Julia Ärzte Spezial Band 34

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

KOMM MIT MIR NACH MALLORCA von JENNIFER TAYLOR

Dr. Felipe Valdez ist Beckys letzte Rettung: Er muss ihr helfen, damit sie den kleinen Josh nicht verliert! Hoffnungsvoll fliegt sie nach Mallorca, wo der attraktive Arzt eine exklusive Privatklinik leitet. Doch der spanische Spezialist reagiert unerwartet …

VERFÜHRERISCHE DR. JENNY von ANNE HERRIES

Im sonnigen Malaga will Ärztin Dr. Jenny Talforth ihren Liebeskummer vergessen und nimmt einen Job an der Klinik von Dr. Miguel Sanchez an. Anfangs wehrt er sich gegen ihren Charme. Außerdem darf er seine kranke Schwester nicht vernachlässigen. Aber kann er Jenny noch lange widerstehen?

DAS GESCHENK EINER SPANISCHEN NACHT von CAROL MARINELLI

Schuld ist nur der Mond über Barcelona: Überraschend findet Cat sich während eines Medizinkongresses in den Armen ihres charmanten Kollegen Dominic wieder! Mit Folgen, die ihre Seele tief verletzen könnten – oder endlich ihr Lachen zurückbringen …


  • Erscheinungstag 05.07.2025
  • Bandnummer 34
  • ISBN / Artikelnummer 8203250034
  • Seitenanzahl 384

Leseprobe

Jennifer Taylor, Anne Herries, Carol Marinelli

JULIA ÄRZTE SPEZIAL BAND 34

Jennifer Taylor

1. KAPITEL

Noch konnte sie umkehren. Sie müsste nur den Taxifahrer bitten, sie zum Flughafen zurückzubringen, einen Platz in der nächsten Maschine nach London buchen und …

Und dann? Ihre Lage hatte sich nicht geändert. Sie befand sich in derselben Situation wie heute Morgen, als sie nach Mallorca abgeflogen war. Egal, wie sehr sie der Gedanke schreckte, sie musste akzeptieren, dass sie Felipe Valdez’ Hilfe brauchte.

„Señorita?“

Überrascht blickte Rebecca Williams auf. Der Fahrer hatte sich zu ihr umgedreht, und sie merkte erst jetzt, dass der Wagen stand. Das nervöse Flattern im Magen verstärkte sich, während sie aus dem Fenster sah und einen ersten Blick auf die Clinica Valdez warf.

Sie war sehr viel größer, als sie erwartet hatte. Inmitten einer gepflegten Rasenfläche erhob sich ein eleganter weißer Gebäudekomplex. Ihr Herz schlug schneller. Nach allem, was sie von Antonio wusste, hatte sein Bruder die Klinik vor zwei Jahren bauen lassen. Allein die Finanzierung eines solchen Projekts verlangte sicher harte, entschlossene Verhandlungen. Es passte zu dem, was sie über Felipe Valdez gehört hatte, und es war nicht gerade ermutigend.

Würde er ihr überhaupt aus der finanziellen Klemme helfen und akzeptieren, dass sie ihm keine Gegenleistung bieten konnte?

Becky biss sich auf die Unterlippe und versuchte, die wachsende Panik zu unterdrücken. War es ein Fehler, dort hineinzumarschieren, ohne zu wissen, wie Valdez reagieren würde?

Sie musste ihm erzählen, dass sein Bruder einen Sohn hatte. Schon das allein würde ihn schockieren. Was mochte er erst sagen, wenn sie ihm auch die Umstände von Joshs Geburt schilderte?

Becky hatte große Angst, dass er sein Vermögen und seinen Einfluss nutzen könnte, um ihr das Kind wegzunehmen. Bei einer Gerichtsverhandlung würde es nicht darum gehen, dass sie das Sorgerecht für Josh hatte, sondern nur darum, dass sie kein Geld besaß und ganztags am St. Leonard’s Hospital arbeiten musste, um gerade so über die Runden zu kommen. Und da sie nicht die leibliche Mutter des Kleinen war, standen ihre Chancen schlecht, das Sorgerecht zu behalten …

„Señorita! Por favor!“

Der Taxifahrer wurde langsam ungeduldig. Schnell drückte sie ihm seinen Lohn in die Hand und stieg aus.

Seufzend stand Felipe Valdez vom Schreibtisch auf. Seit dem frühen Morgen hatte er über unzähligen Papieren gesessen, ein ungeliebter, jedoch unvermeidlicher Aspekt seiner Arbeit.

Als Direktor der Clinica Valdez war vor jeder Entscheidung sein Rat gefragt. Natürlich hatte er exzellente Mitarbeiter, doch er hielt gern die Fäden in der Hand. Felipe ahnte, dass seine Angestellten ihn für eine Art Kontrollfreak hielten, aber sie konnten ja nicht wissen, was ihm diese Klinik bedeutete. Nicht nur, dass er sich damit einen Traum erfüllt und einen Lebensinhalt geschaffen hatte, nein, er hatte auch hart gearbeitet und viele Opfer gebracht.

Sofort war der vertraute Schmerz wieder da. Felipe versuchte, nicht über seine Fehler nachzudenken, und trotzdem gelang es ihm nicht, sie auszublenden. Während er über die sonnenbeschienenen Rasenflächen blickte, quälte ihn wieder die Erinnerung an seinen Bruder Antonio.

Wäre er damals nicht so sehr mit dem Aufbau der Klinik beschäftigt gewesen, wäre ihm sicher aufgefallen, was mit Antonio los war. Warum hatte er die Behandlung abgebrochen und das Krankenhaus verlassen? Er hätte doch mindestens ein halbes Jahr länger leben können.

Nicht dass er Antonio die Schuld gab. Er war zu krank gewesen und viel zu sehr beherrscht von dieser Frau. Wenn jemand für den vorzeitigen Tod seines Bruders verantwortlich zu machen war, dann Rebecca Williams!

Grimmig starrte er aus dem Fenster. Er war ein im klassisch südländischen Sinne gut aussehender Mann, aber jetzt hatte er etwas Düsteres, Furcht einflößendes.

Ich hätte gleich im Anschluss an die Beerdigung nach London fliegen sollen, um ihr deutlich die Meinung zu sagen, dachte er wütend.

Zu der Trauerfeier auf Mallorca waren nur engste Freunde und die Familie gekommen, und Rebecca Williams war selbstverständlich nicht eingeladen gewesen. Allerdings hatte er ein Foto von ihr gesehen. Mit ihrem ovalen Gesicht, den langen blonden Haaren und den großen grauen Augen sah sie aus wie ein Engel, eine Erscheinung, nach der jeder Mann sich umdrehen würde. Aber Felipe wusste, wie trügerisch solche zarten Züge sein konnten. Kein Wunder, dass sich der arme Antonio hatte täuschen lassen.

Plötzlich tauchte eine Frau auf dem Weg unter seinem Fenster auf, und Felipe blinzelte verwirrt. Sie hatte das blonde Haar auf dem Kopf zu einem Knoten geschlungen, und er sah sie auch nur im Profil, doch sie kam ihm bekannt vor …

Abrupt wandte er sich um und marschierte zur Tür. Als er sie aufriss, erschreckte er seine Sekretärin, die gerade hatte anklopfen wollen. Felipe schüttelte den Kopf, als sie den Mund öffnete.

„Später!“, sagte er in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete.

Er eilte den Flur entlang und die Treppe hinunter. Am Empfang standen die Leute Schlange, aber Felipe verlangsamte seine Schritte nicht. Sein Herz hämmerte, das Blut dröhnte ihm in den Ohren. Wenn es wirklich Rebecca Williams war, so würde er die Chance nutzen, ihr endlich zu sagen, was er von ihr hielt!

Sie saß auf einer Bank vor dem Haupteingang. Felipe blieb stehen und beobachtete, wie sie eine Haarsträhne, mit der der Wind spielte, hinters Ohr zurückschob. Ihre Hand bebte.

Mitgefühl war das Letzte, was er erwartet hätte, wenn er sie zum ersten Mal sah. Sie wirkte so traurig, einsam und unglücklich, dass der Anblick sein Herz berührte. Er musste sich zwingen, daran zu denken, wer sie war und was sie getan hatte.

Diese Frau hatte Antonios Tod beschleunigt, um an sein Geld zu kommen. Ein solcher Mensch verdiente kein Mitleid!

Offenbar hatte er unbewusst einen verächtlichen Laut ausgestoßen, denn sie wandte sich ihm zu. Das Blut wich ihr aus dem Gesicht, aber sie stand auf und kam auf ihn zu.

„Sie sind Antonios Bruder, nicht wahr?“

Ihre Stimme war sanft und angenehm melodisch. Felipe runzelte die Stirn, überrascht, weil ihm solche Nebensächlichkeiten auffielen.

„Ich bin Felipe Valdez“, antwortete er barsch, und sie zuckte zusammen. Mit zwei Schritten war er bei ihr und blieb dicht vor ihr stehen. Dass sie so zierlich war, hatte er nicht vermutet. Er wusste nicht warum, aber er hätte eine größere Frau erwartet, eine, die nicht so zerbrechlich wirkte.

„Wahrscheinlich wissen Sie nicht, wer ich bin“, begann sie zögernd, aber er unterbrach sie, verärgert, dass er ihrer süßen Stimme nachgelauscht hatte.

„Sie sind Rebecca Williams.“ Er lächelte grimmig, als sie ihn überrascht anblickte. „Antonio hatte mir ein Foto von Ihnen geschickt. Er schrieb, er wolle mir den wichtigsten Menschen in seinem Leben zeigen.“

„Ich wusste nicht … Er hat mir nie erzählt, dass …“ Ihre grauen Augen füllten sich mit Tränen, und sie wandte sich ab, während sie in ihrer Handtasche nach einem Taschentuch suchte.

Felipe ballte die Hände zu Fäusten. Was war los mit ihm? Warum verspürte er dieses kaum zu unterdrückende Bedürfnis, sie zu trösten? Erneut wallte Ärger in ihm auf. War das nicht ein Beweis ihrer Macht? Wenn sie ihn schon so beeinflussen konnte, musste es für sie ein Kinderspiel gewesen sein, Antonio zu betören und ihn dazu zu bringen, alles zu tun, was sie von ihm verlangte.

Er packte sie am Ellbogen und führte sie vom Haupteingang weg, ohne auf ihren leisen Protest zu achten. Was sie miteinander auszutragen hatten, ging niemanden etwas an. Felipe hatte weder mit seinen Kollegen noch sonst jemandem jemals über Rebecca Williams gesprochen, und auch sonst zog er es vor, Probleme mit sich abzumachen. Ein einziges Mal erst hatte er einem anderen Menschen sein Herz geöffnet und es später bitter bereut.

Seltsam, er hatte seit Jahren nicht mehr an seine gescheiterte Verlobung mit Teresa gedacht. Ihm blieb keine Zeit, dem Gedanken nachzugehen. Rebecca Williams entriss ihm ihren Arm. Ihre geröteten Wangen und die blitzenden Augen verrieten ihm, dass sie sich über seine grobe Art ärgerte. Aber nach allem, was sie Antonio angetan hatte, verdiente sie wohl kaum eine höfliche Behandlung!

„Was bilden Sie sich ein …“, begann sie aufgebracht, aber er ließ sie nicht ausreden.

„Was wollen Sie, Miss Williams?“ Er lächelte spöttisch, als sie verstummte und ihn wachsam musterte. „Sie müssen einen Grund haben, warum Sie unerwartet hier auftauchen. Reden wir also nicht um den heißen Brei herum. Sí?

„Wer sagt, dass ich etwas von Ihnen will?“ Sie entfernte sich ein paar Schritte und drehte sich zu ihm um. „Vielleicht wollte ich Sie einfach nur kennenlernen?“

„Schon möglich, aber das glaube ich nicht.“ Felipe verschränkte die Arme vor der Brust.

Sie ist eine schöne Frau, dachte er, mit ihrem seidigen hellblonden Haar, den feinen Gesichtszügen und der unschuldigen Ausstrahlung. Aber ich bin kein Dummkopf! Rebecca Williams war eine gefühllose, berechnende Goldgräberin, die seinen Bruder schamlos ausgenutzt hatte, als er am schwächsten war.

Heißer Zorn stieg wieder in ihm auf, doch er hatte schon vor langer Zeit gelernt, ihn zu kontrollieren und zu seinem Vorteil einzusetzen. Felipe betrachtete sie stumm. Die unterschiedlichsten Gefühle spiegelten sich in ihrem Gesicht wider, und schließlich senkte sie den Kopf.

„Sie hassen mich, nicht wahr?“ Plötzlich sah sie wieder auf. „Warum? Ich habe Ihnen doch nichts getan. Wir sind uns noch nie begegnet. Also, weshalb sind Sie so feindselig?“

„Können Sie sich das wirklich nicht denken, Miss Williams?“ Er verdrängte das Schuldgefühl, das sich leise in ihm regte. Rebecca Williams war eine begnadete Schauspielerin. Wie sonst hätte sie Antonio hinters Licht führen können?

Felipe wusste nicht genau, wie lange die beiden zusammengelebt hatten. Es hatte eine Weile gedauert, bis Antonio ihm seine Londoner Adresse mitteilte, und auch in diesem Brief stand nicht mehr über seine Beziehung, als dass er jemanden kennengelernt hätte, mit dem er nun zusammenwohne.

Monatelang hörte Felipe nichts mehr von ihm, und als der nächste Brief auf Mallorca eintraf, in dem sein Bruder erklärte, er wolle die Krebsbehandlung im Krankenhaus nicht mehr fortsetzen, war Antonio schon tot.

„Wegen Antonio? Das verstehe ich nicht. Ich habe nichts verbrochen, um Ihrem Bruder zu schaden. Ich wollte ihm nur helfen!“

„Tatsächlich? Wie rührend.“ Er lächelte zynisch. „Sie hatten also einzig und allein Antonios Wohl im Sinn?“

„Natürlich! Alles, was ich getan habe, geschah nur zu dem Zweck, ihm das Leben … erträglicher zu machen.“

Ihr versagte die Stimme, und Rebecca Williams sah zur Seite. Felipe fuhr sich mit der Hand durchs Haar, weil er nicht wusste, ob er sie kräftig schütteln oder in die Arme nehmen sollte. Sie klang so aufrichtig, obwohl die Fakten eindeutig gegen sie sprachen.

Am besten sagte er ihr direkt, was er dachte, ehe diese Unterhaltung endgültig zur Farce wurde.

„Gleichzeitig haben Sie es geschafft, sich mit Ihrer Belohnung ein schönes Leben zu machen. Das wollten Sie doch sagen, nicht wahr, Miss Williams?“

„Ich weiß nicht, was Sie meinen …“ Sie unterbrach sich und holte tief Luft. Felipe sah, wie ihre kleinen Brüste unter dem weichen blauen Kleid sich hoben. Als Rebecca fortfuhr, klang ihre Stimme dünn, als hätte sie keine Kraft mehr. Vielleicht war es auch für eine abgebrühte Hochstaplerin wie sie schwer, die Wahrheit einzugestehen. „Sie reden von Antonios Testament, oder? Weil er mir all sein Geld hinterlassen hat?“

Becky unterdrückte ein Zittern. Felipe Valdez musterte sie, und sie las deutlich Abscheu in seinen dunkelbraunen Augen. Sie hätte verletzt oder wütend sein müssen, aber seltsamerweise hatte sie das Gefühl, neben sich zu stehen und die Szene auf dem sonnigen Rasen zu beobachten.

Da stand sie in ihrem besten Kleid, das sie angezogen hatte, um einen guten Eindruck zu machen. Ihr gegenüber Felipe, hochgewachsen und aufrecht, den Mund zu einem arroganten Lächeln verzogen.

Unwillkürlich fragte sie sich, was passieren würde, wenn sie einmal kurz zwinkerte. Wäre sie dann, sobald sie die Augen wieder öffnete, in ihrer Wohnung in London, wo Josh nach ihr rief, damit sie ihn aus seinem Bettchen hob …

Sie schloss die Augen, schlug sie wieder auf. Nichts hatte sich geändert. Nichts, bis auf die Tatsache, dass Felipe etwas sagte. Sie hatte Mühe, sich darauf zu konzentrieren.

„Endlich kommen wir zum Kern der Sache. Ihre britische Zurückhaltung in allen Ehren, aber warum scheuen Sie sich, über Geld zu reden? Sie brauchen nicht so zu tun, als wäre es ohne Bedeutung. Wir beide wissen, dass es für viele Menschen eine starke treibende Kraft ist.“

Sein Schulterzucken lenkte ihre Aufmerksamkeit auf den dunkelgrauen Anzug, den er mit lässiger Eleganz trug. Aus teurem Stoff und offensichtlich maßgeschneidert, betonte er Felipes breite Brust und die schmalen Hüften. Unwillkürlich glitt Beckys Blick tiefer zu den langen Beinen und den glänzenden schwarzen Schuhen. Handgenäht, aus weichem Leder, keine Frage.

Anscheinend hatte Felipe Valdez kein Problem damit, sich solchen Luxus zu gönnen. Warum stellte er dann das Recht seines Bruders infrage, sein Erbe so auszugeben, wie er es für richtig hielt? Der feindselige Empfang, die bissigen Fragen – ging es hier nur um Geld?

„Ihr Bruder wusste genau, was er mit seinem Erbe anfangen wollte, Dr. Valdez, es war seine Entscheidung.“

„Und Sie würden schwören, dass Sie nicht versucht haben, ihn in irgendeiner Weise zu beeinflussen? Dass Sie seine Krankheit nicht benutzten, um für sich einen Vorteil herauszuschlagen? Dass Sie sich niemals vorgestellt haben, wie herrlich es wäre, das viele Geld für sich allein zu haben?“

Becky schnappte nach Luft, und er lachte auf. „Oder dass es nicht schlecht gewesen wäre, wenn Antonio noch früher sterben würde, damit Sie nicht so lange darauf warten mussten?“

„Nein!“, erwiderte sie empört. „Wie können Sie so etwas sagen? Ich wollte sein Geld nicht. Er hat entschieden, mich in seinem Testament zu bedenken. Ich habe nie versucht, ihn zu beeinflussen!“

Ihr wurde übel, und sie fuhr herum, würgte über dem Blumenbeet, aber ihr Magen war leer, weil sie seit gestern Abend nichts mehr gegessen hatte.

„Hier.“

Eine sonnengebräunte Hand tauchte neben ihrem Gesicht auf, und Felipe hielt ihr ein sauberes weißes Taschentuch hin. Sie schüttelte den Kopf. Von diesem Mann würde sie nichts nehmen, nicht das Geringste. Ich hätte niemals herkommen sollen, sagte sie sich. Was für eine dumme Idee, ihn um Hilfe zu bitten!

Antonio hatte ihr von Felipe erzählt, davon, dass er stets die Kontrolle behalten wollte. Durfte sie wirklich das Risiko eingehen, dass er familiäre Rechte auf Josh anmeldete? Dass er ihr Josh wegnahm?

Der Gedanke half ihr, sich zusammenzureißen, und sie richtete sich langsam auf. Der Blick, den Antonios Bruder ihr zuwarf, erschien ihr rätselhaft, doch ehe sie ihn näher deuten konnte, wurde Felipes Miene wieder ausdruckslos.

„Fühlen Sie sich besser?“

„Alles in Ordnung.“ Sie wandte sich ab und ging den Weg entlang, auf dem sie gekommen waren. Aber er hielt sie auf, streckte die Hand aus, als sie ihm ausweichen wollte.

Becky erschauerte, als er ihr Handgelenk umfasste, gönnte ihm aber nicht die Genugtuung, zurückzuzucken. Er sollte nicht denken, dass sie Angst vor ihm hatte.

„Es wäre besser, wenn Sie mit in die Klinik kämen und sich ein bisschen ausruhten“, sagte er knapp.

„Nicht nötig.“ Sie sah ihm direkt in die Augen. „Danke für das Angebot, aber ich möchte meinen Flug nicht verpassen. Ich werde direkt zum Flughafen fahren. Entschuldigen Sie die morgendliche Störung, Dr. Valdez.“

Sanft entzog sie ihm ihre Hand, und diesmal ließ er sie gehen. Sie spürte seinen Blick im Rücken, während sie zum Haupteingang zurückmarschierte. Bevor sie die Gebäudeecke erreichte, konnte sie der Versuchung, sich noch einmal umzudrehen, nicht widerstehen.

Felipe Valdez stand genau dort, wo sie ihn verlassen hatte, und selbst auf die Entfernung konnte sie Abscheu und Verachtung in seinem Gesicht lesen. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, aber sie wollte nicht, dass er es sah. Also hob sie nur die Hand und wartete, bis sie außer Sicht war, ehe sie ein Taschentuch hervorholte.

Ein glücklicher Zufall wollte es, dass ein Taxi vor der Klinik hielt. Nachdem der Fahrgast ausgestiegen war, sprach Becky mit dem Fahrer und nahm auf dem Rücksitz Platz. Ehe sie die Auffahrt hinunterfuhren, erhaschte sie einen Blick auf Felipe Valdez, senkte aber die Lider, als er in ihre Richtung schaute.

Becky wusste, dass sie nie wieder herkommen würde. So demütigend die letzten Minuten auch gewesen waren, im Grunde ihres Herzens war sie froh, dass sie ihm nicht gesagt hatte, weshalb sie ihn aufgesucht hatte.

Sie seufzte, als sie an jenen furchtbaren Tag dachte, an dem Antonio ihr erzählte, seine Exfreundin Tara Lewis erwarte ein Kind von ihm, und sie wolle es abtreiben.

Antonios Affäre mit Tara war seit einiger Zeit vorbei, und er hatte kein Geheimnis daraus gemacht, dass er sie zutiefst bereute. Becky hingegen machte sich Sorgen, dass er sich vielleicht zu schnell in eine neue Beziehung stürzen würde, und hatte darauf bestanden, es zwischen ihnen langsam angehen zu lassen.

Antonio sah das anders. Er liebe sie, sagte er zu Becky, und hoffe sehr, dass sie seine Gefühle mit der Zeit erwidern könnte. Es gefiel ihr, dass er sie nicht bedrängte, und da sie spürte, dass sie drauf und dran war, sich in ihn zu verlieben, ging sie immer öfter mit ihm aus. Sechs Wochen später erfuhr Antonio, dass er Krebs hatte, und von einem Tag auf den anderen änderte sich alles. Zeit war etwas, was sie auf einmal nicht mehr hatten.

Für Becky war klar, dass sie für ihn da sein würde, und sie bereute ihren Entschluss nicht ein einziges Mal. Antonio war ein liebevoller, zärtlicher Mann, wie sie noch keinem begegnet war, und sie liebte ihn von Herzen. Wenige Tage, bevor Tara die Bombe platzen ließ, hatten die Ärzte Antonio mitgeteilt, dass die Krebsbehandlung ihn unfruchtbar machen würde.

In seiner Verzweiflung hatte er sich Becky anvertraut, und sie war auf die Idee gekommen, Tara Geld anzubieten dafür, dass sie das Baby austrug. Da ihm an seinem fünfundzwanzigsten Geburtstag eine hohe Versicherungssumme ausgezahlt worden war, könnte er mit Tara darüber verhandeln. Anschließend versprach Becky ihm, dass sie sich um das Kind kümmern würde, egal, was passierte. Da erst war er einverstanden, den Plan in die Tat umzusetzen.

Antonio einigte sich mit Tara auf Folgendes: Er würde ihr fünfzigtausend Pfund sofort und nach der Geburt weitere fünfzigtausend zahlen, zuzüglich einer Aufwandsentschädigung von fünftausend Pfund pro Schwangerschaftsmonat. Hätte Tara sich an die Abmachung gehalten, wäre das Ganze kein Problem gewesen.

Leider verlangte sie mehr und mehr Geld, und auch die Abschlusszahlung hielt sie nicht davon ab, Forderungen zu stellen. Vor zwei Wochen erst war sie vor Beckys Wohnung aufgetaucht und hatte darauf bestanden, dass sie ihr zwanzigtausend Pfund gab.

Dass Becky das Geld nicht hatte, interessierte Tara nicht im Geringsten. Sie drohte damit, vor Gericht zu gehen und auszusagen, man habe sie genötigt, das Sorgerecht für das Baby abzugeben.

Entsetzt hatte Becky versucht, sie zur Vernunft zu bringen, aber Tara hatte nur gelacht und gemeint, der Richter würde wahrscheinlich keiner von ihnen das Sorgerecht zusprechen, sondern Josh in ein Pflegeheim geben. Ihr sei es egal, was mit dem Kind passiere. Sie hätte es sowieso nur zur Welt gebracht, weil Antonio sie dafür bezahlt hatte, es nicht abtreiben zu lassen.

Becky holte tief Luft. Sie hatte Antonio versprochen, sich um Josh zu kümmern und ihn nie im Stich zu lassen. Irgendwie würde sie das Geld schon auftreiben, auch ohne Felipe Valdez!

„Es sieht alles gut aus, Miss Prentice. Der Wundbereich wird noch für ein paar Tage empfindlich sein, aber sobald das Drainageröhrchen entfernt ist, sollte es keine Komplikationen mehr geben.“

Felipe trat zurück, und die Krankenschwester deckte die Patientin wieder zu. Lisa Prentice war mit einem hochgradig entzündeten Blinddarm in die Clinica Valdez eingeliefert worden, und Felipes Kollegin Silvia Ramirez hatte ihn entfernt.

„Ausgezeichnete Arbeit, Dr. Ramirez. Vermutlich war es nicht einfach, da der Blinddarm kurz vorm Durchbruch stand, oder?“

„Ja, Dr. Valdez.“ Die attraktive Brünette freute sich sichtlich über das Lob.

„Eine halbe Stunde später, und die Folgen wären weitaus ernster gewesen.“ Er wandte sich an das Mädchen. „Haben Sie keine Anzeichen einer Entzündung gespürt, bevor Sie in die Ferien geflogen sind, Miss Prentice?“

Lisa errötete leicht. Sie war hübsch, siebzehn Jahre alt, und zusammen mit Freundinnen nach Mallorca gekommen. Seine Frage brachte sie anscheinend in Bedrängnis.

„Da war ein leichtes Stechen in der Nacht vor dem Abflug“, murmelte sie, „aber ich habe mir nichts dabei gedacht.“

„Verstehe.“ Er sah sie eindringlich an. „Sie sind nicht auf die Idee gekommen, einen Arzt aufzusuchen, weil es sich vielleicht um etwas Ernstes handeln könnte?“

„Nein, also … ich meine, wenn Mum mitgekriegt hätte, dass ich mich nicht so gut fühle, hätte sie nicht erlaubt, dass ich fliege, und …“ Unsicher verstummte sie.

Felipe unterdrückte ein Seufzen. Sie hatte es riskiert, ernsthaft krank zu werden, statt auf ihren Urlaub zu verzichten. Ihm persönlich müsste man schon mehr bieten als die Aussicht auf zwei Wochen unter südlicher Sonne, ehe er gesundheitlich angeschlagen ein Flugzeug bestieg.

Der Gedanke erinnerte ihn an Rebecca Williams. War ihr übel geworden, weil sie schon krank hierhergekommen war, oder hatte sie auf irgendetwas reagiert, das er gesagt hatte? Selbst eine abgefeimte Betrügerin könnte eine so heftige körperliche Reaktion nicht vortäuschen, oder? Es ließ ihm keine Ruhe, dass er diese Reaktion provoziert hatte, und gleichzeitig ärgerte er sich darüber. Was ging ihn diese verdammte Frau an? Sie hatte seinen Bruder ausgenutzt.

Silvia warf ihm einen nervösen Blick zu, und Felipe merkte, dass er düster vor sich hin gestarrt hatte. Um zu verhindern, dass sie seinen grimmigen Ausdruck auf sich bezog, setzte er eine neutrale Miene auf und wandte sich an die Patientin.

„Darf ich Ihnen den guten Rat geben, das nächste Mal vernünftiger zu sein, ehe Sie in die Ferien fliegen, Miss Prentice? Leider werden Sie von diesem Urlaub nicht viel haben. Sie müssen zwei, drei Tage bei uns bleiben, und danach werde ich Ihre Versicherung um einen Krankentransport in Ihre Heimat bitten.“

„Oh! Ich wusste nicht, dass ich gleich wieder nach Hause muss.“ Ihre Augen wurden feucht. „Ich dachte, ich könnte zu meinen Freunden. Wissen Sie, wir haben so lange für diesen Urlaub gespart, und jetzt habe ich überhaupt nichts davon.“

Ihre Worte berührten ihn, und Felipe wunderte sich über sich selbst. Er vermisste die gewohnte Distanz, die er sich schon vor langer Zeit im Umgang mit Patienten angewöhnt hatte.

War die Begegnung mit Rebecca Williams daran schuld, dass er plötzlich Emotionen zeigte?

Rasch verdrängte er den beunruhigenden Gedanken. „Ich bin der Meinung, dass es vernünftiger wäre, wenn Sie nach Ihrer Entlassung umgehend nach Hause zurückkehren, Miss Prentice. Allerdings …“

Er hob die Hand, als das Mädchen ihn unterbrechen wollte, und wunderte sich nicht, dass sie den Mund sofort wieder zumachte. Es gab nur wenige Menschen, die sich von ihm nichts sagen ließen. Ob das gut oder schlecht war, stand auf einem anderen Blatt. Vielleicht wäre er ein besserer Mensch, wenn er sich gelegentlich dem Willen eines anderen beugen müsste? Er konnte sich nicht erinnern, wann ihn jemand das letzte Mal in die Schranken gewiesen hatte.

Von Rebecca Williams einmal abgesehen.

Wieder musste er sich zwingen, bei der Sache zu bleiben. „Allerdings“, wiederholte er, „bin ich bereit, Ihren Fall in zwei Tagen noch einmal zu besprechen.“

Sie strahlte über das ganze Gesicht, und er verkniff sich ein Lächeln, damit sie nicht glaubte, er würde sie auf jeden Fall in die Ferien entlassen. „Wenn Sie weiterhin so gute Fortschritte machen, könnte ich Ihnen möglicherweise erlauben, Ihren Urlaub fortzusetzen“, erklärte er. „Mit gewissen Auflagen, natürlich.“

„Danke, Dr. Valdez, und Ihnen auch, Dr. Ramirez. Das ist toll!“

Als sie Lisa verließen, spürte Felipe, dass Silvia ihn prüfend betrachtete. „Sind Sie mit meiner Entscheidung nicht einverstanden, Dr. Ramirez? Bitte, sagen Sie es ruhig.“

„Doch, doch“, beeilte sie sich zu sagen und wurde ein wenig rot. Im selben Moment begriff er. Silvia war einfach überrascht, dass er seine Meinung geändert hatte. Es passte nicht zu ihm, dass er eine einmal getroffene Entscheidung wieder umstieß.

Was war heute los mit ihm? Zu allem Überfluss ging ihm Rebecca Williams nicht aus dem Sinn. Vorhin hatte es ihm noch genügt, ihr deutlich zu sagen, was er von ihr hielt. Jetzt ertappte er sich dabei, dass er doch wissen wollte, warum sie zu ihm gekommen war.

Er hatte gehört, wie sie den Taxifahrer gebeten hatte, sie zum Flughafen zu bringen. Hatte sie auf Mallorca Urlaub gemacht und spontan beschlossen, in den letzten Stunden vor dem Abflug Antonios Bruder aufzusuchen? Oder steckte etwas anderes dahinter?

Die Frage verfolgte ihn den ganzen Tag. Nach Dienstschluss verließ er die Klinik und machte sich auf den Weg durch den kleinen Park, zwischen den Bäumen hindurch, bis er zu der Villa kam. Es war fast sieben, und die niedrig stehende Sonne überzog den Horizont und die kleine Bucht mit flammendrotem Glanz.

Felipe blieb stehen, wie immer, um den Ausblick zu genießen, doch heute Abend verschaffte er ihm nicht die gewohnte Erholung. Er war angespannt und unruhig wie lange nicht mehr. Eigentlich nicht mehr, seitdem er herausgefunden hatte, dass seine Verlobte ihn betrog.

Ohne lange nachzudenken, hatte er die Verlobung gelöst und sich geschworen, nie wieder eine enge Beziehung einzugehen. Hier und da eine Affäre war alles, was er sich erlaubte. Genau diese Gelassenheit wünschte er sich jetzt im Umgang mit Rebecca Williams.

Er schloss die Haustür auf und durchquerte auf dem Weg ins Arbeitszimmer das Esszimmer, wo seine Haushälterin ihm auf einem Teewagen mit Warmhalteplatten das Essen hingestellt hatte. Sie war eine exzellente Köchin, und es lag sicher nicht an ihr, dass ihm der Geruch nach Fleisch und Gemüse heute leichte Übelkeit verursachte.

Natürlich nicht zu vergleichen mit der, die Rebecca Williams heute Morgen gepackt hatte.

„Madre de Dios!“ Unbeherrscht schlug er mit der flachen Hand gegen die geschnitzte Holztür. Die Ornamente bohrten sich in seine Haut und machten ihm schmerzhaft bewusst, dass er die Kontrolle verloren hatte. Er, der seine Gefühle immer im Griff hatte …

Diesmal waren die Emotionen zu stark, und sie alle hatten mit Antonio zu tun. Felipe spürte Schuld, Zorn, Kummer und Schmerz, zusammen mit tiefer Verachtung für diese Frau, die die Verletzlichkeit seines Bruders ausgenutzt hatte.

Vielleicht war er drauf und dran, einen Fehler zu begehen, aber er wollte endlich Klarheit. Rebecca Williams sollte dafür bezahlen, was sie Antonio angetan hatte!

Er marschierte zu seinem Schreibtisch, nahm das Telefon und wählte.

„Buchen Sie bitte einen Platz in der nächsten Maschine nach London. Mein Name? Valdez, Dr. Felipe Valdez.“

2. KAPITEL

„Braun bist du ja nicht geworden. Sag bloß, auf Mallorca hat es geregnet?“

Becky drehte sich um, als ihre Freundin Karen Hardy ins Schwesternzimmer kam. Nach einem hektischen Morgen auf der Kinder-Intensivstation des St. Leonard’s Hospital hatte sie gerade Kaffee gekocht, um sich die erste, wohlverdiente Pause zu gönnen.

„Das Wetter war gut, aber ich hatte nicht viel davon.“ Sie reichte Karen eine dampfende Tasse und setzte sich mit ihrer eigenen auf einen Stuhl.

Der heiße Kaffee würde hoffentlich das innere Frösteln vertreiben, das sie einfach nicht loswurde. Obwohl es in London für die Jahreszeit ungewöhnlich warm war, fror Becky. Vielleicht lag es ja an dem frostigen Empfang, den man ihr in der Clinica Valdez bereitet hatte.

Nach ihrer Rückkehr gestern hatte sie die halbe Nacht wach gelegen und darüber gegrübelt, was Felipe Valdez ihr an den Kopf geworfen hatte. Nicht zu fassen, er glaubte tatsächlich, dass sie Antonio für ihre Zwecke ausgenutzt hatte! Bei dem Gedanken wurde ihr schlecht.

„He, alles in Ordnung mit dir? Du machst ein Gesicht, als hättest du etwas richtig Ekliges verschluckt.“ Karen schnupperte misstrauisch an ihrem Kaffee. „Ist die Milch schon wieder schlecht geworden?“

„Nein, sie ist frisch. Keine Angst, ich versuche nicht, dich zu vergiften“, beruhigte Becky sie. „Hier, nimm dir einen.“ In der Hoffnung, Karen von weiteren Fragen abzuhalten, schob sie ihr die Packung Schokoladenkekse hin, die einer der Ärzte spendiert hatte. Sie war zwar eine gute Freundin, aber Becky hielt es für klüger, kein Risiko einzugehen. Wenn die Leute erst anfingen zu tratschen …

Antonio und sie hatten von Anfang an beschlossen, überall zu erzählen, dass sie alleinerziehende Mutter eines neun Monate alten Sohns war. Und wenn jemand nach dem Vater fragte, sagte sie die Wahrheit, nämlich, dass er bald nach der Geburt des Kindes gestorben sei.

Bisher hatte niemand an ihrer Geschichte gezweifelt, und obwohl sie manchmal ein schlechtes Gewissen quälte, weil sie anderen etwas vortäuschte, so glaubte sie doch, dass ihr keine Wahl blieb. Sie musste Josh schützen.

„Danke.“ Karen biss in den Keks und redete mit vollem Mund weiter. „Also, warum hattest du nicht viel vom Sonnenwetter auf Mallorca?“

„Ich bin nicht lange da gewesen. Morgens hin, nachmittags zurückgeflogen.“

„Echt?“ Verblüfft starrte sie Becky an. „Du musst gute Gründe gehabt haben, ich meine, der Flug ist ganz schön lang, um nur ein paar Stunden auf der Insel zu bleiben.“

„Ich musste etwas erledigen“, antwortete sie ausweichend.

„Wegen Josh? Hattest du nicht gesagt, dass sein Vater von Mallorca kommt? Wolltest du seine Familie besuchen?“

„Ja.“ Becky zuckte mit den Schultern. „Wie ich schon sagte, es war nur eine Stippvisite, deshalb bin ich nicht lange geblieben. Außerdem wollte ich nach Hause zu Josh.“

„Du hast ihn nicht mitgenommen?“

Becky unterdrückte ein Stöhnen. Sie war es einfach nicht gewohnt, zu lügen. Wie sagte man so schön? Eine Lüge zog die nächste nach sich, und wenn man nicht aufpasste, verstrickte man sich im eigenen Lügengespinst und fiel böse auf die Nase.

„Er hatte eine Mittelohrentzündung, und ich fand es besser, ihn hierzulassen. Die Tagesmutter hat auf ihn aufgepasst.“

Karen öffnete den Mund, als plötzlich die Tür aufging und zu Beckys Erleichterung die neue Hebammenschülerin hereinstürmte.

„Es tut mir furchtbar leid, Becky, aber können Sie mal kommen?“, bat Debbie Rothwell aufgeregt. „Holly weint, und ich weiß nicht, was sie hat. Die Geräte zeigen nichts Auffälliges an, ich habe wirklich alles zwei Mal überprüft.“

„Haben Sie sie gefragt, warum sie weint?“

„Nein“, gestand sie ein. „Daran hätte ich zuerst denken sollen, oder?“

„Machen Sie sich keine Sorgen. Es dauert eine Weile, bis man die nötige Routine hat“, sagte Becky freundlich, stellte ihre Tasse in die Spülmaschine und ging zur Tür. „Kommen Sie, wir sehen uns die Kleine mal an. Zum Glück hat sich ihr Zustand verbessert, und sie soll sowieso auf die Station gebracht werden, sobald Dr. Watts sie sich noch einmal angesehen hat.“

Holly Benson war vier Jahre alt und vor einer Woche nach einem Schlaganfall eingeliefert worden. Anfangs sah es nicht gut aus für sie, aber nicht zuletzt die fürsorgliche Pflege und der eigene Überlebenswille hatten ihr geholfen, die Krise zu überstehen.

„Na, mein Schatz, was hast du denn? Tut dir der Kopf weh, oder hast du irgendwo anders Schmerzen?“ Becky beugte sich über das Kind.

Von den Überwachungsgeräten, an die das Mädchen angeschlossen gewesen war, arbeitete nur noch die Maschine, die regelmäßig Blutdruck und Herzfrequenz maß. Alle anderen waren bei Holly nicht mehr nötig. Becky sah, wie sie an den Kabeln zupfte, und schob die kleine Hand behutsam beiseite.

„Ich will aufstehen“, verlangte Holly und schob die Unterlippe vor. „Will spielen!“

„Ach, so ist das!“

Sie lachte und drückte einen Kuss auf die weiche Kinderwange. Es war ein gutes Zeichen, wenn ein Kind quengelte, weil es nicht mehr im Bett bleiben wollte.

„Tut mir leid, aber du darfst noch nicht aufstehen, Süße. Erst muss der Doktor dich untersuchen.“ Sie wandte sich an Debbie. „Kein Grund zur Panik. Was halten Sie davon, Holly eine Geschichte vorzulesen, während sie auf Dr. Watts wartet?“

Beruhigt, dass beide mit ihrem Vorschlag einverstanden waren, ging Becky, warf aber auf ihrem Weg zurück einen prüfenden Blick auf jedes Kind. Die Intensivstation verfügte über zehn Betten, und zurzeit waren alle belegt.

Kein anderes Krankenhaus in dieser Gegend von London bot eine intensivmedizinische Versorgung für Kinder an, sodass die Plätze immer gebraucht wurden. Becky hatte viel zu tun, aber sie bereute es nicht, dass sie sich auf diese Stelle beworben hatte, zumal sie nicht für den Schichtdienst eingeteilt war. Alles andere wäre mit Josh gar nicht gegangen.

Sie lächelte vor sich hin, als sie an den kleinen Jungen dachte. Natürlich, die Verantwortung war groß, aber sie liebte Josh wie ein eigenes Kind.

Becky ging zum Stationsbüro. Da Stationsschwester Reece eine Woche Urlaub hatte, musste Becky als verantwortliche Schwester auch den notwendigen Papierkram mit erledigen. Sie öffnete die Tür und erstarrte, als sie den Mann am Fenster erblickte. Einen schrecklichen Moment lang drehte sich plötzlich alles, und sie hatte das Gefühl, der Fußboden käme ihr entgegen.

Der Besucher wandte sich um, sah sie besorgt an und machte einen Schritt auf sie zu. Das half ihr, sich zu fangen. Der Gedanke, Felipe Valdez könnte sie anfassen, war mehr, als sie ertragen konnte.

„Nicht!“

Felipe blieb abrupt stehen. Er wusste nicht, was er tun sollte. Rebecca sah aus, als würde sie gleich umfallen, aber ihr Gesichtsausdruck warnte ihn, näherzukommen.

„Was wollen Sie?“ Scharf und kalt klang die Stimme, die er als sanft und melodisch in Erinnerung hatte. Kein Wunder, so wie er Rebecca Williams behandelt hatte. Er unterdrückte das Bedürfnis, Abbitte zu leisten. Wenn jemand sich entschuldigen musste, dann war sie es, nicht umgekehrt!

„Ich möchte wissen, warum Sie gestern zu mir gekommen sind. Sie müssen einen besonderen Grund gehabt haben.“

„Ich weiß nicht, was Sie meinen“, sagte sie rasch. „Ich habe Ihnen doch gesagt, ich wollte Sie nur kennenlernen …“

„Beleidigen Sie nicht meine Intelligenz, Miss Williams“, unterbrach er sie. „Wir beide wissen, dass Sie etwas von mir wollten. Könnte es sein, dass es sich um Geld handelt?“

Volltreffer. So wie sie dastand, verlegen, ohne es abzustreiten, lag er mit seiner Vermutung genau richtig.

„Haben Sie schon alles ausgegeben, was Antonio Ihnen hinterlassen hat?“, fragte er zornig. „Arbeiten Sie deshalb hier, statt in Saus und Braus zu leben?“

Schockiert starrte sie ihn an, aber er versuchte, es zu ignorieren. Warum sollte er auf ihre Gefühle Rücksicht nehmen? Schließlich hatte sie Antonio schamlos ausgenutzt.

„Ich bin nicht sicher, wie viel mein Bruder Ihnen vermacht hat. Unsere Eltern hatten einen Treuhandfonds eingerichtet, der Antonio an seinem fünfundzwanzigsten Geburtstag mit der stattlichen Summe von zweihunderttausend Pfund versorgen sollte. Dass er das Geld vor seinem Tod noch ausgegeben hat, wage ich zu bezweifeln. Also müssen Sie einen beachtlichen Betrag geerbt haben. Erstaunlich, dass Sie ihn offensichtlich in wenigen Monaten ausgegeben haben.“

Felipe lächelte dünn, während er sich fragte, warum sie sich nicht verteidigte. Oder ahnte sie, dass es zwecklos sein würde, an sein Mitgefühl zu appellieren? Unter anderen Umständen hätte sie damit wohl Erfolg gehabt, denn sicher gab es nur wenige Männer, die für ihre zarte Schönheit unempfänglich waren. Man brauchte sie nur anzusehen, um sie zu begehren. Wie sonst sollte er sich erklären, dass er sich auf einer primitiven Ebene zu ihr hingezogen fühlte? Er konnte sich gut vorstellen, wie Antonio auf sie hereingefallen war.

Doch da liegt der Unterschied zwischen uns beiden, dachte er grimmig. Im Gegensatz zu ihm weiß ich, dass sich unter der liebreizenden Oberfläche eine knallharte, habgierige Frau verbirgt.

„Stellen Sie sich vor, ich könnte fast Mitleid mit Ihnen haben“, fuhr er fort. „Sie hatten sicher nicht geplant, für Ihren Lebensunterhalt arbeiten zu müssen. Aber ich muss Sie enttäuschen. Von mir werden Sie keinen Penny sehen. Ich bin nicht so vertrauensselig wie der arme Antonio!“

Er marschierte an ihr vorbei, spürte ein Prickeln, als er unabsichtlich ihre Schulter streifte. Abscheu, sagte er sich, während er zur Tür strebte, purer Abscheu. Felipe hatte keine Ahnung, wie sie ihm hatte Geld entlocken wollen, aber auf einmal hatte er genug. Mehr über Rebecca Williams zu erfahren, machte ihn sicher nicht glücklicher.

„Becky, kannst du mal … Oh, Verzeihung. Ich wusste nicht, dass du beschäftigt bist.“

Felipe blieb stehen, als eine Krankenschwester im Türrahmen auftauchte. Sie warf ihm einen neugierigen Blick zu und wandte sich dann an Rebecca.

„Dr. Watts muss gleich hier sein. Ich dachte, ich sage dir lieber Bescheid, weil er ziemlich in Eile ist. Er muss heute Abend in Leeds einen Vortrag halten, hat Simon gesagt.“

„Danke, Karen, ich komme gleich.“

Felipe schaute flüchtig über die Schulter und sah, wie sie einen Stapel Krankenakten vom Schreibtisch nahm und zur Tür kam. Dabei vermied sie jeglichen Blickkontakt mit ihm.

Lächelnd übergab sie der Kollegin die Unterlagen, und er ahnte, wie schwer es ihr fiel, so zu tun, als wäre alles in Ordnung. Plötzlich wünschte er, er wäre nicht hergekommen. Das Einzige, was er erreicht hatte, war, dass er sich aufgeregt hatte – und Rebecca auch.

Seltsamerweise machte ihm vor allem Letzteres zu schaffen. Entgegen seinen Erwartungen hatte es ihm nicht die geringste Befriedigung verschafft, Rebecca anzugreifen.

„Achte bitte darauf, dass die Werte auf dem neuesten Stand sind, Karen“, sagte sie gerade. „Du weißt, dass Dr. Watts sehr ungemütlich werden kann, wenn nicht alles aktuell ist.“

„Das hätte ich sowieso gemacht.“ Sie drückte die Papiere an die Brust. „Du bist doch auch da, wenn er kommt, oder? Ich weiß nicht, ob ich einer seiner Hochgeschwindigkeitsvisiten gewachsen bin.“

„Sicher. Dr. Valdez wollte gerade gehen.“

„Valdez! Du meine Güte, natürlich.“ Die Schwester lachte und wandte sich ihm zu. „Das hätte mir gleich auffallen müssen.“ Sie musterte ihn. „Ja, die Ähnlichkeit ist verblüffend, vor allem die Augen. Josh hat genau die gleiche Augenfarbe wie Sie. Erstaunlich, wie exakt manche Merkmale in der Familie weitergegeben werden.“

Felipe wusste nicht, was er sagen sollte. Die junge Frau erwartete eine Antwort, aber er sah sich außerstande, auch nur einen einfachen Satz zu formulieren. Er wandte sich Rebecca zu, und diesmal wich sie seinem Blick nicht aus. Im Gegenteil, sie starrte ihn an. Noch nie hatte er so viel Furcht in den Augen eines Menschen gelesen.

Die Tür wurde leise geschlossen, die Krankenschwester war verschwunden. Anscheinend wollte sie taktvoll sein, weil sie gemerkt hatte, dass sie etwas Falsches gesagt hatte. Doch dafür war es jetzt zu spät. Ein paar unbedachte Worte, und schon war sein Leben auf den Kopf gestellt.

„Wer ist Josh?“

Fast hätte er seine eigene Stimme nicht erkannt. Sie klang angespannt, rau, gefühlvoll, so gar nicht wie die von Felipe Valdez.

Rebecca schluckte. „Josh ist mein Sohn.“ Sie schwieg, und er hielt den Atem an. „Er ist auch Antonios Sohn.“

Becky hämmerte das Herz in der Brust. Ihr war, als hätte jemand die Zeit angehalten. Felipe stand stocksteif da, so schockiert, dass sie beinahe gelacht hätte. Aber die Situation war alles andere als witzig.

„Mein … mein Bruder hat ein Kind … einen Sohn?“

„Ja. Er heißt Josh und ist neun Monate alt“, sagte sie ruhiger, als ihr zumute war. „Er sieht Antonio sehr ähnlich und Ihnen natürlich auch.“ Sie lächelte zaghaft. „Wie Karen gesagt hat, sehen seine Augen genauso aus wie Ihre. Antonios waren sehr viel dunkler.“

„Antonio kam mehr nach meiner Mutter, ich nach meinem Vater.“

„Trotzdem haben Sie viel gemeinsam.“ Erst die Worte machten ihr bewusst, wie ähnlich die beiden Brüder sich sahen. Irgendwie machte es ihr Angst. Sie wollte nicht Felipe anblicken und an Antonio denken. Sie durfte niemals vergessen, dass es zwei grundverschiedene Männer waren.

Es klopfte. Froh über die Unterbrechung, öffnete Becky die Tür. Debbie entschuldigte sich für die Störung.

„Das macht überhaupt nichts. Ist Dr. Watts schon da?“

„Ja, Karen schickt mich, damit Sie Bescheid wissen.“ Neugierig sah sie zu Felipe und senkte die Stimme. „Er war nicht gerade erfreut, dass Sie noch fehlen, Becky, tut mir leid.“

„Bin sofort da.“

Sie schloss die Tür hinter Debbie und drehte sich um. Ihr Herz machte einen Satz, weil Felipe dicht hinter ihr stand. Der Duft seines herben Aftershaves stieg ihr in die Nase, und sie spürte seine Körperwärme. Becky hatte das beunruhigende Gefühl, als wären all ihre Sinne auf einmal nur auf ihn ausgerichtet.

„Ich muss gehen.“ Rasch ging sie zum Schreibtisch und steckte einen Kugelschreiber ein, bemüht, sich ihre Nervosität nicht anmerken zu lassen. Bei Antonio war sie sich seiner nie so stark bewusst gewesen wie jetzt bei seinem Bruder. Einen Moment stieg Panik in ihr auf. Dann sagte sie sich, dass von Antonio auch nie eine Bedrohung ausgegangen war wie jetzt von Felipe.

„Die Arbeit ruft“, sagte sie, beruhigt, eine Erklärung für ihre seltsamen Gefühle gefunden zu haben.

„Aber wir müssen miteinander reden, Rebecca. Das ist doch wohl klar. Sí?

Es klang wie eine Frage, aber sie ahnte, dass sie keine Wahl hatte. Er würde alles über Josh wissen wollen.

Deshalb durfte er nicht erfahren, dass sie nicht seine leibliche Mutter war. Becky wusste, was er von ihr hielt. Das hatte er ihr mehr als deutlich zu verstehen gegeben, und er würde keine Mühe und keine Kosten scheuen, sie aus dem Leben seines Neffen zu entfernen, sobald er wusste, dass sie gar keinen Anspruch auf das Kind hatte.

Welch eine Ironie des Schicksals. Becky biss sich auf die Lippen. Vor einigen Tagen war Felipe Valdez noch ihre große Hoffnung gewesen. Mittlerweile stellte er eine größere Bedrohung dar als Tara.

„Hier sind Adresse und Telefonnummer des Hotels, in dem ich abgestiegen bin.“ Er zog einen Notizblock aus der Jackentasche, notierte beides und riss das Blatt ab. „Wir sollten heute Abend einen Termin vereinbaren.“

„Ich habe nicht vor sechs Dienstschluss.“

„Gut, dann um sechs. Rufen Sie mich an. Und denken Sie daran, Miss Williams, ich bin nicht gewillt zu warten, während Sie sich eine Zeit ausdenken, die Ihnen besser passt.“

Mehr sagte er nicht. Becky lauschte seinen Schritten nach, die langsam im Flur verklangen, und holte tief Luft. Die Panik blieb.

Nur mit Mühe unterdrückte sie die quälenden Gedanken und eilte zur Station.

„Ah, da sind Sie ja, Schwester. Schön, dass Sie bei uns sind, dann können wir endlich anfangen.“

Becky entschuldigte sich, und die Visite begann bei Danny Epstein. Der Junge war vor wenigen Tagen mit einer schweren Endokarditis eingeliefert worden und noch nicht über den Berg. Dr. Watts studierte den Bericht der Nachtschwester, und obwohl er heute mehrere Studenten und zwei seiner Oberärzte mitgebracht hatte, herrschte absolute Stille am Krankenbett. Niemand wagte es, den Chefarzt zu stören.

Je länger das Schweigen dauerte, umso schwieriger fand es Becky, sich zu konzentrieren. Ihre Gedanken schweiften ab. Wie sollte sie sich bei dem Treffen mit Felipe verhalten? Er würde eine Menge Fragen stellen, und sie musste einen Weg finden, sie zu beantworten, ohne dass er Verdacht …

„Wir setzen die hochdosierten Antibiotika-Gaben fort und hoffen, dass die Entzündung damit … Schwester?“

Sie blinzelte, als James Watts verstummte und sie über den Rand seiner Lesebrille hinweg musterte. Becky wurde rot und registrierte nur vage das verschwörerische Grinsen, das Simon Montague, der leitende Oberarzt, ihr zuwarf. Anscheinend hatte jeder bemerkt, dass sie nicht bei der Sache war, und Becky ärgerte sich, dass sie sich in ihrer Arbeit von privaten Problemen beeinträchtigen ließ.

„Ich werde es auf Dannys Karte vermerken“, sagte sie rasch. „Hat das kardiologische Team schon entschieden, wann die beschädigten Herzklappen ersetzt werden sollen?“

„Sobald wir die Infektion unter Kontrolle haben“, erwiderte James knapp.

Becky atmete erleichtert aus, als er sich den Studenten zuwandte, um ihnen die Krankengeschichte zu skizzieren. Angesichts der Tatsache, dass sie heute nicht zum ersten Mal seinen Unwillen erregt hatte, war sie noch gut davongekommen.

„Dieser Junge hatte sich nach einer Zahnextraktion eine Entzündung zugezogen“, hörte sie ihn sagen. „Ein paar Tage später war die Infektion auf die Herzinnenhaut geschlagen. Wir wissen sicher, dass zwei Herzklappen beschädigt wurden. Wie schlimm die übrigen in Mitleidenschaft gezogen wurden, müssen wir erst noch abwarten.“

Es ging weiter zum nächsten Bett.

„He, was ist los?“ Simon tauchte neben ihr auf. „Du siehst aus, als hättest du das Gewicht der ganzen Welt auf deinen Schultern.“

Becky seufzte insgeheim. Unter anderen Umständen hätte sie sich ihm bestimmt anvertraut, aber heute war das unmöglich.

„Nichts ist los. Alles in Ordnung“, begann sie, sah aber auf, als James sich räusperte. Sein eisiger Blick verhieß nichts Gutes.

„Ich möchte diese Visite heute noch beenden, sofern das möglich ist, Schwester. Falls Sie und Dr. Montague also so freundlich wären, sich uns anzuschließen, wäre ich Ihnen ausgesprochen dankbar.“

„Entschuldigen Sie, Sir.“ Sie eilte zu ihm, um ihm die nächste Patientenakte zu reichen.

In der nächsten halben Stunde verbannte sie konsequent jeden Gedanken an Felipe Valdez aus ihrem Kopf.

Becky war spät dran. Sie hatte nicht pünktlich Schluss machen können, weil Danny Epstein einen Herzstillstand erlitten hatte. Nur mit vereinten Anstrengungen des gesamten Teams war es gelungen, den Jungen zu stabilisieren. Jetzt lag er bereits im OP, wo die stark geschädigten Herzklappen ersetzt werden sollten.

Ob er den Eingriff in diesem geschwächten Zustand überlebte, stand in den Sternen, aber es war seine einzige Chance, und Becky beglückwünschte im Stillen seine Eltern, dass sie ihre Einwilligung zu diesem Schritt gegeben hatten. Wie schwer das Elternlos manchmal sein konnte, wusste sie mittlerweile auch.

Trotzdem lächelte sie vor sich hin, während sie eilig das Krankenhaus verließ. Sie freute sich jedes Mal darauf, Josh abzuholen, weil er so glücklich war, sie zu sehen. Der kleine Junge war ein wahrer Sonnenschein und hatte auch die Tagesmutter längst um den Finger gewickelt. Für Becky war es ausgesprochen beruhigend zu wissen, dass die beiden sich mochten.

„Miss Williams.“

Wie angewurzelt blieb sie stehen. Sie hätte sich denken können, dass Felipe keine Ruhe geben würde, bis er Antworten auf seine Fragen bekommen hatte. Trotzdem hatte sie gehofft, noch ein bisschen mehr Zeit zu haben. Als sie sich umdrehte und ihm ins Gesicht sah, fing ihr Herz an zu rasen.

Konnte sie vor ihm geheim halten, dass sie nicht Joshs leibliche Mutter war?

Davon hing alles ab.

3. KAPITEL

„Ich muss mit Ihnen reden, Miss Williams. Vielleicht setzen wir uns in die Bar dort drüben.“

„Ich kann nicht.“

Felipe runzelte die Stirn, weil Rebecca sich so verängstigt anhörte. Erneut keimte der Verdacht, dass sie ihm einen Haufen Lügen auftischen würde. Warum hatte Antonio ihm nicht geschrieben, dass er Vater wurde? Hier passte einiges nicht zusammen.

„Können Sie nicht, oder wollen Sie nicht?“, fragte er scharf. „Mir ist nicht klar, was hier vorgeht, Miss Williams. Vor wenigen Stunden haben Sie mir eröffnet, dass Sie und mein Bruder einen Sohn haben, und jetzt weigern Sie sich, mit mir über dieses Kind zu sprechen.“

Sie senkte den Blick. „Ich weigere mich nicht, Dr. Valdez.“ Schulterzuckend sah sie wieder auf. „Aber ich dachte, wir hätten vereinbart, dass ich Sie anrufe, um ein Treffen auszumachen.“

„Das ist richtig, doch ich sehe keinen Grund, warum wir nicht jetzt gleich darüber sprechen können.“ Als er nach ihrem Ellbogen griff, wich sie geschickt aus.

„Das geht nicht, ich muss Josh abholen. Da wir einen Notfall hatten, bin ich sowieso schon zu spät, und die Tagesmutter wird sich fragen, wo ich bleibe.“ Sie marschierte los.

Felipe dachte nicht daran, sich so einfach abwimmeln zu lassen. Woher sollte er wissen, was sie vorhatte? Wenn sie nun mit Josh einfach verschwand? Konnte er das einzige Kind seines Bruders einer Frau wie ihr überlassen?

Nach wenigen langen Schritten hatte er sie eingeholt. Er sah, wie sie ihm einen Seitenblick zuwarf und die vollen Lippen aufeinanderpresste, aber sie sagte nichts. Schweigend marschierten sie zusammen den Bürgersteig entlang, während sich neben ihnen die Blechlawinen des Feierabendverkehrs durch die Straßen schoben.

Lärm und Abgase füllten die Luft, und Felipe wünschte sich plötzlich nach Mallorca zurück, wo von der Bucht her ein frischer, salziger Wind wehte. Hatte Antonio diesen Krach, diese Hektik wirklich dem Leben auf der Mittelmeerinsel vorgezogen?

„Antonio liebte die Rushhour“, sagte sie da, als hätte sie seine Gedanken gelesen. „Er hat viel Zeit am Fenster verbracht, nachdem … nachdem er zu schwach geworden war, um nach draußen zu gehen.“

„Wie ging es ihm zum Schluss?“ Seine Stimme klang rau, und Felipe räusperte sich. „Es muss schwer gewesen sein, sich mit dem nahen Tod abzufinden.“

„Ich glaube, zu dem Zeitpunkt hatte er sein Schicksal längst akzeptiert.“ Sie lächelte sanft. „Er hat mir gesagt, dass er seine letzten Wochen in dieser Welt nicht mit Bitterkeit vergeuden wolle. Sicher hat es ihm sehr geholfen, dass Josh da war. Zu wissen, dass ein Teil von ihm in dem Jungen weiterleben würde, gab ihm Kraft.“

„Dann hat er dieses Kind gesehen?“ Erinnerungen an Antonios Geburt flammten in ihm auf. Er selbst war damals fünfzehn gewesen und wusste noch genau, wie schockiert seine Eltern waren, als sie entdeckten, dass seine Mutter schwanger war. Doch als das Baby auf die Welt kam, waren sie überglücklich.

Antonio hatte so viel Freude in ihr Leben gebracht, auch in Felipes. Ein tragischer Autounfall riss die Familie auseinander, als Antonio zehn Jahre alt war, und Felipe hatte sich darum gekümmert, seinen kleinen Bruder großzuziehen.

Er hatte sein Bestes getan, doch vielleicht war er zu streng gewesen. Antonio hätte Mallorca möglicherweise nicht verlassen und bestimmt nicht mit Rebecca Williams ein Kind gezeugt. Das Schicksal ging seltsame Wege.

„Oh ja. Josh wurde ein paar Wochen vor … Antonios Tod geboren. Antonio hatte zum Schluss starke Schmerzen und schlief aufgrund der Medikamente die meiste Zeit des Tages. Doch als ich Josh aus dem Krankenhaus mitbrachte, nahm er nur gerade so viel, wie nötig war, um vor Schmerzen nicht verrückt zu werden.“

Sie schlug die Hand vor Augen. Auch ihre Stimme verriet, dass sie die Tränen mühsam unterdrückte. „Er sagte, dass er keine einzige Minute mit Josh verpassen wollte. Wann immer der Kleine wach war, hat er ihn gehalten. Ich werde nie das Bild vergessen, wie Antonio am Fenster sitzt, seinen Sohn in den Armen.“

Rebecca schluchzte auf, und auf einmal erschien es ihm völlig natürlich, sie zu halten, während sie weinte. Flüchtig dachte er, dass er vielleicht einen großen Fehler beging, indem er die Distanz aufhob, aber das Bedürfnis, diese zarte Frau zu trösten, war stärker.

Er zog sie an sich, verwundert darüber, wie hilflos er sich fühlte. Den Kummer konnte er ihr nicht nehmen, und es berührte ihn mehr, als er sich eingestehen mochte, dass sie um seinen Bruder trauerte.

Geistesabwesend strich er ihr übers Haar. Es war weich und seidig und leicht wie eine Feder. Fasziniert betrachtete er die blassgoldenen Strähnen, die im Spiel von Licht und Schatten schimmerten. Plötzlich wünschte er, dieser Moment möge nicht enden, dass er sie für immer so halten könnte. Bei ihm wäre sie sicher, er würde sie vor Kummer und Leid bewahren.

Felipe erstarrte, als ihm bewusst wurde, welche Richtung seine Gedanken genommen hatten. Da trat Rebecca einen Schritt zurück, und er ließ sie erleichtert los.

„Entschuldigen Sie, das wollte ich nicht.“ Sie trocknete sich mit einem Taschentuch die Augen und straffte die Schultern. Ihre Haltung hatte etwas rührend Würdevolles.

Unerwartet beschlich ihn das dumme Gefühl, dass er sie falsch eingeschätzt haben könnte. War sie wirkli...

Autor

Anne Herries
<p>Anne Herries ist die Tochter einer Lehrerin und eines Damen Friseurs. Nachdem sie mit 15 von der High School abging, arbeitete sie bis zu ihrer Hochzeit bei ihrem Vater im Laden. Dann führte sie ihren eigenen Friseur Salon, welchen sie jedoch aufgab, um sich dem Schreiben zu widmen und ihrem...
Mehr erfahren
Carol Marinelli
<p>Carol Marinelli wurde in England geboren. Gemeinsam mit ihren schottischen Eltern und den beiden Schwestern verbrachte sie viele glückliche Sommermonate in den Highlands. Nach der Schule besuchte Carol einen Sekretärinnenkurs und lernte dabei vor allem eines: Dass sie nie im Leben Sekretärin werden wollte! Also machte sie eine Ausbildung zur...
Mehr erfahren