Insel der weißen Muscheln

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Ein Fotoshooting in der Karibik - ein Traumjob für die hübsche Fotografin Kathryn! Müsste sie ihn nur nicht zusammen mit dem Journalisten Rex Panther erledigen, der sie neulich nach einer Party so leidenschaftlich geküsst hat. Dabei ist er in festen Händen!


  • Erscheinungstag 27.03.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733773847
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

In der Nacht hatte es in Vancouver ununterbrochen geschneit, und am Freitagmorgen waren die Straßen und Bürohäuser in der City wie von einem weißen Tuch überzogen. Es schneite immer noch, als die Angestellten sich auf den Weg in die Bürohäuser der City machten.

Kathryn Ashby trat in das Foyer des Clarion Building und schüttelte sich die Schneeflocken vom Mantel. In Gedanken ging sie noch einmal die Checkliste für ihre Reise durch: Flugtickets, Pass, Kamera, Geld. Nein, sie hatte nichts vergessen.

Als sie den Korridor erreichte, auf dem das Büro des Chefredakteurs Ken Webster lag, riss lautes Lachen sie aus den Gedanken. Sie bemerkte, dass das Lachen einen gehässigen Unterton hatte, und erkannte sofort, wer da lachte. Seufzend packte sie den Riemen ihrer Kameratasche fester.

Kurz darauf erblickte Kathryn Trish Rice, die spindeldürre Sekretärin, die sich mit zwei jüngeren Angestellten am Kaffeeautomaten unterhielt. Trish war im Clarion dafür berüchtigt, jeden Klatsch und Tratsch zu verbreiten, der ihr zu Gehör kam, und als Kathryn um die Ecke bog, warf sie ihren Kolleginnen bereits wieder bedeutungsvolle Blicke zu.

„Oh, hallo.“ Die Sekretärin blinzelte geradezu boshaft. „Ich wollte Ihnen gerade die letzten Neuigkeiten mitteilen. Aber vielleicht wissen Sie ja schon Bescheid?“

Kathryn wusste, dass Trish sie nicht leiden konnte. Die Sekretärin war offenbar neidisch, weil sie so schnell Karriere als Fotografin gemacht hatte. Als sie jetzt in die kleinen braunen Augen der Sekretärin blickte, fragte sie sich, was die wohl diesmal zum Besten geben würde.

„Worüber soll ich denn Bescheid wissen?“, erkundigte Kathryn sich und lächelte unverbindlich.

Trish bediente den Automaten und genoss es offensichtlich, Kathryn warten zu lassen. Als der Kaffee fertig war, wandte Trish sich mit dem Pappbecher in der Hand zu Kathryn um und verkündete triumphierend: „Mr Panther ist wieder da.“

Kathryn erstarrte innerlich. „Wirklich?“, fragte sie irritiert. Dann gewann sie die Kontrolle zurück und zuckte gleichgültig die Schulter. „Ich dachte, Rex würde erst nächste Woche aus dem Mittleren Osten zurückkommen.“

„Ich bin ihm gestern Nachmittag begegnet. Ich habe Sarah und Amanda gerade erzählt, dass ich nach der Arbeit zum Flughafen musste, um meine Schwester abzuholen. Und auf dem Parkplatz traf ich niemand anderen als unseren Panther vom Clarion.“

„Ach?“ Kathryn blickte zur Uhr. „Oh, ich muss mich beeilen. Wenn Sie mich bitte entschuldigen …“

„Rex erzählte mir, er fühle sich ziemlich ausgelaugt und wolle ein paar Tage Urlaub machen“, fuhr Trish hartnäckig fort. „Allerdings will er heute im Laufe des Tages noch einmal kurz im Büro vorbeischauen.“

‚Im Laufe des Tages‘. Als Kathryn die Worte hörte, fühlte sie sich besser. „Dann werde ich ihn nicht sehen“, erwiderte sie und versuchte, sich ihre Erleichterung nicht anmerken zu lassen. „Ich bin in ein paar Minuten selbst auf dem Weg zum Flughafen.“

„Wohin fliegen Sie denn?“ Trish wirkte wie ein Kind, dem man ein Geschenk vorenthält. Kathryn wusste nur zu gut, dass die Sekretärin liebend gern bei dem ersten Treffen nach zwei Monaten dabei gewesen wäre. Damals hatte sie den begehrten McGillivray-Preis für das beste Pressefoto des Jahres gewonnen.

Es war der Tag gewesen, an dem sie sich unendlich blamiert hatte. „Charlie und ich“, begann sie, „fahren auf die Île des Coquilles.“

„Die Île des Coquilles?“

„Das ist eine Insel in der Karibik.

„Noch nie gehört“, bemerkte Trish.

„Wahrscheinlich, weil sie nicht besonders groß ist. Flame Cantrell besitzt dort eine Villa. Sie will, dass wir sie für unser Wochenendmagazin interviewen.“

„Flame Cantrell!“ Amanda, die jüngere der beiden anderen Angestellten, blickte Kathryn neidisch an. „Sie werden sie für ‚Weekends Wonderful‘ interviewen?“

Kathryn nickte. „Das ist richtig.“

„Aber sie gibt doch niemals Interviews.“ Trish warf den leeren Pappbecher irritiert in den Papierkorb. „Verglichen mit Flame Cantrell, hätte die Garbo einen Preis für Pressefreundlichkeit verdient gehabt. Die Cantrell hat bisher nie Journalisten in ihrer Nähe geduldet.“

„Hm …“ Kathryn verzog die Lippen. „Man sollte niemals nie sagen. Als Fan von James-Bond-Filmen müssten Sie das wissen, Trish.“

Sarah und Amanda kicherten, und bereits halb im Gehen rief Kathryn Trish zu: „Oh, sagen Sie Rex doch bitte, dass es mir sehr leidtut, ihn heute nicht sehen zu können.“

Das war allerdings eine glatte Lüge. Kathryn wollte so wenig wie möglich mit Rex Panther zu tun haben. In ihren Augen war er der unausstehlichste, arroganteste und widerwärtigste Mann, den sie kannte.

Sie atmete tief durch und zwang sich, ruhig zu bleiben. Es war schließlich lächerlich, dass sie sich über einen einzigen bedeutungslosen Kuss schon wieder aufregte.

Und warum ließ sie es dann zu?

Immerhin war die Angelegenheit bereits seit zwei Monaten vorbei, und sie hatte keine zwei Monate gebraucht, um die Antwort auf gewisse Fragen zu finden. Sie hatte nur einige Stunden gebraucht. Doch jetzt, auf dem Weg zu Kens Büro, fand sie sich in Gedanken erneut in der Situation wieder, die sie inzwischen bestimmt schon hundert Mal durchlebt hatte.

An dem Tag, an dem sie den McGillivray-Preis gewonnen hatte, war Ken in der Mittagspause in ihr Büro gekommen, um ihr die Neuigkeit zu überbringen. Offenbar hatte niemand vorher etwas davon gewusst – und wenn doch, so hatte niemand etwas gesagt.

Natürlich war Kathryn in der Zeit zuvor enttäuscht gewesen, weil sie so lange nichts über das Ergebnis des Wettbewerbs gehört hatte, aber sie hatte ihre Enttäuschung nicht gezeigt. Sie hatte auch nicht geahnt, was sie erwartete, als Ken sich gegen drei erneut bei ihr meldete und sie aufforderte, vor Dienstschluss bei ihm vorbeizuschauen. Im Büro empfing sie dann ein vielstimmiges „Herzlichen Glückwunsch!“

Die Angestellten des Clarion hatten sich in Kens Büro versammelt und wollten Kathryn feiern. Ein kleines Büfett war aufgebaut worden, und auf Kens Schreibtisch stand ein Tablett mit Gläsern und mehreren Flaschen Sekt.

Rex Panther fehlte. Er befand sich wieder einmal auf einer Auslandsreise und sollte erst am nächsten Tag wieder ins Büro kommen. Kathryn war froh über seine Abwesenheit, denn aus einem Grund, den sie selbst nicht genau kannte, fühlte sie sich in seiner Gegenwart nicht besonders wohl.

Rex war bereits seit fast einem Jahr beim Clarion als Auslandskorrespondent angestellt. Wenn man Charlie Burke, Kathryns Partner, glauben durfte, war er ein sehr geheimnisvoller Mann. Nicht dass er sich den Angestellten gegenüber unfreundlich verhielt. Im Gegenteil. Wie Kathryn jedoch wusste, traf Rex sich nach der Arbeit niemals mit anderen Mitarbeitern.

Als die kleine Feier vorüber gewesen war und außer Kathryn, Ken und Trish alle Mitarbeiter gegangen waren, wurde die Tür plötzlich geöffnet, und zu Kathryns Erstaunen trat Rex ein. Mit seinem zerzausten dunklen Haar, den engen Jeans und der alten Lederjacke sah er einfach umwerfend aus.

Rex behauptete, er hätte gerade erst von der Party gehört und sei vorbeigekommen, um zu gratulieren. Und während Kathryn dastand, ohne zu wissen, wie ihr geschah, kam er auf sie zu, umfasste sie leicht und küsste sie auf den Mund.

Rex hatte sicher nur einen kurzen, unpersönlichen Kuss geplant, aber als sich ihre Lippen berührten, funkte es zwischen Rex und ihr. Sexuelles Begehren erfasste sie beide, und sie fühlte sich von einer Welle der Leidenschaft erfasst. Rex’ Kuss wurde hart und fordernd, und Kathryn spürte die Nähe seines Körpers, der nach Mann und Moschus duftete.

Rex war unzweifelhaft ein Mann mit starker erotischer Ausstrahlungskraft und für Kathryn der erste, der sie so küsste. So wie von Rex war sie noch nie geküsst worden. Zu ihrem Unglück waren ihre Hemmungen durch den Sekt, den sie zuvor getrunken hatte, stark gemindert. Rex zog sie fester an sich, und bereitwillig öffnete sie die Lippen für seinen Kuss. Sie spürte, wie ihre Knie leicht zitterten, und unwillkürlich hielt sie sich an Rex fest.

Als er sie schließlich von sich schob, bemerkte Kathryn in seinen Augen einen seltsamen Ausdruck und um seinen Mund einen ironischen Zug, den sie sich nicht erklären konnte.

„Welche Überraschung“, sagte Rex so leise, dass die anderen ihn nicht hören konnten. „Da drinnen gibt es also doch eine Frau.“

Sie reagierte schnell, ohne lange Überlegung. Sie hob die rechte Hand und gab Rex eine schallende Ohrfeige.

Kathryn bemerkte, dass Trish den Atem anhielt und Ken sich überrascht räusperte. Einen Moment blieb sie einfach regungslos stehen, versuchte zu begreifen, was sie gerade getan hatte. Dann griff sie nach ihrer Handtasche und floh aus dem Büro. Halb ging, halb rannte Kathryn über den Flur zu ihrem eigenen Büro. Dort schnappte sie ihren Wintermantel sowie ihre Kameraausrüstung, und weil sie befürchtete, Rex erneut zu begegnen, verließ sie das Gebäude über die Feuertreppe und eilte auf dem schnellsten Weg nach Hause.

Am nächsten Morgen hatte Kathryn sich einigermaßen beruhigt. Sie hatte sich zu Hause hingesetzt und ihre Reaktion so ehrlich wie möglich analysiert. Und dabei war sie zu der einzig möglichen Schlussfolgerung gekommen. Rex war von ihr nicht geschlagen worden, weil er sie geküsst, sondern weil er sie verletzt hatte. Mit seiner ironischen Bemerkung hatte er ihr zu verstehen gegeben, bisher daran gezweifelt zu haben, dass sie überhaupt eine Frau sei. Das hatte sie zutiefst getroffen.

Allerdings fragte sie sich, ob Rex wissen konnte, dass er mit seinen Worten einen wunden Punkt bei ihr treffen würde. Immerhin kannten nur wenige Leute ihr Geheimnis. Rex Panther gehörte nicht zu den Eingeweihten.

Kathryn musste schließlich zugeben, ziemlich übertrieben reagiert zu haben. Am Morgen war sie also gleich in Rex’ Büro gegangen, um sich zu entschuldigen. Doch Rex Panther war nicht da gewesen. Trish war vorbeigekommen, und mit einem wissenden Lächeln hatte die Sekretärin ihr mitgeteilt, Rex Panther sei zu einem Auftrag im Mittleren Osten abgereist.

Jetzt, zwei Monate später, war Rex also zurück. Und wieder hatte Trish ihr die Nachricht übermittelt. Doch in der Zwischenzeit hatte Kathryn entschieden, es wäre wohl das Beste, die Angelegenheit einfach zu vergessen. Wenn sie die Sache jetzt aufwärmte, würde sie ihr mehr Bedeutung beimessen als nötig.

Außerdem würde sie noch an diesem Vormittag abreisen. Bei dem Gedanken an ihren Auftrag verbesserte sich ihre Stimmung wieder. Kathryn und Charlie verstanden sich ausgezeichnet, sie hatte sich sehr über diesen Auftrag gefreut – und freute sich nach wie vor darauf. Sie war jetzt schon davon überzeugt, dass die Reportage eine der besten in Weekends Wonderful werden würde.

Kens Büro befand sich am Ende des Flurs. Nachdem Kathryn angeklopft hatte, wartete sie, bis ihr Chef brummig „Herein!“, rief. Danach trat sie ein, ließ aber die Tür offen stehen, damit ein wenig frische Luft hereinkommen und den Qualm von Kens unvermeidlicher Zigarre verdrängen konnte.

Ken legte gerade den Telefonhörer auf. Oder besser gesagt: er knallte ihn auf. Sein Gesicht, nach vielen Jahren starken Alkoholgenusses von zahlreichen roten Äderchen durchzogen, hatte die Farbe einer überreifen Pflaume angenommen.

Fluchend drückte er seine Zigarre aus und zeigte auf den Stuhl rechts vor dem Schreibtisch. „Setzen Sie sich!“

Kathryn gehorchte, faltete die Hände im Schoß und wartete geduldig. Sie arbeitete inzwischen seit drei Jahren für Ken Webster und wusste genau, dass ihr nichts anderes übrig blieb, wenn er in solcher Stimmung war. Man musste warten, bis er sich so weit beruhigt hatte, dass er zusammenhängend sprechen konnte.

„Dieser verfluchte Charlie!“

„Charlie?“ Kathryn blickte Ken überrascht an. „Was hat er denn angestellt? Erzählen Sie mir nicht, er hätte sein Spesenkonto überzogen!

„Die ganze Familie hat die Masern bekommen.“

„O nein!“ Ihre Mundwinkel zuckten. Charlie Burke hatte drei Kinder, die sämtlich jünger als fünf waren. Seine arme Frau würde in den nächsten Tagen alle Hände voll zu tun haben.

„Grinsen Sie etwa?“, fragte Ken unwirsch.

Kathryn zwang sich, ernst zu bleiben. „Ich habe mir nur gerade vorgestellt, wie die arme Emma vor den Kinderbetten steht und die lieben Kleinen alle mit roten Flecken im Gesicht darin liegen.“

„Zum Teufel, Kathryn. Haben Sie denn nicht zugehört? Ich habe gesagt, die ganze Familie hat Masern.“

„Die ganze Familie?“, wiederholte sie ungläubig. „Soll das etwa heißen, Charlie ist auch krank?“

„Genau das soll es heißen. Dieser verdammte Idiot liegt mit Masern im Bett. Und dabei soll er eigentlich mit Ihnen in genau …“ Ken blickte auf seine Armbanduhr. „In gut zwei Stunden in die Karibik fliegen. Dabei weiß ich nicht, wen ich an seiner Stelle mitschicken soll.“

Wenigstens verstand Kathryn jetzt, warum Ken so nervös war. Und sie wurde nun auch wieder unruhig. Immerhin konnte sie nicht allein in die Karibik fliegen. Es musste jemand mitkommen, der Flame Cantrell richtig zu interviewen verstand. Und niemand war dafür geeigneter als Charlie, der selbst aus der pressescheusten Person noch etwas herausholen konnte. Es gab niemanden, der ihn ersetzen konnte.

Außer natürlich Rex Panther. Flüchtig dachte Kathryn an all die Preise, die die Wände im Büro des Auslandskorrespondenten schmückten. Nach dem Urteil der Fachleute war er in beruflicher Hinsicht ein Genie. Offenbar zudem ein Genie in fast jeder anderen Beziehung … Kathryn vertrieb den Gedanken an Rex ganz rasch.

„Was sollen wir tun, Ken?“, fragte sie unsicher. „Wir dürfen uns diese Chance nicht entgehen lassen. Eine zweite werden wir nicht bekommen. Wir brauchen …“

„Was wir brauchen“, unterbrach Ken sie ungeduldig, „ist ein Wunder.“

„Ein Wunder.“ Von der Tür tönte eine dunkle Männerstimme mit leicht ironischem Unterton herüber. „Eigentlich habe ich bisher nicht daran geglaubt, Wunder vollbringen zu können, aber wenn ich ernsthaft darüber nachdenke …“

„Panther!“ Ken stand halb aus seinem Sessel auf und ließ sich dann wieder hineinfallen. „Meine Güte, ich habe Sie erst nächsten Dienstag zurückerwartet.“

„Ich habe den Auftrag schneller erledigen können als erwartet.“ Zum ersten Mal wandte Rex den Blick zu Kathryn, die herumgefahren war. „Also, Katie, wir beide werden uns zur Île des Coquilles bemühen, nicht wahr?“

Kathryn blickte ihn entgeistert an. Er war tief gebräunt und sah blendend aus. Lässig lehnte er am Türpfosten, die Hände hatte Rex in die Taschen seiner Lederjacke gesteckt. Amüsiert musterte er Kathryn.

Er musste gerade von der Straße hereingekommen sein, denn auf seinem schwarzen Haar glänzten noch einige Schneeflocken. Nach Kathryns Meinung trug er das Haar ein wenig zu lang für sein Alter, es neigte dazu, wirr über den Kragen zu fallen. Schon mehr als einmal hatte Kathryn das fast unwiderstehliche Bedürfnis gespürt, Rex nachzulaufen, wenn er an ihrer Bürotür vorbeikam, und die überstehenden Haare mit einer Schere abzuschneiden.

Was hatte dieser Mann nur an sich, dass es sie danach verlangte, ihn zu verändern? Warum irritierte es sie schon, wenn er sie nur ansah? Und warum trug er ständig diese abgenutzte schwarze Lederjacke, obwohl er sich sicherlich etwas Besseres leisten konnte?

Kathryn schürzte die Lippen. Sein Blick ruhte noch immer auf ihr, und seine Augen glänzten vor Belustigung, während er auf eine Antwort wartete.

Kathryn wandte sich ab und sah Ken an.

„Sie werden Rex doch nicht etwa den Job übertragen?“, fragte sie. „Trish erzählte mir, dass sie ihn gestern auf dem Flughafen getroffen hat. Er soll ihr gesagt haben, er fühle sich ziemlich ausgelaugt und brauche dringend ein paar Tage Urlaub.“

Sie hörte, dass Rex lachte, und im nächsten Moment bereute sie ihre Worte bereits. Wahrscheinlich glaubte Rex jetzt, sie hätte nichts Besseres zu tun, als mit Trish zu klatschen.

„Sie haben recht, Katie.“ Seine Stimme klang samtweich. „Ich wollte tatsächlich ein wenig ausspannen.“ Kathryn drehte sich wieder zu ihm um, und er mit dem Kopf in Richtung Fenster. „Aber vor die Wahl gestellt, meinen Urlaub entweder hier im Schneesturm zu verbringen oder in der Karibik, brauche ich nicht lange zu überlegen.“ Er lächelte. „Wie hätten Sie sich wohl entschieden?“

„Meine Güte, Kathryn!“, rief Ken enttäuscht, was sie dazu veranlasste, sich ihm erneut zuzuwenden. „Sind Sie denn ganz verrückt geworden? Sie wissen doch, dass man einem geschenkten Gaul nicht ins Maul schaut.“ Er drehte sich im Sessel zur Seite, drückte sich mit beiden Händen an der Armlehne ab und stand auf. „Vielen Dank für Ihr Angebot“, sagte Ken zu Rex. „Ich werde Ihr Entgegenkommen bei der nächsten Gehaltsrunde berücksichtigen. Doch jetzt wollen wir diese Angelegenheit so schnell wie möglich hinter uns bringen. Sie beide fahren sofort zum Flughafen, und ich werde den Rest von hier aus erledigen.

Ihr Ticket können sie dann am Schalter der Fluggesellschaft abholen, Rex.“

„Sind Sie mit Ihrem Wagen hier, Kate?“, erkundigte Rex sich.

„Nein“, erwiderte Kathryn mürrisch. Sie mochte es nicht, wenn Rex sie Katie nannte, hasste es aber geradezu, nannte er sie Kate. Sie hieß Kathryn, und irgendwann würde sie Rex Panther das klarmachen. Jetzt war allerdings nicht der passende Augenblick. „Charlie wollte mit seinem Wagen herkommen und mich zum Flughafen mitnehmen. Ich habe den Bus genommen.“

„Gut. Dann brauchen wir nicht erst zu diskutieren, mit welchem Auto wir zum Flughafen fahren sollen.“ Rex löste sich vom Türrahmen. „Also los. Ich muss noch an meiner Wohnung vorbeifahren, um meine Reisetasche zu holen.“

Seine Art, die Kontrolle zu übernehmen, machte Kathryn sehr wütend. „Wir haben nicht viel Zeit“, entgegnete sie. „Im Übrigen …“

Rex unterbrach sie. „Ich wohne in Shaugnessy. Die Wohnung liegt nur einen Block von der Granville Street entfernt. Wir werden nicht länger als fünf Minuten brauchen.“ Er trat zurück, um Kathryn, die gerade ihre Reisetasche und die Kameraausrüstung aufhob, den Weg frei zu machen. „Ich hoffe, Sie haben auch einen oder zwei Bikinis eingepackt“, sagte er.

Kathryn ignorierte die Bemerkung. „Auf Wiedersehen, Ken!“, rief sie über die Schulter. „Bis nächste Woche.“

„Viel Glück mit dem Interview.“ Nachdem das Problem gelöst war, hatte sich der Chef sichtlich entspannt. „Ich habe das Gefühl, es wird eine der besten Ausgaben von Weekends Wonderful. Wenn jemand in der Lage ist, das Vertrauen der schönen Flame Cantrell zu gewinnen, dann sind Sie es, Panther.“

„Ich werde mein Bestes tun, Ken.“ Rex lächelte ironisch. „Schließlich weiß ich ja, dass alle Opfer, die ich auf mich nehmen muss, nur zum Besten unserer Zeitung sind.“

So ein Chauvinist! Kathryn warf Rex einen vernichtenden Blick zu, als sie an ihm vorbeiging. Doch im gleichen Moment zuckte sie zusammen, denn der Duft seines Aftershaves wehte zu ihr herüber und erinnerte sie wieder an den Augenblick, als er sie geküsst hatte. Und mit der Erinnerung an diesen Augenblick entstand auch wieder jene ungewohnte Erregung, die sie gespürt hatte, als der Kuss fordernder geworden war und ungeahnte Leidenschaft entbrannte.

Doch sie musste den Vorfall vergessen. Sie hatte ihre Pläne für die Zukunft abgeschlossen, und es gab darin keinen Platz für einen Mann. Sie hatte sich ein Mal auf eine Beziehung eingelassen, und nichts würde sie dazu bringen, sich erneut der Gefahr auszusetzen, von einem Mann verletzt zu werden.

„Ich werde Ihre Tasche tragen, geben Sie sie mir.“

Kathryn blickte Rex nicht an, während sie gemeinsam über den Korridor gingen. „Nein danke“, erwiderte sie kühl. „Sie ist nicht schwer. Ich komme schon allein zurecht.“

„Na schön.“ Rex musterte sie von der Seite. „Sie wollen nicht, dass ich mitkomme, nicht wahr?“

Es war weniger eine Frage als eine Feststellung, und deshalb antwortete Kathryn nicht.

Als Rex die Tür zum Parkdeck öffnete, musste Kathryn die Hand schützend vor das Gesicht halten, weil ihnen ein eisiger Wind entgegenwehte. Es schneite immer noch, und Kathryn war froh, dass sie heute Morgen eine Hose statt eines Rockes angezogen hatte.

„Sie mögen mich nicht?“, fragte Rex und legte seine Hand stützend unter Kathryns Ellbogen.

Kathryn wollte den Arm wegziehen, aber dann widerstand sie dem Impuls. Am besten begegnete sie Rex Panther so gleichgültig wie möglich.

„Ich frage mich, warum“, setzte er nachdenklich hinzu. „Vielleicht werde ich es ja an diesem Wochenende herausfinden.“

Sie kannte seinen Wagen. Es war ein alter Chevelle, schwarz und leicht verbeult. Rex hatte ihn in der Nähe des Ausgangs geparkt, und zielstrebig ging Kathryn auf das Auto zu.

„Ich kann es Ihnen auch gleich sagen“, erwiderte sie und warf ihm einen eisigen Blick zu. „Dann haben Sie Zeit gespart. Ich finde Sie arrogant, rücksichtslos und chauvinistisch.“

Sie waren an seinem Wagen angekommen, und Rex öffnete die Beifahrertür. Dann nahm er Kathryns Reisetasche und warf sie auf den Rücksitz. Als Kathryn einsteigen wollte, hielt Rex sie zurück. Selbst durch den dicken Stoff ihres Mantels spürte sie, wie sich seine Finger in ihren Oberarm gruben. Überrascht blickte sie Rex an.

„Mag sein, dass Sie mich so sehen“, sagte er, und zum ersten Mal an diesem Morgen wirkte er ernst. „Doch es gibt sicher noch einen anderen Grund. Möglicherweise wissen Sie jedoch selbst nicht, worin die wirklichen Gründe für Ihre Feindschaft gegen mich bestehen.“

Er ließ sie los, und sie stieg in den Wagen. Während Rex die Tür schloss, legte Kathryn ihren Sicherheitsgurt an. Als Rex eingestiegen war, blickte sie starr geradeaus. Wie konnte er es wagen, ihre Gefühle zu analysieren?

Er startete den Motor. „Ich mag nichts lieber als eine kleine Herausforderung“, sagte Rex, setzte aus der Parklücke und fuhr zur Ausfahrt. „Sie sind eine sehr verführerische Frau, Kate Ashby, und Sie haben noch mehr Vorzüge, als man auf den ersten Blick vermuten könnte. Nach außen wirken Sie kühl und unnahbar, doch als wir uns damals geküsst haben …“

„Natürlich“, unterbrach sie ihn. „Ich habe mich schon gefragt, wie lange es wohl dauern wird, bis Sie das Gespräch auf dieses Thema lenken. Bringen wir die Sache also gleich hinter uns. Sie haben mich geküsst“, erklärte sie. „Die Initiative ging von Ihnen aus.“

„Und wenn ich mich recht erinnere, haben Sie bei dem Kuss mindestens ebenso viel Leidenschaft entwickelt wie ich“, erwiderte Rex.

„Es lag an dem Sekt, den ich zuvor getrunken hatte.“ Kathryn strich sich nervös übers Haar.

„Warum haben Sie mich geohrfeigt, Katie?“ Seine Worte klangen nicht anklagend. „Lag das vielleicht auch an dem Sekt?“

„Ich soll mich doch nicht etwa entschuldigen?“ Sie wandte sich ihm zu und blickte ihn feindselig an, aber er konzentrierte sich auf die Straße. Was hat er doch für ein perfektes Profil! dachte Kathryn unwillkürlich, und ein merkwürdiges Gefühl breitete sich in ihrem Magen aus. „Also gut“, fuhr sie fort, „ich entschuldige mich. Es tut mir leid, dass ich Sie geohrfeigt habe. Ich bin am nächsten Morgen sogar in Ihr Büro gegangen, um Ihnen das zu sagen, aber Sie waren bereits fort.“

Sie atmete tief durch. Nachdem sie endlich ausgesprochen hatte, was sie längst hatte sagen wollen, fühlte sie sich wie von einer Zentnerlast befreit.

„Entschuldigung angenommen.“ Rex warf Kathryn einen Blick zu, und sie erkannte, dass er lächelte. „Trotzdem müssen wir noch herausfinden, warum Sie mich nicht mögen. Ich glaube nämlich, dass es dafür einen tieferen Grund gibt, meine liebe Katie.“

Rex wohnte in einem großen, von Tannen und Rhododendren umgebenen Bungalow, vor dem sich eine große Rasenfläche bis zur Straße erstreckte. Mit dem Schnee wirkte das Haus, als gehörte es zu einer Märchenszene.

„Was für ein schönes Haus!“, rief Kathryn unwillkürlich, nachdem Rex gehalten hatte.

Er schaltete den Motor ab. „Kommen Sie mit hinein, trinken Sie einen Kaffee, während ich meine Sachen packe“, forderte Rex sie auf.

„Wird Ihre Frau sich nicht wundern, wenn Sie um diese Uhrzeit jemanden mit nach Hause bringen?“

Im nächsten Moment bereute Kathryn ihre Worte bereits, sie schienen ihr wie von selbst aus dem Mund gesprudelt zu sein. Nein, sie hatte wirklich nicht herausfinden wollen, ob Rex Panther verheiratet war.

„Ich bin nicht verheiratet“, sagte er gleichmütig. „Es ist niemand im Haus.“

Kathryn weigerte sich innerlich daraufhin, ihre Gefühle zu analysieren. Sie musste den fast überwältigenden Wunsch bekämpfen, ihrer Neugier nachzugeben und die Einladung zu akzeptieren. Es war auf jeden Fall besser, den Umgang mit diesem Mann auf einer strikt geschäftlichen Basis zu halten.

„Danke“, erwiderte Kathryn. „Ich warte lieber hier draußen im Wagen.“

„Wie Sie wollen. Es wird nicht lange dauern.“

Als Rex im Haus verschwunden war, lehnte sie sich zurück und schloss die Augen. Sie spürte, dass ihre Wangen vor Verlegenheit brannten. Warum hatte sie nur nach Rex’ Frau gefragt? Warum hatte sie sein Angebot nicht sofort kurzerhand abgelehnt und danach geschwiegen?

Frustriert öffnete sie die Tür des Wagens und stieg aus. Es hatte fast aufgehört zu schneien. Kathryn schob die Hände in die Manteltaschen und stapfte durch den Schnee in Richtung Straße. Vielleicht würde die Kälte die erhitzten Wangen ja ein wenig kühlen.

Auf der Straße war es sehr ruhig, das einzige Geräusch stammte von einem alten Kombi, der mit laufendem Motor vor einem Einfamilienhaus stand.

Kathryn war bereits an sechs oder sieben Häusern vorbeigegangen und hatte fast den Kombi erreicht, da wurde die Haustür des Einfamilienhauses geöffnet und drei Kinder stürmten ins Freie. Die beiden älteren, ein Mädchen von etwa zwölf und ein Junge von ungefähr zehn Jahren, trugen Parkas in hellen Farben, das kleine Mädchen im Alter von etwa vier Jahren hatte einen pinkfarbenen Schneeanzug an. Die Kleine trug keine Mütze, und ihr langes blondes Haar wehte im kalten Winterwind.

Autor

Grace Green
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