es nicht sind. Drei Monate beraubt diese Diebesbande jetzt schon die Gewürzimporteure der Stadt. George ist nur ihr letztes Opfer von dreien.“ William seufzte aufgebracht. Als die ersten Morde stattfanden, war er in den Ländern rund ums Mittelmeer auf der Suche nach der Myrrhe gewesen, die George bestellt hatte. Nur um dann heimzukehren und zu entdecken, dass George seit zwei Wochen tot war. „Londons Ordnungshüter sind überarbeitet. Und der Mangel an Spuren erschwert ihnen die Arbeit. Wer auch immer dahintersteckt, diese Bastarde sind gerissen. Sie schlagen schnell zu, hinterlassen keine Spuren und keine lebenden Zeugen.“

War seine diebische Elster eine von ihnen? Das Selbstvertrauen, mit dem sie ihr Messer schwang, ließ die Vermutung zu; dass sie zögerte, es zu benutzen, deutete auf das Gegenteil hin. Und sie war allein gewesen. Keine einzelne Person, weder Mann noch Frau, konnte diese Verbrechen begangen haben. Es brauchte mehrere Leute mit einem Karren, um die Gewürze rasch und geräuschlos fortzuschleppen.

„Das klingt gefährlich, William. Ich glaube …“

„Ich habe eine Menge Männer, um mich zu schützen“, sagte William, als die Stadtglocke dreimal läutete. „Und jetzt entschuldige mich bitte. Ich habe versprochen, an den Festlichkeiten teilzunehmen, die im Rathaus stattfinden.“

„Ach ja?“, rief Richard aus. „Das ist gut. Ausgezeichnet.“

„Ich gehe nicht hin, um mich zu unterhalten. Es ist geschäftlich.“

Es ging darum, diese Diebe zu fangen. Aber er bezweifelte, dass die Details seines wagemutigen und gefährlichen Plans seinem Bruder gefallen würden.

„Nun, wenigstens gehst du mal wieder unter Menschen“, sagte Richard, während er seinen Mantel nahm, den er zum Trocknen über eine Stuhllehne gehängt hatte. Der Jahreszeit angemessen war es ein nasser Tag gewesen. Aber just zu dieser Stunde klarte der Himmel auf. „Es sieht aus, als würde es eine schöne Nacht zum Feiern.“

„Aye“, erwiderte William, ohne sich anmerken zu lassen, was er wirklich dachte. Es würde eine schöne Nacht für ein Fest sein – aber auch eine schöne Nacht, um einer Mörderbande eine Falle zu stellen.

„Na, bist du jetzt nicht doch froh darüber, dass du der Einladung zugestimmt hast?“, flötete Lady Muriel FitzHugh.

Rosemary riss ihre Gedanken von den vielen Problemen los, die sie beschäftigten, und blickte sich um.

Die Luft im großen Rathaussaal summte förmlich von all den unterhaltsamen Gesprächen, gar nicht zu reden vom Geruch der parfümierten Körper und des Rauchs der Feuer, die in den beiden großen Kaminen an den jeweils gegenüberliegenden Seiten des Gewölbes brannten. Diener eilten hin und her und stellten saftige Braten, Pasteten und Pudding auf Tische, die an einer Wand aufgereiht waren. Die Spaßmacher stürzten sich auf jede neue Speise, rissen große Fleischbrocken von den Knochen herunter und stopften sich hemmungslos voll.

„Sie ähneln einem Schwarm Stare“, murmelte Rosemary.

„Wer kann ihnen einen Vorwurf machen? Die vierzig Fastentage des Advents endeten gestern. Wir alle hungern nach Fleisch und Süßigkeiten.“ Muriel steckte sich ein Stück gebratenen Hasen in den Mund und schnappte sich dann zwei Becher Wein von einer Speisenaufträgerin. „Entspanne dich und genieße. Die Tage zwischen Weihnachten und Neujahr sind die einzige Unterbrechung, die wir in unserer Arbeit haben.“

Rosemary nickte abwesend.

„Alle sind sie gekommen“, flüsterte Muriel. „Der Bürgermeister, die Stadträte und die Edlen von König Richards Hof. Mein Herbert sagt, wenn der König nicht gerade zur Jagd in Kent wäre, wäre er auch gekommen.“ Ihre blauen Augen tanzten hierhin und dorthin, und ihr rundes Gesicht glühte vor Aufregung.

Rosemary musste gegen ihren Willen lächeln. „Ja, es gibt nichts, was sich mit dem großen Weihnachtsbankett im Londoner Rathaus vergleichen ließe.“

„Wie hübsch all das Grün aussieht.“ Muriel deutete auf die Tannen- und Stechpalmenzweige, die zwei Stockwerke über ihnen von den Holzbalken der Decke herabhingen. Es war unmöglich, in Muriels Gesellschaft bedrückter Stimmung zu sein. Als Tochter eines wohlhabenden Tuchhändlers hatte sie in den Adel eingeheiratet – zwar nur den dritten Sohn eines Barons wohlgemerkt, aber immerhin von Adel. Ihr Herbert war ein niederer Repräsentant bei Hofe, schon älter und ziemlich aufgeblasen, aber ein Ehemann, der in sie vernarrt war.

Ein unangenehmer Ausschlag hatte Muriel vor einem Jahr zur Bainbridge Apotheke geführt. Der Ausschlag war von Rosemarys Kamillesalbe vertrieben worden, und zwischen den beiden Frauen war eine Freundschaft entstanden. Jetzt war die liebe Muriel eifrig bemüht, Rosemary so viele adelige Stammkunden wie möglich zu beschaffen. Ohne diese Kunden hätte die Apotheke vielleicht schon vor Monaten schließen müssen.

Dass sie immer noch in Gefahr waren, die Apotheke zu verlieren, dämpfte Rosemarys Heiterkeit ein wenig. „Alles sieht reizend aus. Und ich bin froh, dass du mich überredet hast zu kommen. Aber jetzt sollte ich zu Onkel Percy zurückgehen.“

„Bah! Der hat doch die Nase so tief in seine verschimmelten Schreibrollen gesteckt, dass er dich noch stundenlang nicht vermissen wird. Außerdem möchte ich, dass du jemanden kennenlernst. Eine neue Kundin.“ Muriel stellte sich auf die Zehenspitzen. „Noch sehe ich sie nicht. Aber wir werden uns auf die Suche nach ihr machen.“ Sie hakte sich bei Rosemary unter und kämpfte sich durch den überfüllten Raum.

Rosemary folgte ihr notgedrungen. Auch wenn ihr die lärmende Menschenmenge auf die Nerven ging, so konnte sie es sich nicht leisten, auf eine neue Kundin zu verzichten. Eine Woche war jetzt schon vergangen, und sie war immer noch nicht an ihre Myrrhe herangekommen. Eine Woche, in der sie zusehen musste, wie die Pennys in ihre Kasse tröpfelten und genauso schnell wieder für Essen und Trinken daraus verschwanden.

Dieses Jahr würde es im Bainbridge House keine Festlichkeiten geben. Kein besonderes Fest in der Dreikönigsnacht, das von einer Flasche Rotwein gekrönt sein würde. Und am Dreikönigstag würden keine kleinen Geschenke mit Onkel Percy, Malcolm und Winnie, die seit ewigen Zeiten ihre Haushälterin war, ausgetauscht werden. Wenn im Februar die Miete für die Apotheke fällig wurde, würden sie jedes bisschen Geld benötigen, das sie zusammenkratzen konnten.

Mit gesenktem Kopf stolperte Rosemary Muriel hinterher und lief so direkt in eine unglückliche Seele. „Pardon“, murmelte sie, als sie gegen eine fleischige, in karminroten Samt gehüllte Brust prallte. Der Zusammenstoß trennte sie von Muriel. Unwillkürlich blickte Rosemary auf. „Ich habe nicht gesehen …“ Der Rest der Entschuldigung blieb ihr im Halse stecken, als sie das dunkelhäutige Gesicht erkannte, das böse auf sie hinunterblickte.

Es war Baldassare di Corrado, der italienische Conte, dessen Tränke und Elixiere bei Hof groß in Mode waren. „Ihr bewegt Euch ziemlich unvorsichtig“, zischte er sie mit seinem starken italienischen Akzent auf Englisch an.

„Aye. Es tut mir leid. Ich war …“

„Unachtsam.“ Seine vollen Lippen verzogen sich unter dem herabhängenden, schwarzen Schnurrbart, der genauso glatt und glänzend war wie das Haar, das sein falkenähnliches Gesicht umrahmte. Die glitzernden, gelben Augen musterten sie von Kopf bis Fuß. „Aber weil Ihr jung und schön seid, will ich Euch verzeihen.“

Rosemary erschauerte unter seinem eindringlichen Blick. Etwas in dessen verborgenen Tiefen jagte ihr eine Gänsehaut über den Rücken, und ihr dröhnte der Puls in den Ohren. Lauf fort! Fliehe! Die Worte schossen ihr durch den Kopf. Aber sie war zu keiner Bewegung fähig, noch konnte sie sich von seinem Blick losreißen.

„Rose?“ Muriel zerrte an ihrem Arm. „Wir müssen gehen.“

Baldassare blinzelte, und damit brach der Zauber. „Wir sind uns doch gerade erst begegnet. Ich möchte Euren Namen wissen, meine Hübsche.“

Rosemary tat, als hätte sie nichts gehört. „Ich kann nicht bleiben. Es tut mir leid, dass ich Euch angerempelt habe“, sagte sie, darum bemüht, das Wort nur an den mit Ornamenten verzierten, vergoldeten Gürtel des Conte zu richten. Dann packte sie Muriels Hand und entfloh.

„Warte.“ Muriel blieb abrupt stehen, als sie an einem Tisch, beladen mit Früchtekuchen, vorbeikamen. „Was hat der denn von dir gewollt?“

„Ich … ich weiß es nicht.“ Rosemary nahm sich einen Becher Wein vom Tablett einer Bediensteten, die gerade an ihnen vorüberging. Sie hatte ein Gefühl, als wäre ihr die Kehle zugeschnürt, und das warme Getränk tat ihr gut. Aber es verscheuchte nicht den Eindruck, gerade noch einmal einer Gefahr entkommen zu sein.

„Hat er etwas gesagt oder dich bedroht?“, wollte Muriel wissen.

„Nein.“ Aber er hatte so eine eigenartige Ausstrahlung. Ach was, sie war eine Närrin. Baldassare war nichts als ein Ausländer mit eigenartigen Augen.

„Ich kann verstehen, dass er dich einschüchtert.“ Muriel beugte sich zu ihr. „Man sagt, er wäre mit dem Teufel im Bunde. Es gibt Gerede über perverse Riten und Zaubertränke.“

„Unsinn“, erwiderte Rosemary kurz angebunden. Ihre Reaktion war die instinktive Verteidigung eines anderen Heilers. Einst war sie selbst der Schwarzen Magie angeklagt gewesen, weil sie nachts in den Wald gegangen war, um Pflanzen zu sammeln. „Komm, lass uns diese Kundin suchen, damit ich danach in meine Apotheke zurückkehren kann.“

„Einverstanden. Während du mit diesem Conte … äh … sprachst, sah ich eine adlige Gesellschaft eintreten. Die Damen trugen hohen Kopfschmuck, der glitzerte nur so von Edelsteinen. Kann sein, dass Lady Chandre dabei ist, denn sie ist reich und kleidet sich glanzvoll.“

Rosemary zögerte. Die Aussicht, das Wort an eine derart erlesene Gruppe zu richten, schüchterte sie ein. „Was kann sie von mir wollen?“

„Was wir alle wollen“, meinte Muriel und ging weiter. „Die schönste, begehrteste Frau der Welt zu sein.“

„Dazu kann ich ihr aber nicht verhelfen.“ Rosemarys Protest ging im Lärm der Menge unter. Leise murrend über falsche Versprechungen folgte sie Muriel zum vorderen Teil des Saales. Der Fischhändler Master James, welcher auch der Bürgermeister war, und der Ratsherr Henry Spencer waren gerade dabei, ungefähr ein Dutzend adeliger Gäste zu begrüßen.

„Lady Chandre ist die in dem smaragdgrünen Kleid, die Dame, die etwas seitlich steht und sich mit diesem Herrn in schwarzem Samt unterhält.“

„Ach ja.“ Rosemary schenkte dem großen Mann, der mit dem Rücken zu ihr stand, keine weitere Beachtung und widmete ihre Aufmerksamkeit der Dame.

Sie war nicht nur reich, sie war auch atemberaubend schön. Der dunkelgrüne Samt betonte ihre blasse Haut. Der Haaransatz über der Stirn war gezupft, aber sie musste wohl blond sein, denn ihre Augenbrauen besaßen die Farbe reifen Weizens. Große, blaue Augen beherrschten das perfekte Oval ihres Gesichts. Ihre Wimpern schlugen wie Schmetterlinge, während sie mit ihrem Begleiter flirtete.

„Ich wüsste nicht, warum sie meine Cremes nötig haben sollte“, murmelte Rosemary.

„Sie wird älter, und das kann sie nicht ertragen.“ Muriel packte Rosemary beim Arm und drängte sie nach vorne, bis sie genau hinter Lady Chandres Begleiter zu stehen kamen. „Mylady … einen Augenblick, bitte.“

Lady Chandre drehte den Kopf, und das harte Licht der Fackeln fiel auf ihr Gesicht. Gnadenlos beleuchtete es jede Linie und Falte, jede welke Hautpartie, jede schlaffe Kontur und jede Unvollkommenheit. Die Dame merkte nicht, dass das Licht ihr die Maske raubte. Sie zog hochmütig die Brauen hoch. „Wer seid Ihr?“

„Muriel … Lady Muriel FitzHugh. Wir sprachen damals über Mixturen für die Haut.“

Lady Chandre erblasste. „Ich brauche so etwas nicht.“

„Aber ich meinte doch nicht für Euch selbst“, erwiderte Muriel rasch, immer noch ganz Kaufmannstochter. „Aber Ihr habt eine Lotion bewundert, die Rosemary für mich gemischt hatte, und meintet, eine Eurer … nun, Freundinnen könnte von ihrem Gebrauch profitieren. Ihr wolltet Rosemary kennenlernen.“ Muriel schob Rosemary zwischen Lady Chandre und den schweigenden Mann in Schwarz.

„Mylady.“ Rosemary machte einen kurzen Knicks. Dann erhob sie sich und stand aufrecht und selbstbewusst vor der hochmütigen Schönheit. Sichtlich zwischen Abwehr und Neugier hin und her gerissen betrachtete Lady Chandre Rosemarys Gesicht sehr genau.

„Wo ist Euer Laden?“, fragte der Mann. Seine Stimme klang tief, volltönend und seltsam vertraut.

Rosemary wandte sich um und sah mit einem höflichen Lächeln auf den Lippen hoch. Ihr verging das Lächeln augenblicklich.

Mit einem Gesicht, das aussah, als wäre es aus Stein gemeißelt, blickte ausgerechnet der Mann auf sie herunter, den sie gehofft hatte, nie wiederzusehen.

Lord William Sommerville.

In seinen Augen spiegelte sich ihre Verblüffung wider. „Ihr habt doch einen Laden, oder nicht?“

Rosemary stand mit offenem Mund da. Würde er sie jetzt öffentlich als Diebin anprangern?

„Es ist die Apotheke Bainbridge, in der Fule Lane“, zwitscherte die hilfsbereite Muriel.

3. KAPITEL

Sie war also tatsächlich eine Apothekerin.

Während William sich bemühte, seinen eigenen Triumph zu verbergen, beobachtete er, wie der Ausdruck des Entsetzens sich auf Rosemarys bleichem Gesicht ausbreitete. Zuerst hatte er sie vergeblich gesucht. Doch sie zu finden war dann einfach gewesen, genauso einfach wie für die lästige Lady Chandre, ihm zufällig aufzulauern. Hätte Lady Chandre sich nicht an ihn gehängt, er hätte die kleine Apothekerin in diesem Gedränge vielleicht niemals entdeckt.

Rosemary. Es war ein treffender Name, wenn man ihren Beruf bedachte.

Rosmarin für das Gedächtnis.

Es erschütterte William, dass es ihm nicht gelungen war, sie zu vergessen.

In der Nacht damals, als sie schmutzig und wie ein Junge gekleidet gewesen war, hatte er sich von ihr angezogen gefühlt. Jetzt, in ein einfaches Kleid aus blauer Wolle gehüllt, mit sauber gewaschenem Gesicht, die glänzenden, braunen Zöpfe zu einer Krone hoch oben auf dem Kopf verschlungen, rührte sie ihn. Nein, es war nicht ihre ruhige Schönheit, die eine verschüttete Saite in seinem Innern zum Klingen brachte. Es war die Verletzlichkeit, die in diesen großen, haselnussbraunen Augen lag, das zarte Kinn, das sich ihm in stiller Herausforderung entgegenreckte. Sie war zu zerbrechlich, um ihn zu übertölpeln. Zu machtlos.

Ein Wort von ihm, und sie würde festgenommen und ins Gefängnis geworfen, um dort dahinzusiechen. Sie wusste es. Doch anstatt sich zu ducken oder fortzulaufen oder ihn auch nur anzuflehen, begegnete sie seinem Blick mit dem ruhigen Mut, den er nur bei wenigen Männern und noch bei keiner Frau gefunden hatte … außer in seiner eigenen Familie. Ella war sanft gewesen und freundlich. William war ihr Schutz und Schild gegen ihren tyrannischen Vater gewesen. Diese Frau hier würde ihre Kämpfe selbst ausfechten.

Und doch hatte sie in seinem Traum geschrien: „Hilf mir!“ Eigenartig, genau das wollte er gerne tun.

„Ihr könnt mich morgen aufsuchen, Mistress“, sagte Lady Chandre scharf und zerstörte damit die Stimmung. „Nun, William, ich bin am Verdursten.“ Sie hängte sich bei ihm ein, und während sie ihre ausladenden Brüste gegen seinen Arm presste, führte sie ihn zu den Tischen mit den Erfrischungen.

William ging mit. Er war dazu erzogen worden, Frauen zu achten, selbst eine solche Harpyie wie Lady Chandre. Und er verabscheute jene Art von hässlichen Szenen, zu denen, wie man sich erzählte, die Dame fähig war, wenn sie böse wurde. Seit seiner Ankunft vor zwei Wochen warf Lady Chandre die Angel nach ihm aus, um ihn in ihr Bett zu bekommen. Die Aussicht auf ein Liebesabenteuer mit ihr hatte bei ihm auch ein gewisses Interesse geweckt. Bei welchem Mann, der drei Monate auf See war, wäre das nicht der Fall gewesen? Gewiss ehrte er Ellas Angedenken, aber Männer, und sogar solche mit gebrochenen Herzen, hatten gewisse Bedürfnisse.

Dass er dann Mistress Rosemary traf, lenkte die seinen in eine andere Richtung.

„Wer war dieser Mann?“, flüsterte Muriel.

„Ich kenne ihn gewiss nicht.“ Rosemary schlang die Arme um sich, damit sie nicht mehr so zitterte. Vielleicht hatte er sie gar nicht erkannt. Denn sonst hätte er sie sicher öffentlich des Einbruchs in sein Lagerhaus bezichtigt.

„Jedenfalls ist er kalt wie ein Fisch, das ist schon mal sicher. Und schroff. Hast du gemerkt, wie er dich anstarrte?“

„Aye.“ Ihr sank das Herz. Er hatte sie erkannt.

„Eigentlich sieht er ganz gut aus, wenn er nur nicht so finster dreinschauen würde.“

Dieser Mann und gut aussehen? Ein grausamer, gefühlloser Teufel war er. Ob er jetzt wohl auf dem Weg zum Sheriff oder zum Bürgermeister war, um sie anzuzeigen?

Sie musste sofort gehen.

Schaudernd blickte Rosemary über die Schulter zurück. Trotz der vielen Menschen entdeckte sie ihn sofort, denn er war einen Kopf größer als die meisten anderen Männer. Ruhig stand er bei Lady Chandre und nippte an seinem Wein. Selbst im Profil konnte man erkennen, wie unnahbar er war, wie isoliert von der fröhlichen Menge.

Als ob er ihren Blick spürte, wandte Lord William den Kopf. Sein Blick hielt den ihren fest. Und bei der grimmigen, eisernen Entschlossenheit, die darin lag, lief es Rosemary kalt den Rücken hinunter. Nie hatte sie so sehr das Empfinden gehabt, eine Maus zu sein, die vor einer hungrigen, gnadenlosen Katze saß.

„Immerhin hast du die Erlaubnis, Lady Chandre einen Besuch abzustatten“, sagte Muriel aufgeregt.

Mit wild klopfendem Herzen wandte Rosemary den Blick von dem Mann ab und sah Muriel an. Sie musste fliehen. Aber wohin? Oh Gott! Er kannte ihren Namen! Und den Namen ihrer Apotheke!

„Lady Chandre schwor, dir ein Vermögen zu geben, wenn deine Creme die Falten ihrer Haut verschwinden lässt.“

„Muriel.“ Rosemary sah ihre Freundin mit wachsendem Entsetzen an. „Du hast ihr doch nichts von meinen Experimenten erzählt?“

„Nein. Na ja, ich erzählte ihr nur ein wenig darüber. Dass du ein altes Rezept gefunden hättest, das jugendliche Haut verspricht. Ich sagte ihr nichts über die Schriftrollen deines Onkels oder über die geheimen Zutaten.“ Muriel lachte. „Wie denn auch, wenn ich sie doch selbst nicht kenne?“

Rosemary stöhnte. „Muriel …“

„Ich wollte doch nur helfen.“ Muriels Unterlippe zitterte. „Du musst zu Geld kommen, oder du verlierst die Apotheke. Ich kann dir die Summe nicht leihen, denn ich habe nicht so viel. Und als ich dann Lady Chandres Tiraden über den Misserfolg der Mixturen hörte, die Conte Baldassare ihr verkauft …“

Na, wunderbar! Jetzt stand sie auch noch in Konkurrenz zu dem Italiener. Aber eigentlich auch wieder nicht. Jedenfalls nicht, bevor die Myrrhe in ihrem Besitz war. „Vielleicht muss ich sie auch enttäuschen, Muriel. Ich habe Schwierigkeiten, die wichtigste Zutat zur Herstellung der Creme zu erhalten.“ 

„Oh! Und du siehst da keinen Ausweg?“ Muriel rang die molligen Hände. „Ich möchte dich ja nicht über Gebühr drängen, aber Lady Chandre hat tausend Pfund Sterling versprochen, wenn du ihre Falten verschwinden lässt.“

„Das ist ein Vermögen.“ Visionen von einer glänzenden Zukunft zogen an Rosemarys innerem Auge vorbei. Ein gelernter Arzt, um ihrem kranken Onkel zu helfen. Eine größere Apotheke. Eine Magd, um Winnie die mühevolle Arbeit zu erleichtern. Vielleicht sogar ein zusätzlicher Gehilfe, sodass sie frei sein würde, um neue Heilmittel entwickeln zu können.

Aber die Wirklichkeit zerschlug all ihre Hoffnungen.

Selbst wenn sie eine andere Quelle für Myrrhe auftat, so besaß sie doch keinen Penny, um sie zu kaufen. In England gab es das Harz nicht oft. Man hielt es für nutzlos, und deshalb wurde es selten importiert.

William Sommerville war ihre einzige Hoffnung. Und er sah sie wahrscheinlich lieber ins Gefängnis wandern, als dass er ihr half. Außer …

Autor

Terri Brisbin
<p>Das geschriebene Wort begleitet Terri Brisbin schon ihr ganzes Leben lang. So verfasste sie zunächst Gedichte und Kurzgeschichten, bis sie 1994 anfing Romane zu schreiben. Seit 1998 hat sie mehr als 18 historische und übersinnliche Romane veröffentlicht. Wenn sie nicht gerade ihr Leben als Liebesromanautorin in New Jersey genießt, verbringt...
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Julia Justiss
<p>Julia Justiss wuchs in der Nähe der in der Kolonialzeit gegründeten Stadt Annapolis im US-Bundesstaat Maryland auf. Das geschichtliche Flair und die Nähe des Meeres waren verantwortlich für zwei ihrer lebenslangen Leidenschaften: Seeleute und Geschichte! Bereits im Alter von zwölf Jahren zeigte sie interessierten Touristen das historische Annapolis, das für...
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