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Wenig begeistert ist der Ranchmanager Jake Banyon über die Einquartierung von Carly Paxton, der Tochter seines Bosses. Sie will sich hier auf dem Land von ihrer gescheiterten Ehe erholen und sorgt für reichlich Unruhe in Jakes bisher so sorgsam geordnetem Leben. Auch er hat eine heftige Enttäuschung hinter sich -seitdem hält er sich von allen Frauen fern. Doch bei der quirligen Carly hat er kaum Erfolg mit seiner kühlen Zurückhaltung: Ihr gelingt es pausenlos sein Blut zum Kochen zu bringen - und das in jeder Beziehung. Entweder geraten sie in heftige Streitereien oder sie lieben sich voller Lust und Leidenschaft. Jake weiß nicht mehr ein noch aus: Soll er Carly bitten, ihn zu heiraten, oder sie für immer wegschicken?


  • Erscheinungstag 03.06.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733717155
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Das Telefongespräch begann wie gewohnt. Stuart „Stu“ Paxton rief von seiner Wohnung in New York aus an und erkundigte sich, wie die Dinge auf seiner Ranch in Wyoming liefen. Ungewöhnlich war nur die Antwort seines Ranchverwalters Jake Banyon.

„Ich fürchte, wir haben ein Problem, Stu. Ein fremder Hengst hat sich einen Harem aus unseren Stuten zugelegt. Neulich hat er eine entführt, und letzte Nacht gleich zwei weitere.“

„Ein fremder Hengst, Jake? Das verstehe ich nicht.“

„Ich auch nicht“, sagte Jake ziemlich grimmig. „Tatsache ist, ich habe keine Ahnung, woher er kommt oder wem er gehört. Falls er überhaupt jemandem gehört. Er scheint ein Einzelgänger zu sein.“

„Du glaubst doch nicht etwa, dass es ein Wildpferd ist?“ Stu klang skeptisch.

„Das könnte durchaus sein, Stu, aber um ehrlich zu sein, er sieht aus wie ein Rassetier. Allerdings habe ich ihn nur einmal gesehen, und das von weitem.“

„Und er tauchte einfach aus dem Nichts auf? Ein ausgewachsener Hengst? Jake, der muss doch irgendwo herkommen. Die Ranch liegt so isoliert, er kann nicht von einem Nachbarn herübergelaufen sein.“

„Richtig. Ich habe eine Anzeige mit seiner Beschreibung im ‚Tamarack-Boten‘ aufgegeben, aber bis jetzt hat sich kein Eigentümer gemeldet. Inzwischen lasse ich täglich ein paar Männer nach seinem Unterschlupf suchen. Ich möchte die Stuten gern zurückhaben.“

„Und wenn du ihn eingefangen hast, was machst du dann mit ihm?“

„Ich weiß es noch nicht. Erst muss ich ihn mir näher ansehen.“ Jake spielte darauf an, dass der Hengst ein Brandzeichen tragen müsste, falls er jemandem gehörte.

Stuart begriff sofort. „Das ist vernünftig. Halt mich auf dem Laufenden.“

„Natürlich“, antwortete Jake und berichtete dann über andere Vorkommnisse auf der weitläufigen Wild-Horse-Ranch, die seit fast einem Jahrhundert im Besitz der Paxtons war.

Stuart fand jedoch nicht denselben Geschmack an Einsamkeit und Viehzucht wie seine Vorfahren und hatte die Ranch gleich nach dem Studium verlassen. Er kam nur zwei, drei Mal im Jahr zu Besuch. Doch obwohl er selbst nicht in Wyoming leben wollte, hatte er sich auch nach dem Tod seines Vaters vor zehn Jahren nicht dazu durchringen können, die Ranch zu verkaufen. Ein paar Mal hatte er eine unglückliche Hand bei der Auswahl seiner Verwalter gehabt, doch mittlerweile schätzte er sich überaus glücklich, einem Experten wie Jake Banyon das Ruder überlassen zu können. Obwohl Stuart zwanzig Jahre älter war als Jake, hatten sie in den vier Jahren ihrer Zusammenarbeit eine verlässliche Beziehung entwickelt, geprägt von gegenseitigem Respekt.

„Entschuldige, dass ich unterbreche, Jake, aber ich rufe aus einem bestimmten Grund an. Ich muss dich um einen Gefallen bitten – einen ganz persönlichen.“

Stuart klang besorgt, und das beunruhigte wiederum Jake. Ein gelassenerer, selbstsicherer Mensch als Stuart Paxton war ihm bislang noch nicht begegnet. Und noch nie hatte Stuart ihn um einen „persönlichen Gefallen“ gebeten. Jake horchte auf. Für Stuart würde er fast alles tun.

Jake war ebenfalls auf einer Ranch aufgewachsen, doch das war schon alles, was ihre Gemeinsamkeiten betraf. Stuart hatte studiert, sich in der Geschäftswelt einen Namen gemacht und ein Vermögen angehäuft. Jake dagegen hatte sich dermaßen in ein Mädchen aus dem Ort verliebt gehabt, dass er es nicht hatte verlassen wollen, um aufs College zu gehen – sehr zur Enttäuschung seines Vaters. Doch Jake hatte als Cowboy bei ihm gearbeitet und der Hochzeit mit Gloria entgegengefiebert, die im August hatte sein sollen.

Aber als der August kam, gab Gloria ihm den Ring zurück und erklärte, dass sie einen anderen habe. „Tut mir leid“, sagte sie einfach.

Für Jake, der damals neunzehn war, war eine Welt zusammengebrochen. Er liebte ein Mädchen, das „einen anderen hatte“, und er konnte nichts dagegen tun. Er fühlte sich schrecklich hilflos, vor allem als Gloria wegzog und niemand ihm ihre neue Adresse geben wollte.

Er fing an, sich hemmungslos treiben zu lassen und hatte eine Frau nach der anderen, bis sein Vater ihn barsch aufforderte, sich endlich zusammenzureißen oder zu gehen. „Du trinkst zu viel, Jake, ich kann mich nicht mehr auf dich verlassen. Such dir einen anderen Job.“

Jahre vergingen. Sein Absturz vollzog sich immer weiter und Jake war fast in der Gosse gelandet, als er sich die Worte seines Vaters endlich zu Herzen nahm und sich zusammenriss. Es war bei der Beerdigung seines Vaters – seine Mutter war lange zuvor gestorben –, als ihm die Erkenntnis kam und er mit schmerzlicher Klarheit sah, was er sich die ganze Zeit angetan hatte. Und das wegen eines Mädchens, das ihn wahrscheinlich nie geliebt hatte. Er schwor sich, ein Mann nach dem Vorbild seines Vaters zu werden, hart zu arbeiten und ein anständiges Leben zu führen. Selbstverständlich würde er die Familienranch übernehmen.

Nur gab es bald keine Familienranch mehr. Die Bank kündigte die Kredite, und Jake, zutiefst entsetzt und erschüttert, versuchte, das Beste aus den Trümmern seiner Existenz zu machen. Seine alten Freunde – besonders die Frauen – verstanden nicht, warum er sie mied und nicht mehr zu den üblichen Gelagen auftauchte.

Um einen endgültigen Schlussstrich unter die Vergangenheit zu ziehen, verließ Jake Montana, um sich in Wyoming Arbeit zu suchen. Der Zufall führte ihn in einen kleinen Ort namens Tamarack. Während er in einem Lokal zu Abend aß, las er die Lokalzeitung und stieß auf eine Anzeige, in der ein Verwalter für eine Ranch gesucht wurde.

So hatte er Stuart Paxton kennen gelernt, und bis zum heutigen Tag betrachtete Jake es als ein Wunder, dass Stuart ihm, einem entwurzelten, abgerissenen jungen Mann, eine Chance gegeben hatte.

Jake wünschte nur, dass sein Eltern – vor allem sein Vater – ihn heute sehen könnten. Er arbeitete hart, er war körperlich fit, er rauchte und trank nicht und hatte nichts mehr mit Mädchen im Sinn. Genau genommen war das Pendel in die entgegengesetzte Richtung ausgeschlagen. Jake war ein ausgesprochener Einzelgänger geworden. Deshalb liebte er die Wild-Horse-Ranch auch so sehr, denn bs zum nächsten Ort, Tamarack, waren es achtzig Meilen, und er bekam keine Frau zu Gesicht, falls er nicht die lange Fahrt auf sich nahm, was selten genug geschah. Ein Sexleben, um das sich früher alles bei ihm gedreht hatte, hatte er heute so gut wie gar nicht mehr. Jake bedauerte seine zügellosen Jugendjahre und wünschte, er wäre aufs College gegangen, nachdem Gloria die Verlobung aufgelöst hatte. Wie ein Mann hätte er die Abfuhr wegstecken und sein Leben in die Hand nehmen sollen, anstatt sich in Selbstmitleid zu ergehen. Doch jetzt konnte er seine unabänderliche Vergangenheit nur akzeptieren und stolz auf seine gegenwärtige Leistung sein. Und er wusste sehr gut, was er dabei Stuart Paxton zu verdanken hatte.

Daher antwortete er nun ruhig: „Stu, wenn ich irgendetwas für dich tun kann, brauchst du es nur zu sagen.“

„Danke, Jake. Ich wusste, ich kann auf dich zählen. Okay, hör zu. Du weißt, dass ich eine Tochter habe, Carly.“

„Klar, Boss. Was ist mit ihr?“ Eigentlich erinnerte Jake sich nur vage daran, dass Stuart von einer Tochter gesprochen hatte, es interessierte ihn nicht sonderlich. Stuarts Frau war vor Jahren gestorben, und er hatte hin und wieder die Probleme eines allein erziehenden Vaters erwähnt.

„Ich hatte Carly als Kind ein paar Mal auf die Ranch mitgenommen, aber als Teenager mochte sie nicht mehr, und ich habe sie nicht dazu gezwungen. Sie war seit etwa fünfzehn Jahren nicht mehr in Wyoming. Aber das letzte Jahr war ziemlich schwierig für sie – du weißt, ihre Scheidung –, und es schmerzt mich, wenn ich sie so unglücklich sehe. Sie versucht unglaublich tapfer, wieder Tritt zu fassen und ein neues Leben anzufangen. Aber ich fürchte, sie hat es immer noch nicht richtig verwunden, dass ein Mann so windig und verachtungswürdig sein kann, wie ihr Ex es war.“

Jake runzelte die Stirn. Stuart hielt mit etwas hinterm Berg, das merkte er an der zögernden Stimme. Aber weil er keine traurigen Einzelheiten über die gescheiterten Beziehungen von anderen hören wollte – er hatte da selbst genug trübe Erinnerungen –, ermunterte er Stuart nicht, mehr zu erzählen. Er fragte nur leise: „Was kann ich dabei tun?“

Stuart holte tief Luft. „Ich habe mir überlegt, dass Carly ein Ortswechsel gut tun würde. Hättest du etwas dagegen, wenn ich sie für eine Weile auf die Ranch schicke?“

Jake erschrak. Alles, was er herausbrachte, war: „Es ist deine Ranch.“

„Aber du leitest sie, Jake. Es ist dein Zuhause, und wenn Carly dich in irgendeiner Weise stört …“

Jake hatte sich einigermaßen gefangen. „Nicht doch, Stu. Carly ist hier herzlich willkommen. Jederzeit.“

„Bist du sicher?“

„Ganz sicher.“ Doch Jake war immer noch angespannt. Die Ranch war ein reiner Männerverein. Sogar der Koch war ein Mann. Das Haupthaus war alt und verwittert und wurde nicht regelmäßig geputzt. Er war der Einzige, der es bewohnte, die Männer schliefen in der Belegschaftsunterkunft, einem Blockhaus.

Aber das weiß Stuart, sagte sich Jake voll Unbehagen. Wenn Stuart die Ranch besuchte, wohnte er in einem der vier Schlafräume im ersten Stock. Dort verwahrte er Stiefel und Kleidung, die er nicht jedes Mal von New York mitbringen wollte.

Im Erdgeschoss gab es keinen Schlafraum, und das hieß, Carly würde im selben Stockwerk wie er, Jake, schlafen. Er erwog kurz, für die Dauer ihres Aufenthalts zu den Arbeitern ins Blockhaus zu ziehen. Aber seine Privatsphäre so weit einzuschränken, war ihm ausgesprochen zuwider. Er brauchte Abstand, und mit der Vorstellung von einem Mehrbettzimmer konnte er sich nicht anfreunden. Die Männer würden es auch nicht mögen, wenn er ihnen plötzlich auf den Pelz rückte. Er pflegte kein kumpelhaftes Verhältnis zu ihnen, und beide Seiten würden sich nur befangen fühlen.

„Ich glaube, Carly wird sich auf der Ranch wohl fühlen, Jake. Es ist ein schöner, ruhiger Fleck Erde, und eines Tages wird sie das alles ja erben. Ein Grund mehr, dass sie sich ein wenig mehr mit Wyoming vertraut macht.“

„Ganz, wie du meinst, Stu.“ Jake staunte über den normalen Klang seiner Stimme, wo sein Puls doch raste und seine Hände feucht wurden. Er hatte sich eine perfekte Umgebung geschaffen, seit er vor vier Jahren zum ersten Mal den Fuß auf die Wild-Horse-Ranch gesetzt hatte. Eine Frau vor Ort würde die Atmosphäre total verändern. Die Männer rauchten, kauten Tabak, spuckten und fluchten, wie ihnen gerade der Sinn stand. Sie rissen derbe Witze über Frauen, obwohl die meisten von ihnen verheiratet waren oder feste Freundinnen hatten, deren Ehre sie jederzeit mit Fäusten verteidigen würden.

Doch auch das weiß Stuart, dachte Jake. Stuart war mit Cowboys aufgewachsen und wusste eins genau: diese Kerle mochten eine raue Sprache führen und knallhart gegenüber anderen Männern sein, aber mit einer Lady gingen sie respektvoll und sogar schüchtern um. War die Lady nicht ganz so ladylike, war das natürlich eine andere Geschichte, aber eigentlich waren diese Cowboys grundanständig.

Doch wenn Jake es sich ehrlich eingestand, machte er sich keine Sorgen um die Männer, falls Carly wirklich auf der Ranch auftauchen sollte, sondern um sich selbst. Er mochte die gegenwärtige Situation. Er aß gern mit seiner Mannschaft im Küchenhaus, damit er sich um seine Mahlzeiten nicht selbst kümmern musste. Wie würde Carly es aufnehmen, immer mit Cowboys essen zu müssen, die ihre eigenen Tischmanieren hatten?

„Wann kommt sie denn an, Stu?“

„Ungefähr in einer Woche. Ich sage dir noch genau Bescheid.“

„Soll ich sie vom Flughafen in Cheyenne abholen?“

„Nein, ich besorge ihr einen Hubschrauber zur Ranch. Mach dir keine Umstände“, erwiderte Stuart.

„Okay“, murmelte Jake. Sie besprachen noch dies und das, aber als Jake auflegte, erinnerte er sich an kein Wort. Ihm war, als würde sein geordnetes Leben auf diesem himmlischen Fleckchen Erde aus den Fugen geraten. Die Vernunft befahl ihm, nicht in Panik zu geraten, nicht vorschnell zu urteilen. Carly Paxton könnte ja ein ganz sympathischer Mensch sein, der sich problemlos einfügte. Doch Jake wollte nicht so recht daran glauben.

Er verließ sein so genanntes Büro und trat hinaus auf die breite Veranda, die um das ganze Haus lief. Hier vorn hielt er sich nach Einbruch der Dunkelheit am liebsten auf. Die Männer blieben in der Nähe des Blockhauses, rauchten, plauderten und verbrachten irgendwie ihren Feierabend. Doch die Unterkunft lag hinter dem Haus bei den Koppeln, Schuppen und Scheunen. Hier vorn auf der Veranda hatte Jake immer seine Ruhe zum Nachdenken.

Er setzte sich in einen der Sessel, atmete tief ein und versuchte sich über dieses Gefühl der Beklemmung in seiner Brust Klarheit zu verschaffen. Das warf die Frage auf: Wer war er? Sicher nicht mehr derselbe Mann, den Gloria sitzen gelassen hatte, und sicher war er auch nicht so wie die Cowboys auf der Ranch. Er konnte sich auch nicht mit Stuart vergleichen, der ein begnadeter Geschäftsmann war und sich in der ganzen Welt zu Hause fühlte.

Die Bezeichnung „Außenseiter“ kam Jake in den Sinn, und er seufzte. Er konnte die Erbitterung nicht leugnen, mit der er allen Frauen begegnete, seit diese eine ihn so verletzt hatte, obwohl er das selten zeigte. Deshalb sprach er auch nie und mit niemandem von seiner Vergangenheit. Aber war es nicht merkwürdig, dass er über die Enttäuschung mit Gloria nicht hinwegkam?

Jake presste die Lippen zusammen. Er beschäftigte sich nicht gern mit seinem Innenleben. Nun, er war nicht schlimmer dran als andere. Jeder hatte seine Probleme. Er würde Carlys Besuch überleben und darauf hoffen, dass sie keinen allzu großen Gefallen an der Ranch fand und bald wieder abreiste.

Was blieb ihm auch anderes übrig?

Dieser Flug mit dem Hubschrauber der schönste Teil der Reise, dachte Carly, während sie begeistert die Landschaft betrachtete. Sie hatte kaum Erinnerungen an diese Weite, an die spärliche Besiedelung, aber schließlich war sie damals noch ein Kind gewesen und hatte auf andere Dinge geachtet.

Jetzt war sie fasziniert von den ausgedehnten Feldern und Weiden, auf denen die vereinzelten Ranchgebäude und die Herden von Rindern und Antilopen winzig wirkten. Der majestätische Anblick der fernen Berge – der Tetons – war einfach wunderschön, und sie verspürte plötzlich eine Heiterkeit und Leichtigkeit wie schon lange nicht mehr.

Eigentlich hatte Carly nicht nach Wyoming kommen wollen, sie hatte es nur ihrem Vater zuliebe getan. Er machte sich große Sorgen um sie, und deshalb brachte sie dieses kleine Opfer, um ihn zu beruhigen.

Jetzt, da sie die Gegend mit wachen Augen sah, konnte sie die Reise nicht als Opfer bezeichnen. Diese unberührten Hügel und Täler, die großartige Kulisse der Berge musste man einfach bewundern.

Der Pilot berührte sie am Arm. „Wir sind gleich da“, erklärte er. „Ich lande auf dem Feld neben dem Haus.“

Carly lächelte in wehmütiger Erinnerung an das mächtige zweistöckige Haus mit der weitläufigen Veranda und den alten, Schatten spendenden Bäumen davor. Ihr Blick glitt über die Scheunen, Schuppen und Koppeln. Je tiefer der Helikopter ging, desto mehr Einzelheiten konnte sie wahrnehmen.

Da erregte eine Bewegung etwas weiter weg ihre Aufmerksamkeit. Zwei Männer zu Pferd verfolgten offenbar ein reiterloses Pferd. Wollten sie es einfangen? Die Sache interessierte Carly.

„Könnten Sie etwas näher an die drei Pferde herangehen?“ fragte sie den Piloten.

„Klar, kein Problem.“

Der Helikopter schwang nach rechts und ging tiefer, bis er direkt über den Baumwipfeln war. Carly sah, dass die beiden Reiter aufblickten, der Lärm irritierte sie. Im selben Moment hatte sie einen unverstellten Blick auf das dritte, reiterlose Pferd.

„Oh, es ist wunderschön“, flüsterte sie hingerissen. Das Pferd war kohlschwarz, sein Fell glänzte vor Schweiß im schwindenden Nachmittagslicht. Warum verfolgten die zwei das Tier so gnadenlos? War es aus einer Koppel ausgebrochen? „Was mag da vor sich gehen?“ fragte sie den Piloten.

„Ich glaube, die beiden wollen das Pferd einfangen. Sie haben Lassos.“

„Ja, stimmt.“ Das schwarze Pferd verschwand in einem dichten Waldstück, und die zwei Reiter folgten ihm. Carly empfand Enttäuschung. Sie hätte zu gern gewusst, wie die Sache ausging.

„Können wir jetzt landen?“ wollte der Pilot wissen.

„Selbstverständlich. Danke für den Umweg.“

„Nichts zu danken. Wie gesagt, ich habe Ihren Vater oft zur Ranch geflogen. Er wünschte auch so manchen Umweg.“

Carly lächelte. Sie mochte es, mit ihrem Vater verglichen zu werden, obwohl sie recht unterschiedlich waren. Stuart war ein ungezwungener, umgänglicher Mensch. Sie dagegen war häufig verspannt, leicht erregbar und mitunter allzu offenherzig. Zudem besaß sie nicht seinen begnadeten Geschäftssinn.

Doch worum Carly ihren Vater fast beneidete war seine Menschenkenntnis, denn auf dem Gebiet fehlte es ihr sehr. Ihre gescheiterte Ehe war der beste Beweis, und sie fragte sich ernsthaft, ob sie je wieder einem Mann über den Weg trauen würde. Allein die Vorstellung von einer bloßen Romanze entsetzte sie. Im Grunde, fand sie, war das ganze Getue um Romantik und Liebe nur dazu da, um Frauen, die meinten, ohne Mann kein erfülltes Leben führen zu können, als Kundinnen für irgendwelche teuren Produkte zu gewinnen, die sie ihrem angeblich so erstrebenswerten Ziel näher brachten. Zum Glück gehörte sie nicht mehr zu dieser Kundschaft. Sie war kein romantisches junges Ding mehr, sondern eine nüchterne Realistin. Keiner von diesen Schönrednern würde ihr noch einmal Sand in die Augen streuen, das war ihre feste Überzeugung.

Sie standen kurz vor der Landung, und Carly erblickte am Rand des Feldes einen großen, schlaksigen Mann in Jeans, Stiefeln und mit breitkrempigem Hut.

Als Jake den Hubschrauber kommen gehört hatte, hatte er sich sofort zum Landeplatz aufgemacht. Stirnrunzelnd hatte er beobachtet, wie die Maschine eine Schleife zog. Zugegeben, er war nervös vor dieser ersten Begegnung mit Stuarts Tochter. Im Grunde war er nervös, seit er seinem Boss gegenüber am Telefon behauptet hatte, Carly sei ihm herzlich willkommen. Das war sie nicht, keine Frau war ihm willkommen, und Jake hatte alles Mögliche herbeigewünscht – von einem Pilotenstreik bis zu einem wütenden Grippevirus, der einen Besuch der Gegend äußerst gefährlich gemacht hätte. Dumme Wünsche, aber die Unumstößlichkeit von Carlys Besuch hatte mit jedem Tag mehr an ihm gefressen.

Jetzt ärgerte es ihn, dass der Pilot da oben kreiste, anstatt zu landen. Carly musste ihn darum gebeten haben.

Meine Güte, warum soll sie nicht einen ausgiebigen Blick auf die Ranch werfen? sagte sich Jake. Sie war seit ihrer Kindheit nicht mehr hier.

Doch das heiterte seine trübe Stimmung nicht auf. Wenn Carly der Typ Frau war, der ständig seine Stellung als Tochter des Besitzers ausspielte, würden sie garantiert nicht gut miteinander auskommen. Und würde das nicht seine Beziehung zu Stuart belasten?

Jake presste die Lippen zusammen. Das Verhältnis zu Stuart wollte er um keinen Preis gefährden. Er würde also auf jeden Fall mit Carly Paxton – sie hatte nach der Scheidung ihren Geburtsnamen wieder angenommen – auskommen, selbst wenn er sich dazu irgendwelchen Launen beugen musste. Innerlich fluchend sah er zu, wie die Maschine nun landete.

Der Pilot stellte den Motor ab, und Jake ging auf den Helikopter zu. Ihm war, als hätte er einen Stein im Magen – und er ahnte, dass von nun an sein Leben nie mehr so sein würde wie zuvor.

2. KAPITEL

Carly hakte den Sicherheitsgurt auf und starrte den hochgewachsenen Mann an, der auf sie zukam. Das musste Jake Banyon sein, aber so hatte sie ihn sich nicht vorgestellt. Wieso hatte sie geglaubt, ein Ranchverwalter müsste viel älter sein? Sie ging auf die Dreißig zu, und Banyon wirkte genauso alt. Und was sie noch mehr überraschte: er sah verflixt gut aus! Während sie die schlanke, sehnige Figur in den engen, ausgeblichenen Jeans und dem blauen Arbeitshemd und die markanten, etwas harten Gesichtszüge betrachtete, hatte sie eine unleugbar erotische Empfindung.

Das erschreckte und ärgerte sie, und sie kniff streng die Lippen zusammen. Mein Besuch könnte ein sehr kurzer werden, dachte sie, obwohl sie sich auf einen langen Aufenthalt eingestellt hatte für den Fall, dass es ihr auf der Ranch gefiel. Dad hätte mir sagen müssen, dass Banyon jung und attraktiv ist. Warum hat er es mit keinem Wort erwähnt?

Der Pilot sprang auf den Rasen, grüßte Jake von weitem und half Carly beim Aussteigen. Als sie den Fuß auf die Erde setzte, stand Jake schon vor ihr, nahm den Hut ab und streckte ihr die Hand hin.

„Jake Banyon“, sagte er knapp und ohne zu lächeln. „Willkommen auf der Wild-Horse-Ranch.“

„Danke“, gab Carly steif zurück, reichte ihm kurz die Hand und zog sie danach so heftig zurück, als hätte sie sich verbrannt. In der Tat hatten die Wärme und Kraft seiner Hand ihr einen Schock versetzt.

Das darf doch nicht wahr sein! dachte sie und holte zitternd Luft, während sie um ihre Fassung rang.

Jake erging es mit ihr nicht viel anders. Er war regelrecht erschüttert, weil Carly groß und schlank war, aufregende grüne Augen und langes dunkles Haar hatte. Er hatte glühend gehofft, dass sie eher durchschnittlich wäre. Das war sie nicht. Sie war aufreizend weiblich und eine ausgesprochen auffallende Erscheinung.

Carly war nicht weniger verwirrt als er. Banyon hatte die leuchtendsten blauen Augen, die sie je gesehen hatten, schwarzbraunes Haar und stark gebräunte Haut. Der Blick dieser unglaublich Augen war zwar bestimmt nicht warm, aber selbst mit diesem Ausdruck der Kälte und Reserviertheit waren sie einfach umwerfend. Da hatte sie geglaubt, auf keinen Mann mehr anzuspringen, und nun wurde ihr schon allein beim Anblick dieses verflixten Cowboys heiß und schwindlig. Sie kämpfte die beginnende Panik nieder und nahm sich entschieden vor, so lange auf der Familienranch zu bleiben, wie es ihr gefiele. Sie würde sich doch nicht von einem viel zu gut aussehenden Cowboy vertreiben lassen.

Der Pilot lud das Gepäck aus. Jake warf sich sofort darauf, um sich von Carlys langen Beinen und ihrer beeindruckenden Figur abzulenken, die sich in den schmalen Jeans und dem rot-weiß gestreiften Hemd nur zu deutlich abzeichnete.

„Ich räume Ihr Gepäck etwas beiseite“, erklärte er. „Und dann begleite ich Sie ins Haus. Meine Männer bringen Ihre Koffer später nach.“

Carly wollte protestieren, dass er sie nicht zu begleiten brauche, da sie sich hier auskenne. Doch sie besann sich und murmelte: „Ja, danke.“ Es war nicht Banyons Schuld, dass er sie durcheinander brachte, und auch ihr Vater konnte nichts dafür. Wahrscheinlich hatte der nicht einmal bemerkt, dass sein Verwalter so sexy war.

Und offenbar stellte sie für Jake genauso eine Überraschung dar. Eine äußerst unangenehme Situation. Sie wusste von dem Blockhaus der Belegschaft und dass Jake als Einziger im Haupthaus wohnte. Sie wusste vom Küchenhaus und dass die Männer in der angrenzenden Kantine aßen. Ihr Vater hatte das Thema angesprochen und ihr die Wahl gelassen, zusammen mit den Männern zu speisen oder aber allein im Haus.

„Spann einmal richtig aus, und lass es dir gut gehen, Honey“, hatte er abschließend gesagt.

Carly betrachtete sie grünen Felder, die sich meilenweit in jede Richtung erstreckten, und die hohen Gipfel am Horizont. Nach einem schöneren Ort zum Ausspannen müsste man gewiss lange suchen, aber sie würde wohl leichter Entspannung finden, wenn Banyon zwanzig Jahre älter, kahlköpfig und krummbeinig wäre.

Sie zog die Brauen zusammen und dachte über ihre unerwartete und extrem unerwünschte körperliche Reaktion auf Jake Banyon nach. Von Männern sollte sie doch wirklich vorerst genug haben. Die emotionalen Wunden aus ihrer albtraumhaften Ehe waren kaum vernarbt, und der Gedanke an einen Flirt jagte ihr einen Schauer über den Rücken. All diese Lügen, zu denen Männer griffen, um bei Frauen an ihr Ziel zu gelangen. Danach zeigten die Kerle dann ihr wahres Gesicht.

Seufzend sah sie zu Banyon hinüber und beschloss, diesen Mann nie merken zu lassen, wie anziehend sie ihn fand. Er schüttelte dem Piloten gerade die Hand und kam nun wieder auf sie zu.

„Wollen wir jetzt ins Haus gehen?“

„Okay.“ Sie sah ihn nicht an und setzte sich mechanisch in Bewegung. Der startende Helikopter wirbelte ihr Haar durcheinander. Während sie es glatt strich, riskierte sie einen Blick in Banyons Richtung. „Ich hoffe, mein Besuch ist Ihnen nicht allzu lästig. Ich werde Ihnen möglichst aus dem Weg gehen.“

„Machen Sie sich darüber keine Gedanken“, antwortete Jake und dachte: Kann sie das überhaupt – sich selbst beschäftigen und mir nicht auf die Nerven gehen? Auf jeden Fall würde das Leben auf der Ranch durch ihre Gegenwart anders werden.

Aber das hatte er vorher gewusst. Was er nicht erwartet hatte, war das Herzklopfen, die trockene Kehle, der ganze Aufruhr in seinem Körper, den diese Frau auslöste. Nicht, dass es ihm direkt unangenehm war. Doch sie war Stuarts Tochter, verflixt! Selbst wenn er ein Frauenheld wäre – so wie einst –, würde er die Tochter seines Chefs nicht anrühren. Das wäre ja geradezu eine Beleidigung seines Arbeitgebers.

Stattdessen sollte er sich eher verpflichtet fühlen, Stuarts Tochter freundlich entgegenzukommen. „Sie fallen mir nicht lästig, und ich hoffe sehr, dass Sie sich hier wohl fühlen.“

Carly glaubte Jake kein Wort. Er klang, als hätte er in eine Zitrone gebissen. Vermutlich hatte ihr Vater ihn sanft unter Druck gesetzt.

„Wie war Ihre Reise?“ erkundigte er sich höflich.

Eine nichts sagende Frage, aber sie zeigte, dass er sich Mühe gab.

„Lang“, gab sie trocken zurück, fügte jedoch hinzu: „Aber der Flug mit dem Hubschrauber war herrlich. Und da möchte ich Sie gleich etwas fragen. Ich habe aus der Luft zwei Reiter gesehen, die offenbar ein anderes Pferd verfolgten. Um was ging es dabei?“

Jake blieb abrupt stehen und starrte sie an. „War das andere Pferd schwarz?“

Was für eine merkwürdige Reaktion auf eine schlichte Frage, dachte Carly. „Ja, kohlschwarz, und es war eins der schönsten Tiere, das ich je zu Gesicht bekommen habe.“

„Dieser verfluchte Hengst!“ Jakes Augen sprühten Blitze. „Er wird immer frecher. Ich hoffe, die beiden haben ihn eingefangen.“

Autor

Jackie Merritt
Seit 1988 ihre erste Romance veröffentlicht wurde, schreibt Jackie Merritt hauptberuflich. Sie ist fest davon überzeugt, dass jeder, der ein bisschen Kenntnis von Sprache und Grammatik hat, ein Buch verfassen kann. Die Voraussetzung ist allerdings, dass man sehr viel Disziplin aufbringen kann. Die ersten Seiten sind leicht – bis zum...
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